Sportlerberichte / -schicksale verschiedener Sportarten
Lisa Hütthaler
Lisa Hütthaler konnte mit ihrem Dopinggeständnis Anfang 2009 viel Erhellendes zu dem österreichischen Dopingnetzwerk um Personen wie Stefan Matschiner beitragen. Sie gibt aber auch einen guten Einblick in die Lebensrealität von Hochleisungssportlern, auch der Amateurszene.
Die Staatsmeisterin im Triathlon von 2007 wurde 22. März 2008 mittels einer Trainingskontrolle positiv auf EPO (Dynepo) getestet. Ihre zunächst auf 2 Jahre festgesetzte Sperre wurde nach ihrem Geständnis Anfang April 2009 auf 18 Monate reduziert.
Stefan Matschiner wies anfangs jegliche Schuld von sich, doch nachdem die Aussagen von Bernhard Kohl für ihn immer belastender wurden, begann auch er zu reden.
Artikel, Interviews
Interviews mit Lisa Hütthaler:
Kurier.at, 27.3.2009: Lisa Hütthalers Doping-Geständnis
der Spiegel, 27.4.2009: „Wow! Mehr davon“
NZZ, 7.6.2009: «Man muss lügen können»
Lisa Hütthalers Ex-Freund Dimmel bestätigt die Aussagen:
tt.com, 30.3.2009: Hütthalers Ex-Freund Dimmel: „Es war Bestechung“
>>> Die Aussagen und Erfahrungen des Bernhard Kohl
>>> Stefan Matschiners Sichtweise
Zitate
der Spiegel, 27.4.2009
(…) SPIEGEL: Nach dem Geständnis hat die Nationale Anti-Doping-Agentur Ihre Sperre von sechs Jahren auf 18 Monate verkürzt.
Hütthaler: Das ist nett, war mir aber egal. Als ich mich im Dezember entschieden habe, aus diesem Lügengebäude auszubrechen, stand für mich fest, dass ich meine Karriere danach beenden werde.
(…)
Hütthaler: Mein Körper und meine Psyche sind kaputt. Ich habe während der letzten drei Jahre ohne Gnade gelogen. Fängt man einmal damit an, kommt man da nicht mehr raus. Zum Schluss wusste ich nicht mehr, wem ich was erzählt habe. Das endete im psychischen Totalstress. Davon abgesehen wird sich mein Körper wahrscheinlich nie mehr erholen.
SPIEGEL: Wovon?
Hütthaler: Ich habe mir zwei Jahre lang Testosteron und Wachstumshormon gespritzt. Meine Periode setzte aus, meine Schultern wurden breiter. Männliche Hormone verändern einen Frauenkörper extrem. Damit habe ich sehr zu kämpfen.
(…)
SPIEGEL: Wann hatten Sie den ersten Kontakt mit Doping?
Hütthaler: Damals habe ich noch nicht an Wettkämpfen teilgenommen, Sport war mein wichtigstes Hobby. Die Clique meines Ex-Freundes bereitete sich im Sommer 2001 auf den Ironman auf Hawaii vor. Beim gemeinsamen Training lernte ich schnell, dass es fünf entscheidende Faktoren im Sport gibt: Training, Ernährung, Umfeld, Regeneration – und Doping.
SPIEGEL: Doping war ganz selbstverständlich ein Thema?
Hütthaler: Ja. Das war ein Gesprächsthema wie jedes andere. Meine neuen Freunde setzten sich die Spritzen locker in den Po.
SPIEGEL: Sie sprechen von Hobbysportlern?
Hütthaler: Vergessen Sie das Märchen, es werde nur unter Profis gedopt. Das beginnt schon bei ambitionierten Hobbysportlern.
(…) Ich wurde 22, hatte gerade mein Kollegstudium abgeschlossen und sehr hart trainiert. Bei den Österreichischen Staatsmeisterschaften im Juni 2005 wurde ich im Kurztriathlon Dritte. Das klingt zwar nett, ist aber Kleinkram. Damit wird man nicht reich. Ich wollte den eingebauten Epo-Motor spüren, von dem die anderen erzählten. Außerdem hatte ich immer Gewichtsprobleme.
SPIEGEL: Sie wollten dopen, um abzunehmen?
Hütthaler: Ich habe beobachtet, dass die anderen abnahmen, sobald sie ihre Spritzen setzten. Ich dachte, hey, das will ich auch. Endlich nicht mehr ständig gegen den Hunger ankämpfen müssen. Für mich stand fest: Dünner bedeutet schneller.
SPIEGEL: Wer hat Ihnen geholfen, die Dopingsubstanzen zu besorgen?
