Doping-Prävention
2018 Interview mit Prof. Dr. Gerhard Treutlein
Gerhard Treutlein spricht in einem Interview mit Ralf Meutgens über die Anforderungen einer modernen Dopingprävention und über seine Erfahrungen seiner langjährigen Arbeit im Rahmen der deutschen Sportjugend dsj.
Das Interview erschien erstmals in doping magazin, Ausgabe 2/2018. Vielen Dank für die Erlaubnis, es übernehmen zu dürfen.
STETER TROPEN HÖHLT DEN STEIN
Prof. Dr. Gerhard Treutlein im Interview zur Doping-Prävention, Strategien und Präventionsansätze
Frage: Warum beschäftigen Sie sich mit dem Thema „Dopingprävention“?
Gerhard Treutlein: Zum einen waren da die Erfahrungen und Diskussionen bei der Teilnahme an vielen Universiaden sowie im eigenen Sportverein. Zum anderen wegen meiner engen Kontakte nach Frankreich. Hier vor allem zu Patrick Laure (Nancy) und Patrick Magaloff, (CNOSF) sowie zur Dopinghotline
„Ecoute Dopage“ in Montpellier (Dorian Martinez). Frankeich war spätestens ab 1998 Vorreiter bei der Entwicklung der Dopingprävention. Zum Dritten animiert durch Ergebnisse meiner Forschungen zur Dopinggeschichte: Als Professor an einer Pädagogischen Hochschule verspürte ich die Verpflichtung, nicht bei der Forschung stehen zu bleiben, sondern mich auch für die Umsetzung der Erkenntnisse in die Theorie und Praxis der Dopingprävention zu engagieren.
Ein erstes Ergebnis war das 2001 erschienene Buch „Doping – von der Analyse zur Prävention“, ein zweites die Durchführung der Tagung in Heidelberg im Januar 2005 zu „Dopingprävention in Europa“ mit rund 70 Teilnehmern aus 10 Ländern.
Welche Erfahrungen haben Sie dabei gemacht?
Da es kaum Vorerfahrungen gab, erfolgte die Herangehensweise vor allem durch das Vorbild der Maßnahmen in anderen Ländern wie Frankreich. Dazu kamen meine Erkenntnisse durch eigene Forschungsprojekte zum Thema „Veränderung von Lehrer- und Trainerverhalten“ sowie durch praktische Präventions-Erfahrungen beim Vorgehen nach dem Prinzip „Learning by doing“. Bald haben wir gemerkt, dass die Bedürfnisse der jungen Sportlerinnen und Sportler weniger bei der eigentlichen Prävention (Anleitung zum Reflektieren, Argumentieren, Entscheidungsfähigkeit und sinnvollem Entscheiden und Übernehmen von Verantwortung für seine Entscheidungen) lagen, sondern dass die Bedürfnisse nach Informationen zu Dopingregeln, Rechte und Pflichten bei Kontrollen im Vordergrund standen, ein Anlass zum Produzieren des Athletenflyers der dsj.
Im Prinzip fehlte das Problembewusstsein, dass Dopingprävention mehr sein muss als nur die Befriedigung des Informationsbedürfnisses; also musste bei Seminaren das Vermitteln von Problembewusstsein ein erster Schwerpunkt sein. Eine weitere Erfahrung bei deutsch-französischen Jugendlagern für die Deutsche Sportjugend (dsj) zum Thema Dopingprävention mit 14- bis 17-Jährigenwar, dass es sinnvoller ist, solche Maßnahmen für 18- bis 26-jährige zu planen, damit vor allem für die Zeit eines weitergehenden Reflexionsvermögens nach dem Ende der Pubertät.
