2009 Schriftwechsel H. Kofink mit DLV und DOSB
1. Offener Brief: Kofink an Prokop, 25.4.2009
2. Offener Brief: Kofink an Prokop, 10.5.2009
3. Offener Brief: Kofink an Schäuble, Bach, Prokop, 6.6.2009
4. Offener Brief: Kofink an Thomas Bach, 5.7.2009
Hintergründe zu diesem Offenen Brief sind hier nachzulesen:
>>> Doping-Aufarbeitung in der BRD
2. Offener Brief: H. Kofink schreibt an Clemens Prokop, 10.5.2009
Auf den hier vorliegenden zweiten Brief Hansjörg Kofinks reagierte C. Prokop am 19.Mai 2009 kurz. Er beklagte ‚Polemik und persönliche Verunglimpfung‘. Als besonders kritikwürdig beurteilt er, dass der Brief an Dritte weitergeleitet wurde, er aber an einen persönlichen Brief glaubte, da eine entsprechende Kennzeichnung fehlte. Nun fühle er sich von Kofink getäuscht und sei verwundert, solches in Zusammenhang mit dem „Einfordern ethischer Verhaltensweisen“ zu erleben. Eine Basis für eine seriöse Kumminkation sei für ihn nicht mehr gegeben, er werde daher auf kein weiteres Schreiben antworten.
Hansjörg Kofink gab nicht auf und verfasste am 6.6.2009 ein weiteres Schreiben, dieses Mal klar als Offener Brief gekennzeichnet und direkt an Bundesminister Wolfgang Schäuble, an DOSB-Vorsitzenden Thomas Bach und an DLV-Präsidenten Clemens Prokop gerichtet:
>>> Kofink: Beschäftigung ehemaliger DDR-Trainer
Kofink: 2. Schreiben an C. Prokop:
Appell ‚West-Trainer müssen ihr Schweigen brechen’ ist Irreführung
Hansjörg Kofink, Lenaustraße 8, 72108 Rottenburg
An den Präsidenten des
Deutschen Leichtathletikverbandes
Dr. Clemens Prokop
Haus der Leichtathletik
Alsfelder Straße 27
64289 Darmstadt
Postfach 10 04 63
t 10. Mai 2009
Sehr geehrter Herr Dr. Prokop,
für Ihre Antwort auf mein Schreiben vom 25. April bedanke ich mich. Da Ihnen das Ziel meines Schreibens unklar geblieben ist, werde ich versuchen, es Ihnen zu verdeutlichen.
Sie haben über dpa am 23. April einen Appell „West-Trainer müssen Schweigen brechen“ veröffentlichen lassen. Dieser Appell betrifft auch mich als West-Trainer von 1970 bis 1972.
Ich halte Ihren Appell für eine bewusste Irreführung der Öffentlichkeit:
– Sie unterstellen eine unterschiedliche Behandlung der DLV-Trainer mit Doping-Vergangenheit nach Ost und West.
– Sie unterstellen, dass DLV-Trainer der 90er Jahre nicht in Doping verwickelt waren.
– Sie verschleiern mit diesem Appell, dass die Dopingbekämpfung in der Leichtathletik, seit es sie gibt, ausschließlich in Händen des Deutsche Leichtathletikverbands liegt.
Dass es beim DVfL der DDR keine Dopingbekämpfung brauchte, macht die Erklärung der fünf ehemaligen DDR-Trainer in nicht zu widerlegender Weise klar:
…Wir waren im Einzelfall am Einsatz unterstützender pharmazeutischer Substanzen (Dopingmittel) beteiligt. Uns war bekannt, dass dies den Regeln des Sports widersprach, doch fühlten wir uns durch die Vorgaben des Staates legitimiert. …
Dieser Satz bedeutet nichts anderes, als dass die staatliche Vorgabe – das Staatsplanthema 14.25 der DDR – eine Lizenz zum Dopen war, die alle sportlichen Regeln, sportliches Ethos und die Verbote der IAAF (1970) und des IOC (1974) außer Kraft gesetzt hat.
Im Gegensatz dazu war Dopingbekämpfung im Sport der Bundesrepublik einzig und allein Aufgabe der Institutionen des Sports selbst. Ehemalige DDR-Trainer unterstehen dieser Verantwortung erst seit ihrer Übernahme in den 90er Jahren.