Hütthaler: Andreas Zoubek, der ehemalige stellvertretende Leiter des St. Anna Kinderspitals in Wien. Das erste Mal habe ich ihn 2003 auf Hawaii getroffen. Zoubek ist einer, der gern im Mittelpunkt steht und einem bei Wettkämpfen auf die Schultern klopft. Manchmal gingen wir gemeinsam joggen. Mit der Zeit vertraute ich ihm. Ich hatte gehört, dass er sich mit Doping sehr gut auskennt. Anfang 2006 war ich mir dann sicher, selber dopen zu wollen. Ich fragte ihn, ob er mir helfen könne. Ich konnte den Einstieg ja nicht ohne professionelle Hilfe durchziehen. Er hat mir in seinem Büro im Krankenhaus erklärt, dass ich für die Blutdopingeinnahme bestimmte Dinge beachten müsse.
(…)
SPIEGEL: Sie hatten wieder keine Bedenken?
Hütthaler: Nein, es kribbelte richtig in mir. Ich fühlte mich wie eine Darstellerin in einem Spionagefilm. Ein geiles Gefühl, vergleichbar mit dem Moment, in dem man sich die Spritze setzt. Kurz kommen Zweifel auf, du denkst: Puh, ist das heftig, was du da gerade machst, und in der nächsten Sekunde hast du den Gedanken schon wieder verdrängt. Darin war ich perfekt.
(…)
SPIEGEL: Wie viel haben Sie für die Dopingmittel ausgegeben?
Hütthaler: Insgesamt rund 20.000 Euro innerhalb von zwei Jahren.
(…)
SPIEGEL: Wann haben Sie den Epo-Motor, wie Sie es nennen, zum ersten Mal gespürt?
Hütthaler: Etwa zwei Wochen nach der ersten Injektion konnte ich Intervalle rennen, ohne einen Funken Müdigkeit zu spüren. Ich hängte meine Kumpel am Berg ab und dachte: Wow! Mehr davon. An den Staatsmeisterschaften 2006 nahm ich gedopt teil und wurde Zweite.
SPIEGEL: Hatten Sie keine Angst, erwischt zu werden?
Hütthaler: Nein. Ich dachte, wenn es jemanden erwischt, bestimmt nicht mich, sondern die Profis. Matschiner erstellte mir einen Dopingplan. Notierte, wann ich was nehmen muss, um beim Wettkampf fit zu sein, ohne überführt zu werden. Er sagte, dass man die Form von Epo, ich bekam Dynepo, noch nicht nachweisen könne. Trotzdem wusste ich, dass Blutdoping generell nicht so lange nachweisbar ist, wenn ich es mir intravenös spritze.
(…)
SPIEGEL: Wie hat ihr Körper reagiert?
Hütthaler: Die Veränderungen durch die männlichen Hormone habe ich schnell bemerkt. Trotzdem habe ich versucht, mir die Bestätigung von meinem Freund zu holen, dass alles okay ist. Er sagte, ich solle mir keinen Kopf machen. Außerdem war ich glücklich, tatsächlich abzunehmen. Wenn ich mit dem Zeug aussetzte, nahm ich nach nur wenigen Tagen sofort zu. Schauen Sie sich manche Ausdauersportler an, die sind im Winter immer viel dicker als im Sommer. Die Leute glauben, die Sportler legen zu, weil sie im Winter zu viel Süßes essen. Das ist Quatsch. Man ernährt sich genauso wie im Sommer, trainiert sogar noch härter im Trainingslager. Aber durch die Dopingpause nimmt man trotzdem zu.
Sie mussten am Herz operiert werden – wurden die Ärzte nicht misstrauisch?
Vielleicht. Ich konnte schlecht sagen, eventuell liege der Grund fürs Herzrasen beim Doping. Ich sagte dem Arzt vor der Operation, dass er sich keine Sorgen machen solle, wenn mein Puls unter 40 falle. Sportler haben einen tiefen Ruhepuls – und Doper manchmal einen noch tieferen.
NZZ, 7.6.2009
SPIEGEL: Haben Sie andere Nebenwirkungen gespürt?
Hütthaler: Ich weiß bis heute nicht, ob es im Zusammenhang mit den Dopingsubstanzen stand, aber Ende 2006 begann mein Herz auf einmal wie verrückt zu pochen. In einem wahnsinnig hektischen Rhythmus. Die Ärzte stellten mit Hilfe eines EKG eine Tachykardie fest, eine Form von Herzrhythmusstörungen. Ich musste sogar operiert werden. Mittels einer Herzkatheteruntersuchung wurde Gewebe verödet, das die Rhythmusstörungen verursachte.
SPIEGEL: Wussten die Ärzte von den Medikamenten, die Sie spritzten?
Hütthaler: Das konnte ich ihnen unmöglich erzählen.
