Das Thema Doping in der Öfentlichen Diskussion 1990 – eine Annäherung
Wendezeit III: 1992 bis 1993, im Zeichen des Ost-West-Konfliktes
Die Beziehungen innerhalb der verschiedenen Lager aus Ost und West waren während des ganzen Jahres 1991 angespannt. Auch unter den Sportlern herrschte Misstrauen und wenig Harmonie. Das zeigte sich besonders in der Leichtathletik vor dem Hintergrund der Weltmesterschaften. Die Probleme waren vielfältig, aber Dopingverdächtigungen spielten durchaus eine Rolle.
Misstrauen wurde zusätzlich dadurch geschürt, dass keine große Namen aus der DDR der Anti-Doping-Initiative „Saubere Leichtathletik“ beigetreten waren, die Athleten ins Leben gerufen hatten und die sich „vor allem als Anlauf- und Beratungsstelle für Jugendliche“ verstand. (J. Braun, S. 162) Bereits in diesem Sommer mussten sich die gefeierten und hofierten Sprinterinnen Katrin Krabbe und Grit Breuer um Trainer Springstein Fragen zu Doping gefallen lassen.
Angeheizt wurde die gereizte Stimmung durch die Diskussion um dopingbelastete Trainer, die Ende 1991 im Deutschen Schwimmverband eskalierte.
die Zeit, 21.2.1992:
„Einer der wenigen, die bereit wären, sich an die Lösung dieses Grundproblems des deutschen Sports heranzuwagen, ist der Hamburger Jurist Harm Beyer. Der ehemalige Schwimmverbandschef hält die Spitzenstars für nicht mehr integrierbar und plädiert für die Ausgliederung der „Zirkustruppe“ aus dem Breitensport. Diese könnte sich dann ihr eigenes Management suchen und ihre eigenen Regeln schreiben, bis hin zur Freigabe des Dopings, was den Amateursport spürbar entlasten würde.“
Die durchgeführte Entlastung von Osttrainern hatte den heftigen Protest einiger Westtrainer hervorgerufen und die Äußerungen des DSV-Präsidenten zu dem Konflikt trugen keinesfalls zur Beruhigung bei. Sportfachliche Argumente spielten dabei kaum eine Rolle. Neid und Missgunst wurden unterstellt, die Gegner hießen bald auch hier Ost gegen West. (siehe Wendezeit II und DSV Trainererklärungen 1991).
Im Zuge dieser Diskussionen traten im Februar Cheftrainer Thomas Nuyen und im März die Trainerinnen Anne und Tanja Kreise des DSC Jan Wellem, Düsseldorf zurück. In ihrem Verein wurde der ehemalige DDR-Frauen-Verbandstrainer Jürgen Tanneberger ab 1.1.1992 als Sportkoordinator eingesetzt. Zuvor hatte das DSV-Präsidium per Beschluss vom 1.12.91 Tannenberger neben einigen anderen in Zusammenhang mit flächendeckendem Doping in der DDR ‚bis auf weiteres‘ keine Tätigkeit im und für den DSV erlaubt (RP, 5.2.1992). (1999 hat das Landgericht Berlin Tanneberger zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr auf Bewährung wegen Beihilfe zur Körperverletzung in 47 Fällen verurteilt. Tanneberger war auch als IM ‚Klaus Busch‘ aktiv. 2009 trainiert er im Schwimmclub Berlin wieder Kinder. S. hierzu auch J. Tanneberger und >>> Jörg Sievers. (dradio, 18.9.2009, Berliner Zeitung, 23.12.1999))
Und „in Baden-Württemberg wehrten sich Trainer gegen die Einstellung von Günter Baumgart. Der Leipziger hatte Anabolikaexperimente mit 14jährigen Schwimmerinnen ausgeführt.“ (der Spiegel, 28.12.1992)
Auch die Regelung des Deutschen Leichtathletikverbandes (DLV), der mittels einer Juristenkommission die weitere Anstellung ehemaliger DDR-Trainer ermöglicht hatte, trug nicht zur Beruhigung bei. Vor allem die Anstellung des Sprung- und Mehrkampftrainers Dr. Bernd Schubert sorgte weiterhin für Unruhe.
„So erklärte Leichtathletik-Präsident Helmut Meyer im Januar 1992, es sei nun für jeden „Deutschen wichtig, die Integration von Ost und West voranzutreiben“, im Umkehrschluss sei es ungerecht, dass „wir die ostdeutschen Trainer wegen ihrer Vergangenheit verfolgen“ – eine Äußerung Meyers, die im Kontext seiner Bemühungen, Bernd Schubert zu halten, gesehen werden muss. Angeblich wäre es „im Osten missverstanden worden“, wenn Schubert keinen Vertrag erhalte.“ (J. Braun, S. 162)
Neben Schubert geriet Horst-Dieter Hille unter Beschuss. Hille hatte in den 70er Jahren Renate Stecher, Marlies Göhr und Bärbel Wöckel zu ihren überragenden Sprinterfolgen geführt, laut späterem eigenem Geständnis vor der Staatsanwaltschaft auch mittels Doping (s. Zitat rechts). Nach der Wende bekam er nach einer Zwischenstation bei seinem Freund DLV-Cheftrainer >>> Wolfgang Thiele in Darmstadt eine Stelle in Bünde in Westfalen und erhielt eine Stelle als Stützpunkttrainer. Im Januar 1992 wurde öffentlich, dass 4 Trainer ihre Zusammenarbeit mit Hille aufgekündigt und 1991 in einem Brief an den DLV-Landesverband dessen Ablösung als Stützpunkttrainer gefordert hatten. Hille habe 1990 mehreren Sportlerinnen geraten, Anabolika zur Leistungssteigerung anzuwenden. Auch einer 15jährigen 800m-Läuferin legte er die Einnahme nahe. (der Spiegel, 6.1.1992) Laut dem Verbandsmagazin ‚Leichtathletik‘ kam es daraufhin bei der Staatsanwaltschaft Bielefeld zu einem strafrechtlichen Verfahren wegen Verstoßes gegen das Arzneimittelgesetz, dass aber zugunsten Hilles eingestellt wurde. Die „4 Veranlasser des Verfahrens“ mussten die Kosten wegen „leichtfertig erstatteter Anzeige“ übernehmen. Der Fußball- und Leichtathletik-Verband Westfalen entlastete daraufhin Hille. (Leichtathletik, 16-1993)
All diese Querelen boten keine guten Voraussetzungen für das olympische Jahr 1992. Im Februar sollten die Winterspiele in Albertville, Frankreich, und vom 25. Juli bis zum 9. August die Sommerspiele in Barcelona stattfinden. Gemeinsam musste man stark sein.
In Alberville gelang dies sogar. Das vereinte Deutschland führte den Medaillenspiegel an. Doch die einen Tag vor Eröffnung der Winterspiele bekannt gewordenen Dopingverdächtigungen um Trainer Thomas Springstein und seine von ihm trainierten Sprinterinnen Krabbe, Breuer und Möller traten in den Vordergrund und beeinflussten die deutsche Berichterstattung aus Albertville nachhaltig. Kritisiert wurde erneut die Übernahme dopingbelasteten DDR-Personals. Es traf insbesondere die Biathleten und die Nordischen Kombinierer. Der ehemalige DDR-Cheftrainer Kurt Hinze war zwar nach den Diskussionen Ende 1991 offiziell entlassen worden, doch das hinderte ihn nicht daran, weiter dabei zu sein. „Als die deutsche Biathlon-Staffel Gold gewann, wurde im Zielraum ein Mann auf Schultern getragen – es war Kurt Hinze, der ehemalige DDR-Cheftrainer.“ Der zur selben Zeit in die Kritik geratenen Trainer Frank Ullrich war weiterbeschäftigt worden. Auch Henner Misersky wagte es wieder öffentlich Kritik zu üben. Nachdem seine Tochter Antje Gold über 15 Kilometer gewonnen hatte, nutzte er im Fernsehen die Gelegenheit, seine Ansichten über die Weiterbeschäftigung dopingbelasteten Personals zu äußern.
„Ein „schöner Tag“, ganz bestimmt, aber der „größte Tag“ für ihn sei der Fall der Mauer gewesen. Hoffnung habe er geschöpft, die Diskriminierung seiner ganzen Familie werde nun ein Ende haben. Nichts davon! Obwohl er, Misersky, immer gewarnt habe, „hat Herr Weinbuch die belasteten Funktionäre unbesehen übernommen“. Helmut Weinbuch (…) sitzt in derselben Sendung. „Vorsichtig“ habe man die Verbände zusammengeführt, erklärt er. Man könne den Sportlern ihre Vertrauenstrainer nicht einfach nehmen. Er spricht von „Konsequenzen“, wenn die Trainer belastet seien.
„Irgendwann muß aber Toleranz herrschen.„ (die Zeit, 19.3.1998)
Doch Helmut Weinbuch reagierte und entließ Ulrich Wehling, dreimaliger Olympiasieger in der Nordischen Kombination und im Osten als Koordinator tätig. (der Spiegel, 24.2.1992)
die Krabbe-Affaire, Teil I
Anfang Februar wurde bekannt, dass 3 Sprinterinnen des Trainers Thomas Springstein durch Urinmanipulationen aufgefallen waren. Die Proben der 3 Sportlerinnen Katrin Krabbe, Grit Breuer und Silke Möller, im Trainingslager in Südafrika genommen, enthielten alle denselben Urin. Zwar waren keine Dopingmittel darin zu finden, doch an einer Manipulation bestand kein Zweifel. Erst recht nicht, nachdem Manfred Donike nachgewiesen hatte, dass derselbe Urin schon einmal im letzten Jahr verwandt worden war. (der Spiegel, 17.2.1992) (In der Öffentlichkeit und den Medien wurde daraus „Krabbe-Affaire“, die beiden anderen Frauen wurden kaum noch erwähnt.)
Zweifel an der Sauberkeit der Athletinnen schienen schon lange zu bestehen. Seit Monaten, so der Spiegel, hätte Manfred Donike feststellen können, dass etwas nicht stimmte.
„Wann immer in den letzten Monaten der Kölner Dopingfahnder Professor Manfred Donike in seinem Labor Urinproben aus Neubrandenburg analysierte, erfaßte ihn heiliger Zorn. Niemals konnte er Anabolikaeinnahmen nachweisen. Doch die Meßergebnisse sagten dem Biochemiker eindeutig: „Da stinkt es ganz gewaltig.“Der Professor sah sich von einem Mann getäuscht, der in der deutschen Leichtathletik als Meistermacher gilt, seitdem er die Sprinterin Katrin Krabbe zu zwei Weltmeistertiteln geführt hat: Thomas Springstein, 33, Coach des SC Neubrandenburg-Nike-Club. In ihm vermutete Donike den Drahtzieher der Manipulationen, mit denen der Testurin offensichtlich für korrekte Analysen untauglich gemacht worden war.