Ihre Anstellung in Verbänden der Bundesrepublik nach den im deutschen Sport gültigen Regelungen bedeutet, dass der Arbeitgeber, die Sportselbstverwaltung, die DDRVergangenheit jener Trainer gut heißt und akzeptiert.
Ich halte Ihren Appell für zutiefst heuchlerisch, weil er glauben machen will, dass neben den kontrollierten Sportlern allein Trainer Verantwortung für Doping tragen. Sportfunktionäre und Sportärzte werden ausblendet.
Ich habe Ihnen dazu das Verbandsgerichtsurteil des Hessischen Leichtathletikverbandes von 1977 ausführlich zitiert, das einen des Dopings geständigen Athleten zu einer Sperre auf Bewährung verurteilt hat, weil „…Mitglieder des DLV-Präsidiums von der Einnahme von anabolischen Steroiden wussten, …“
Zur weiteren Erhellung der damaligen Situation erinnere ich Sie an ein Ende 1978 vom DLV verschicktes Schreiben an die Athleten der DLV-Nationalmannschaft, in dem es zur in der Öffentlichkeit heiß diskutierten Dopingsituation hieß: „Um Missverständnisse in der Öffentlichkeit zu vermeiden, halten wir es für besser, die Diskussion intern im DLV zu führen.“
Welche Rolle Sportärzte beim Doping in der Bundesrepublik im Allgemeinen und beim DLV im Besonderen spielten, ist in Medien aller Art nachzulesen. Folgendes Zitat aus der ‚SZ’ von 1991, das im Jahr 2000 Eingang in das Buch ‚Doping im Spitzensport’ fand und dem bis heute von keiner Seite widersprochen worden ist, mag hier genügen:
…Und der 1977 positiv getestete Hein-Dirk Neu ergänzte in einer eidesstattlichen Versicherung 1991 solche Aussagen um den Hinweis auf eine bemerkenswerte Bezugsquelle für Anabolika, nämlich den zu Neus Athletenzeit in Mainz tätigen Sportmediziner Manfred Steinbach, von dem er Anabolika „rezeptiert bekommen habe und daß sie beide, Arzt und Athlet, sich über die vorgetäuschten Indikationen auf den Rezepten ‚kaputtgelacht’ hätten, so zum Beispiel über die Scheinindikation ‚Gewichtsverlust nach Grippe’“ (“Süddeutsche Zeitung“, 7./8.12.1991) …
Sie klammern die 90er Jahre in Ihrem Appell aus, werfen mir aber „bedenkliche Polemik“, vor, die „von einer erschreckenden Unkenntnis der Anti-Dopingaktivitäten des DLV seit 1993“. zeuge, weil ich das Versagen des DLV im Umgang mit Doping in den 70er und 80er Jahren mit dem Versagen bei der Einstellung ehemaliger DDR-Trainer in den 90er Jahren verglichen habe.
Inzwischen hat DLV-Trainer Pottel öffentlich gemacht, dass er „nie zum Thema DDR-Doping befragt worden“ sei, „noch sei er je von einer Dopingkommission überprüft worden“.
Der DLV wird nach dieser authentischen Aussage eines Betroffenen wohl damit leben müssen, dass er seiner Sorgfaltspflicht bei der Einstellung der ehemaligen DDR-Trainer nicht gerecht geworden ist.
Dass die Antidoping-Aktivitäten des DLV auch nach 1993 alles andere als effektiv waren, zeigen viele Veröffentlichungen, auch in der Verbandszeitschrift „leichtathletik“ und in Büchern wie DOPING, 1992 und Doping im Spitzensport, 2000/2007, deren Autoren, Brigitte Berendonk, Werner Franke, Andreas Singler und Gerhard Treutlein Sie kürzlich im Interview (WELT 7.5.09) ausdrücklich gewürdigt haben.
In diesen Tagen ist ein neues Buch dazu gekommen (>>> Vorwärts und Vergessen, 2009), das im Teil 3 ein Kapitel Die vereinte Doping-Republik vorstellt, eine weitere Informationsmöglichkeit.
Was hat das Präsidium des DLV mit gerichtsfesten Unterlagen gemacht, die aus Doping-Prozessen vor ordentlichen Gerichten – Steinmetz 1991 und Spilker 1994 – oder den staatsanwaltschaftlichen Untersuchungen gegen Honorarbundestrainer Heinz Hüsselmann vom TV Wattenscheid (1987/88) angefallen sind?
