Hansjörg Kofink – Gedanken zum Sport
Hansjörg Kofink: Die Werte des Sports
geschrieben an Pfingsten 2007
Seit einem Vierteljahr sehen und hören wir die Großen des Radsports, die nie einen betrogen haben, die nur in einem bestimmten Zeitfenster gedopt haben – es gab ja kein Risiko! – und denen es jetzt leid tut, ja, die sogar ihre Hilfe für die Zukunft anbieten, weil sie wissen, wie’s geht, im Gegensatz zu dem etwas naiven Ombudsman des freien Sports. Wen diese menschliche Großmut hart arbeitender Radprofis nicht rührt, der bekommt es von Bjarne Riis, dem bisher letzten geständigen Doping-Tour-de-France-Sieger, in Stein gemeißelt:
„Ich bin stolz über die Ergebnisse als Radsportler und als Teamchef. Ich fühle mich gut dabei. Ich habe dafür gekämpft und weiß, welche Arbeit ich dafür reingesteckt habe. Mein Gelbes Trikot liegt in einem Pappkarton in meiner Garage. Wenn ihr es mir abnehmen wollt, dann holt es euch. Es bedeutet mir nichts.“
Die Werte des Sports gehen diesen Helden des Pelotons am Gesäß vorbei.
Inzwischen gestehen auch Herren in Weiß, die offensichtlich seit Jahrzehnten die Nähe nicht nur der Radprofis gesucht und gefunden haben. Seit nahezu einem halben Jahrhundert wird auf Kongressen, in Sportausschüssen auf allen Etagen geforscht, publiziert, diskutiert und kraft Amtes und Fachkompetenz dekretiert, was schadet, was nicht schadet, vor allem was nützt und was mit dem sportlichen Reglement vereinbar ist oder zumindest nicht auffällt.
Mit ungläubigem Staunen nimmt man zur Kenntnis, dass Luxemburgs einziger Leichtathletik-Olympiasieger vor 55 Jahren gedopt war dank der ‚Freiburger Schule’ und dass die Forschung dazu in einer Doktorarbeit aus jenen Tagen festgehalten wurde.
Aus Unglauben wird Entsetzen, liest man die Pfingst-Botschaft der NADA:
Bonn, 26. Mai 2007 – Die Nationale Anti Doping Agentur Deutschland verzichtet mit sofortiger Wirkung auf die Mitarbeit des Freiburger Sportmediziners Dr. Georg Huber in der AG Medizin & Analytik. Dr. Huber hat in einem langen, intensiven Gespräch mit der NADA am Donnerstag noch jede Beteiligung an Doping von sich gewiesen. Heute gestand er nach Information der Universitätsklinik Freiburg die Verabreichung von Dopingmitteln zwischen 1980 und 1990.
Immerhin spart man die Hälfte der Kosten, werden Dopingjäger und Dopingverteiler der Kompetenz wegen zusammenlegt, eine Déjà-vu-Erlebnis für Freiburg und den deutschen Sport, obwohl viele glauben, so etwas habe es nur in der DDR und in Italien gegeben.
Auch prominente Vertreter der Sportärzteschaft scheinen auf sportliche Regeln und Werte zu defäkieren.
Dieser Klartext sollte niemanden schockieren, kommen doch Gelöbnisse, sportliche Eide und Chartas immer, getragen von olympischem Weihrauch, auf höchstem sprachlichem Niveau daher.
Nachdem nun auch die Öffentlich-Rechtlichen sich in Sachen Beihilfe zum Doping – mea culpa – unüberhör- und sichtbar an die breite Brust klopfen, erhebt sich aus dem Auditorium vor dem noch offenen Vorhang ein bisher kaum vernehmbares Grollen: Wo bleibt denn die Politik, und vor allem wo bleibt die Führungsriege des Sports und Olympias, die Sportwerteträger?
Politiker A will Amnestie für geständige Radprofis, Politiker B will harte Strafen; beides Makulatur, weil bisher keine gesetzliche Grundlage dafür geschaffen worden ist in vollem Einverständnis mit den Aufsichtsräten des Sports, die sich ihr Hausrecht nicht nehmen lassen wollen, das sie selbst nicht immer beherrschen. Nicht nur der Deutsche Leichtathletikverband hat dazu in der letzten halben Generation Erfahrungen sammeln dürfen.
