>>> Operation Aderlass – Hintergrund/Geschichte
Johannes Dürr, Skilanglauf
Im Februar 2014 wurde während der Olympischen Spiele in Sotschi bekannt, dass in der Probe einer Trainingskontrolle des österreichischen Skilangläufers Johannes Dürr EPO nachgewiesen worden war. Die Kontrolle fand anlässlich eines Trainingsaufenthaltes in Österreich während der Spiele statt. Er musste die Spiele unverzüglich verlassen und wurde für 2 Jahre gesperrt. Er gestand neben EPO auch Wachstumshormone genommen zu haben und Insulin ausprobiert zu haben. Ganz unbemerkt scheint sein Doping im ÖSV nicht gewesen zu sein:
Im Fall von Johannes Dürr umso mehr, zumal der frühere ÖSV-Coach Radim Duda im Dezember 2013 in größerer Runde darauf hinwies, dass mit dem Toptalent ein Riesenproblem auf den Skiverband zukomme. Wie auch mit dessen Headcoach Gerald Heigl, weil der „entweder ein sehr schlechter Trainer sein oder die Ursache von Dürrs Leistungssprüngen kennen müsse“.
Unternommen wurde nichts – außer Duda zu entlassen, als dieser seinem Frust über die Handhabung des Falls in einer Sportzeitschrift freien Lauf ließ.
Auch seine Verbindungen zu Protagonisten der Turin- und Humanplasma-Afairen Walter Mayer und Stefan Matschiner lagen offen:
Verbrieft ist, dass Walter Mayer Mitte der Nuller-Jahre Kontakt zum damaligen Radteam Gerolsteiner und dessen Teamarzt hatte. Und weiters, dass vier Langlauf-Betreuer aus der Ära Mayer auch noch Dürrs Aufstieg mitbegleiteten. Einer dürfte wohl für den EPO-Einnahmeplan verantwortlich zeichnen, den der Niederösterreicher als Beweisstück in der Schublade hat. Und einer womöglich für das Bereitstellen der Telefonnummer von Dr. S.. (diepresse.com, 10.3.2019)
Nach seiner Sperre verfolgte er ein Buchprojekt mit Hilfe von ca. 39 000 €, die ihm über Crowdfunding zur Verfügung gestellt wurden, und stand 2018 der ARD-Dopingredaktion für Gespräche und ein umfangreiches Geständnis zur Verfügung. Er erweiterte sein bisheriges Geständnis und berichtete über sein Doping mit Bluttransfusionen, das zuvor nicht von ihm erwähnt worden war.
Die ARD veröffentlichte das Interview mit Johannes Dürr am 16./17.1.2019:
sportschau.de: Geheimsache Doping – der betrogene BetrügerD – das zweite Geständnis
Anfang März wurde bekannt, dass Johannes Dürr festgenommen wurde. Entgegen seinen bisherigen Aussagen musste er nun zugeben, dass er ganz aktuell für sein geplantes Comeback bei der WM 2019 erneut zu Bluttransfusionen gegriffen hatte.
