Spurensuche – Was war in der BRD über das DDR-Doping bekannt? Teil I
Die Beschäftigung mit der Dopingdiskussion in den Wendejahren, mit der Diskussion um die Weiterbeschäftigung ehemaliger DDR-Trainer, veranlasste mich der Frage ‚Was wusste der Westen über das DDR-Dopingsystem‘ nochmals gesondert nachzugehen. Im Folgenden liste ich Zitate auf aus Printmedien und Büchern, die sich auf dieses spezielle Wissen beziehen. Doch es bleibt eine vage, verzerrte, vielleicht auch naive Annäherung, denn letztlich könnten nur kompetente Zeitzeugen die vielen verbleibenden offenen Fragen beantworten.
Streifzug durch deutsch-deutsche Niederungen
Schnell wurde nach dem Fall der Mauer 1989/1990die sportliche Einheit hergestellt. Das Thema Doping war in vieler Munde, recht bald auch die Stasiverquickungen. Es wurden Kommissionen gegründet, Erklärungen verfasst und unterschrieben, Willensbekundungen veröffentlicht um auf einen zukünftigen sauberen Sport hinzuweisen, doch konkrete Enthüllungen stießen innerhalb der Sportverbände, der Politik und auch bei Sportlern häufig auf Abwehr. Nicht selten wurden die Überbringer der historischen Begebenheiten denunziert und vieles wurde geleugnet. Generell wurde auf Funktionärs-, Ärzte- und Politikerseite behauptet, man hätte nichts oder nur vages gewusst. Wobei man gleichzeitig auch bemüht war, West-Dopingaffairen herunter zu spielen.
Das Stöbern in alten Zeitungsmeldungen und einschlägigen Büchern nährt allerdings den Verdacht bei mir, dass es mit dem behaupteten Nichtwissen über die Doping-Verhältnisse in der DDR nicht ganz so weit her war wie häufig behauptet. Wenn es ums Siegen geht, stehen die Methoden der Gegner immer unter besonderer Beobachtung, dies war in der aufgeheitzten Athmosphäre des kalten Krieges, im Wettkampf der Systeme, der offen auf beiden Seiten ausgetragen wurde, nicht anders. Man kann davon ausgehen, dass im Westen alles versucht wurde, hinter das Geheimnis der Osterfolge zu kommen.
Sehr deutlich wird dies bereits in den 1950er Jahren, als der USamerikanische Mediziner John Bosley Ziegler begann selbst mit Dianabol zu experimentieren und versuchte hinter die Geheimnisse der Sporterfolge des Ostblocks zu kommen. Ziegler sah sein Bemühen auch als Notwendigkeit im kalten Krieg Ost gegen West, UDSSR gegen USA. Denn auch die US-Regierungen litten unter der Ost-Dominanz im Sport und suchten nach Abhilfe. Damit war auch das Doping in der DDR keine Unbekannte mehr und verlangte nach Nachahmung. (M. Johnson, Spitting in the Soup)
Das komplette Ausmaß des DDR-Dopingsystems, der ab Mitte der 70er Jahre perfektionierte Dopingplan, das umfassende Doping- und Stasisystem, war wahrscheinlich nicht bis in letzte Einzelheiten bekannt.
Wahrscheinlich auch, dass viele im Sport Involvierte nichts Genaues wussten und deshalb schwiegen und Fragen unterdrückten. Aus der heutigen Ferne sieht manches offensichtlicher aus, als es im direkten Getümmel war. Zudem sind die Möglichkeiten der Informationsbeschaffung heute via schnellem Internet wesentlich andere als noch vor 20 und mehr Jahren. Es gab jedoch immer deutliche Hinweise wie körperliche Veränderungen und auffällige Leistungskurven, aber nur wenige Versuche diese offensichtlichen Folgen des DDR-Doping klar und offen anzusprechen, laute Fragen zu stellen und Antworten einzufordern. Sicherlich auch um eigene Verhältnisse bewahren zu können. „Man wußte zwar schon lange vor der Wende auch jenseits der DDR-Grenzen, daß hinter dem „Eisernen Vorhang“ in großem Stil getrickst wurde. Aber mit welch ausgeklügelter Logik und in welchem Ausmaß es wirklich vonstatten ging: Diese Kenntnisse blieben auch im Westen Herrschaftswissen.“ (Seppelt/Schück, S. 71)
Geheime Forschung und Anwendung von Dopingmitteln
Giselher Spitzer unterscheidet in der Entwicklung des DDR-Dopings bis 1989 drei Phasen:
‚Die präanabole Phase‘ in den 50er und 60er Jahren, die überging in die ‚anabole Phase‘ bis 1974. Die entscheidende Phase des systematischen Dopings begann am 23. Oktober 1974, als in der DDR-Leistungssportkommission die planmäßige Anwendung und Erforschung des Dopings beschlossen wurde und die dem FKS zugehörige Forschungsgruppe ‚Zusätzliche Leistung‘ sowie eine Arbeitsgruppe ‚Unterstützende Mittel‘ unter Manfred Höppner die Arbeit aufnahmen. (Dokument: Spitzer, Doping in der DDR, S. 252-261) Der Staatsplan Wissenschaft und Technik enthielt damit ab 1977 bis Ende 1978 ein neues Kapitel, den ‚Komplex 08 – Unterstützende Mittel‘, Unterpunkt das ‚Thema 14.25‘ (bekannt als Staatsplanthema 14.25), worin das staatliche Doping zu einem der wichtigsten Forschungs- und Entwicklungsaufgaben erklärt wurde. (K. Latzel, S. 95) Geheimhaltung nach innen und außen war Prinzip.
>>> Bericht des inoffiziellen Mitarbeiters (IM) „Klinner“ zum Geheimnisschutz
Das Doping in Westdeutschland beschreibt Klaus Latzel dagegen wie folgt:
„In der Bundesrepublik war (und ist) die Praxis des Dopings differenzierter und weit stärker durch die Eigeninitiative der Beteiligten geprägt, zunächst angeregt insbesondere durch Vorbilder in den USA in den sechziger Jahren. Involviert waren auch hier die immer wieder genannten Akteure, aber gehandelt wurde nicht auf zentrale Anordnung, sondern in hohem Maße eigenverantwortlich, in konspirativen Netzwerken, in denen Sportmediziner, Sportfunktionäre, Apotheker, Trainer, Athleten und Schwarzmarkthändler zusammenwirkten. Das konnte auf der Ebene konspirativer Kleingruppen geschehen, aber auch auf Vereins- und sogar auf Verbandsebene. Die Rahmenbedingungen dazu setzten die von Sportverbänden formulierten Leistungsanforderungen, die ohne Doping kaum zu erfüllen waren; die Spitzensportförderung, die sich allein am Erfolg orientierte; das Wegsehen oder die mehr oder minder wohlwollende Duldung des Dopings von Seiten der Politik; die „institutionelle Passivität“ von Ministerien, Staatsanwaltschaften, Krankenkassen oder Ärztekammern; die hohe Nachfrage nach Spitzenleistungen und internationalen Erfolgen bei Massenmedien und Sportpublikum.“ (Klaus Letzel, Staatsdoping 2009, S. 57)
Im Folgenden sollen überwiegend einfache Zitate zur Beschreibung ausreichen, auf Interpretationen, Kommentare verzichte ich meist.
frühe Sportler- und Trainerzitate
1969 BRIGITTE BERENDONK
die Zeit, 5.12.1969: ‚Züchten wir Monstren? Die hormonale Muskelmast‘ von Brigitte Berendonk:
„Dianaboliker aller Länder, vereinigt euch! Nahezu alle Zehnkämpfer der Weltklasse nehmen die Pille, 90 Prozent der Werfer, Stoßer und Gewichtheber, etwa die Hälfte der Springer und Sprinter, und auch bei den Ruderern, Schwimmern und Mannschaftsspielern wird sie immer beliebter. (…) So sind auch die — schon an ihrem Beamtendeutsch als einstudiert erkennbaren — Dementis der urplötzlich so stark gewordenen DDR-Asse oder ihrer Vormund-Funktionäre schlichtwog unglaubwürdig. In privatem Gespräch — so etwa einem britischen Athleten gegenüber — haben einige von ihnen den Gebrauch von Anabolica (angeblich auch injiziert) unumwunden zugegeben. Im Frauensport scheint man ebenfalls mehr und mehr nach der Eliminierung der „natürlichen“ nun die künstlichen = hormon-induzierten Intersexe heranzubilden: Jedenfalls geben Muskelmassenzunahmen von mehr als fünf Kilo in wenigen Wochen (bei erwachsenen Frauen) ebenso deutliche Hinweise wie eine galoppierende Akne oder bestürzt erörterte Zyklusstörungen. (…) Während aber in den Ländern des Ostblocks (und vielfach auch im Westen) die Anabolicaverabreichung anscheinend ärztlich wirkungsvoll kontrolliert ist, wird sie in der Bundesrepublik in geradezu grotesk dilettantischer Weise gehandhabt. Man überläßt sie nämlich — „nichts hören, nichts sehen“ — mit besten Wünschen und ein wenig schlechtem Beigeschmack ganz einfach den Trainern, Hilfstrainern, Klubmedizinmännern, Masseuren und — meistens — den Athleten selbst: Es schlucke ein jeder nach seiner Facon!
