Deutsche Ärzte und Doping
>>> Historie westdeutscher Sportärzte, Überblick
Am 20.3.2017 veröffentlichte die Universität Freiburg gegen den Willen eines der Autoren das Gutachten zu Joseph Keul, das im Rahmen des Auftrages der Evaluierungskommission Freiburger Sportmedizin erstellt wurde:
Singler/Treutlein: Joseph Keul: Wissenschaftskultur, Doping und Forschung zur pharmakologischen Leistungssteigerung
Siehe umfassend: >>> doping-archiv: Freiburger Sportmedizin, Kommissionen, Untersuchungsberichte
2022 veröffentlichten die letzten Mitglieder der Evaluierungskommission Freiburger Sportmedizin ihre Erfahrungen und Zusammenfassungen einiger ihrer Untersuchungsergebnisse. Darin werden auch die beiden ehemals führenden Ärzte der Freiburger Sportmedizin Josef Keul und Armin Klümper vorgestellt.:
>>> Paoli et al.: Doping für Deutschland
Das folgende Portrait enthält die wesentliche Erkenntnisse der Gutachten, sind jedoch nur ein ein kleine Variante der Ausführungen der Expertenkommission.
Joseph Keul
Prof. Dr. Joseph Keul leitete die Abteilung Sportmedizin an der Universitätklinik Freiburg seitdem sie 1974 eine selbstständige Einrichtung wurde.
Ab 1960 fungierte Joseph Keul als Sportarzt bei den Olympischen Spielen, bis 1980 als Assistenzarzt, danach als Chefarzt. Er war Mitglied des NOK und ab 1998 bis zu seinem Tod im Jahr 2000 dessen Vorsitzender, war Anti-Doping-Beauftragter des Nationalen Olympischen Komitees (NOK), des Deutschen Sportbundes (DSB) und des Bundesinstituts für Sportwissenschaft und war Träger des Bundesverdienstkreuzes erster Klasse.
Der ‚große Keul‘, der ‚Doyen der deutschen Sportmedizin‘, so wurde Prof. noch lange nach seinem Tod im Jahr 2000 geprießen. Diese Einschätzung hat nach den jüngsten Doping-Enthüllungen um die Freiburger Sportmedizin einige tiefe Kratzer abbekommen. Es gab allerdings schon in früheren Jahren schwerwiegende Kritik an der Ausübung seiner sportärztlichen Tätigkeit.
Prof. Joseph Keul gehörte zu den Ärzten, die bereits Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre mit Sportlern Anabolika-Studien durchführten. Er arbeitete hier in der Tradition der Freiburger Sportmedizin, die schon in den 50er Jahren mit Prof. Dr. Herbert Reindell einen Leiter hatte, der offen für die Fragen der künstlichen Leistungssteigerung war (Beispiel Amphetamine).
Schon früh war der Arzt Keul mit den Dopinggebräuchen in Berührung gekommen wie folgendes Beispiel zeigt, das Herbert Reindell in der Anhörung des Deutschen Bundestages anführte:
„Wenn ich stimulierende Mittel gebe, dann zwinge ich den Organismus, seine letzten Reserven anzupacken; sodann können Schäden eintreten. Zusammen mit Herrn Keul haben wir einen sehr spektakulären Fall vor etwas 6, 7 Jahren erlebt, wo ein Berufsradrennfahrer stimulierende Mittel genommen hat. Er fuhr 20 Minuten vor dem Feld her, brach zusammen, wurde in Zürich in eine Klinik eingeliefert und hatte einen schweren Herzschaden.“ (Protokoll, Vormittag 6/37)
Experimente
Joseph Keul hatte sich viel mit anabolen Steroiden beschäftigt und er musste sich dafür im Laufe seines Sportarztlebens häufig rechtfertigen. Keuls Grundeinstellung war, so lassen es viele Äußerungen bis in die 1990er Jahre hinein (z. B. zu Corticosteroiden, Betablockern, allgemein zur Dopingliste) vermuten, geprägt durch eine großzügige Einstellung gegenüber leistungssteigernde Hilfen für Sportler. Meist ging es dabei um Medikamente und andere Substanzen doch auch neue zu erprobende Methoden wie das spektakuläre Aufblasen von Därmen fanden seine Zustimmung. Diese Methode, vorgesehen für die Olympischen Spiele in Montreal 1976, war jedoch nicht praktikabel, sie war zu auffällig in der Vorbereitung.
1976 kam es während der Olympischen Spiele in Montreal dennoch zu einem Skandal. Der Ruderer Peter Michael Kolbe hatte von Prof. Keul eine Spritze erhalten, die ihm nicht bekam und er dadurch vor dem Ziel einbrach. Es waren angeblich keine verbotenen Mittel, sondern Alpha-Liponsäure und /oder Kokarboxylase (Vitamin B1), die auch viele andere Sportler erhalten hatten. Heftige öffentliche Diskussionen folgten. Die Badischen Neuesten Nachrichten zitieren 1976 nach der Spritzenaffaire Keul wie folgt:
„Die Mittel sind nun einmal da, und wenn der Sportarzt sie nicht einsetzt, dann greifen die Athleten selbst zur Pille oder Spritze. Die wesentliche Aufgabe des Arztes ist es, dort zu regulieren. Wenn der Athlet mit den Medikamenten allein gelassen wird, geht vieles schief. Aber auf ihren Einsatz ganz zu verzichten, geht jetzt nicht mehr.“
„Die Grenze für die Spritze liegt bei der Gesunderhaltung des Athleten. Solange etwas nicht schadet, gibt es aus medizinischer Sicht nichts, was gegen eine Anwendung spricht. Ob sich allerdings der Sport dadurch verändert, ist ein sportliches Problem, kein ärztliches.“ War der Inhalt der Spritzen doch ein anderer, als angegeben? 1992 stellte das Berufsgericht der Ärztekammer Südbaden fest, Prof. Klümper habe Prof. Keul zu recht vorgeworfen, „Sportlern bei der Olympiade 1976 in Montreal leistungssteigernde Spritzen verabreicht zu haben.“ (SZ, 19./20.9.1992)
>>> die Affaire um die Kolbe-Spritze
frühe Befürwortung von Anabolika
Joseph Keul:
„Wenn ich abschließend zusammenfassen darf, kann der Gebrauch von leistungssteigernden Mitteln beim Sportler nicht bejaht werden, da der Athlet sich 1. in unfairer Weise einen Vorteil gegenüber den anderen zu verschaffen sucht, 2. bei wiederholter Einnahme es zu einem Persönlichkeitsverfall kommt. Das Training wird schließlich als natürliche Wettkampfvorbereitung vernachlässigt. 3. Es besteht die Gefahr einer Schädigung des Organismus. In unserer Zeit, in der als Maßstab für den Menschen die Leistung schlechthin gilt, die Leistung zum Bezugssystem für die Gesellschaft und die Anwendung von anregenden Mitteln zur Selbstverständlichkeit geworden ist, ist eine wirksame Verhinderung des Dopings nur durch das strenge Verbot und entsprechende zuverlässige Kontrollen von Athleten möglich. — Es sei darauf hingewiesen, daß es kein Mittel gibt, das dem Menschen die Leistungsfähigkeit gibt, die er durch ein systematisches Training, gezielte Ernährung, ausreichenden Schlaf und eine natürliche Entspannung erreicht.“
(die Zeit, 7.8.1970)
Keul erweckte häufig den Eindruck, dass er die Freigabe der anabolen Steroide befürwortete. 1970 wird er in der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung vom 21.2.1970 wie folgt zitiert:
„Dr. Keul ist da anderer Meinung. ‚Jeder, der einen muskulösen Körper haben und einfach männlicher wirken möchte, kann Anabolica einnehmen. Im Gegensatz zu den verbotenen Alcaloiden … erweitere ich mit der über eine Distanz gewonnene Muskelkraft meine Leistungsfähigkeit. Von Doping kann also keine Rede sein. Im Übrigen halte ich Kontrollen für nicht durchführbar. Wenn ein Sportler acht Tage vor dem Wettkampf das Präparat absetzt, findet man im Körper keine Spuren mehr.“
Als Ende 1991 Joseph Keul dieses Zitat vorgehalten wurde, ließ er durch seinen Anwalt erklären, dass
„Prof. Keul im Jahre 1970, als es noch keinerlei Dopingbestimmungen gab, unterschieden hat zwischen Aufbaupräparaten schon vor oder während der Trainingszeit und Aufputschmitteln speziell für den Wettkampf. Da im Jahre 1970 Kontrollen bereits während des Trainings noch undenkbar waren, hat er nur die letzteren als Dopingmittel angesehen. Noch dazu waren anabole Steroide im Jahre 1970 in keinem Land der Welt als Dopingmittel verboten.“
Allerdings wurden 1970 Anabolika vom IAAF und auch vom DLV verboten. Der Deutsche Sportbund DSB hatte sie ebenfalls zu Dopingsubstanzen erklärt.
1971 berichtet J. Keul auf dem internationalen Kongress „Biomedizin und Training“ in Mainz von Versuchen mit Gewichthebern.
„Untersucht wurden 15 Schwerathleten, die dreimal wöchentlich trainierten. Während zweier Monate wurde ein Teil der Athleten regelmäßig mit Anabolica versorgt., während der andere Teil bei gleichem Pensum keine muskelaufbauenden Präparate erhielt.“
Es wurden Spritzen gesetzt, da hier im Gegensatz zu der oralen Einnahme keine Nebenwirkungen bekannt waren. „Das Ergebnis: Zum erstenmal in der Vereinsgeschichte wurde diese Athletengruppe Badischer Meister! Alle Athleten, die mit Anabolica versorgt wurden, konnten ihre Wettkampfleistung erheblich verbessern.“ Ein weiteres Ergebnis für Keul war, dass keine Leberschädigungen auftraten. Daraus schloss er, „die medizinisch kontrollierte Nutzung von anabolen Substanzen könnte dem Missbrauch vorbeugen.“ Schließlich würden die Sportler trotz des Dopingverbotes zu den wirksamen Mitteln greifen und mit viel zu hohen Dosen ihre Gesundheit gefährden, aber „von vornherein aus Angst vor Aufdeckung dem betreuenden Arzt nicht mehr mitteilen, ob sie zur ‚Kraftpille‘ greifen oder nicht“. (Zitate Knebel 1972, nach (1))
Kommunikation über Doping:
Die Wirksamkeit und Schädlichkeit der Substanzen, obwohl augenfällig, wurde nach wie vor wegdiskutiert. Zusätzlich definierten die offiziellen Experten den Zeitraum des Dopingeinsatzes neu. «Wir sprechen von der bewusst versuchten Leistungssteigerung kurz vor und während des Wettkampfs und nicht von den Vorbereitungsmassnahmen auf längere Sicht», weil es «ins Unkontrollierbare führen würde, wenn sie als Doping erklärt und damit strafbar wären», schrieb [der schweizer Arzt] Schönholzer 1969 in der medizinischen Fachzeitschrift «Hippokrates». Dies zu einem Zeitpunkt, als er an seinem Institut in Magglingen Forschung mit anabolen Steroiden betrieb.
