Fußball und Doping: Italien

Doping-Affairen im italienischen Fußball

lange Tradition

Der belgische Sportarzt Dr. André Noret erzählte 1981 von seinen ersten Erfahrungen mit Doping im Fußball, es war in en 50er Jahren.

„Als Student gehörte ich der Kommission eines großen belgischen Fußballclubs an, die ein internationales Jugend-Turnier der wichtigsten europäischen Teams zu organisieren hatte. Jede Mannschaft erhielt von uns eine Begleitung, ich wurde einer italienischen zugeteilt, die einen Mediziner dabei hatte. Damals war das revolutionär, keine anderer Mannschaft hatte eine medizinische Betreuung für ihre Junioren, weder die Engländer, Deutschen, Franzosen noch die Niederländer. … Neben den medizinischen Untersuchungen verteilte der Arzt eine große Menge an Medikamenten nach dem Aufstehen, vor dem zu Bett gehen und zu den Mahlzeiten. Zudem setzte er einigen Spielern eine Viertelstunde vor den Spielen intravenöse oder intramuskuläre Spritzen. … Mir sagte er, bei den im Hotel verteilten Medikamenten handele es sich um Leberschäden vorbeugende Mittel, um Vitamine und Stärkungsmittel, über die Inhalte der Spritzen sagte er nichts. … Misstrauisch geworden, ließ ich Doktor X nicht mehr aus den Augen und hatte eines abends das Glück zu sehen, wie er in einer dem Stadion benachbarten Straße leere Ampullen, die er sorgfältig in der Tasche verborgen hatte, wegwarf. Einige Stunden später kehrte ich in diese Straße zurück um die Ampullen zu holen, die mir endlich das Geheimnis verraten sollten, warum die jungen Spieler nicht müde wurden. Es handelte sich um Amphetamine! Amphetamine, die jungen Fußballern im Alter von 17 bis 19 Jahren verabreicht wurden.“ (Noret, le dopage, 1981, S. 129f)

Noret schreibt 1981 weiter:

„Doping breitete sich seit 1961 [im Fuball] allgemein aus. Eine erste Erhebung erbrachte, dass 27% der italienischen Profis psychaktive Substanzen einnahmen. Venerando und de Sio stellten fest, dass die in Italien durchgeführte Antidoping-Kampagne den Prozentsatz, bezogen auf die Meisterschaften von 1962-1963, auf 1,7% hat sinken lassen und dass kein neuer Dopingfall in der darauffolgenden Saison aufgetreten ist. Es muss aber daraufhingewiesen werden, dass diese spektakuläre Verminderung nur die Amphetamine betrifft und dass die italienischen Autoren erkennen, dass es nicht ‚möglich ist auszuschließen, dass Doping mit anderen pharmakologischen Mitteln weiter betrieben wird.‘ Diese Wahrscheinlichkeit liegt offen zutage, seit Ottani in dieser Untersuchung von 1961 offenlegte, dass junge italienische Spieler der ersten und zweiten Liga andere Medikamente benutzen, die heute formell verboten seien.“

Bei dieser von Noret erwähnten ‚ersten Erhebung‘ handelt es sich um die Studie ‚Doping e calcio professionistico. Milano, 1961‘, die der ehemalige Spieler von Bologna und spätere Präsident der Italienischen Vereinigung der Sportmediziner Gerardo Ottani durchgeführt hatte. Danach nahmen 1958 27% der Spieler der ersten Liga Amphetamine, 62% Stärkungsmittel für Herz und Atmung und erstaunliche 68% Anabolika (zitiert nach de Mondenard, 2010). Möglicherweise handelte es sich hierbei um Dianabol, das 1955 von der Pharmafirma CIBA in Bern hergestellt wurde und obwohl offiziell erst 1960 auf den Markt kam, schon 1956 im Sport aufgetaucht sein könnte (Singler/Treutlein, 2010, S. 183f).

1961 führte der Europarat eine Umfrage unter Mitgliedern zu Doping und Medikamentenkonsum im Sport durch. Italien antwortete ausführlich. Der Verband der Italienischen Sportmediziner hatte sich bereits intensiv mit den Problemen der Medikalisierung im Sport befasst, eine Anti-Doping-Kampagne beschlossen und Ende der 1950r, Anfang 1960er Jahre entsprechende Umfragen bei den Sportverbänden durchgeführt. Dem Europarat wurde u. A. ein ausführlicher Bericht des Italienischen Fußballverbands zu Doping im Fußball übergeben. Auszüge daraus wurden in dem 1964 zusammengestellten Bericht des Europarats zu Italien weitergegeben. Der Bericht offenbart einen sehr hohen Missbrauch der verschiedensten Medikamente, von Vitaminen über Amphetamine  bis hin zu Hormonen. Der Verband der Sportmediziner war alarmiert und verlangte eine bessere Einbindung der Ärzte in die Betreuung der Sportler.

