Interview: 2008 Prof. Dr. Gerhard Treutlein

Interview mit Prof. Dr. Gerhard Treutlein

von Manuela und Monika, Januar 2008

ZENTRUM FÜR DOPINGPRÄVENTION ZDP – KOOPERATIONEN UND kAPAZITÄTEN

Das Projekt ‚(Heidelberger) Zentrum für Dopingprävention’ (ZDP) ist bislang auf 2 Jahre angelegt, endet damit bereits wieder 2009. Gibt es Pläne darüber hinaus?

Treutlein: Wir wünschen nicht, dass das Projekt nach 2 Jahren beendet ist. Wir hoffen über weitere Sponsoren, sowie über die Deutsche Sportjugend (dsj) an zusätzliche Gelder zu kommen, eventuell auch über den Bund Deutscher Radfahrer (BDR). Hilmar Heßler, Hauptamtlicher für den Jugendbereich, ist sehr engagiert und versucht alles. Die finanziellen Mittel des BDR sind allerdings begrenzt.

Was ist mit dem Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB)?

Treutlein: Nun ja, die dsj ist Teil des DOSB

Aber der DOSB ist mehr…

Treutlein: Wir haben jetzt zusammen mit der dsj Kontakt zu acht Landessportbünden, auch auf dieser Schiene kann sich noch etwas tun. Kontakte zu anderen Sportverbänden werden hinzukommen; im Moment sind wir aber von den Anfragen nach Interventionen durch uns schon fast überfordert.

Haben Sie Kontakte zum Profisport?

Treutlein: Nein, bislang arbeiten wir nur mit Amateuren zusammen. Unsere Hauptaufgabe sehen wir vor allem bei der Jugend und ihren Trainern. Zur Verbesserung unserer finanziellen und personellen Basis wollen wir uns demnächst systematisch an Firmen wenden, die aus dem Spitzensportsponsoring ausgestiegen sind, denn sie könnten doch wenigstens in die Gegenrichtung etwas unternehmen.

Irgendwann sind auch unsere Grenzen erreicht, unsere Kapazitäten ausgereizt. Es gäbe noch eine Menge Sinnvolles zu tun.

Die dsj ist offenbar Ihr Hauptkooperationspartner?

Treutlein: Ja, wir hatten ein Riesenglück. Es haben immer Zufälle mitgespielt. Ich hatte im Jahr 2003 mit Nicole Arndt zusammen angefangen, die Broschüre „Sport ohne Doping“ zu entwickeln, zu einem Zeitpunkt, als überhaupt nicht klar war, ob sie je gedruckt erscheinen könnte.

Wir haben an allen möglichen Türen angeklopft um Gelder für eine hohe Auflage zu bekommen. Doch praktisch überall gab es die gleiche Reaktion, ja wir finden das sinnvoll aber leider, leider ist unser Etat schon ganz verplant. Es gab allerdings auch direkte Ablehnung. Von Achim Bueble, NOK, kam der Tipp, sich an die dsj zu wenden. Ingo Weiß, Vorsitzender der dsj fand die Idee sofort gut und das Projekt stand.

In der Zwischenzeit wurden fast 20 000 Exemplare der Broschüre kostenlos verteilt (Anm.: ab 8.2008 gibt es eine erweiteret Neuauflage). Von der damit in Zusammenhang stehenden Arbeitsmappe zur Dopingprävention, die im letzten Jahr neu entwickelt wurde, sind innerhalb von drei Monaten 4 000 Exemplare an Interessierte gegangen. Damit wird eine gute Grundlage gelegt. Selbst wenn nur die Hälfte der Angesprochenen ansatzweise mitmacht, dürfte eine Menge in Bewegung gebracht werden.

Im nächsten Schritt versuchen wir über die Landessportbünde Veranstaltungen anzubieten, auf denen gezeigt wird, wie man mit diesen Materialien umgeht und zusätzlich werden wir konkrete Maßnahmen an der Basis durchführen. Wichtig ist hierbei, dass es Nachfolgeveranstaltungen gibt. Denn einmal zweieinhalb Stunden etwas mit einer Gruppe zu machen, bringt zunächst fast gar nichts, das muss man ganz klar sagen. Aber das Interesse der Jugendlichen war groß und die Rückmeldung bezüglich unserer Vorgehensweise war auch gut: einer sagte uns, er habe schon zweimal solche Veranstaltungen mitgemacht, das habe ihn überhaupt nicht interessiert, denn sie seien praktisch nur vollgelabert worden. Wir versuchen sie über eine interaktive Vorgehensweise zu aktivieren, z.B. über die Analyse und Bearbeitung von konkreten Fällen, Rollenspiele u.a.m. .

