Schmerzmittel – legal aber gefährlich

Schmerzmittel gehören in vielen Sportarten zum Alltag. Nicht allein im Hochleistungssport sondern auch aus dem Breitensport sind sie nicht mehr wegzudenken. Selbst Jugendliche greifen bereits wie selbstverständlich zu den Rezept freien Medikamenten.

Ist das bereits Doping? Auf der Liste der verbotenen MIttel stehen sie nicht, doch sie erfüllen eigentlich die klassische Dopingdefinition: Ohne sie wären viel Leistungen nicht zu erreichen, Trainingsumfänge und Leistungen wären nicht machbar und damit auch entsprechende Wettkampfergebnisse.

Die längerfristige Einnahme birgt zudem schwere Gesundheitsgefahren.

Verschärft wurden die Probleme durch die mittlerweile weltweite Verbreitung und die damit verbundene Abhängigkeit  opioidhaltiger Analgetika. Ein gesamtgesellschaftliches Problem, das schon lange im (Leistungs)Sport angekommen ist. Nach langer Diskussion sind nun seit 2022 Fentanyl und dessen Derivate seitens der WADA in Wettkämpfen verboten.

Dass Schmerzmittel im Sport seit Jahrzehnten Thema in Forschung und Medien sind, geht deutlich aus den BISp-Datenbanken hervor:
BISp: Schmerzmittel im Sport – ein Forschungsüberblick, 25.6.2020

Eine deutsch-österreichische Studie unter Triathleten bestätigte die Vermutungen, dass Sportler, die häufig zu Schmerzmitteln greifen, eher zu verbotenen Dopingmitteln greifen als andere, die auf Analgetika verzichten.

ARTIKEL / HINWEISE

2023 Literaturstudie Köln „Schmerzmittelkonsum im Sport“

2021 – 2023 Dt. Zeitschrift für Sportmedizin:

2021 Angabe von Analgetika auf Dopingkontrollformularen in verschiedenen deutschen Fußball-Ligen in fünf Spielzeiten
2022 Schmerzprävalenzen und Analgetikakonsum bei Nachwuchsleistungsportlern – ein aktueller narrativer Überblick
2023 Prävalenz des sportbezogenen Schmerzmittelkonsums bei deutschen Spitzen-Handballern
2023 Nahrungsergänzungsmittel-, Schmerzmittel- und Alkoholkonsum bei deutschen Amateurgolfern

2022 Sportschau: „No Limits“: ARD-Film zu Überlastung im Fußball Druck, Schmerzmittel, Doping – Das Pillen-Problem im Milliarden-Business, 01.12.2022

„Ein Schmerzmittel gerät nun besonders in den Fokus: Tramadol, ein Opioid mit hohem Suchtpotenzial, das laut einer englischen Studie leistungssteigernd wirkt. Die Welt-Anti-Doping-Agentur WADA hat zudem in ihrem Monitoring-Programm festgestellt, dass Tramadol vor allem in drei Sportarten „erheblich“ genutzt werde: Rugby, Radsport – dort hat der Weltverband UCI die Substanz bereits 2019 verboten – und Fußball.

Die WADA reagierte und setzt nun das Mittel, sofern es im Wettkampf gebraucht wird, auf die Dopingliste – allerdings erst ab 2024. Das bedeutet: Bei der WM in Katar darf eine leistungssteigernde und stark abhängig machende Substanz zum Einsatz kommen, für deren Nutzung Athletinnen und Athleten in gut einem Jahr eine mehrjährige Sperre erhalten werden.“

2020 PILLENKICK-Schmerzmittelmissbrauch im Fußball. 2020

2012 Schmerzmittel-Doping beim Marathon: riskanter Schmerzmittelkonsum von Freizeitsportlern, idw, 13.3.2012

Eine Studie unter Freizeit-Marathonläuferin erbrachte einen hohen Schmerzmittelkonsum z. T. vorbeugend ohne akute Schmerzzustände, lediglich in der Annahme, man könne damit Muskelkater oder Gelenkschmerzen vorbeugen. (s.a. WDR, 29.1.2016)

Bis zu 50 Prozent der Teilnehmer eines Laufes griffen zu dem Medikamenten, davon litten dann aber die Hälfte unter Nebenwirkungen, die schwerwiegend sein können.