>>> 1962/1963 Europarat/Council of Europe: DOPING OF ATHLETES _ Review of the problem as it arises in member countries – ITALY (ausführlicher Bericht aus Italien) Medikamentenmissbrauch im Fußball, S. 29 – 42

Doping im italienischen Fußball war als Problem erkannt. Auch deutsche Zeitungen berichteten. Im Jahr 1964 hieß es in der Zeit:

„Die Zeitung [Der Londoner „Sunday Telegraph“] nimmt auf den wissenschaftlichen Bericht Bezug, den der italienische Fußball-Verband vor wenigen Jahren hat zusammenstellen lassen und der damals festgestellt hatte, daß 22 Prozent aller italienischen Spitzenspieler Benzedrin-Präparate genommen hätten. Daraufhin hatte der Verband seine Bestimmungen verschärft und sich das Recht vorbehalten, Speichel und Urinproben von seinen ihm angeschlossenen Spielern zu verlangen, wenn genügend Verdacht eines Dopings vorläge. … Dr. Williams verwies dann auf die drakonischen Maßnahmen der italienischen Behörden, die erreicht hätten, daß die Verwendung von Doping im italienischen Ligafußball in drei Jahren von 30 Prozent auf 1 Prozent gefallen wäre.“ (die Zeit, 3.4.1964)

Der Spiegel hatte bereits im März 1964 einen Artikel über das Doping im italienischen Fußball gebracht. Danach hat insbesondere der AC Bologna nach Kräften zu verbotenen Mitteln gegriffen, so dass sich gar der Fußballverband genötigt sah Anklage wegen Dopings zu erheben. Der Verband musste jedoch einräumen, dass überall nachgeholfen wurde. Er setzte Anfang der 1960er Jahre 18 Dopingmittel auf den Verbotsindex und gründete eine Untersuchungskommission unter Leitung von Professor Pietro Niccolini, der auch für die Durchführung von Kontrollen sorgte.

„- Im April 1962 fielen sieben Spieler der Vereine Internazionale Mailand, AC Bologna und AC Mantua mit Doping-Symptomen auf. Sie wurden für je zwei Spieltage gesperrt, der Spieler Zaglio (Mailand) aus dem Aufgebot für die Weltmeisterschaft getilgt.

– Im Mai 1962 wurde Nationalspieler Radice (AC Mailand) wegen Dopings zu einer Geldstrafe verurteilt.

– Im Februar 1963 wurden sieben neapolitanische Doping-Sünder gefaßt und mit einer Spielsperre bestraft.

– Im Juli 1963 schaßte die Kommission vier Spieler des FC Genua wegen Gebrauchs verbotener Drogen. Die Spieler erhielten befristetes Spielverbot, der Verein mußte neun Millionen Lire Geldstrafe zahlen.“

Strafen wurden verschärft, Punktabzüge drohten, doch die Vereine hatten ein Warnsystem installiert, mit dem sie sich untereinander vor Kontrollen warnten. So erbrachte erst der fünfte Kontrollversuch beim AC Bologna Erfolg, 5 Spieler wurden getestet, fünf waren positiv. Der Verband drohte daraufhin verschärfte Kontrollen an, doch gab es bereits Überlegungen, wie diese zu unterlaufen wären:

„Gegen diese Drohung, so meldete vorletzte Woche die Pariser Sportzeitung „L’Equipe“, hätten sich Italiens Doping -Manager allerdings bereits abgesichert. Sie würden demnächst eine neue Pille ins Spiel bringen, die alle Anzeichen aufputschender Drogen neutralisiere und Harn-Analysen wertlos mache.“ (der Spiegel, 18.03.1964)

1966 wurden fünf Spieler des F.C. Bologna wegen Amphetaminmissbrauchs sanktionniert, doch die Spieler wurden freigesprochen, dafür erhielt der Club eine Strafe, ihm wurden zwei Punkte aberkannt und Arzt und Trainer wurden suspendiert. Doch die Gegenprobe der gefundenen Amphetaminfläschchen ergab, dass diese Spielern eines Klubs der zweiten Liga gehörten. 1968 wurden die Spieler Delfino und Frustalupi, 1969 Viri, Clerici, De Rossi, Lazzoti und Isette vom Italienischen Verband für schuldig befunden (Noret, 1981, S. 132).