Verärgert informierte Donike den damaligen Dopingbeauftragten des Leichtathletik-Verbandes, Theo Rous, klärte ihn über die Machenschaften auf und verbat sich weitere Tricks: „Sagen Sie das dem Springstein.“ (der Spiegel, 10.2.1992)
In der ‚Zeit‘ hieß es, „ein Aktenvermerk der verbandsinternen Anti-Doping- Kommission vom 31. Juli 1991 weist darauf hin, daß das DLV-Präsidium schon damals über offensichtlich manipulierte Urinproben aus Neubrandenburg informiert war. Kommissionsvorsitzender Theo Rous notierte damals „handfeste Anzeichen“ dafür, daß dem Urin von Krabbe und Breuer „fremde Hormone zugeführt wurden“. (die Zeit, 21.2.1992, s. auch Berendonk, S. 321)
Vermutet wurde, dass die Läuferinnen Fremdurin in kleinen Beuteln in der Vagina während der Kontrolle öffneten. Eine Methode, die international bestens bekannt und absolut nicht neu war. Solch eine Vorbereitung war leicht möglich, da die Aufforderung zur Kontrolle bereits einen Tag zuvor mitgeteilt wurde. Bekannt war auch, dass die Sportlerinnen ihre Trainingscamps gerne in fernen Ländern bezogen und ihren Aufenthaltsort änderten ohne dem Deutschen Sport-Bund (DSB) Bescheid zu geben, so dass Kontrolleure gelegentlich unverrichteter Dinge abreisen mussten.
Der Fall schlug hohe Wellen, Verschwörungstheorien tauchten auf und wieder ging es Ost gegen West.
In einer ARD-Diskussionsrunde „Dopingfall oder Hexenjagd“ zeigten sich DLV-Präsident Helmut Meyer und der Vorsitzende des DSB-Anti-Doping-Ausschusses Dr. Horst Evers überzeugt davon, dass hier ein klarer Dopingfall vorlag, dass auch Kontroll- und Transportverfahren den Regeln entsprachen. Evers erwähnt eine klare Indizienkette mit allen Vorfällen des vergangenen Jahres, für ihn liegt das Verschulden klar zutage. Meyer verlangt eindeutige juristische Belege, Sportmediziner Dr. Baron, ehemals Dopingkontrolleur, und Willi Daume, NOK, sahen zwar Manipulationen doch könne nicht nachgewiesen werden, auch weil wissenschaftliche Untersuchungen fehlten, wer nun daran Schuld trage.
Die Lage war ernst, kamen doch beunruhigende Signale aus der Sponsoren-Welt. U.a. drohte Daimler-Benz mit Rückzug, der DLV musste reagieren. (die Zeit, 21.2.1992) Helmut Meyer verkündete, „das faktische Arbeitsverhältnis mit Herrn Springstein wird beendet, und der DLV wird mit ihm für die Zukunft keinen Vertrag abschließen.“ (sid, 13.2.1999).
Krabbes Anwalt erhob Einspruch gegen die Suspendierung und der DLV-Rechtsausschuss unter Leitung des Verbandsrichters Emig machte am 5. April einen Rückzieher. Die Athletinnen wurden frei gesprochen, da neben weiteren Einwänden, eine Manipulation in Donikes Labor nicht auszuschließen sei. Nichtberücksichtigt wurde bei dieser zweiten Urteilsfindung jedoch, dass Grit Breuer und Katrin Grabbe seit 1991 insgesamt 3 Mal identischen Urin abgegeben hatten. Letztlich wurde die Aufhebung des Urteils mit Verfahrensfehlern begründet, was einige Beobachter nicht überraschte, war doch immer spekuliert worden, dies sei von Beginn an daraufhin angelegt gewesen:
„Aus der DLV-Zentrale in Darmstadt wird bereits kolportiert, die zahlreichen Verfahrensfehler seien den Funktionären ganz bewußt unterlaufen. So habe die nächste Instanz die Möglichkeit, den Sperr-Beschluß des Präsidiums wieder aufzuheben – ein Weg, der schon bei den ersten Dopingvorwürfen vor 15 Jahren erfolgreich beschritten wurde.“ (der Spiegel, 24.2.1992, der Spiegel, 13.4.1992, Berendonk, S. 321ff)
„Emigs Rechtsausschuß ist erste und letzte Instanz zur Überprüfung von DLV-Verbandsbeschlüssen – ein Verfahren, das den rechtsstaatlichen Mindestanforderungen in keiner Weise genügt. Eilig versucht der Deutsche Sportbund (DSB) jetzt, den Instanzenmangel zu heilen. Am letzten Freitag beschloß das DSB-Präsidium, eine Sondersitzung einzuberufen, die über die Einrichtung eines unabhängigen Schiedsgerichts für alle Verbände beraten soll. Die Urteilsschelte der internationalen Medien reichte von „Possenspiel“ (Gazzetta dello Sport) bis hin zu „Fiasko“ (Neue Zürcher Zeitung). Die Pariser Sportzeitung L’Equipe urteilte gar: „Eine Ohrfeige für alle, die dafür kämpfen, daß der Sport von der Perversion des Doping befreit wird.““ der Spiegel, 13.4.1992)
Unterstützung hatten die Suspendierungsgegner auch von der „Arbeitsgruppe Dopingfragen“ beim Bundesinstitut für Sportwissenschaft (BISp) erhalten, die sich entrüstet zeigte über den Umgang mit den Sportlerinnen und sich übergangen fühlte. Die AG erklärte daher Anfang April ihren Rücktritt.
Ruhig wurde es mit der Aufhebung der Suspendierung aber nicht, das ganze Verfahren, Verfahrensweg und Urteile, wurden auch international kritisiert und als Farce abgetan.
Beunruhigt war auch die Internationale Leichtathletik Organisation IAAF. Ihre Anti-Doping-Kommission prüfte im Mai 1992 den Fall der drei Sprinterinnen und gab die Empfehlung, das Verfahren, diesmal beim IAAF, wieder aufzunehmen.
Mitte Juni wurde eine neue Version publik. Ein Zeuge gab an, Springstein hätte ihm den wahren Sachverhalt eingestanden und die Schuld auf sich genommen. Er habe den Sprinterinnen Tabletten untergeschoben und, um dies bei Kontrollen zu vertuschen, den Urin seiner Frau weiter gegeben. (der Spiegel, 15.6.1992)
Wie auch immer, berücksichtigt wurde diese Selbstbezichtigung wohl nicht. Aus formaljuristischen Gründen wurde das Verfahren des IAAF am 28.6.1992 eingestellt. Damit schien der Start von Katrin Krabbe bei den Olympischen Spielen in Barcelona gesichert.
Gedanken Manfred Donikes
Manfred Donike fasste seine Einschätzung nach den olympischen Winterspielen in Albertville bezogen auf die vorherrschenden Denkstrukturen in Verbandskreisen wie folgt zusammen:
„Ich sehe sehr gute Ansätze bei einigen Athleten-Zirkeln, beispielsweise beim Zehnkampfteam, die für eine Umkehr in der Dopingmentalität eintreten. Wenn die sich nicht durchsetzen, hat der Spitzensport keine Daseinsberechtigung mehr. (…)
Ich befürchte noch sehr heftige, unangenehme Diskussionen im Vorfeld der Spiele von Barcelona. Denn alle wohlformulierten Erklärungen des Deutschen Sportbundes und des Nationalen Olympischen Komitees haben, ähnlich wie schon nach den Olympischen Spielen 1976 in Montreal, keine praktischen Ergebnisse gebracht. (…). Die jahrelange Akzeptanz der Dopingmentalität in der Sportführung wird sich wohl nur auf biologischem Wege ändern lassen. (…)
Ich habe die Euphorie bewundert, mit der der ehemalige DDR-Sport übernommen wurde, ohne die Aufdeckung der Dopingpraxis zu betreiben. Da hat auch die Überlegung eine Rolle gespielt, sich das Doping-Know-how der DDR zu sichern. Denn für mich ist es schlecht vorstellbar, daß die westdeutsche Sportführung nicht von den Praktiken der DDR gewußt hat. (…)
Ich hätte mir gewünscht, daß diese Kommissionen Listen von Personen vorgelegt hätten, die an den Manipulationen mit unterstützenden Mitteln beteiligt gewesen sind, die Pläne erstellt haben, in denen Dopingmittel integraler Bestandteil waren. Nur das wäre eine wirkliche Hilfe bei der Anstellung von Ärzten und Trainern in den Verbänden gewesen. Ich schließe nicht aus, daß auch vor Albertville gedopt wurde und daß das gleiche vor Barcelona versucht wird.“ (der Spiegel, 24.2.1992)
Kommentar von Eberhard Munzert, Stuttgarter Zeitung 5.3.1992
„Der „Fall Krabbe“ ist mehr als eine Dopingaffaire. Er zeigt in erschreckendem Maße, in welchen Teufelskreis von Leistung, Geld und Medizin ein Sportverband geraten kann, wenn er nicht mehr Herr im eigenen Haus ist. Erst als die Presse die Identität des Urins von Katrin Krabbe, Grit Breuer und Silke Möller aufdeckte, der Sponsor Mercedes-Benz mit Vertragskündigung und der Sportausschuß des Bundestages mit Sperrung der öffentlichen Förderungsmittel drohte, gab der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) seine Vertrauensbekundungen zugunsten der Athletinnen auf und sperrte sie.
Das alles ist kein Kinderspiel, wie DLV-Präsident Helmut Meyer lange Zeit glaubte. Auch Matthias Kleinert, zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit bei Daimler·Benz, dürfte mittlerweile Zweifel haben, ob sein Brief zur Unterstützung des angeschlagenen DLV-Präsidenten bei der Vertrauensfrage auf dem Verbandstag am 6. Oktober vergangenen Jahres das richtige war.
Damit hat der Hauptsponsor des DLV sichtbar in das Verbandsgeschehen eingegriffen und die sportliche Marktwirtschaft zur Machtwirtschaft verschoben. Es ist der Beweis dafür, wie fest dieser Spitzensport im Griff der Kommerzialisierung ist, und deshalb ist es nicht ausgeschlossen, daß er sich in absehbarer Zelt verselbständigt und ohne Steuergelder auskommen muB.
Damit sind wir an einem Punkt angelangt, wo umfassend und ernsthaft über die Zukunft des Spitzensportes nachgedacht werden muß. Das zeigen die Olympischen Spiele, wie sie sich gerade in Albertville dargestellt haben, das zeigt die Kritik an IOC-Präsident Juan Antonlo Samaranch, der für Geld offensichtlich alles macht. Aus den Führungsetagen des deutschen Sports kommen hierzu kaum weiterführende Gedanken. DSB-Präsident Hans Hansen sprach anfangs im „Fall Krabbe“ von „dummem Zeug“. NOK-Präsident Willi Daume sah in der Sperre den ernsthaften Willen zur Lösung der Dopingpro-bleme. Eine tiefgehende Analyse und ein klares Handlungskonzept fehlen jedoch. Der Sport scheint trotz aller Beteuerungen und Hinweise auf Tausende von Kontrollen nicht in der Lage oder nicht willens, die Gesamtproblematik des Dopings aus eigener Kraft aufzuarbeiten und zu lösen.
