Rudy Pevenage
Rudy Pevenage war bis 2002 Sportlicher Leiter beim Team Telekom. Nach Jan Ullrichs Dopingsperre wegen Amphetaminmissbrauchs wechselte er 2003 zusammen mit dem Fahrer zum Team Coast und baute danach Team Bianchi auf. Ab 2004 waren Ullrich und Pevenage wieder im alten Team, jetzt Team T-Mobile, verpflichtet. Pevenage hatte sich Jan Ullrich als ‚väterlicher Betreuer‘, Freund, Intimus verschrieben und kümmerte sich um dessen Angelegenheiten, sportlich wie persönlich.
Lange leugnete Pevenage, wie Ullrich, Doping bei Dr. Fuentes trotz vorliegender Beweise. Am 8.7.2010 brach er dann sein Schweigen gegenüber der französischen Tageszeitung l’Équipe. Zu Hinterfragen sind dabei allerdings seine Aussagen, wonach man bei Team Telekom nach der Festina-Affaire mit dem Dopen aufgehört habe. Geständnisse von Fahrern sowie der >>> Abschlussbericht der Freiburger Expertenkommission 2009 zu den Dopingverstrickungen der Freiburger Sportmedizin sagen anderes aus.
Interview l’Équipe 8.7.2010
„Ich organisierte Jans Reisen zu Fuentes“
Interview von Philippe Le Gars, L’Équipe 8.7.2010:
… „Vor Kurzem nannte mich ein französischer Manager Teufel des Radsports. Das ist ungerecht, ich muss mich daher äußern.“ …
Haben Sie jemals damit gerechnet, dass er [Jan Ullrich] in das Renngeschehen zurück kehren könnte?
Nein. Er wusste, dass dies unmöglich ist, dass man ihm immer Hindernisse in den Weg legen würde. Jan wurde wie Ivan Basso bestraft, doch der Unterschied ist, dass er Deutscher ist und in der Schweiz lebt. Das sind zwei Länder, in denen nicht verziehen wird und man nach einer Sperre nicht bei Null anfangen kann. …
er hatte schon lange vor dem Start in Straßburg beschlossen in diesem Jahr seinen Karriere zu beenden, auf der Deutschland-Tour wollte er seinen Abschied geben. …
Rudy Pevenage,
SZ, 9.7.2007:
„natürlich gebe ich auch zu, dass ich mit Fuentes Kontakt hatte. Aber glauben Sie, dass ich der einzige Sportliche Leiter bin, der Kontakt mit Fuentes hatte? Ich kenne ihn sehr lange, da war ich selbst noch Radfahrer.
…
ich kannte ihn eben später noch näher von seiner Zeit als Teamarzt bei Kelme.
…
Es haben doch schon so viele Leute erzählt, und wenn ich jetzt auch noch etwas sage, kriege ich nur von links und rechts Gerichtsverfahren. Und was haben denn die Geständnisse bisher gebracht? Warum geben denn die Spanier und Italiener das nicht auch alles zu? Wie gesagt: Wenn jetzt alle sagen, die Alten sollen alle raus wegen des verschärften Ethik-Codes – dann bleiben nicht mehr viele übrig. …
Haben Sie sich schuldig gefühlt ?
Es war natürlich ein Schock. Aber anfangs habe ich nichts gesagt, da ich immer hoffte, wieder in den Radsport zurückkehren zu können. Im Nachhinein sage ich mir, dass man sich damit zufrieden gegeben hat, ein Minimum betroffener Personen zu bestrafen und die Tour weiter laufen ließ mit mindestens der Hälfte des Pelotons, die genau denselben Mist gemacht hat.
Bezogen auf Doktor Fuentes?
Man höre auf sich etwas vorzumachen. Fuentes war zu der damaligen Zeit nicht der einzige Mediziner. Die anderen Teams hatten ebenfalls entsprechende medizinische Präparationen organisiert. Aber das was mit Manolo Saiz und Rudy Pevenage gemacht wurde, gab den anderen Sicherheit, so wie es 1998 mit Festina geschehen war. Wird ein Team vorgeführt, verhindert das die Überprüfung der anderen. Im Radsport gibt es keinerlei Solidarität. Vernünftig wäre es gewesen, alle Mannschaften in Straßburg zusammen zu rufen, alles auf den Tisch zu legen und einen Neuanfang zu starten. …
Was mich allerdings immer noch aufregt, ist, dass gewisse Fahrer, die Fuentes aufgesucht hatten, ihr Maul immer noch aufreißen um großartige Radschläge zu geben. …
Hatten Sie sich nie solch ein katastrophales Szenario wie beim Start der Tour 2006 vorgestellt ?
