Trainer Christian Gehrmann
Anfang der 70er Jahre wurde immer deutlicher, dass Anabolika besonders in den Wurf- und Stoßdisziplinen der Leichtathletik die Höchstleistungen bestimmten. Die Leistungsprünge vor allem osteuropäischer Athleten und Athletinnen waren enorm, auffällig waren aber auch die körperlichen Merkmale. Viele Sportler und Trainer, die die Hormongaben ablehnten, sahen kaum mehr Chancen auf Titel und Erfolge.
Diese waren aber unverzichtbar im Hochleistungssport um Gelder zu erhalten und im ausgebrochenen Wettkampf der politischen Systeme bestehen zu können. Entsprechend wurden in der Bundesrepublik die Signale ausgesendet bzw. argumentiert. So waren die offiziell festgelegten Qualifikationsnormen so hoch angesetzt, dass sie ohne medikamentöse Nachhilfe kaum erreichbar waren, moniert wurde dann aber fehlende Leistungsstärke. Das brachte Hansjörg Kofink, Kugelstoßbundestrainer der Frauen, 1972 auf den Plan. Als seine Sportlerinnen nicht zu den Olympischen Spielen nominiert wurden, schlug er Alarm. In Schreiben an NOK und DLV erläuterte er die Zusammenhänge und verlangte von den Verantwortlichen im Verband einen Kurswechsel. Als dieser nicht erfolgte, gab Hansjörg Kofink seine Bundestrainertätigkeit auf.
>>>Kofink an NOK; 1972
>>> NOK an Kofink, 1972
>>> Kofink Antwort an NOK, 1972
>>> Kofink an DLV, 1972
Christian Gehrmann zu der Zeit Trainer von Eva Wilms und Beatrix Philipps, die er erfolgreich coachte, 1976 zum Bundestrainer gekürt, verkörperte einen anderen Typus. Er hatte keine Berührungsängste mit pharmazeutischen Mitteln. Das war bekannt und schnell gerieten die plötzlichen Leistungssprünge von Eva Wilms unter Gehrmann in den Verdacht mit Anabolika erreicht zu werden. Schon 1976 nahm der Düsseldorfer Sportjournalist und frühere Marathon-Olympiateilnehmer Manfred Steffny kein Blatt vor den Mund und warf Gehrmann und Wilms in einer TV-Sendung Anabolika-Doping vor. (der Spiegel, 25.10.1976)
Bis 1990 zeigten seine Sportlerinnen international und national Höchstleistungen. Auch Brigitte Berendonk fielen die Veränderungen an den jungen Frauen schnell auf. Sie wandte sich mit ihrem Verdacht an die Presse aber auch an direkt Verantwortliche wie Prof. Armin Klümper, der ihr am 18.3.1977 schriftlich bestätigte, er habe
„der Schilderung ihrer Fälle nichts hinzuzufügen, auch nicht hinsichtlich der Erwähnung von Eva Wilms, Beatrix Philipp oder dem zuständigen Trainer Gehrmann. Herr Gehrmann ist sicher das typische Beispiel des Trainers bzw. Verantwortlichen, der um jeden Preis Erfolg haben will.“ (Berendonk, S. 271)
Ein Mittel zum Erfolg stellte z. B. die Antibabypille dar, mit der er experimentierte, wie er es selbst auch einräumte.