Die Öffentlichkeit informierte der deutsche Sportmediziner und Olympiaarzt Joseph Keul, der glänzende Kontakte mit Schönholzer und anderen Schweizer Fachkollegen unterhielt, 1971 in der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung». Durch den Einsatz von anabolen Steroiden sei «keine kurzfristige und rasch vorübergehende Leistungssteigerung zu erzielen, während ja Dopingmittel in der Absicht genommen werden, die Leistung kurzfristig für den Wettkampf zu verbessern».
(NZZ, 25.7.2014)
Die FAZ schrieb über die Versuche mit den 15 Schwerathleten am 23.4.1971 unter dem Titel „Sind Anabolika keine Dopingmittel“ mit dem Untertitel „Sportmediziner Dr. Keul rechnet sie nicht dazu“:
„… Ist das nun Doping oder nicht? Dr. Keul verneint diese Frage aus zwei Gründen: Einmal ist durch diese Hormone keine kurzfristige und rasch vorübergehende Leistungssteigerung zu erzielen, während ja Dopingmittel in der Absicht genommen werden, die Leistung kurzfristig für den Wettkampf zu verbessern. Dies ist aber hiermit nicht möglich. Zweitens kommt es hier zu einer echten meßbaren und mindestens für eine gewisse Zeit anhaltenden Leistungssteigerung, die nicht durch Inanspruchnahme der letzten, dem Willen nicht zugänglichen Leistungsreserven des Körpers erzielt wird, wie das für die Dopingmittel typisch ist. Für die Praxis kommt noch hinzu, daß es keine Möglichkeiten gibt, den Gebrauch dieser Mittel in irgendeiner Form nachzuweisen. Wenn das so ist, dann hat es nach Meinung von Dr. Keul keinen Sinn, den Gebrauch eines Mittels als Dopingmittel zu verbieten.“
Die Ergebnisse des Gesamtprojektes wurden 1976 von J. Keul, B. Deus, W. Kindermann unter dem Titel ‚Anabole Hormone: Schädigung, Leistungsfähigkeit und Stoffwechsel‘ in der ‚Med. Klinik‘ 71 veröffentlicht. Hier kann man lesen:
„… Aus medizinischen Gründen gibt es derzeit für den Mann keine gesicherten Einwände gegen die Einnahme von anabolen Hormonen, falls therapeutische Dosen verwendet werden. Bei Frauen und Jugendlichen sind sie wegen der Gefahr irreversibler Funktionsstörungen bzw. fehlenden Wissens über Schädigungen abzulehnen. Lediglich ethische Gründe lassen ein Verbot beim erwachsenen Sportler gerechtfertigt erscheinen. … Ein Verbot von anabolen Hormonen mit dem Hinweis auf die Schädigung, die nicht bewiesen ist, lässt die ärztliche Beratung bzw. den Arzt selbst fragwürdig erscheinen und ist daher nicht empfehlenswert.“
Keuls Ergebnisse dieser Untersuchung und seine daraus abgeleitete Schlussfolgerung der Unschädlichkeit anaboler Steroide zeigten langfristig Wirkung und prägten den Umgang mit diesen Dopingstoffen in Westdeutschland der kommenden Jahre. Andreas Singler schreibt hierzu:
„Die Verabreichung oder „Kontrolle“ von Anabolikadoping durch den Arzt wurde in der Darstellung Keuls zu einer Frage der ärztlichen Ethik ausformuliert. Erstaunlich, und dies wohl nicht nur aus heutiger Sicht, ist die Bereitschaft der meisten Diskursteilnehmer in diesen Jahren, wissenschaftlich völlig unzureichend abgesicherte Meinungen als Beweise – hier für die Unschädlichkeit anaboler Steroide – anzuerkennen. Dabei hatte Keul nach eigenen Angaben zum Berichtszeitpunkt 1971 lediglich 15 Gewichtheber untersucht. Und diese waren in zwei Gruppen aufgeteilt, von denen die eine Anabolika in Form von Injektionen erhielt und die andere ungedopt trainierte. Auf dieser völlig unzureichenden Datenbasis erwuchs erstmals die generalisierte These eines unschädlichen Anabolikadopings … . Für Keuls Ergebnisse war ganz offensichtlich ein Markt vorhanden, und für die nun folgenden Jahre kann eine regelrechte Kampagne pro Anabolika ausgemacht werden, deren beträchtlicher Erfolg nur durch eng kooperierende soziale Netzwerke und aktive Förderung auf unterschiedlichsten Ebenen zu erklären ist.“ (Singler, Doping uns Enhancement, 2012, S. 51)
Anabolika-Anwendung
Joseph Keul:
„Bei richtiger Dosierung kann überhaupt nichts passieren.“ Die deutschen Athleten hätten bis vier Wochen vor den Wettkämpfen in Montreal die Kraftpille geschluckt.
(Kölner Stadtanzeiger, 18.8.1976)
1974 soll Joseph Keul auch auf einer Sitzung des IAAF für die Anwendung der Anabolika eingetreten sein. Laut Stasi-Berichten von Manfred Höppner, die 1994 bekannt wurden, hatte Keul auf internationalen Treffen zugegeben, dass in der BRD ‚generell die Anwendung von Anabolen erfolge‘. Auf Intervention von Keul seien zudem die internationalen Antidoping-Bestimmungen stark entschärft worden. Keul ging zwar per eidesstattlicher Erklärung gegen eine entsprechende Darstellung vor, doch wirkte dieser Einspruch auf viele wenig glaubwürdig.
Thomas Kistner schreibt hierzu am 21.3.1994 in der Süddeutschen Zeitung:
„Sein offizielles Bekenntnis ist etwa im Interview mit dem Freiburger Uni-Magazin von 1991 dokumentiert: „Ich darf vielleicht … einmal darauf hinweisen, daß die ersten Doping-Bestimmungen 1969/70 eingeführt wurden, nachdem sie in Freiburg ausgearbeitet worden sind. Hier fand auch das erste Symposium zu ihrer Umsetzung statt… Ich war immer ein Gegner der pharmakologischen Leistungssteigerung im Sport. Deshalb setze ich mich seit 1969 konsequent dafür ein, daß die Dopingbestimmungen und Überwachungstechniken … verbessert werden. Das muß ich tun, da ich als Arzt um die Gefährlichkeit vieler Medikamente weiß. Im übrigen verliert natürlich der Sport, dem die Fama ,Doping‘ anhaftet, ungeheuer an Glaubwürdigkeit.“ Stellt man die Akten von Keuls langjährigem Duz-Kollegen Höppner dagegen, so war die „Fama Doping“ branchenintern keineswegs ein Gerücht. Und Keul selbst („Wir kannten uns, Freunde waren wir nie“) taucht in den Stasi-Berichten nicht eben als Streiter für den sauberen Sport auf, im Gegenteil. So berichtet Höppner der Stasi 1974 von einer heftigen Debatte innerhalb der Ärztekommission des Leichtathletik-Weltverbandes IAAF, die sich am historischen Beschluß entzündet hatte, bei der EM in Rom erstmals auf Anabolika zu kontrollieren. Dabei habe vor allem Sportarzt Ludwig Prokop aus Österreich erkennen lassen, „daß er wenig Sinn für die weitere Entwicklung des Leistungssports hat“. Prokop nämlich „äußerte, daß einzelne Verbände zu Methoden gegriffen haben, um die Sportler zu Höchstleistungen zu bnngen, mit dem Ziel, das nationale Prestige aufzubessern. In den brillantesten Farben“ habe Prokop die Anabolika-Nachwirkungen geschildert, „wodurch er einige Mitglieder der Kommission und vor allem der Föderation sofort auf seine Seite zog“. Andere aber hätten diese Auffassung nicht geteilt. In der Gauck-Akte steht: „Der BRD-Vertreter, Prof. Dr., Keul, sprach sich in einer sehr aggressiven Art und Weise gegen die Darlegung von Prof. Dr. Prokap aus und äußerte, man könnte den Eindruck gewinnen, daß P. ein Vertrer der katholischen Kirche sei. Gegenüber dem IMV (Höppner, d. Red.) bestätigte Prof. Dr. Keul, daß in der BRD generell die Anwendung von Anabolen erfolgt und er im Prinzip nichts dagegen einzuwenden habe“. Keul ließe erkennen, er sei „nicht geneigt… auf die Anwendung von Anabolen zu verzichten“.