1970
In einem Artikel des Spiegels vom 30.3.1970 wird Brigitte Berendonk zitiert ebenso wie andere, die Leistungssteigerungen auf Anabolika zurückführen und dabei neben dem1970häufigen Gebrauch im westlichen Sport auch die Anwendung in der DDR ansprechen.
„Im Ostblock kontrollierten offenbar Ärzte die Dosierung. Über Forschungen in der DDR zur „Anwendung von Eiweiß- und Hormonpräparaten zwecks Steigerung der Muskelmasse der Sportler, schrieben die sowjetischen Wurftrainer Otto Grigalka und Kirn Buchanzew in der russischen Fachzeitschrift „Leichtathletik“. 1969 stießen fünf DDR-Kugelstoßer weiter als 20 Meter. Doch Dianaboliker in westlichen Ländern dosieren ihren Kraftpillen-Konsum fast ausnahmslos ohne wissenschaftliche Kontrolle.,, Die Werfer und Gewichtheber spielen den Zauberlehrling“, verglich der französische Sportarzt Dr. Thiébault, „ohne zu wissen, ob sie vielleicht auf dem Weg zum Selbstmord sind.“
1967-1972
Klaus-Peter Henning, Diskuswerfer, gibt gegenüber Simon Krivec (Dissertation, 2017) zu, zwischen 1967 und 1972 Anabolika (Dianabol und Primobolan) angewandt zu haben.
Vor allem die Konkurrenz zur DDR war immer präsent. Regelmäßig wurden in der Presse ja auch Gegenüberstellungen von Bestleistungen in Ost und West und Medaillenspiegelvergleiche angestellt. Man fühlte sich nie besonders wohl, hat sich aber gebeugt, um konkurrenzfähig zu bleiben. Wir wussten alle, dass die Athleten aus dem Osten etwas einnahmen, genaues kam dann natürlich erst nach der Wende heraus, denn es gab immer genug ‚Aufpasser‘, um ein Gespräch zwischen uns Sportlern zu vereiteln.
1972
Umfangreiches Wissen über den DDR-Sport offenbart eine Serie des Spiegels vor den Olympischen Spielen in München. Ausführlich wird u.a. das Auswahl- und Fördersystem dargestellt und positiv hervorgehoben: der Spiegel, 31.7.1972
In einem Folgeartikel kommt Doping zwar zur Sprache, doch mit dem Tenor, frühe erste Fehler wären behoben, heute hätte die DDR solches nicht mehr nötig bzw. wenn doch, unter streng wissenschaftlich-ärztlicher Kontrolle (der Spiegel, 14.8.1972):
„“Wir haben mt Doping experimentiert“. gestand der frühere DDR-Radsport-Präsident Scharch. Die Fahrer putschten sich unter ärztlicher Aufsicht mit Pervitin auf und schluckten belgische Stärkungspräparate. Vor wichtigen Rennen kauften DDR-Trainer auch in West-Berliner Apotheken ein. Vor der zweiten Olympia-Qualifikation 1964 in Leipzig, so berichtet der später geflüchtete Radsportler Kissner. „kriegten wir von unserem Arzt die besagten Mittel“. DDR-Radsportler wurden bei der Weltmeisterschaft in Frascati des Dopings überführt; in brütender Hitze waren sie von ihren Rädern getaumelt.
Strikte Verbote und Listen der schädlichen Präparate arbeiteten die Fachverbände freilich erst nach dem Doping-Tod des dänischen Radrennfahrers Knud Enemark Jensen bei den Olympischen Spielen von 1960 aus.
Präparate, die schnelleres Muskelwachstum bewirken, sogenannte Anabolika“ schluckten vor allem Kugelstoßer und Gewichtheber der ganzen Welt, im Westen gewöhnlich nach Augenmaß. in der DDR zumindest ärztlich dosiert: Von „wissenschaftlichen Beobachtungen über die Anwendung von Eiweiß- und Hormonpräparaten zur Steigerung der Muskelmasse“ in Leipzig berichteten die Sowjet-Trainer Otto Grigalka und Kirn Buchanzew schon vor Jahren.
Die Steigerung sportlicher Leistungsfähigkeit wird von dem 1951 gegründeten Wissenschaftlichen Rat an der Deutschen Hochschule für Körperkultur erforscht und vorangetrieben. Diese Forschungs-Kommission soll neue Erkenntnisse schnell in die Praxis umsetzen und Verbindung mit Physik und Biochemie halten. In Teamarbeit fanden die DHfK-Forscher neue Wege.“
1972 HANSJÖRG KOFINK
Hansjörg Kofink, DLV-Bundestrainer, Kugelstoßen Frauen am 5.8.1972 in einem >>> Schreiben an das NOK:
„In den Jahren 1963/69 erfolgte eine explosionsartige Verbesserung des Weltrekords in dieser Disziplin, die von zwei Athletinnen (Gummel, DDR und Tschishowa, UdSSR) getragen wurde. Die Entwicklung auf den nächsten 20 Plätzen der Weltrangliste hielt mit dieser Entwicklung in keiner Weise Schritt. (…)
Aufgrund meiner Erfahrungen, die ich während meiner Trainertätigkeit beim DLV seit 1970 und den damit verbundenen internationalen Kontakten sammeln konnte, steht für mich eindeutig fest, daß diese Entwicklung ohne Anabolika oder ähnlich wirkende Mittel undenkbar ist! Dabei ist mit Sicherheit anzunehmen, daß die DDR und die UdSSR über die Phase des Experimentierens mit diesen Stoffen längst hinaus sind und vermutlich mit besseren (= verträglicheren) Mitteln arbeiten, während im übrigen Osteuropa die Phase des Experimentierens offensichtlich durch das Ziel der Münchener Spiele provoziert wurde.“
>>> Kofink 1972: Leistungsentwicklung im Kugelstoßen Frauen, S. 77
197? JANOS SATORI u.a. TRAINER (USA)
die Zeit, 14.9.1973, Harry Valerien zitiert Schwimmtrainer Janos Satori, distanziert sich selbst aber von solchen Vermutungen:
„Amerikanische Trainer finden für den enormen steilen Leistungsaufschwung der DDR Mädchen innerhalb eines knappen Jahres keine ausreichende Erklärung. Janos Satori, jahrelang erfolgreicher Trainer des bundesdeutschen Schwimmsports, nimmt an, daß die gewaltige Leistungsverbesserung nicht mit gewöhnlichen Mitteln und Methoden zustande kommen konnte. Er stützt sieh, wie er meint, in dem bloßen Verdacht auf mögliche Zuhilfenahme von Anabolika auch auf Aussägen internationaler Sportmediziner. Sich dieser Vermutung anzuschließen erscheint mir sehr gefährlich, weil zu leichtfertig beschuldigt und nicht das geringste bewiesen werden kann. Natürlich, ergänzt Satori, sind Anabolika keine Dopingmittel, deshalb also, auch nicht verboten. Kornelia Ender, knapp 15 Jahre alt, könnte in einer Kontroverse um dieses Thema als hervorragendes Gegenbeispiel für die These Satoris gelten. Die preußische Offizierstochter ist groß, schlank und, obendrein noch hübsch.“
1975 FORSCHUNGSPROJEKT PFETSCH/BEUTEL/STORK/TREUTLEIN
Teilthema eines vom Bundesinstitut für Sportwissenschaft BISp finanzierten Forschungsprojektes, in dem die Faktoren der Leistungsentwicklung bestimmt werden sollten, war „Sportmedizin und Doping“. Die Autoren stellten darin u. a. einen Zusammenhang zwischen Anabolika (vom IOC seit 1974, vom DLV seit 1979 verboten), Doping und gegenwärtigen Leistungen her.
