Radsportjournalismus ohne Komplizentum? unmöglich
1989 wurde im Französischen Fernsehen ein Bericht von Alain Vernon über Doping im Sport, insbesondere Radsport gesendet, der für einiges Aufsehen sorgte.
In einem LeMonde-Artikel vom 21. 7. 2001 erzählt er von seinen damaligen Erfahrungen und sagt, was er über manche sportjounalistische Praxis denkt.
Alain Vernon : „Um der „Familie“ anzugehören, müßte der Journalist aufhören, seinen Beruf auzuüben“
‚Ich glaube, es war 1988. Ich folgte der Tour de France seit 4 Jahren für Antenne 2 und es begannen sich bei mir Zweifel zu nicht wenigen Dingen zu regen: zu der Korrektheit gewisser Siege, zu der Qualität gewisser Leistungen usw. . Fahrer und sportliche Leiter hatten mir Einiges offen gesagt. Das alles erschien mir nicht ganz klar. Und dann nahm ich an einer Preisverleihung für einen Kollegen teil, der dem Radsport seit 30 Jahren folgte. Ich betrachtete die Szene und sagte mir: „Meine Güte, dreißig Jahre ohne etwas zu enthüllen, schweigender Zeuge von Betrügereien aller Art geblieben !“ Eine „Familie“ im traurigsten Sinne, gefeiert von den Seinen, zwischen Lüge und Verschweigen. Das war unmöglich.
Also haben Dominique Le Glou und ich beschlossen eine Untersuchung über Doping zu starten, selbst wenn die Leute abblocken sollten. Während vieler Wochen haben wir das Milieu bearbeitet, fast 60 Interviews angehäuft, aber wir hatten nichts wirklich Überzeugendes. Wie sagten uns: „Entweder wir machen etwas Starkes oder gar nichts.“ Wir packten zusammen.
Und dann brachte uns eine unserer Quellen vom Zoll in Kontakt mit einem Radrennfahrer, der sich gerade zurückgezogen hatte: Dominique Lecrocq, der von seinem sportlichen Leiter Cyrille Guimard von der Equipe Système U aufgrund einer positiven Kontrolle entlassen worden war.
Wir trafen ihn und der Junge packt aus : Die Produkte, die Verbindungen, die Namen, alles. Es war unglaublich ! Mit dieser Aussage konnten wir den berühmten Doktor Francois Bellocq – heute verstorben – Anhänger des „hormonellen Gleichgewichts“, überführen, indem wir ihn baten, einige seiner Verschreibungen zu kommentieren. Das war heiß. Und wir gingen mit großen Mengen von Informationen andere Disziplinen betreffend: Bodybuilding, Leichtathletik, usw..
Die Welt des Sports wurde unruhig. Wir hatten von Seiten unserer Direktion keinerlei Druck zu ertragen. Obwohl der Sender Antenne 2 während seiner ersten Jahre einen Exclusivvertrag mit der Société de Tour de France hatte. Danger dopage (Vorsicht Doping) wurde im Ressort Sport am Montag den 10. April 1989 um 22h10 gesendet. Die Reaktionen ließen nicht auf sich warten. Das Radsport-Milieu reagierte am heftigsten. Dominique Le Glou und mir wurden Prozesse angedroht, die uns aber niemals gemacht wurden. Die Société de Tour de France und die Vertreter der Fahrer haben sich mit den Verantwortlichen des Senders getroffen und offiziell protestiert.
Ich begleitete die Tour de France 1989. Ich wollte dabei sein um zu zeigen, dass ich mich nicht verstecke, dass ich kein Waschlappen bin. Das Peloton boykottierte mich. Der einzige, der mit mir sprach war Greg LeMond. Welch Glücksfall, er war es, der gewann. Aber es war mir nicht möglich, meinen Beruf korrekt auszuüben.
Das Publikum verfolgte die Affaire mit großer Zurückhaltung. Die Justiz hätte sich in großem Stile um das Doping kümmern müssen wie 1998 im Falle Festina, damit deutlich geworden wäre, dass dieses Milieu ein Milieu der Lügner ist. Um dieser „Familie“ anzugehören, muss ein Journalist aufhören seinen Beruf auszuüben. Er muss die Sitten des Milieus teilen.
Ich habe aufgehört über das Radfahren zu arbeiten, man wird schizophren: auf der einen Seite führen die Sportler ein Spektakel auf, das die Massen aufwühlt, vollführen Heldentaten; auf der anderen Seite ist eine Maschine am Laufen, die die Wahrheit unterdrückt, die Leistung und Geld hervorbringt, ohne Sorge um das Leben derjenigen, die dazu beitragen. Die Gefahr, das ist das Verschließen der Augen im Namen einer anderen Wirtschaftlichkeit: den Zuschauerzahlen.
Trotzdem muss man mit einer Legende aufräumen: Die öffentlichen Anstalten zensieren sich nicht deshalb, weil sie mit der Société de Tour de France liiert sind. Danger dopage; die Enthüllung des positven Falles von Pedro Delgado, dem Träger des gelben Trikots 1988, durch Patrick Chene; die Arbeit während der Affaire Festina … alles das ist ehrenhaft.
Es bleibt ein Problem: Wir haben die Gewohnheit verloren, über die Realität der Dinge zu berichten, denn dann würde man erklären, dass ein Hämatokritwert von 49,9%, obwohl innerhalb der offiziellen Norm, auch ein Beweis für Doping sein kann, da im Normalfall ein Mann einen Wert hat zwischen 43% und 44%. Wir haben eine offizielle Betrügerei integriert. Und wenn ich an die Arbeit denke, die ich über das Radfahren gemacht habe vor Danger dopage und an das, was man seither gelernt hat, ich schäme mich.‘
Zusammengestellt von Michel Dalloni
Ein Beobachter ohne Illusionen
Alain Vernon, 47 Jahre, war seine ganze Karriere über im Dienste der Öffentlichen Anstalten, für die er leidenschaftlich eintritt. Heute gehört er dem Sportressort von France 2 an. Neben „Danger dopage“, gesendet am 10. 4. 1989, ist er der Autor von mehreren Rückschauen und zahlreichen Dokumentationen, darunter seine berühmten sportlichen Jahresberichte und das bemerkenswerte „1900 … 2000, die Explosion des Sports“, eine Sendung in drei Folgen (die Geburt und das rasante Wachsen des Sports, die Helden des Jahrhunderts und das Sportspektakel), gesendet auf France 3, am 27. 11, 4. und 11. 12. 2000. Zur Zeit arbeitet er an einer Dukumentation über die Geschichte der « Blauen“, mit Blick auf die Fußball-Weltmeisterschaft 2002.
Zur Untersuchung Danger dopage, erinnert er, dass sie nicht das einzige Fernsehdokument ist, das sich mit dem Thema auseinandersetzt und präzisiert, dass Robert Chapette, kurz nachdem er sich aus dem Peloton zurückgezogen hatte, eine der Reportagen „Cinq colonnes à la Une“ in den 60er Jahren diesem Thema gewidmet hat.
Le Monde 21. 7. 2001