„Da meistens Nichtsteroidale Antirheumatika eingenommen werden (Ibuprofen, Acetylsalicylsäure etc.) dominieren Nebenwirkungen im Magen-Darm-Bereich und an den Nieren. »Blutiger Urin, blutiger Durchfall, Übelkeit, Erbrechen, Herz-Kreislauf Probleme«, resümiert Küster das Spektrum. Einige Läufer erlitten ein akutes Nierenversagen, einige Sportler, die Acetylsalicylsäure geschluckt hatten, bekamen einen Herzinfarkt oder behandlungsbedürftige blutende Magengeschwüre in den ersten Stunden nach Beendigung des Marathons.“

Als völlig falsch erweist sich der Zeitpunkt der Einnahme, vor und während der sportlichen Betätigung sollten Schmerzmittel nicht eingenommen werden:

„1. Wer schon vor dem Lauf unter starken Gelenkschmerzen leidet, sollte nicht mitlaufen.

2. Schmerzmittel, die vor oder während dem Lauf eingenommen werden, schaden mehr als sie nutzen.

3. Schmerzmittel sollten, wenn überhaupt, erst nach dem Lauf eingenommen werden und auch erst dann, wenn der Kreislauf zur Ruhe gekommen und der Läufer ausreichend Flüssigkeit getrunken hat.

4. Isotone Lösungen, die ein Gramm Kochsalz pro Liter enthalten, können Probleme mit Herz, Kreislauf und Nieren vermeiden.

5. Wichtig ist eine gründliche Vorbereitung und ein guter sportmedizinischer Check. Wer plant, an einem Marathon teilzunehmen, sollte sich darauf ein Jahr lang vorbereiten und nicht einfach drauflos laufen. Regelmäßiges Training lässt die Schmerzschwelle steigen.

2016 Diskussion um die Folgen des Schmerzmittelkonsums im Skirennsport: nachrichten.at, 30.1.2016

2009 Laien- und Leistungssport: Geht nichts mehr ohne Schmerzmittel? – Ärzteblatt, 11.2009

2009 Experten warnen Sportler: Kein Schmerzmittel vorab, nicht zu viel Wasser – idw, 10.10.2009

2008 Wie die Flasche Bier auf dem Bau, spiegel-online, 29.4.2008

Von Udo Ludwig und Michael Wulzinger:

„Voltaren oder Ibuprofen: Starke Schmerzmittel sind ein Renner unter Fußballprofis. Dabei besitzen die Pillen schwere Nebenwirkungen – der Fall Klasnic beweist es. Viele Profis greifen sogar ohne ärztliche Diagnose zur Tablette, und nur wenige wollen darüber sprechen.“

„Gravierende Nebenwirkungen wie Leber-, Nieren- oder Magenbeschwerden verdrängen die meisten Fußballer genauso wie den dringenden ärztlichen Rat, die Pillen nach spätestens acht Wochen abzusetzen. Dahinter steckt ein systembedingtes Kalkül: Wer im Kampf um Prämien und Positionen zu früh auf die Alarmsignale seines Körpers hört, droht schnell den Anschluss zu verlieren oder gilt als verweichlicht – ein Makel, den sich niemand nachsagen lassen möchte.“

„Ivan Klasnic Werder Bremen Schmerzmittel Voltaren zu SPIEGEL WISSEN Nur wenige Profis wollen sich zu ihrem Voltaren-Konsum äußern. So bekannte der Mittelfeldspieler Jermaine Jones, heute bei Schalke 04 unter Vertrag, dass er in seiner Zeit bei Eintracht Frankfurt nach einem Ermüdungsbruch und Entzündungen im rechten Schienbein monatelang Schmerztabletten geschluckt habe: „Vor jedem Training eine, an den Spieltagen zwei – und manchmal auch mehr.“

Der Mannschaftsarzt eines Zweitligisten berichtete dem SPIEGEL, es sei gängige Praxis, dass Spieler über die Clubapotheke an die verschreibungspflichtigen Medikamente gelangen – ohne dass ihre Namen jemals erfasst werden.“

„Im spanischen und englischen Profifußball, wo die Auskunftbereitschaft der Vereinsärzte wesentlich ausgeprägter ist, bereitet Graf-Baumann mit der Deutschen Sporthochschule Köln derzeit eine umfangreiche Studie über den „Gebrauch und Missbrauch von Analgetika und nicht steroidalen Antirheumatika“ vor.“

