Thomas Springstein – Leichtathletiktrainer in Ost und West
Thomas Springstein studierte an der Deutschen Hochschule für Körperkultur DHfK Leipzig Sport und trainierte ab 1984 beim SC Neubrandenburg Sprinterinnen. So auch die jungen Mädchen Katrin Krabbe und Grit Breuer.
1990 bei den Leichtathletik-Europameisterschaften in Split gewannen seine Sportlerinnen fünf Goldmedaillen, damals noch für die DDR, dreimal siegte Katrin Krabbe, zweimal Grit Breuer. Dieses Siegerteam wurde mit offenen Armen im vereinten Deutschland aufgenommen. Und sie hielten, was sie versprachen. 1991 gewann Katrin Krabbe bei der WM in Tokio die Goldmedaillen über 100 und 200 Meter. Grit Breuer wurde zweite über 400 Meter. Krabbe wurde dafür mit dem Titel Weltsportlerin des Jahres 1991 ausgezeichnet.
1991, schon bezogen auf die WM in Tokio, gab es erste Zweifel an der Sauberkeit der Springstein-Athletinnen. Am 20.7. und 1. 8. 1991 tauchten Urinproben von Grit Greuer, Katrin Krabbe und Silke Möller mit identischen Urin auf.
Dass zu DDR-Zeiten beim SC Neubrandenburg ein Dopingprgramm bestand, ist unstrittig. Das wurde von verschiedenen Ärzten und auch von Dr. Manfred Höppner 1992 bestätigt. (Berendonk, S. 320) Das gab auch Frauke Tuttas 1997 zu Protokoll:
„“Von 1985 bis Februar 1988 trainierte mich Herr Thomas Springstein. (…) Dabei waren Katrin Krabbe, jetzt Zimmermann, Grit Breuer, Manuela Derr und Doreen Fahrendorf. (…) Ich erhielt von ihm überwiegend die blauen OTs. Ich bekam von ihm aber auch weiße Tabletten, auch in einer Blisterpackung.“ (Berliner Zeitung, 1.10.2004.)
Hatte Springstein neben den Traingsmethoden auch die Dopingmethoden mit in die vereinigte Republik übenommen?
Die identischen Proben lassen dies vermuten. Die im Trainingslager von Zinnowitz genommenen Proben stimmten in physikalischen und chemischen Eigenschaften überein und wiesen ein Verhütungsmittel auf, das von den Athletinnen nicht angegeben war. Spätere Proben, die aus der Zeit der unmittelbaren Wettkampfvorbereitung der deutschen Mannschaft in Seoul stammten, kamen ebenso vergammelt in Donikes Labor an wie eine Probe aus dem Dezember 1991. Auf dem Transportweg wurde verzögert und geschlampt.
Prof. Manfred Donike stellte sich Fragen und informierte den DLV über seinen Verdacht. In der ‚Zeit‘ hieß es,
„ein Aktenvermerk der verbandsinternen Anti-Doping- Kommission vom 31. Juli 1991 weist darauf hin, daß das DLV-Präsidium schon damals über offensichtlich manipulierte Urinproben aus Neubrandenburg informiert war. Kommissionsvorsitzender Theo Rous notierte damals „handfeste Anzeichen“ dafür, daß dem Urin von Krabbe und Breuer „fremde Hormone zugeführt wurden“. (die Zeit, 21.2.1992, s. auch Berendonk, S. 321)
Brigitte Berendonk griff das Thema Springstein auf und wies zusätzlich auf die verschiedenen fernab gelegenen Trainigslager der Springstein-Gruppe hin. Kein seltenes Phänomen im internationalen Hochleistungssport, galt es doch möglichst schwer für Traingskontrollen erreichbar zu sein. Berendonk wurde für ihre Äußerungen heftig öffentlich kritisiert, doch der DLV sah sich gezwungen ein Kontrollteam in eines der Trainingslager nach Stellenbosch in Südafrika zu schicken.
DIE KRABE-AFFAIRE TEIL 1
Anfang Februar 1992 gab der DLV bekannt, dass die 3 Sprinterinnen des Trainers Thomas Springstein durch Urinmanipulationen aufgefallen waren. Die Proben der 3 Sportlerinnen Katrin Krabbe, Grit Breuer und Silke Möller, im Trainingslager in Südafrika genommen, enthielten alle denselben Urin einschließlich des Malariamittels Chloroquin. Die Urinprobe von Sigrun Grau-Wodars, ebenfalls im Trainingslager anwesend, war sauber. Die B-Proben bestätigten das Ergebnis der A-Proben. Der DLV musste damit die Öffentlichkeit informieren. Die Sprinterinnen wurden vorläufig suspendiert. (der Spiegel, 17.2.1992) (In der Öffentlichkeit und den Medien wurde daraus die „Krabbe-Affaire“, die beiden anderen Frauen wurden kaum noch erwähnt.)