Hat der DLV Konsequenzen aus dem umfangreiches Aktenmaterial gezogen, das den zuständigen Funktionären des DLV ja nicht unbekannt geblieben ist. Folgende Meldung der Rhein-Zeitung vom Dezember 1998, diesmal nicht aus dem Trainerbereich, lässt die „Anti-Dopingaktivitäten des DLV seit 1993“ in einem ganz besonderen Licht erscheinen.
Aufsehen erregendes Geständnis: Langstreckenläufer Stephane Franke gab zu, er und Hindernis- Europameister Damian Kallabis hätten bei der Leichtathletik-EM im August den möglicherweise leistungsfördernden Blutplasma-Expander HES benutzt. Franke, EM-Dritter über 10 000 Meter, beteuerte in seiner Erklärung allerdings erneut, er und Kallabis hätten nie Blutdoping mit Erythropoietin (EPO) betrieben. Ob beiden nun ein Verfahren wegen Medikamentenmißbrauchs droht, konnte Rüdiger Nickel, Sportwart des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV), nicht beantworten. Eine Verwendung von HES soll künftig im DLV verboten werden. Franke stellte in seiner Erklärung, die dem DLV seit Mittwoch vorliegt, fest: „Ja, wir haben in Budapest das Mittel HES benutzt.“ Aber man habe nichts Verbotenes getan, sonst wäre man nicht an offizielle DLV-Ärzte herangetreten. Das Mittel habe ihm auf Wunsch der Freiburger Orthopäde Dr. Heinz Birnesser verabreicht, weil es in Budapest heiß und schwül gewesen sei. Kallabis habe die Infusion von dessen Kollegen Dr. Uwe Wegner (Hannover) erhalten. Franke erklärte, er habe HES schon 1995 bei der WM in Göteborg vom damaligen DLV-Chefarzt Prof. Dr. Wilfried Kindermann (Saarbrücken) bekommen. Kindermann bestätigt dies. Der Leiter des Sportmedizinischen Instituts der Universität Saarbrücken erklärte die Wirkungsweise von HES so: „Blutplasma-Ersatzstoffe wie HES können unter anderem die Fließeigenschaften des Blutes verbessern, wobei möglicherweise die Wärmeabgabe des Körpers begünstigt wird.“ Er habe das Mittel vor dem Wettkampf verabreicht, weil der Athlet über positive Erfahrungen mit dieser Substanz berichtet habe. Kindermann: „Ich habe nichts Verbotenes getan.“ Birnesser, Leiter der Abteilung Sportorthopädie und Sporttraumatologie an der Universität Freiburg, sieht die medizinische Indikation in der Vorbeugung gegen übermäßigen Flüssigkeitsverlust bei Hitze. Der Mediziner spricht dem Blutverdünner eine leistungssteigernde Wirkung nicht ab. (4.12.98, Rhein-Zeitung)
Nicht nur der Vorgang an sich macht sprachlos. Über drei Jahre hinweg verabreichen Premium-Sportärzte des DLV auf Wunsch von Athleten den Butverdünner HES, der ja nicht verboten war. Die Athleten kennen immerhin EPO, die Ärzte wissen um die Blut verdünnende Wirkung von HES und sie sprechen ihm eine leistungssteigernde Wirkung nicht ab. Und der DLV will HES künftig verbieten, 1998, dem Jahr des Festina-Skandals!
Schon in den 80er Jahren war Donati durch seinen Kampf gegen Dopingpraktiken im Ausdauerbereich in Italien europaweit bekannt geworden. 1994 legte er seinen Report über EPO-Missbrauch vor, in dem er erstmals darauf hinwies, dass der Markt für EPO weltweit die Bedürfnisse für Patienten erheblich überstieg. Auch bekannt war, dass zu Beginn der 90 Jahre eine Anzahl ungeklärter Todesfälle im Spitzenradsport aufgetreten waren.
Davon wusste man in Deutschland natürlich nichts, der Weg nach Freiburg war noch lang.
Doch auch im neuen Jahrhundert gibt es Grund, sich über die Doping-Bekämpfung des DLV zu wundern.