DOPING IM BREITEN- UND JUGENDSPORT

Zitat von Ihnen: „Doping findet nicht nur im Spitzensport statt, sondern heute viel gefährlicher und umfangreicher im Breiten- und Jugendsport.“ Warum gefährlicher?

Treutlein::Die Leute im Spitzensport haben ein kompetentes medizinisches Umfeld. Dieses schützt sie normalerweise vor den allerschlimmsten Risiken. Im Breiten- und Jugendsport haben wir experimentelles Doping ohne Begleitung, oft nach dem Motto, viel hilft viel. Sie können die Risiken gar nicht ermessen. Wenn man die Doktorarbeit von Luitpold Kistner bezüglich der Folgen des Anabolikamissbrauchs bei Bodybuildern (Link zur Studie) ansieht und sieht was im Bodybuildingbereich, der immer mehr Zulauf von Jugendlichen erhält, abläuft, kann man erkennen, welche Gefahren bestehen. Krass gesagt, es bestehen Gefahren für die Volksgesundheit.

Bodybuilder Jörg Börjesson, hat im Alter von 18 Jahren,
„einen Sinn im Leben gefunden. Dafür stellt er seine Ernährung um. Keine tierischen Fette mehr, dafür Bananenbrei mit Haferflocken und Magerquark. Doch irgendwann wachsen seine Muskeln nicht mehr, er kommt im Umkleideraum des Studios ins Gespräch mit seinem Vorbild. „Der hat sogar an der Weltmeisterschaft teilgenommen“, sagt Börjesson. Zweifel sind ihm damals fremd wie dem Fisch der Durst, und so lässt er sich von seinem Idol, dessen Namen er nicht nennt, die ersten Tabletten geben. Er schluckt alles, ohne zu wissen, welche Nebenwirkungen auftreten können. „Ich habe ihm blind vertraut“, betont er. „Der hat doch die Sachen selbst genommen. Der musste es doch wissen.“ „

Was verstehen sie unter umfangreicher?

Treutlein: Wenn man die Spitzensportler nimmt, die absolute Spitze, dann waren das in der DDR über zwei Jahrzehnte hinweg insgesamt mehr als 10.000 Sportler, die davon betroffen waren. Das ist wenig im Vergleich zum Rest der Bevölkerung und bezogen auf die heutige Bundesrepublik. Nehmen wir an, 5.000 Spitzensportler seien in Gefahr, was ist das im Vergleich zu den zig-tausenden anderen Sportlern, bei denen die Gefahr mindestens genauso groß ist, die aber nicht im Blickpunkt der Öffentlichkeit stehen.

Stehen konkrete Zahlen zur Verfügung?

Treutlein: das ist ja das schon perfide in Deutschland, es werden praktisch keine Untersuchungen gemacht. Man kennt die Situation aber einigermaßen aus Studien aus dem Ausland. In Deutschland gilt immer noch, weil es keine Untersuchungen gibt, gibt es das Problem gar nicht. Die Schätzungen zum Anabolikamissbrauch variieren zwischen 200.000 und einer Million Abuser.

Ist das die Tabuisierung des Themas Doping, von der Sie an anderer Stelle sprachen? Ist festzustellen, dass sich etwas ändert?

Treutlein: ich arbeite an diesem Thema seit Anfang der 70er Jahre. Ich habe den Eindruck, vor allem aus dem Kontakt mit Journalisten, dass sich einiges in den letzten Monaten geändert hat, dass das Problembewusstsein gewachsen ist und die Bereitschaft sich auch um das Thema Prävention zu kümmern, ist deutlich größer geworden. Noch vor einem Jahr hätte man keinen Journalisten mit dem Thema Prävention hinter dem Ofen hervorgeholt.

DER PRÄVENTIONS-ANSATZ

Ihr Zentrum ist Teil des ‚Zentrums für Prävention und Gesundheitsförderung‘ unter Leitung von Prof. Dr. Wolfgang Knörzer an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg.