Carlo Petrini erzählt
Image
Der Niederländer Piet Kruiver, spielte 1961-1962 für Lanerossi Vicenza (Theo Koomen, 1974)

Im Jahr 2000 veröffentlichte der italienische Fußballspieler Carlo Petrini eine Autobiografie ‚Nel fango del dio pallone‘, in der er seine Erfahrungen mit der italienischen Fußballwelt schilderte (vor allem Genua, Mailand, Turin).

Insbesondere berichtete er über das alltägliche Doping in den 60er und 70er Jahren mit Amphetaminen. Trainer George Ghezzi war der erste, von dem er Spritzen bekam, es war 1967. Erst machte der Trainer einen Selbstversuch, dann kamen die Spieler an die Reihe. Gefährlich war die Prozedur insbesondere, da es noch keine Einwegspritzen gab, sondern eine Spritze für alle benutzt wurde. Die Wirkung war enorm, die Spieler hatten Energie ohne Ende, doch während des Spiels lief grüner ‚Sabber‘ aus dem Mund und nach dem Spiel war die Zunge angeschwollen und passte kaum mehr in den Mund. Eingebunden waren auch Ärzte und Masseure, doch viele Spieler setzten sich die Spritzen selbst. (Petrini, 1.12.2008, ARDradio, Juni 2010)

Petrini ist aufgrund eines Glaukoms erblindet, zudem wurde ihm ein Gehirntumor entfernt.

Im April 2012 erlag Carlo Petrini seiner Krankheit im Alter von 64 Jahren.

die Erfahrungen des Ferruccio Mazzola

2004 erschien das Buch „Il terzo incomodo. Le pesanti verità di Ferruccio Mazzola“. Auch er schildert das verbreitete Doping wahrscheinlich mit Amphetaminen in den 1960er und 70er Jahren, aber nicht allein in Italien. Er berichtet über die Praktiken speziell unter Trainer Helenio Herrera bei Inter Mailand, ergänzt durch weitere Aussagen von Ex-Fußballern (sportpro.it, Februar 2010) 2007 wiederholt er die Vorwürfe und schildert wie Herrera Amphetamine ihm und seinem Bruder Sandro die Pillen in den Kaffee tat, weil sie sich geweigert hatten sie zu nehmen. Drei Tag und drei Nächste waren sie daraufhin in einem ‚Zustand der Halluzination‘, wie Epileptiker.

Mazzola nennt verschiedene italienische Ex-Spieler von Inter, die mittlerweile verstorben sind, Marcello Giusti, Carlo Tagnin, Mauro Bicicli, Ferdinando Miniussi. Enea Masiero hat Krebs, Pino Longoni sitzt im Rollstuhl.

Für die italienischen Clubs Florenz und Lazio Rom schildert er ähnliche Praktiken, zumal als Herrera zu Lazio kam. Auch hier werden später Spieler schwer krank und sterben früh – s.u.. (L’espresso, 48/2007)

Prozess um Juventus Turin

Im Juli 1998 eröffnet Raffaele Guariniello in Turin Ermittlungen über mögliches Doping bei Juventus Turin. Ausgelöst wurden dies durch Äußerungen des Trainers von AS Rom Zdenek Zeman, der beteuert hatte, die italienische Meisterschaft sei Apotheken geschuldet.

„Ich höre immer wieder von Medizinern, die mit ihren Spielern experimentieren, von anderen, die bestimmte Produkte in hohen Dosen geben ohne zu wissen, ob sie damit Probleme verursachen. Ich habe nun beschlossen darüber zu sprechen, das ist gut für den Fußball, damit etwas geschieht bevor jemand stirbt … die Fußballer dürfen keine Laborratten sein.“ (le Monde14.8.1998)

„“Man versucht, mangelndes Training durch Pharmaprodukte zu ersetzen“, …“Die Welt des Fußballs wird vom Geld beherrscht und von der Pharmaindustrie.“ Er kenne Ärzte, die vom Radzirkus zum Fußball gekommen seien, deutete der Trainer mit Blick auf den Skandal bei der Tour de France an. „Ich weiß von vielen Mannschaften der A-Liga, die sich der Pharmakologen bedienen.“ Daß ihm namentlich das plötzliche Muskelwachstum des Stürmerstars Alessandro Del Piero von Juventus Turin ins Auge stach und daß er den italienischen Spielertrainer der britischen Mannschaft Chelsea London ausdrücklich erwähnte, brachte dem stillen Tschechen eine Klage und wüste Beschimpfungen ein.“ (Berliner Zeitung, 10.8.1998)