„Graf-Baumann hatte die Protokolle der Dopingproben bei der Fußball-WM in Deutschland ausgewertet, auf denen die Kicker angeben mussten, welche Pillen, Spritzen und Salben ihnen in den letzten 72 Stunden verabreicht worden waren. Das Resultat habe ihn „mehr als stutzig gemacht“, sagt er: „Darunter fanden sich ungeheure Mengen an Schmerzmitteln – und das ohne jegliche Form der Diagnostik.““

„Der Franzose in Diensten des THW Kiel ist Mitgründer einer Spielergewerkschaft, die für weniger Spiele sorgen will. Bis dahin greift auch er zu Schmerzmitteln. „Ich finde, dass Schmerzmittel kein Doping sind. Und ich versuche, so viel wie möglich ohne Schmerzmittel zu spielen“, erklärte er in dem Interview.

Dass das offenbar immer weniger Athleten gelingt, alarmiert nun auch die Verantwortlichen. Der Weltfußballverband FIFA hat eine Studie mitbeauftragt, die den Missbrauch von Schmerzmitteln untersuchen soll. Durchgeführt wird die Studie in Köln. Mit ersten Ergebnissen wird in sechs bis acht Wochen gerechnet. Ein Ergebnis scheint jetzt schon festzustehen. „Die Tendenz der letzten Jahre“, sagt Mario Thevis vom Zentrum für präventive Dopingforschung, „ist steigend.“ „

2008 „Wie Smarties eingeworfen“ – stern.de, 30.4.2008:

„Tusk warnt davor, allein die Mediziner an den Pranger zu stellen: „Es ist der Spieler, der verlangt schnell fit zu werden, um die Prämien zu kassieren. Es ist der Verein, der beschwerdefreie Profis verlangt.“ Der Vizepräsident der deutschen Sportärztevereinigung: „Fußballer sind wie Leistungsmaschinen. Und weil Fußball ein extrem traumatisierender Sport ist, wird alles getan, um die Schwellungen und Prellungen schnell zu behandeln.“ Auch Tusk weiß: Der Schmerzmitteleinsatz ist auf breiter Basis ausgeufert.

So ergaben Untersuchungen beim Gewichtheben eine 100-prozentige Versorgung der beteiligten Sportler mit Schmerzmitteln, beim Ironman Neuseeland waren es jüngst 30 Prozent, bei jedem Marathon dürfte es ähnlich sein. Die Dunkelziffer ist beim Breitensport extrem. Was Sorge macht: Profis wie Amateure werfen die Tabletten oft rein prophylaktisch ein, ohne das wirklich Schmerzsymptome vorliegen. Die Folgen können fatal sein: Die gängigen Schmerzmittel haben bei Langzeitkonsum beträchtliche Nebenwirkungen, etwa für den Magen-Darm-Trakt, die Blutgefäße, eben die Niere und Leber.

Leichtathletik-Ärzte berichteten unlängst, dass Sportler an einem Tag acht bis neun Voltaren-Tabletten nähmen. Und sich damit in der Grauzone des Dopings bewegen. Denn obwohl die Präparate nicht auf der Dopingliste stehen, verhelfen sie doch zu einer Leistung, die ansonsten nicht abrufbar wäre. Der angesehene Biochemiker und Dopingforscher Hans Geyer hat erst kürzlich geklagt: „Das ist ein Wahnsinn. Seit längerer Zeit fällt uns auf, dass die Athleten immer mehr Schmerzmittel einnehmen. Ganz extrem im Gewichtheben, im Zehnkampf und im Radsport, zunehmend auch die Fußballer. Ich wundere mich, dass das noch niemand thematisiert hat.“

Das aber tut gerade der Weltfußballverband Fifa. Die medizinische Kommission mit dem angesehenen Professor Toni Graf-Baumann an der Spitze hat bei einem Sportärztekongress in Köln ungewohnt deutlich öffentlich gemacht, dass die Schmerzgrenze erreicht ist – das ist ein Ergebnis, der ausgewerteten Medikamentenlisten, die vor Dopingkontrollen ausgewertet werden. Zudem sind bei der WM 2002 und 2006 die Teamärzte über die „nicht verschreibungspflichtigen Supplemente“ wie Vitamine, Proteine, Nahrungsergänzungs- und eben auch Schmerzmittel befragt worden. Das Ergebnis war erschütternd: Jeder zehnte Spieler nahm Schmerzmittel vor jedem Match, 20 Prozent bei zwei von drei Spielen, die Hälfte mindestens einmal während des Turniers. „