Treutlein: Wir arbeiten in Kooperation mit Prof. Dr. Wolfgang Knörzer selbstständig aber durchaus mit dem Ziel, die Dinge zusammen zu führen. Ein Schwerpunkt der Arbeit von Wolfgang Knörzer (mentale Stärkung von jungen Menschen) ist eine wesentliche Ergänzung für unsere Arbeit..

Wir dürfen uns nicht auf einen engen Begriff von Doping und auch nicht auf Dopingprävention als solches einschränken lassen. Sandro Donati bereitet in Italien Präventions-Aktionen vor, die relativ weit gediehen sind, in denen der gesamte Präventionsbereich zusammen genommen wird, also Nikotin, Alkohol, weiche und harte Drogen und Doping. In Verbindung wird dies dann gleichzeitig mit der positiven Richtung, mit der Entwicklung von Lebenskompetenz und gesundem Lebensstil, gebracht. Das versuchen wir auch, denn wenn Jugendliche eingespurt sind in Richtung gesunder Lebensstil, ist die Chance zumindest größer, dass mehr von Ihnen die Finger von Medikamentenmissbrauch un Doping lassen.

Wir haben einen weiteren Schwerpunkt in unserer Arbeitsweise, wir arbeiten möglichst wenig mit dem Abschreckungsansatz. Wenn ich lese, ‚Rauchen tötet’, frage ich mich, was kommt an. Allerdings muss in der Gesamtproblematik auch der Komplex der Nebenwirkungen behandelt werden, so dass wir nicht ganz ohne Abschreckung bzw. in diesem Fall von Information auskommen.

Ich hatte mich der Illusion hingegeben, es gäbe verschiedene Ansätze, die sich alle nicht als wirksam erwiesen haben, aber unser Ansatz, der in Richtung Informieren, Reflektieren, Argumentieren geht, würde ausreichen. Es zeigt sich aber, dem ist nicht so, man muss die anderen Ansätze teilweise mitberücksichtigen. Die konkrete Arbeit an der Basis bringt erheblichen Erkenntnisgewinn.

PROJEKTE

Sie arbeiten mit Jugendlichen und mit Trainern. Gibt es auch Veranstaltungen/Maßnahmen, in denen beide Gruppen gemeinsam miteinander arbeiten?

– MLP-Radsportteam –

Treutlein: Eine erste solche Maßnahme werden wir am 26. Januar mit dem MLP-Radsportteam (Hauptsponsor Lautenschläger/MLP) unseres Zentrum-Sponsors Manfred Lautenschläger und seinem Mitarbeiter Heutling durchführen. Das wird spannend für alle Seiten. Manfred Lautenschläger wird selbst an der Maßnahme teilnehmen und den Radsportlern des MLP-Teams verdeutlichen: Er wird sich als Sponsor zurückziehen, sobald es nur einen einzigen Dopingfall oder einen begründeten Verdacht gibt. Und da die Sportler und die Trainer alle zusammen an der Maßnahme teilnehmen werden, wird das auch für uns eine Ersterfahrung werden. Wenn es sich bewährt, dann werden wir dies natürlich in dieser Art und Weise fortführen.

Es bestehen noch weitere Initiativen in Deutschland, die sich der Dopingprävention verschrieben haben. Gibt es zwischen ihnen eine Zusammenarbeit?

– BDR-Teamer –

Treutlein: Wir werden im Februar mit dem BDR zusammen eine Teamergruppe ausbilden, die als Multiplikatoren das Thema den A-, B- und C-Trainern nahe bringen soll. Da werden auch Mitglieder und Initiatoren anderer Initiativen mit dabei sein: Gert Hillringhaus vom Radsportteam Lübeck, ich lege auch Wert darauf, dass Ralf Meutgens dazu kommt, Michael Sauer von Köln, Astrid Offer, die bei der Initiative „falscher Einwurf’ dabei war. Dann möglicherweise Sascha Severin und Andreas Schmid (Köln, clean race), Thomas Dressler aus Friedrichshafen und dann wir zu dritt aus Heidelberg. Wir versuchen hier kompetente Leute zusammen zu bringen, den Erfahrungsaustausch anzuregen und auf dieser Basis Konzeptionsentwicklung für den BDR zu betreiben.

Werden diese eingeladenen Experten die Teamer sein oder helfen sie die Teamer auszubilden? Wenn letzteres zutrifft, wer stellt sich als Teamer zu Verfügung, wie viele werden es sein?

