DLV Dopingvergangenheit
Diskuswerfer Alwin Wagner: verbandsinternes Doping
Alwin Wagner (TG 1861 Melsungen, USC Mainz) begann seine Karriere Anfang der 1970er Jahre. Seine größten Erfolge erlangte er in den 80er Jahren. Von 1981 bis 1985 wurde er ohne Unterbrechung Deutscher Meister. Bei den Olympischen Spielen 1984 in Los Angeles belegte er den 6. Platz. 1988 beendete er seine Diskuswerfer-Karriere. 1991 nahm er das Amt des Vizepräsidenten des Hessischen Leichtathletikverbandes an.
Ein Jahr zuvor, 1990, 2 Jahre nach Beendigung seiner Diskuskarriere, packte er öffentlich aus und legte die jahrzehntelang geduldete und geförderte Dopingpraxis offen. Der Polizeibeamte gab seine Informationen an Zeitungen weiter, hatte aber zusätzlich seine Aufzeichnungen am 19.12.1990 an die Staatsanwaltschaft Darmstadt übergeben. Ein fünfseitiger Brief ging am 14.2.1991 an den Rechtswart des Deutschen Leichtathletik-Verbandes. Bereits in früheren Jahren, Anfang der 1980er Jahre, hatte Wagner öffentlich auf die Dopingpraxis hingewiesen.
Insbesondere belastete Alwin Wagner Trainer Karlheinz Steinmetz. Schon 1974 wurden ihm von diesem Anabolika angeraten, sein eigener Trainer Schulz sprach jedoch dagegen. Die sportlichen Leistungen genügten jedoch nicht mehr den Anforderungen, so dass das Ende seiner sportlichen Karriere zur Diskussion stand. 1977, mitten während des Jahres, indem die öffentliche Dopingdebatte den Sport belastetet und die Verbände, Ärzte und Politiker sich genötigt sahen Antidopingerklärungen zu verfassen und sich als scharfe Gegner dieser Manipulationen darzustellen, begann Wagner mit seiner medikamentösen Leistungssteigerung.
„Dann überredete mich Karl-Heinz Steinmetz, der spätere Bundestrainer, zum Weitermachen. Ich begann das verbotene Präparat Dianabol zu nehmen. Anfangs war ich zwar skeptisch, doch bald schon sah ich die Erfolge. Ich wurde schwerer, stärker an der Hantel, schneller im Sprint und konnte meine persönliche Bestleistung übertreffen.“ (die Welt, 20.12.1990, zitiert nach Singler/Treutlein, S. 157).
1978 und 1984 wurden ihm von Steinmetz zusätzlich Testosteronzäpfchen gegeben.
Mit dabei war >>> Prof. Armin Klümper. Wagner konnte zum Beweis seiner Aussagen Rezepte des Freiburger Universitätsklinikums vorliegen, teils halbblanko, teils von DLV Arzt Dr. Hubmann, Klümper-Assistent, unterschrieben. (Die Rezepte sind abgebildet in Berendonk 1992, S. 262/263). In einer eidesstattliche Erklärung vom 18.11.1991 bestätigte Wagner dies und den Erhalt eines Rezeptes per Brief mit der Unterschrift von Prof. Klümper, „das auf 1 OP Dianabol Bl. 50 mg N. 100 ausgestellt ist“ vom 22.11.1979.
Klümper nahm bei seiner Medikation keine Rücksicht auf die ärztliche Schweigepflicht sondern kooperierte ganz offen mit Trainer Steinmetz:
„Ich habe ihn vor intramuskulären Injektionen gewarnt; rezeptiert haben wir … Megagrisevit…“ Da Wagner als unsicherer (Doping)Kandidat galt, habe Klümper auch mit Keul abgesprochen, „dass man sogar bei Alwin Wagner möglicherweise vor entsprechenden internationalen Einsätzen eine Kontrolluntersuchung durchführt unter dem Vorwand, die Knochentumoren [Wagner hatte einen gutartigen Tumor] am Schädel kontrollieren zu müssen; in Wirklichkeit ihn jedoch dahingehend zu überprüfen, ob Anabolika ihm nachzuweisen sind.“ (Berendonk, S. 260f)
In seiner Erklärung an Eides Statt vom 19.12.1990 gegenüber der Staatsanwaltschaft Darmstadt hält Wagner u. a. fest:
„1. Der Bundestrainer am Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV), Herr Karlheinz Steinmetz, hat von meinen jahrelangen Anabolika-Doping-Einnahmen gewußt, mir dazu geraten, mir nie davon abgeraten und mir und anderen bei zwei Gelegenheiten persönlich Testosteron-Zäpfchen zu Dopingzwecken gegeben. (…)
3. Bei einem Leichtathletik-Länderkampf in Turin im Jahre 1983 haben Funktionäre und Trainer des Deutschen-Leichtathletik-Verbandes mir und anderen Wettkämpfern geraten, Wettkampfergebnisse so zu manipulieren, daß wir einer Entdeckung unseres Anabolika-Dopings durch damals unverhofft angesetzte Doping-Kontrollen entgehen konnten.