Prokop, einst Präsident des Sportärzte-Weltverbandes und bis vergangenes Jahr Leiter des österreichischen Instituts für Sportmedizin, sagt dazu heute: „Im Prinzip ist dieser Bericht richtig. Keul hat schon gesagt, das Zeug braucht man ab und zu, zur Regeneration und Therapie hieß es immer. Manche benutzten auch das „Alibi, daß dadurch die Gewebsbildung gefördert würde.“ Ein Antidoping-Appell von Prokop, so berichtet Höppner weiter, der „in einer drastischen Art und Weise auf die eintretenden Gefahren beim Sportler“ hingewiesen habe, sei in seiner Urfassung nicht bestätigt, sondern erst nach einer Überarbeitung durch Prokop, Keul und den IMV, wobei es gelang, wesentliche Passagen zu streichen und die übrigen abzuschwächen“. Prokop bestätigt den Vorgang, will seinen Appell aber „selbst nicht mehr in die Hände bekommen“ haben. Zufrieden berichtete Höppner der Stasi, daß er beim Entschärfen des Reinheitsgebots selbst kaum habe in Erscheinung treten müssen. Aus der Akte: „Der IMV überließ in erster Linie die Argumentation Prof. Dr. Keul.“
Das ist bemerkenswert, weil weil der Freiburger noch keine Fachgröße war. Auch Prokop sagt: „Keul hat damals keine große Bedeutung gehabt. Doch es gab schon viele Leute, die bei den Verbänden ein Macher-Image, den großen Guru spielen wollten, damit man sie überall mit hinnimmt in die Welt“. Prokop zeigt sich bis heute angewidert von den Sportärztezirkeln, sagt: „Das Ganze ist eine Mafia.“ Unter den Kollegen sei „mehr diskutiert worden, was passieren kann“ beim Dopingeinsatz. Prokop: „In Wirklichkeit wollten die Leute nur wissen, wie man die Schäden minimiert. Die Flüsterpropaganda unter den Ärzten – so viel Milligramm mußt du von dem nehmen und soviel von dem – war was ganz Schlimmes. Was ich genauso unmoralisch finde, ist das wissentliche Geschehenlassen.“
Noch während die Dopingdebatte hierzulande kulminierte, wurde versucht, sie in der leichtathletischen Ärztekommission zu konterkarieren. Nach den Spielen von Montreal, am 12. November 1976, tagten die Sportmediziner in Amsterdam, und Höppner berichtete: „In der Diskussion wurde speziell von den Vertretern der BRD, Dr. Danz (damaliger Kommissionschef, d. Red.) und Dr. Donike, die Forderung erhoben, Anabolika aus der Dopingliste zu streichen und legten in diesem Zusammenhang Materialien von Prof. Dr. Keul vor, nach welchen die Anwendung anaboler Steroide nicht gesundheitsschädigend sei.“ Donike bezeichnete diese Darstellung heute als „Quatsch“, tatsächlich hätte er sich damit seiner Arbeit als Analytiker beraubt. Prokop indes bestätigt generell: „Ja, das weiß ich, daß Keul das – gesagt hat – daß bei geringen Dosierungen nichts passieren kann.“ Keul hatte die‘ Ansicht, es sei letztlich alles eine Frage der Dosierung, damals auch öffentlich vertreten und geriet in die Kritik. Ein Ignorieren oder Bagatellisieren des Krebsrisikos bei Anabolika-Abgaben an gesunde Menschen steht in krassem Widerspruch zum ärztlichen Eid; überdies stand die Muskelmast längst auf nationaler und internationaler Dopingliste.“
Im Februar 1977 wiederholte und konkretisierte Brigitte Berendonk in der Süddeutschen Zeitung ihre Vorwürfe, die sie bereits 1969 in einem vielbeachteten Artikel vorgebracht hatte (der Artikel 1969). Darin widersprach sie der häufig These, Anabolika seien kein Doping und unter ärztlicher Kontrolle eingesetzt, seien sie unschädlich. Gezielt sprach sie damit Joseph Keul an, der immer wieder mit entsprechenden Äußerungen aufgefallen war und die Substitutionstheorie hochhielt. (>>> Berendonk-Artikel vom 26.2.1977)
Keul wehrte sich und widersprach. Berendonk habe nichts verstanden, sie habe bekanntgewordene aufgetretene Nebenwirkungen, die in Verbindung mit schweren Krankheitsbildern stünden, mit dem Sport vermengt. Er habe zudem Sportlern geraten auf die hohen Anabolikadosen zu verzichten und diese drastisch zu senken. Auf die Bemerkung, Anabolika stünden aber auf der Dopingliste, auch in geringen Dosen, antworte Keul:
„Sie sind bei Olympischen Spielen verboten, und ich war maßgeblich daran beteiligt, eine Dopingliste aufzustellen. Ich war aber auch immer der Meinung, daß wir nichts verbieten können, was nicht nachzuweisen ist. Und bis vor einigen Jahren konnten wir nur ein Hormonpräparat nachweisen, inzwischen sind es die Hälfte bis zwei Drittel der Anabolika. Wir haben eine Kommission, in der zu diesem Problem auch Juristen befragt werden. Eine wirksame Kontrolle ist nämlich fast nur während der Trainingsphase möglich, hier müsste also ein Eingriff in den privaten Bereich des Athleten stattfinden. Und das ist eben auch ein rechtliches Problem. Auf alle Fälle lassen wir uns auf unserem Weg von dummen Angriffen nicht beirren. Wir haben es geschafft, Todesfälle nach der Einnahme von Dopingmitteln aus dem Sport zu verbannen. Und wir werden im Sinne des Sports weiterarbeiten.“ (die Welt, 9.3.1977) (Anmerkung: Testosteron wurde explizit erst 1982 vom IOC verboten, nachdem eine Nachweismethode gefunden war)
Keul sah in der Literatur keine Hinweise auf Auswirkungen der Steroide auf Wesensveränderungen wie Selbstmord, Amokläufe und sexuelle Ausbrüche. Generell relativierte er die Möglichkeiten mit Medikamenten die Leistung zu steigern. Anabolika ohne Training wären sowieso wirkungslos, auch Bluttransfusionen hätten keine Leistungssteigerungen erbracht. (FAZ, 19.3.1977)
Arzt Keul verneinte schädliche Nebenwirkungen nicht gänzlich. Eine geringe Zahl von erwachsenen Sportlern hätten Leberschädigungen davon getragen, die allerdings nach dem Absetzen der Hormone wieder verschwänden. Bemerkenswert sei, dass einige anabole Steroide überhaupt keine Funktionsstörungen der Leber mit sich brächten, vorausgesetzt sei allerdings die Anwendung in therapeutischen Dosen. Als Argument führte er an, dass Patienten jahrelang die Medikamente einnahmen ohne Nebenwirkungen zu zeigen. Die hohen unkontrollierten Mengen, die sich Sportler selbst verordneten, seien daher abzulehnen. Bei Frauen ergäben sich allerdings durchaus Nebenwirkungen wie Stimmbruch, vorzeitigee Beendigung des Wachstums, veränderte Fettverteilung, veränderte Schambehaarung, Wesensveränderungen, doch
„auch hier ist unentschieden, inwieweit diese Nebenwirkungen durch geringe Dosen verhindert werden können, wofür Erfahrungen der Medizin sprechen. Wenn trotz medizinischer Warnungen und Bedenken Sportlerinnen anabole Hormone einnehmen, kann dies nicht den Sportmedizinern zur Last gelegt werden.“ (FAZ, 19.3.1977)
Im August 1977 antwortete Joseph Keul gemeinsam mit Wilfried Kindermann gemeinsam mit Josef Keul in der Medical Tribune auf die Vorwürfe von Werner Frankes, Sportärzte würden die gefährlichen Nebenwirkungen von Anabolika leugnen. In dieser Antwort werfen sie Franke falsche Angaben vor. Beide Ärzte sehen keine Beweise für einige von Franke zitierte mögliche Schäden (>>> Werner Franke, Anabolika im Sport und Antwort Keul/Kindermann).
Das Medienecho auf Keuls Verharmlosungen war groß und er musste einige Kritik bezüglich seiner Haltung einstecken, öffentlich wird seine Glaubwürdigkeit angezweifelt und er wird nun ‚Anabolikaverharmloser‘ und ‚Dopingbeschwichtigungspabst‘ genannt.
Dass der Arzt Steroide verschrieben hatte, ist zu der Zeit bald unbestritten. Hammerwerfer Uwe Beyer zeigte 1977 im aktuellen Sportstudio des ZDF ein entsprechendes Rezept. Der Hammerwerfer beschrieb als Folge der Einnahme psychische Störungen und schwere Entzugserscheinungen. Keul, der bislang behauptete hatte, entsprechende psychische Störungen könnten durch Anabolika nicht eintreten, wusste eine Erwiderung. Bereits im März hatte er über Beyer behauptet, dessen Depressionen seien eingetreten, weil sich eigene Leistungserwartungen nicht erfüllt hätten. Nun rechtfertigte er seine Verschreibungen: Es war die vorhandene Abhängigkeit des Sportlers, die ihn als Arzt veranlasste mit entsprechenden Dosen die Entwöhnung zu kontrollieren und dem Athleten einen Übergang zu verschaffen. ((4), S. 278)
Im März in der Welt vom 9.3.1977 klang das noch so:
„Und was heißt hier behandelt? Er kam 500 km weit angereist, um sich von mir beraten zu lassen. Ich habe ihn nie behandelt, ich habe ihm nur Literatur gegeben, freundlicherweise auch ein damals noch unveröffentliches Manuskript von mir. Beyer ist doch intelligent genug, selbst seine Schlüsse zu ziehen. Es sind zu mir schon Athleten gekommen, die täglich 30 Pillen geschluckt haben.“
Diskuswerfer Alwin Wagner wird 2009 wie folgt zitiert:
„1977 hat mich ein Trainer damit überzeugt, dass ich mit Anabolika drei bis fünf Meter weiter werfen würde.“ (…) Gesundheitliche Bedenken hatte er keine. „Ich hatte ja mit den DLV-Ärzten in Freiburg gesprochen. Das waren Professor Joseph Keul und Professor Armin Klümper. Beide haben mir damals wortwörtlich gesagt: ‚Du brauchst keine Angst zu haben, denn es gibt keine Nebenwirkungen. Es ist auch kein Doping, sondern eine therapeutische Maßnahme. Wenn du hart trainierst, wirst du schneller regenerieren.‘ Damit war ich einverstanden.“ (MDR, 25.5.2009)
hormonelle Substitution – Testosteronforschung
Am 28.9.1977 kam es zu einer Anhörung vor dem Deutschen Bundestag zum Thema Doping. Prof. Keul trat mit seiner Theorie der hormonellen Substitution für Leistungssportler vor die Abgeordneten. Danach käme es bei Leistungssportlern unter hoher Trainingsbelastung zu einem Absinken des Testosteronspiegels, der mittels künstlicher Gaben wieder stabilisiert werden könne. Eine ärztlich kontrollierte Anwendung mittels therapeutischer Dosen sei damit keinesfalls gesundheitsgefährdend. Eine Theorie, die über die Jahre fester Rechtfertigungsbestandteil, nicht nur Testosteron betreffend, der internationalen dopingbereiten Ärzteschaft war und noch ist.
Zudem gab er zu, dass ‚die anabolen Steroide oder Testosteron bei entsprechender maximaler Trainingsbelastung zu einer Leistungssteigerung führen.‘ (>>> Protokoll der Sachverständigenanhörung 28.9.1977)
In späteren Jahren (die Zeit, 21.2.1992) räumte Keul durchaus ein, Anabolika verschrieben zu haben, zumindest bis 1976, denn bis dahin seien sie nicht verboten gewesen, was so aber nicht stimmt. 1994 jedoch bestritt Joseph Keul dies vehement:
„Diese Vorwürfe sind vollkommen absurd. Wir haben zu keinem Zeitpunkt anabole Steroide verschrieben. Wir hatten nur Vermutungen, wer bei uns die Mittel verwendet. Einzelheiten waren uns nicht bekannt. Wir haben niemals Anabolika verschrieben. Das kann ich jederzeit beweisen.“ (BZ, 21.3.1994).