Als Konsequenz haben wir in der Folge versucht, den Schwerpunkt auf Informationsvermittlung als notwendiger Basis sowie auf die Entwicklung von Problembewusstsein zu legen. Dies alles verbunden mit den Schwerpunktsetzungen auf interaktive Vorgehensweise sowie Kommunikation. Das war und ist verbunden mit der Hoffnung, dass sich die Juniorbotschafter für Dopingprävention, wie die TeilnehmerInnen der Jugendlager und Seminare sich nennen durften, mit Hilfe der zur Verfügung gestellten Materialien selbständig weiterbilden würden.
Wie kann man ein derartiges Problembewusstsein wecken?
Lernen erfolgt vor allem durch das Erkennen von Gegensätzen. Also werden Vor- und Nachteile einer Konzentration des Leistungssports zum einen auf Erfolg und Medaillenproduktion (1. Pol) und andererseits auf Leistungssport als Möglichkeit des Auslotens der eigenen Grenzen, der Persönlichkeitsentwicklung und des Erlernens von Regeln (2. Pol) gegenüber gestellt und unter dem Aspekt der Freude am Sportreiben herausgearbeitet. Interessanterweise siedeln sich die meisten jugendlichen TeilnehmerInnen eher beim zweiten Pol an. Die Alltagsrealität sieht aber oft schon in den Vereinen anders aus, die Begriffe „schuften“ und Arbeit“ in Verbindung mit Training haben Konjunktur. Je höher das Leistungsniveau wird, desto mehr verschiebt sich der Schwerpunkt hin zu Erfolg und Medaillenproduktion. Hier sei nur an die vor kurzem geäußerte Forderung der (Sport)Politik nach 30 Prozent mehr Medaillen bei den nächsten Olympischen Sommerspielen 2020 erinnert.
Wichtig ist, ob die persönlichkeits- und wertorientierten Ziele eher mit einem funktionalen oder einem intentionalen Ansatz angegangen und vermittelt werden. Funktional bedeutet: Treibe Sport und die erstrebten Ziele stellen sich von allein ein. Intentional bedeutet: Die Ziele werden bewusst angestrebt. Ersteres führt nur unzureichend zu den gewünschten persönlichkeitsorientierten Zielen.
Gibt es Widerstände gegen die Dopingprävention?
Vor allem Erwachsene sehen die Relevanz des Themas für ihren eigenen Lebens- und Sportbereich oft nicht. Hier herrscht die Meinung vor, „Doping sei etwas in anderen Sportarten, aber doch nicht in meiner“, oder „auf unserem Leistungsniveau gibt es das nicht“ oder „jetzt sollen wir uns auch noch damit beschäftigen, wir haben doch schon ausreichend zu tun“. Die Liebe zur eigenen Sportart macht oft blind und Kritik unfähig. Widerstände gibt es auch bei Verwendung von Beispielen aus der jeweils eigenen Sportart, wie z .B bei Fortbildungen für Trainer im Radsport. Hier heißt es dann etwa., „Immer wird auf dem Radsport herumgehackt, nehmt doch Beispiele aus anderen Sportarten“.
Wie steht es um das Zusammenspiel von Verhaltens- und Verhältnisprävention?
Dopingprävention sollte sich aus Verhaltens- und Verhältnisprävention zusammensetzen: Gegen Maßnahmen zur Verhaltensprävention, die am Sportler ansetzen (1. Ebene), gibt es weit weniger Widerstände als gegen Verhältnisprävention (2. bis 5. Ebene), die an den Strukturen und ihrer Veränderung ansetzt. Deswegen wird bei Dopingfällen die `Sündenbocktheorie´ eingesetzt: Es seien nur einzelne schwarze Schafe, die deviant werden. Wenn man diese eliminiere, dann sei alles wieder gut, an den Strukturen (2. – 5. Ebene) müsse man deshalb nichts verändern. Diese Meinung ist aber grundlegend falsch.
Gibt es potentielle Kooperationspartner?