sportschau.de: Johannes Dürr im Interview: Betrug bis zuletzt, 7.3.2019:
„2014 bin ich durch den positiven Dopingtest kurz vor meiner Blütezeit aus dem Leistungssport herausgerissen worden, damit konnte ich nicht umgehen. Nach meiner Sperre wollte ich noch mal zeigen, was in mir steckt, deshalb habe ich mir nach 2014 wieder Blut abnehmen lassen.“
…
„Ich habe mir weiterhin von Mark Schmidt Blut abnehmen lassen, als Vorrat für die Zeit nach der Dopingsperre. Das Blut lagerte in einem Kühlschrank in Erfurt. Das ging so weit, dass Mark Schmidt sich zurückziehen wollte und ich mit ihm diskutiert habe, es selbst weiterzumachen, den Kühlschrank zu besorgen, der dann aber in Erfurt gelandet ist.“
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„Mark Schmidt war 2015 nicht mehr in meinem Leben, keine Handynummern, keine Kontaktdaten, nichts mehr. Plötzlich, Mitte Juni, kommt ein Anruf, deutsche Nummer, da war es der Mark. Er sagte, ‚Geld kann ich dir keines geben, aber ich unterstütze Dich bei deinem Projekt auf meine Art und Weise.‘“
„Das heißt, Sie haben von ihm wieder Blutbehandlungen angeboten bekommen?“
„Es war eine Art Erinnerung, dass das Depot von mir noch vorhanden ist. Ich habe dafür nichts bezahlen müssen. Trotzdem habe ich im ersten Moment nicht ja sagen können. Ich hatte geglaubt, ich bin schon fast draußen aus dem Sumpf. Aber ich steckte noch bis zu den Knöcheln drin. Bei seinem nächsten Anruf, als er mich noch mal daran erinnert hat, da bin ich schwach geworden.“
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Da waren zwei Persönlichkeiten in mir. Nicht schizophren, aber da war der Leistungssportler Johannes und der Mensch Johannes. Und der Johannes als Mensch hat ganz klar gesagt, das ist ein Blödsinn, ein Scheiß, das darf man nicht machen, davor muss man andere warnen. Ich hab es am eigenen Leib erfahren, wie es an einem nagt, diese zweite Welt, die parallel im Dunklen verläuft, die sich mit der anderen nicht berühren darf. Auf der anderen Seite ist der Leistungssportler Johannes Dürr, der sagt: ‚Das gehört dazu. Wenn du Leistungen bringen willst, dann musst du es machen.‘“
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„ Es gab nur noch Blutrückführungen aus dem alten Depot von 2014, 2015. Die erste Rückführung gab es, ich weiß den Zeitpunkt nicht mehr genau, irgendwann im August in Irschenberg.“ … „Bei dieser Behandlung war Mark Schmidt anwesend.“ …Er ist mit dem Auto gekommen, ich bin mit dem Auto gekommen. Dann war ein Hotelzimmer von ihm vorbereitet, da ist die Behandlung abgewickelt worden, und unsere Wege haben sich wieder getrennt. Die Idee dahinter war einfach, härter trainieren zu können.“
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„Mitte Oktober gab es mit einer Kollegin von Mark eine Blutrückführung.“ … Das war im Trainingslager in der Ramsau, auf einem Parkplatz in Pichl bei Schladming haben wir uns getroffen und im Auto das Blut zurückgeführt.“ …
„Es gab noch eine weitere Behandlung bei einem Wettkampf in Campra in der Schweiz. Da ging das so, wie man es jetzt in Seefeld gesehen hat: Kurz vor dem Wettkampf das Blut rein und unmittelbar nach dem Wettkampf das Blut wieder raus.“ … „Nein, ich habe für alle Behandlungen und die ganze Organisation keinen Cent bezahlt, gar nichts.“
… „Mein Tarnname war Lucky Luke.“
Johannes Dürr sprach davon, 2015 überlegt zu haben, das Geschäft mit den Bluttransfusionen von Mark Schmidt zu übernehmen. Der Arzt hätte sich gerne zurück gezogen und Dürr befürchtete ohne Nachschub zu bleiben. Er bestand aber darauf, seinen Kontakt zu Schmidt und damit die Möglichkeiten des Blutdopings nicht an andere Personen wie Athleten und Trainer weiter gegeben zu haben. Entsprechende Anschuldigungen gab es. Allerdings wusste er zumindest von Haukes Doping. Es soll noch andere Teammitglieder gegeben haben, die von den Möglichkeiten bei Schmidt gewusst hätten.
„Es gibt ja Leute, die behaupten, Sie seien ein Einzeltäter, ein schwarzes Schaf. Da gibt es den Begriff Täter und den Begriff Opfer. Wo würden Sie sich einordnen?“
„Ich bin ganz sicher nicht Opfer. Ich bin definitiv einfach Täter, von dem System, das mich nicht losgelassen hat. In dem ich noch ein Teil dringesteckt bin. Und ich konnte mich nicht rausziehen, noch nicht mal rausziehen lassen. Es waren ja so viele Leute, die mich darauf angesprochen haben. Ich habe mich aber einfach nicht rausziehen lassen, ich weiß nicht warum. Ich kann’s nicht sagen. Ich habe das so von mir weggedrängt, dass, wenn ich diese Gedanken zugelassen hätte, dann wäre es viel früher zusammengebrochen, und ich hätte es bleiben lassen. Aber irgendwie war da immer der Leistungssportler, der Ergebnisse bringen wollte, der es allen zeigen wollte, dass er doch ein gar nicht so schlechter Langläufer ist, und der hat fürs Erste gesiegt.“
Zitat (radsport-news.com, 5.3.2019):
Die umgingen Mark Schmidt und seine Klienten das Kontrollprogramm?