1977 GEHRMANN ANTWORTET AUF BRIGITTE BERENDONK
Nachdem Gehrmann 1976 zum Bundestrainer aufstieg schrieb Brigitte Berendonk:
Der Verband betraute “ jenen Trainer Christian Gehrmann mit der Erziehung junger Werfer und Werferinnen, den der schwedische Diskusstar und Anabolikaexperte Ricky Bruch öffentlich als eine der Hauptfiguren der Anabolikaszene bezeichnet hat. Bei ihm verzeichnet nun die Kugelstoßerin Eva Wilms einen so überraschenden Leistungsanstieg wie Stimmniedergang. Ich weiß wovon ich rede: Ich habe in der Tat die Stimme meiner früheren Sportkameradin kürzlich nicht mehr wiedererkannt.“. (Berendonk, der Sport geht über den Rubikon 26.2.1977)
Wenig später wiederholte sie ihre Vorwürfe im Aktuellen Sportstudio und meinte u.a. „fast alle Kugelstoßer von Weltklasse, auch die deutschen, sind hormonverseucht und gedopt.“ (Diskussionen im aktuellen Sportstudio, 5.3. und 26.3.1977)
Gehrmann wies dies umgehend zurück. In der Illustrierten Sport 4/77 bekam er ausführlich Raum für eine Erwiderung. Er leugnet nicht Mittel anzuwenden,
„beispielsweise die Medikamente Xobaline oder Cobazymase, das sind Mittel mit anabolen oder anabol-ähnlichen Wirkstoffen, die man frei in jeder Apotheke kaufen kann und die keinerlei Nebenwirkung haben. Wir verwenden vor allem auch Vitamin E, das in dem Präparat Granaton‘, einem Saft, enthalten ist. Das kann völlig ohne Nebenwirkung sowohl von Jugendlichen als auch von Greisen konsumiert werden. Ebenfalls sehr gut sind Weizenkeimextraktkapseln.“
Er gab zu 1975 einen Eigenversuch mit Anabolika gemacht zu haben, allerdings seien diese danach sehr lange nachzuweisen gewesen und so habe er seine Athleten davor gewarnt. Die tiefe Stimme Eva Wilms sei angeboren, bereits als Baby, so ihre Mutter, habe sie schon lauter geschrieen, als andere. Die Stärke der Athletin Wilms wäre begründbar durch Veranlagung, ein spezifisches Training, eine vernünftige Lebensweise mit zehn Stunden Schlaf und eine gesunde Ernährung: täglich drei bis fünf Liter Vorzugsmilch, drei bis fünf Eier, viel Fleisch, ein Pfund Magerquark, Vitamin E, Mineralien und Eisen. Eva Wilms wurde im Dezember 1977 zur Sportlerin des Jahres gewählt, in diesem Jahr hatte sie Bestleistung von 21,43 Meter erreicht.
Zu Ricky Bruch meinte er, dieser
„wurde von der Schweizer Diskuswerferin Rita Pfister in der Bar angesprochen und gefragt, welche Pillen man denn nun wirklich nehmen müsse, um ein Diskuswerfer der Weltspitzenklasse vom Schlage eines McWilkins zu werden. „Um 70 Meter zu werfen“, erklärte Ricky geheimnisvoll, „muß man schon einiges an Pillen essen,“ Und um dieser Aussage Nachdruck zu verleihen, machte er sich flugs daran, auf ein Blatt Papier so ziemlich alle Medikamente, die ihm bekannt waren, aufzuschreiben, nach getaner „Arbeit“ reichte der „alte Schwede“ der Rita Pfister den Zettel mit der Bemerkung, daß das der McWilkins alles runterschlucken müsse, um seine Leistung zu bringen. Als Rita Pfister die Liste, die von Brigitte Berendonk in ihrem Artikel als authentisch bezeichnet wird, dem Schweizer Mannschaftsarzt Dr. Segesser zeigte, kommentierte der nur: „Das würde ja kein Elefant aushalten.“ Vielleicht sehen Sie an den beiden kleinen Begebenheiten, wie sehr im Themenbereich Doping Dichtung und Wahrheit beieinander liegen.“
Anmerkungen: Olympiaarzt Klümper wird nach Olympia 1976 zitiert mit der Bemerkung, der US-Olympiasieger im Diskus MacWilkins selbst
„flüchtete aus Montreal in unser Trainingslager nach Trois Riviers, weil er Angst hatte, daß er in einer Voruntersuchung eventuell der Einnahme von Dopingmitteln überführt werden könnte.“ (Berendonk, 1978)
Dr. Bernhard Segesser musste Anfang der 90er Jahre zugeben, seit Jahren Sportler mit anabolen Steroiden behandelt zu haben.