Neben Hammerwerfer Uwe Beyer (Beyer starb 1993 wie offen vermutet wird, an den Spätfolgen des Anabolikadopings) sprechen gegen diese Aussage die Studien an den Gewichthebern (s.o.) und in den 80er Jahren an Skilangläufern. Hammerwerfer Walter Schmidt machte schon für die Zeit vor 1972 vor Gericht entsprechende Aussagen.
Bei der erwähnten Forschung mit Skilangläufern in den 80er Jahren leitete Keul eine Forschungsgruppe, die mit Geldern des Bundesinnenministeriums, des Bundesinstituts für Sportwissenschaft und des Deutschen Sportbundes finanziert wurde. Thema war die Wirkung des Testosterons. Nach Keul 1991 ging es darum zu überprüfen, ob „durch die Einnahme von Testosteron Funktionsstörungen oder gar Krankheiten bei Ausdauerleistungssportlern verhindert werden könnten, die als Folge einer unzureichenden Regenerationsphase mit Verminderung der Immunabwehr auftreten.“ Dem Bundesinstitut für Sportwissenschaft war dieses Projekt 298 500 Mark wert. Begründet wurde das Projekt von Keul mit dem fehlenden Wissen über die Wirkung des Testosterons und dem Wunsch, auch im Sinne der Sportler, zu klären, ob es sich hier wirklich um leistungsfördernde Mittel handle. Letztlich habe es sich um Antidopingforschung gehandelt.
Nach Keul erbrachten die Ergebnisse keine positive Wirkung des Testosterons, daher sei das Hormon nicht als Substitutionsmedikament geeignet. Dieses sagte er 1991, nachdem die Forschung publik wurde und heftige öffentliche Kritik hervorgerufen hatte. Die Untersuchung hatte allerdings nach eigenen Aussagen der Forschergruppe erhebliche Mängel, die eine genaue Aussage über die Wirkung des Testosterons nicht zuließen: „Es bleibt daher offen, ob unter einer katabolen Ausgangslage durch die pharmakologische Beeeinflussung mit exogenen Testosterongaben ein beschleunigtes Regenerationsverhalten zu erwarten ist.“ (Siehe auch Testosteronforschung in der BRD 1985 bis 1990 / Antwort der Bundesregierung vom 11.12.1991) (1977 hatte Keul noch in der Anhörung des Deutschen Bundestages angemerkt, dass es keine Zweifel an einer Leistungssteigerung durch anabole Steroide oder Testosteron bei maximaler Trainingsbelasrtung gäbe.)
Die Begutachtung im Jahr 2009 einer mit dieser Studie verbundenen Dissertation erbrachte jedoch ein völlig anderes Ergebnis.
„Die Bewertung der Arbeit durch drei unabhängige Wissenschaftler führt zu einem eindeutigen Resultat: „Anabol androgene Steroide erhöhen die Ausdauerleistung von Athleten durch eine gesteigerte Bildung von roten Blutkörperchen“, sagt der Testosteronexperte Dr. Luitpold Kistler, „das steht sowohl in der Doktorarbeit als auch in der Literatur. Daran gibt es keinen Zweifel. Man kann auch sagen, dass Testosteron die Regeneration eines Sportlers durch eine bessere Reparatur stark beanspruchter Muskulatur steigert.“ (FAZ, 30.1.2009, dradio, 22.2.2009, 4:47 Min)
Am 18. Februar 1988 zitierte ihn die Süddeutschen Zeitung in Bezug auf die Olympischen Winterspiele in Calgary wie folgt: „Etwas narrisch“ findet es Prof. Keul allerdings, daß Anabolika auf der Liste stehen, weil diese seiner Meinung nach im Ausdauerbereich nichts nutzen.“ Keul warne vor einer Ausuferung der Verbotsliste. Ob er damit die Anabolika insgesamt meint oder nur das Testosteron ist unklar.
Insgesamt relativierte er am 14.10.1987 in der Dopingdiskussion vor dem Sportausschuss des Deutschen Bundestages das Dopingproblem, es sei ‚im Grunde genommen völlig überbewertet.‘ „Wir haben einen enormen Rückgang der gesamten Dopingfälle zu verzeichnen. … Über die Problematik einzelner Dopingfälle vergessen wir etwas ganz Entscheidendes, nämlich eine besser und stetig ausgebaute ärztliche Versorgung unserer Spitzensportler.“ Mit dieser Meinung stand er aber im Gegensatz zu Prof. Donike, der an der Langläuferstudie ebenfalls beteiligt gewesen war. Donike stellte während der Anhörung fest, „anabole Steroide stellen nicht nur ein Problem für den Hochleistungssport dar, sondern sie werden im Breitensport in einem Umfang verwendet, der gesundheitspolitisch bedenklich ist.“ – und das bereits vor mehr als 20 Jahren. (>>> Protokoll der Sachverständigenanhörung im Sportausschuss 14.10.1087, Teil 2)
Keuls Antidoping-Haltung wird weiter unglaubwürdig durch sein Verhalten in Sachen Hartmut Riedel. Die beiden Professoren Keul und Hollmann empfahlen den Ex-DDR-Anabolikafachmann 1988 für eine Professur an der Universität Bayreuth, trotz des Fehlens der üblicherweise vorzulegenden wissenschaftlichen Arbeit. Dessen Dissertation mit dem Titel „Zur Wirkung von anabolen Steroiden auf die sportliche Leistungsentwicklung in den leichtathletischen Sprungdisziplinen“ war verschwunden. Als Brigitte Berendonk dieses Werk ausgegraben hatte und eine öffentliche Diskussion begann, rechtfertigte sich Keul damit, ihm hätte der Titel ohne „anabole“ vorgelegen. Das hätten dann ja ganz andere Medikamante sein können. In der Begründung des Berufungsvorschlages für Riedel heißt es aber explizit, „mit originellen diagnostischen Verfahren erarbeitete er Riedel] wesentliche Erkenntnisse auf dem Sektor der anabolen und katabolen Hormone. Er gehört zu den anerkannten Fachleuten auf diesem Gebiet.“
Widersprüchliches
Obwohl Joseph Keul immer wieder betonte, dass er Doping ablehne, lassen seine Aktivitäten und Äußerungen anderes vermuten. Zumindest deutet vieles daraufhin, dass Keuls Verständnis des Begriffs Doping sich von dem Verständnis anderer unterschied. Insbesondere seine Äußerungen zu den Anabolika bezüglich deren Wirkungsweise, deren gefährlichen versus gesundheitsfördernden Wirkungen sowie der Verbotssituation im Sport erwecken den Anschein, als wäre er durchaus flexibel und anpassungsfähig in der Auslegung gewesen, wodurch sich manche Widersprüchlichkeiten ergaben.
Viele Zitate, die heute nachzulesen sind, legen die Vermutung nahe, dass der Mediziner Keul generell eine medikamentöse Unterstützung von Sportlern nicht grundsätzlich ablehnte, sondern dass er immer wieder, über die Jahrzehnte seiner beruflichen Praxis hinweg, versuchte, die verschiedensten Mittel und Methoden auf ihre Eignung für den leistungssportlichen Alltag zu untersuchen und zu erproben.
So forschten Keul und Kindermann in den 70er Jahren über Betablocker bei Sportlern. Diese Mittel waren damals im Gegensatz zu den Anabolika nicht verboten. An Bobfahrern sollte erkannt werden, ob sie Angstgefühle vertreiben könnten. Wolfgang Zimmerer, erfolgreicher Bobfahrer in den 70er Jahren, meinte zu deren Einsatzmöglichkeiten: „Es gibt eben Leute, Aktive, die wo eben der Nervenbelastung nicht standgehalten haben, ja. Und für denen, glaub ich, war so ein Mittel unheimlich stark, also unheimlich gut. Die haben ihren Körper besser im Griff gehabt, ja.“ (rbb, 14.9.2006)
Noch 1992 sah Keul Möglichkeiten für den gesundheitsfördernden Einsatz von damals verbotenen Betablockern im Sport. Automobilrennsportlern sollte man ‚zum Schutze ihrer Gesundheit alle mit Beta-Blockern fahren lassen‘. (SZ, 11.9.1992)
Auch das heiß umstrittene, verbotene Cortison hätte er gerne großzügiger bei Heuschnupfen angewandt gesehen. „Das ist ja eine Anti-Doping-Maßnahme, die völlig unsinnig ist“, wettert Keul. „Ich habe doch alle möglichen Untersuchungen vorgenommen und immer wieder bewiesen, daß Kortison keine Leistungsverbesserung bringt. Warum also steht es jetzt auf der Doping-Liste?“ (Sport-Bild, 6.5.1992)
Bluttransfusionen waren nach Keuls Meinung 1977 ebenfalls nicht dem Doping zuzurechnen (noch nicht verboten), denn „nach wissenschaftlichen experimentellen Studien kann durch Bluttransfusionen eine Leistungsverbesserung nicht eintreten.“ (FAZ, 19.3.1977)
Keuls Offenheit gegenüber medizinischen Hilfen und pharmakologischer Unterstützung zeigt sich auch, wenn man seine Äußerungen zu EPO Anfang der 90er Jahre liest (damals schon verboten). Immerhin gab es zu dieser Zeit bereits Todesfälle, auch in Deutschland sollen junge Radsportler gestorben sein.
„Sportarzt Professor Joseph Keul, mehrfach Chefarzt bundesdeutscher Olympia-Mannschaften, rühmt der Droge nach, sie sei „bei richtiger Anwendung ungefährlich“ und könne „das Höhentraining durchaus ersetzen“.“ (der Spiegel, 10.6.1991) 1999 spricht er EPO eine leistungsfördernde Wirkung ab (s.u.).
Mittel, die im Tennis von Vorteil sein könnten, sah er grundsätzlich nicht. Immer wieder bestritt er, dass seiner Meinung nach mittels Medikamenten keine Leistungssteigerung möglich sei, daher sei die Einführung von Tests sinnlos.
Zweifel
Was raten Sie Sportlern, von denen Sie wissen, daß sie Doping einnehmen?