Mit auf der Basis eines Interviews eines anonymen DDR-Trainers in der französischen l’Equipe von 1973 schreiben sie
„wird der Verdacht erneuert – der in Kreisen westdeutscher Athleten bereits seit Mitte der 60er Jahre besteht – daß von Athleten aus der DDR Anabolika und Dopingmittel unter strenger Aufsicht der Ärzte verwendet werden. (…) Die mögliche Verwendung von solchen Mitteln darf natürlich nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Grundlage der Erfolge des DDR-Sports nicht einzig Sportmediziner, Dopingmittel und Anabolika sind.“
BISp-Direktor und DLV-Präsident August Kirsch legt das Manuskript den Ärzten Keul und Klümper zur Begutachtung vor. Beide erklären u.a. übereinstimmend, dass Anabolikaanwendungen nicht in Verbindung mit Doping gebracht werden könnten und auch der DDR solches nicht zu unterstellen sei. Das Kapitel musste daraufhin wesentlich gekürzt werden. (Anzumerken ist, dass 1974 Arzt Alois Mader nach Köln übergewechselt war und von hier aus bereitwillig für den Einsatz der Anabolika warb.) (Singler/Treutlein, S. 357ff)
Dr. Klümper schreibt unter anderem:
„Hinsichtlich der gezielten Anwendung der Medikamente muß ich Ihnen allerdings zugestehen, daß ´die Sportmediziner in der DDR weitaus besser Bescheid wissen als es die 320 Sportärzte während der Olympiade in München sich auch nur erträumen lassen könnten. Hier besteht die Tatsache, daß es in der Bundesrepublik eben tatsächlich nur eine Handvoll … von Sportmedizinern gibt, die wirklich in der Lage sind, Medikamente ganz gezielt einzusetzen, die nicht zu den Dopingmitteln zählen. …. Außerdem haben wir die Erfahrung in München gemacht, daß die DDR ganz genau wußte, welche Sportärzte in der Bundesrepublik über die genügenden Kenntnisse verfügen, um einen Athleten effektiv zu unterstützen.. In meinem Beispiel hat die DDR versucht, über das IOC mich mit aller Gewalt aus der Leitung der Dopingkontrolle zu entfernen (…). Die russischen Kollegen sind zu mir gekommen und haben mir die Planvorstellung unterbreitet und darauf hingewiesen, daß ich ruhig in der Leitung der Dopingkontrolle verbleiben könne, allerdings unter der Bedingung, daß ich keine deutschen Athleten der Bundesrepublik mehr betreue.“
1976
– Dass in Richtung Doping in beiden deutschen Staaten geforscht wurde, geht aus folgendem Artikel hervor, auch wenn darin der Schwerpunkt auf nicht verbotene Mittel und Methoden wie Blutdoping gelegt wird. Es wird zudem deutlich, dass >>> Dr. Alois Mader sein Wissen weitergegeben hatte (der Spiegel, 30.8.1976):
„Rudolf Hellmann, stellvertretender Mannschaftschef der DDR in Montreal, erklärte die Erfolge seines Kollektivs unverhohlen mit „der engen Zusammenarbeit von Ärzten, Wissenschaftlern und Chemikern. Das kommt zwar teuer, bringt aber Ergebnisse.“ Etwa 1500 Mark wöchentlich haben die leistungssteigernden Medikamente den Diskus-Olympiasieger gekostet, errechnete der leitende Schweizer Olympiaarzt Dr. Bernhard Segesser nach dessen Liste, die ihm zufällig vor Augen gekommen war.
„Leistungen im Kugelstoßen über 18 Meter“, erklärte Hollmann-Mitarbeiter Mader, seien ohne Anabolika „fast nicht mehr“, über 21 Meter „mit absoluter Sicherheit“ nicht erreichbar. Als Qualifikations-Leistung mußten die Stoßer in Montreal dennoch 19,40 Meter erbringen. Olympische Schizophrenie: Zugleich fanden die ersten Doping-Tests nach Anabolika statt.Am meisten litten die Gewichtheber deshalb unter „Symptomen einer Entziehungskur“ (Fach-Journalist Karl-Adolf Scherer). Bei den Europameisterschaften im April 1976 hatten sie noch 14 Weltrekorde gestürzt, in Montreal fielen ganze vier. DDR-Weltrekordler Gerhard Bonk blieb 27,5 Kilo unter seiner Höchstlast. (…)
Das breite Kreuz und die tiefen Stimmen der erfolgreichen DDR-Schwimmerinnen ließen sich nach Hollmann dagegen auch ohne Hormon-Manipulationen erklären: Talentfahnder wählten die künftigen Rekordlerinnen schon im Kindergarten-Alter aus – Mädchen mit maskulinen Anlagen. Hartes Training verstärkte diese Eigenschaften und bildete kräftige Brustkörbe aus, die als Klangkörper eben dunkle Stimmen hervorbringen. (…)Aber das sind die Alternativen: Entweder es wird weiter manipuliert — über alle ethischen Skrupel hinweg. Andernfalls müßten sich Athleten ohne medizinisch-chemische Hilfen damit abfinden, bei bedeutenden Wettkämpfen hinterherzulaufen. Hollmann empfiehlt, derlei Manipulationen ausschließlich durch anerkannte medizinische Zentren und nur ausnahmsweise, vielleicht bei Europa- und Weltmeisterschaften sowie bei Olympischen Spielen, zu verabreichen.“
Prof. Dr. Ludwig Prokop, Präsident des Welt-Sportärzte-Verbandes:
„Wir haben schon seit 1960 Versuche mit Anabolika gemacht und seitdem böse Erfahrungen gesammelt. (…) Die Einnahme von Anabolika muß aus prinzipiellen und gesundheitlichen Grünen vberboten bleiben. … Wir dürfen nicht zu Handlangern von ein paar Erfolgstrainern werden. (…) Bezogen auf die Erfolge von Ost-Athleten meint er:
„Da sind in den meisten Fällen nicht die Anabolika entscheidend, sondern die frühzeitige Talentauswahl, die besseren Trainingssysteme und die bessere sportärztliche Betreuung. Die Anabolika werden oft nur als Alibi-Behauptung von Trainern und Funktionären gebraucht.“
(HT 11./12.Dez.1976)
– Anlässlich der Diskussionen um die Kolbe-Spritze währen der Olympischen Spiele 1976 in Montreal (mehr Infos) gab es einige Hinweise auf das Wissen um das Doping in der DDR:
Prof. Dr. Paul Nowacki meinte z. B., dass die natürliche Betreuung durch die Sportmedizin noch lange nicht ausgeschöpft sei, doch medizinisch werde manipuliert. Nowacki: „Bundesdeutsche Athleten und Mediziner dürfen dem DDR-Sport seine medizischen Manipulationen bei fast allen Sportarten in Zukunft wohl nicht mehr vorwerfen“. (HA, 14.08.1976)
Manfred Steinbach, Präsidiumsmitglied des DSV äußerte sich entsetzt über das Vorkommnis und sprach von einer ‚ungemein verhängnisvollen Entwicklung‘. Dabei verwies er wie Nowacki auf die DDR, die schon in frühester Jugend nachweislich schädliche anabole Hormone an Sportler verabreiche. (Schwäbische Zeitung Leutkirch, 21.8.1976)
Joseph Keul meinte dagegen, „es wäre doch geradezu unmenschlich, einem Sportler nach jahrelangem Training (täglich sechs Stunden) im entscheidenden Augenblick die Hilfe zu verweigern und damit seine Niederlage gegen die hormongeladene Ost-Konkurrenz vorweg zu besiegeln.“ (die Welt, 26.8.1976)
– In der Zeitschrift Selecta 39/27. September 1976 ist zu lesen unter ‚Sportmediziner-Kontroversen nach Montreal. Kolbes Spritze und die Folgen‘:
„Daß Kraftsportler in Ländern des Ostblocks seit langem systematisch mit Anabolika gemästet werden, ist spätestens kein Geheimnis mehr, seit der vor zwei Jahren aus der DDR geflüchtete Sportarzt Alois Mader detailliert darüber berichtete. Mader war es auch, der die staunenden westdeutschen Kollegen überhaupt erst auf die Vitaminspritze brachte.“
– Am 17.3.1976 wurde in der 37. Sitzung des Sportausschusses des Deutschen Bundestages öffentlich über den „Stand der Sportwissenschaft und der Sportmedizin in der Bundesrepublik Deutschland“ diskutiert. Der Kölner Sportmediziner Hollmann berichtete darüber, wie sie von Dr. Mader über die Geheimnisse der DDR Sportwissenschaft informiert worden waren:
„In der obersten, strengsten Stufe stehen militärische Geheimnisse, nukleare Geheimnisse und sportmedizinische Forschung. Es stehen hohe Strafen auf jede Weitergabe von sportmedizinischen Forschungsergebnissen. […] Einer der maßgeblichen Forscher der DDR, ein Dr. Mader, ist vor anderthalb Jahren von drüben nach hier geflohen und arbeitet heute als Mitarbeiter in meinem Institut. Wir kennen alle Details von ihm. […] Wir kennen über die Leute alle Details, auch das berühmte so streng abgehaltene, selbst vor sowjetischen Kollegen abgeschirmte Forschungsinstitut in Leipzig. Dort gibt es ein Institut, da wird den Gästen […] alles gezeigt und sie glauben, sie haben alles gesehen. In Wirklichkeit gibt es aber eine Treppe nach unten und unter der Erde befinden sich dann Labors, die nur mit Spezialkarten betreten wer den dürfen. Da dürfen noch nicht einmal sowjetische Kollegen oder polnische Kollegen herein. Aber wir wissen, was sich dort abspielt. Wir kennen die Geräte, wir kennen die Zahl und die Ausbildung der Mitarbeiter und wir kennen dieForschungsfragen, die dort bestritten werden.“ (37. Sitzung Sportausschuss, S.37/97)
– Zu A. Maders Erfahrungen aus seiner DDR-Zeit gibt es noch weitere Zitate.