Jüngstes Beispiel: Die deutschen Eisschnelläufer, die sich ausgerechnet einen Arzneimittelfabrikanten als Sponsor ausgesucht haben. Verwunderlich ist diese Betonmentalität allerdings nicht, wenn man weiB, daß ein Großteil der Führungsriege des deutschen Sports vom Doping seit Jahren Kenntnis hatte. Um so dringender wäre deshalb eine personelle Erneuerung aus dem Kreis der 40- und 50jährigen unbelasteten Funktionäre.
Solange jedoch die alten Aussitzer am Werk sind, kann es nicht erstaunen, wenn sich Staat und Politik immer mutiger und lauter zu Wort melden, wohl auch zu Wort melden müssen. Doping ist schließlich nicht nur eine Frage der Ethik und von Fair play, es ist auch mit erheblichen und dauerhaften gesundheitlichen Risiken verbunden. Der Gedanke, wie in anderen Ländern (zum Beispiel Frankreich und ltalien) diejenigen gesetzlich unter Strafe zu stellen, die Athleten zum Doping verleiten, sollte nicht schlichtweg als Eingriff in die sportliche Autonomie abgetan werden. Es geht nicht um die Bestrafung der Athleten, vielmehr soll den Hintermännern des Dopings das Handwerk gelegt werden: Funktionären, Trainern oder Ärzten. Erst ein staatliches Verfahren mit Eideszwang dürfte die Wahrheit über die Verführer und die eigentlich Verantwortlichen des Dopings ans Tageslicht bringen.
Eine Diskussion über ein Dopinggesetz halte ich noch immer fur den besseren Weg als den Vorschlag der „kontrollierten Dopingfreigabe“, der kürzlich von Dieter Baron gemacht wurde, einem langjährigen Mitglied der Dopingkommission des DLV. Dieser Vorschlag schadet dem Ansehen des DLV ebenso wie die frühere Erklärung des leitetenden DLV-Verbandsarztes Wilfried Kindermann, bei den Europameisterschaften 1990 in Split seien immerhin 5O Prozent der Athleten sauber gewesen. Eine Freigabe des Dopings wäre geradezu ein Anreiz für alle – insbesondere auch für die Jugend -, sich medizinischer Mittel zur Leistungssteigerung zu bedienen, die den großen Vorbildern zu Sieg und Ruhm verhelfen.
Aus Verantwortung gegenüber den Athletinnen und Athleten ist viel wichtiger, ein wirkungsvolleres Netz der Dopingkontrollen zu knüpfen. Denn offensichtlich gilt nach wie vor die Aussage des Sportwarts des Leichtathletikverbandes, Manfred Steinbach, der zugleich im Bundesgesundheitsministerium für Gesundheitsvorsorge zuständig ist: Wer sich jetzt noch erwischen lasse, müsse doch bescheuert sein! Warum werden keine Kontrollmethoden verwendet, die Dopingverstöße längerfristig nachweisen können, wie zum Beispiel Bluttests? Dadurch würde das Risiko für mögliche Dopingsünder wesentlich erhöht.
Aber noch so wirkungsvolle Kontrollen reichen nicht. Auf breiter Ebene brauchen wir eine Veränderung des Bewußtseins, eine gedankliche und personelle Erneuerung. Anti-Doping-Bewußtsein muß echtes Unrechtsbewußtsein werden. Das stellt den Sport vor die Herausforderung, eine neue und glaubwürdige Generation von Funktionären, Ärzten, Trainern und Athleten heranzubilden.
Welches Signal wäre es auf diesem Wege, wenn aus dem Kreis der Sportverantwortlichen bis hin zu Willi Daume einmal Fehler bei der Behandlung des Dopingproblems offen eingestanden würden oder gar freiwillige Rücktritte erfolgten, um den dauerhaften Anschein des Verdrängens, Verschweigens und Verzögerns sichtbar auszuräumen. Statt dessen geben sich Funktionäre, Trainer und Ärzte so lange als schmählich hintergangene Saubermänner aus, bis – wie beispielsweise Diskustrainer Karlhelnz Sleinmetz – die Beweiskette gegen sie geschlossen ist. Es ist niederschmetternd, wenn statt dessen die redlichen Krafte der Dopingkonlrollkommission des DLV, Theo Rous, Heide Ecker-Rosendahl und Harald Schmid wegen der Versäumnisse ihres Verbandes resigniert ihr Amt niederlegen. …“
die Krabbe-Affaire, Teil II siehe >>> hier weiter unten.
Das neue FKS: das IAT
Während das Ost-West Verhältnis den deutschen Sport schwer belastete, gab es Versuche der Integration. Einer war die Neugestaltung des Instituts für Körperkultur und Sport (FKS) in Leipzig. Sein Bestand war auf besondere Initiative des Bundesauschusses für Leistungssport (BAL) im Einigungsvertrag festgeschrieben worden. Damit sollte eine ‚langgehegter Wunsch‘ des BAL, der bislang aus finanziellen Gründen nicht verwirklicht werden konnte, in Erfüllung gehen, „ein zentrales Forschungsinstitut als „Bindeglied zwischen Sportwissenschaft und Trainingspraxis“ (Manfred Lökken, Sportdirektor für Trainingswissenschaften beim BAL). Nicht immer bzw. von allen war nach der Wende der Erhalt des FKS empfohlen worden. Heinz Mechling vom BiSp, der vom Bundesinnenministerium die Aufgabe erhalten hatte, die Sportwissenschaft der DDR unter die Lupe zu nehmen, hatte 1990 den Erhalt des FKS als nicht sinnvoll erachtet. Nur in wenigen Bereichen sei geforscht worden, überwiegend sei es um Möglichkeiten der Leistungssteigerung gegangen. Doch der Erhalt des FKS und die Forschungs- und Entwicklungsstelle für Sportgeräte (FES) wurden in den Einigungsvertrag aufgenommen.
„Den Hintergrund dieser Wende erläutert Ministerialrat Peter Busse, Referatsleiter Sport beim Bundesinnenminister: „Die Unterlagen des Bundesinstituts waren für uns keine Entscheidungshilfe.“ In seinem Hause habe man sich ausschließlich an der dringenden Bitte des Deutschen Sportbundes (DSB) orientiert, die Institute zu erhalten. Die Bitte sei sehr spät gekommen, nämlich erst Anfang Juli 1990, nachdem eine Kommission des DSB und des Deutschen Turn- und Sportbundes der DDR (DTSB) ihren Entschluß mitgeteilt habe. Busse nannte den Vorgang „überfallartig“ und sagt, es habe kaum noch Zeit gegeben, Kritik zu berücksichtigen. Dem widerspricht DSB-Präsident Hans Hansen: „Seit März 1990 standen wir über den BAL in ständigem Kontakt zum Bundesinnenministerium über die Bedeutung des FKS.““
Für das FKS wurde ein neuer Name gefunden, „Institut für Angewandte Trainingswissenschaften“ (IAT) hieß es fortan. Weniger neu waren einige wissenschaftlichen Institutsmitarbeiter. So war der damalige FKS-Direktor Harold Tünnemann und sein Stellvertreter Jürgen Krug dabei. Unabhängige Vertreter aus der Sportwissenschaft und nationale und internationale Gutachter, die das BiSp gefordert hatte, blieben außen vor ebenso wie der Wissenschaftsrat der Bundesrepublik Deutschland, ‚der alle hochschulunabhängigen wissenschaftlichen Einrichtungen in der DDR begutachtete‘, sowie Gegner der Übernahme innerhalb der Sportverbände wie Hartmut Becker, beim DSB zuständig für Wissenschaft, Bildung und Gesundheit.
„Der BAL habe zusammen mit der „Leistungssportfraktion im DSB-Präsidium“ einen Machtkampf angeboten, den er nicht habe annehmen wollen. Professor Elk Franke, bis zum September 1991 Präsident der Deutschen Vereinigung für Sportwissenschaft, die ebenfalls nicht beteiligt war, nennt das ganze Verfahren schlicht „undemokratisch“.“ (FAZ, 14.3.1992)
Ähnlich scheint es mit der Übernahme des FES gelaufen zu sein. Mitten in die Diskussion um dessen künftige Struktur soll ein Anruf des Nationalen Olympischen Komitees (NOK) ‚geplatzt‘ sein, wonach das FES künftig durch das NOK betreut werde und nicht weiter diskutiert werden müsse.
Das Prozedere blieb nicht unwidersprochen, einige Bundestagsabgeordnete erhoben Einspruch, der Sportausschuss des Deutschen Bundestages stoppte zwischenzeitlich die Subventionen. Vergeblich, die Einrichtung des Instututs ging wie geplant voran, die öffentlichen Gelder flossen.
„BAL-Direktor Manfred Löcken (…) erklärte dem Bonner Ministerialrat Peter Busse die Dringlichkeit der IAT-Arbeitsaufnahme so: „Die Verbände wollen diese Leute haben, wir brauchen sie.“ Deshalb gebe es nur eins: „Kopf runter und durch.“ „Die Forscher dürfen sich tatsächlich wieder wie in alten Tagen fühlen. Um die interne Diskussion über die Vergangenheitsbewältigung zu stoppen, verordnete Löcken allen Institutsmitgliedern einen Maulkorb und verbot Medienkontakte. Und Scharfmacher Engelhardt verlangte, auch künftig möglichst wenig zu publizieren. Wie bisher sei „Geheimforschung erwünscht“. (der Spiegel, 9.3.1992)
Bekannt wurde, dass am 21. Januar 1992 die Leipziger Sportwissenschaftlerin Marianne Fiedler sich an den Sportausschuss des Deutschen Bundestages gewandt hatte mit der Bitte „um Schutz und Unterstützung“. Sie befürchtete, dass die alten Kräfte sie aufgrund ihres Insiderwissens und möglicher fachlicher Konkurrenz aus dem Institut drängen würden. (FAZ, 5.2.1993)
Die Misstöne waren auch zur Eröffnungsfeier des Instituts am 16.3.1992 zu hören. Die Universität Leipzig und das Land Sachsen hatten ihre Teilnahme verweigert mit der Begründung, die Vergangenheit sei nicht ausreichend bewältigt worden, ‚die alten Seilschaften im Osten würden dank neuer Seilschaften im Westen konsolidiert statt beseitigt.‘ Die Universität, die das IAT institutionell betreuen sollte, verweigerte sogar jegliche künftige Zusammenarbeit mit dem Institut. Professor Gerald Leufert, Prorektor der Universität Leipzig, meinte, „es gäbe im Westen Leute, die wollten nur Medaillen, gleichgültig, mit wessen Hilfe. „Es kann doch nicht sein, daß die Alten hier schon wieder das Sagen haben.“ Daraufhin wurde vom BAL Dietrich Martin, Professor an der Gesamthochschule Kassel und viele Jahre Sportwart nordisch des Deutschen Skiverbandes zum kommissarischen Leiter ernannt. Ihm wurde das Amt übertragen bis die Überprüfungen durch die Gauck-Behörde abgeschlossen seien. (FAZ, 14.3.1992) 120 Mitarbeiter hatte das IAT nach seiner offiziellen Gründung im März 1992, 13 Millionen Mark sollte es jährlich vom Bund erhalten (das FES 7 Millionen). Damit erhielten beide Institute zusammen mehr Gelder als alle anderen Sportinstitute in den alten Bundesländern zusammen an Forschungsmitteln.
