Dopingaffairen / -Prozesse im Radsport
die Perpignan – Affaire
Am 29. Februar 2000 überraschen Polizisten bei einer Straßenkontrolle zwei Männer, Eric Martin und Grégory Delfour, zwei Fahrer des Vélo-Clubs von Narbonne, die sich am Straßenrand eine intravenöse Spritze mit dem Pot belge gaben. Die „Affaire Perpignan“ begann weite Kreise zu ziehen.
Der Untersuchungsrichter sprach bald von Drogenabhängigen:
“Wir sind mit jungen Sportlern konfrontiert, die anfingen die Produkte zu nehmen um ihre Leistung zu verbessern und die in der Abhängigkeit endeten. Das hat nichts mehr mit Doping zu tun: das sind Drogenabhängige.“
Es ging um falsche Verschreibungen, um den Pot belge, um EPO der Firma Eprex, um Solucadron, Pantestone, Célestène und Finedal, alles Medikamente auf Basis von Koitikoiden, um Kuriere, die zwischen Frankreich, Belgien, den Niederlanden und der Schweiz verkehrten. Die Ermittlungen zeigten auch, wie durchlässig die Grenzen zwischen Amateur- und Profiradsport sind.
In das Ermittlungsnetz gerieten bald die ehemaligen Profis Thierry Laurent (Ex-Festina) und Jérome Laveur-Pedoux (Ex-Home market), Christophe Morel (Französischer Mountainbike-Meister 1999 und 2000) und Eric Magnien, Vizeweltmeister von 1993 und dreimaliger franz. Meister auf der Bahn, kommen ins Spiel.
Betroffen waren in der Mehrzahl aktive und ehemalige Fahrer, zwei Apotheker und mehrere Mediziner. Sie wurden angeklagt „der Verwendung, des Erwerbs, der Weitergabe und des Besitzes von Drogen.“
Die Ermittlungen weiteten sich über viele Departements im Süden Frankreichs aus: 26 Personen wurden angeklagt, in den Mehrzahl aktive und ehemalige Fahrer, zwei Apotheker und mehrere Mediziner – mit dabei Dr. Hervé Stoicheff, Arzt bei der Equipe Crédit Agricole und vor Kurzem noch Repräsentant seiner Zunft bei der Franz. Vereinigung der Professionellen Radfahrer, er arbeitet auch in dem Anti-Doping-Zentrum Süd-West. Ihm wurde vorgeworfen von 1997 bis 2000 die Verwendung von Substanzen oder Methoden zur künstlichen Leistungssteigerung im Sport angeboten, verteilt, verabreicht, angestiftet oder erleichtert zu haben, es betrifft EPO und Kortikoide.
Stoichoff wurde bereits einmal im März 2000 bestraft wegen Versicherungsbetruges zu Gunsten von Rugby-Spielern. Am Tag des Tour-Starts 2002 in Luxemburg wurde Hervé Stoïcheff von seinem Team auf Druck der medizinischen Kommission des nationalen Radsportverbands die Akkreditierung für die Tour de France entzogen: „Wir können ihn bei der Tour nicht gebrauchen.“ Stoïcheff wurde offiziell beurlaubt.
Zum Kronzeugen der Ermittler wurde Jérome Laveur-Pedoux, einst Profi bei erstklassigen Rennställen wie RMO, Castorama, Agrigel und Festina. Er sagte aus, der in Radsportkreisen berühmte belgische Arzt Georges Mouton, ehemals akreditiert bei der Société de Tour de France, habe ihm Epo und andere Substanzen verabreicht – und auch Hervé Stoïcheff wurde von ihm beschuldigt, Fahrer mit Kortikoiden und EPO beliefert zu haben. Georges Mouton auch „Doktor Seringue“ (Doktor Spritze) genannt, musste sich bereits im Oktober 2001 in Belgien zusammen mit 26 Fahrern Untersuchungen unterziehen und saß 6 Monate in Untersuchungshaft. Dieses Verfahren ist noch anhängig.
Jérome Laveur-Pedoux, der seit vielen Jahren selbst EPO, Kortikoide und Amphetamine genommen hat, gestand, dass er regelmäßig den „Pot belge“ an verschiedene Fahrer lieferte, zum Einheitspreis von 1 400 F (215 Euro).