Politiker C, angesichts der aktuellen Lage in der Pose des Erzengels mit flammendem Schwert, kam vor 30 Jahren im Disput mit Sportmedizin und Spitzenfunktionären zu einem erstaunlich anderen Resümee:
… „Wir wollen solche Mittel nur sehr eingeschränkt und nur unter der absolut verantwortlichen Kontrolle der Sportmediziner; also unter ärztlicher Verantwortung einsetzen, statt eine Norm aufzustellen, von der alle Sachkundigen wissen, dass sie in bestimmten Bereichen die Einhaltung dieser Norm weder garantieren können noch wollen, weil es offenbar Disziplinen gibt, in denen heute ohne den Einsatz dieser Mittel der leistungssportliche Wettbewerb in der Weltkonkurrenz nicht mehr mitgehalten werden kann“ (Deutscher Bundestag , 1977, 101f.).
Man muss diesem Statement zugute halten, dass es der real existierende Kompromiss eines Politikers war, den er aus quälenden Diskussionen mit Sportmedizinern und Spitzenfunktionären des Sports zog, die allesamt über die geltenden Regeln des Sports Bescheid wussten, allerdings auch über den internationalen und olympischen Umgang mit diesen Regeln!
Seit damals gibt es in Deutschland ein offenes Ende der Debatte über den Einsatz von Dopingmitteln in der Nomenklatura des Sports, egal, was die jeweils gültigen Regeln besagen. Jüngstes Beispiel dafür ist Prof. Arnd Krüger, ehemaliger Leichtathletik-Olympionike und heutiger Direktor des Sportinstituts an der Universität Göttingen mit seinem Diskussionsbeitrag zum Doping in GEO WISSEN vor wenigen Wochen.
In der Öffentlichkeit und bei führenden Sportfunktionären ist Doping die große Unbekannte. Hier ist eine kleine Handbibliothek für den Notfall, die auf jeden Stick passt:
A worldwide research study, performed by Alessandro Donati* and published in February 2007, assembles information and data that may be used as the basis for an estimate of the total volume of traffic of doping substances on a world scale.
>>> doping-archiv.de
„Mir geht es aber darum aufzuzeigen, dass Doping und Radsport, vor allem der Profiradsport, von Anbeginn an eine feste Verbindung eingegangen sind.“
SWIMMING’S HALL-OF-SHAME Inaugurated: 2 December, 1997
So this „Hall-of-shame“ is listed to demonstrate the ineffectiveness of swimming’s international organization to keep a once reputable sport „clean.“ Its aloof administration has allowed the potential life-long activity of swimming to be disgraced. (im Internet nicht verfügbar)
> Doping im Schwimmen, Limmat Zürich
Chronologisches Doping Archiv im Schwimmsport Schwimmverein
> Todesfälle bei Anabolikamissbrauch Dissertation an der LMU München 2006 (Luitpold Kistler)
Gert Steines, ehemaliger Spitzenkugelstoßer des DLV
Und zum Schluss noch die österreichische Variante:
Auf der Homepage des IOC war am 28. April 2007 das Urteil gegen sieben österreichische Athleten zu lesen, die bei den OS Turin 2006 auffällig geworden waren. Am 25. Mai folgte der Beschluss gegen das ÖOC, der derzeit die österreichische Öffentlichkeit so beschäftigt, dass die deutsche Radsport-Affäre kaum interessiert. Sportmedizin bei den Nachbarn:
ÖSV-Arzt Baumgartl fürchtet um seine Reputation
…“Er selbst habe bei den Winterspielen 2006 nicht in den Quartieren der Langläufer und Biathleten gewohnt. „Es gefällt mir nicht, dass sie hinter meinem Rücken und gegen meine Anweisungen Infusionsbesteck gehabt haben. Das verurteile ich, auch wenn es kein Doping sein muss. Aber es ist sicher nicht Aufgabe des Arztes, Kindermädchen zu spielen und in den Nachtkasterln zu stöbern“, erklärte Baumgartl und fragte in Richtung IOC: „Sind jemals bei Dopingfällen wie bei Johann Mühlegg oder russischen Langläuferinnen Ärzte beschuldigt worden?“ … (Der Kurier vom 26.Mai 2007)