Noch Anfang 1993 waren die Probleme nicht ausgeräumt, im Gegenteil, eine Reihe von Vorwürfen veranlasste DSB-Präsident Hans Hansen, seinen Vetreter Manfred von Richthofen und Abdreas Decker nachzu forschen. Die Personalentscheidungen des IAT waren auch Thema im Sportaussschuss des Deutschen Bundestages, der dem Innenministerium auftrug, für Klärung zu sorgen. (Siehe unter Wendezeit IV, 1993)
Nachwehen der >>> ‚AD-HOC-KOMMISSION‘
Um die Empfehlungen der ‚Ad-hoc-Kommission‘ im Manfred von Richthoen war es still geworden. Konsequente Schritte, wie sie sich auch Manfred Donike gewünscht hatte, waren nicht erfolgt.
Am 6. April 1992 soll Jochen Kühl, Justiziar des Deutschen Sportbundes (DSB) noch eine „Liste dopingbelasteter Funktionäre, Trainer und Mediziner“ mit 100 Namen zusammen gestellt haben, die er seinem Präsidenten Hans Hansen weitergab. War dies eine Folge der aktuellen Ereignisse? Die meisten genannten kamen laut Spiegel aus der DDR, nur wenige aus dem Westen.
„Das Verzeichnis liest sich wie der Who’s who des deutschen Sports. Prominente Athleten wie die Schwimm-Olympiasieger Kristin Otto und Roland Matthes oder die ehemaligen Leichtathletik-Weltmeister Marlies Göhr und Heike Drechsler sind dort zu finden. Auch die Namen des Biathlon-Bundestrainers Frank Ullrich und des deutschen Olympiaarztes Joseph Keul tauchen auf.“
„Doch niemand wusste anschließend so recht, was mit dem angesammelten Wissen geschehen sollte; es blieb bei zarten, nicht bindenden Empfehlungen an die Fachverbände. So wanderte Kühls pikante Liste ebenso ins Archiv des DSB wie die streng geheimen Protokolle der Kommissionssitzungen.“
Wenig zu unternehmen lag auch aus finanziellen Gründen auf der Hand, denn, so galt es wohl immer noch, die Förderung durch den Bund, speziell der Trainer, sei nicht von „erheblichem Bundesinteresse“, bei jenen Trainern „die sich dem Verdacht von Leistungsmanipulationen unter Verstoß gegen das Doping-Verbot aussetzen“ – so das zuständige Innenministerium am 25. Januar 1991. Die Überprüfung der Trainer oblag allerdings den Verbänden.
weitere Doping-Fälle
Weitere Dopingfälle mussten bearbeitet werden. Großes Aufsehen erregten die meisten anscheinend nicht. Noch immer anhängig war das Ermittlungsverfahren gegen die beiden Trainer Christian Gehrmann und Franz-Josef Simon in Zweibrücken. Ihnen wurde die Verbreitung und das Handeln mit nicht zugelassener Medikamente vorgeworfen. (>>> Fall Christian Gehrmann). Jahrelang hatte Gehrmann mit Kenntnis des DLV, so zumindest ließen es die bekannt gewordenen Informationen vermuten, seine Läuferinnen zum Dopen verleitet. Gehrmann war zwar inzwischen seinen Job als Bundestrainer los, arbeitete aber noch als Verbandstrainer in Bayern.
Anfang Mai wurde Iris Biba, Langstreckenläuferin, des Dopings überführt. Die vorgebrachte Ausrede war nicht akzeptiert worden. Ihr Trainer Rainer Föhrenbach, Olympiastützpunkt Frankfurt am Main, hatte angegeben, er selbst habe Anabolika für einen wissenschaftlichen Selbstversuch eingenommen. Die Athletin habe die Tabletten im Dunkeln mit ihren Schlaftabletten verwechselt. Föhrenbach war in 80er Jahren mit Prof. Heinz Liesen an Testosteronforschung beteiligt. (Singler/Treutlein, S. 297, >>> Heinz Liesen)
Mittelstreckler Thomas Kreuz, 24 Jahre, geriet ins Fadenkreuz der Dopingfahnder, als er einen Arzt bat, ihm eine mitgebrachte Ampulle Testosteron zu spritzen. Der Arzt weigerte sich und wandte sich an DLV-Generalsekretär Jan Kern und den Leitenden Verbandsarzt Professor Wilfried Kindermann. Kreuz gab an, das Hormon anonym zugeschickt bekommen zu haben. Im Jahr 1993 schrieb der Spiegel dazu, dass Kreuz lediglich eine Sperre von 8 Monaten (anstatt 2 Jahre) erhalten habe, dieses Urteil aber nicht veröffentlicht und auch nicht an den internationalen Verband IAAF gemeldet wurde.
„Grund für die Milde sei gewesen, so erinnert sich der DLV-Dopingbeauftragte Rüdiger Nickel, daß Kreutz eine „therapeutische Begründung“ für seinen Anabolikaeinsatz vorgab: Er sei häufig verletzt gewesen. Ansonsten habe der Athlet aber gestanden.“
Allerdings hatte er auch gelogen, wie Kreuz bei staatsanwaltlichen Ermittlungen zu der Herkunft des Testosterons angeben musste. Bereits im Jahr 1991 hatte er sich mindestens dreimal Testoviron gespritzt. Die Herkunft wurde nicht bekannt. (der Spiegel, 7.6.1993)
Auch der Kanuverband sah sich gebeutelt. Bei dem späteren Kajak-Weltmeister Detlef Hofmann (1995) wurde ein sehr hoher Testosteronwert festgestellt. Er beteuerte seine Unschuld und versuchte mit Gutachten einen Messfehler nachweisen zu lassen. Vergeblich, er wurde gesperrt. Noch 2007 beteuerte der 2003 zum Bundestrainer avancierte Hofmann im Vorfeld der Olympischen Spiele in Peking seine Unschuld. (Der Tagesspiegel, 8.8.2007)
Astrid Strauß, 23jährige Star-Schwimmerin und Olympia-Hoffnung aus Magdeburg, wurde Anfang März 1992 aufgrund eines zu hohen Testosteronwertes gesperrt. Sie leugnete und gab die Schuld ein paar Gläsern Erdbeerbowle. Ihr Fall schlug noch hohe Wellen.
Am 20. November 1992 wurde Kugelstoßer Kalman Konya vom DLV suspendiert wegen Verdachts der Vereitelung von Doping-Kontrollen. Anfang 1993 meldete sich der Sportler aus seinem Verein Salamander Kornwestheim ab um einer Sanktion zu entgehen. Konya, väterlicherseits Ungar, startete danach für den ungarischen Verband. 1990 war bekannt geworden, das Konya zusammen mit Föhrenbach und dem Schweizer Weltmeister Günthör an einer Anabolika-Studie an der Universität Heidelberg teilgenommen hatte (C4F-Link1). Im Oktober 1993 wurde Konya wegen Meineids verurteilt, da er unter Eid behauptet hatte, nie anabole Steroide genommen zu haben (FAZ, 16.10.1993). Dr. Bernhard Segesser, Schweizer Olympiaarzt und Günthörs persönlichrer Sportmediziner, gab indessen öffentlich zu, dass der Kugelstoßer Günthör seit 1985 mehrmals mit Stromba gedopt gewesen war (C4F-Link2). Heute arbeitet der Schweizer als persönlicher Fitness-Trainer und an der Schweizer Sportschule Magglingen in der Ausbildung. Bei der Leichtathletik-WM 2014 in Zürich wurde ihm die Ehre zuteil bei Christina Schwanitz die Siegerehrung vorzunehmen. Er und sein damaliger Trainer Egger, der heute Kugelstoßerin Valerie Adams aus Neuseeland trainiert, waren gern gesehene Gäste im Schweizer Fernsehen.
die Krabbe-Affaire, Teil II
Wenige Tage nach den Freispruch der drei Sprinterinnen Krabbe, Breuer und Möller durch das IAAF aus formaljuristischen Gründen wurde bekannt, dass die Springstein-Gruppe erneut mit Doping in Verbindung gebracht wurde. Trainingskontrollen am 22. und 23. Juli brachten das Kälbermastmittel Clenbuterol bei Katrin Krabbe, Grit Breuer und Manuela Derr zum Vorschein. Das Mittel war Bestandteil von Asthmamitteln. Prof. Donike hatte aus den USA und Kanade den Tipp erhalten, dass Clenbuterol bei nordamerikanischen Athleten aufgrund seiner anabolen Wirkung und trotz starker Nebenwirkungen, schon seit Längerem sehr beliebt sei. Auch Trainer Springstein hatte sich hier kundig gemacht. (der Spiegel, 10.8.1992) Er (und andere) konnten es allerdings schon früher wissen:
„Springstein wußte zudem genau, was er tat: In der letzten Dopingliste, die der Sportmedizinische Dienst der DDR im April 1990 in der Fachzeitschrift Der Leichtathlet veröffentlichte, ist Clenbuterol ausdrücklich als Dopingpräparat aufgeführt.“ (S. a. >>> Werner Franke 1993 über Clenbuterol)
Es stellte sich jedoch bei der Beurteilung des Falles Krabbe und Co das Problem, dass Clenbuterol nicht auf der Liste der verbotenen Medikamente stand.
Handelte es sich nun um Doping oder nur um Medikamentenmissbrauch? Der DLV ging erst einmal von Doping aus und sperrte die drei Sportlerinnen am 14.8.1992 für je 4 Jahre.
An der leistungssteigernden Wirkung des Mittels herrschte in Fachkreisen anfangs anscheinend wenig Zweifel. Ein im August 1992 erschien ein Artikel zum „Therapeutischen Potenzial“ beim Menschen in der Medizin-Fachzeitschrift The Lancet, in dem das Dopingpotential erkannt wurde. Prof. Keul allerdings sah dieses nicht, sondern behauptete recht schnell, es gäbe hierzu keine wissenschaftlichen Arbeiten. (Franke/Ludwig. S. 52ff). Doch wie immer war die einschlägige Sportwelt diesbezüglich schon längst von der Wirkung überzeugt, zumal das Mittel mit seiner kurzen Abbauzeit hervorragend in Trainingszeiten einzusetzen war.
Nun entbrannte ein intensiver Expertenstreit um Sinn und Unsinn dieses Mittels, Gutachten und Gegengutachten folgten einander und mitten drin agierte die Pharmaindustrie, die bemüht war, in Harmonie mit bekannten Sportmedizinern, die Harmlosigkeit ihrer Medikamente zu bestätigen.