Vermutet wurde, dass die Läuferinnen Fremdurin in kleinen Beuteln in der Vagina während der Kontrolle öffneten. Eine Methode, die international bestens bekannt und absolut nicht neu war. Solch eine Vorbereitung war leicht möglich, da die Aufforderung zur Kontrolle bereits einen Tag zuvor mitgeteilt wurde.
Der Fall schlug hohe Wellen, Verschwörungstheorien tauchten auf. Kann überhaupt zweifelsfrei nachgewiesen werden, dass die Proben von den Sportlerinnen stammten oder hatte jemand versucht der Gruppe über mitzuspielen? Und, wieder wie so oft in jener Zeit, ging es Ost gegen West.
In einer ARD-Diskussionsrunde „Dopingfall oder Hexenjagd“ zeigten sich DLV-Präsident Helmut Meyer und der Vorsitzende des DSB-Anti-Doping-Ausschusses Dr. Horst Evers überzeugt davon, dass hier ein Dopingfall vorlag, dass auch Kontroll- und Transportverfahren den Regeln entsprachen. Evers sieht eine lückenlose Indizienkette mit allen Vorfällen des vergangenen Jahres, für ihn liegt das Verschulden klar zutage. Meyer dagegen verlangt eindeutige juristische Belege, Sportmediziner Dr. Baron, ehemals Dopingkontrolleur, und Willi Daume, NOK, sahen zwar Manipulationen doch könne nicht nachgewiesen werden, auch weil wissenschaftliche Untersuchungen fehlten, wer nun daran Schuld trage.
Für den DLV war die Lage ernst, kamen doch beunruhigende Signale aus der Sponsoren-Welt. U.a. drohte Daimler-Benz mit Rückzug, der DLV musste reagieren. (die Zeit, 21.2.1992) Helmut Meyer verkündete, „das faktische Arbeitsverhältnis mit Herrn Springstein wird beendet, und der DLV wird mit ihm für die Zukunft keinen Vertrag abschließen.“ (sid, 13.2.1999).
Krabbes Anwalt erhob Einspruch gegen die Suspendierung und der DLV-Rechtsausschuss unter Leitung des Verbandsrichters Emig machte am 5. April einen Rückzieher. Die Athletinnen wurden frei gesprochen, da neben weiteren Einwänden, eine Manipulation in Donikes Labor nicht auszuschließen sei. Nichtberücksichtigt wurde bei dieser zweiten Urteilsfindung jedoch, dass Grit Breuer und Katrin Grabbe seit 1991 insgesamt 3 Mal identischen Urin abgegeben hatten. Letztlich wurde die Aufhebung des Urteils mit Verfahrensfehlern begründet, was einige Beobachter nicht überraschte, war doch immer spekuliert worden, dies sei von Beginn an daraufhin angelegt gewesen:
„Aus der DLV-Zentrale in Darmstadt wird bereits kolportiert, die zahlreichen Verfahrensfehler seien den Funktionären ganz bewußt unterlaufen. So habe die nächste Instanz die Möglichkeit, den Sperr-Beschluß des Präsidiums wieder aufzuheben – ein Weg, der schon bei den ersten Dopingvorwürfen vor 15 Jahren erfolgreich beschritten wurde.“ (der Spiegel, 24.2.1992, der Spiegel, 13.4.1992, Berendonk, S. 321ff)
Unterstützung hatten die Suspendierungsgegner auch von der „Arbeitsgruppe Dopingfragen“ beim Bundesinstitut für Sportwissenschaft (BISp) erhalten, die sich entrüstet zeigte über den Umgang mit den Sportlerinnen und sich übergangen fühlte. Die AG erklärte daher Anfang April ihren Rücktritt.
Die Urteilsschelte der internationalen Medien reichte von „Possenspiel“ (Gazzetta dello Sport) bis hin zu „Fiasko“ (Neue Zürcher Zeitung). Die Pariser Sportzeitung L“Equipe urteilte gar: „Eine Ohrfeige für alle, die dafür kämpfen, daß der Sport von der Perversion des Doping befreit wird.““
der Spiegel, 13.4.1992)„Von den Rechtsinstanzen des Sports ist das Heil nicht zu erwarten. Sie urteilen ungereimt. Erst gesperrt, dann freigesprochen, sah sich Katrin Krabbe alsbald von der Drohung des übergeordneten Rechtsorgans des internationalen Verbandes eingeholt, es werde den Freispruch wohl nicht akzeptieren. Entscheidung Ende Juni. Herr Samaranch aus Spanien ruft indessen unbekümmert dazwischen, er wünsche sich eine Teilnahme der Krabbe in Barcelona auf jeden Fall.“
die Zeit, 19.6.1992
Ruhig wurde es damit nicht. Das ganze Verfahren, Verfahrensweg und Urteile, wurde international kritisiert und als Farce abgetan.