(…) zweimal hat mir Matschiner in einem Haus in Steyrermühl, in Oberösterreich, Blut abgenommen. Einmal hat er es zurückgeführt. Im Keller dieses Hauses stand die Blutzentrifuge, die die roten Blutkörperchen vom Plasma trennt. Auf meinem Blutbeutel stand „Cindy“. Er sagte, du bist meine Cinderella.
SPIEGEL: Sie waren Matschiners Aschenputtel?
Hütthaler: Er sagte, Fuentes bezeichne seine Kunden mit Tiernamen, er dagegen benutze Märchenfiguren. Bei mir passte beides – der Hund meiner Mama heißt auch Cindy. Ich habe mich ehrlich gesagt ziemlich geekelt. Normalerweise wird mir schon übel, wenn ich mir meinen Zeh anstoße und es blutet. Eine Steigerung des Hämatokritwerts um vier bis sechs Prozentpunkte sollte das bringen, also dickeres Blut mit mehr roten Blutkörperchen, das mehr Sauerstoff transportiert – gespürt habe ich im Wettkampf nichts.
(…)
SPIEGEL: Im Juni 2007 wurden Sie österreichische Triathlon-Staatsmeisterin. Konnten Sie Ihren Triumph mit ruhigem Gewissen feiern?
Hütthaler: Für mich war das eine Frage der Gleichberechtigung. Du weißt, dass es die anderen machen und willst die gleiche Erfolgschance haben. Ich entwickelte einen Blick dafür, welche meiner Konkurrentinnen welches Mittel genommen hat.
SPIEGEL: Woran können Sie das erkennen?
Hütthaler: An der Konsistenz der Haut. Nach der Einnahme von Wachstumshormon wird die Haut dünner, das Testosteron macht sie unrein. Man weiß also Bescheid, man findet alles normal. Trotzdem bekam ich mit der Zeit Angst vor den Kontrollen. Jedes Mal, wenn ich vor dem Training mein Haus verließ, stellte ich mir vor, dass ein Dopingkontrolleur im Wagen vor meiner Tür sitzen könnte, der mich überrascht.
(…)
Schon zu Beginn meiner Dopingkarriere ist mir vermittelt worden, dass immer irgendetwas geht, um aus einer positiven eine negative Probe zu machen. Ich hatte in der Vergangenheit von so vielen Sportlern aus der ganzen Welt gehört, die zwar positiv getestet wurden, bei denen aber nie eine positive B-Probe herauskam.
SPIEGEL: Bei der Öffnung der B-Probe sollen Sie versucht haben, eine Laborantin mit 20.000 Euro zu bestechen.
Hütthaler: Ehrlich gesagt, es waren 50.000 Euro. Es erschien mir der einfachste Weg zu sein, heil aus der Nummer rauszukommen. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich schon so viel gelogen, dass ich kein Unrechtsbewusstsein mehr hatte. Ich stand also vor meiner Probe in diesem Labor in Seibersdorf und habe in einer Kurzschlussreaktion die Laborantin gefragt, ob sie mir helfen kann.
SPIEGEL: Wie hat sie reagiert?
Hütthaler: Es traf genau das ein, worüber sie mich vor der Öffnung belehrt hatte: Jeder Versuch der Manipulation werde sofort gemeldet.
(…)
SPIEGEL: Wie hat Ihre Familie reagiert?
Hütthaler: Meine Eltern haben mich in den Arm genommen und mich festgehalten. Ich habe sie skrupellos angelogen, und sie haben mir verziehen.
SPIEGEL: Haben Sie mehr Unterstützung erwartet?
Hütthaler: Ich hätte mich darüber gefreut. Ich habe schwere Fehler gemacht. Aber wir Sportler sind auch Kinder eines kranken Systems. Ohne die richtigen Leute im Hintergrund, die Ärzte und Manager, würde das Netzwerk nicht funktionieren. Ich habe alles gestanden. Aber Hilfe bekomme ich keine. Niemand sagt mir, was ich tun soll, wie es weitergeht. Doper werden geächtet, packen wir aus, stehen wir alleine im Regen. Ich habe Fehler gemacht, aber ich bin keine Verbrecherin.
SPIEGEL: Glauben Sie, Dopingnetzwerke sind ein österreichisches Problem?
Hütthaler: Nein. In allen Ländern und allen Sportarten wird gedopt. Bist du in dem System drin, ist es das Normalste der Welt.
Kurier, 9.10.2009
KURIER: Lisa, was bewegt Sie dazu, öffentlich Doping-Hintermänner zu nennen?
Lisa Hütthaler: Ich habe mich dazu entschlossen, weil ich den Sport so sehr vermisse. Und weil ich all die Lügen satt habe. Ich kann das, was war, nicht mehr rückgängig machen. Aber ich kann meinen Beitrag dazu leisten, damit es irgendwann besser wird. Es fällt mir nicht leicht. Ich habe Angst, überlege, ob ich übersiedle.