Personen, die pro Doping sozialisiert wurden, wie frühere Spitzensportler unter der `Obhut´ dopingfreundlicher Trainer und Funktionäre, werden nicht umgehend zu engagierten Partnern für Dopingpräventionsmaßnahmen. Die Hoffnung ist, dass junge Sportlerinnen und Sportler sich im Sinne des Juniorbotschafteransatzes und der peer education in ihren Vereinen und Verbänden für Dopingprävention einsetzen. Sie können Maßnahmen fordern, sich selbst einbringen oder auch nur wissen wollen, ob etwas zu diesem Themenbereich geplant ist. Oft hilft bereits das, um Diskussionsprozesse und
ENTWICKLUNGEN ANSTOSSEN.
Sinnvoll ist es, sich Anregungen über Präventionsprogramme zu anderen Themen wie Sucht, Nikotin, Alkohol zu holen, aber auch bei Vorbildern im Ausland, da diese viel älter und weiterentwickelt sind als die Dopingprävention in Deutschland. Vorbildwirkung können auch übergreifende Präventionsprogramme wie zu gesunder Lebensführung entfachen.
In den Lehrplänen der Provinz Ontario in Kanada sind solche Ansätze enthalten: Schulen müssen sich des Themas „Doping und Alltagsdoping“ annehmen.
Welche Strategien und Präventionsansätze gibt es?
Bei der Dopingprävention gibt es im Wesentlichen zwei Strategien. Bei der Top-Down-Strategie werden von oben (WADA, internationale und nationale Verbände, Staat, Sportministerkonferenz) Vorgaben gemacht, wie Dopingprävention aussehen soll. Eine kann zum Beispiel sein. dass jeder Verband einen Antidopingbeauftragten hat und Präventionsmaßnahmen durchführen soll.
Bei der Bottom-Up-Strategie entwickeln sich Dinge von der Basis her und wirken (hoffentlich!) sukzessive nach oben. Wenn JuniorbotschafterInnen für Dopingprävention der dsj in ihrem Verein und/oder Verband Fragen stellen, wer für Dopingprävention verantwortlich ist oder ob es schon Maßnahmen zur Dopingprävention gibt, dann entsteht Druck zum Handeln. Oder wenn sie im Sinne des `Learning by doing´ selbst Maßnahmen durchführen, nach und nach Best Practice Modelle entwickeln und diese an andere und nach oben weitergeben.Für diesen Ansatz gibt es leider viel zu wenig finanzielle und personelle Unterstützung – von einer flächendeckenden Dopingprävention in unserem Sinne sind wir himmelweit entfernt.
VERHALTENS- UND VERHALTENSPRÄVENTION
Als Erfolgversprechend kann man vor allem die Kombination von Verhaltensprävention (Ansetzen am Individuum) und Verhältnisprävention (Veränderung der das Verhalten und Handeln beeinflussenden Strukturen) ansehen. Bei der Verhaltensprävention sollte eine Schwerpunktsetzung auf die Kombination von Information, Reflexion, Argumentieren lernen und die Bereitschaft zum Übernehmen von Verantwortung für das eigene Handeln erfolgen. Das kann begleitet werden von Maßnahmen zur mentalen Stärkung nach dem Motto: „Ich bin zu stark für die Doping-Versuchung, ich bin stark genug, um nein sagen zu können“. Genau diese Strategien verfolgen die Maßnahmen der dsj, die im Lauf der Jahre 2007 und 2008 durch die dsj, zusammen mit dem Bund Deutscher Radfahrer (BDR) und dem Zentrum für Doping Prävention in Heidelberg (ZfDP) durchgeführt wurden (so entstand das BDR-Projekt `GATE´), anschließend mit den meisten Landessportbünden. Entsprechend bei den Maßnahmen der dsj für JuniorbotschafterInnen für Dopingprävention seit 2010 und bei der europäischen Maßnahme 2011/2012 mit Teilnehmern/Innen aus 10 Ländern. Bei jeder Maßnahme ist es wichtig, zu verdeutlichen, an welcher Stelle im Gesamtkontext diese ansetzt und welche weiterführenden Maßnahmen folgen sollten.