Beunruhigt war auch die Internationale Leichtathletik Organisation IAAF. Ihre Anti-Doping-Kommission prüfte im Mai 1992 den Fall der drei Sprinterinnen und gab die Empfehlung, das Verfahren, diesmal beim IAAF, wieder aufzunehmen.
Mitte Juni wurde eine neue Version publik. Ein Zeuge gab an, Springstein hätte ihm den wahren Sachverhalt eingestanden und die Schuld auf sich genommen. Er habe den Sprinterinnen Tabletten untergeschoben und, um dies bei Kontrollen zu vertuschen, den Urin seiner Frau weiter gegeben. (der Spiegel, 15.6.1992)
Wie auch immer, berücksichtigt wurde diese Selbstbezichtigung wohl nicht. Aus formaljuristischen Gründen wurde das Verfahren des IAAF am 28.6.1992 eingestellt. Damit schien der Start von Katrin Krabbe bei den Olympischen Spielen in Barcelona gesichert.
DIE KRABBE-AFFAIRE, TEIL 2
Wenige Tage nach den Freispruch der drei Sprinterinnen Krabbe, Breuer und Möller durch das IAAF aus formaljuristischen Gründen wurde bekannt, dass die Springstein-Gruppe erneut mit Doping in Verbindung gebracht wurde. Trainingskontrollen am 22. und 23. Juli 1992 brachten das Kälbermastmittel Clenbuterol bei Katrin Krabbe, Grit Breuer und Manuela Derr zum Vorschein. Das Mittel war Bestandteil von Asthmamitteln. Prof. Donike hatte aus den USA und Kanade den Tipp erhalten, dass Clenbuterol bei nordamerikanischen Athleten aufgrund seiner anabolen Wirkung und trotz starker Nebenwirkungen, schon seit Längerem sehr beliebt sei. Auch Trainer Springstein hatte sich hier kundig gemacht. (der Spiegel, 10.8.1992) Er (und andere) konnten es allerdings schon früher wissen:
„Springstein wußte zudem genau, was er tat: In der letzten Dopingliste, die der Sportmedizinische Dienst der DDR im April 1990 in der Fachzeitschrift Der Leichtathlet veröffentlichte, ist Clenbuterol ausdrücklich als Dopingpräparat aufgeführt.“
Es stellte sich jedoch bei der Beurteilung des Falles Krabbe und Co das Problem, dass Clenbuterol nicht auf der Liste der verbotenen Medikamente stand.
Handelte es sich nun um Doping oder nur um Medikamentenmissbrauch? Der DLV ging erst einmal von Doping aus und sperrte die drei Sportlerinnen am 14.8.1992 für je 4 Jahre.
An der leistungssteigernden Wirkung des Mittels herrschte in Fachkreisen anfangs anscheinend wenig Zweifel. Im August 1992 erschien ein Artikel zum „Therapeutischen Potenzial“ beim Menschen in der Medizin-Fachzeitschrift The Lancet, in dem das Dopingpotential erkannt wurde. Prof. Keul allerdings sah dieses nicht, sondern behauptete recht schnell, es gäbe hierzu keine wissenschaftlichen Arbeiten. (Franke/Ludwig. S. 52ff). Doch wie immer war die einschlägige Sportwelt diesbezüglich schon längst von der Wirkung überzeugt, zumal das Mittel mit seiner kurzen Abbauzeit hervorragend in Trainingszeiten einzusetzen war.
Nun entbrannte ein intensiver Expertenstreit um Sinn und Unsinn dieses Mittels, Gutachten und Gegengutachten folgten einander und mitten drin agierte die Pharmaindustrie, die bemüht war, in Harmonie mit bekannten Sportmedizinern, die Harmlosigkeit ihrer Medikamente zu bestätigen.
„Obwohl längst offensichtlich ist, daß sich der Clenbuterol-Mißbrauch im Sport „wie eine Krake“, so der Dopingfahnder Donike, von Kalifornien über die gesamte Welt ausdehnt, wiegeln Keul und seine Kollegen weiter ab. Auch Professor Wilfried Kindermann, Arzt der deutschen Leichtathleten und der Fußball-Nationalelf, behauptete milde, es gehe nur um „Medikamentenmißbrauch, nicht aber Doping“. (der Spiegel, 14.9.1992).
Da konnten auch Meinungsänderungen vorkommen wie die des als Gutachter tätigen Frankfurter Pharmakologen Norbert Rietbrock, der anfangs angeblich empört schimpfte „jeden Dreck“, „jeden Blödsinn“ hätten sich Springsteins Mädchen „rein gehauen“, später aber Spiropent, das angewandte Präparat als gut verträgliches Medikament lobte.