So berichtete er „schon früh, dass die Einnahme von anabolen Wirkstoffen nicht bei jedem Athleten erfolgversprechend ist. Danach erweist sich die Anwendung dieser Substanzklasse nur bei Hochleistungstrainierten als besonders effektiv, dann nämlich, wenn bereits ein stabiles und hohes Leistungsniveau erreicht wurde und die weitere Belastungssteigerung keinen zusätzlichen Effekt auf das sportliche Leistungsvermögen hat. (in ‚Anabolika im Hochleistungssport‘, Leistungssport 2 (1977), 136-147, zitiert nach Claudia Seyffart, 2002). Er hob auch hervor, dass köperliche Veränderungen bemerkbar waren „wenn, wie z. B. im Sportschwimmen der Frauen in der DDR, die Verantwortlichen – hauptsächlich beim SC Dynamo Berlin und im Schwimmsportbund – ihre Leistungsbeeinflussung so weit getrieben haben, daß die negativen Folgen auch für den Laien so deutlich sichtbar werden.“ “ (FAZ, 11.9.1976, zitiert nach Berendonk, Doping, S. 53)
– Siehe hierzu auch weiter unten unter Wolfgang Thüne, ‚Die Welt‘ vom 26. August 1976.
1976 SCHWIMMEN
Besonders auffällig waren körperliche Veränderungen bei Frauen. Hier fielen zunehmend die jungen DDR-Schwimmerinnen auf.
„Die Folgen, verheerend, besonders bei Frauen: konvexe Muskelberge da, wo man sie bequem vermissen kann, unter dem Oberarm und auf der Rückenpartie, konkave Leere dort, wo das Ewig-Weibliche sich normalerweise konvex darbietet in Brusthöhe. Schlimmer noch: Die Stimme wird tiefer, der Haarwuchs an Bein und Brust stärker – Kennzeichen der Roboterriege von DDR-Schwimmerinnen.“
– Sportmediziner Adolf Metzner hält in der Zeit vom 13.8.1976 fest:
„Wer diese Schwimmerinnen gesehen hat (…) wird sicher erschrocken gewesen sein beim Anblick dieser enormen Muskelpakete des Schultergürtels und der Arme. Diese Muskeln würden Möbelpackern zur Ehre gereichen, nicht aber Mädchen und jungen Frauen. Auch intensivste Hantelarbeit ist nicht in der Lage, eine derart männlich geprägte Rücken- und Schultermuskulatur bei einer Frau zu erzeugen.“ (zitiert nach Singler/Treutlein, S. 63) Zwei Jahre zuvor sah er manches noch anders: „Es ist sicher falsch, die gewaltige Leistungsexplosion im Sport der DDR nur oder auch nur entscheidend auf die Hilfe der Mediziner zurückzuführen, wie das im Westen gern geschieht. (…) Ausschlaggebend für die Flut der Rekorde, die sich immer rascher und stärker über uns ergießt, sind nicht medizinische Manipulationen, sondern die enorme Steigerung der Summe des Trainings, wie sie nur noch Profis bewältigen können. Schwimmer werden zu amphibischen Wesen und legen täglich im „Wasser Distanzen bis zu 15 Kilometer zurück, Läufer werden zum „homo currens“ und bringen Tag für Tag fast die Marathonstrecke (42,2 km) hinter sich, und auch die Fußballprofis trainieren wie einst Rastelli zweimal täglich.“ (Die Zeit, 25.10.1974)
– Forschungsprojekt „Doping in Deutschland…“, Universität Münster „Sport und Staat, S. 45:
„Auf westdeutscher Seite musste man zu diesem Zeitpunkt davon ausgehen, dass im internationalen Rahmen mit neuen, leistungssteigernden Methoden gearbeitet wurde. Innerhalb des BAL fühlte man sich nach Aussage Meyers zur Weiterverfolgung des Bode-Vorschlags auch deshalb verpflichtet, „da uns gerüchteweise bekannt war, daß im internationalen Rahmen im Schwimmen für Montreal verschiedene Möglichkeiten und Methoden der Leistungssteigerung erprobt und überprüft würden“ (Schwimmsport, 21, 1977, S. 418).“
Mark Schubert, ehemaliger Trainer von Sherley Babashoff, 2008:
„Im Rückblick hätten die Trainer alles benennen müssen, doch es galt als unsportlich (‚unsportmanslike‘). Shirley musste den Preis dafür bezahlen, dass sie die Wahrheit aussprach… .“
– USAtoday, 15.7.2004, Orange Coast Magazine, 10.2008:
Shirley Babashoff, Beste Schwimmerin der USA bei den Os in Montreal, hielt sich mit ihren Vermutungen nicht zurück, stieß dabei aber auf Widerstand in den eigenen Reihen. „She was the first American to speak out about steroids, the first to point an accusatory finger at the East Germans. „They had gotten so big, and when we heard their voices, we thought we were in a coed locker room,“ Babashoff recalled in an interview at the luncheon last weekend. „I don’t know why it wasn’t obvious to other people, too.“ „
1977
der Spiegel, 4.4.1977:
„Martin Lauer, der ehemalige Hürden-Weltrekordler und Staffel-Olympiasieger, ironisierte:
„Das bißchen Damenbart und Männerbusen hat keinen geschreckt.“ Bei einer verletzungsbedingten Injektion hatte er sich selber einen Abszeß zugezogen. Mit einem steifen Bein mußte er die Sportkarriere auf seinem Leistungsgipfel beenden.“Berliner Zeitung, 6.4.1994:
„Auch im Westen haben Frauen mit ähnlichen Anabollka-Wirkungen, einschließlich des Hirsutismus, Erfahrungen gemacht. Zu den wenigen, die sich öffentlich bekannt haben zählen die USA-Sprinterin Diane Williams (Bestleistung 10,86 Sekunden, Dritte der WM 1983) und die rheinland-pfälzische Kugelstoßerin Petra Leidinger.“
Das Jahr 1977 war geprägt durch heftige Diskussion über die Dopingpraxis, insbesondere das Testosterondoping. Ärzte, Politiker und Funktionäre stritten, u.a. während einer Anhörung vor dem Deutschen Bundestag, über Vorzüge und Nachteile des Dopings. So mancher Funktionär, Politiker und Sportler sah im Kampf der Systeme die letzten Felle wegschwimmen, wenn nicht endlich auch ärztlich kontrolliertes Doping zum Zuge käme. (Ausführlich wird die Diskussion behandelt in >>> Singler/Treutlein, u.a. S. 186 ff)
Über das DDR-Doping selbst ist in der Presse weniger zu finden. Der Spiegel erwähnt immerhin folgendes:
„In der Sowjet-Union dagegen veröffentlichte das Fachblatt „Leichtathletik“ einen Bericht der Wurftrainer Otto Grigalka und Kirn Buchanzew – zweier früherer Weltklasse-Werfer – zu DDR-Forschungen über die „Anwendung von Eiweiß- und Hormonpräparaten zwecks Steigerung der Muskelmasse der Sportler“. Seit 1971, verriet der frühere DDR-Turner Wolfgang Thüne, hätten Pillen die Athleten-Kost angereichert: „Ihre Zusammensetzung war geheim.“ (der Spiegel, 4.4.1977)
Fragen warfen erneut die jungen DDR-Schwimmerinnen auf. Wieder wird wie gehabt mit hartem Training und eiserner Disziplin argumentiert, wieder stellt sich dir Frage nach dem leistungsmäßigen Hinterherhinken der Männer, auch wenn zumindest ein Kritiker zitiert wird:
„Sportärzte wie der Schwede Dr. Bengt Eriksson warfen den DDR-Medizinern vor, sie manipulierten ihre Schwimmerinnen mit männlichen Hormonen. Beim Olympia in Montreal fielen die Möbelpacker-Kreuze und tiefen Stimmen der DDR-Olympiasiegerinnen besonders auf. DDR-Trainer Rolf Gläser dazu: „Die sind doch nicht zum Singen hier.“ (der Spiegel 15.8.1977)
1977 LIESEL WESTERMANN
1977 veröffentlicht Diskuswerferin Liesel Westermann ihre Erfahrungen in dem Buch ‚Es kann nicht immer Lorbeer sein‘. Darin prangert sie mit klaren Worten die herrschende Dopingkultur an. U. a. erwähnt sie auch die Konkurrenz aus der DDR (S. 131 ff):
„Nicht enden wird aber wohl der Meinungsstreit zwischen denen, die behaupten, daß die DDR-Mädchen nur darum so leistungsstark seien, weil sie tiefe Stimmen hätten (Anabolika), und denen, die uns glauben machen wollen, die enorme Leistungsstärke der DDR-Frauen sei nur ein Resultat eines gezielten und methodisch wissenschaftlich abgesicherten Systems des Leistungsaufbaus von Kind an.