2008 Toni Graf-Baumann: „Es wird geschluckt, als würde man Kaffee trinken: früh, mittags und abends“ – FAZ, 22.8.2008

Das Thema Missbrauch von Schmerzmitteln wurde am häufigsten im Fußball thematisiert. So hatte die FIFA 2010 anlässlich der WM in Südafrika eine Studie vorgelegt.
Zuletzt warnte der Weltverband im Juni 2012: FIFA, 5.6.2012
Mehr Informationen siehe unter Schmerzmittel/Medikamenten-Missbrauch im Fußball: Doping im Fußball

siehe auch Prof. Dr. Toni Graf-Baumann im Interview »Die Hemmschwelle setzt aus«, 11FREUNDE, 9.5.2008:
Mediziner Toni Graf-Baumann, Vorsitzender der Fifa-Anti-Doping-Kommission, im Interview:

(…) ANTWORT: Es ist erschreckend, wie unkritisch im Fußball mit Schmerzmitteln umgegangen wird. Voltaren, Ibuprofen oder auch Aspirin werden mit einer Selbstverständlichkeit geschluckt, als würde man einen Kaffee trinken – früh, mittags und abends.

FRAGE: Können Sie Zahlen nennen?
ANTWORT: Bei der WM 2002 nahm beispielsweise jeder zehnte Spieler Schmerzmittel vor jedem Match, 20 Prozent bei zwei von drei WM-Spielen und die Hälfte mindestens einmal während des Turniers.

FRAGE: Sind die Ergebnisse auf den normalen Ligaalltag übertragbar?
ANTWORT: Es gibt dazu kein statistisch ausgewertetes Zahlenmaterial. Aber Sie können davon ausgehen, dass auch hier ohne eine ordentlich geführte Diagnostik und eine medizinische Indikation Schmerzmittel regelmäßig eingenommen werden. Teilweise sogar prophylaktisch, um angesichts der Überbelastung Muskelschmerzen vorzubeugen. Dabei sind die Folgen gravierend, wie der Fall Klasnic zeigt.

FRAGE: Haben Sie mit Mannschaftsärzten über das Schmerzmittelproblem gesprochen?
ANTWORT: Ja, aber es ist ein schwieriges Thema. Die Ärzte reagieren verunsichert, wenn man sie darauf anspricht. Sie wissen, wie die Realität aussieht, aber sie wissen nicht, was sie dagegen tun sollen. Häufig besorgen sich die Spieler die Medikamente ja selber.

FRAGE: Der Mannschaftsarzt steckt in einer Zwickmühle: Er wird vom Verein dafür bezahlt, die Spieler möglichst schnell fit zu bekommen.
ANTWORT: Im Falle einer Verletzung ist eine Begleitbehandlung mit Schmerzmitteln unter medizinischer Aufsicht und für eine begrenzte Zeit angebracht. Aber bei Muskelschmerzen, wie sie angesichts der hohen Belastung gang und gäbe sind, sieht das anders aus. Solche Beschwerden kann man auch konservativ ohne Medikamente beispielsweise durch bestimmte physiotherapeutische oder osteopathische Techniken lindern. Aber häufig hat der Spieler ganz einfach keine Lust, sich einer zweistündigen Behandlung beim Physiotherapeuten zu unterziehen, sondern schmeißt lieber schnell mal Diclofenac ein.“

Toni Graf-Baumann sieht allerdings keine Leistungssteigerung in der Einnahme der Schmerzmittel und damit keine Dopingfunktion. Die ständige Aufrechterhaltung eines bestimmten Leistungsniveaus scheint ihm eine Selbstverständlichkeit. „Das entscheidende Doping-Kriterium ist die künstlich herbeigeführte Leistungssteigerung. Einem gesunden Sportler bringt aber die Einnahme von Voltaren nichts. Ist er müde oder hat er Schmerzen, kann die Leistungsfähigkeit durch die Einnahme von Schmerzmitteln wieder erhöht werden. Die Medikamente helfen, das normale Leistungsniveau zu erreichen, aber sie erhöhen das Niveau nicht. Das ist der Unterschied zu klassischen Doping-Mitteln.“

2006 „Jenseits der Schmerzgrenze“ – FAZ, 17.12.2006:

Offensichtlich hat sich der Konsum von Schmerzmitteln verselbständigt, nicht nur im Fußball. Anders als starke Medikamente wie Cortison, das auf der Dopingliste steht und nur in Ausnahmefällen verabreicht werden darf, sind die gewöhnlichen Mittel erlaubt; und sie sind auch leicht zu bekommen. Viele Sportler nehmen die Tabletten, ohne die Mannschafts- oder Vereinsärzte einzubeziehen. „Manchmal haben wir die Dinger eingeworfen wie Bonbons“, sagt der frühere Zehnkämpfer Frank Busemann, der wegen körperlicher Verschleißerscheinungen seine Laufbahn beenden mußte.