Treutlein: Zunächst einmal geht es beim ersten Treffen in Heidelberg vom 8. – 10.2. um einen Erfahrungsaustausch. Dann soll auf der Grundlage eines von uns noch auszuarbeitenden Ansatzes gemeinsam diskutiert werden, wie die Ausbildung von Multiplikatoren für den BDR zu den Themen Doping und Dopingprävention 14 Tage später aussehen soll. Diese Multiplikatorenschulung für den BDR wird dann von uns gemeinsam gestaltet. Im Lauf eines Jahres sollen die Multiplikatoren zusammen mit der Teamergruppe alle A-Trainer der Bereiche Straßen- und Bahnradrennsport und Mountainbiking schulen, in maximale 25-Gruppen, damit ein intensiver Austausch möglich wird. Diese sollen dann in der Folge alle B- und C-Trainer schulen, wo gewünscht mit Hilfe der Teamergruppe. Ein solches Konzept gibt es bisher für keinen anderen Verband, deshalb bezeichnen wir die Maßnahme als Modellmaßnahme. Bei allem sollte aber nicht vergessen werden, dass eine solche Modellmaßnahme Geld kostet und dies ist bisher nicht ausreichend vorhanden.

In der Leipziger Erklärung der A-Trainer des BDR (Link) ist die Rede von einer Hotline, die Sportlern in Dopingfragen zur Verfügung stehen soll. Frankreich besitzt seit einigen Jahren eine, die offenbar gut genutzt wird. Die Jahresberichte sind öffentlich (link) und lassen ein breites Themenspektrum erkennen.

– Hotline –

Treutlein: Die französische Hotline in Montpellier wird folgendermaßen finanziert: sie erhält 200.000 € vom Sportministerium, die Telefonverbindungen werden von ‚France Telecom‘ kostenlos zur Verfügung gestellt und weitere Sponsoren unterstützen das Projekt.

An sechs Tagen in der Woche sitzt von 10 Uhr morgens bis abends um 20 Uhr jeweils ein ausgebildeter Sportpsychologe, der Anrufe entgegen nimmt, am Apparat. In einem speziellen Auswertungsbogen werden bestimmte Dinge notiert. Wöchentlich findet sich eine Supervisionsgruppe, in der bestimmte Fälle besprochen und weitere Vorgehensweisen beschlossen werden. Für Fälle, die die Psychologen nicht selbst bearbeiten können, wurden in den 24 Regionen regionale Netzwerke geschaffen. So gibt es in Montpellier z.B. einen Apotheker, an den sich die Fragesteller mit spezifischen pharmazeutischen Problemstellungen wenden können. Auf jeden Fall sind regionale Netzwerke da – ein Vorteil und eine Folge des französischen Antidopinggesetzes – , die in Deutschland absolut inexistent sind.

Wenn heute bei uns irgendjemand, sei es ein Leistungssportler, Bodybuilder oder sonst wer ein Problem hat, wo soll er sich hinwenden? Im Zweifel passiert es wie bei Birgit Dressel, Menschen mit Problemen gehen zum Arzt, geben aber nicht zu, was sie alles gemacht haben, und treffen auf überforderte Ärzte – das war der Hauptgrund für Birgits Tod.

Wie wird die in der Leipziger Erklärung angesprochene Hotline vom BDR organisiert werden?

Treutlein: Nein, was wir machen wollen in einem ersten Schritt, ist ein Internetauftritt, als Austauschmöglichkeit. Für eine Hotline wie in Montpellier sehe ich in absehbarer Zeit keine Möglichkeiten. Prof. Dr. Hans Eberspächer vom Institut für Sport und Sportwissenschaft der der Universität Heidelberg wäre interessiert gewesen, so etwas in Gang zu bringen, aber dazu fehlt das Geld.

Es ist wie bei allem, was wir machen, es kann auf Dauer nicht so weiter gehen. Wenn unser Projekt stabil werden soll, kann es nicht sein, dass es wesentlich von ehrenamtlichen Engagement abhängt und es kann nicht sein, dass es davon abhängt, dass Mitarbeiter bereit sind zu einer Minibezahlung qualitativ hochstehende Arbeit machen. Da muss sich der organisierte Sport schon fragen und fragen lassen, was ist ihm Prävention wert.