4. Bei einer Doping-Kontrolle nach einem Wettkampf ist statt meines höchstvermutlich Anabolika-positiven Urins Anabolika-freier Fremdurin abgegeben worden, der von Bundestrainer Steinmetz stammte.“ (Berendonk, S. 421)
Zu 3 ist bei Berendonk zu lesen:
„Die Diskuswerfer Wagner und Hartman hatten es einfach, da sie nur nicht weit werfen mussten. Den Siegkandidaten im Hammerwurf Ploghaus und Riehm fiel dies schwerer, Ploghaus meldete sich lieber krank. Probleme gab es bei den Kugelstoßern. Man benötigte jemanden, der Letzter wurde und unbedenklich kontrolliert werden konnte. So überredeten Sportwart Otto Klappert und DLV-Präsident August Kirsch den bekanntermaßen sauberen Hochspringer Dietmar Mögenburg zum Kugelstoßen. Seine Probe erwies sich später wie erwartet als sauber.“
In einer Erklärung an Eides statt vom 9.10.1991 erklärte Wagner:
„Bei einem Trainingslager vor den Europameisterschaften 1978 in Prag, das in Mainz stattfand, und bei einem anderen vor den Olympischen Spielen 1984 in Los Angeles, das im kalifornischen Irvine stattfand, hat Trainer Steinmetz mir besondere Mittel zum Analdoping, nämlich Testosteronzäpfchen, übergeben, die zur überbrückenden Stabilisierung der Leistung dienen und bei Dopingkontrollen nicht nachweisbar sein sollten.“
Alwin Wagner wurde weiter deutlich:
„In den Jahren 1980 und 1981 kamen viele Athleten zu mir und haben sich regelrecht ausgeweint. Ich war ja damals Kapitän der Nationalmannschaft. Die sagten dann: Wir müssen immer mehr nehmen, die Normen gehen höher und höher, was sollen wir denn bloß machen?… Als ich das Thema bei einer Sitzung in Frankfurt vortrug – alle Top-Athleten waren dabei -, sagte mir der Präsident Kirsch: Das ist hier tabu!… Kirsch wußte es, Blattgerste [Leistungsportdirektor des DLV] wußte es, Klappert wußte es, auch Frau Bechthold, die heute noch Vizepräsidentin des DLV ist.“ (Berendonk, S. 266)
Karlheinz Steinmetz ging wegen dieser Aussagen mehrfach vor Gericht, unterlag aber sowohl gegen Wagner als auch gegen Berendonk.
„So verlor Diskuswurf-Bundestrainer Karlheinz Steinmetz nicht nur drei Prozesse in Heidelberg und Kassel, sondern ebenso seinen Posten als Bundestrainer. Obendrein mußte er 10 000 Mark Schadenersatz an Berendonk und ihren Verlag bezahlen. Nun ermittelt auch noch die Staatsanwaltschaft wegen „Falschaussage vor Gericht“.“ (der Spiegel, 28.12.1992)
Ende 1991 traf Steinmetz jedoch auf mild gestimmte verbandsinterne Richter. Er wurde von einer Unabhängigen Juristen-Kommission, die zur Überprüfung von dopingbelasteten Trainern aus Ost und West eingesetzt war, zur Weiterbeschäftigung empfohlen – obwohl wenige Tage zuvor das Landgericht Heidelberg festgestellt hatte: „Sein gesamtes Verhalten rechtfertigt den Vorwurf, er sei ein ,Doping-Experte‘.„ (der Spiegel, 2.12.1991) Steinmetz gibt am 27.11.1991 folgende persönliche Erklärung ab:
Die Sportler Rolf Danneberg, Lars Riedel, Jürgen Schult, Wolfgang Schmidt und Alois Hannecker schrieben an den DLV und sprachen in dem Brief davon, dass sie den Trainer
„als Opfer eines unglaublichen Rachefeldzuges eines alternden Athleten“ sahen. Sie hofften auf eine weitere Zusammenarbeit „insbesondere in Blickrichtung auf die Olympischen Spiele 1992.“
Dem DLV gibt Steinmetz seinen Rücktritt zum 31.1.1992 bekannt. Der Rücktritt fand jedoch nicht statt. Über viele Jahre bis in die jüngste Vergangenheit, führte er Lars Riedel zu internationalen Erfolgen.