Keul: „Ich war immer ein Gegner der pharmakologischen Leistungssteigerung im Sport. Deshalb setzte ich mich seit 1969 konsequent dafür ein, daß die Dopingbestimmungen und Überwachungstechniken präzisiert und verbessert werden. Das muß ich tun, da ich als Arzt um die Gefährlichkeit vieler Medikamente weiß. … Jedem Sportler, der Dopingmittel einnimmt, versuche ich klarzumachen, daß die körperlichen Schäden nicht mit den sportlichen Erfolgen ausgeglichen werden können.“
(Freiburger Uni-Magazin 6/91)Keul fordert die Aufnahme anaboler Steroide in das Betäubungsmittelgesetz:
„Die Verfolgung wäre unabhängig von den Verbänden. Außerdem könnte neben den Sportlern auch gegen Hintermänner wie Ärzte, Apotheker, Hersteller, Händler und Trainer u.a. strafrechtlich vorgegangen werden“, „der Sumpf würde ausgetrocknet.“
(SZ, 19./20.10.1991)Ernst Jakob (Mitarbeiter Keuls):
„Es gibt nirgendwo in der Fachliteratur Gegenanzeigen, daß das körpereigene Testosteron bei erwachsenen Männern Nachteile bewirkt,“ sogar eine Freigabe halte er für medizinisch unbedenklich.
(SZ, 26./27.10.1991)
Professor Joseph Keul war in diesen Jahren, Anfang der 90er, Anti-Doping-Beauftragter des Nationalen Olympischen Komitees (NOK), des Deutschen Sportbundes (DSB) und des Bundesinstituts für Sportwissenschaft. Brisant wurde es für ihn, als Brigitte Berendonk in ihrem Buch ‚Doping-Dokumente‘ 1991 auch ihn belastete. Der Arzt versuchte sich zwar zu wehren, doch er konnte die Vorwürfe nicht entkräften. Noch deutlich unangenehmer wurde es für ihn, als die „ad-hoc-Kommission zur Beratung in Doping-Fragen“ unter Vorsitz des damaligen DSB-Vizepräsidenten Manfred von Richthofen zu dem Schluss kam, Prof. Keul sei aufgrund bewiesener Nähe zu Dopingpraktiken nicht mehr als Olympiarzt tragbar. Von Richthofen:
„Wir haben Männer und Frauen aus Ost und West angehört, gegen die es Anschuldigungen gab. Zum Beispiel Professor Keul aus Freiburg. Zur ersten Anhörung kam er noch alleine. Trotzdem war die Anhörung sehr unerfreulich, weil er keine präzisen Auskünfte geben wollte. Bei der zweiten Anhörung erschien er dann mit einem Anwalt. Wir waren danach der Ansicht, dass Keul verquickt war in Doping.“ „Keul hatte nach der Anhörung damals festgestellt, dass die Kommission überflüssig sei. Ich bin dann zum Präsidenten des Nationalen Olympischen Komitees (NOK) gegangen, Willi Daume. Und zwar mit der Bitte, Keul nicht mehr als Olympiaarzt zu nominieren. Daume hat meine Bitte zur Kenntnis genommen und mich mehr oder weniger höflich zur Tür hinaus befördert.“ (die Zeit, 20.2.2009, der Spiegel, 24.2.1992, FAZ, 2.2.2009).
Prof. Keul überstand auch diese Krise. Er blieb Olympiaarzt bis zu seinem Tod im Jahr 2000. Obwohl es im Jahr 1997 noch einmal eine Initiative gab, Keul das Amt des Olympia-Arztes für Nagano zu entziehen. Zu den alten Anschuldigungen kamen die bereits weiter oben im Text erwähnten neuen des DDR-Chefmediziner Manfred Höppner, der angab, Keul hätte ihm früher bestätigt, dass anabole Steroide zum bundesdeutschen Hochleistungssport gehörten. (der Spiegel, 24.11.1997) Siehe hierzu auch >>> Spurensuche II, Joseph Keul.
Radsport
„Doping nützt gar nichts. Das hat in der vergangenen Woche der Olympiaarzt Professor Joseph Keul behauptet. Jedenfalls eröffnete er so ein Seminar über die aktuelle Substanz Epo, ein Medikament, das besonders bei Ausdauersportlern Mittel der Wahl ist. Es ist zwar im Sport verboten, aber nicht nachweisbar und, so sagt Keul, wohl auch unschädlich. Keul war Gastgeber der Veranstaltung, weil sein Institut die Radprofis vom Team Deutsche Telekom betreut.“
(FAZ, 10.5.1999)
Als Reaktion auf den Festina-Skandal 1998 (>>> mehr Infos) ging der Sponsor Telekom in die Offensive. Nach Auskunft des Team Telekom-Sprechers Kindervater hatte zwar das Team Telekom bereits dafür gesorgt, dass im Team nicht gedopt wurde, dadurch dass durch eine vollkommen unabhängige ärztliche Begleitung durch die Medizinische Hochschule Freiburg eine konzertierte Aktion von Teamchef und Arzt in Sachen Doping nicht möglich sei. (die ZEIT, 33/1998). Doch um die klare Antidopinghaltung allen offen zu zeigen und ein Beispiel zu geben, schloss Telekom einen Vertrag mit dem Arbeitskreis „Doping im Sport“, dessen Mitglieder waren: „der Präsident des Nationalen Olympische Komitees Professor Dr. Walther Tröger, der Vizepräsident des Bundes Deutscher Radfahrer Olaf Ludwig, der Präsident des Deutschen Sportärztebundes Professor Dr. Joseph Keul, der Vorsitzende der Antidopingkommission des Deutschen Sportbundes/Nationalen Olympischen Komitees Dr. K.-F. Brodeßer, später Professor Dr. Ulrich Haas sowie die Direktoren des Instituts für Dopinganalytik und Sportbiochemie/Kreischa und des Instituts für Biochemie der Deutschen Sporthochschule Köln Professor Dr. Klaus Müller und Professor Dr. Wilhelm Schänzer.“ Den Vorsitz hatte Keul, Schriftführer war Lothar Heinrich.
„Schwerpunkte sollten die Weiterentwicklung eines indirekten Nachweises von Erythropoietin, Dopingkontrollen im Training, Information und Aufklärung der Öffentlichkeit für einen dopingfreien Sport sowie eine enge Kooperation mit BDR, UCI, NOK, DSB und DGSP sein. Von den jährlich 450.000 DM sollten 300.000 DM für Forschungsprojekte eingesetzt werden. Für Information und Aufklärung (insbesondere für eine „Hotline“, Internetseite und jährliche Symposien) und die enge Zusammenarbeit mit den oben genannten Institutionen sowie die Deckung der Kosten des Arbeitskreises einschließlich der Verwaltungskosten waren 150.000 DM vorgesehen.“ Der Vertrag wurde ein weiteres Jahr um 100 000 Mark verlängert.
Während dieser Jahre wurde im Team Telekom gedopt, auch mit EPO, mit Unterstützung der Freiburger Ärzte Schmid und Heinrich. Joseph Keul, der Chef, wird derweil dahingehend zitiert, er müsse die Mitarbeiter fallen lassen, „von denen bekannt werde, dass sie in Dopingaktivitäten verwickelt seien.“
Prof. Keul starb im Jahr 2000. Aktives Doping während der 90er Jahre ist im noch nicht nachgewiesen. Aber ein wenig erinnert die EPO-Forschung, hier insbesondere die EPO-Test-Forschung, an die Geschehnisse um den hochkarätigen Dopingarzt Professor Francesco Conconi, der jahrelang sehr viel Geld für die Suche nach einem EPO-Test ausgeben durfte.
Kritikwürdig war unter Prof. Keul dessen Buchhaltung, offensichtlich wurden Drittmittel nicht korrekt abgerechnet.
Der Abschlussbericht der Expertenkommission zur Aufklärung von Dopingvorwürfen gegenüber Ärzten der Abteilung Sportmedizin, hält abschließend fest, dass
„Professor Keul bei Veranstaltungen des und um das Team Telekom häufig präsent [war]. Beweise für eine aktive Beteiligung an den Dopingaktivitäten der Ärzte Professor Schmid und Dr. Heinrich sowie Dr. Huber fehlen jedoch.“
„Sicher ist jedoch, dass Professor Keul den kontrollierten Einsatz leistungssteigernder Mittel, allerdings nur bei Männern, befürwortet hat und dass er stets zur Stelle war, wenn es galt, den Einsatz sowie die Wirkungen und Nebenwirkungen von Dopingmitteln zu bestreiten oder zu verharmlosen.“
„Die Kommission ist zu der Auffassung gelangt, dass die Grundeinstellung von Professor Keul sowie die fehlende Kontrolle der Abläufe in der Abteilung die Dopingaktivitäten von Professor Schmid, Dr. Heinrich und Dr. Huber begünstigt haben.“
Anmerken kann man, dass in der Diskussion häufig ausgeklammert wird, dass Prof. Keul, wie die Freiburger Sportmedizin insgesamt nicht allein Radsportler betreute:
„Kurz bevor ihr umstrittener Chef Joseph Keul im Jahr 2000 starb, hatte die Freiburger Sportmedizin 5100 Sportler unter Betreuung, bis zu 80 Prozent aller westdeutschen Kaderathleten und Sportstars, Fußballer, Leichtathleten, Wintersportler, Radrennfahrer, Tennisspieler, Ruderer.“ (Stuttgarter Zeitung, 17.6.2009)
Auszüge aus drei Interviews und einer TV-Sendung mit Prof. Dr. Joseph Keul
Interview 11.1.1992 Stuttgarter Zeitung
… Wie sollen wir Ihre letzte Untersuchung von 1988 verstehen, in der Sie die Wirkung des Anabolikums Testosteron an Skilangläufern untersucht haben?
Das war eine klassische Anti-Doping-Maßnahme, wobei man wissen muß, daB Testosteron bei Männern keinerlei Nebenwirkungen hat. Mich hat seit Jahren gewurmt, daß nach den eindeutigen Antl-Doping-Beschlüssen des Deutschen Sportbundes von 1977 durch die Hintertür versucht wurde, eine Indikation zu finden, die die Abgabe von Anabolika im Sport erlaubt. Verschiedene Kollegen wollten eben nicht mehr Doping dazu sagen, sondern Substitution, und somit die unerlaubten Mittel hoffähig machen.
Der bekannteste darunter ist Professor Heinz Liesen, der frühere Arzt der Fußball-Nationalelf. Mit ihm haben Sie die 88er-Studie durchgeführt.