Das gilt auch für die Sponsoren. Wenn man sieht, welche Summen in den Spitzensport fließen, erkennt man ein absolutes Missverhältnis. Der BDR will die Modellmaßnahmen für zwei Jahre mit insgesamt 20.000 € unterstützen. Ob darüber hinaus noch weitere Mittel von Seiten des BDR zur Verfügung gestellt werden können, ist noch nicht absehbar. Die dsj gibt 10.000 € dazu. Für die dsj muss man die ganzen Kosten für die Präventions-Mappen noch hinzurechnen: Bei über 20.000 Broschüren und 10.000 Materialmappen kommt da ein ganz schöner Batzen zusammen. Das ist der dsj als Untergliederung des DOSB hoch anzurechnen.

NACHFRAGE UND REAKTIONEN

Wer kann sich alles an Sie bzw. an das Präventionszentrum wenden?

Treutlein: Im Prinzip alle. Wir sind allerdings im nächsten Jahr schon ziemlich ausgelastet. Vor allem der Februar ist voll, jedes Wochenende, an zwei Wochenenden drei Tage. Das muss man auch sehen. Ich habe Wert darauf gelegt, dass diejenigen, die zu dem Teamertreffen kommen, das nicht völlig ehrenamtlich machen. Jeder von ihnen bekommt 150 € . Vergleichen sie das mit dem, was an anderer Stelle bezahlt wird, z.B. was für die Mitglieder der Untersuchungskommission des BDR an Tagessätzen vorgesehen war oder beim Einsatz von Spezialisten im Leistungssport. Die Mitglieder des Teamertreffens bekommen wenigstens 150 € damit auch der Verband die Sache bemerkt und es nicht nach dem Prinzip geht, was nichts kostet, ist nichts wert. Aber auf Dauer kann man so nicht arbeiten.

Wie reagieren die Jugendlichen auf Ihre Angebote?

Treutlein: Ausgesprochen positiv. Ich bin fasziniert, und das war nicht nur bei der Gruppe der Antidopingbotschafter der Fall, sondern für uns überraschender Weise auch bei den beiden Jugendkadermaßnahmen im Straßenradrennsport im November (14Jährige, 15-/16Jährige – zusammen mit Herrn Mühlfriedel), diese Jugendlichen stehen (noch?) deutlich für den sauberen Sport. D. h. man muss sie nicht in eine andere Richtung orientieren, sondern darin bestärken, dass sie in Zukunft bei dieser Haltung bleiben.

Und da könnte ein Unterschied sein zu französischen Radsportjugendlichen. Patrick Magaloff (der Verantwortliche von CNOSF) hatte in 19 Veranstaltungen, die er gemeinsam mit der ASO durchführte, 242 jugendliche Radleistungssportler erfasst. Denen wurde ein Fragebogen vorgelegt mit der relevanten Frage, ob sie in Zukunft vorhaben, sich zu dopen. Insgesamt haben 160 geantwortet, 18 % davon gaben an, dass sie es vorhaben – obwohl sie wussten, dass sie am Beginn einer Dopingpräventionsveranstaltung waren (sie waren verpflichtet teilzunehmen). Wenn man jetzt noch diese 82 nimmt, die gar nicht erst geantwortet haben, kann es einem Angst und Bange werden.

Bei Ihrem Engagement müssen sie aber Hoffnung haben…

Treutlein: Ich schätze die Arbeit von Patrick Magaloff sehr. In wieweit die ASO glaubwürdig dabei ist, weiß ich nicht, aber ich habe von der Art und Weise, wie Patrick Magaloff arbeitet und von dem, was in Frankreich läuft, viel profitiert und viele Ideen entnommen. Es ist nicht so, dass von den Inhalten der Mappe und der Broschüre alles auf dem eigenen Mist gewachsen ist. Da stehe ich auch voll und ganz dazu, es muss nicht überall das Rad neu erfunden werden.

ALLTAGSDOPING

Sie spannen einen weiten Bogen vom Alltagsdoping bis hin zum Spezial-Doping der Hochleistungssportler.