Die Leichtathletik gehört neben Gewichtheben, dem Radsport, Fußball und Triathlon zu den Sportarten, in denen der Schmerzmitteleinsatz offenbar ausufert. „Wir haben die Listen von kontrollierten Athleten ausgewertet“, sagt Hans Geyer, der Geschäftsführer des Kölner Zentrums für Dopingsforschung, „und gerade in diesen Sportarten sind wir auf eine unheimliche Präsenz dieser Substanzen gestoßen“. Auch die renommierte amerikanische Zeitschrift „Medicine and Science in Sports and Exercise“ kam zu einem ähnlich beunruhigenden Befund. Sie berichtete unlängst über eine Untersuchung bei einem Ironman-Wettkampf in Neuseeland. Demnach hatten 30 Prozent aller teilnehmenden Triathleten vor dem Start Schmerzmittel genommen; viele von ihnen prophylaktisch, also ohne Schmerzsymptome.

Die Folgen können fatal sein. Die gängigen Schmerzmittel haben gerade bei Langzeitkonsum beträchtliche Nebenwirkungen, etwa für den Magen-Darm-Trakt oder für die Blutgefäße. Einer der führenden Leichtathletik-Ärzte berichtete vor kurzem über Sportler, die an einem Tag acht bis neun Voltaren-Tabletten nähmen. „Bei so einer Dosis kann man ganz schnell an Nierenversagen sterben“, sagt der Fifa-Mediziner Toni Graf-Baumann. Der aus Teningen stammende Arzt zitiert seriöse Studien, nach denen bei einer langfristigen Schmerzmitteleinnahme das Risiko eines Herzinfarktes oder Schlaganfalles signifikant steige.

2007 Legal, aber gefährlich – ZDF, 19.6.2007

„Ich kenne Marathonläufer, die während ihrer monatelangen Vorbereitung regelmäßig Schmerzmittel nehmen und direkt oder während des Wettkampfes noch einmal“, sagt ein Fitness-Coach aus der Nähe von Wuppertal, der anonym bleiben möchte. „Sie wollen den Schmerz loswerden und hoffen, dass sie durch die Blut verdünnende Wirkung der Medikamente besser ins Ziel kommen.“ Auch bei Golfspielern hat der Fitness-Coach beobachtet, dass viele lieber „ein paar Pillen einschmeißen“, als mit Krafttraining etwas gegen die Rückenschmerzen zu tun. „Für den Körper ist das ganz schlecht.“

Zusammen mit Toni Graf-Baum, dem Vorsitzenden der FIFA-Dopingkommission, wird Geyer in Kürze eine Studie zum Thema Schmerzmittel im Leistungssport beginnen. Graf-Baumann hat vor rund einem Jahr bei einem Blick in die Dopingkontrollbögen von Profifußballern festgestellt, dass fast alle Spieler regelmäßig verschreibungspflichtige Schmerzmittel nehmen – im Training und im Wettkampf. Er schaute daraufhin in die Bögen verschiedener Sportarten und stellte auch dort über Jahre hinweg regelmäßige Schmerzmitteleinnahmen fest.

Für Carsten Boos ist der selbstverständliche Medikamentengebrauch im Sport und das Verkennen der Nebenwirkungen ein „rein soziologisches“ Problem. Deshalb warnt er vor einer Doppelmoral: „Wir sind eine Drogengesellschaft, die für jedes noch so kleine Problem eine medikamentöse Lösung sucht.“ Jede Schicht habe ihre eigene Droge, sei es Nikotin, Alkohol oder Koffein. Dass die Sportler Schmerzmittel nehmen, sei da ganz selbstverständlich. „Wir müssen endlich offen darüber diskutieren, wie unsere Gesellschaft zu Medikamenten steht“ fordert Boos.

