Antidoping: Das Neusser Modell
DAS NEUSSER MODELL, FÜR EINE SAUBERE ZUKUNFT
Die Initiative ist beendet.
Kontakt:
Dr. Sascha Severin
Stadt Neuss
>>> Interview mit Dr. Sascha Severin
VORSTELLUNG DES NEUSSER MODELLS
Das Neusser Modell verstand sich als ganzheitliche Antidopingkampagne, die in Hinblick auf die Deutschland-Tour 2008 entwickelt wurde. Die Stadt Neuss am Rhein ist am 4. September Ziel der 6. Etappe.
Gestartet wurde die Kampagne am 16. April mit einer Pressekonferenz, auf die die verschiedenen Maßnahmen vorgestellt wurden. Während der gesamten Zeit bis zur letzten Etappe der Rundfahrt am 8. September in Bremen wird es Aktionen geben, mit denen die Dopingproblematik angesprochen und Möglichkeiten der Problemlösung zur Diskussion gestellt werden. Zentrale Themen sind Aufklärung, Prävention sowie die Durchführung intelligenter Dopingkontrollen.
Die einzelnen Maßnahmen waren:
– Wettbewerb im Raum Düsseldorf: Dopingprävention macht Schule
– Vortragsreihe: Die leistungssteigernde Gesellschaft
– Spendensammlung für das Modellprojekt „GATE“
– neusser mobil – Dopingprävention auf Rädern
– Intelligente Dopingkontrollen
– Leistungsdiagnostische Station
– Highfive-Präventionsstand der NADA
DIE ENTSTEHUNGSGESCHICHTE
Sascha Severin:
„Neuss ist eine Radsporthochburg mit langer Radsporttradition. In den 80er Jahren gab es den Radklassiker, die Radfernfahrt Neuss-Aachen-Neuss und noch gibt es das Posttourkriterium ‚Tour de Neuss‘. Aus der Region kommen Markus Fothen, Andy Beikirch, Ina-Yoko und Sven Teutenberg, Günther Schumacher und Udo Hempel, beide 1972 Olympiasieger.“
Warum konnte in der Stadt Neuss am Rhein solch ein Antidopingprogramm entstehen und warum wurde es von den Verantwortlichen im Rathaus sowohl finanziell als auch namentlich mitgetragen?
Sascha Severin, Leiter des Modells sieht mehrere Gründe: Auf der einen Seite waren er, tätig bei der Stadt Neuss im Öffentlichkeitsreferat (in der Jugend Bahnfahrer im Nationalkader, C-Trainerlizenz), und Ralf Meutgens (Journalist mit A-Trainerlizenz), hier geboren und noch mit starken Bindungen, die mit ansehen mussten, wie ihr geliebter Radsport immer weiter an Boden verlor und da war die Stadt Neuss mit langer Radsporttradition. Einerseits war es für alle nachvollziehbar, dass sich Sponsoren zurückzogen und immer mehr Rennen vom Terminkalender verschwanden, andererseits sind sie davon überzeugt, dass dopingfreier Radsport auf höchstem Niveau möglich ist.
Seit vier Jahren bemühte sich die Stadt schon Etappenort der Tour de France zu werden aber ohne Referenz einer anderen Rundfahrt standen die Chancen schlecht. Die Deutschland-Tour bot sich dafür an, zumal sie den Eindruck erweckt hatte, vernünftig mit der Doping-Problematik umzugehen. Sascha Severin, kam nachdem er ein Kapitel in Meutgens Buch ‚Doping im Radsport‘ verfasste hatte, ins Grübeln.
„Ich sagte mir, sicher ist es gut Zustände zu kritisieren nur irgendwann muss man auch versuchen konstruktiv zu sein. Das Neusser Modell ist eigentlich aus dieser Not heraus entstanden. So kamen wir auf die Idee uns für die Deutschland-Tour zu bewerben und sie mit einem komplett neuen Ansatz im Antidopingkampf zu versehen, mit der Kopplung an ein Antidoping-Modell.“
Bemerkenswert ist, dass die Stadt ihre Bereitschaft Etappenort zu werden, abhängig gemacht hat von der Koppelung der Deutschland-Tour an das Neusser-Modell.
Wertvolle fachliche Unterstützung kam bald durch das ‚Institut für Biochemie der Sporthochschule Köln/Zentrum für präventive Dopingforschung (ZePräDo)‘ und dessen Leiter Dr. Hans Geyer.
Abgesegnet wurde das gemeinsame Unternehmen entgültig im Januar 2008, als sich nach einer Präsentation vor allen Beteiligten die ARD bereit erklärte, das Projekt mit seinen verschiedenen Maßnahmen der Öffentlichkeit vorzustellen und es über die gesamte Zeit zu begleiten. Ohne diese Herstellung von Öffentlichkeit wäre es kaum möglich gewesen, für die notwendigen Sponsoren attraktiv zu sein.