Zeman selbst verdächtigte gar eigene Spieler:

„Ich bin sicher, daß viele Spieler der Serie A. vielleicht auch einige vom AS Rom, nicht in der Lage sind, auf gewisse Substanzen zu verzichten.“ Er selbst habe in Rom Kreatin verabreicht. „Vier oder fünf Spieler, die damals in d der Nationalmannschaft waren, sagten, daß sie sich daran gewöhnt hätten, Kreatin zu nehmen, das sie von den Verantwortlichen der Nationalmannschaft bekommen hätten.“

Mannschaftsarzt von Vincenza Piero Fanton, der zuvor sechs Jahre lang das Ariostea Radteam betreute, aus dem 1994 anlässlich der WM Marco Velo des Dopings mit HCG überführt wurde, sprang Zeman bei, gab aber auch nur die Gabe von Kreatin und Aminosäuren zu. Antonio Dal Monte, Direktor des nationalen Instituts für Sportmedizin wurde deutlicher und beklagte, dass „viele Athleten jeglicher Sportarten einen übermäßigen Gebrauch einer Unzahl von Medikamenten machen.“ (FAZ, 10.8.1998)

Zemans Aussagen wurden 2009 nachträglich bestätigt durch Patrick Keil, Richter im Festina Prozess. Er sagte, alle vernommenen Fahrer hätten ausgesagt, dass auch Sportler anderer Sportarten, insbesondere Fußballer dieselbe medikamentöse Behandlung genossen hätten wie sie selbst. Schließlich hätten sie alle dieselben Ärzte und Präparatoren gehabt. Insbesondere die Fußballnationalteams Frankreichs und Italiens seien betroffen gewesen. Keil meinte, mit diesen Informationen hätte er eine Untersuchung einleiten können. (l’Humanité, 23.11.2009, o-f: 5.11.2009)

„Aus der Kollegenschaft kam Zeman der Trainer von Bologna, Carlo Mazzone, zu Hilfe. „Ich glaube nicht, daß Zeman die römische Sonne zu Kopf gestiegen ist, er wird schon wissen, was er sagt“, meinte Mazzone. „Auch ich habe viele Gerüchte in den letzten zwei Jahren gehört, und alle wissen davon.““ (Maitrot)

SZ, 10.10.1990:
Doping im italienischen Fußball ist im übrigen keine Seltenheit. 1984 gab es vier Fälle beim FC Bologna, 1981 einen (Hellas Verona), 1989 vier in der dritten Liga und einen in der Frauennationalmannschaft. Streit gab es mittlerweile auch zwischen dem NOK und dem italienischen Fußballverband deswegen, weil zum einen die Dopingvorschriften des IOC erst mit 2 Jahren Verspätung umgesetzt wurden, andererseits sieht das nun geltende verschärfte Dopinggesetz zwar eine Höchststrafe vor, über die Mindeststrafen wurde jedoch nichts Bindendes vorgeschrieben. Das OK fürchtet daher, daß diese halbherzige Regelung „Klüngelwirtschaft“ ermögliche – gewissermaßen je nach Fall und nach Wichtigkeit des ertappten Spielers.

Zico (Arthur Antunes Coimbra),
brasilianischer Nationalspieler, 1983-1985 Profi für Udinese Calcio, erzählte 1987 wie italienische Fußballer positive Dopingkontrollen durch den Austausch von Urin umgehen. Er selbst habe den Urin seines kleinen Sohnes abgegeben. In Brasilien werde es im Kampf um die brasilianische Meisterschaft genauso gemacht. „Wenn jemand nicht urinieren kann oder will, macht es ein anderer Spieler für ihn. Es kommt sogar vor, dass man Spielern des gegnerischen Teams zur Hilfe kommt.“
(Sport 80 Magazine, 11.2.1987; nach de Mondenard, Les dopés du sport, S. 227)

Die Ermittlungen enden in einem Prozess, der am 31. Januar 2002 beginnt und in dem ca. 40 000 Seiten Ermittlungsakten behandelt werden. Angeklagt sind Antonio Giraudo, Geschäftsführer von Juventus Turin, Riccardo Agricola, Leiter der medizinischen Abteilung von Juventus und sein Mitarbeiter Giovanni Rossano, Apotheker. Richter ist Giuseppe Casalbore. Verteidiger der Interessen von Juventus ist Vittorio Chiusano, persönlicher Anwalt von Giovanni Agnelli und Präsident von Juventus. Ankläger ist Raffaele Guariniello. Den Angeklagten wird neben Sportbetrug vorgeworfen, den Spielern gesundheitsgefährdente Substanzen verabreicht zu haben. Die Anklage hatte im Vorfeld alle betroffenen Spieler von Juventus wie Alessandro Del Piero, Christian Vieri, Didier Deschamps, Zinedine Zidane sowie die Trainer Marcello Lippi und Zdenek Zeman vernommen.