„Obwohl längst offensichtlich ist, daß sich der Clenbuterol-Mißbrauch im Sport „wie eine Krake“, so der Dopingfahnder Donike, von Kalifornien über die gesamte Welt ausdehnt, wiegeln Keul und seine Kollegen weiter ab. Auch Professor Wilfried Kindermann, Arzt der deutschen Leichtathleten und der Fußball-Nationalelf, behauptete milde, es gehe nur um „Medikamentenmißbrauch, nicht aber Doping“. (der Spiegel, 14.9.1992).
Da konnten auch Meinungsänderungen vorkommen wie die des als Gutachter tätigen Frankfurter Pharmakologen Norbert Rietbrock, der anfangs angeblich empört schimpfte „jeden Dreck“, „jeden Blödsinn“ hätten sich Springsteins Mädchen „rein gehauen“, später aber Spiropent, das angewandte Präparat als gut verträgliches Medikament lobte.
Die Diskussion hatte zur Folge, dass die Vierjahressperre des DLV annulliert wurde. Die positiven Proben wurden nun lediglich als Hinweis auf Arzneimittelmissbrauch gewertet. Krabbe und Breuer erhielten am 26. März wegen sportwidrigen Verhaltens je eine Sperre von einem Jahr, Derr 8 Monate. Der IAAF verschärfte am 22. August 1993 mit derselben Begründung die Strafen. Die drei Sportlerinnen erhielten jeweils zusätzlich eine Sperre von 2 Jahren. Der DLV erhob dagegen zwar Einspruch, dieser wurde aber im November zurück gewiesen.
Clenbuterol und Doping im Fußball?
Nach Bekanntwerden der positiven Proben der Läuferinnen bekannte Christoph Daum, Trainer des VFB Stuttgart, offen, dass Clenbuterol beim VFB zur Rehabilitation von verletzten Sportlern eingesetzt wurde. Das habe aber mit Doping nichts zu tun (FR, 14.8.1992).
Schnell wurde dementiert, auch Daum nahm seine Äußerungen zurück. Es wäre kein Clenbuterol im Einsatz, er habe Clenbuterol mit Anabolika verwechselt, die üblicherweise während der Rehabiliotation von Langzeit-Verletzten zur Anwendung kämen, gedopt werde auf gar keinen Fall. Die BILD stellte das bald klar und frug „Will man Christoph Daum mit Gewalt einen Skandal anhängen?“ Die Erwähnung Daums der regelmäßigen Infusionen, die seine Spieler vor den Einsätzen erhielten, fand in der öffentlichen Diskussione wenig Echo, wurde nicht hinterfragt.
Während die Wogen noch nicht geglättet waren, preschte VFB-Präsident Mayer-Vorfelder (zugleich Kultusminister von Baden-Württemberg und Vorsitzender des Spielausschusses des DFB) vor und forderte einen geregelten Einsatz von Anabolika.
„Darf ein langzeitverletzter Spieler in der Rehabilitation seine körperliche Leistungsfähigkeit, die durch üblichen, bei Verletzungen normalen Muskelschwund beeinträchtigt wird, auch mit anabolen Präparaten wieder aufbauen, die auf der Dopingliste stehen, wenn er sie vor Beginn der Trainingsphase absetzt, so daß kein Wettbewerbsvorteil entsteht?“ „Für einen verletzten Spieler können keine anderen Maßstäbe gelten wie für den Nichtsportler.“
Offen blieben dabei die Fragen, wann die Rehabilitationszeit beendet ist, wer das bestimmt und wie zu bewerten ist, das Anabolika nur in Verbindung mit Training die gewünschte Muskelkaft hervorbringen. Meyer-Vorfelder stellte sich damit hinter einige Sportmediziner, insbesondere hinter >>> Armin Klümper, der z. B. für die Spieler des VFB Stuttgart und des SC Freiburg Ablaufstelle war. Klümper hatte zugegeben, Anabolika bei Verletzungen einzusetzen und meinte, dass seine von ihm behandelten Spieler z. B. bei einem Muskelfaserriss nur acht Tage aussetzen müssten.
„Die lachen nur darüber, daß andernorts deshalb acht Wochen und länger pausiert werden muß.“ Auch Vereinsarzt Edgar Stumpf hatte erklärt, dass beim VFB Stuttgart „im therapeutischen Bereich bei Langzeitverletzten […], bei Leistungs- wie auch bei Nichtsportlern, nach operativen Eingriffen mit längerer Ruhigstellung und damit verbundener Muskelverschmächtigung zur Wiederherstellung des muskulären Zustandes selbstverständlich ein Anabolikum verordnet“ werde (FAZ, 15.8.1992). Verbandsarzt Hollmann war 1991 vorsichtiger indem er gemeinte hatte, dass „die Grenzen zum anabolen Doping in der Muskelaufbauphase bei verletzten Spielern schwer zu ziehen sei und angemerkt [hat], man könne, wenn man es richtig macht hier auf Muskelaufbaupräparate verzichten.“ (FAZ, 17.10.1991)
Die Diskussion um Doping im Fußball war wieder (für kurze Zeit) entbrannt. Josef-Otto Freudenreich schreibt in der Stuttgarter Zeitung:
„Doch allen Beteuerungen zum Trotz und der gebetsmühlenhaft vorgetragenen (falschen) Erkenntnis, daß Doping im Fußball nichts bringe, wird nach Meinung von Szene-Kennern eben auch im Spielbetrieb manipuliert, was die Knochen halten.“ Er zitiert Klaus Steinbach, Chefarzt einer Rega-Klinik und einst Mannschaftsarzt des FC Homburg: „Es stinkt zum Himmel, wenn im Fußball behauptet wird, es werde nicht gedopt.“ Er erinnert sich „wie die Spieler zu mir gekommen sind und gesagt haben: Doc, ich brauch‘ was Starkes.“ „Ich setz mich auf keine Bundesligabank mehr, das kann ich mit meinem ärztlichen Eid nicht vereinbaren.“
Als ‚Alibikontrollen‘ bezeichnete Steinbach die durchgeführten Dopingtests. Per Zufallsprinzip bestimmt eine dreiköpfige Doping-Kommission, bei welchen Spielen kontrolliert wird. In der Saison 1991/1992 waren dies 5 %, dabei wurden aus jedem Team zwei Spieler ausgewählt. Insgesamt wurden so 188 oder 1,7 % getestet.
Die Stuttgarter Zeitung meint dazu ergänzend:
„Mit der Realität haben sie wenig bis nichts zu tun. Beispielsweise mit der Wirklichkeit jenes 14jährigen Jugendauswahlspielers, der vor wenigen Monaten bei einem Lehrgang an einer Münchner Sportschule aufgefallen war. Er könne nicht mithalten, hat er dem Trainer gestanden, weil ihm seine Tabletten ausgegangen seien. Der Sportmediziner Hans-Ulrich Jelitto hat sich die leere Schachtel angeschaut. Anabolika waren da einst drin.“ (Stuttgarter Zeitung, August 1992)
Die Diskussion führte zumindest dazu, dass der DFB begann über die Einführung von Trainingskontrollen nachzudenken. „Wir haben die Überlegung, unser Kontrollsystem auf die bestehenden Freiräume auszudehnen,“ so Justitiar Götz Eilers, der ansonsten anlässlich der Vorwürfe von Rufmord sprach (FR, 5.9.1992).
Anmerkung zu Trainer Thomas Springsteins weiterem Werdegang
Und was geschah hinsichtlich Trainer Springstein, wie verlief seine weitere Karriere?
Prof. Werner Franke wollte das Umfeld der Sportlerinnen hinterfragen. Er wollte, dass die Herkunft des benutzten Medikaments Spiropent ermittelt wird und stellte hierzu in Neubrandenburg eine Anzeige bei der Staatsanwaltschaft, erhielt darauf aber nie eine Antwort, das Verfahren wurde schnell eingestellt. Damit wäre auch Trainer Springstein mehr in den Mittelpunkt gerückt. Nach der ersten Affaire hatte DLV-Präsident Meyer zwar gesagt:
„Das faktische Arbeitsverhältnis mit Herrn Springstein wird beendet, und der DLV wird mit ihm für die Zukunft keinen Vertrag abschließen.“
Das hatte Springstein aber nicht daran gehindert, seine Läuferinnen für Barcelona fit zu machen. Er hatte in den Folgejahren auch immer wieder Trainerjobs bei Vereinen. So führte er Grit Breuer nach deren Sperre wieder in die deutsche Sprinterinnenelite.
1997 gab Frauke Tuttas zu Protokoll (Franke-Archiv), wie sie von ihrem Trainer Springstein als Jugendliche von 1985 bis 1987 Oral-Turinabol erhalten habe. Zu einer Anklage kam es nicht, der Fall Springstein wurde nicht weiter ermittelt.
Ab Ende 1998 stand er wieder in Diensten des DLV, als DLV-Stützpunkttrainer. Die aufkommende Kritik an dieser zunächst geheim gehaltenen Entscheidung, wigelte der DLV ab.
„Jeder hat das Grundrecht auf Resozialisierung“, sagte Digel, „im übrigen gilt für mich die Unschuldsvermutung. Wir können uns im Sport nicht über geltendes Recht hinwegsetzen.“ Man könne nicht auf der einen Seite über die Goldmedaillen von Grit Breuer jubeln und auf der anderen Seite die Anstellung ihres Trainers und Lebensgefährten kritisieren. (…) Wie Präsident Digel versichert, habe die Abteilung Leistungssport des Verbandes keine Bedenken gehabt. Springstein habe glaubwürdig ein Fehlverhalten eingeräumt. (die Welt, 13.2.1999).
2002 wurde Springstein zum Trainer des Jahres gekürt und im März 2006 wegen Dopings der minderjährigen Anne-Kathrin Elbe zu 16 Monaten Haft verurteilt. (TAZ, 21.9.2007: Dopingopfer Elbe) Heute soll er im zweiten Jahr junge litauische Sprinterinnen trainieren. (FAZ, 17.4.2008)
Ausführlicherer Informationen sind nachzulesen in Franke/Ludwig, Der verratene Sport, 2007, S. 41-87 und auf doping-archiv.de >>> hier: Trainer Springstein.