FINANZIERUNG
Die Finanzierung ist zum großen Teil gesichert, könnte aber besser sein. Das Präventions-Mobil, während der Deutschland-Tour an allen Etappenorten präsent mit Informationsmaterialien und individuellen Beratungsangeboten, wird mit Sponsorengeldern gefördert. Die Ausstattung übernimmt die Deutsche Sportjugend dsj, das Dopingpräventions-Zentrum Heidelberg HZDP und der Bund Deutscher Radfahrer BDR durch Sachleistungen. Die personnelle Betreuung während der gesamten Deutschland-Tour wird rund um die Uhr ehrenamtlich geleistet. Manuel Ruepp, wissenschaftlicher Mitarbeiter am HZDP, wird immer dabei sein. Unterstützung wird ihm von anderen engagierten Präventionsfachleuten wie Gert Hillringhaus, Ralf Meutgens und Prof. Gerhard Treutlein zuteil.
Das Neusser Modell ist befristet, es ist kein Langzeitprojekt. Da Dopingprävention aber aber auf Jahre hin angelegt ist und fest in die Grundstrukturen des Sports verankert gehört, wurden die Projekte GATE und der Comic „Windschatten“ mit in das Program aufgenommen. Damit geht auch eine Aufforderung an die Verbände und deren Untergliederungen, Eigenverantwortung zu übernehmen. Die Notwendigkeit dazu erkannt haben bislang vor allem die Jugendorganisationen dsj und die Radsportjugend im BDR.
Das >>> GATE-Projekt hat zum Ziel in die A-,B- und C-Trainerausbildung die Dopingprävention nachhaltig zu integrieren. Dafür wird geworben und expliziet Spenden gesammelt, bzw. es werden Sponsoren gesucht. Es ist ein wichtiges Basisprojekt innerhalb des Radsports und könnte Modell sein für andere Verbände. Noch fehlt es hierfür an Geldern um möglichst schnell und qualitativ hochwertig die umfangreichen Maßnahmen in die Wege leiten zu kännen. Aber es scheint nicht einfach zu sein für entsprechende Anliegen Unterstützung zu bekommen.So konnten sich auch nur 4 Radsport-Landesverbände dazu durchringen, den interaktiven Comic „Windschatten“ finanziell zu fördern. Der Film, der Doping und Dopingprävention im Radsport anspricht, soll Kinder und Jugendliche für dieses Thema sensibilisieren. Er wird während der Deutschland-Tour mit der dsj im Präventions-Mobil präsentiert.
INTELLIGENTE KONTROLLEN UND DIE UCI
Sascha Severin:
„Ich vermute, seit die WADA aus dem UCI-Projekt Biologischer Pass ausgestiegen ist, stockt es. Keine Antwort ist auch eine Antwort. Aber man kann auch ohne Antwort eine Empfehlung aussprechen: Das Triathlon Team Dresdner Kleinwort geht nach meinem Dafürhalten genau den richtigen Weg. Sie suchten sich einen Sponsor der zusagt, vorausgesetzt es finden ernstzunehmende interne Kontrollen statt, keine Alibiveranstaltungen. Aber ernstzunehmende Kontrollen funktionieren nur, wenn man das Kontrollsystem, das intelligente Kontrollen beinhalten sollte, an eine unabhängige Instanz koppelt wie die NADA oder das Institut für Biochemie in Köln.“
Eine wesentlich Säule neben der Prävention ist der Versuch ein intelligentes und fortschrittliches Kontrollprogramm während der Deutschland-Tour zu implementieren. Möglich ist dies aber nur in Zusammenarbeit mit der UCI.
Intelligentes Kontrollieren heißt die Blut- und Urinabnahme kurz nachdem die Mittel sinnvollerweiße angewandt werden, und wenn keine zeitlichen Möglichkeiten der Verschleierungen mehr bestehen, durchzuführen. Zudem wird die Häufigkeit und Auswahl der Fahrer nicht bekannt gegeben. Wichtiger Teil des geplanten Kontrollprogramms ist zudem die Anwendung neuer Testverfahren auf Testosteron, Insulinen, Synacthen, Wachstumshormon, neuen Formen des rekombinaten Erythropoietins (Epo) und Blutdoping.
Der Wunsch ist auch am Biologischen Pass-Projekt der UCI teilzunehmen.
Ein entsprechender Brief der Stadt Neuss ( siehe >>> hier) ging im Februar 2008 an die UCI. Gespräche ergaben, dass wahrscheinlich die geforderten „Intelligenten Dopingkontrollen“ übernommen werden.