Gurianello hatte umfangreiche Gutachten anfertigen lassen. Im Mittelpunkt standen Expertisen zu der Verwendung von EPO. Die vorliegenden medizinischen Daten der Sportler ließen wenig Zweifel an einer ‚phamakologischen Stimulation des Knochenmarks‘ zu, so die einhellige Meinung bekannter Experten. Infrage kämen Anabolika, Wachstumshormone, EPO. Michel Audran ergänzte noch um Corticosteroide. Begleitet wurden die Manipulationen von hohen Eisengaben. Einige Spieler hatten einen Hämatokrit über 50% aufzuweisen, so Didier Deschamps und Angelo Di Livio. Nach einhelliger Meinung aller Experten war bei Juventus Turin ’systematisch und intensiv‘ mit Epokuren und Eisenunterstützung gearbeitet worden. Für Raffaele Guariniello war klar, im Club wurde auf systematische und intelligente Weise gedopt, d. h. verschiedene Medikamente, die nicht unbedingt auf der Verbotsliste stehen mussten, aber normalerweise Kranken vorbehalten sind, wurden in Abstimmung untereinander angewandt. Er sprach zudem von einer übersteigerten Medikamentalisierung, was nicht verwundert bei insgesamt 281 verschiedenen Medikamenten, die von Prof. Benzi gezählt wurden.

Im November 2004 verurteilte das Gericht Juve-Teamarzt Riccardo Agricola wegen Sportbetrugs durch Epo-Doping und Verabreichung gesundheitsschädlicher Medikamente zu einem Jahr und zehn Monaten Gefängnis. Juve-Geschäftsführer Antonio Giraudo wurde freigesprochen (2009 wird er wegen Sportbetrugs, Spielabsprachen zu drei Jahren Gefängnis verurteilt). Der Arzt ging in Berufung und erhielt am 14. Dezember 2005 ebenfalls einen Freispruch mit der Begründung, während der zur Diskussion stehenden Jahre 1994 bis 1998 wäre Doping in Italien nicht strafbar gewesen, ein entsprechendes Gesetz trat erst 2000 in Kraft. Im Mai legten Sandro Donati und Guiseppe d’Onofrio einige der oben erwähnten Unterlagen vor, die belegen, dass das Team von Juventus Turin im Champions League Finale von 1994 gedopt war (Bad. Z., 29.5.2013).

Spätere Aussagen von Spielern scheinen das verbreitete Doping in italienischen Clubs zu bestätigen.

Im November 2011 erwähnte der ehemalige belgische Verteidiger Bertrand Crasson, der 1996 bis 1998 in Neapel spielte, Beobachtungen, die auf Doping hindeuteten. „Del Piero hat sehr viel Muskelmasse angesetzt und Vialli, der immer auf der Höhe war, nahm in der Halbzeit Sauerstoff, was aber nicht verboten war.“ Er selbst bekam in seinem Club zweimal pro Woche Infusionen, worüber er aber nicht beunruhigt war. Man hatte ihnen gesagt, es handele sich um Mineralien. Es gab zwar jede Woche Urinkontrollen aber man könne ja nicht alles im Urin erkennen. Blutkontrollen gab es noch nicht. „Damals gab es sicherlich Produkte, die im Urin nicht zu entdecken waren.“ (la meuse, 22.11.2011

2012 veröffentlichte Matias Almeyda, ehemaliger argentinische Nationalspieler, 2012 Trainer von River Plate Buenos Aires, seine Autobiografie „Alma y vida“. Darin beschreibt er skandalöse Zustände im italienischen Fußball während seiner Zeit in Italien. Doping gehörte möglicherweise beim AC Parma, bei dem er von 2000-2002 spielte, dazu.