KURIER: Wer war Ihr Doping-Lieferant?
Hütthaler: In erster Linie Stefan Matschiner. Ich habe ihn im Mai 2007 über Dr. Zoubek kennen gelernt. Zoubek, den ich vom Triathlon gut kannte, hat gemeint, da gebe es jemanden, der sich im Doping wirklich gut auskennt und in einer anderen Liga spielt.
(…)
KURIER: Wie verlief das erste Treffen?
Hütthaler: Matschiner hat gefragt, welche Vorstellungen, welche Ziele ich habe. Danach habe ich gleich einmal die erste Ware bei ihm gekauft. Auf einem abgelegenen Parkplatz in Linz. Man parkt nebeneinander, steigt ins andere Auto und nimmt ein Sackerl mit.
KURIER: Was haben Sie von Matschiner gekauft?
Hütthaler: Epo. Also Dynepo. Beim ersten Mal noch keine Wachstumshormone.
(…) Der einzige, der von all dem wusste, war mein Ex-Freund.
KURIER: Über ihn sind Sie in diesen Sumpf geraten?
Hütthaler: Ich war 18, er fast 40. Ich hatte gerade die Matura am Sportgymnasium gemacht. Ich war naiv. Und alle in diesem Umfeld haben zu mir gesagt: „Ohne Doping geht gar nichts!“ Ich hatte von Tuten und Blasen keine Ahnung, und dann steht mein damaliger Freund und Trainer da und jagt sich vor meinen Augen die Spritze hinein. Ich bin ständig damit konfrontiert worden. Bei meinem Ex-Freund ist immer alles zuhause herum gestanden. Da sind die Insulin-Spritzen gelegen, da war Ephedrin, der hatte das Epo im Kühlschrank gelagert. Da war mir immer sehr unwohl. Ich konnte nicht einmal Freundinnen einladen. Was, wenn die den Kühlschrank aufmachen, um sich einen Saft zu nehmen, und dann liegt da Epo herum?
KURIER: Warum greift ein Hobby-Athlet wie Ihr damaliger Trainer zu unerlaubten Mitteln?
Hütthaler: Gegenfrage: Warum dopen denn so viele Hobby-Athleten? Weil sie den besten Freund abhängen wollen. Viele Hobby-Athleten dopen. Sehr viele. In jeder Sportart. Da sind viele Ärzte dabei. Die haben Geld. Das teuerste Material alleine macht dich aber nicht wirklich schneller. Dass so viele dopen, das würde niemand glauben.
(…)
Hütthaler: Ich habe Stefan Matschiner im Sommer 2007 einmal gefragt, wie es möglich sein kann, dass bei der Tour de France Blutbeutel vertauscht wurden. Das war ein Riesen-Skandal.
KURIER: Und Matschiner hat Sie dann über den Einsatz von Blutbeuteln aufgeklärt?
Hütthaler: Ja. Ich wusste damals noch nicht, dass er in Oberösterreich eine große Blutzentrifuge stehen hat. Er hat mir dort zwei Mal Blut abgenommen. Aber nur einmal wurde es rückgeführt.
(…)
KURIER: Hat Ihnen eigentlich auch Doktor Zoubek Epo gegeben?
Hütthaler: Ja. Er hat mir einmal Epo im St.-Anna-Kinderspital gespritzt. In seinem Büro. Ich bin einfach zu ihm raufgegangen. Er hat dann die Türe zugesperrt.
(…)
KURIER: Was hat Sie nun dazu bewogen, nach Zoubek auch gegen Matschiner auszusagen?
Hütthaler: Ich möchte raus aus diesem Wahnsinn. Ich möchte zu jenen Menschen gehören, die sagen können: „Mir kann man nichts anhaben. Ich fahre nicht zu schnell mit dem Auto, ich fülle immer einen Parkschein aus, ich zahle am Sonntagfrüh die Zeitung“ – einfach solche Kleinigkeiten.
Ich mag nicht mehr ständig Angst haben müssen, dass mich jemand sieht, wenn ich etwas nehme. Ich mag wieder erhobenen Hauptes auf die Straße gehen können und mich wohl fühlen in meiner Haut.
KURIER: Haben Sie die Hoffnung, dass auch andere Sportler auspacken werden?
Hütthaler: Da sind wir wieder beim Thema Angst: Welcher Sportler traut sich? Wer belastet gerne andere Sportler oder Mitglieder des Systems, mit denen er befreundet ist? Mir geht es nur mehr darum, endlich mit der Vergangenheit aufzuräumen und abzuschließen.
(…)