Ob Daten für den Biologischen Pass erhoben werden können, ist nicht bekannt.
RESONANZEN
Vortragsreihe
Im Mai / Juni fanden drei Vortragsveranstaltungen statt, die überwiegend ein regionales Publikum aber überregionale Medien zu Besuch hatten. Sascha Severin:
„Das Publikum war gemischt, vom Hochleistungssportler, vom jungen Nachwuchssportler bis hin zur sportinteressierten älteren Dame waren viele Gruppen vertreten. Ich hätte mir aber gewünscht, dass z. B. aus den Sportvereinen mehr Leute gekommen wären. Auch aus der Politik waren nur wenige Vetreter gekommen, das war eher mager. Das Ganze ist sicher noch ausbaufähig. Das hat mich ein bisschen enttäuscht. Es wurde zwar anschließend der Wunsch an uns heran getragen, mit der Veranstaltung in die Vereine zu gehen, doch das ist in dieser Form nicht machbar.“
Schulwettbewerb
Mit einem Schülerwettbewerb im Raum Düsseldorf wurden Jugendliche der 8. Jahrgangsstufe direkt angesprochen. 9 vorgegebene Fragen sollten gemeinsam diskutiert und diese Diskusion dokumentiert werden. Sicher kein einfaches Unterfangen, denn es verlangte eine umfassende inhaltliche Auseinandersetzung mit der Komplexität des Themas, die einige Zeit in Anspruch nimmt. Vielleicht liegt es auch daran, dass weniger Rückläufe als erhofft vorliegen. Gespräche im Vorfeld mir interessierten Lehrern ließen aber den Eindruck entstehen, dass das Thema durchaus für wichtig angesehen wird. Die ARD wird im Rahmen ihrer Berichterstattung über die D-Tour von einer Schülerdiskussion in Neuss berichten. Deutlich wurde bereits, dass vielen Jugendliche die Dopingskandale durch die Medienberichterstattung bekannt waren, Hintergrundwissen jedoch meist fehlte.
Den Hauptpreis des Wettbewerbs erhielt das Pascal-Gymnasium in Grevenbroich.
Etappenort der D-Tour
Eingedenk der Schwierigkeiten, die die Veranstalter der Deutschland-Tour hatten ausreichend Etappenorte zu finden, die bereit waren ihr Zweifel an der Attraktivität des Radsportereignisses zurück zu stellen, könnte man annehmen, dass das Neusser Antidopingprojekt in den teilnehmenden Städten Neugier und Interesse weckt. Doch fehlen bislang entsprechende Anfragen. Lediglich die Stadt Wiesloch scheint sich mit einer Unterstützung auseinander zu setzen. Etwas mehr Engagement könnten auch der Radsport-Landesverband bzw. die Verbände und der BDR zeigen. Doch trommeln für diese Sache scheint nicht im Bereich von deren Möglichkeiten zu liegen. Die Veranstaltungsreihe wurde zwar von ihnen angekündigt und darüber berichtet, doch auf gemeinsame Interessen lässt das nicht schließen. Mit einem ständigen Verweis auf den Internetseiten wäre ein anderes Signal gesetzt.
AUSBLICK
Mit dem Ende der Deutschland-Tour 2008 am 6. September 2008 endet auch das Neusser Modell. Ob es in irgendeiner Form eine Fortsetzung geben kann, ist unklar. Das betrifft auch das Präventions-Mobil.
Was läge näher, als dass der BDR das Mobil übernimmt und während der verschiedensten Rennen zum Einsatz bringt. Es fehlt aber bislang die offene und wahrscheinlich notwendige Unterstützung des Präsidiums. Alle Kontakte laufen über das Referat Jugendsport, dessen Hände etwas gebunden sind.
Doch Sascha Severin bleibt optimistisch:
„Ich vermisse schon etwas die Bereitschaft bei dem weiterzumachen, was man sich letztes Jahr vorgenommen hat. Doch Doping ist mitnichten ein exklusives Problem des Radsports. Doping ist in vielen Sportarten zu finden und Doping ist vor allem auch ein gesamtgesellschaftliches Problem und darauf hinzuweisen ist auch unser Anliegen mit dem Neusser Modell.
Wir versuchen gerade im Radsport nicht alle über einen Kamm zu scheren, kein Tribunal abzuhalten, sondern sagen, so sieht es aus und diese Möglichkeiten habt ihr. Neuss ist sicher nicht das Märchenland, wir werden sicher nicht die Sportwelt verbessern oder krass verändern aber es reicht uns, wenn das Ganze thematisiert wird, wenn man darüber spricht. Und selbst, wenn es am Anfang nur eine kleine Zahl von Leuten ist, die sich damit auseinander setzt.“
Stand Juli 2008