Die Diskussion hatte zur Folge, dass die Vierjahressperre des DLV annulliert wurde. Die positiven Proben wurden nun lediglich als Hinweis auf Arzneimittelmissbrauch gewertet. Krabbe und Breuer erhielten am 26. März wegen sportwidrigen Verhaltens je eine Sperre von einem Jahr, Derr 8 Monate. Der IAAF verschärfte am 22. August 1993 mit derselben Begründung die Strafen. Die drei Sportlerinnen erhielten jeweils zusätzlich eine Sperre von 2 Jahren. Der DLV erhob dagegen zwar Einspruch, dieser wurde aber im November zurück gewiesen.
Der Dopingfall mit Clenbuterol um Trainer Springsteins Läuferinnen Katrin Krabbe, Grit Breuer und Manuela Derr beschäftigte den DLV das gesamte Jahr 1993.
Zwischen den Sportlerinnen und dem DLV, aber auch zwischen DLV und internationalem Verband kam es in Folge zu heftigen Schlagabtauschen. Doch auch in der Öffentlichkeit führte der Fall zu erbitterten Diskussionen.
Im März verurteilt der DLV-Rechtsausschuss Krabbe und Breuer zu je 12 Monaten, Derr zu acht Monaten Sperre – nicht wegen Dopings sondern wegen einer ‚Sportwidrigkeit‘, wegen des Gebrauchs ‚eines Medikamentes, das gegensätzlich zur Ethik im Sport sei‘.
Wäre Clenbuterol als anaboles Steroid anerkannt worden, hätte man eine 4-Jahressperre aussprechen müssen. Der IAAF erhöhte im August die Sperren der drei Sportlerinnen auf je 2 Jahre und erkannte damit den Tatbestand des Dopings an. Damit war allerdings noch nicht das Ende der Affaire erreicht. Katrin Krabbe gelang es durch Klagen vor ordentlichen Gerichten, dass ihr 2001 von der IAAF 1,2 Millionen Mark Schadensersatz gezahlt werden musste. (Chronologie der Affaire)
UND WAS MACHTE TRAINER THOMAS SPRINGSTEIN?
Um Trainer Thomas Springstein wurde es ruhiger. Prof. Werner Franke wollte es nicht bei der Verurteilung der Sprinterinnen belassen sondern die Aufmerksamkeit auf deren sportliches Umfeld richten. Deshalb setzte er sich dafür ein, dass die Herkunft des benutzten Medikaments Spiropent ermittelt werde und stellte hierzu in Neubrandenburg eine Anzeige bei der Staatsanwaltschaft, erhielt darauf aber nie eine Antwort, das Verfahren wurde schnell eingestellt. Damit wäre auch Trainer Springstein mehr in den Mittelpunkt gerückt. Nach der ersten Affaire hatte DLV-Präsident Meyer zwar gesagt:
„Das faktische Arbeitsverhältnis mit Herrn Springstein wird beendet, und der DLV wird mit ihm für die Zukunft keinen Vertrag abschließen.“
Das hatte Springstein aber nicht daran gehindert, seine Läuferinnen für die Olympischen Spiele 1992 in Barcelona fit zu machen. Kleine Begebenheit am Rande: Der SC Neubrandenburg hatte Springstein entlassen und erteilte dem noch immer für Krabbe und Breuer tätigen Coach Anfang 1993 Hausverbot beim Betreten des Jahn-Stadions, worauf dieser gerichtliche Schritte androhte. (Wie dies ausging, ist mir nicht bekannt.)
Thomas Springstein hatte in den Folgejahren Trainerjobs bei Vereinen inne, so in Schwerin und Hannover. Breuer und Springstein blieben in Kontakt. Nach Ablauf ihrer Dreijahres-Sperre wurde er ganz offiziell ihr Coach – wenn auch nicht über Verbände bezahlt – der die Athletin wieder in die deutsche Sprinterinnenelite führte. 1997 ist sie die beste deutsche 400m-Läuferin und Staffel-Weltmeisterin. Mit diesem Erfolg war es beider Meinung nach an der Zeit, dass Springstein wieder salonfähiger werde, dafür setzt sie sich immer lauter ein. Beide waren mittlerweile auch privat ein Paar. Ihm habe sie alles zu verdanken, er sei der Meistermacher. Doch noch scheint es Springstein gegenüber bei einigen Leuten im Verbandssport Vorbehalte zu geben. ISTAF-Manager Rudi Thiel bezeichnet Springstein als ‚Unperson‘, der DLV-Sportwart Rüdiger Nickel ist auch noch skeptisch doch DLV-Präsident Helmut Digel versucht zu vermitteln, ‚Trainern, die an Doping beteiligt waren‘ könne man einen Weg zurück eröffnen.