Durch Christian Gehrmann wurde bekannt, dass bei Frauen Versuche stattfanden mittels der Antibabypille die Leistung zu steigern. Diese konnte schlecht verboten werden, aber bei optimalem Einsatz versprach man sich von diesen Hormonen ähnliche Wirkungen wie von anabolen Steroiden. Wichtig war, ein Präparat zu finden, welches in seiner Zusammensetzung den festgestellten Hormonspiegel der Athletin hinsichtlich Leistungsvermögen am optimalsten ergänzen würde. Gehrmann meinte in dem erwähnten Artikel in SPORT 4/1977 hierzu:
„Wenn im tägliche Leben eine Frau merkt, daß sie nach Einnahme einer bestimmten Pillensorte plötzlich Gewichtsprobleme bekommt, oder daß sich gar Ansätze zu einem Damenbärtchen bemerkbar machen, dann geht sie zum Arzt und läßt sich eine andere Pille mit weniger Hormonen verschreiben. Überspitzt ausgedrückt würde die Hochleistungssportlerin sagen: Diese Pille ist genau die richtige für mich…
Ich bin vom moralischen Standpunkt her gesehen absolut dagegen, einer Sportlerin nun auf Biegen und Brechen die „richtige“ Antibabypille zu verordnen, weil sich das eleganter und weit weniger anrüchig anhört als Dianabol. Wird auf der anderen Seite die Pille aber ohnehin benutzt, so ist es bestimmt nichts Ungewöhnliches, wenn man jene mit der „bestmöglichen“ Zusammensetzung bevorzugt.“
Ein Argument, welches auch Prof. W. Hollmann gelten ließ, der in Zusammenhang mit der Substitution von Hormonen, die z. B. durch hartes Training ‚verbraucht‘ würden und hierdurch keine Nebenwirkungen sieht, den Bogen zu der Antibabypille spannte:
„Mit der Antibabypille werden Testosteronmengen, also männliche Geschlechtshormone, im Körper einer jeden Frau in einer Größenordnung in Freiheit gesetzt, die etwa der üblichen Dosis der anabolen Steroide entspricht. Wo, meine Damen und Herren, will ich hier die Grenze setzen?! Damit sind automatisch auch leistungssteigernde Effekte verbunden. Will ich diesen Spitzensportlerinnen zukünftig die Antibabypille verbieten? Wenn all die Einwände im hormonellen Bereich sind, die ich als Arzt voll unterstütze und wohinter ich genauso stehe, die ich nur als Wissenschaftler verpflichtet bin, kritisch zu beleuchten, dann muß ich sagen: Wer hat bisber davon gesprochen, daß Millionen Frauen in Deutschland und in der Welt regelmäßig, unter Umständen über mehrere Jahre hinweg die Antibabypille nehmen mit weitaus größeren hormonellen Konsequenzen im gesamten Organismus, als es bei einer nach wissenschaftlichen Gesichtspunkten verabfolgten anabolen Steroid-Komponente der Fall ist.“ (Protokoll Sportausschuss 9.1977, 6/109)
Claudia Losch:
peking.ARD.de:
Sie können ruhigen Gewissens auch heute behaupten, Sie hätten in Ihrer Karriere niemals gedopt?
Losch: Ja, das kann ich. Ich gehöre ja zu der Generation von Athleten, die im Training getestet wurde. Ich musste angeben, wo ich hingefahren bin. Wir mussten jederzeit mit Trainingskontrollen rechnen, wir sind auch kontrolliert worden. Ich kann ruhigen Gewissens in den Spiegel gucken und sagen: Ich habe das nie getan. Ich bin diesen Schritt über diese rote Linie nicht gegangen, ganz sicher nicht.
8…)
peking.ARD.de: Sie haben selbst im EM-Jahr 1990 eine Dopingkontrolle spektakulär verpasst, worüber der SPIEGEL damals berichtete. Hatten Sie damals am Flughafen München Sorge, die Kontrolleure hätten etwas entdecken können?
Losch: Wenn das wirklich „spektakulär“ gewesen wäre, hätte es mit Sicherheit zu einer Anhörung und entsprechenden Repressalien geführt. Da dies nicht geschehen ist, hatte ich damals auch eine logische Erklärung für die verpasste Kontrolle.
(NDR, 7.6.2008)
Im August 1990 wurde bekannt, dass Claudia Losch eine Trainingskontrolle verweigert hatte, nachdem sie aus Lanzarote ankam.