Wer hat recht? Ich kann es nicht entscheiden. Den sorgfältigen Beobachter wird allerdings eines nachdenklich stimmen: Die Männer der DDR und anderer Ostblockstaaten sind bei weitem ihren westlichen Konkurrenten nicht so überlegen wie die sozialistischen Frauen. Dabei wachsen auch sie unter derselben systematischen Förderung heran wie die Frauen. (…)
Landauf, landab ist die Meinung einhellig: der Joker im internationalen Leistungssport heißt nicht mehr Talent, nicht mehr Fleiß, nicht mehr Ausdauer, er heißt Anabolika. Ob in Form von Pillen oder Spritzen, die Chemie beherrscht die Szene.“
1977 DOPINGFALL ILONA SLUPIANEK
Kugelstoßerin Ilona Slupianek vom SC Dynamo Berlin wurde beim Leichtathletik-Europacup 1977 in Helsinki positiv auf Anabolika getestet und vom Europäischen Leichtahletikverband gesperrt. Ein Jahr später wurde sie, ‚unter tatkräftiger Mithilfe westdeutscher Sportfunktionäre‘ (Berendonk, S. 54) begnadigt. Es handelte sich um den ersten öffentlich gewordenen DDR-Dopingfall. Die DDR reagierte und beschleunigte die Einrichtung des Kontroll- und Forschungslaboratoriums in Kreischa, auf dass mittels Vorkontrollen keine DDR-Sportler mehr in Kontrollen hängen blieben. (Genaueres über den Umgang der DDR mit dem Dopingfall Sloupianek und dessen Folgen findet sich in G. Spitzer, 1998, S. 110ff)
Robert Hartmann meint in der Frankfurter Rundschau am 8.11.1977, daß
„das viel gelobte Sportwunder der DDR zu einem guten Teil auch auf verbotener Hormonspritzerei gründet: besonders im Bereich der Frauen. Als die jungen mitteldeutschen Schwimmerinnen schon vor drei Jahren bei den Weltmeisterschaften in Wien ihre Umwelt mit tiefen Bässen irritierten, fand sich noch kein Beweis (…) Verdächtigungen klangen stets wie Neid (..) Daß Ilona Slupianek ertappt wurde, muß vorerst auf einen groben Webfehler zurückgeführt werden. Wahrscheinlich hat sie die Anabolika zu spät abgesetzt. Darüber, daß sie sie absetzte, gibt die Leistungskurve Aufschluß. Im Juli erzielte sie hintereinander mit 21,54 – 21,79 und 21,71m ihre besten Resultate. Am 14. August in Helsinki (…) erreichte sie 21.20m, am 4. September beim Weltpokal in Düsseldorf 20,93m.“
Wie die Reduzierung der Sperre durch den IAAF durch Kumpanei zwischen M. Ewald und A. Paulen zustande kam, siehe unter >>> Spurensuche II.
1977, 1978 ALWIN WAGNER
Interview mit Ex-Diskuswerfer >>> Alwin Wagner, 22.2.2015:
Waren die Verbandsfunktionäre darüber informiert was in Freiburg passierte?
Auf jeden Fall. Also die müssen informiert gewesen sein, denn ich bringe immer ein Beispiel, und zwar damals in der Zeit 77 und 78 und später, hieß es immer unsere Athleten müssen sauber sein, ihr dürft nichts nehmen. So hieß es offiziell von den Verbandsfunktionären. Aber wir wussten alle, dass in der DDR, in der Sowjetunion und in ganz Osteuropa gedopt wurde und der DLV und auch das NOK haben nur Leute mitgenommen zu den großen internationalen Wettkämpfen, wenn sie wie gesagt eine Medaillenchance oder Endkampfchance hätten. Und wie blauäugig muss man sein, wenn man sagt, überall dopen die bis zum geht nicht mehr, und ausgerechnet unsere Spitzenathleten nehmen kein Doping und sind noch besser als die Athleten aus der DDR, die dopen sollen. Also dass wusste jeder. Und ich habe es auch mal offiziell angesprochen bei einer Weihnachtsfeier, und da hat der Professor August Kirsch, der war damals DLV-Präsident, … gesagt, er will von der ganzen Geschichte hier in diesem Raum nichts hören.
1978 KOMMENTAR UWE PRIESER, BADISCHES TAGEBLATT 6.11.1978:
Nachdem 5 Leichtathleten, 4 aus der UdSSR, 1 Bulgare lebenslang wegen Dopings gesperrt wurden: *
„Der Hinweis, daß sich unter den ertappten Athleten vier Sowjets befinden, wird in Leichtathletikkreisen damit erklärt, in der UdSSR sei man eben in der Analyse-Technik noch nicht so weit wie anderswo. Im Klartext: Die Russen haben diesmal nicht aufgepaßt und geglaubt, die Hormonrückstände seien aus den Körpern ihrer Athleten schon wieder verschwunden, als sie sie in Prag an den Start geschickt haben. Da wird das Doping-Vergehen zum Betriebsunfall. Dies und auch die hierzulande erkennbare Bereitschaft der Athleten zur Hormondroge zu greifen, ist der eigentliche Skandal. Und der findet jeden Tag statt. Der Schock von Rhodos ist nicht die Bekanntgabe von fünf europäischen Spitzenathleten als Doping-Sünder, sondern das Abstimmungsergebnis von 8 : 6 für ihre Veröffentlichung und Bestrafung. West stimmte hier geschlossen gegen Ost, und die Frage nach mehr Ehrlichkeit im Spitzensport und nach der Gesundheitsvorsorge für die Athleten ging unter im sportpolitischen Opportunismus.“
Republikflüchtlinge
1973 JOACHIM KRUG
1973 wechselte Kugelstoßer Joachim Krug aus der DDR in den Westen. In der Bild-Zeitung vom 6.11.1973 wird er wie folgt zitiert, dabei erwähnt er auch Minderjährigendoping:
„Wir haben im Spitzensport fast alle mit Anabolika gelebt. Auch ich. (…) Nicht nur wir Kugelstoßer wurden mit Muskelpräparaten gefüttert.“ Auch die Schwimmer („die fangen schon mit etwa 12 bis 14 Jahren damit an“), Fußballer, Ruderer, Radfahrer, Gewichtheber. Und sogar die Leichtathletik-Sprinter wurden mit der Pille stark und schnell gemacht. (…) „Und dann bekam ich das erste Päckchen Oral-Turinabol und mußte mich unterschriftlich verpflichten, mit niemandem darüber zu sprechen.“ Im Vier-Wochen-Zyklus nahm Krug die vorberechnete Menge („die ersten drei Tage lang jeweils 2 bis 3 Tabletten, dann täglich fünf bis sieben“) und erlebte „ein ungewöhnliches Kraftgefühl“. DDR-Jugendrekordler Krug (18,92m) lernte jedoch noch etwas aus der wissenschaftlichen Betreuung: „Mit Hilfe der Anabolika kann man Leistungshöhepunkte fast auf die Stunde vorausbestimmen.“
1974 DR. ALOIS MADER
Alois Mader, von 1965 bis 1974 Arzt an der Sportmedizinischen Hauptberatungstelle des Bezirks Halle (Saale) und hier verantwortlich für die ärztliche Überwachung des Anabolikadopings, wechselte 1974 in den Westen über. An der Sporthochschule Köln wurde er Mitarbeiter von Prof. Hollmann. Offen berichtete er über seine Erfahrungen und distanzierte sich auch in den Folgejahren nicht vom Anabolikadoping. (>>> mehr Infos).