Nach allem, was bis jetzt bekannt wurde, wurde den dopenden Sportlern während der Trainingsphase Blut entnommen und es ihnen unmittelbar vor dem Wettkampf wieder zugeführt. Kurz nach dem Wettkampf – es handelt sich offenbar um nur wenige Stunden bis Tage – wurde ihnen dann wieder so viel Blut abgenommen, um innerhalb der verdachtsfreien Zonen zu bleiben. Hämatokrit- und Hämoglobinwerte bleiben dann weitgehend stabil, jedenfalls bei Tests vor der Zuführung und nach der Abnahme des Bluts. Auch der Einfluss auf die Retikulozytenproduktion – die Bildung frischer Blutkörperchen sinkt gewöhnlich nach Eigenblutzufuhr – ist damit begrenzt; ein weiterer Testparameter wird so umschifft.
Ohnehin ist der Nachweis von Eigenblutdoping sehr schwierig. “Es hängt davon ab, wieviel Blut abgenommen oder zugeführt wurde und zu welchem Zeitpunkt danach die Kontrollen vorgenommen wurden. Je mehr Blut entnommen oder zugeführt wurde, desto besser kann das über das Profil herausgefunden werden. Bei drei Blutbeuteln funktioniert das Modell gut. Wenn man den Inhalt eines Blutbeutels zuführt oder so viel Blut entnimmt, ist es wahrscheinlich, dass es nicht detektiert wird. Das ist nicht neu“, sagt Damsgaard.
Netzwerke und Einzeltäter
Dürrs Geständnisse und die damit Verbundenen staatsanwaltlichen Ermittlungen lösten Kopfschütteln und vor allem ungläubiges Erstaunen unter Verantwortlichen, Funktionären und Politikern aus – zumindest in der Öffentlichkeit. Niemand hatte etwas gewusst, es handle sich schließlich um Einzeltäter. Die Rufe nach Strafverschärfungen häuften sich.
Es sind allerdings altbekannte Namen und Verbindungen, die offengelegt wurden.
– Johannes Dürr war mit der Tochter Gottlieb Taschlers verheiratet, sie haben ein gemeinsames Kind. Gottfried Taschler und Daniel Taschler haben im Biathlon Dopingspuren hinterlassen, aber insbesondere Vater Gottlieb besitzt wohl immer noch großen Einfluss. Vater und Sohn standen mindestens seit 2010/2011 mit Dopingarzt Michele Ferrari in Kontakt. Die Staatsanwaltschaft Padua ermittelte. Johannes Dürr trat als Zeuge auf, sein Schwiegervater soll ihm EPO-Mimetika über Ferrari beschafft haben. Gottlieb Taschler, Daniel Taschler und Michele Ferrari wurden 2016 und in der Berufung 2017 zu Haftstrafen auf Bewährung verurteilt. Allerdings wurden Urteile wegen eines Formfehlers bei einem Lauschangriff annuliert, so dass neu entschieden werden muss. Doch nun droht die Verjährung.
– In Österreich werden Erinnerungen an die Olympischen Spiele 2006 in Turin und die Humanplasma-Affaire wach.
– Und in Deutschland war Arzt Mark Schmidt bereits während seiner Zeit im Radsportteam Gerolsteiner mit einem starken Dopingverdacht und entsprechenden Beziehungen nach Österreich (Stefan Matschiner, Bernhard Kohl) aufgefallen. Er und seine Eltern sind zudem Teil eines alten Netzwerkes westdeutschen und ostdeutschen Dopings.