Neuauflage des Berendonk-Buches
Im Juni 1992 erschien die überarbeitete Auflage des Buches von Brigitte Berendonk ‚Doping Dokumente‘ jetzt unter dem Titel Doping – Von der Forschung zum Betrug. Die Autorin hatte sich weitgehend gegen ihre Kritiker durchgesetzt. Die Textpassagen, die nach den Einsprüchen einiger Sportprominenz geschwärzt werden mussten, waren nun wieder nachzulesen. Zudem hatten sich zusätzliche Fakten und Ereignisse ergeben, die in das Buch aufgenommen wurden. (tw Sport+ Medizin 4, 300 (1992)) Angestrengte Klagen hatten keinen Erfolg. So auch Diskus-Bundestrainer Karlheinz Steinmetz, der u. a. dazu verurteilt wurde 10 000 Mark Schadenersatz an Berendonk und ihren Verlag zu bezahlen. Die Staatsanwaltschaft ermittelte zudem „Falschaussage vor Gericht“ (>>> Karlheinz Steinmetz) Sicher war dies auch eine Niederlage für Prof. Joseph Keul, der nach dem Erscheinen der Erstausgabe heftig protestierte und sich als regelrecht von Brigitte Berendonk mit ‚biblischem Eifer‘ Verfolgter darstellte, und sie wegen persönlicher Verleumdung und Berufsschädigung verklagte, und in diesem Zusammenhang auch die weitere Zusammenarbeit mit dem Springer-Verlag, in dem das Buch erschienen war, aufkündigte. In Schreiben und Gesprächen versuchte er zudem seinen Fach- und Funktionärskollegen von einem ähnlichen Schritt zu überzeugen. Keul hatte zur Untermauerung seiner Haltung u.a. eidesstattliche Erklärungen von eindeutig dopingbelasteten Personen wie Uwe Beyer, Alwin Wagner und Karlheinz Steinmetz vorgelegt und auch erreicht, dass in der Erstausgabe einige Textstellen geschwärzt worden waren.
Zwei Meinungen zu Brigitte Berendonks Veröffentlichungen:
Prof. Dr. med. Wildor Hollmann in Deutsche Zeitschrift für Sportmedizin 43, 27 (1992), Bezug: Berendonk, Doping Dokumente 1991:
„Leider ist man in der Diskussion von einer seriösen wissenschaftlichen Berichterstattung und Deutung abgewichen. So werden Personen, ohne eine Rücksprache mit ihnen, auf der Basis von Zeitungsmeldungen aus den 70er Jahren zitiert, um hiermit den „Beweis“ zu erbringen, daß die genannten, z. B. Politiker, Funktionäre und Ärzte, dopingfreundlich seien. Verschiedene dieser der damaligen Presse entnommenen Zitate stammen von einem Deutschen Sportätztekongreß des Jahres 1976, auf welchem in einer Round-Table-Diskussion das Thema wissenschaftlich abgehandelt wurde: Anabole Steroide – das heutige Wissen zu gesundheitlichen und leistungsteigernden Effekten. Eine solche Diskussion ist eine sehr legale Aufgabe eines ärztlichen Forschers im Bereiche der Sportmedizin. Darüberhinaus wurde 1976 aus der Sicht des Deutschen Sportbundes nicht über ein Dopingmittel diskutiert, weil der DSB unter entsprechender Anregung des Deutschen Sportärztebundes Anabolika erst 1977 auf die Dopingliste setzte. * … Aus genannten Gründen ist das Buch nicht geeignet, für eine wissenschaftliche Fachzeitschrift im Detail besprochen zu werden. Umso befremdlicher wirkt es, daß einem seriösen ärztlichen Verlag wie dem Springer-Verlag ein solcher Mißgriff passieren konnte in der Übernahme dieses Buches.“
Prof. Dr. med. H.-V. Ulmer in TW Sport + Medizin 4, 4 (1992), Bezug: Berendonk, Doping 1992:
„Wenn der Präsident des Deutschen Sportärztebundes und des Weltverbands für Sportmedizin in seiner Besprechung der Erstausgabe dieses Buches (dt. Z. Sportmed. 43, 27, 1992) schreibt, das Buch sei „nicht geeignet, für eine wissenschaftliche Fachzeitschrift im Detail besprochen zu werden“, so könnte dies eine Hypothek für die nachfolgende Besprechung der Taschenbuchausgabe sein. Die mutige Autorin erhebt jedoch offensichtlich gerade nicht den Anspruch, ein wissenschaftliches Sachbuch vorgelegt zu haben. Die Neuausgabe der „Doping-Dokumente“ ist vielmehr wiederum als Kampfansage an diejenigen Sportler, Trainer, Mediziner, Sportwissenschaftler, Journalisten und Funktionäre konzipiert, die aktiv oder augenzwinkernd am Doping-Trauerspiel voller Possen, Farcen und Gaunerstückchen beteiligt sind. Wie notwendig eine Neuausgabe war, und zwar eine nunmehr „prozeßfeste“ und „gerichtlich gehärtete“, ergibt sich daraus, daß die zwischenzeitlich in der Erstausgabe (Springer-Verlag, Heidelberg) geschwärzten Textstellen jetzt wieder nachzulesen sind. Außerdem hat sich in den letzten Monaten durch die Doping-Skandale im DLV und die Neustrukturierung des gesamtdeutschen Hochleistungsports mit hemmungsloser Einbindung altgedienter DDR-Spezialisten viel neuer Stoff zum Thema angesammelt. Auf beides geht die Autorin in der Neuausgabe ein. … Der Sport mit seinem weltanschaulichem Überbau steht vor einem Schisma, und das pointiert-prägnante Buch von Frau Berendonk sollte gerade auch Wissenschaftler dazu herausfordern, eine klare Position zu beziehen. Zumindest ein Teil des Systems „Sport ist umgekippt, verfügt nicht mehr über genug Selbstreinigungskraft“ (S. 330). Ob allerdings die Trennlinie zwischen Dopern und Nichtdopern, zwischen „Hormis und Nichthormis“ oder zwischen Breiten- und Leistungssport verlaufen wird, bleibt abzuwarten.
Respekt gebührt schließlich den beiden Verlagshäusern, die dieses Buch der Öffentlichkeit zugänglich machten.“
* Anmerkung: Diese Aussage Hollmanns ist nicht korrekt. Bereits 1970 erließen DSB und IAAF ein Anabolika-Verbot. Das IOC folgte 1974. Die UCI hatte 1968 bis 1971 die Hormone verboten. (>>> Reglements 1950-1960)
Kritik am Spitzensport
Am 25. Juli begannen in Barcelona die Olympischen Sommerspiele. Wie immer verkündeten die Offiziellen ihren Wunsch nach friedlichen, harmonischen und fairen Wettkämpfen der Jugend der Welt. Von viel Harmonie gab es in den kritischen deutschen Medien jedoch nicht zu lesen und hören. Neben des immerwährenden Konflikts zwischen Ost und West wurde der Spitzensport in Gänze an den Pranger gestellt, Doping war dabei nur ein Punkt, nur eine Folge der festgestellten Leistungsperversionen.
Helmut Digel, Präsidiumsmitglied im Deutschen Sportbund (DSB), moniert:
„Im Medaillenfieber unterscheiden sich Demokratien kaum noch von totalitären Sportsystemen. Siege gehören längst denen, die das „größere ingenieurwissenschaftliche Untersuchungsprogramm“. „Spitzensportler seien heute auf einen komplexen Beraterstab angewiesen, der „bereit ist, übliche ärztliche Befugnisse zu überschreiten“. (der Spiegel, 20.7.1992)
Hans Lenk, 1960 mit dem Achter Ruder-Olympiasieger, Philosophieprofessor und NOK-Mitglied wird sehr deutlich. Er kritisiert die sinnlose Jagd nach Bestzeiten und technische Aufrüstung ebenso wie die Funktionärskreise.
„Was bringt es, Miniunterschiede auf tausendstel Sekunden auszurechnen? Besonders abstrus ist da das Beispiel von der Weltmeisterschaft 1991 in Tokio, als zwei sowjetische Geher nach 50 Kilometern Arm in Arm ins Ziel marschierten und einer schließlich nach mühsamer Foto-Finish-Arbeit zum Sieger erklärt wurde.“ (…)
„Die [Funktionäre] arbeiten doch nur nach dem Gebot „Hauptsache, das eigene Image stimmt“. Ansonsten benehmen sie sich wie Ersatzpolitiker im Freizeitbereich. (…) Durch die Möchtegern-Mächtigen wurden die vier F der Turner – Frisch, Fromm, Fröhlich, Frei – umgewandelt in die vier M: Mammon, Macht, Medien, Mediokrität. (…) Der deutsche Sport hätte die Chance eines „Management by Champions“, weil er über viele erfahrene Meister verfügt. Statt dessen wählte er aber die aus der Organisationssoziologie wohlbekannte Strategie des „Management by Champignons“: Die Mitarbeiter im Dunkeln lassen und mit Mist bedecken. Und wenn sich Köpfe zeigen – abschneiden.“ (der Spiegel, 20.7.1992)
Das ZDF legte sich ebenfalls keinen Maulkorb an. In der Sendung Zündstoff ‚Die Ware Sport – der wahre Sport?‘, Redaktion Marcel Reif, wurde von verschiedener Seite mit deutlichen Worten anlässlich der Spiele in Barcelona der sich darbietende Hochleistungssport im Würgegriff des großen Geldes und der Mediengiganten heftigst infrage gestellt. Auch mit dem praktizierten Journalismus wurde nicht zimperlich umgegangen. Heidi Schüller, 1972 Athletensprecherin und Sprecherin des Olympischen Eides und selbst Journalistin, bezeichnet einen Großteil ihrer Kollegen als Hofberichterstatter, Teil des Systems, seit Jahrzehnten dabei und voll informiert, aber nicht berichtend, was sie eigentlich berichten müssten. Der internationale Hochleistungssport sei längst in weiten Teilen Skandalsport, gebeutelt und geprägt von finanzieller und sportlicher Korruption. Sie fasst die Lage der Sportler wie folgt zusammen:
„Man hat ein Kästchen und da sind ganz viel Flöhe drin und man lässt sie springen, hüpfen und machen und tanzen nach seiner Nase und wenn einer runter fällt, dann tritt man drauf… „
Und der NDR brachte einen langen kritischen Beitrag ‚Herr der Ringe‘ von Andrew Jennings über Korruption in IOC und Weltverbänden, insbesondere auch zur Person des Präsidenten Samaranch und die Rolle der ISL, der einflussreichen Adidas-Marketinggesellschaft. Die Dopingrealität wird als ernst gezeichnet, Bemühungen Doping zu bekämpfen als Schein dargestellt, insbesondere der IAAF unter Präsident Nebiolo wird durch den ehemaligen ärztlichen Direktor der USOC Robert Voy der Manipulation und Förderung dieser Spielart des Sportbetrugs bezichtigt. Jennings hatte im Mai 1992 zusammen mit Vyv Simson das IOC-kritische Buch „Lords of the rings“ („Geld, Macht und Doping“) veröffentlicht.
Kein Wunder, dass in dieser unangenehmen Atmosphäre die mächtigen Herren des deutschen Sports über die Berichterstattung ’not amused‘ waren, Thomas Bach z.B., IOC-Mitglied sah viel Schmutz und Demagogie auf dem hehren Sport abgeladen und bemühte die Öffentlichkeit, die sicher die Wahrheit erkennen könne.
Olympische Spiele in Barcelona
Wer nun gehofft hatte, die Spiele in Barcelona würden die unangenehmen Nachrichten und Diskussionen in den Hintergrund drängen, wurde enttäuscht. Das Thema war nicht auf die Deutschen beschränkt, das Misstrauen war verbreiteter.