Maders Wechsel war in der DDR mit Sorge zur Kenntnis genommen worden:
„Aufgrund seiner Funktion und 10jährigen Tätigkeit im Bereich der Sportmedizin erhielt Mader … umfangreiche Kenntnisse über interne spezifische Mittel und Methoden, welche zur Leistungssteigerung bei den Aktiven angewendet werden sowie Kenntnisse über die Trainingsgestaltung und Forschungsvorhaben in einzelnen Disziplinen. Die Anwendung von Anabolika erfolgt außer in der DDR auch in anderen Ländern, jedoch führte sie bis zm gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht zu solchen enormen Leistungssteigerungen wie bei den DDR-Sportlern, da das richtige Verhältnis zur Trainingsbelastung noch nicht bekannt ist. Durch die Auswertung der Kenntnisse des Mader auf diesem Gebiet kann eine Leistungssteigerung in den westlichen Ländern erreicht werden …“ (1974, zitiert nach G. Hartmann, Goldkinder, S. 219)
Die FAZ vom 11.9.1976 zitierte ihn dahingehend, Probleme gäbe es höchstens
„wenn, wie z. B. im Sportschwimmen der Frauen in der DDR, die Verantwortlichen – hauptsächlich beim SC Dynamo Berlin und im Schwimmsportbund – ihre Leistungsbeeinflusung so weit getrieben haben, daß die negativen Folgen auch für den Laien so deutlich sichtbar werden.“ (zitiert nach Berendonk, S. 53)
Dr. Alois Maders Haltung bleibt nicht verborgen. In der öffentlichen und internen Diskussion um Sinn und Unsinn, um Verbot oder Freigabe des Anabolikadopings in den Jahren 1976 und 1977 meldet er sich im Kreise seiner Medizinerkollegen häufig zu Wort.
Die Frankfurter Rundschau vom 7. Mai.1977:
„Der 1974 aus der DDR in die Bundesrepublik übergewechselte Sportarzt Dr. Mader hat dabei die wohl blumigste Formel gefunden. Wer sich in der zur Zeit gegebenen Situation ernsthaft bemühe, die medikamentösen Hilfen für den Hochleistungssportler aus dem Verkehr zu ziehen , (…) „benutzt die eigenen Athleten als Hasen, die er zwischen intelligenteren Igeln zuschande hetzt.“ Wer möchte sich dies schon nachsagen lassen?“
1975 WOLFGANG THÜNE
Turner Wolfgang Thüne war die Flucht 1975 mit Hilfe seines westdeutschen Konkurrenten Eberhard Gienger gelungen. Während der Kunstturn-Europameisterschaften 1975 in Bern brachte dieser den Ostdeutschen über die Grenze zu Freunden.
Im Spiegel vom 4.4.1977 ist zu lesen: Seit 1971, verriet der frühere DDR-Turner Wolfgang Thüne, hätten Pillen die Athleten-Kost angereichert: „Ihre Zusammensetzung war geheim.“
Die Welt äußert am 26. August 1976 offen Manipulationsverdacht und zitiert in dem Artikel den aus der DDR geflohenen Turner Wolfgang Thüne. Der Sportler lobt die Rundum-Betreuung und hebt insbesondere die intensive psychologische Unterstützung hervor. Die zitierten Aussagen sind nicht eindeutig aber lassen doch einiges vermuten:
„Wäre Kolbe von DDR-Medizinern und Psychologen auf Olympia getrimmt worden, hätte er kein solch katastrophalen Einbruch erlebt.“
„Ein neues Medikament zur Leistungsförderung wird mindestens 12 Monate lang im Training und bei kleinen Wettkämpfen erprobt. Dann gibt es keine Dosierungsprobleme mehr.“
Die Pille, die Kraft und Selbstvertrauen schenken sollte, ist in der „DDR“ auch nicht vor jedem Kampf obligatorisch. „Wer sich gut fühlt, verzichtet manchmal darauf“, sagt Thüne. …
Trainer, Arzt und Psychologe, dieses Dreigespann im Dunstkreis des Athleten, kann ihn zum siegenden Roboter machen. Fühlt sich der Sportler gar nicht als Handwerkszeug einer Mafia mißbraucht, deren zwielichtiges Geschäft die Leistung ist?
„Das kann mir doch egal sein“, beteuert Thüne. „Wenn sie eine Pille haben, die mir das Siegen leichter macht, dann nehme ich die. Vorausgesetzt, ich habe die Gewähr, daß ich nicht meine Gesundheit total ruiniere. Wenn ich dadurch aber zwei Jahre früher ganz oben bin, kann ich auch zwei Jahre früher aufhören.“ …
Wo hört in der „DDR“ die Manipulation mit der Leistung auf? Hat ein sportliches Talent überhaupt die Chance, der Folter Förderung zu entgehen?
„Ich glaube nicht, daß drüben irgend etwas getan wird, was potentielle Sport-Krüppel züchtet“, glaubt Thüne. …
Trotzdem ließ sich beim Bewundern der Goldmedaillen-Flut von Montreal der Verdacht nicht wegschwimmen, daß sich zum Beispiel die Schwimm-Mädchen der „DDR“ mit irgend etwas Geheimnisvollem präpariert ins Wasser stürzten. Manche von ihnen hatten ziemlich tiefe Stimmen, dazu Rückfronten wie Preisboxer. Kraft in die Arme und der rauchige Ton in der Stimme würden durch die Behandlung mit männlichen Hormonen kommen, mutmaßten Experten. Der einfache Trick: Die jungen Damen verdoppeln den Konsum der Ant-Baby-Pille.“
1978 RENATE NEUFELDT
Ende 1977 flüchtete die DDR-Sprinterin Renate Neufeldt in den Westen. Ein Jahr später trug sie ihr Wissen in die Öffentlichkeit nachdem ihre Zurückhaltung nicht dazu beigetragen hatte, ihre Familie in der DDR vor Repressalien zu bewahren. ‚Die Welt‘ titelte am 28.12.1978 „Eine Sportlerin sagte aus: So wurde ich gedopt” und ‚Bild‘ berichtete in einer Serie über die Erfahrungen der Sportlerin (28.12.1978, 15.-17.1.1979).
Im Spiegel vom 19.3.1979 schildert sie detailliert das frühe Auswahl-, Schul- und Traingssystem und die damit verbundenen Erwartungen. 1977, nachdem sie 1976 mit der Sprinterinnen-Staffel ihres TSC Berlin DDR-Juniorenmeisterin geworden war, erhielt sie zum ersten Mal Pillen.
„Da drückte ihr der Trainer Klann Anfang 1977 ein Röhrchen in die Hand. Laut Aufschrift enthielt es Vitaminpillen. Aber er erinnerte zugleich an ihre Schweigepflicht. „Nach Plan sollte ich zwei Wochen täglich zwei bis drei „Tabletten einnehmen, zehn Tage aussetzen und in diesem Rhythmus fortfahren.“ Nach kurzer Zeit bemerkte sie, „daß meine Oberschenkel dicker wurden und schmerzten“. Die Stimme nahm heiseren Klang an. Sie wußte noch nichts von den DDR-Schwimmerinnen, deren tiefe Stimmen beim Olympia 1976 in Montreal aufgefallen waren. (…) Wie bei anderen Mädchen im Internat „blieb meine Regel aus. Auf der Oberlippe wuchs ein leichter Bart“. Die Masseuse Angelika Wysotzky ertastete fachkundig, „aha, jetzt nimmst du sie auch“. Im April 1977 nahmen die Funktionäre Renate Neufeld in den Olympia-Kader für 1980 auf. Doch inzwischen quälte sie Angst, „kein Mädchen mehr zu sein und womöglich keine Kinder bekommen zu können“. Sie schluckte nur noch gelegentlich und fiel auf. Der Trainer forschte nach: „Nimmst du sie auch?“
Nachdem Renate Neufeldt sich weigerte die Pillen zu nehmen, wurde begonnen Druck auf sie auszuüben. Mit Hilfe eines bulgarischen TV-Korrespondenten, den sie kennen gelernt hatte gelang ihr die Flucht in den Westen. Doping-Pillen hatte sie dabei.
„Der internationale Doping-Experte Professor Dr. Manfred Donike, der viele Doping-Tests bei Olympiaden und internationalen Meisterschaften vorgenommen hatte, analysierte in den Präparaten am Kölner Institut für Sportwissenschaft Dehydrochlormethyltestosteron. Es handelt sich um „typische Anabolika“, kastrierte männliche Sexualhormone in Pillenform, die das Muskelwachstum fördern, aber auch Lebertumoren verursachen. Donike kannte Anabolika aus der DDR und dem Ostblock bereits. Nach dem Leichtathletik-Europacupfinale 1977 in Helsinki war deswegen die DDR-Kugelstoßerin Ilona Slupianik disqualifiziert worden.“
1979 kam es zu einer Kleinen Anfrage im deutschen Bundestag zur >>> Leistungssportförderung und Dopingmissbrauch in der DDR. Bezug waren u.a. die Aussagen von Renate Neufeld.
1979 RENATE VOGEL
Ex-Schwimmweltrekordlerin Renate Vogel kam 1979 in den Westen und erzählte u. a., dass schon 14jährigen Medikamente gespritzt oder ins Essen gemischt würden (der Spiegel, 17.7.1989).
