Fußball und Doping: der Fall Ronaldo

Jean-Pierre de Mondenard: Doping im Fußball
der Fall Ronaldo Luiz Nazario de Lima,

Wurde der brasilianische Topspieler Ronaldo gedopt oder hat er gedopt? Für Dr. Lean-Pierre de Mondenard bestehen kaum Zweifel daran. Allerdings ist sein Verständnis von Doping ein umfassendes, geht über die Definition alleiniger Zufuhr und Anwendung verbotener Substanzen und Methoden hinaus.

Die folgende Fallbeschreibung handelt davon, wie ein Sportler den erwarteten Anforderungen angepasst wurde und sich angepasst hat. Sie greift die Problematik des hohen Schmerzmittelmissbrauchs im Sport, insbesondere im Fußball, auf und regt zu Fragen über das verbreitete Fitspritzen im Hochleistungssport an.

Zugespitzt formuliert, stellt die Frage, wo fängt eine wissentlich in Kauf genommene Körperverletzung durch Verantwortliche wie Funktionäre, Mediziner, Trainer, an? Welche Maximen und ethische Grundsätze kollidieren oder sollten gar kollidieren?

Der Text zu Ronaldo ist ein Auszug aus dem Buch « Dopage dans le football » la loi du silence, von Jean-Pierre de Mondenard, erschienen im November 2010.

Die folgende Übersetzung beruht auf der Veröffentlichung des Textes vom 24.11.2010 in RUR89:
« Dopage dans le football » : qui a tué Ronaldo (le Brésilien) ?

Dr. Jean-Pierre de Mondenard:
„Wer hat Ronaldo (den Brasilianer) getötet?“

Wer hat Ronaldo getötet?

Zugegeben, Ronaldo Luiz Nazario de Lima, genannt Ronaldo, lebt noch immer. Aber dieser Fußballer beendet seine Karriere enttäuschend. (Anfang Oktober hatte der zur Zeit nach Brasilien zurückgekehrte Stürmer der Corinthians im Fernsehen seines Landes, TV Globo, angekündigt, er würde seine Fußballschuhe am Ende des Jahres 2011 an den Nagel hängen. Eines Tages will er Präsident der Corinthians werden.) Im Verlauf seiner Karriere erlitt er eine Reihe sehr seltener und außerordentlich schwerer Verletzungen. Angesichts dieser „Missgeschicke“ kann ein Doping-Verdacht nicht völlig ausgeschlossen werden.

Am 13. Februar 2008, spielte der AC Mailand gegen Livorno. Ronaldo begann das Spiel auf der Auswechselbank. Drei Minuten nach seiner Einwechslung brach er beim Aufkommen nach einem völlig harmlosen Sprung, wie er in seinem Leben als Fußballer zuvor viele gemacht hatte, zusammen. Die Patellasehne seines linken Knies hatte auf einen Schlag nachgegeben. Der Brasilianer machte sich keine Illusionen über die Art seines Schmerzes. Es war das dritte Mal in seiner Karriere, dass er Opfer der gleichen Verletzung wurde. Merkwürdig – sagtest du merkwürdig?

Der Riss der Patellasehne ist im Sport eine extrem seltene Verletzung. Wie haben in der wissenschaftlichen Literatur zu ihrer Häufigkeit in der Traumatologie von Fußballern nachgeforscht. Die meisten Artikel berichten fast gar nichts darüber: „Ein Knie-Spezialist sieht eine solche Verletzung höchstens einmal im Jahr“, sagte der französische Orthopäde Christel Pascal (Le Parisien, 23/05/2000). Und nach seinem Kollegen Michael Zimmerman sind davon bei Sportlern eher Gewichtheber betroffen. Deren Kniegelenk-Sehnen sind tatsächlich einer enormen Belastung, vor allem während der zweiten Phase des Bewegungsablaufs, ausgesetzt, dann wenn der Gewichtheber aus der gebeugten Haltung auf einen Schlag sich aus der Hocke auf die Beine aufrichtet.

Aber noch einmal, im Fußball ist diese Art von Verletzung praktisch unbekannt. Ganz einfach, in den letzten Jahren gab es nur den Präzedenzfall des portugiesischen Verteidigers von Juventus Turin, Jorge Andrade, dem im September 2007 während eines Spiels gegen den AS Rom ebenfalls eine Patellasehne im linken Knie gerissen war.