„Bei Parma wurden uns vor Spielen Lösungen über einen Tropf verabreicht. Die Mediziner sagten, es handelte sich dabei nur um Vitamine, aber als ich auf den Platz kam, fühlte ich mich, als könnte ich Bäume ausreißen. Spieler stellen keine Fragen, doch in der Folgezeit gab es Fälle, bei denen Spieler mit muskulären Problemen zu kämpfen hatten oder sogar aufgrund von Herzproblemen gestorben sind. Ich denke das kommt von den Mitteln, die sie uns verabreicht hatten.“ (spox.com, 26.9.2012, fußballdoping.de, 28.9.2012)

Bekannt sind aus Italien nach der Jahrtausendwende auch einige Nandrolonfälle. Mit dabei Nicola Caccia, Andrea da Rold, Stefano Sacchetti, Christian Bucchi (Lazio Rom), Salvatore Monaco (Lazio Rom), Fernando Couto (Lazio Rom), Jaap Stam (Lazio Rom), Edgar Davids (Juventus Turin), Jean-Francois Gillet (Bari), Stefano Torrisi (Parma) und Josep Guardiola (Brescia). Letzterer wurde innerhalb von 3 Monaten 2 Mal positiv getestet und für 4 Monate gesperrt. Später wurde er mit Hilfe des italienischen Antidoping-Gesetzes zu sieben Monate Haft und 9000 Euro Geldstrafe verurteilt. Die gerichtlichen Auseinandersetzungen dauerten bis 2009, dann wurde er frei gesprochen wegen unglaubwürdiger Analysen (SZ, 18.1.2013).

Dopinglabor in Acquacetosa bei Rom

Raffaele Guariniello stieß während seiner jahrelangen Ermittlungen meist auf eisiges Schweigen, doch dank seiner Hartnäckigkeit gelangen ihm viele Einblicke in das geschlossene Fußballsystem und die damit verbundene Antidopingsystem. Vieles deutete daraufhin, dass auch im Kontrollsystem einiges faul war. Insbesondere die Arbeit des Dopinganalyse-Labors in Rom ließ bei dem Ermittler erhebliche Zweifel an einer ordnungsgemäßen Arbeit aufkommen.

September 1998 (1997?): Staatsanwalt Guariniello deckt auf, dass in dem römischen, CONI-akkredidierten Labor, Dopingproben ungeöffnet weggeworfen wurden und in 80-90% der Fälle nicht nach anabolen Steroiden gesucht wurde. Es wurden auch gefälschte Urinproben des kokainabhängigen Diego Maradona unterdrückt (NZZ, 21.11.2003). Pescante musste daraufhin seinen Posten als Präsident des CONI aufgeben.

2005 geriet das Labor erneut ins Zwielicht. Proben, die auf EPO untersucht werden sollten, wurden ungekühlt transportiert. Insgesamt 780 Tests waren damit nicht zu gebrauchen. Wieder war es Staatsanwalt Raffaele Guariniello, der den Skandal aufdeckte.

„Offen bleibt, ob es sich um einen systematischen organisierten Betrug handelt oder um Leichtfertigkeit. Wie der «Corriere della Sera» enthüllte, existierten für die Modalitäten keine verbindlichen Vorschriften, und es bestand entsprechender Spielraum für Manipulationen.“…

Obligatorisch sind allerdings nur die Urinproben, die Blutentnahme (zur Überkreuz-Kontrolle) erfolgt auf freiwilliger Basis. Unlängst haben die Milan- Spieler Gattuso und Pancaro in Rom die Blutprobe verweigert und die Diskussion um diese Ausnahmeregelung all’italiana angefacht. (NZZ, 20.4.2005)

Interview mit Raffaele Guariniello, 1.2013:
Gegenwärtig gibt es eine große Diskrepanz zwischen den Möglichkeiten, die diesen professionellen Strukturen zur Verfügung stehen und den unseren. Wir erleben manchmal idiotische Situationen, in denen von außen gesehen alles klar aber nach innen alles verdeckt ist. Am besten zeigt sich das wahrscheinlich immer noch an der Art und Weise, wie das Antidoping-Labor an der Sportschule von Acquacetosa, das vom italienischen Olympischen Komitee anerkannt war, funktionierte. Tausende von Proben testete man in seinen Mauern ohne jemals eine positive gefunden zu haben. Damit man glaube, der italienische Sport sei der sauberste der Welt.

Todesfälle im italienischen Fußball

Im September 2009 verklagte die Familie des ehemaligen Spielers Bruno Beatrice vom AC Florenz den Ex-Trainer dieses Vereins Carlo Mazzone auf Schadensersatz. Beatrice war 1987 im Alter von 39 Jahren an Leukämie verstorben.