Die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) versucht seit einigen Jahren auf das Thema Medikamentenabhängigkeit aufmerksam zu machen. „Aber wir kommen damit nicht richtig durch, denn das Problem wird unterschätzt“, sagt DHS-Sprecherin Christa Merfert-Diete. Laut DHS sind in Deutschland zwischen 1,4 Millionen und 1,9 Millionen Menschen abhängig von Medikamenten, darunter wohl auch einige Sportler, die das nicht einmal ahnen.

2007 Jugendsport – regelmäßig kommt Schmerzmittel zum Einsatz – RP online, 4.6.2007:

Hans Geyer, Geschäftsführer des Zentrums für präventive Dopingforschung an der Deutschen Sporthochschule Köln, prangert in einem Interview mit RP online den Missbrauch an:
Viele Sportler nehmen Schmerzmittel.

Geyer: Für uns gibt es Grauzonen zum Doping. Dazu gehört der Gebrauch von Schmerzmitteln. Nach unserer Auffassung sind das klassische Dopingmittel, denn ohne ihren Gebrauch könnten viele Athleten ihre Leistungen weder im Training noch im Wettkampf bringen. Sie müssten regenerieren. Wir haben Sportarten, in denen 100 Prozent der Athleten Schmerzmittel nehmen. Es gibt wahrscheinlich nicht einen Gewichtheber der Spitzenklasse, der einen Wettkampf ohne Schmerzmittel durchführt.

Welche Sportarten sind ansonsten vom vermehrten Schmerzmittelgebrauch betroffen?
Geyer: Wir beobachten das seit längerer Zeit verstärkt im Fußball, im Radsport und in der Leichtathletik. Bei der Handball-WM haben wir das auch festgestellt. Stefan Kretzschmar sagt, ohne diese Mittel könnten die Handballer der Belastung gar nicht standhalten.

Geyer: Das ist Doping! Schmerzmittel gehören auf die Liste. Die Athleten verbessern ihre Leistungsfähigkeit und schädigen sich, möglicherweise sogar irreversibel, weil sie den Schutzmechanismus des Körpers unterdrücken

Warum stehen Schmerzmittel nicht auf der Dopingliste?
Geyer: Es gibt viele Substanzen, die leistungsfördernd sind und nicht auf der Liste stehen, zum Beispiel Nikotin, das in Risikosportarten die Angst unterdrückt. Möglicherweise gibt es Widerstände von verschiedenen Gruppen, von der Industrie selbst, und möglicherweise gibt es den Einwand, dass Schmerzmittel von der Bevölkerung allgemein zu häufig genommen werden. Man bekäme Probleme mit zu vielen positiven Fällen oder mit einer Fülle von Ausnahmegenehmigungen. Ich erinnere mich noch gut an einen Bericht über den Deutschen Bronzemedaillengewinner bei der WM 2004 im 50-km-Gehen, der während des Wettkampfs am Straßenrand mehrmals Schmerzmittel gereicht bekam, um den Wettkampf überhaupt beenden zu können. Wie pervers sind wir eigentlich geworden? Es ist auch kein Geheimnis, dass in vielen Sportarten schon im Jugendbereich regelmäßig Schmerzmittel wie Aspirin und Voltaren verwendet werden.

Wie verbreitet sind solche Mittel bei Veranstaltungen, die Freizeitsportler Höchstleistungen abverlangen, etwa bei Transalp, dem Mountainbike-Rennen über die Alpen?
Geyer: Die Organisatoren von Transalp sind mit der Bitte an uns herangetreten, präventive Programme aufzulegen, um den enormen Medikamenten-Missbrauch dort einzuschränken. Bei Transalp nehmen viele vergleichsweise untrainierte Menschen teil, die kaum Zeit hatten, sich anständig vorzubereiten. Die Organisatoren vermuten – wahrscheinlich wissen sie es -, dass dort sehr viele Schmerzmittel und viele leistungsfördernde Mittel wie Epo genommen werden. Auch Testosteron wird genommen, um die Aggressivität zu erhöhen und die Regeneration zu beschleunigen. Wo nicht kontrolliert wird, wird alles Mögliche genommen ohne Rücksicht auf Verluste. Das ist ein Spiel mit hohem Risiko – und Medikamenten-Missbrauch vom Schlimmsten.

Gilt das auch für Marathonläufe?
Geyer: Es gibt Gerüchte. Wir schlagen den Organisatoren vor, mal Dopingkontrollen durchführen zu lassen. Manche Läufer müssten dann befürchten, bei ihrem Betrug erwischt zu werden. Die Substanzen wirken ja vor allem bei solchen Menschen, die verhältnismäßig untrainiert sind.