Was im Fall von Ronaldo völlig ungewöhnlich ist, ist die Wiederholung der Verletzung. Von Natur aus ist eine Sehne äußerst stabil und belastungsfähig. Wenn eine Sehne dreimal reißt, zweimal rechts und einmal links, ist dies etwas völlig außergewöhnliches! Lobhudler einer makellosen Sportart haben leichtes Spiel, indem sie das Gesetz der Serie anführen. Bereits im Jahr 1998, als der brasilianischen Spieler in seinem Hotelzimmer, nur wenige Stunden vor dem Finale der WM gegen Frankreich, von einem schweren Unwohlsein heimgesucht wurde, hatte man dies auf zu viele Videospiele zurückgeführt.

Sie sehen. Nichts hält sie auf. In ihren Augen wären solche unwahrscheinlichen Schwächeanfälle ein zusätzlicher Beweis, dass der Spieler mit dem Spitznamen „Il Fenomeno“ (das Phänomen) sich nicht mit der Elle der klassischen Physiologie messen lässt. Sehr gut. Allerdings gibt es eine andere Erklärung, unter Verzicht auf Übernatürliches. Danach wären die aktuellen Probleme von Ronaldo einfach das Ergebnis der Wahl absurder therapeutischer Behandlungsmöglichkeiten im Laufe seiner Karriere.

Die wahre Geschichte des Phänomens

1994 kam Ronaldo im Alter von 17 Jahren nach Europa. Er schloß sich dem niederländischen Club PSV Eindhoven an, wo man ihn für zu leicht befand. In der Tat, er wog bei 1,83 m 75 kg. Was tun Ärzte, damit er Gewicht zulegt? Auf jeden Fall wurde er schnell schwerer. „In den Niederlanden wurde Ronaldo in eine Gymnastik-Akademie geschickt“ glaubt der brasilianische Arzt Dr. Omar de Oliveira zu wissen. „Ihm wurde dann eine spezielle Diät mit Kreatin-Kuren verordnet.“ (Le Monde, 24/09/1999)

War es nur Kreatin? „Nein“, antwortet sein Kollege Bernardino Santi (er wiederholte seine Vorwürfe in einem gerade in Italien veröffentlichten Buch „Paura del buio“ (Die Angst vor der Dunkelheit“, Verlag Indiscreto), eine Biografie zur dunklen Seite Ronaldos, die vom Journalisten Enzo Palladini aus Mailand geschrieben wurde):

„Ich sprach mit niederländischen Kollegen, die die Leute vom PSV Eindhoven kennen. Ronaldo war wirklich dünn und sie haben ihm Mittel verordnet, darunter Anabolika, zur Förderung seiner Entwicklung. […]

Erschwerend kommt hinzu, dass er sehr jung und sehr schnell eine starke muskuläre Struktur bekam. Für einen solchen Einsatz von Anabolika zahlt man langfristig, zehn, fünfzehn, zwanzig Jahre später.

Steroide verursachen strukturelle Schäden an Organen und Muskeln. Im Prinzip ergibt dies einen Zuwachs an Kraft und Schnelligkeit, aber später wird es schlechter.“ (Kolumne in „Folha“ in Sao Paulo, 15/02/08)

Im Zuge dieser sehr unangenehmen Enthüllungen wurde Dr. Santi vom brasilianischen Fussball-Verband (CBF) entlassen; hier war er für die Koordination des Kampfes gegen Doping zuständig ! Man warf ihm vor, er habe keinerlei Beweise für seine Behauptungen. „Die Figur von Ronaldo verdient mehr Respekt“, empörten sich die Verbandsoberen, ohne dabei lachen zu müssen. Ein surrealistischer Kommentar! Man verschont lieber diejenigen, die Spieler in einer Art behandeln, die man nicht einmal für Schlachttiere akzeptieren würde, und verdammt denjenigen, der mutig solche Praktiken anprangert!

Ronaldo selbst bleibt zu diesem Teil seines Lebens bemerkenswert ruhig. Aber alle Amnesie-Anfälligen seien daran erinnert, dass Doping-Substanzen im Fußball alltäglich sind, besonders in den Niederlanden, und das nicht erst seit heute. Zum Beispiel sagte der Vereinsarzt Jimmy Van Rompou vom niederländischen Club AZ’67 in L’Equipe (28. Oktober 1976), dass „Doping unter Fußballern [seines] Land weit verbreitet ist.“ Ähnlich sein Kollege Dr. John Rolnik, in den 1980er Jahren Arzt von Ajax Amsterdam: „Nach einer Untersuchung, die sich auf rund 1000 Fußballprofis in den Niederlanden bezieht und sich über einen Zeitraum von sechzehn Jahren erstreckt, nimmt einer von 11 Teilnehmern der holländischen Fußballmeisterschaft Stimulanzien.“

Wer mehr wissen will, muss sich mit Ronaldos Krankenakte beschäftigen. Schon 1995 litt er an einer chronischen Sehnenentzündung im linken Knie, und rechts sah es kaum besser aus. Im folgenden Jahr kam er das erste Mal zur Entfernung eines Knochenvorsprung unter das Messer: klassische Folgen einer Krankheit namens Osgood-Schlatter.