Im Falle zweier Mannschaftskollegen von Beatrice wurde bereits ermittelt. (l’espresso, 48/2007) Nello Saltutti starb mit 56 Jahren an einem Herzinfarkt, Ugo Ferrante hatte einen Tumor. Im September 2010 leitete die Staatsanwaltschaft in Florenz unter Federführung von Raffaele Guariniello auch Untersuchungen ein im Falle des Ex-Nationalspielers Giancarlo Galdiolo, 2010 61 Jahre alt, der an einer seltenen Form von Demenz erkrankt sein soll. Angeblich liegt aber ein Gutachten vor, wonach Galdiolo an ALS leidet. Die NZZ nennt weitere Spieler, die in den siebziger und achtziger Jahren bei AC Fiorentina spielten und bereits gestorben oder schwer krank sind. „Der erste verdächtige Tote war 1973 der Stopper Armando Segato, der Capitano der Florentiner Squadra, die 1956 den Meistertitel gewann. Er schied mit 43 Jahren an der bis heute unheilbaren Nervenkrankheit ALS (amyotrophische Lateralsklerose) dahin – das erste bekannte Opfer in einer fatalen Liste italienischer Fussballer, die an ALS erkrankten. Bekannt sind mittlerweile 47 Fälle. An ALS starb, allerdings erst im Alter von 79 Jahren, auch Fulvio Bernardini, einst Spieler und dann Trainer jener Fiorentina-Meistermannschaft.

Das Florentiner Gruppenbild verzeichnet immer neue Kreuze. Nello Saltutti 2003 Herzinfarkt, Ugo Ferrante 2004 Tumor im Rachen, Giuseppe Longoni 2006 Tod nach einer Kette von Hirnschlägen. Dann starb Attilio Lombardi, wegen seiner Urkraft Popeye genannt, an ALS; er hatte seine Juniorenzeit in Florenz verbracht und spielte lange Jahre in Como, einem weiteren Herd unerklärlicher Verseuchung. Letztes Jahr verlor der baumlange Torhüter Massimo Mattolini seinen dreissigjährigen Kampf gegen Niereninsuffizienz. Mario Sforzi starb an einem Lymphom. Stefano Borgonovo * sitzt als ALS-Kranker völlig gelähmt im Rollstuhl.

Davongekommen sind: Giancarlo Antognoni, der elegante Mittelfeldspieler, der seine Karriere mit Lausanne-Sports beschloss und als 50-Jähriger einen Herzinfarkt überlebte. Giancarlo De Sisti wurde ein Abszess aus dem Gehirn entfernt, Domenico Caso von Leberkrebs geheilt.“ (NZZ, 29.9.2010) (s. a. oben Berichte von Petrini und speziell Mazzola, der als Zeuge auftritt.)

Im Dezember 2011 verstarb Giorgio Mariani im Alter von 65 Jahren an Krebs. Auch er war in den 1960er Jahren Spieler beim AC Florenz und später bei unter Herrera bei Inter Mailand (TAZ, 12.12.2011).

* Stefano Borgonovo starb Ende Juni 2013 im Alter von 49 Jahren.

Die Krankheiten sollen auf zwei Medikamente zurückgehen, die den Spielern in den 70er Jahren vom Trainer gegeben wurden, Cortex, eine Hormonstimulanz und Micoren, zudem wurden sie mit Schmerzmitteln wie Optalidon behandelt.. Die Mittel waren allerdings in den 70er Jahre nicht verboten. Mazzone, Trainer in Florenz von 1975 bis 1978 betritt jegliche Schuld. (spox, 25.9.2009) Die Ermittlungen gegen den Trainer wegen Körperverletzung mit Todesfolge wurden 2009 wegen Verjährung eingestellt.

Kann Doping die Ursache sein?

„Es gibt wissenschaftlich gesehen keine zwingende Kausalität zwischen dem Doping und den spezifischen Krankheiten dieser Spieler“, sagt der angesehene Dopingexperte und Prozess-Gutachter Dario D’Ottavia. Die Situation sei anders zu beurteilen, wenn etwa alle Spieler an derselben Krankheit erkrankt wären. Nur im Fall Beatrice sieht D’Ottavia den Nachweis gegeben. Den „Fluch der Fiorentina“ erklärt D’Ottavia mit „Zufall“. „Wenn Doping der Grund ist, müssten doch viel mehr Mannschaften betroffen sein“, sagt er.“ (Berliner Zeitung, 24.9.2010)

Doch es sind andere Mannschaften betroffen. Die Florenz betreffenden Fälle sind nur einige von vielen. Raffaele Guariniello fand mittels einer großen epidemiologischen Studie 70 Todesfälle, die verdächtig sind.