Ich hätte vermeiden können, dass Jan in Straßburg an den Start geht. Montag oder Dienstag vor dem Start rief mich jemand von ganz oben an um mir zu sagen, man müsse alles versuchen, um zu verhindern, dass Jan an den Start gehe. „Rudy sage ihm, er soll sich auf der Treppe das Schlüsselbein brechen“ lautete die Empfehlung. Aber wie hätte ich das Jan beibringen sollen, er hätte mich für verrückt erklärt. Bis zum Schluss dachte er an der Tour teilnehmen und gewinnen zu können. Freitagnachmittag trainierte er wie ein Verrückter auf der Rolle, überzeugt davon, am nächsten Tag an den Start gehen zu können.
Welchen Anteil hatten Sie an dieser Affaire?
(überlegt…) Mein Fehler war, dass ich die Reisen von Jan nach Madrid organisierte.
Zu Dr. Fuentes?
Ja, zu Fuentes. Was nützt es heute, dies zu leugnen. Aber man muss wissen, dass ich damals nicht der Meinung war, etwas Falsches zu tun. Ich kannte viele Fuentes-Kunden, darunter gute Fahrer, die am Start der Tour 2006 waren. Ich wusste auch, wer sich bei anderen Medizinern als Fuentes präparierte. Alle waren informiert, das war fast normal. Man war sich der Illegalität der Methoden nicht bewusst.
Das heißt?
Es gab Fahrer, die hatten zu Beginn der Tour einen Hämatokrit von 45% und in Paris dann einen von 49,5. Das ist natürlicherweise unmöglich, aber sie kamen trotzdem durch die Kontrollen. Es ist wie bei roten Ampeln, fünfmal kann man sie ungestraft überfahren. …
Alle wissen alles. Die Fahrer wechseln die Teams und nach einem Monat erzählen sie, was beim ehemaligen Arbeitgeber los war. Es ist eine kleine Welt, man weiß Bescheid.
Warum wurden Sie gefasst und die anderen nicht?
Weil ich eines Tages einen Fehler beging. … Normalerweise benutzte ich für die Telefonate mit Fuentes eine Prepaid-Karte mit unbekannter Nummer. Aber während des Giros 2006 wollte ich anrufen um ihm den Etappensieg Jans mitzuteilen, nur hatte ich kein Guthaben mehr auf der Karte. So benutzte ich mein persönliches Handy. Ich wusste nicht, dass die spanischen Ermittler Fuentes abhörten. Mein Gespräch mit Fuentes hatte damals nichts Persönliches, doch meine Nummer wurde identifiziert. … Hätte ich wie viele meiner Kollegen, das vertraulichere Nachrichtensystem von Blackberry genutzt, wäre ich unerkannt geblieben. …
Mit der deutschen Justiz habe ich einen Kompromiss geschlossen. Ich habe 25 000 € an eine Organisation für behinderte Kinder überwiesen. Danach hat die belgische Justiz gegen mich ermittelt, ich hatte zwei Hausdurchsuchungen, aber man hat nichts gefunden. Ich habe niemals verbotenen Mittel gekauft oder verkauft, ich organisierte lediglich die Madridreisen von Jan zu Fuentes. Dabei dachte ich es gut zu machen…
Aber Sie waren durch die Festina-Affaire 1998 vorgewarnt
Bei T-Mobile hatten wir mit allem nach 1998 aufgehört und ich kann bestätigen, dass unser Team in den Jahren nach der Festina-Affaire wirklich sauber war. Man wollte solch einen Skandal nicht erleben. Aber nach und nach, die Ergebnisse beobachtend, musste man feststellen, dass man im Vergleich zu den anderen Teams, vor allem bezogen auf die spanischen und italienischen, ins Hintertreffen geraten war. Man stellte fest, dass einige eine andere Methode gefunden hatten um EPO zu vermeiden.
Hat Ihre Rivalität mit Armstrongs Team ebenfalls dazu beigetragen, die gelbe Linie zu übertreten?
Sagen wir es so, das hat uns veranlasst, das Maximum zu unternehmen, um ihn zu schlagen. Wir waren keine Idioten, wir kannten Armstrong vor seiner Krebserkrankung. Seine Veränderung nach seiner Rückkehr war dermaßen außergewöhnlich. Ich bin immer noch davon überzeugt, dass Jan physisch leicht stärker war, aber …
wir haben schnell begriffen, dass wir keine Chance hatten. Armstrong war ein großer Profi, Bruyneel, sein Manager, ebenso. Aber dieser war bei Manolo Saiz gefahren und er wusste, was abläuft.
Aber das verpflichtete Sie trotzdem nicht zu betrügen …
Mit all dem Geld, das Jan verdiente, konnte er es sich nicht erlauben gegen zweitklassige Fahrer zu verlieren. Man ist wirklich in einer schlechten Spirale gefangen. Jan war gestresst, er nahm allein deswegen an Gewicht zu. Heute fährt er überhaupt nicht mehr und ist dünner als damals während der Saison. Der Stress hat seine Karriere vergiftet, er hatte große Angst vor allem, was er machen musste, um seinen Fähigkeiten zu entsprechen. Um einfach der Champion zu sein, der er von seinen Anlagen her war. Ohne all diesen Scheiß.