Schon die Auswertung der Berliner Doping-Prozesse Ende der 90er Jahre hätte dem DLV Erkenntnisse gebracht, die ihm zukünftigen Trainer-Ärger hätten vermeiden helfen. Doch wahrscheinlich war sein Interesse an den Trainern größer als Bedenken gegenüber zukünftigem Ärger.
Im August 2004 löste eine Strafanzeige des DLV den Prozess gegen Thomas Springstein wegen Minderjährigen-Dopings aus. Als sich abzeichnete, dass dieser Prozess mit einem Deal zwischen Staatsanwaltschaft und Verteidigung beendet werden würde, war klar, dass die anderen minderjährigen Athletinnen, die Springsteins Doping-Tabletten konsumiert hatten, nicht mehr Gegenstand des Verfahrens sein würden. Konsequenz des DLV hätten weitere Strafanträge wegen Minderjährigen-Dopings und Körperverletzung sein müssen.
Von der Presse auf die Konsequenzen dieses „schweren kriminellen Delikts“ angesprochen sahen Sie, sehr geehrter Herr Dr. Prokop, damals folgenden weiteren Weg für den DLV:
„Die Verfahrensherrschaft liegt bei den Justizbehörden. Wir können jetzt nur abwarten, wie sich die Beweislage entwickelt.“ Um eigenen Anti-Doping-Regeln gemäß Sanktionen vorzunehmen, benötige der Verband Beweise. Positive Proben von Athleten oder Geständnisse, die im Falle des verdächtigten Trainers indes sportrechtlich gegenstandslos wären: „Wir haben ja keinen Vertrag mit Springstein, den wir im Falle eines Verstoßes ruhen lassen oder auflösen könnten.“
Diese Beurteilung – ein klassisches Beispiel deutscher Doping-Bekämpfung – erwies sich im Nachhinein als fatal. Der Deal der Strafverfolgung mit der Verteidigung führte dazu, dass die Staatsanwaltschaft zwar feststellte „Aber das ist die absolute Spitze eines Eisberges, der Angeklagte ist im wahrsten Sinne des Wortes als Dopingmitteldealer aufgetreten, und zwar über einen längeren Zeitraum“,
aber gleichzeitig betonte,
„die Staatsanwaltschaft war aus Gründen der Prozeßökonomie, daran interessiert, den Prozeß schnell zu beenden“. Das Dopingproblem der Leichtathletik zu lösen sei nicht Aufgabe der Justiz.
Die fehlende Zusammenarbeit von Sportgerichtsbarkeit und Justiz zeitigte so ein völlig unbefriedigendes Ergebnis, das auch durch spätere Versuche Ihrerseits nicht mehr korrigiert werden konnte. Eine schwere Niederlage für die Dopingbekämpfung des DLV und ein Waterloo im Antidoping-Kampf für die Sportgerichtsbarkeit.
Doch das alles ist auch Ihnen seit langem bekannt. Was soll dann im Jahr 2009 ein Appell an West-Trainer, sich zu Taten zu bekennen, die Jahrzehnte zurückliegen, die dem DLV bekannt, von ihm geduldet, wenn nicht sogar gefördert worden waren?
Wollten Sie eine öffentliche Beichte WEST zur öffentlichen Erklärung OST, um so nach OST und WEST gesamtdeutsche Doping-Absolution erteilen zu können?
Ist das der Weg zu einer Lösung der völlig verkorksten Ost-West-Geschichte der deutschen Leichtathletik und ihrer gesamtdeutschen Rekorde?
Das DLV-Präsidium von heute muss den Mut aufbringen, sich zu dem zu bekennen, was in der deutschen Leichtathletik seit 60 Jahren geschehen ist und was längst für jedermann greifbar in Literatur, Internet und in den Archiven der Medien bereit liegt. Nur darauf kann ein Neubeginn aufbauen.
Appelle haben noch nie Vertrauen geschaffen, Bekenntnisse schon eher.
Medaillen haben weder das Dritte Reich noch die DDR zu Gewinnern gemacht. Ein demokratischer Staat dagegen verliert durch unsauberen Sport. Er verspielt Ansehen und Vertrauen.
Ich bleibe dabei, sehr geehrter Herr Präsident, Ihr Appell hat der Leichtathletik geschadet, er ist kein Ruhmesblatt für den freien Sport in Deutschland.
Mit freundlichen Grüßen
Hansjörg Kofink