Treutlein: Die Medikamentalisierung der Gesellschaft hat sich in den letzten Jahrzehnten extrem entwickelt. Aber darüber wurde und wird kaum geredet. Diese Entwicklung muss man berücksichtigen, denn damit ist auch die Hemmung geschwunden, Möglichkeiten in der Grauzone zwischen Alltagsdoping und Doping zu verwenden. Die Wahrscheinlichkeit ist gering, dass sich durch unsere Präventionsmaßnahmen da ruckzuck etwas ändert. Aber man muss irgendwie anfangen. Man muss das öffentliche Bewusstsein damit konfrontieren, wie pervers es eigentlich ist, so auf die Spitzensportler zu schimpfen, während viele andere genau das Gleiche machen, allerdings ohne dass es dafür Regeln gibt. Wenn Manager oder Politiker Kokain schlucken oder sonstige Drogen zu sich nehmen, wissen sie durchaus, dass sie gegen Gesetzesbestimmungen verstoßen, aber das sehen sie meist nicht als schlimm an. Im Radsport oder im Spitzensport insgesamt empfinden sie das dagegen aber möglicherweise als verwerflich.

In allen Bereichen der Gesellschaft wird Leistungsbereitschaft zu jeder Zeit, Leistungsfähigkeit und rationales Handeln verlangt; wie Leistungen und Erfolge erreicht werden, ist im Zweifelsfall egal. Wenn die Öffentlichkeit sich ihr eigenes Verhalten bewusst machen würde, dann wären wir in punkto Problembewusstsein schon einen erheblichen Schritt weiter…

Sie kritisieren die Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln (NEM) und den immer selbstverständlicher werdenden Griff nach frei zugänglichen Medikamenten. Was ist schlimm daran, wenn wir versuchen, uns für unser tägliches Leben mit nicht verbotenen Mitteln fit zu machen?

Treutlein: Ich kritisiere die Verwendung in Anlehnung an die Aussagen von Prof. Dietmar Junker in Leipzig vor allem für unter 20Jährige, aus zwei Gründen: Durch die Verwendung von NEM besteht die große Gefahr, dass der Körper bestimmte Stoffe, die er selbst produzieren könnte, nicht mehr produziert. Zum anderen wirken verschiedene Stoffe in den NEM so, dass manches Wertvolle in der Nahrung nicht mehr aufgenommen werden kann. NEM sind wichtig für alte Menschen, nicht aber für junge Leistungssportler. Und für alle ist das Wichtigste: Eine gesunde Ernährung!

SUCHTPOTENTIAL

Vieles deutet daraufhin, dass Sportler stärker als andere Menschen suchtgefährdet sind. Sucht gilt heute jedoch nicht mehr so sehr als Delikt, sondern als Abhängigkeit, in schweren Fällen als Krankheit, die man therapieren sollte. Gibt es in Deutschland Angebote für abhängige Sportler, vor und vor allem nach der Karriere? Sieht man in den Verbänden ein Problem?

Treutlein: Der Zusammenhang „Sport und Sucht“ ist bisher kaum beachtet worden und wenn Süchte wie Magersucht im Zusammenhang mit Leistungssport auftreten, dann fühlt sich scheinbar niemand verantwortlich. Wie bei der Dopingproblematik wird die Verantwortung personalisiert und individualisiert, Struktur- und Systemursachen werden verdrängt. Die immer geringeren Regenerationszeiten können zum Griff zu Suchtmitteln veranlassen. Sport selbst kann zur Sucht werden (z.B. der Ausdauersport) und zu weiteren Suchtmitteln verführen.

Verwendete Dopingmittel können Suchtpotential haben wie Kokain oder Cannabis. Und das abrupte oder am Ende des Höchstleistungsalters schleichende Karriereende können zur Sucht verleiten (die bisherigen Glücksgefühle durch Erfolge durch die Wirkung von harten Drogen ersetzen). Wer hat sich nach Karriereende z.B. um Marco Pantani oder Diego Maradona gekümmert? Hier besteht ein großer Forschungsbedarf.

Wie berücksichtigen Sie in ihren Präventionsmaßnahmen diese Problematik?

Treutlein: Bisher nicht ausreichend. Wir können – zumal mit unserem geringen Personalbestand und den geringen finanziellen Möglichkeiten – nicht alles auf einmal leisten. Aber wir sprechen auf jeden Fall das Problem an und verweisen auch auf die Ergebnisse von Forschungen im Ausland, z.B. in Frankreich oder der Schweiz.

Ist das nicht ein viel zu großes Paket, das da angegangen wird?