„Wie groß das Mißtrauen der Sportler untereinander ist, war vor allem bei den Leichtathleten offensichtlich. Beinahe nach jeder Entscheidung wurde als erstes über Drogen diskutiert. (…) Genauer als sonst schaute sich jeder seinen Gegner an – und redete dann offen über seinen Verdacht. Die deutsche Hürdensprinterin Gaby Roth beschloß noch im Startblock zum Halbfinale, auch künftig lieber vorzeitig auszuscheiden, als daß „bei mir Bartstoppeln wachsen wie bei der Griechin neben mir“ – die bis Barcelona international erfolglose Paraskevi Patoulidou, Ehefrau eines Gewichthebers, wurde Olympiasiegerin. Das Klima ist so vergiftet, daß nicht einmal mehr die Mütter ihren Töchtern uneingeschränkt vertrauen. Als die Jamaikanerin Juliet Cuthbert gleich nach dem Gewinn der Silbermedaille über 200 Meter mit ihren Eltern telefonierte, lautete die erste Frage der Mutter: „Juliet, are you under drugs?“
Der Cheftrainer der australischen Leichtathleten Kelvin Giles erklärte z. B. kurz nach den Spielen, dass Doping in Barcelona ebenso wie bereits bei den Spielen zuvor Normalität gewesen sei.
„Er sei verblüfft darüber gewesen, in welcher Offenheit die Sportler die Einnahme von Dopingmitteln zugegeben hätten. „Ich habe zuverlässige Informationen aus vielen Mannschaften.“ Der „Renner“ unter den verbotenen Mitteln sei Clenbuterol.“ (FR, 14.8.1992)
Da dürfte das Bekanntwerden der Clenbuterol-Affaire um Sprintidol Katrin Krabbe so manchen Sportinvolvierten und Zuschauer nur noch mäßig überrascht haben.
Zu einem Eklat kam es nach dem 400m Freistil-Sieg Dagmar Hases im Olympia-Fernsehstudio. Entschieden widmete sie ihren Sieg ihrer gesperrten Freundin Astrid Strauß, die wegen eines zu hohen Testosteronwertes zuhause bleiben musste.
„“Wie ein Tier“ sei Strauß behandelt worden. „Jetzt müssen Köpfe rollen“, forderte Hase martialisch.“ Insbesondere meinte sie wohl Harm Beyer, der die „Frechheit“ gehabt hatte ihr bei der Siegerehrung die Medaille umzuhängen. Hintergrund waren im Juni Vorfälle bei der Schwimm-Meisterschaft in München. Astrid Strauß
„wurde vor dem Start vom Publikum minutenlang ausgebuht und erfuhr erst nach dem Rennen, dass sie bereits vom Verband gesperrt war. Die Verfolgung durch Kamerateams in der Schwimmhalle tat dann ein übrigens zur Komplettierung der entwürdigenden Situation.“ (J. Braun, S. 170) „Wenn der Ost-West-Konflikt im deutschen Sport ein hässliches Bild hinterlassen hat, dann waren es die Szenen von der Olympiaqualifikation (…). Ein wahrer Spießrutenlauf.“ (Berliner Zeitung, 24.7.2003).
Der Schwimmverband sah sich einer ernsthaften Krise ausgesetzt. Zwei Tage später trat der ehemalige DSV-Präsident Harm Beyer von seinem Posten als Anti-Doping-Beauftragter zurück. (>>> mehr zum Fall A. Strauß)
Antidoping-Bemühungen auf breiter Basis – gefordert aber selten
Während die deutschen Verbände turbulente Zeiten durchlebten gab es auch Stimmen, die von den Verbänden Maßnahmen einforderten, mit denen auf breiter Basis dem Doping entgegengewirkt werden könnte. Initiativen einzelner Sportler und Sportgruppen waren begrüßenswert und wichtig, doch um langfristige und nachhaltige Änderungen herbeizuführen bedürfe es breit angelegter Aufklärungs- und Präventionsaktionen, die in den Nachwuchsbereich und Breitensport hinein reichten. Eberhard Munzert, ehemaliger DLV-Präsident, schreibt am 5. März in der Stuttgarter Zeitung:
„… Warum startet der deutsche Sport nicht auf breiter Ebene Anti-Doping-Veranstaltungen, die über alle Probleme des Dopings aufklären? Das gilt insbesondere für den Nachwuchsbereich des Sports. Entsprechende Anregungen an den DSB-Präsidenten Hans Hansen, den OLV und seine Landesverbände bleiben bisher weitgehend ohne Resonanz. Schon Mitte 1988 hatte ich NOK-Präsident Willi Daume aufgefordert, eine Anti-Doping-Kampagne zu starten, beispielsweise mit Plakaten von sauberen Athleten und dem Aufdruck: Weltklasse – ohne Doping. Eine Antwort bekam ich Anfang 1991, passiert ist nichts.
Mit viel Aufwand sowie mit Unterstützung des DSB und namhafter Athleten (zum 8eispiel Steffi Graf, Lothar Mathäus) hat die Bundesregierung die Kampagne gestartet: Keine Macht den Drogen. Damit soll sogar bei den Olympischen Spielen „für ein glückliches Leben ohne Drogen“ geworben werden, so die Gesundheitsministerin Hasselfeld. Aber was ist mit der gewünschten Vorbildwirkung, wenn der Sport selbst nicht sauber ist? Wäre es nicht sinnvoll, wenn der deutsche Sport selbst eine ähnliche Aktion starten würde mit dem Motto „Sport – ohne Doping“? Saubere Athleten wie Heike Henkel oder Dieter Baumann und Dietmar Haaf stünden hierzu bestimmt bereit.
Auf welche Resonanz eine solche Aktion bei Jugendlichen stößt, zeigte der Andrang am Informationsstand der privaten Anti-Doping lnitiatlve „Saubere Leichtathletik“ bel den Deutschen Jugend-Hallenmeisterschaften Mitte Februar in Hanau. Selbst Präsident Meyer und sein Sportwart Steinbach stellten sich davor in Positur. Obwohl sie sonst mit der Initiative nichts zu tun haben wollen. Glaubwürdiger werden sie dadurch sicher nicht.“
Innerhalb des Westdeutschen Schwimmverbandes bemühten sich engagierte Dopinggegner in diesem Sinne um Informationen und Aufklärung. Für den 22. August 1992 luden sie unter Regie des WSV-Düsseldorf in Düsseldorf zu einem Antidoping-Symposium ein. Auf dem Podium fanden sich erfahrene Sportler/innen und Funktionsträger aus verschiedenen Sportarten, nicht von ungefähr aus der Leichtathletik und dem Radsport. U.a. saßen Liesel Westermann, die in den 70er Jahren schon die Dopingpraktiken in der Leichtathletik angeprangert hatte und darauf auch in einem Buch eingagangen war, Udo Hempel, ehemaliger Radsportbundestrainer, NRV-Radsportverbandsarzt Dr. med. Michael Misterowicz, Prof. Gerhard Treutlein von der Universität Heidelberg auf dem Podium. Auch der kürzlich zurückgetretene Antidopingbeauftragte des DSV Harm Beyer war anwesend und hielt mit seine Meinung nicht zurück:
„Es sei doch eine Ignoranz der Tatsachen wenn die Dopingjäger meinen, es sei seinerzeit nur in der verblichenen DDR und in den Ostblockstaaten gedopt worden. „Weltweit wurde und wird auch in der westlichen Welt gedopt. In Anbetracht der Einflüsse von Kommerz und damit dem Zwang zum absoluten Erfolg trete ich für die Freigabe von leistungsfördernden Mitteln unter ärztlicher Aufsicht ein!““
>>> Bericht über das Symposium
tiefe Gräben
Die Gräben zwischen den Hochleistungssportlern und Verbänden brachen nach den Spielen in Barcelona weiter auf. Die Sportler suchten nach mehr Autonomie, wollten mitreden und vor allem auch mitverdienen. Je wichtiger Sponsoren wurden, je wichtiger die Vermarktung der Wettkämpfe, desto mehr sollte der Sportler selbst auch profitierender Teil dieser Entwicklungen sein.
„Ob Volleyball- oder Basketballspieler, ob Ringer oder Skifahrer, ob Tischtennisprofis oder Leichtathleten – überall im bisher so kommoden Reich der deutschen Feierabend-Funktionäre regt sich der Widerstand der Sportler. Ganze Aktivengruppen haben sich inzwischen losgesagt. Mal stört sie die zaghafte Dopingbekämpfung, mal die fehlende Vermarktungsstrategie, mal die mangelnde Betreuung.“
Die Biathleten nahmen sich ein Beispiel an den Zehnkämpfern, die sich Ende 1990 selbstständig gemacht hatten und sich ein besonderes Antidoping-Programm gegeben hatten. Deren Image stimmte:
„Die Zehnkämpfer führten Dopingkontrollen im 14-Tage-Rhythmus ein und verpflichteten sich vertraglich, bei Vergehen gegen die strikten Kontrollen 25 000 Mark Strafe zu zahlen. Die sauberen Gladiatoren fanden vier großzügige Sponsoren. Und Bundestrainer Claus Marek registriert einen „Riesen-Zulauf“ für den Mehrkampf in Deutschland. Bei Olympia wurden die Zehnkämpfer Paul Meier, Frank Müller und Thorsten Dauth als „Vorbilder“ (Süddeutsche Zeitung) gefeiert.“
Biathlet Jens Steinigen ergriff die Initiative und verfasste eine Anti-Doping-Resolution, mit der
„unerlaubte Mittel jeder Art“ geächtet, unangemeldete Kontrollen befürwortet und Bluttests gefordert“ wurden. „Die Maßnahmen sollen, so Steinigen, den Biathlonsport „von innen säubern“ und die Dopingverdächtigungen „ausräumen“.“ (FAZ, 18.4.2005). (der Spiegel, 26.10.1992) Jens Steinigen meinte auf Nachfrage: „Ich erinnere mich daran, dass es div. Probleme bei der Unterzeichnung gab, da einige meiner damaligen Kollegen sich nicht beteiligen wollten. Nur die Damenmannschaft hat die Erklärung damals durchweg positiv unterstützt. Folgen hatte die Vereinbarung eigentlich nicht. Wir wollten damals die Dopingvergangenheit im Biathlon abschließen und ein Signal für die Zukunft setzen. Hat aber eigentlich niemanden wirklich interessiert.“
Neben diesen grundsätzlichen Schwierigkeiten innerhalb der einzelnen Gruppen, Sportler, Funktionäre, Sponsoren usw. schwelte im deutschen Sport der Ost-West-Konflikt munter weiter. Brigitte Berendonks neuaufgelegtes, überarbeitetes und ergänztes Buch ‚Doping Dokumente‘, jetzt unter ‚Doping – von der Forschung zum Betrug‘ erschienen, trug wesentlich dazu bei, dass es nicht gelang den Mantel des Schweigens vollständig über die Vergangenheit zu legen.