Thomas Springstein hatte nie Doping gestanden, auch nicht Doping während seiner Trainerzeit in der DDR, nur angegeben, das nicht verbotene Clenbuterol verabreicht zu haben. 1997 gab zwar Frauke Tuttas zu Protokoll, wie sie von ihrem Trainer Springstein als Jugendliche von 1985 bis 1987 u.a. Oral-Turinabol erhalten habe. Zu einer Anklage kam es aber nicht, im Fall Springstein wurde nicht weiter ermittelt.
Auch Grit Breuer soll laut Werner Franke Oral-Turinabol von Springstein erhalten haben, „aus Unterlagen gehe hervor, dass Breuer schon als Mädchen vom damaligen Trainer gedopt worden sei. Eine frühere Sportkollegin habe dies vor der Kripo ausgesagt“ (der Spiegel, 26.7.2010). Grit Breuer klagte dagegen und Franke wurde daraufhin 2011 vom Landgericht Hamburg und vom OLG Hamburg zur Unterlassung verurteilt, da die Behauptung „prozessual unwahr“ sei. Im August 2016 entschied allerdings das Bundesverfassungsgericht, dass die Gerichte Franke bestimmte Behauptungen über Breuer nicht ohne Weiteres hätten verbieten dürfen, damit hätten sie sein Grundrecht auf Meinungsfreiheit verletzt. „Für den Fall, dass Franke – was nun zu ermitteln ist – seiner Recherchepflicht hinreichend nachgekommen ist, könne die Abwägung von Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsrecht ergeben, dass er seine Behauptungen in gewissem Umfang – möglicherweise mit präzisierenden Zusätzen – wird aufrechterhalten dürfen, entschied das BVerfG.“ (Legal Tribune Online, 9.8.2016). (Wie bzw. ob die Angelegenheit weiter verfolgt wurde, ist mir nicht bekannt.)
WIEDER IN DIENSTEN DES DLV
Thomas Springstein kämpft um einen neuen Trainerjob, wer Leistung will, wer von Grit Breuer herausragende Erfolge will, müsste ihn ebenfalls akzeptieren und entsprechend honorieren.
„Auf seine Art ist Springstein ehrlich. Unheimlich ehrlich. Was einige andere Trainer nur in kleinem Kreis zu äußern wagen, spricht Springstein offen aus: Er glaubt nicht an den Erfolg eines internationalen Anti-Doping-Kampfes. „Es ist ein Traum, das wird man nicht erreichen.“ Ob es auch sein Traum ist, sagt er nicht. „Es geht um Geld und um Rekorde. Da haben die deutschen Athleten ungleiche Voraussetzungen. Denen wird praktisch verboten, Geld zu verdienen. Sie werden zu Teilnehmern degradiert.““ (Berliner Zeitung, 26.8.1997)
Ab Ende 1998, Grit Breuer hatte in diesem Jahr bei den Europameisterschaften in Budapest zwei Titel errungen, stand Springstein wieder in Diensten des DLV, als Stützpunkttrainer mit Honorarvertrag. Die aufkommende Kritik an dieser zunächst geheim gehaltenen Entscheidung, wigelte der DLV ab. Präsident Helmut Digel:
„Das ist sieben Jahre her. Heute gibt es einen einstimmigen Beschluß des Präsidiums, Thomas Springstein als Honorartrainer anzustellen. Ich sehe keinen Anlaß, von dieser Linie abzuweichen. Den einzigen Vorwurf, den ich mir mache, ist, daß wir den Beschluß nicht öffentlich gemacht haben. Aber auch dann hätten wir vermutlich Prügel bezogen.“ Und „Jeder hat das Grundrecht auf Resozialisierung, im übrigen gilt für mich die Unschuldsvermutung. Wir können uns im Sport nicht über geltendes Recht hinwegsetzen.“ Man könne nicht auf der einen Seite über die Goldmedaillen von Grit Breuer jubeln und auf der anderen Seite die Anstellung ihres Trainers und Lebensgefährten kritisieren. (…) Wie Präsident Digel versichert, habe die Abteilung Leistungssport des Verbandes keine Bedenken gehabt. Springstein habe glaubwürdig ein Fehlverhalten eingeräumt. (die Welt, 13.2.1999).