Brachte diese Intervention etwas? Nicht sicher. Einige Bilder aus seinem zivilen Leben zeigen einen immer stärker hinkenden Ronaldo. An Spieltagen nahm er seine Dosis Voltaren (entzündungshemmende Tabletten) um seine Schmerzen zu unterdrücken. Seine Medikamenten-Abhängigkeit wurde derart stark, dass anlässlich seines Transfers zu Inter Mailand 1997 dessen Vereinsarzt Dr. Piero Volpi beunruhigt war und ihm riet, das zu unterlassen: „Voltaren dient einzig zur Betäubung des Schmerzes während des Spiels.“ (L’Equipe, 16.4.2000, als Antwort auf einen Artikel des Autors im „Le Figaro“ am Vortag) Wurde sein Rat befolgt? Wohl kaum. In diesem Jahr spielte Ronaldo fünfzig Spiele; er schien unfähig gewesen zu sein einem Umfeld nein zu sagen, das ihn um jeden Preis auf dem Spielfeld sehen wollte. Kurz, wir vermuten, dass er wie viele andere Profis dank der Medikamente durchhielt. So konnte er Spiele und Vereine aneinanderreihen: Eindhoven, Barcelona, Inter Mailand, Real Madrid, AC Mailand. Dadurch setzte er sich auch einer Verschlimmerung seiner Verletzungen aus.

Eine Studie des Europäischen Rehabilitations-Zentrums für Sport (ESRB) in Capbreton – ein Unternehmen, in dem Ronaldo sich nach der wiederholten Ruptur der rechten Sehne aufhielt – bestätigte letzthin, dass dem Riss einer Sehne häufig (in 37% der Fälle) chronische Verläufe vorausgehen. Diese Beobachtung scheint auf den Fall Ronaldo zuzutreffen. Nach seiner letzten Operation betonte ein Presse-Communiqué des Hopital Pitie-Salpetriere den zuvor festgestellten schlechten Zustand seines Knies: „Vorgefunden wurde eine komplette Ruptur der Sehne unterhalb der Kniescheibe mit vorherigen Sehnenentzündungen, die seit Monaten für Sehnenschmerzen verantwortlich waren“, schrieben seine Ärzte.

Eine Frage bleibt dabei offen: seit „einigen Monaten“ oder seit ein paar Jahren?

Aus einem Fiat wurde ein Ferrari

Die Geschichte von Ronaldo lässt sich mit den Worten eines italienischen Journalisten und Rennsport-Fans zusammenfassen:

„Als Ronaldo zum PSV Eindhoven kam, war er sehr dünn. Als er ging, war er sehr muskulös geworden. Aber seine Sehnen waren immer noch die gleichen. Wenn Sie einen Fiat haben, dann kann dies ein nettes, kleines fantastisches Auto sein; wenn Sie einen Ferrari-Motor einbauen, wird das daneben gehen“(Luca Curino Journalist, zuständig für die Heldentaten von Inter Mailand für La Gazzetta dello Sport, 27/8/2000)

Ein solcher Kleinwagen wird noch schneller kaputt gehen, wenn weiterhin alles Mögliche gemacht wird. Im Fall von Ronaldo ist die Liste der Fahrlässigkeiten noch lang. Neben seinen möglichen niederländischen Steroid-Kuren und seiner fast sicheren Abhängigkeit von entzündungshemmenden Mitteln bleibt noch ein dritter Faktor zu erwähnen, der die Anfälligkeit der Sehne erklären könnte: Kortison!

„Die offizielle Version lautete, seine Konvulsionen seien durch Videospiele ausgelöst worden, was extrem selten ist. Zeugen erzählten, dass er Injektionen erhalten habe könnte um sein Knie zu heilen und ich würde so erklären, dass zur damaligen Zeit Spritzen mit Xylocain (um den Schmerz zu betäuben), die in kleine Blutgefäße gesetzt wurden, Anfälle aus dem epileptischen Formenkreis auslösen konnten. Das Beispiel zeigt, dass die medizinischen Methoden im Fußball nicht immer angemessen sind: Das Injizieren von Medikamenten in ein Knie damit es besser und ohne Schmerzen für ein Spiel funktioniert, heißt eindeutig die Leistung zu pflegen und die verhängnisvollen Konsequenzen, die solch eine Behandlung für den Körper haben, zu ignorieren. Hinzu kommt, dass Rinaldo zahlreiche Operationen hatte und oft viel zu früh, ohne ausreichende Regenerationszeit in die Wettkämpfe zurückkam.“
(De Mondenard in Le Monde, 29.11.2010)