Ich habe ihn bewußt miteingebunden, damit er nicht weiter behaupten kann, Testosteron würde Vorteile bringen. Die Studie hat eindeutig ergeben. daß weder das Immunsystem der Sportler noch ihre Regenerationsfähigkeit verbessert wird. Und damit hört endlich die Verunsicherung bei den Athlelen, Trainern und Ärzten auf, die immer wieder bei uns angefragt haben. Die Fragen sind öffentlich diskutiert und die Ergebnisse jedem zugänglich publiziert worden, sodaß es eine bösartige Unterstellung ist, hier von Doping zu reden.
Sind Sie sicher, daß Ihr Interesse kein anderes war? In der Süddeutschen Zeitung vom 9. 2. 1984 finden wir folgendes Zitat von Ihnen: ,.Da müßte eine Studie her, in der man das ganze standardisiert an zehn Leuten, mit Langläufern, um zu sehen, wie lang können die das machen mit und ohne Anabolika“.
Zunächst ist dieser Satz aus dem Zusammenhang gerissen. Denn aus wissenschaftlichem Interesse herauskönnte ich eine solche Studie machen, aber sie wäre sinnlos. weil ich damit erstens sofort mit den Sportorganisationen bzw. den Antidopingregeln in Konflikt käme und zweitens eine praktische Anwendung nicht in Frage käme. Einen Zusammenhang mit der 88er Studie zu konstruieren ist unsinnig, weil wir nicht gefragt haben, wie die Ausdauerleistung zu erhöhen ist, sondern wie die Regenerationsfähigkeit und die Immunabwehr zu verbessern ist. Ich sage Ihnen aber noch eines: Ich würde die Testosteron-Untersuchung nicht mehr machen, nachdem ich erfahren habe, daß diese Studie drei Jahre, nachdem sie veröffentlicht wurde, bewußt fehlinterpretiert wurde.
Drückt Sie vielleicht auch das schlechte Gewissen?
Nein. Ich habe nur keine Lust, mich ohne böse Absicht einer guten Sache zu verschreiben, dafür nur Prügel zu bekommen und beschuldigt zu werden, ein Doper zu sein.
Sehen Sie eigentlich Ihr Problem nicht? Egal, worüber Sie hier forschen – die Ergebnisse schreien immer nach Anwendung, und Sie versuchen nur Biedermann aber kein Brandstifter zu sein.
Ich weiß nicht. warum man das nicht trennen kann. Das ist doch genauso, als wenn Sie jemandem. der in der Atomindustrie forscht, gleich vorwerfen, er würde die Atombombe bauen. Wenn ich mich damit beschäftige, welche Mechanismen den anabolen Steroiden zugrundeliegen, dann heißt das doch nicht, daß ich sie zur Leistungssteigerungerung bei Sportlern anwenden will. Ich habe noch keinen einzigen gedopt. Ich bin nicht Vorsitzender der Anti-Dopingkommission und Verfechter der Trainingskontrollen, um dann den Athleten Dopingmittel zu verabreichen. Ich bin doch nicht schizophren.
…
Sie haben 1976 noch eine Studie über die Wirkung von Anabolika und die Selbstmedikation bei Gewichthebern gemacht.
Die begann bereits 1969, die letzten Kontrollen waren 1975, gedruckt wurde sie 1976. Wir haben damals bewiesen, daß die generelle Behauptung einer Schädigung durch anabole Hormone nicht gerechtfertigt ist und die Wirkung einzelner anaboler Hormone ganz verschieden sein kann.
Na prima.
Wir hatten zu dieser Zeit eben enorme Wissensdefizite.
Nun ist aus dem unwissenden Saulus also ein bewußter Paulus geworden.
Natürlich habe ich damals, aus heutiger Sicht, Fehler gemacht. Aber man kann mir doch nicht ständig Dinge vorwerfen, die 15 Jahre und älter sind, und unter anderen Umständen stattgefunden haben. Tatsache ist, daß sich mit fortgeschrittenem Kenntnisstand eine Umorientierung vollzogen hat. Als Wissenschaftler male ich nicht den Teufel an die Wand und sage, das ist alles sündhaft. sondern stelle fest: hier ist die ärztlich-ethische Verantwortung und dort die sport-ethische. Beide sind nicht identisch, woraus ein fortwährender Konflikt entstehen kann.
Ergo lassen Sie die Grenzen fließen.
Nein. Für mich sind die Regeln des Sports bindend. Ich kann einem Leistungssportler kein Testosteron verschreiben, selbst wenn es ärztlich indiziert wäre. Wenn er es wegen einer Krankheit benötigt, muß er aus der Kaderliste der Leistungssportler gestrichen werden.
…
Frau Berendonk, die mit Eifer hinter mir her ist, konstruiert Zusammenhänge, wo keine sind. Inzwischen redet sie bereits von einer Doping-Achse Daume/Keul. Das ist ja wirklich willkürlich konstruiert, ja lächerlich!
Immerhin wußten sie beide von den Doping·Praktiken.
Wer hat denn nicht davon gewußt? Heute haben wir eine Untersuchungskommission mit Herrn von Richthofen an der Spitze. 1983 hat der Dopinganalytiker Manfred Donike den DSB aufgefordert, Wettkampfkontrollen einzuführen. Damit wurde von Richthofen in seiner Eigenschaft als Vorstandsmitglied des Bundesausschuß Leistungssport beauftragt. Der hat alles genauso gut gewußt wie ich. Nur: Wie sollten wir es beweisen?
Willi Daume ist auf Ihre Initiative Ehrenprofessor des Landes Baden-Württemberg und Sie sind wieder leitender Olympiarzt geworden. Sehen Sie hier irgendwelche Zusammenhänge?
Olympiaarzt bin ich seit 1960 und darauf bin ich sehr stolz. Herr Daume wurde 1988 Ehrenprofessor. Auf meine Anregung hin, das ist richtig. Ich bewundere und verehre ihn sehr wegen seiner Intellektualität und Kreativität. Er hinterläßt ein großartiges Werk. Aber ich brauche keine Vorteile durch ihn. Ich bin unabhängig und was ich geworden bin, verdanke ich unserer klinischen und wissenschaftlichen Arbeit für den Sport.
…
Klümper hat in einem StZ-Gespräch weiter behauptet, die Athleten hätten kein Vertrauen zu Ihnen, seitdem Sie Schwimmern 1976 schmerzhafte intravenöse Spritzen gesetzt hätten.
Das ist Gegenstand, eines Kammergerichtsverfahrens, solche ehrenrührigen Behauptungen kann ich mir nicht gefallen lassen. Diese Vorwürfe sind völlig haltlos zumal ich nicht der betreuende Arzt der Schwimmer war. Sehen Sie: Die ganze Familie Graf läßt sich von mir behandeln, noch am 23. Dezember war Steffi hier. Ich betreue Leichtathleten, Radfahrer, Skiläufer – wir sind noch immer das internistische Zentrum mit der höchsten Untersuchungszahl an Athleten in Deutschland. Ich bin seit über 25 Jahren Arzt beim Deutschen Tennisbund und Leichtathletik-Verband und glauben Sie, das ginge ohne ein Vertrauensverhältnis gut?
In diesem Job sieht man Sie häufig im Fernsehen. Wir nehmen an, das ist Ihnen nicht unangenehm.
Sie werden’s nicht glauben: doch. Manche Kollegen meinen dann, ich wäre das ganze Jahr mit den Tennisspielern unterwegs, und verwechseln das mit meinem wirklichen Amt an unserer Universität. Als Arzt muß man eben in nächster Nähe der Sportler sein und deshalb sitze ich in der Spielerbox, auf die häufig die Kameras gerichtet sind.
Zuletzt sind Sie als Gutachter für den DDR-Doper Hartmut Riedel hervorgetreten, der Ihnen zumindest teilweise eine Professur an der Uni Bayreuth zu verdanken hat. Seine Habilitationsschrift beschäftigt sich mit der Wirkung von Anabolika bei DDR-Springern.
Ich kannte sie nicht, sie war geheime Verschlußsache.
Dann war das positive Gutachten zumindest leichtfertig.
Es ist heute leicht, mir daraus einen Vorwurf zu machen. 1988, als ich das positive Votum für ihn abgegeben habe, war noch nicht bekannt, daß er in der ehemaligen DDR eine Reihe von systematischen Untersuchungen über den Dopingeinsatz durchgeführt hat. Außerdem hat er bereits ein Jahr bei dem Kollegen Professor Liesen in Paderborn gearbeitet, ehe ich gegutachtet habe.
Das hätte Sie ja auch hellhörig machen können.
D’accord, ich würde dieses Gutachten heute nicht mehr schreiben. Aber sollen wir diese Leute heute alle verbrennen? Haben wir nicht auch die Pflicht, die Menschen der ehemaligen DDR, wenn sie nicht gegen Gesetz und gute Sitten verstoßen haben, zu integrieren und auf dem Weg in unser Gesellschaftssystem zu helfen?
…
Fernsehsendung SWR 3, 15.1.1992
Die Zitate stammen aus einer Fernsehsendung zum Thema Doping des SWR 3 am 15.1.1992 in der alten Halle des Instituts für Sportwissenschaft der Universität Freiburg.
Teilnehmer: Joseph Keul, Hans Evers (lange Jahre Mitglied des Sportausschusses des Bundestags, Vorsitzender der Anti-Doping-Kommission des DSB), Herbert Steffny (Marathonläuer), Ulrike Heintz (dt. Meisterin über 400m Hürden), Gerhard Treutlein
…. Moderator (zeigt das Buch von Brigitte Berendonk: Dopingdokumente): Auch die Bundesrepublik ist vertreten, Sie kommen auch vor Herr Keul, mit einem Zitat (aus der west.Allg. Zeitung): „Jeder der einen männlichen Körper haben und einfach männlicher wirken möchte, kann Anabolika einnehmen. Von Doping kann also keine Rede sein.
Wie sehen Sie das heute, sind Sie noch derselben Meinung?