„Als Claudia Losch unmittelbar nach der Landung in München getestet werden sollte, durfte die Medaillenanwärterin den Dopingfahnder mit der lapidaren Begründung, sie müsse „erst mal meinen Trainer fragen“, ungestraft wieder nach Hause schicken. So gelang es der Athletin, erst fünf Tage später bei den deutschen Titelkämpfen in Düsseldorf ihre Urinprobe abgeben zu müssen. Wer sich aber am Tag des Wettkampfs noch erwischen läßt, weiß auch DLV-Sportwart Manfred Steinbach, „der muß bescheuert sein“. (der Spiegel, 27.8.1990)
PETRA LEIDINGER PACKT AUS
Am 2. Oktober 1991 wandte sich Petra Leidinger in einer ARD-Brennpunkt-Sendung an die Öffentlichkeit, um über ihre Erfahrungen mit Doping im DLV zu berichten. Sie nannte keine Namen, bestätigte aber gegenüber Brigitte Berendonk deren Ausführungen zu Gehrmann in ihrem Buch ‚Doping-Dokumente‘. Petra Leidinger, 1983 erstmals Deutsche Kugelstoß-Jugendmeisterin, kam – sauber – mit 18 Jahren gemeinsam mit ihrem Heimtrainer Franz-Josef Simon zu Christian Gehrmann. Bald erhielt sie Anabolika, mit deren Hilfe sie ihr Leistungsvermögen erstaunlich schnell erhöhte. Gehrmann, der zu der Zeit bereits auf Lanzarote lebte und von hier aus agierte, stellte die Medikamente zusammen und schickte sie Simon per Post. Bezahlt wurden sie von der Sportlerin aus eigener Tasche. Es handelte sich um Methandienon, bis 1982 als Dianabol bekannt und in Deutschland wegen der Nebenwirkungen verboten. Simon hatte die Pillen heimlich analysieren lassen. Auch noch andere Pillen unbekannten Inhalts gingen ein, wobei deren Machart darauf hindeutete, dass es sich um Produkte illegaler Laboratorien gehandelt haben könnte.
Petra Leidinger beschloss, 20 jährig und hoch erfolgreich, aufzuhören. Als Grund, auch gegenüber Gehrmann, gab sie den Zwang zum Dopen an. Die Pharmazie-Studentin hatte zudem genug von den Nebenwirkungen, die sie an sich selbst erkennen musste.
Als sie 1991 das Schweigen brach, waren 5 Jahre vergangen und die Vergehen von Gehrmann und Simon verjährt. Die Staatsanwaltschaft in Zweibrücken eröffnete zwar ein Verfahren gegen Gehrmann und Simon wegen Verstoßes gegen das Arzneimittelgesetz, musste die Anklage aber einstellen.
Im Zuge der Diskussionen wurde immer deutlicher, dass der DLV sehr wohl Bescheid wusste über Gehrmanns Praktiken.
„Als Ingra Maneckes Mutter [Anfang der 80er Jahre], um Gesundheit und Psyche ihrer Tochter besorgt, bei DLV-Vizepräsidentin Ilse Bechthold um Unterstützung gegen den Anabolika-Trainer bat, antwortete die Funktionärin schlicht, man wisse zwar um Gehrmanns Methoden, könne aber „nichts beweisen“.
Brigitte Behrendonk zitiert DLV-Vizepräsidentin Ilse Bechthold, die sich 1984 vor den Olympischen Spielen vor einem Journalisten besorgt über den Trainer geäußert hatte, da dessen Praktiken wohl langsam für den Verband gefährlich zu werden begannen. Nachdem aber Gehrmanns Sportlerin Claudia Losch Olympiasiegerin geworden war, verflüchtigten sich alle Bedenken. Zum Problem wurden letztlich eher seine eigenmächtigen Bemühungen um Sponsoren, mit denen er dem DLV in die Quere kam. Gehrmann verlor seinen Posten als offizieller Nationaltrainer, erhielt jedoch eine Anstellung beim Bayrischen Landesverband, die ihm das Weiterarbeiten erlaubte. (der Spiegel, 25.5.1992)
Am Beispiel Christian Gehrmann wurde noch ein weiteres Thema angesprochen, das lange tabuisiert war und über das sich auch Erklärungen dafür ergeben könnten, warum so lange Jahre wenige Informationen über die Doping-und Trainingsmethoden des Trainers bekannt wurden. Es ging um mögliche, auch sexuelle Abhängigkeitsverhältnisse zwischen Trainer und Sportlerin. Gehrmann war mit drei seiner Athletinnen Beziehungen eingegangen. (der Spiegel, 16.11.1992)
Monika, Juni 2009, Ergänzungen