Deutlicher als zuvor wurde darin aber auch das systembedingte DDR-Doping. Es traf viele Sportarten, doch Schwimmen und Leichtathletik gerieten wieder in den Mittelpunkt. Auch weil hierüber die meisten Dokumente zugänglich waren. Allein 220 DDR-Leichtathleten wurden namentlich genannt als Sportler, die in „bisher bekanntgewordenenen Dopingberichten der DDR als mit Anabolika bzw. mit Neuropeptiden gedopt aufgeführt sind.“ (Berendonk, S. 181f)
Nicht alle genannten waren bereit dies zuzugeben, viele fühlten sich zu Unrecht an den Pranger gestellt. Heike Drechsler z. B., Olympiasiegerin, leugnete und bezichtigte Brigitte Berendonk der Lüge, sie „habe einfach ein paar „große Namen eingebaut“, um ihr Buch besser verkaufen zu können“. Die Autorin ging daraufhin vor Gericht und klagte auf Unterlassung der Äußerungen und gewann. Berendonk musste sich gegen einige Drechsler nahestehende Verwandte und auch Journalisten erwehren, die zugunsten Heike Drechsler unter Eid falsch aussagten. Es nützte nichts, „Ihr Ehemann Andreas, der Schwiegervater und zwei Journalisten wurden wegen uneidlicher Falschaussage zu fünfstelligen Geldstrafen verurteilt, ihr Manager mit 120 Tagessätzen belegt.“ Die angesehene Sportlerin selbst akzeptierte dann 1995 eine Strafe von 6000 Mark. Heike Drechsler war zum Zeitpunkt des Dopings erst 17 Jahre alt (dpa, 25.3.1994, Berliner Zeitung, 6.9.1995, der Spiegel, 28.12.1992, der Spiegel, 7.8.1995)
die Trainerfrage Ost, eine unendliche Geschichte
Ende 1992 kocht erneut die Trainerdiskussion um ehemalige DDR-Trainer hoch. Manfred von Richthofen zeigte Konsequenz. Der Vizepräsident des Deutschen Sportbundes (DSB) legte Anfang Dezember 1992 sein Amt als Mitglieder Jury zur Verleihung des Josef-Neckermann-Preises nieder. Die Jury hatte Jugend-Schwimmtrainer Dieter Lindemann ausgezeichnet. von Richthofen:
„Ich sehe mich grundsätzlich außerstande, weiter in einem Gremium mitzuwirken, das eine Person wählte, die nach unseren Recherchen leider keine Gewähr dafür bietet, jederzeit für einen dopingfreien Sport einzutreten.“ (FAZ, 5.12.1992)
DR. BERND SCHUBERT
Und wieder stand Dr. Bernd Schubert in der Kritik. Schubert, der 1991 rechtskräftig nach einer gerichtlichen Auseinandersetzung mit Brigitte Berendonk als „ausgewiesener Fachdoper“ und „aktiver Teilnehmer am Anabolika-Doping“ bezeichnet werden durfte, war im Februar 1992 aufgrund dessen als DLV-Cheftrainer abgelöst, einige Monate später aber wieder kommissarisch eingesetzt worden. Die Ergebnisse und Empfehlungen der ad-hoc-Kommission unter Manfred von Richthofen wurden vom DLV negiert bzw. verharmlost. Die Überprüfung des Trainers durch die eingesetzte Juristenkommission erbrachte eine positiv beurteilte Sozialprognose. Brigitte Berendonk legte der Kommission Dokumente vor unter denen sich Aufzeichnungen Prof. Riedels über eine Doping-Konferenz 1986 in Kienbaum, an der auch Schubert teilgenommen hatte, befanden. (s. Berendonk, Doping, S. 225ff). Ausgerechnet Prof. Riedel wurde dann vom DLV zu den Verstrickungen Schuberts in das DDR-Dopingssystem gehört. >>> Hartmut Riedel, der selbst höchst belastet war und wenige Zeit später seine Professur in Bayreuth aufgeben musste, hat Schubert „sehr entlastet“, wie Rüdiger Nickel, Dopingbeauftragter des DLV im Dezember 1991 erklärte. „Die publik gewordenen Aufzeichnungen bezeichnete Riedel als „persönliche Notizen“, die keinen Protokiollcharakter gehabt hätten.“ (FAZ, 23.12.1991)
Im Frühjahr 1992 gestand Schubert eine „Mitschuld“ am DDR-Doping. Die Staatsanwalschaft eröffnete daraufhin ein Ermittlungsverfahren „wegen der Abgabe einer falschen eidesstattlichen Versicherung“, da er ausgesagt hatte, „niemals Dopingkonzeptionen aufgestellt oder vermittelt“ zu haben. Das brachte ihm 9000 Mark Strafe ein. (der Spiegel, 28.12.1992).
„Er düpierte damit auch auf einen Schlag die Verbandsführung, da er gleichzeitig offenbarte, die DLV-Gremien bereits lange zuvor über diese Tatsache informiert zu haben. DLV-Generalsekretär Jan Kern musste diesen Umstand öffentlich zugeben – so dass am Ende des Jahres 1992 die Glaubwürdigkeit nicht nur des Trainers Schubert, sondern auch des Verbands weitgehend in Scherben lag.“ (J. Braun, S. 161) DLV-Präsident Helmut Meyer wird zitiert „Entlasse er Schubert, müsse er sich selbst als Pharisäer bezeichnen (…) ‚denn es dürfte dann nicht bei Schubert bleiben‘ “ (FAZ, 17.12.1992, zitiert nach Singler/Treutlein, S. 147)
LUTZ KÜHL
Für weiteren Unmut im DLV sorgte insbesondere die Auseinandersetzung um Speerwurftrainer Lutz Kühl. 1991 war er aufgrund der Stellungnahme einer DLV-Juristenkommission, begleitet von einer ‚günstigen Sozialprognose‘ eingestellt worden, ab dem 1.1.1993 war er Bundestrainer. (s. Wendezeit II). Der Münchner Speerwurftrainer Siegfried Becker, verantwortlich für Nachwuchswerferinnen, hatte sich gegen dessen Einstellung gewehrt. Kühl hätte zu DDR-Zeiten minderjährige Mädchen gedopt. „Becker suchte in einem achtseitigen Brief Rat beim DLV: „Was antworte ich unserem Nachwuchs, wenn ich auf diese Anschuldigungen gegen Kühl angesprochen werde?“ (der Spiegel, 28.12.1992). Manfred Steinbach, DLV-Sportwart meinte, Lutz Kühl würde mit seinem Vater verwechselt werden, es gäbe keinen Fall Kühl. Siegfried Becker wurde entlassen – aufgrund seines Protestes?
„Wir haben ihm das Aufgabengebiet entzogen. Diese Entscheidung aus sportfachlichen Gründen fiel vor der Zeit, als die ersten denunzierenden Briefe kamen.“ Auch Junioren-Bundestrainer Wolfram Ruth stellt sich vor seinen Kollegen. „Es gibt keinen Fall Kühl. Das ist die Reaktion eines verärgerten Trainers. Die Mehrheit der Zuständigen im DLV war nicht mehr bereit, mit Herrn Becker zusammenzuarbeiten. Die infamen Verdächtigungen sind nicht haltbar.“ (sid/FAZ, 20.1.1993)
Brigitte Berendonk allerdings widersprach. Heidi Krieger hatte in der Ausgabe 51 der DDR-Zeitschrift ‚Der Leichtathlet‘ gesagt, Lutz Kühl sei ihr Trainer. Wie Heidi Krieger angedopt wurde, war in Berendonks Buch nachzulesen. „Erst später, als sie noch mehr Dope nahm und noch weiter stieß, wurde sie vom Vater übernommen. Die DDR-Dokumente belasten Vater und Sohn Kühl.“ (Süddeutsche Zeitung, 1.1993)
Die Deutsche Speerwurfschule stellte sich hinter Siegfried Becker. Dr. Roland Rau, der Vorsitzende der Schule, wandte sich in einem Brief an die Mitglieder, in dem es u.a. hieß, Beckers Entlassung ohne Vorwarnung oder Anhörung nach dessen Beschwerdebrief an Steinbach über Lutz Kühl, sei eine
„ungewöhnliche und ungeheuerliche Maßnahme.“ Sie spiele sich „leider gekoppelt mit anderen unbegreiflichen Schritten des DLV ab: Schwer vorbelastete ‚DDR-Trainer‘ werden sukzessive an die Posten der Westtrainer gesetzt. … Den größten Fehlgriff tat jedoch der DLV mit der Berufung des Herrn Lutz Kühl zum Blocktrainer Wurf ‚Nachwuchs‘. Gerade er war als Mitglied des Stasi-Clubs Dynamo Berlin der skrupelloseste Jugenddoper. Er dopte Mädcchen mit wesentlich höheren Dosen von Anabolika, als selbst die ‚DDR-Mediziner‘ vorschrieben. Ein unvorstellbarer Eingriff in das Leben junger Menschen und bewußte Körperverletzung dazu. Der DLV tut gut daran, sich von Herrn Lutz Kühl zu trennen. Für uns ist er untragbar.“
Rau forderte die Nachwuchswerferinnen auf, sich für Becker bei Rüdiger Nickel, dem Anti-Doping-Beauftragten des DLV, einzusetzen.
Einrichtung einer DSB-Schiedsstelle
Die Verbände innerhalb des DSB konnten sich, mussten aber nicht, die Anti-Doping-Bestimmungen des DSB in ihre Satzungen übernehmen. Entsprechend unterschiedlich fielen auf nationaler Ebene die Urteile bei Vergehen aus zumal die Verbände selbst dafür verantwortlich waren. Um hier Einheitlichkeit zu erhalten, wurde schon seit Längerem die Einrichtung einer übergreifenden Schiedsgerichtsbarkeit erwogen. Im Juni 1992 wurde auf Anregung der Präsidien des NOK und des DSB ein Arbeitskreis mit Juristen eingesetzt, der sich insbesondere mit einer Einrichtung eines DSB-Schiedsgerichtes oder einer -Schiedsstelle befassen sollten. Die Expertengruppe legte im Oktober erste Abwägungen und Kostenschätzungen vor. Ein konkreter Bedarf bei den Spitzenverbänden sollte daraufhin ermittelt werden. Im Juli 1993 wurde der Ständigen Konferenz der Spitzenverbände eine Auswertung einer Umfrage vorgelegt, in der die Anti-Doping-Maßnahmen der einzelnen Verbände aufgelistet waren.
Ob daraus weitere Verbands-Initiativen abgeleitet wurden, ist mir nicht bekannt. Es wurde jedenfalls in den folgenden Jahren kein verbandsübergreifendes Schiedsgericht etabliert. Es dauerte bis zum 1.1.2008 bis das erste unnabhängige Deutsche Sportschiedsgericht seine Arbeit aufnehmen konnte. Allerdings sind die Verbände weiterhin nicht verpflichtet ihre eigene Sportgerichtsbarkeit aufzugeben. (Karsten Mertens)