TRAINER DES JAHRES 2002
Ende September 2002 wurden Thomas Springstein, Jürgen Krempin und Leszek Klima für ihre besonderen Verdienste zu Trainern des Jahres 2002 gekürt.Der DLV betonte insbesondere folgende Leistung des Trainers Springstein:
„Wenn eine Athletin immer wieder gesundheitliche und verletzungsbedingte Rückschläge einstecken muss, trotzdem immer wieder ein erfolgreiches Comeback schafft und rechtzeitig zum Saisonhöhepunkt doch noch zum angestrebten Erfolg kommt, ist dies auch eine Meisterleistung des Trainers. Grit Breuer schien zu Saisonbeginn außerstande, noch rechtzeitig zur Europameisterschaft wieder fit zu sein. Noch wenige Wochen vor den Münchener Rennen war an eine Wettkampfteilnahme noch nicht zu denken. Thomas Springstein hat den Trainings- und Leistungsaufbau so geplant und gesteuert, dass das fast Unmögliche doch noch gelang und Grit Breuer zum Saisonhöhepunkt ihre bestmögliche Leistung erbringen konnte. (…)“ (DLV)
ANNE-KATHRIN ELBE
Vier Jahre später scheint Springsteins Karriere am Ende. Erneut ist er in einen Dopingskandal verwickelt. Die junge Anne-Kathrin Elbe, Hürdensprinterin sagt aus, von Springstein während ihrer Zeit in der Sprinttrainingsgruppe des SC Magdeburg Dopingmittel erhalten zu haben. Springstein hatte von harmlosen Kreatin- und Vitaminprodukten gesprochen, deren Einnahme von ihm kontrolliert wurde. Das junge Mädchen wird misstrauisch und möchte weg von Springstein dessen harte Trainingsmethoden sie ablehnt. Sie wendet sich an Thomas Kremer, Sprint-Bundestrainer und bittet ihn um Hilfe. Dieser lässt die Kapseln analysieren, es ist das anabole Steroid Andreol, Testosteron-Undecanoat. Theo Rous, Vizepräsident und Vorsitzender der Anti-Doping-Kommission des DLV wird hinzugezogen und gemeinsam, auch mit Elbes Eltern, wird überlegt, wie man Springstein, ohne dass dieser und die Trainingsgruppe misstrauisch werden, überführen könnte. Anne-Kathrin Elbe erstattet daraufhin Anzeige und wechselt den Verein.
SPRINGSTEIN WIRD GERICHTLICH VERURTEILT
Im März 2006 wird Thomas Springstein wegen Dopings der minderjährigen Anne-Kathrin Elbe zu 16 Monaten Freiheitsstrafe auf drei Jahre zur Bewährung verurteilt, zudem muss er 150 Stunden gemeinnützige Arbeit leisten. (TAZ, 21.9.2007: Dopingopfer Elbe)
„Ein halbes Jahr nach ihrem Eintritt in die Magdeburger Laufschule Springstein, so erklärte die junge Athletin, habe er erstmals im April 2003 Fläschchen und Döschen mit Pillen an sie und andere Athletinnen der Trainingsgruppe verteilt. Einige habe sie genommen, die meisten weggeworfen, manche aufbewahrt.“ (Franke/Ludwig, Der verratene Sport, S. 84)
Das Gericht verurteilt Springstein nur für die Weitergabe von Andriol an die damals sechzehnjährige Sportlerin. 7 weitere Fälle werden eingestellt. Die Anklagevertreter sprechen von der Spitze eines Eisberges,
„Springstein sei „im wahrsten Sinne des Wortes als Dopingmitteldealer aufgetreten und zwar über einen längeren Zeitraum“. „Strafmildernd berücksichtigte das Schöffengericht unter Vorsitz der Richterin Angelika Raue, daß der 47 Jahre alte Springstein bislang unbescholten gewesen war; strafschärfend war, daß er die Dopingmittel der Sportlerin gegenüber als Kreatin und Vitamine bezeichnet und damit deren Gefährlichkeit verschwiegen hatte.“ Ein weiteres Verfahren zu den Vorgängen zwischen 1998 und 2004 werde eingestellt, wenn Springstein das ergangene Urteil akzeptieren würde. Bei Gericht war man an einem schnellen Pozess interessiert gewesen, nur 4 von 18 Zeugen wurden gehört. Aber „das Dopingproblem der Leichtathletik zu lösen sei nicht Aufgabe der Justiz.“ (FAZ, 20.3.2006)
SPRINGSTEINS DOPING-NETZWERK
Miguel Angel Peraita – Berend Nikkels – Jos Hermens