Im Januar 2005 erhält Steinmetz vom NOK im Zuge der „Entwicklungsförderung in Ländern der Dritten Welt, Chinas und Osteuropas“ den Auftrag für 16 Tage nach China zu fahren.
„Ausbildungs-Schwerpunkte liegen dabei in Technikanalysen, Trainingsplanung, Wettkampfvorbereitung sowie dem speziellen Kraft- und Schnelligkeitstraining für das Diskuswerfen. Darüber hinaus sind beispielhafte Trainingseinheiten mit ausgewählten Aktiven vorgesehen.“ (DOSB, 29.12.2005)
Im Jahr 2011 wird er Diskus-Trainer chinesischer Olympiakandidaten und führte schnell Li Janfeng zum WM-Sieg. 2012 gehörte er dem chinesischen Olympiateam als Trainer an (dpa, 30.8.2011, DLV, 6.12.2011, Wiesbadener Kurier, 27.7.2012).
FAZ, 4.2.1995:
Damals sei er überall in Ungnade gefallen, aus dem Kader geflogen und 1988 trotz entsprechender Leistung nicht für die Olympischen Spiele in Seoul nominiert worden. Aber nach und nach hätten sich Sportler mit ihm solidarisch gezeigt, am Ende habe Steinmetz zugeben müssen, daß er gelogen hatte. „Aber es ärgert mich, daß viele Leute, die damals an der Spitze waren, immer noch leugnen, etwas genommen zu haben.“
Leider seien seit dem Doping-Skandal frühere Kollegen wie Danneberg zu ihm auf Distanz gegangen. Beim Sportfest in Bad Homburg 1992 wollten Schulte und Lars Riedel seinetwegen sogar den Wettkampf boykottieren. „Beim Einwerfen kam der Veranstalter und sagte mir, daß die Leute wegen Schulte und Riedel, nicht meinetwegen gekommen seien. Er gab mir Geld, damit ich ruhig bleibe und wieder nach Hause fahre.“ Eigentlich täte ihm das sehr leid. „Ich kann es nicht verstehen, die machen sich doch selbst etwas vor.“
SPÄTE BEACHTUNG
Viel Beachtung erregte Alwin Wagner mit seinen ersten Anschuldigungen Anfang der 1980er Jahre nicht, auch mit seinen Aussagen in den Wendejahren 1990/1991 geriet er in Vergessenheit. 25 Jahre danach scheint er wieder gehört zu werden. Im Zuge der Ermittlungen der Evaluierungskommission der Freiburger Sportmedizin und deren Konflikte mit der Universität Freiburg konnte Alwin Wagner seine Erfahrungen mit Arzt Armin Klümper, Verbandsfunktionären und Sportlern erneut öffentlich vortragen.
SWR: Interview mit Alwin Wagner, 22.2.2015
Zitate aus dem Interview:
… War das nur ein Thema zwischen Ihnen und dem Trainer oder hat man da mit Teamkollegen auch darüber gesprochen?
… ich war mit den Teamkollegen, mit den A-Werfern zusammen, … die haben kein Wort darüber verloren, die haben mich als Nachwuchstalent gesehen und haben nichts gesagt, dann [später] hat man allerdings darüber gesprochen, dass jeder quasi so etwas nimmt. Die nehmen schon lange was und das war auch mit ein Grund [weshalb ich es einnahm], vielleicht klappts jetzt, dass ich auch mal mit zu den Meisterschaften fahren kann….
Wurden Sie damals auch darauf hingewiesen, dass diese Medikamente womöglich mittel- oder langristig Folgen haben könnten?