die Welt, 12.9.2007

Erinnern Sie sich an die Bedeutung dieses Spielers für die brasilianische Mannschaft im Vorfeld der WM 1998. Er musste um jeden Preis spielen! Sein Unwohlsein wenige Stunden vor dem WM-Finale bleibt zumindest mysteriös. In Wirklichkeit lässt sich diese Schwäche am besten erklären, wenn man die Fakten analysiert, so wie sie für die Stunden vor dem Spiel Frankreich-Brasilien am den 12. Juli berichtet wurden. Ronaldo litt in den Stunden vor dem Spiel an Krämpfen und seine Teilnahme an einem Spiel, das unter hohem Erwartungsdruck der brasilianischen Regierung stand, war bis zum Anpfiff unsicher. Aber in welchem Zustand befand er sich? In Wirklichkeit hatte er seit dem Beginn der Weltmeisterschaft Knieschmerzen; das Medizinerteam gab ihm Spritzen, damit er trotz seines Handicaps spielen konnte.

Allerdings enthalten solche Mittel ein Betäubungsmittel, das, wenn es teilweise in ein Blutgefäß injiziert wird, zu einem Schock mit Bewusstlosigkeit, wie eine Art epileptischem Anfall, führen kann. Entsprechende Vorfälle sind nicht ungewöhnlich und lassen das Schlimmste befürchten. Tatsächlich sagte einer seiner Mannschaftskameraden, er habe geglaubt, der Stürmer von Inter Mailand würde sterben! Nicht vergessen werden sollte, dass vor einigen Jahren ein junger Soldat im Alter von 25 Jahren in Folge einer solchen Injektion zum Stillen von Knieschmerzen starb, ein ähnlicher Fall wie Ronaldo.

aktuelles Fitspritzen – organisierte Verantwortungslosigkeit?
Kommentar von Thomas Kistner, 14.10.2010:
„Die Interessenslage aller Beteiligten in dem Milliardengeschäft ist letztlich dieselbe: Es geht nur um Erfolge und Erlöse, so gut wie keine Rolle spielt dabei ein Aspekt, der stets nur dann bemüht wird, wenn er, wie jetzt, für die öffentliche Debatte taugt: Die Gesundheit der Spieler. So sieht es auch im aktuellen Fall aus. Wenn zutrifft, dass sich van Bommel schon seit Wochen mit Knieproblemen plagte, er aber trotzdem für den Bundesligabetrieb fitgemacht (Fachjargon) wurde, liegt der Schluss nahe, dass seine Gesundheit jetzt als Argument instrumentalisiert wird. Warum hat er die Blessur nicht schon früher auskuriert?“

Wir sehen in Bezug auf Ronaldo die Gabe von Spritzen ohne wenn und aber als Doping an.


Zitate zu Doping im niederländischen Fußball:

Dr. Rolink 1980 (in Theo Koomen, 1974, 25 Jaar Doping)
„Um so mehr als ich Arzt des sportlichen Nachwuchses bin, gehe ich davon aus, dass ich ihnen dieselben Medikamente geben kann, die ich meinen Patienten im Allgemeinen verschreibe. Ich schließe kein Produkt aus.“
(Panorama du Médecin, 8.10.1980; nach de Mondenard in Les dopés du foot, S. 1204)

Anfang Oktober 2010 veröffentlichte der ehemalige Arzt des Niederländischen Fußballverbandes (KNVB) Han Inklaar ein Studie, wonach 27% der Spieler regelmäßig nach Schmerzmitteln griffen, ohne über die damit verbundenen gesundheitlichen Gefahren informiert zu sein.

„Edwin Goedhart, Teamarzt des Rekordmeisters Ajax Amsterdam, bestätigte im niederländischen Fernsehen den hohen Medikamentengebrauch und gab einen erschreckenden Einblick: Je wichtiger das Spiel, desto mehr Tabletten werden genommen. „Die Medikamentierung wird ausschließlich aus medizinischen Gründen angeordnet. Gesundheitliche und sportliche Interessen werden abgewogen. So kann es vorkommen, dass ein Spieler für ein Champions-League-Spiel eine höhere Dosis entzündungshemmende und schmerzstillende Medizin erhält als für ein normales Meisterschaftsspiel“, sagte Goedhart.“ (sid, 5.10.2010, nos.nl, 4.10.2010)