Ausgelöst durch Anne-Kathrin Elbes Anzeige beginnen Ermittlungen, die eine Durchsuchung der Springstein-Wohnung zur Folge haben. Die Beamten finden Steroide, Insulin, Wachstumshormone und Spritzenbesteck. Den Computer des Trainers nehmen sie mit. Eine Woche später unterschreibt Springstein eine eidestattliche Erklärung wonach er nie Sportler und Sportlerinnen verbotene Mittel verabreicht habe. Die gefundenen Andriol-Kapseln wären für den Eigenbedarf bestimmt gewesen. Die Analyse des Emailverkehrs auf Springsteins Computer sagt jedoch etwas anderes aus. Aufzeichnungen und ein intensiver Schriftverkehr mit dem spanischen Arzt Miguel Angel Peraita, dem niederländischen Arzt Berend Nikkels und dem Athletenmanager Jos Hermens lassen ein jahrelanges ausgeklügeltes umfangreiches Dopingprogramm, auch und besonders für Grit Breuer, erkennen. So bekam die Sprinterin z. B. vor den Europameisterschaften 1998 in Budapest das Insulinpräparat IGF. Von Peraita aus ergeben sich Verbindungen zu Eufemiano Fuentes und Merino Batres, beide stehen im Zentrum der Dopingaffaire Operación puerto, mit der sich bislang überwiegend Radsportler in Zusammenhang gebracht sahen, da von Seiten Spaniens weitergehende Ermittlungen blockiert wurden. (Operación puerto)
Arzt Berend Nikkels stritt zwar seine Einbindung in Dopingmachenschaften ab, doch 2006 macht er öffentlich keinen Hehl aus seinen Dopingkenntnissen und seiner Einstellung dazu. So heißt es z. B. zu Oxiglobin, durch Springstein bereits bekannt,
„“Hundefutter nennen sie das im Peloton“, so wird Nikkels zitiert. Die Substanz sei für die Veterinärmedizin entwickelt worden, zur Behandlung von Blutverlusten, etwa nach Operationen an Hunden (daher der Name „Hundefutter“). Für Nikkels ist das Blutersatzmittel eines der kommenden Dopingpräparate. Noch seien das keine Wundermittel. „Aber es gibt auf diesem Gebiet enorme Entwicklungen. Kunstblut, um es populär auszudrücken. Bald werden wir die ersten Fälle davon haben.““ (FAZ, 17.7.2006)
Jos Hermens ist kein Unbekannter. Der niederländische Athletenmanager vertritt viel Prominenz. Haile Gebrselassie und Kenenisa Bekele, beide Äthiopien, gehören ebenso dazu wie bereits Anfang der 90er Jahre Katrin Krabbe und Grit Breuer und später 800-Meter-Olympiasieger Nils Schumann und Hochspringerin Amewuh Mensah, die beide ebenfalls von Thomas Springstein trainiert wurden. Amewuh Mensah wurde 2001 des Dopings mit Oxandrolon überführt. Sie kannte über Jos Hermens den Arzt Miguel Angel Peraíta und über diesen Merino Batres.
Die NZZ hält fest:
„dass sich zwischen Hermens, Nikkels und Springstein über Jahre hinaus ein lebhafter Internet-Kontakt ergeben hat. Darin wurde – kaum verschlüsselt – Hermens bald als «Jos», bald als «Hermann» bezeichnet. Alle drei suchten offenbar nach derzeit nicht nachweisbaren Dopingmitteln.“ Und als „Springstein 2004 wegen angeblichen Dopings an Minderjährigen angeklagt wurde, entwickelte Hermens – hinter den Kulissen – erneut Aktivität. Der Niederländer kannte nicht nur jeden Satz aus der Akte des Hamburger Springstein-Verteidigers Johann Schwenn, er soll auch, wie diese Zeitung aus Magdeburg erfuhr, über die internen Beratungen der Richter und Staatsanwälte informiert gewesen sein, weil es dort ein «Leck» gegeben habe. Ausserdem habe sich Hermens, wenn auch nicht direkt, an den Honoraren des Hamburger Springstein-Anwaltes beteiligt. Gegenüber dem Berliner «Tagesspiegel» behauptete er jedoch jetzt: «Ja, ich habe gewusst, dass Springstein an die Grenzen geht und vielleicht darüber hinaus. Ich habe leider nicht gleich darauf reagiert.» Versucht da jemand zu retten, was womöglich nicht mehr zu retten ist?“
Besondere Aufmerksamkeit und auch Erschrecken verursachte dabei die Substanz Repoxygen, zu der Springstein bei Nikkels anfragt.
„Das neue Repoxygen ist schwer erhältlich. Bitte gib mir bald neue Instruktionen, sodaß ich die Produkte vor Weihnachten bestellen kann. Laß uns in Verbindung bleiben!“
Repoxygen wäre Gendoping. Das Mittel schleust das EPO-Gen in die Muskelzellen ein und regt die EPO-Produktion an. EPO-Doping wird damit hinfällig. Das Mittel war noch nicht zugelassen. War Springstein einer der ersten, die Gendoping betrieben? Es hieß doch immer, noch sei es nicht soweit. (NZZ, 23.11.2006)
Einige Mails sind hier veröffentlicht
>>> FAZ, 27.1.2006: „Betreff: Comeback G.B. – bitte mach uns ein Programm“
Diese Fragen spielten aber im Prozess um das Minderjährigendoping von Anne-Kathrin Elbe keine Rolle. Obwohl Staatsanwalt Wolfram Klein in seinem Schlussplädoyer von einer „absoluten Spitze eines Eisberges“ gesprochen und den Angeklagten als Dopingmitteldealer bezeichnet hatte.