Treutlein: Irgendwo muss man anfangen. Für mich ist das die gleiche Situation, wie bei der Abrüstungsdiskussion in den 80er Jahren. Jeder hat gesagt, erst einmal die anderen. Und wenn nicht irgendwann irgendwo jemand angefangen hätte, wäre nichts passiert. Dass man das völlig umdrehen kann, diese Illusion habe ich nicht. Aber man kann vielleicht bremsen. Und nicht vergessen: Bei der Diskussion um Jugendgewalt läuft jetzt gerade das gleiche Muster ab wie bei der Diskussion um Doping: Wenn es aktuelle Vorfälle gibt, wird die Forderung nach verschärfter Repression groß, selbst wenn die Forschung erwiesen haben sollte, dass nachhaltig eigentlich nur Prävention, nicht aber verschärfte Repression wirkt.

JUGEENDSPORT – PROFISPORT

Ihre Maßnahmen zielen bislang vorwiegend auf den Jugend- und Amateurbereich. Welche Rolle spielen sportliche Vorbilder, die häufig aus dem Profisport kommen, für die jugendlichen Leistungssportler?

Treutlein: Die Rolle von Vorbildern aus dem Spitzensport wird überschätzt. Jugendliche Leistungssportler nennen Vorbilder oft aus ihrem Nahbereich, den Trainer, einen leistungsstarken Erwachsenen im eigenen Verein. Wir haben Jugendliche im Alter von 14 – 17 Jahren befragt.

Sofern sie Vorbilder im Spitzensport haben, wären sie fürchterlich enttäuscht, wenn diese mit Doping in Zusammenhang gebracht würden. Sauberkeit, Fairness sind für die Jugendlichen in diesem Alter wichtige Werte; wenn sie enttäuscht werden, würden sie sich sofort von solchen Vorbildern abwenden. Deshalb müssen Spitzensportler viel deutlicher darauf hingewiesen werden, dass sie angesichts der umfangreichen Förderung durch Staat und Sponsoren nicht Leistung von ihnen erwartet wird, sondern auch ein Vorbildverhalten in Anlehnung an die in der Olympischen Erziehung angestrebten Ziele und Werte. Spitzensportler sind keine Kleinunternehmer, die niemandem verantwortlich sind. Sie müssen sich nach den Sauberkeits- und Fairnesserwartungen von Gesellschaft und Geldgebern verhalten, selbst wenn manche verflossene Sportgrößen wie der Kaiser oder Paul Breitner manchmal etwas anderes sagen.

Sieht es gegenwärtig nicht so aus, zumindest in einigen Sportarten, dass spätestens dann, wenn die Jugendlichen eine Profilaufbahn einschlagen möchten, sie wieder allein gelassen werden? Wer hilft ihnen, sich dem Leistungsdruck zu stellen, wer hilft Ihnen dabei, „Nein“ zu sagen?

Sven Hannawald:
„Ich wusste, dass das Thema Springen gegessen ist, aber ich habe ihm nachgetrauert. Man hält sich dran fest, weil es so schön war, aber man wird nie mehr so gut sein, wie man einmal war. Man sieht die jungen Hüpfer, die brennen vor Energie, und man sieht die Alten, die zwar noch können, aber nicht mehr hundertvierzigprozentig, wie es notwendig ist. Da konnte ich nicht sagen: Mir geht es schlecht. Aber ich konnte auch nicht sagen: Mir geht es gut. Wenn man nicht mehr weiß, wofür man das alles macht, dann macht es einen depressiv. Man hängt nur rum. Früher habe ich immer gesagt: Wenn ich aufhöre, will ich so viel Geld verdient haben, dass ich nicht mehr arbeiten muss. Dann baue ich ein Haus, habe ich eine Familie und lege die Füße hoch. Jetzt merke ich, dass das tödlich ist.“
FAZ, 30.12.2007

Treutlein: Im Zweifelsfall niemand, sofern nicht kompetente Psychologen und Laufbahnberater am Werk sind. Fälle wie jene von Deissler oder Hannawald sollten den Verantwortlichen genauso zu denken geben wie die Schicksale von Sportlern, die einer Sucht verfallen sind – man denke hier nur an das Beispiel des Ruderers Bahne.

Können Sie Jugendlichen den Weg zum Profi heute noch guten Gewissens empfehlen?