Und das ist eben die Sache, die ich bis heute nicht verstehe, es wurde nicht gemacht. Sowohl von Professor Klümper als später, da war ich zur internistiischen Untersuchung bei Professor Keul, auch in Freiburg. Da gab es auch keine Hinweise. Wir sind zwar untersucht worden von ihm, z. B. ob die Leberwerte noch in Ordnung sind, und wenn die in Ordnung waren, da hat man noch gesagt, wie viel nimmst du … und dann kannst du dementsprechend mehr nehmen oder, oder weniger oder setzt mal aus …. nachdem ich [später] mitbekommen habe, dass einige Athleten praktisch gestorben sind, … habe ich mich damit beschäftigt und habe dann sofort an … den Deutschen Leichtathletikverband, an die Deutsche Sporthilfe, an das NOK Briefe geschrieben, dass man doch endlich mit diesem Normdruck aufhören sollte, weil es einfach nicht mehr weiter geht. …
Hatten Sie den Eindruck, dass, wenn Athleten Dopingmittel von ihm [Klümper] gefordert haben, hat er sie gegeben?
Auf jeden Fall. Ich gehe sogar soweit, dass er sie den Athleten gegeben hat, ohne dass sie sie gefordert haben. Das könnte ich mir gut vorstellen, denn ich habe ja keine gefordert. Das hat der Trainer gemacht, der immer dabei saß und auch schon vorher sagte, das ist z. B. ein großes Talent, den müssen wir besonders fördern …
..Auf jeden Fall kann ich sagen, dass in der Spitze von den Athleten, die also vom DLV, ich spreche also nur von den Leichtathleten, gefördert wurden, zumindest in dem Wurfbereich, war fast jeder davon beteiligt.
Waren die Verbandsfunktionäre darüber informiert was in Freiburg passierte?
Auf jeden Fall. Also die müssen informiert gewesen sein, denn ich bringe immer ein Beispiel, und zwar damals in der Zeit 77 und 78 und später, hieß es immer unsere Athleten müssen sauber sein, ihr dürft nichts nehmen. So hieß es offiziell von den Verbandsfunktionären. Aber wir wussten alle, dass in der DDR, in der Sowjetunion und in ganz Osteuropa gedopt wurde und der DLV und auch das NOK haben nur Leute mitgenommen zu den großen internationalen Wettkämpfen, wenn sie wie gesagt eine Medaillenchance oder Endkampfchance hätten. Und wie blauäugig muss man sein, wenn man sagt, überall dopen die bis zum geht nicht mehr, und ausgerechnet unsere Spitzenathleten nehmen kein Doping und sind noch besser als die Athleten aus der DDR, die dopen sollen. Also dass wusste jeder. Und ich habe es auch mal offiziell angesprochen bei einer Weihnachtsfeier, und da hat der Professor August Kirsch, der war damals DLV-Präsident, … gesagt, er will von der ganzen Geschichte hier in diesem Raum nichts hören. …
Es war dann aber so, dass man wusste, heute wird kontrolliert, und man wusste dann auch z. B. schon, wer kontrolliert würde und da konnte man auch schon dementsprechend manipulieren [erzählt die Episode mit dem Ersatzurin seines Trainers Steinmetz, s.o.]. …
Wir haben uns da jedenfalls unterhalten … selbst mit ausländischen Athleten. Nur … nicht mit den DDR-Atheten, die haben damals geschwiegen … . Selbst die Russen haben uns ihre Mittelchen angeboten. …
Die Verlogenheit regt mich auf. Denn es leben noch so viele Athleten, die in meinem Alter sind und wenn man die offiziell anfragt, dann wissen sie von gar nichts und spricht man unter vier Augen mit ihnen, dann lass mich bitte da raus, ich sage gar nichts mehr und das ist die Verlogenheit der Athleten. Ich bin sauer eigentlich und ich trete in Schulen auch auf und halte Vorträge über Doping aus früheren Zeiten und natürlich warne ich die Leute, weil das Schlimme an der ganzen Geschichte ist ja nicht nur diese Unfairness, diese Chancenungleichheit, sondern diese körperlichen Schäden, die man davon tragen kann. …
Ich hätte gern mal eine Studie gehabt, wo und wie viele Leute von den bundesdeutschen Athleten, nicht nur Leichtathleten, sondern auch Gewichtheber, Schwimmer usw. nach ihrer aktiven Laufbahn kaputt sind, wie viele Athleten gestorben sind, und wie viele Athleten z. B. heute an Krebs leiden…
Monika 2009, Ergänzungen