Der DLV und die NADA hätten gerne mehr darüber erfahren, mussten jedoch feststellen, dass von Seiten der Behörde wenig Interesse bestand Transparenz herzustellen. Oberstaatsanwalt Jaspers meinte
„einer pauschalen Einsicht stünden die schutzbedürftigen Interessen nicht von Dopern, sondern von minderjährigen Zeuginnen entgegen. … Im übrigen seien alle Ermittlungen gegen Springstein mit dem Urteil eingestellt: „Es gibt keinen Anlaß, noch herumzubohren.“
Der DLV reagierte im August 2006 mit einer Dienstaufsichtsbeschwerde beim Justizministerium Sachsen-Anhalt. (FAZ, 31.8.2006)
Ende November 2006 reichte Clemens Prokop, Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV) in Magdeburg eine Anzeige gegen Hermens und den spanischen Arzt Miguel Angel Peraita wegen „Inverkehrbringen und Handel mit Arzneimitteln zu Doping-Zwecken im Sport“ ein (DLV, 20.11.2006, DLV, 2.12.2006). Ermittlungen gab es bis 2008, dann wurde das Verfahren nach Spanien abgegeben. 2009 kam es allerdings in Magdeburg zu einer Wiederaufnahme und war 2010 noch anhängig. (Was letztlich daraus wurde, ist mir nicht bekannt.). Clemens Prokop: „Mir ist kein Manager bekannt, der wegen der Organisation von Doping-Praktiken verurteilt wurde. Dabei müsste man doch hellhörig werden, wenn sich bei einem Manager die Dopingfälle häufen“. (die Zeit, 17.8.2009)
In dem Prozess gegen Springstein kamen auch Verdachtsmomente gegen die von Springstein trainierten Athleten*innen Ulrike Urbansky, Grit Breuer und Nils Schumann auf. Die daraufhin eingeleiteten sportrechtlichen Verfahren wurden jedoch Anfang 2007 eingestellt.
„Die Verfahren waren nach Auswertung der Akten aus dem Strafverfahren gegen den ehemaligen Trainer Thomas Springstein eingeleitet worden. Dokumente darin enthielten Hinweise auf mögliche Dopingverstöße der Athleten. Die Besonderheit der Überprüfungsverfahren bestand darin, dass keiner der genannten Athleten bei einer Dopingkontrolle positiv getestet worden war.
Die Verdachtsmomente stützten sich einzig auf Unterlagen, die von der Staatsanwaltschaft Magdeburg sichergestellt worden waren, und betrafen zurückliegende Zeiträume. Damit musste der DLV für eine Sanktionierung den vollen Beweis für einen Dopingverstoß erbringen. Die für den Fall einer positiven Urinprobe festgelegte Umkehr der Beweislast, nach der der Athlet beweisen muss, dass er keinen Dopingverstoß begangen hat, griff in den vorliegenden Verfahren nicht.“ (DLV, 12.1.2007)
Anne-Kathrin Elbe wurde 2007 vom Verein Doping Opfer Hilfe (DOH) für „engagiertes Wirken gegen Doping“ mit der Heidi-Krieger-Medaille ausgezeichnet.
Thomas Springstein soll 2008 im zweiten Jahr junge litauische Sprinterinnen trainiert haben. (FAZ, 17.4.2008) Der DOSB wollte daraufhin in Litauen nachfragen:
SID:„Gibt es niemanden, der ihm [Springstein] das Handwerk legen kann?“
Vesper [DOSB]: „Der litauische Verband. Springstein hat aus meiner Sicht keine zweite Chance verdient. Er hat Minderjährige ohne deren Wissen gedopt und das zu einem Zeitpunkt, als die Diskussion schon im vollen Gange war.“
SID: „Haben Sie denn Ihre Kollegen vom litauischen NOK mal auf den Fall aufmerksam gemacht?“
Vesper: „Sollte es den Kontakt noch nicht gegeben haben, werden wir ihn herstellen.“ (SID, 25.6.2009:)
Grit Breuer und Thomas Springstein heirateten. 2016 bot Thomas Springstein seine Fähigkeiten als Personal Tainer an, Grit Breuer arbeitete für ein Hotel und betreute Golftouristen (Ostsee Zitung, 4.6.2016).
Monika 2010, Ergänzungen