„Wir waren Versuchskaninchen“, sagte sie. Unter dem Decknamen UM – Unterstützende Mittel – verabreichten Trainer und Ärzte den oft ahnungslosen jungen Sportlern Anabolika und andere Aufputschmittel. „Es hieß immer, das seien Vitamine gegen Erkältung“, berichtete die Schwimmerin. Sie flüchtete in den siebziger Jahren in den Westen. Dort sprach sie mit Journalisten erstmals offen über die Dopingpraxis in der DDR und lehrte damit SED-Sportfunktionären das Fürchten. Im Jahr 1979 konnte sie sich aus Angst vor Anschlägen nur noch mit zwei Leibwächtern bewegen. Der DDR-Botschafter drohte sogar, Milliardenaufträge für die österreichische Wirtschaft zu stornieren, um so einen Fernsehauftritt der Schwimmerin in der Alpenrepublik zu verhindern.“ (3sat, 9.2.2005)
die 80er Jahre
LISA CURRY-KENNY, AUSTRALISCHE SCHWIMMERIN
Die körperlichen Veränderungen waren selbstverständlich auch Thema unter den Konkurrentinnen und Konkurrenten.
Die australische Schwimmerin Lisa Curry-Kenny erzählt:
„Ich schwamm ja schon bei den Weltmeisterschaften 1978 in West-Berlin, und da hab‘ ich die DDR-Schwimmerinnen zum ersten Mal gesehen. Ich habe aber noch nicht so viel darüber nachgedacht, obwohl die damals schon merkwürdige Sachen gemacht hatten. Nicht gerade ladylike würde ich sagen. Im Aufwärmbereich – kurz vor dem Rennen – haben sie zum Beispiel einfach so in Plastikbecher hineingespuckt und kleine Boxkämpfe mit ihren Trainern veranstaltet. Es war schon eigenartig, was sie da so gemacht haben. Da haben wir begonnen, genauer hinzugucken. Aber eigentlich ist uns erst 1982 bei den Weltmeisterschaften in Ecuador so richtig aufgefallen, wie groß und muskulös die ostdeutschen Schwimmerinnen waren. Ich erinnere mich an die tiefen Stimmen und natürlich an ihre herausragenden Leistungen. (…) Als wir im Umkleideraum waren, hörten wir plötzlich Stimmen. Wir dachten, Männer kommen rein, und haben uns schnell etwas übergestreift. Aber es waren keine Männer, es waren die DDR-Mädchen, die so tiefe Stimmen hatten (…) es war offensichtlich, dass da etwas nicht stimmte.
(…) [1988] Die DDR-Schwimmerinnen waren sehr groß, aber eben sehr viel dünner. Ich konnte wirklich die Unterschiede zu den Jahren davor sehen (…) aber trotzdem schwammen sie extrem schnell. Natürlich haben wir spekuliert, wie das kam, und wir dachten, die müßten jetzt wohl andere Mittel nehmen als zehn Jahre vorher.
(…) Wir haben uns aber schon damals gefragt, warum die DDR-Frauen so stark waren, die Männer aber nicht. (…) Unser Trainer Joe King sagte damals: „Die müssen etwas genommen haben.“ Wenn es nur die Schwimmtechnik gewesen wäre, hätten die Männer ja auch gut sein müssen. Offen haben wir aber darüber nicht geredet. Das gleiche sagte er später über die Chinesinnen.“ (Seppelt/Schück, S. 195f)
„Mein Mann war Kajakfahrer und nahm auch an Olympischen Spielen teil. Da hat er Ostblocksportler kennengelernt, und die haben ihm erzählt, daß sie regelmäßig Dopingmittel bekämen. Aber er konnte damals nichts dagegen ausrichten. Wir haben schreckliche Geschichten gehört, zum Beispiel darüber, was passiert wäre, wenn die DDR-Mädchen sich unerlaubt zum Thema Doping geäußert hätten.“ (Seppelt/Schück, S. 204)
PHILIPPE BOYER, FRANZÖSISCHER BAHNRADFAHRER
Philippe Boyer, französischer Bahnradfahrer, beschreibt in seinem Buch ‚Champion, Flic et Voyou‘ die vergeblichen Versuche gegen die übermächtigen DDR-Sportler zu gewinnen. Resignation machte sich unter den westlichen Fahrern breit, da selbst die DDR-Fahrer der zweiten Reihe der ersten in Leistungsvermögen und Erfolg kaum nachstanden. Auch die Franzosen dopten in ihrer ‚kleinen Küche à la française‘, aber nun wussten sie nicht mehr weiter, was benutzten die DDRler?
Während des Winters 1981-1982 wurden die Vorbereitungen intensiviert und verdoppelt, sowhl die Anabolikakuren als auch das Muskeltraining:
„Voilà, eben so, wie wir uns das Programm der Ostdeutschen, der ‚bulldozer est-allemand‘ vorstellten.“
1981 (und mehr Jahre)
1980 gelang es Prof. Donike in Köln Testosteron nachzuweisen. Nachtests von Proben der Olympischen Spiele von Moskau erbrachten je nach Toleranzgrenze 40 bis 89 positve Fälle (der Spiegel, 4.10.1982). Testosteron stand zu der Zeit wegen der Nichtnachweisbarkeit noch nicht auf der Verbotsliste, das Verbot des IOC erfolgte erst 1982.
Mit diesen 1980 nachgewiesenen Testosteronfällen argumentierte man im Westen anschließend gerne, um die Erfolglosigkeit der eigenen Athleten gegenüber den Ostsportlern zu rechtfertigen (der Spiegel, 22.6.1981):
„Zudem deprimierte die Bundesdeutschen, daß die in Medaillen-Statistiken und Rekordlisten vorherrschenden Ostblock-Athletinnen nicht nur ihren Vorsprung aus gründlicher Organisation und wissenschaftlicher Unterstützung nutzten. Zusätzlich verschafften sie sich unfair Vorteile aus den Erzeugnissen der Pharmazie. Doping-Tests überführten schon fast ein Dutzend weiblicher Stars aus der UdSSR, der DDR, aus Bulgarien und Rumänien.“
Hoffnung wurde ausgedrückt mit neuen Trainingsmethoden wieder Anschluss zu finden. „Das sollte sich von 1980 an durch ein ausführliches Leistungsmodell ändern. „Wenn wir keine Hoffnung mehr hätten“, sagte Bundestrainer Thiele, „müßten wir den Beruf wechseln.“ Der DLV teilte den Athletinnen bewährte Bundestrainer zu. Thiele betreut die Sprinterinnen, Christian Gehrmann, der Heimtrainer der einstigen Fünfkampf-Weltrekordlerin Eva Wilms, die Werferinnen.“
Nicht erwähnt wird in diesem Artikel, dass sich Bundestrainer >>> Wolfgang Thiele bereits 1977 schweren Dopingvorwürfen ausgesetzt sah. DDR-Cheftrainer Hans-Dieter Hille, so wurde später bekannt, war befreundet mit dem aus der DDR-stammenden Thiele, der Kontakt zwischen beiden ist nie abgebrochen.
1982 soll Christian Gehrmann bei den Europameisterschaften in Athen beim Frühstück im Athletenhotel die Quelle seines Dopingwissens preis gegeben haben: „Er packe mitunter sein Auto „voll Anabolika aus dem Westen“ und karre sie zu Ostblocktrainern. Im Gegenzug werde er in deren Know-how eingeweiht“ (der Spiegel, 10.12.1990). Christian Gehrmann Doping-Vergangenheit ist >>> hier nachzulesen. Verbindungen soll er zu dem Trainer von Marita Koch, dem Rostocker Wolfgang Meier gehabt haben (Grit Hartmann, 24.12.2005).
1982
Die Überlegenheit des Ost-Systems wird nun offen und unverholen auf Pillen und Spritzen zurück geführt. Die Aussagen Renate Neufelds hatten das systematische Doping benannt, weitere Bestätigungen folgten (der Spiegel, 4.10.1982): *
„Zwischen 1977 und 1979 ertappten die Tester 22 Manipulanten, die muskelbildende Anabolika geschluckt hatten. 15 stammten aus dem Ostblock.
Das Puzzlebild aller Fälle ergab: Im Westen, vor allem in den USA, Skandinavien, aber auch in der Bundesrepublik, verschlangen Athleten die Kraftpillen ohne ärztliche Kontrolle und willkürlich dosiert, weil Funktionäre und Verbandsstatuten die Drogen offiziell verbieten und auch die meisten Sportärzte nicht mitspielen.