Thierry Laurent, 36 Jahre, ehemaliger Fahrer bei Festina, gab zu, seine Kollegen seit 1996 mit Portionen des Pot belge, für 500 F (76 €) pro Dosis, versorgt zu haben. Er hat den Ermittlern beschrieben, wie man sich im kollegialen Stile die „Messen“, so die Milieu-Bezeichnung, gegenseitig verabreichte und der ehemalige Olympiateilnehmer Eric Magnin gab zu, seit 1994 den Verkauf von 350 Pots Belges organisiert und Dutzende von Rezepten gefälscht zu haben.
Bertrand Delange, ein Apotheker, gestand ohne Verschreibung Kortikoide, aber auch Pantestone, ein Wachstumshormon, verkauft zu haben. Bei dem Triathlet Mathias Mure, ehemaliger französischer Meister, wurden zuhause Wachstumshormone, Kortikoide und Epopin 4 000 (EPO) gefunden, für die er sich verantworten muss.
Der Prozess ging vom 13. bis zum 17. Mai 2003.
25 der 26 Angeklagten wurden verurteilt. Thierry Laurent, Eric Magnin, Jérome Laveur-Pedoux und Frédéric Morel erhielten 15 Monate Gefängnis, davon 14 auf Bewährung, der eine Monat war durch die Untersuchungshaft abgegolten. Laurent musste noch 4.000.- € bezahlen. Christophe Morel erhielt 6 Monate auf Bewährung, zwei Mediziner Geldbusen über 5.000 und 3.000 €, die anderen Angeklagten mußten zwischen sechs und einem Monat Gefängnis auf Bewährung hinnehmen.
Die Gerichtspräsidentin Sylvie Truche begründete das moderate Strafmaß damit, dass das Gericht keine Verbindung zu herkömmlichen Drogenabhängigen sah, sondern die Strafen der Tatsache Rechnung trügen, dass sie Sportler sind. Doping bleibe sicher eine eigenverantwortliche Sache, doch keiner der Angeklagten hätte ’seine Nase in die leistungssteigernen Mittel gesteckt‘, wenn sie nicht mit dem Radsport in Verbindung gestanden hätten.
Einige Angeklagte gaben auch zu verstehen, dass der Festinaprozess anders wirkte, als häufig angenommen: „Weit davon entfernt ein Anlass zum Aufhören zu sein, wirkte der Festina-Skandal wie eine Verführung (Anleitung) zum Doping“, „er wirkte wie ein outing, ein Doping-Woodstock“ so ein Anwalt (Libération, 15.5.2003). Die farbig aufgemachten Zeitungsberichte über den Pot belge und andere Mittel verführten offenbar einige Fahrer dazu, es selbst auszuprobieren. Alles war eher amateurmäßig organisiert. Als im Milieu alle von Corticoiden sprachen, begannen einige selbst falsche Rezepte auszustellen, um in den Apotheken an die Medikamente zu kommen. Sie nahmen z. B. das Buch von Mondenard (Anti-Doping-Experte) in dem sie die Namen der Medikamente und ihre Wirkungen fanden.
Hervé Stoïcheff, mußte wegen Mangels an Beweisen freigesprochen werden, die Gerichtspräsidentin äußerte sich aber während des Prozesses durchaus kritisch: „Sie haben nach eigenem Gusto Substanzen verschrieben, die erstaunlicherweise, nach Meinung von Experten, den Verschreibungen von Bellocq ähneln.“ Stoïcheff übernahm in Bordeaux 1994 die Praxis von Dr. Bellocq nach dessem Tod und wurde auch sein Nachfolger als Mannschaftsarzt bei der Equipe GAN. Bellocq war weithin bekannt als Doping-Arzt, dessen Praxis gerne von Sportlern aufgesucht wurde. „Ich kannte seine Reputation nicht, als ich seine Praxis übernahm.“ (mehr hier, Jérome Chiotti)
Die Lieferanten der Drogen in Belgien und den Niederlanden konnten nicht belangt werden.
Thierry Laurent berichtete vor Prozessbeginn in einem Interview mit Le Monde über seine Dopingerfahrungen und wie es dazu kam, dass er mit dem Pot Belge dealte:
Die Schilderung des alltäglichen Dopings
Monika