Beunruhigende Todesrate im italienischen Fußball

Zitate aus einem Artikel in Le Monde vom 16.01.2003: Beunruhigende Todesrate bei italienischen Fußballern

(…) Der tragische Fall dieses Fußballers [Gianluca Signorini] hat den italienischen Fußball in eine Psychose versetzt : Er ähnelt sehr stark jenen von Guido Vincenzi (ehemals Sampdoria Genua) oder von Giorgio Rognoni (ehemals AC Mailand), die schon vor ihm das gleiche Schicksal erlitten hatten, ohne Bruno Beatrice (ehemals Florenz) zu vergessen, der an einer Leukämie im Alter von 39 Jahren verstarb.

Nach den Doping-Anschuldigungen durch den Trainer von AS Rom, Zdenek Zeman, im Juli 1998 entschloss sich der Turiner Untersuchungsrichter Raffaele Guariniello, der sich schon mit den medizinischen Praktiken bei Juventus Turin beschäftigte, zu einer riesigen epidemiologischen Studie. Ihn hatte vor allem der Tod von Andrea Fortunato, beunruhigt, einem jungen Spieler von Juventus Turin, der an einer Lymph-Leukämie 1997 gestorben war.

Er wandte sich um Hilfe an die Firma Panini, berühmter Produzent von Alben zum italienischen Fußball, in die Kinder Spieler-Bilder der Seria A, B und C (die drei Profi-Ligen) kleben konnten, von 1950 bis heute : : 24 000 Namen, ebenso viele zu untersuchende Lebensläufe.

Vier Jahre lang hat der Untersuchungsrichter Guariniello eine Anhörung nach der anderen von aktuellen und ehemaligen Fußballern durchgeführt und dazu sein Büro zum Beichtstuhl verwandelt, wo dutzende von Spielerfrauen unter Tränen die Dramen erzählten, die ihre Ehegatten erlebt hatten. Sie verfluchten dabei die „verbotenen Praktiken“ in den Clubs, „ den Zwang zum Spielen selbst bei Verletzung“, oder die „Pillen, die vor den Spielen geschluckt werden mussten“. Guariniello hörte zu und schrieb auf ; er vertraute darauf, dass die Zeit sein bester Verbündeter sein würde bei der Suche nach Wahrheit: Der Fußball ebenso wie das Meer würde nach und nach seine Toten zeigen. (…)

„Bei 400 seit Anfang der 60er Jahre gestorbenen Fußballern sind rund 70 Todesfälle sehr verdächtig „, analysierte Raffaele Guariniello, der die Hypothese von 47 Fällen von unbeabsichtigtem Totschlag von 1970 bis heute formulierte. Unter den 24 000 Spielern der Studie liegt die Krebshäufigkeit doppelt so hoch im Vergleich zum Durchschnitt der Bevölkerung: 13 Fälle von Dickdarmkrebs, 9 mal Leberkrebs, 10 mal Pankreaskrebs gegen eine Wahrscheinlichkeit von de 6, 4 et 5 Fällen im Durchschnitt der Bevölkerung.

„Zu ALS hatten wir einen Fall erwartet, denn die Wahrscheinlichkeitliegt bei 0,61. Stattdessen haben wir 45 erkrankte Fußballer festgestellt,von denen bereits 13 gestorben sind.“ (…)

Seine Untersuchung hat schon zu einer größeren Sensibilisierung für das Thema geführt. Eine wachsende Zahl von Athleten verweigert kategorisch medizinisch nicht gerechtfertigter Behandlungen und Injektionen. Bleibt nur, dass die Latenzzeit von Pathologien weitere Opfer als Folge dieser Zeitbombe erwarten lässt.

amyotrophe Lateralsklerose/Lou-Gehrig Syndrom und Fußball

Neben einer gehäuften Rate an Krebsfällen fallen die hohen, nicht erklärbaren Erkrankungsfälle an amyotrophe Lateralsklerose/Lou-Gehrig Syndrom auf.

Dr. Jean-Pierre Mondenard fasst die Untersuchung und die damit verbundenen Erkenntnisse über die Krankheit in einem Artikel zusammen:
>>> Im Fußball braut sich etwas zusammen. , Stand Oktober 2008

Monika