Treutlein: Diese Frage bereitet mir Bauchweh, aber erstens schaffen den Weg bis zum Profi sowieso nur wenige und diejenigen, die Profis sind, bekommen ja Schmerzensgeld für das, was sie sich möglicherweise antun… Aber im Ernst: In Anbetracht der geringen Chancen auf eine Profikarriere – wieviel Prozent von radsportbegeisterten Jugendlichen dürften dies sein? – ist es aus zwei Gründen wichtig, auf die Vereinbarkeit von schulischer / beruflicher Entwicklung und Leistungssport hinzuwirken. Zum einen, damit die Jugendlichen auf eine gesicherte Zukunft hinarbeiten und hierfür ist Bildung immer noch die beste Grundlage. Und wer ein zweites Standbein hat, erträgt nicht nur leichter Niederlagen und Misserfolge, die zwangsläufig zu einer Leistungssportkarriere dazu gehören. Er ist auch besser gefeit gegen das Hineingeraten in die Dopingfalle. Er hat mehrere Optionen zur Verfügung: Er kann ganz aus dem Leistungssport aussteigen, Leistungssport auf einem niedrigeren Niveau betreiben, seine Grenzen ohne Doping ausloten und sich damit zufrieden geben, aber auch in eine andere, weniger problematische Sportart wechseln. Und wer in Schule und Beruf erfolgreich ist, ist mit Sicherheit mental stärker als derjenige, der nur das Standbein Leistungssport hat. Schule und Beruf ernst zu nehmen, muss also nicht unbedingt Leistung beeinträchtigend sein.

Haben sie Hoffnung, dass sich in den Verbänden, bei den Funktionären, bei den Politikern, den Sponsoren und nicht zuletzt beim Publikum Erwartungshaltungen ändern?

Treutlein: So lange nicht mehr Quereinsteiger in solche Funktionen hineinkommen, die bisher nicht zum Kameradenland des Sports gehört haben, oder Personen, die fest in der Basis verankert sind (dort wird meist der ehrlichste Sport getrieben), habe ich nur eingeschränkte Hoffnung. Die Geldgeber des Sports könnten etwas bewirken, wenn sie deutlicher auf den Doppelauftrag des Sports pochen würden, die Persönlichkeitsentwicklung der Sportler und nicht nur auf die Erfolgsproduktion. Der Sport selbst müsste in Anlehnung an Karl-Heinrich Bette / Uwe Schimank (Bette/Schimank, Die Dopingfalle) eine Selbstbeobachtungsplattform aufbauen, mit unabhängigen Personen, die vor Fehlentwicklungen rechtzeitig – bevor es zu Skandalen kommt – warnen und auch Ratschläge für Veränderungen geben könnten. Diese müssten dann aber auch gehört werden – und nicht negiert wie in der Vergangenheit.

Sie schreiben, zugespitzt, die Signale, die aus dem Profisport kommen, kommen auch ganz unten an, „daher könnte ein Radsport, der glaubwürdig sein und zumindest als Amateur- und Jugendsport empfohlen werden möchte, eigentlich nur einer sein, der gleichzeitig vor sich selbst warnt“. Sehen Sie dafür Ansätze?

Treutlein: Bisher wenig. Vielleicht bleibt als einzige Lösung diejenige, die Brigitte Berendonk und Werner Franke schon 1969 vorgeschlagen haben: den Profisport aus unseren Verbänden auszugliedern. Dann können die Profis – unter Beachtung der Gesetzesbestimmungen – sich selbst Regeln geben und entsprechend dem grundgesetzlich zugesicherten Recht auf Selbstschädigung mit sich und ihrem Körper machen, was sie wollen. In unserem im DOSB-organisierten Sport und seinen Regeln wollen wir solche Menschen nicht haben.

Wie sehen Sie den Ausstieg der vielen Sponsoren aus dem Radsport, der ja auch viele kleinere Rennen betrifft.

Treutlein: Das ist zunächst natürlich einmal bitter, vor allem für die Leute, die saubere Arbeit an der Basis leisten. Wenn z.B. Eltern ihre Kinder nicht mehr zu Radcamps von jemandem wie Gerd Hillringhaus lassen, der absolut für sauberen Sport steht, dann werden natürlich genau die Falschen getroffen. Aber wenn dadurch mehr anfangen gegen Verlogenheit, Heuchelei und Unfairness zu rebellieren, dann hat es vielleicht auch etwas Gutes, dann wächst die Bereitschaft zur Arbeit an der Glaubwürdigkeit des Leistungssports.

Herzlichen Dank für das Gespräch!