Wer ist offen für die Forderung nach Dopingprävention und die Durchführung von Maßnahmen? Gibt es auch Ablehnung?
Offen sind meist Verantwortliche für den Bildungsbereich der Landessportbünde sowie Verantwortliche für den Jugend- und Breitensport. Mit steigendem Leistungsniveau und der zunehmenden Fixierung auf sportliche Erfolge nimmt die Bereitschaft für Veranstaltungen, die über das Erfüllen des Informationswunsches über Regeln, Kontrollabläufe und Bestrafungsmöglichkeiten sowie Sinn und Unsinn von Nahrungsergänzungs- (NEM) und Schmerzmitteln hinausgehen, zunehmend ab.
Wie ist die Einstellung zum Konsum von NEM und Schmerzmitteln?
Hier sind `Vorbildwirkung´ von Spitzensportlern und Werbung der pharmazeutischen Industrie, einschließlich von Apotheken und Drogeriemärkten, fatal. Über den Konsum solcher Mittel wird zum einen die Entwicklung von Dopingmentalität gefördert. Zum anderen sollte man ohne den ärztlichen Nachweis eines Defizitzustands absolut die Finger davon lassen. Praktisch niemand weiß, wie die Interaktion zwischen verschiedenen Mitteln aussieht und ob diese nicht sogar Leistung beeinträchtigende bis schädliche Wirkungen hat. Nach dem Tod der1987 gestorbenen Spitzensiebenkämpferin Birgit Dressel wurde festgestellt, dass sie in den Monaten vor ihrem Tod rund 120 verschiedene Mittel konsumiert hatte. Die Olympiasiegerin im Diskuswerfen, Ilka Wyluda (1996) gab bei der Dopingkontrolle bei den Leichtathletk-Europameisterschaften 1998 für die zwei Tage vor der Kontrolle 63 verschiedene Mittel an. Schon geringere Mengen sind eine absolute Überforderung für den Körper. Im optimalen Falle produzieren solche `Vielfraße´ nur teuren Urin. Im negativen Falle kann es zu massiven Schädigungen kommen. Die subjektive Theorie „Viel hilft viel“ ist leider weit verbreitet.
Dopingprävention im Leistungssport, ist das mehr Schein als Sein?
Es gibt zwei wesentliche Probleme: Solange nur eine enge Dopingdefinition im Sinne dessen, was auf den Verbotslisten von WADA und NADA steht, zugrunde gelegt wird, geht im organisierten Sport auf höherem Leistungsniveau die Bereitschaft kaum über das berechtigte Bedürfnis nach Informationsvermittlung hinaus. Es herrscht dann die Meinung vor: Verboten ist nur, was auf der Verbotsliste steht, die Regeln hierzu muss man kennen. Wenn man allerdings von einer erweiterten Dopingdefinition ausgeht, dann muss Leistungssteigerung als eine Form der Selbstoptimierung und Medikamentalisierung von Gesellschaft und Sport problematisiert werden. Dann darf eben nicht alles erlaubt sein, was noch nicht verboten oder noch nicht nachweisbar ist.
Es geht darum, ob man die Selbstverpflichtung bei Sonntagsreden auf Verbandstagen vom `mündigen Athleten´, seiner beruflichen Zukunft (über eine duale Karriere) und seiner Lebensperspektive (Gesundheit und Lebenstüchtigkeit auch noch nach dem Ende der Leistungssportkarriere) ernst nimmt. Die Aussichten für eine Dopingprävention im modernen Sinne, die weit mehr als nur Informationsvermittlung ist, sind nicht günstig. Aber trotzdem müssen wir sie versuchen, nach dem Motto: Steter Tropfen höhlt den Stein. Die sauberen Athletinnen und Athleten und ein sinnvoller Leistungssport, der noch nie so wichtig war wie heute, müssen es uns wert sein.