Rudy Pevenage: Interview 16.4.2009 NZZ 2009
>>> «Ich weiss, dass ich einen Fehler gemacht habe», NZZ, 16.4.2009
Wie wurden Sie bei der Rückkehr begrüsst?
Das war im Februar an der Kalifornienrundfahrt, es war ideal. Alle Teams waren in nur zwei Hotels untergebracht. Ich konnte mit allen reden, alle redeten mit mir. Nur Bob Stapleton (Manager des Team-Telekom-Nachfolgers High Road, d. Red.) ging mir aus dem Weg, und Bjarne Riis (Manager des Teams Saxo-Bank, 1996 unter Pevenage Tour-Sieger, 2008 des Dopings geständig, d. Red.) war zurückhaltend. Das ist halt seine Art.
Sind Sie glücklich?
Ohne Michael Ball hätte ich nie die Gelegenheit zur Rückkehr in den Radsport erhalten. Er hat gesagt: «Was hast du schon Schlimmes getan? Du hast nicht mehr getan als all deine Kollegen.» Ich denke, er vertraut mir. Er sagte auch: «Was ist schon die Operación Puerto? Du bist ein Mensch wie jeder andere. Du hast vielleicht einen Fehler gemacht – aber deswegen ist dein Leben nicht zu Ende!» Dafür kann ich ihm nur danken.
Wäre es denn nicht besser gewesen, die Vergangenheit aufzurollen – und so neu anzufangen?
Ich glaube, dass ich keine zweite Chance erhalten würde, wenn ich das getan hätte.
Aber es gibt doch solche, die das getan haben, die heute wieder einen guten Job im Radsport haben.
Was haben die schon zugegeben! Sie wollten ihre Haut retten, nichts sonst. Aber darüber will ich nicht reden. Meine Familie und ich haben zwei Jahre sehr gelitten. Radsport ist mein Leben. Ich war 14 Jahre Profi und 18 Jahre Sportlicher Leiter. Ich habe riesige Erfolge gefeiert – warum soll ich das alles zunichtemachen?
Rudy Pevenage ist ein Zeitzeuge der besonderen Art. Zur Hochzeit des EPO-Dopings in den 1990er Jahren und über den Jahrhundertwechsel war er einer der Hauptdarsteller des Radsports, als Sportlicher Leiter gewann er die Vuelta, die Tour, die WM, die Olympischen Spiele. Belastendes Material, belastende Aussagen gibt es zuhauf, trotzdem wurde er weder von einem Verband gesperrt noch von einem Gericht verurteilt. Daran merkt man: Im System Spitzensport gibt es keinen standardisierten Umgang mit Menschen wie Pevenage. Pevenage selber fand für sich einen Weg. Er streitet nichts ab, er gibt nichts zu. Er ist ein Kind des Systems, das betont er mehrmals.
…
Spielen Sie auf die Humanplasma-Affäre an, die in Österreich zurzeit für viel Wirbel sorgt?
Im Radsport wussten viele schon vor drei Jahren, dass da in Wien ein Nest ist. Es wurde niemals darüber gesprochen, es war, wie sagt man?, ein offenes Geheimnis. Ich hatte auch davon gehört. Als ich von der Tour de France ausgeschlossen wurde, wusste ich, dass Fuentes nicht als Einziger in Spanien ein Netz gesponnen hatte. Es gibt solche Netze in Süditalien, es gibt sie in Österreich. Das wusste damals die Hälfte der Sportlichen Leiter, nur geredet wurde nicht darüber.
Finden Sie, Sie seien der Sündenbock?
Natürlich bin ich das. Einige wenige andere sind es aber auch.
…
«Ich hoffe, Radsport bleibt mein Leben»
Obgleich sie wissen, dass nicht jeder sauber ist?
Stell dir vor, du bist ein Bub, 16-jährig, und du arbeitest auf dem Bau. Das gibt 1000 Euro pro Monat. Am Wochenende fährst du mit den Kumpels Rad, du bist talentiert. Du nimmst Vitamine, um stärker zu werden. Mit 20 bekommst du ein Angebot eines Radteams, der Verdienst ist eine Million im Jahr. Sagst du Nein? Natürlich nicht – dann kommt der Sponsor, er macht Druck via den Sportlichen Leiter, er will Resultate. Was willst du machen? Zurück auf den Bau? Du machst eben beim System mit. Aber es ist nicht dein System.
Haben Sie demnach nicht Angst, dass einer Ihrer Rock-Racing-Fahrer auffliegt?
Die meisten bei mir im Team hatten noch nie etwas mit Doping zu tun. Die andern, Gutierrez, Sevilla, Hamilton und Mancebo, haben so gelitten mit ihren Geschichten, dass sie Doping nie wieder anrühren. Sevilla lebt jetzt in Kolumbien auf 3000 Höhenmetern, er hat bessere Blutwerte als früher. …
Pevenage ist ein vorsichtiger Mensch. Dieses Interview liess er vom Anwalt gegenlesen. Darauf musste auf einige Ortsangaben und Namensnennungen verzichtet werden. Man weiss nie, was noch kommt.