Keul:Ich muss zu einem solchen Artikel sagen, dass er ganz aus dem Zusammenhang herausgerissen ist. In der damaligen Zeit, 1969/1970 gab es noch überhaupt keine Dopingbestimmungen. Für uns standen die anabolen Steroide ja gar nicht im Vordergrund. Viele von Ihnen, die hier sind, werden sich an die Zeiten gar nicht erinnern. Meine ersten Olympischen Spielen 1960 waren von 2 Todesfällen begleitet. Da sind an Weckaminen, an Aufputschmitteln 2 dänische Radfahrer umgekommen. Wir haben in der Folgezeit eine ganze Reihe von Todesfällen gehabt, und das war für uns Ärzte das markante Problem, wie können wir diesen Dopingmissbrauch, der mit Todesfolge einhergeht, unterbinden. Und für uns waren die Anabolika, die zum damaligen Zeitpunkt so langsam aus Amerika nach Deutschland herübergekommen sind, gar nicht von besonderer Bedeutung. Wir wussten auch zu wenig darüber. In der Folgezeit wurde über dieses Problem geforscht. Darüber hinaus war ja auch bereits damals bekannt, dass viele Bodybuilder aus ganz anderen Gründen solche Substanzen einnehmen, so dass man hier eine ganz klare Grenzziehung machen muss. Ein zweiter Punkt ist ja für uns von ganz entscheidender Bedeutung: Die damaligen Vorstellung und Konzeption waren, dass zu einem Wettkampf, also unmittelbar zur Leistungssteigerung, ein Medikament nicht eingenommen werden durfte. Hier wurde aber ein Medikament unter Umständen weitab vor einem Wettkampf eingenommen. Hier musste juristisch rechtlich eine ganz neue Regelung getroffen werden und erst 1970, nach diesem Zitat von mir, wurden erst, und zwar hier in Freiburg wurden sie geboren, in Freiburg wurden sie verabschiedet, und vom Deutschen Sportbund dann bestätigt, die Dopingbestimmungen erlassen. Und da standen die Anabolika noch gar nicht drauf.
Moderator: Jetzt möchte ich Sie aber doch fragen, gerade die Anabolika sind doch für viele heute die Gefahr Nr. 1 im Sport. Die Dopingdiskussion, die geführt wird, vor allem seit dieses Buch von Brigitte Berendonk erschienen ist, ist das für Sie eine notwendige Reinigung für den deutschen Sport oder ist das für Sie ein Stück deutscher Übergründlichkeit?
Keul: Ich halte es auf der einen Seite für notwendig, dass diese Problematik bereinigt wird, und dass wir hier klare Richtlinien und klaren Blick für die Zukunft haben, aber wir dürfen nicht dazu verleitet werden, was ja heute gang und gäbe ist, dass irgendwelche Leute mit Halbwahrheiten diffamiert werden. Das kann nicht sein. Ich kann auch keine Sportler anschuldigen und vermuten, dass die irgend etwas eingenommen haben und ich weiß das nicht. Wenn das der Fall wäre, dann bräuchten wir keinen Vorsitzenden einer umfassenden Dopingkommission, die Trainingskontrollen einführt. Das ist der Punkt 1 und der Punkt 2 ist, dass man insgesamt durch solche Dopingkontrollen sich sicherlich systematisch diese Problematik, die uns bedrückt, in den Griff bekommen und dass wir da einen Weg haben, über den wir sicherlich noch diskutieren werden, der beschwerlich ist, der uns aber hoffen lässt, dass wir hier doch eine für den Sport saubere Linie finden werden.
Treutlein: … Ich möchte Herrn Keul fragen, darf man heute all das, was nicht auf der Dopingliste steht, grenzenlos verwenden? Denn das ist ja genau die gleiche Frage, die sich ja auch in den 60er Jahren gestellt hat, was ist eigentlich Doping? Und die Anabolika sind ja nicht erst Ende der 60er Jahre von Amerika herüber gekommen, sondern in den 50er Jahren und Anfang der 60er Jahre haben sie dann Einzug zumindest in die deutsche Leichtathletik und in andere Sportarten genommen. Seit dieser Zeit gibt es Informationen darüber, die erste Information beispielsweise in der französischen Sportzeitung „L’Equipe“ ist schon 1960 veröffentlicht worden mit einer dringenden Warnung des damaligen Tour-de-France-Arztes, dass man auf keinen Fall Anabolika verwenden soll, weil die viel zu gefährlich seien. In Deutschland ist doch recht lange noch, gerade auch von Sportmedizinern, dieses ganze Problem ganz erheblich verharmlost worden.
Moderatorin: Haben Sie verharmlost, damals, Herr Keul?
Keul: Nein, das ist doch ein ganz kompliziertes Problem. Es werden hier doch eine ganze Reihe von Dingen durcheinander geworfen. Das ist auch die Schwierigkeit, warum die Öffentlichkeit vieles daran nicht versteht. Der eine Punkt, den man ganz klar trennen muss ist, dass es ganz unterschiedliche anabole Steroide gibt. Es gibt z.B. das körpereigene männliche Testosteron, das fällt ja auch darunter. Dieses Testosteron wird doch vielen Menschen appliziert. Die Weltgesundheitsorganisation hat eine Studie gemacht in 11 Ländern, um mit diesem Medikament die Fertilität des Mannes, also die Fruchtbarkeit zu unterdrücken. Man will also in den Entwicklungsländern eher einen bestimmten Weg beschreiten, aus ärztlich-ethischen Gründen, und das ist ein ganz entscheidender Punkt, ist das natürlich ohne weiteres statthaft. Da kann ja keiner was sagen, da gibt es keinerlei Nebenwirkungen. Aus sport-ethischen Gründen, wenn der an Wettkämpfen teilnehmen will, darf er das nicht einnehmen. Diese Grenzziehung zwischen sportethischen Gründen und ärztlich-ethischen Gründen wird ja immer verwaschen. Und wenn Sie eben die Frage stellten, ob ich alle Medikamente für den Sport zulasse, die es gibt, dann kann ich nur sagen, dass auf Grund der Definitionen für den sportethischen Bereich nur die verboten sind, die auf der Dopingliste stehen. Was anderes ist die Frage, was ich ärztlich vertreten kann, darf ich das ärztlich vertreten oder nicht, schädigt das oder schädigt das nicht. Und da gibt es eine andere Regelung, die mich davon abhält, dieses oder jenes einem Sportler zu verabreichen.
Moderator: Aber bleiben wir doch mal ganz kurz bei der Dopingliste. Anabolika sind verboten. Sie … haben 1986 und 1988 an Skilangläufern geforscht, haben Anabolikaforschung betrieben, Sie haben diesen Sportlern auch Anabolika verabreicht, damit haben Sie ja nach geltenden Regeln Sportler gedopt.
Keul: Das ist eine ganz andere Problematik, die hier ansteht. Das ist keine Angelegenheit, die heimlich gemacht worden ist, das ist öffentlich diskutiert worden von verschiedenen Gremien, das ist von Ethik-Kommissionen gut geheißen worden. Eingebunden waren da der Deutsche Sportbund, das Bundesministerium des Innern, das ist also nicht irgendein Alleingang irgendeines Einzelnen. Worum ging es eigentlich bei dieser Studie? Es gab immer wieder Behauptungen, die unbewiesen waren, dass Testosteron oder auch anabole Steroide, wir haben nur das Testosteron untersucht, weil das nachweislich praktisch keine Nebenwirkungen hat, und haben geprüft, ob die Behauptung, dass Testosteron die Regenerationsfähigkeit des Menschen verbessert, das wäre ja sehr wichtig, wenn jemand nicht ausreichend regeneriert, kann er als Folge einer nicht gestörten Regeneration zu einer Funktionsstörung …, wenn die Erholungsfähigkeit des Menschen fortwährend gestört wird durch immer wieder aneinander gesetzte Trainingsreize kann es zu einer Störung zunächst des vegetativen Nervensystems kommen, wir erleben es dann oft, dass solche überreizte Athleten erhöhte Blutdruckwerte haben oder die sonst niedrige Herzfrequenz steigt an, es tritt eine gewisse Unruhe oder Gewichtsabnahme ein. Der zweite Punkt, der vielleicht noch mehr im Vordergrund des ärztlichen Interesses stehen könnte, ist die Behauptung gewesen, dass die Abwehrlage, also der Immunstatus des Menschen durch die Einnahme von Testosteron oder ähnliche Substanzen verbessert …
Moderator: Darf ich unterbrechen, zu was muss man das wissen, das ist doch verboten, Anabolika, also muss ich doch auch nicht wissen, wie es im Sportler wirkt? Ich brauche es einfach nicht zu nehmen.
Keul: Das ist ja eine ganz andere Frage. Sie können doch solche Behauptungen nur aus der Welt schaffen, wenn Sie sie widerlegen. Wir haben das ja auch innerhalb der Kommission diskutiert und haben gesagt, diejenigen, die das behaupten, die sollen eigentlich auch die Beweise antreten. Aber das haben sie nicht getan, die haben das weiter behauptet. Und unter diesem Gesichtspunkt haben wir gesagt, wir wollen diesen Beweis antreten und es ist dabei herausgekommen, dass weder die Regenerationsfähigkeit verbessert wird noch der Immunstatus wird verbessert eher verschlechtert und somit war das Problem gelöst. Sie sehen, welche Folgen so etwas gehabt hat. Als Prominentester wurde ja der Sportler Peter Angerer, unser früherer Olympiasieger, wegen einer solchen Regenerationsmaßnahme gesperrt, weil er eine solche Substanz eingenommen hatte. Nachdem wir diese Befunde veröffentlicht und entsprechend den Sportlern zugänglich gemacht haben, wurde bei uns nicht mehr angerufen, wie das wäre, ob man gefährdet wäre, ob man sich schneller erkältet, ob man schneller Krankheiten bekommt, wenn man keine solche Substanzen nimmt, damit hat das ja gefruchtet.
…
Treutlein: Also beispielsweise, es gibt einen berühmteren Kollegen von Herrn Keul, der mal gesagt hat, die Aufgabe des Arztes besteht darin, Kranke zu heilen und Gesund zu belehren. Die Sportmediziner versteifen sich eher auf den dritten Teil, die Leistung zu steigern. Das gehört nicht zur Aufgabe der Ärzte. Wenn ein Athlet zu viel trainiert hat, dann soll er eine Pause machen und soll warten, bis sein Testosteronspiegel wieder von allein hoch geht, dann braucht man daran nicht rumzubasteln. Und ne Studie zu machen für 300.000 Mark, nur um damit nachzuweisen, dass man damit nichts bewirken kann, das ist rausgeschmissenes Geld. Bei der WHO-Studie, die Herr Keul vorhin schon angesprochen hat, sind etwa 10% der Probanden ausgestiegen wegen zu krasser Nebenwirkungen. Das war ja bekannt, dann hätte man so eine Studie gar nicht mehr machen brauchen sondern den Leuten sagen können, nehmt nichts und ich gebe dir nichts.