Dagegen ist seit der abenteuerlichen Flucht der einstigen DDR-Olympiakandidatin Renate Neufeld erwiesen, daß im Ostblock leistungsfördernde Präparate systematisch verabreicht werden. (…)
Dazu gelangte auch ein sowjetischer Bericht in den Westen, der Gewichthebern empfahl, „die Anwendung pharmakologischer Mittel muß komplex sein“, und zugleich warnte, „selbst mit Dopingmitteln zu experimentieren“. (…)
Auch bei den Europameisterschaften fiel keine Dopingprobe positiv aus. Vieles weist darauf hin, daß zumindest die Sowjets vor der Abreise nach Athen interne Tests vorgenommen und Athleten, die Medikamente nicht rechtzeitig abgesetzt hatten, aussortiert haben. „Nach Fehlern in der chemischen Vorbereitung der Athleten“, räumte ein Ostblock-Funktionär ein, „wird nun schon zu Hause gefahndet.“ (…)
Die DDR-Olympiasiegerin und Weltrekordlerin Marita Koch nimmt Gaby Bußmann aus: „Bei ihr sieht man, daß sie eine Frau ist.“ Andeutungen aus der DDR lassen auf eine neue Entwicklung schließen, die muskelbildende Hormonpräparate verdrängen könnte. Zwar experimentieren Ärzte und Athleten seit Jahren damit, Muskelwachstum durch Elektroschocks auszulösen. Doch das gelang bisher nicht schmerzfrei. Inzwischen haben DDR-Forscher anscheinend ein Gerät entwickelt, das ohne Quälerei und Nebenwirkungen Muskeln mästet.“
(Gaby Bußmann wurde wenig später in Zusammenhang mit ihrem Trainer Heinz-Jochen Spilker in Doping verstrickt.)
1983
Der Spiegel greift das Thema ein Jahr später erneut auf, spricht von Zweifeln, bringt aber nichts Neues. Auffallend jedoch, dass Doping vorwiegend als weltweites Problem, als duale Auseinandersetzung der Weststaaten mit den Oststaaten sprich der UDSSR geschildert wird. (der Spiegel, 29.8.1983)
1984
Die olympischen Spiele von Los Angeles stehen vor der Tür. Die Frage taucht auf, ob Fehler in der Dopinganwendung mit ein Grund des Boykotts durch die Oststaaten sein könnten (der spiegel, 27.8.1984):
„Aus dem Ostblock sickerte in diesem Zusammenhang ein zusätzlicher Grund für den Olympia-Boykott durch: Danach hatten eingehende vorolympische Recherchen in Los Angeles die Sportführung des sozialistischen Lagers in Panik vor den bisher strengsten Dopingkontrollen versetzt.
Die Athleten hätten Anabolika und Hormonkuren früher als sonst absetzen müssen, zu früh womöglich, als daß ein Wettbewerbsvorteil erhalten geblieben wäre. Ein Dutzend Dopingfälle beim Olympia rechtfertigte die Ängste.
Professor Joseph Keul, Chef der deutschen Ärztemannschaft in Los Angeles, bestätigte: „Die Dopingkontrollen werden immer besser. Zehn, ausnahmsweise sogar zwölf Wochen“ lassen sich chemische Manipulationen mittlerweile zurückverfolgen. „Die müssen sich etwas einfallen lassen“, empfahl er den Ostblock-Kollegen.
Keul stellte zwar klar, daß Doping keineswegs die einzige und wesentliche Erklärung für die Überlegenheit einiger Ostblock-Athleten ist. Aber chemische Nachhilfe kann in vielen Fällen, in denen mehrere gleichwertige Athleten antreten und Winzigkeiten entscheiden, „den Ausschlag geben“.
Das erklärt auch, daß Ostsportler die IAAF-Sportfeste in Westeuropa mieden; DDR-Athleten tauchten nur in Zürich auf, Sowjetstars sagten für Rom (31. August) zu. Ihre Weltrekorde erzielten die Boykottsportler fast nur im eigenen Bereich, ohne das Risiko eines Dopingtests einzugehen. Von 1985 an ist auch das nicht mehr möglich; dann verlangt die IAAF auch zur Anerkennung von Weltrekorden einen Dopingtest.
1985 THOMAS WESSINGHAGE
Mittel- und Langstreckenläufer Thomas Wessinghage meinte im Spiegel am 26.8.1985:
WESSINGHAGE: Die Frauen-Leichtathletik ist eine ganz spezifische Sache. Wir haben ja durchaus Sportlerinnen vom Leistungsvermögen etwa einer Heide Rosendahl. Nur ist man damit heute nicht mehr wie vor 10 oder 15 Jahren Weltspitze. Das hat vor allem mit gewissen medizinischen und pseudomedizinischen Maßnahmen zu tun, die in anderen Ländern „leistungsbegleitend“, wie es so schön heißt, ergriffen werden.
SPIEGEL: Sie meinen Doping und Hormon-Kuren?
WESSINGHAGE: Genau, davon rede ich. Wenn ich mir anschaue, wie man auszusehen hat, um über 65 Meter den Diskus zu werfen oder über 20 Meter die Kugel zu stoßen, ist die Frage berechtigt: Würden Sie ihrer Tochter dazu raten?
SPIEGEL: Würden Sie?
WESSINGHAGE: Nein, aber ich würde ihr genausowenig raten, Turnen als Leistungssport zu betreiben. Der Deutsche Leichtathletik-Verband sollte das Gewicht darauf legen, mehr Läuferinnen, vor allem im Mittel- und Langstreckenbereich, herauszubringen. In den Wurfdisziplinen, abgeschwächt auch im Sprint, wird es aus den genannten Gründen schwer sein, mit der Sowjet-Union, der DDR, der CSSR oder Bulgarien mitzuhalten. Auch die Zuschauer werden akzeptieren müssen, wenn ein Mädchen im Kugelstoßen da lieber mit 17 als mit 22 Metern zufrieden ist. Darunter sollte unser Nationalstolz nicht leiden.
SPIEGEL: Endgültiger Abschied vom Welt-Niveau also?
WESSINGHAGE: Bei den Frauen in weiten Bereichen ja.
„Weil sich die Anzeichen mehrten, daß Trainer bereits Kindern leistungsfördernde Präparate verabreichen, wurden in England Dopingtests bei einem Schulschwimmfest vorgenommen. Die Jüngsten, die sich einer Kontrolle zu stellen hatten, waren zwölf Jahre alt. Sharron Davies, die frühere englische Olympiaschwimmerin, nannte es „ein trauriges Zeichen für die Entwicklung, die unser Sport genommen hat“.
(der Spiegel, 8.4.1985)
1986
Das Frauen-Schwimmen war endgültig zu einem Sport für Teenager geworden. Der folgende Artikel aus dem Spiegel vom 25.8.1986 beschreibt dies. Aber Doping wird in diesem Zusammenhang nicht angesprochen, damit auch nicht das vorliegende Kinder- und Jugenddoping. (Warum nicht?)
„Schwimmerinnen und Schwimmer erreichen ihre optimale Leistungsfähigkeit, und dazu gehört auch Explosivität für kurze Strecken, schon als Teenager. Unter günstigen Bedingungen können sie ihr Leistungsvermögen jedoch viele Jahre konservieren, vor allem „hinausverlagert auf längere Strecken“ (Hollmann). (…)
Die Zeitspanne, in der Schwimmer zu Höchstleistungen fähig sind, hat sich durch wissenschaftliche Trainingsmethoden verlängert. Trotzdem bleibt die Schwimmerei ein Kindersport: Mädchen sind mit 14 bis 16 Jahren ausgewachsen. Funktionen von „Herz, Kreislauf, Atmung und Stoffwechsel“ erreichen laut Hollmann in dem Alter „das Höchstmaß“. (…) Jungen erlangen etwa mit 18 Jahren ihr maximales Kraft-Last-Verhältnis und die beste Hebelwirkung – optimale Zugkraft im Wasser. Groß schwamm mit 17 Jahren zur ersten Europameisterschaft, mit 18 Jahren war er Weltmeister und Europarekordler. (…)
Besonders DDR-Schwimmerinnen brachen als 14- und 15jährige in die Weltelite ein. Mit 14 Jahren schaffte Kornelia Ender den ersten Weltrekord. 21 weitere Weltbestleistungen fügte sie hinzu, acht Welttitel und vier Olympiasiege. Aber schon mit 18 Jahren stieg sie endgültig aus. (…) Schwimmerinnen haben es schwerer, ihre Leistungsfähigkeit zu konservieren, weil, so Hollmann, „ihre Fettpolster wachsen“ und das Gewicht erhöhen. Durch Doping, etwa mit dem männlichen Geschlechtshormon Testosteron, wird mitunter versucht, das Wachstum der Muskeln zu fördern, die Brüste dagegen möglichst lange flach zu halten. Nebenwirkungen wie tiefere Stimmen sind dann allerdings nicht auszuschließen.“
* Häufig wird in den zitierten Artikeln, vor allem in den 70er Jahren, nicht klar zwischen der Situation in den einzelnen Staaten des Ostblocks unterschieden. Mitte der 70er Jahre beschritt die DDR jedoch konsequent einen eigenen Weg, der so in keinem anderen Ostblockstaat erreicht oder kopiert wurde. Zudem entwickelte sich zwischen der DDR und der UDSSR ein erbitteter Wettstreit um Medaillen.
Fortsetzung >>> Spurensuche II: Was war in der BRD über das DDR-Doping bekannt?