…
Keul: Ich glaube, so etwas kann man nicht im Raum stehen lassen. Und zwar aus zweierlei Gründen. Erstens unterstellen Sie mir hier, dass wir die Athleten dopen. Das ist eine Unterstellung, die sollten Sie für sich behalten, weil das eine Aussage ist, die Sie überhaupt nicht belegen können. Das zweite ist, ich weiß nicht, ob Sie mal experimentell gearbeitet haben. Auf experimenteller Grundlage können Sie entscheiden, ob ein Medikament wirkt. Nur auf experimenteller Grundlage können Sie sagen, ob ein Medikament schädigt. Und die ganzen Behauptungen, die unbegründet sind, die in der Luft hängen, mit denen keiner was anfangen kann, führen nur zu der Diffamierung. Und das ist heute das Klima, das wir heute in der Öffentlichkeit und im Sport haben. Das ist eben die Grundlage, dass man nicht bereit ist, sich an strenge wissenschaftliche Kriterien des Experiments zu halten. Und wenn wir das nicht weiter so betreiben, dass wir sagen, das Experiment entscheidet, ob etwas Gültigkeit hat oder nicht, dann werden wir fortwährend dazu kommen, andere zu verdächtigen, ihnen Dinge zu unterstellen, Dinge zu vermuten und können es nachher nicht beweisen.
Treutlein: Herr Keul, wenn Sie sich über medizinische Dinge unterhalten wollen, dann wundert mich, warum Sie heute Abend nicht Herrn Franke als Gesprächspartner akzeptiert haben.
Keul: Herr Franke ist kein Mediziner, der ist Biologe, der versteht zu wenig von Medizin
…
Keul: … 1972 bei den Olympischen Spielen wurde ein Trainer der DDR gefragt, warum die Mädchen so tiefe Stimmen hätten, dann hat der Trainer der DDR gesagt, wir sind nicht hier zum Singen sondern zum Schwimmen. Und was hat das für ne Konsequenz? Jeder, der das Wort gehört hat, hat gewusst, was dahinter steckte. Aber wir konnten es doch nicht beweisen. Ich kann doch nicht jetzt zum Trainer hingehen und sagen, das ist jetzt für mich der Beweis, dass er etwas eingenommen hat. Und wenn das der Fall wäre, dann bräuchten wir nicht den Millionenaufwand für die Dopinganalytik. Die Dopingbestimmungen sagen ganz eindeutig, die Substanz muss nachgewiesen und noch etwas zweites, sie muss identifiziert werden. Das heißt, die Sicherheit der Analytik muss gewährleistet sein. Und wenn wir das nicht beibehalten, dann haben wir nachher Verdächtigungen und Anschuldigungen, und das wollen Sie doch auch nicht, dass Sportler ungerechtfertigt angeschuldigt werden.
Treutlein: Das möchte ich in keiner Weise, aber warum haben Sie sich dann dafür eingesetzt, dass der Testosteron/Epitestosteron-Quotient nicht mehr als Nachweismittel gilt? …
„Was mich interessiert ist, dass seit der Kommission von 1976/7 jeder Verantwortliche gewusst hat, dass nicht nur in der DDR sondern auch bei uns gedopt worden ist. Sind Sie eigentlich mal an den Punkt gekommen, dass Sie gesagt haben, das kann ich nicht mehr verantworten, jetzt muss ich mal den Mund auftun?
Keul: Ich möchte dazu als erstes sagen, dass ich Arzt bin und als Arzt habe ich einen Sportler in seiner Gesundheit , in seiner Entwicklung und in seiner Leistungsentwicklung, da bin ich völlig anderer Meinung als Sie, auch in der Leistungsentwicklung habe ich einen jungen Menschen zu begleiten, denn das ist eine ganz entscheidende soziale Komponente eines jungen Menschen. Die Leistungsentwicklung eines jungen Menschen ist etwas, was seine Grundlage für das ganze Leben sein kann, ob das der Sport, der Beruf oder etwas anderes ist. Und als Arzt habe ich das auch in der Praxis zu tun, das betrifft nicht nur den Sport, ich berate auch Studenten und sage ihnen, für das bist du geeignet und für das nicht, d.h. die Leistungsentfaltung eines jungen Menschen ist eine ärztliche Aufgabe und dazu gehört auch der Sportler. Im Rahmen dessen ist natürlich sehr oft der Gedanken gekommen, ob man nicht hier etwas anderes machen könnte, nur die Aufgabe o der das Problemfeld, was wir jetzt zu bewältigen haben, ist ja jetzt ein anderes, wir haben unsere Vorstellungen auch weitergegeben. Ich bin ja Vorsitzender einer Dopingkommission, einer Arbeitsgruppe, die als erste Aufgabe die ganze Entwicklung geschaffen hat, dass die ersten Trainingskontrollen durchgeführt wurden. Sie sind ja 1989 durch uns gemacht worden. Wir haben vieles eingeleitet, um das Ganze zu regularisieren. Nur ist das unglaublich schwer das zu machen, zu sagen ist leicht, zu machen schwer.
…
Die Dopingbestimmungen, die wir in Deutschland haben, sind hier in Freiburg gefasst und umgesetzt worden. Wir sind hier in Freiburg die leistungsfähigste sportmedizinische Einrichtung, die wir in Deutschland haben, mit den besten Forschungsaktivitäten, und wir haben somit für den Sport, für den Breitensport, die Umsetzung des Leistungssports in den Breitensport vollzogen und somit vieles für die allgemeine Medizin getan. Warum soll man dann zurücktreten? Kann mir einer einen sagen, den ich gedopt haben soll, das sind doch alles Unterstellungen, d.h. wenn man sich mit der Problematik beschäftigt und nach Gesetzmäßigkeiten sucht, wie der Mechanismus eines solchen Wirkstoffes ist, kann man mir doch nicht unterstellen, dass ich die Athleten dope, das ist doch genau dasselbe, als wenn jemand in der Atomindustrie arbeitet, ihm gleich zu sagen, er wollte die Bombe bauen. Das sind doch Dinge, die völlig miteinander verwechselt werden (großer Beifall)
…
Interview Sports (März) 2/1992, Zitate
Zitat aus einem Leserbrief von Dirk Braunleder (Schwimmer) auf diesen Artikel:
„Ich kann mich noch gut an den Tag erinnern, als Sie, Professor Keul, mir im olympischen Dorf [1976] (nach Aufzeigen etwaiger Repressalien seitens der Funktionärsgilde im Weigerungsfall), mit euphorischen Äußerungen ob der Wirkung, die Spritze setzten. Also nicht gleich mit Verleumdung klagen, lieber dazu stehen, damals ein bißchen probiert zu haben.“
(zitiert nach SZ, 21.3.1994)
Joseph Keul,
August 1996:
„Durch die inzwischen eingeleiteten umfassenden Kontrollen im Training und Wettkampf kann eine Verbesserung der sportlichen Leistungsfähigkeit durch Dopingmittel fast gänzlich ausgeschlossen werden; sie wird bei den zu erwartenden Verfeinerungen der Dopinganalytik noch weiter eingeschränkt. Dadurch wird der Athlet bis in seinen privaten Bereich hinein kontrolliert. Diese erforderlichen Eingriffe dürften nicht ohne Einfluß auf die Athleten sein. Auf jeden Fall gibt es durch diese erheblich ausgeweiteten und verbesserten Kontrollen weniger Dopingfälle, da die Gefahr, überführt zu werden, groß zu ist. Wer dies bezweifelt, hat keine Kenntnisse von den umfassend durchgeführten Dopingkontrollen und den gleichzeitigen Fortschritten in der Analytik.“
(DSV now 9)
Interview J. Keul, FAZ, 22.7.1997
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FAZ: Können die Fahrer überhaupt soviel essen und trinken, wie sie verbrauchen?
Keul: Während einer Tagesetappe verbrennen sie etwa 7000 bis 8000 Kalorien. Sie können an Kohlenhydraten in der Muskulatur und der Leber aber nur insgesamt 3000 bis 3500 Kalorien speichern. Die Differenz müssen sie während der Fahrt auszugleichen versuchen.
FAZ: Wie schaffen die das denn?
Keul: Hauptsächlich mit Bananen und Wasser, das mit Traubenzucker, Stärke, Magnesium, Calcium und Natriumangereichert wird.
FAZ:Also die klassische Form von Substitution. Aber Substitution ist bekanntlich ein dehnbarer Begriff – bis hin zum Doping.
Keul: Ja, ja.
FAZ: Apropos Doping: Der belgische Sportrechtler Luc Silence hat behauptet, jeder Fahrer leiste bei der Tour mehr als irgendein anderer Mensch, und keiner könne das 21 Tage lang nur mit Wasser und anderen Getränken sowie Brot und anderen Speisen. Sie verstehen?
Keul: Das ist ein ungeheuerlicher Vorwurf.
FAZ: Allerdings. Aber kaum jemand widerspricht ihm ausdrücklich und in aller Öffentlichkeit.
Keul: Solche Leute wissen nicht, wovon sie reden.
FAZ: Reden wir mal von Amphetaminen, Anabolika, Erythropoietin.
Keul: Gut, also: Amphetamine, Aufputschmittel, die bringen was, weil sie zusätzliche Reserven freisetzen und die Erschöpfung hinausschieben. Allerdings kann man sich davon nicht über Nacht erholen. Da fährt man am nächsten Tag deutlich schlechter. Außerdem wird ihr Mißbrauch bei der Tour ebenso kontrolliert wie die Einnahme von Anabolika. Aber die Anabolika bringen, zumal für die Regeneration, nichts. Das haben wir doch vor Jahren bei einer Untersuchung, für die wir heftig kritisiert worden sind, bewiesen. (>>> Info zur angesprochenen Untersuchung: doch Dopingforschung?)
FAZ: Und Erythropoietin, kurz: Epo, das bringt doch einiges. Und es kann noch nicht nachgewiesen werden.
Keul: Stimmt. Epo erhöht die Zahl der roten Blutkörperchen und damit die Sauerstofftransport-Kapazität des Blutes – einerseits. Andererseits verdickt es das Blut. Das Schlagvolumen des Herzens wird kleiner, seine Druckarbeit geht zurück. Der Effekt ist also gering.
FAZ: Aber Epo wird trotzdem genommen.
Keul: Es wird genommen, aber sicher nicht im Team Telekom. Wir kontrollieren schließlich die Hämatokritwerte unserer Fahrer, und die sind mit einer einzigen natürlich bedingten Ausnahme, nämlich Jens Heppner, deutlich unter dem kritischen Grenzwert 50.
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Monika