Dopingpraxis, ausgewählte Beispiele
das Tagebuch eines italienischen Fahrers, 2001
Im Mai und Juni 2004 führte die italienische Drogen- und Finanzpolizei weitverzweigte Razzien durch, die zu etlichen Anklagen führten (>>> Operation „Oil for Drug“). Mit dabei der ehemalige Profiradfahrer David Tani (aktiv bei den Teams Ideal, Ros Mary, Asics und Mapei (1999-2001)), der penibel Buch führte über seine Dopinggewohnheiten.
Auszüge aus diesem Tagebuch aus dem Jahr 2001 wurden von dem italienischen Journalisten Eugenio Capodacqua auf seiner hp sportpro.it veröffentlicht:
Ecco il mio doping, giorno per giorno, März 2005
Die Übersetzung, von Sina (cycling4fans):
Doping, Tag für Tag
In einer Saison 218’000 Einheiten EPO, das berüchtigte Eritropoetin, das bekannteste Hormon, welches in den letzten Jahren zum Dopen verwendet wurde. 396 Tabletten verschiedenster Anabolika, mehr als eine am Tag, jedoch vor allem in den „Ruhemonaten“ November und Dezember, wo sie dazu dienen, das Training durch einem „Qualitätssprung“ zu verstärken; 150 Einheiten Gh, einem Wachstumshormon, welches bei den Kontrollen nicht nachweisbar ist und dann noch Insulin, um den Stoffwechselabbau in den Muskeln zu stoppen und die Zuckerreserven zu erhöhen; 230 Einheiten IGF3, die neueste Substanz, dazu da, die Wirkung von Gh zu verstärken und das noch weniger nachweisbar ist.
Das ist nicht die Medikamentenliste eines Kranken, der weiss Gott an welcher Krankheit leidet, sondern die schockierende Saison-Bilanz eines professionellen Radfahrers. 40’000 km auf dem Rad, Anstiege, Schweiß, harte Arbeit und Medikamente (verbotene und erlaubte). Dies geht aus den genau geführten und dicht beschriebenen Tagebuchseiten eines durchschnittlichen Profis hervor, A.T. genannt (es werden nur die Initialen erwähnt, da der Betroffene noch Gegenstand einer laufenden Untersuchung ist). Er kämpfte in wichtigen Mannschaften, fuhr dann als Amateur und blieb später im Netz einer der vielen Anti-Doping-Ermittlungen der NAS hängen, der Operation „Oil for drug“ vom letzten Mai (2004).
Der Arme, trotz der Anwendung von etwa 27 verschiedenen Medikamenten, schaffte er es nicht, im Peloton die Rolle des „Wasserträgers“ abzulegen. Nicht nur, dass er nicht gewann, er hat Mühe überhaupt mitzuhalten.
Er betreibt ein „unsichtbares“ Doping, bestehend aus kleinen Dosen, um die Kontrollen auszutricksen. Trotz der vielen Einnahmen und der hohen Menge, kommt er durch alle Kontrollen. Auch als er größere Rennen wie die Mittelmeerrundfahrt, Laiguelia Classica Almeria, Copi&Bartali in der Toskana, die großen Klassiker des Nordens wie Fleche Wallone, Lüttich-Bastongne-Lüttich, das Amstel Gold Race fährt. Rennen bei denen die UCI, der internationale Radsportverband, in der Theorie eisern Dopingkontrollen vor und nach den Rennen durchführt. Unsere „rote Primel“ schafft es immer wieder, da durchzukommen, trotz seiner Doping-Odysseen.
Das Tagebuch von A.T. ist ein wahres medizinisches Nachschlagewerk für Eritropoetin, einem Hormon, welches die Anzahl der roten Blutkörperchen erhöht und somit den Sauerstofftransport im Blut verbessert, Gh, das Wachstumshormon, Anabolika, Schmerzmittel, Blutverdünner, welche die Nebenwirkung von EPO abfangen, Testosteron, Oxandrolon und andere Dopingprodukte; verschiedene Gonadotropine, Insulin, Stimulanzien, Produkte für die Nebennieren und zum Schluss auch noch „Theodur“, ein Spray, welches normalerweise gegen den vorzeitigen Samenerguss eingesetzt wird. Er fährt Rennen in Europa und Amerika. Aber die Resultate sind am Schluss genauso trostlos.
Im September die verzagte Bemerkung:
„Wir sind am Ende der Saison, die Rennen sind alles andere als gut verlaufen, das Jahr war sehr lange, wenn man bedenkt, dass ich im November mit dem Training begonnen habe, nur die Dinge kamen anders als erhofft, die anderen Fahrer sind viel stärker. Ich habe von mir aus das Maximum gegeben um gut zu sein, das einzige was ich entschiedener angehen muss, ist die Sache mit dem Gh, mindestens 4 Einheiten am Tag, aufgeteilt auf 2 am Morgen und 2 am Abend. Das bisschen, das ich versucht habe, hat mir gezeigt, dass es mir damit viel besser geht: Mehr Kraft und man nimmt schneller an Gewicht ab.“
Sein Bericht, Monat für Monat eines Profiradsportlers, ist minutiös. Im März war er voller Hoffung:
„In jenem Monat ging es mir recht gut; ich spürte wie es mir besser ging, vor allem gegen Mitte des Monats…. Die letzte Etappe von Coppi&Batali (ein kleines Etappenrennen in Italien) habe ich ½ ccm Luforan (ein spanisches Produkt, welches die Wirkung des Gonadotropins stimuliert) ausprobiert, und ich habe am Ende des Rennens gute Erfahrungen im Kraftbereich gemacht “. Er berichtet pedantisch von den eingenommen Produkten, aber auch von der Ernährung: „Ein normales Frühstück, zum Mittagessen Pasta oder Reis, am Abend ein bisschen von allem, weißes Fleisch, Eier, Schinken, Käse, verschiedene Desserts,…“: Aber die Resultate stellen sich nicht ein, deshalb braucht es Dopingmittel.
Im April beschreibt er die Vorbereitung eines Renntages:
Am Morgen: ½ Geref (eine Substanz, welche die endogene Produktion von Gh stimuliert, natürlich verboten); ½ Luforan (ein spanisches Produkt, dass die Wirkung des Gonadotropins stimuliert- verboten); ½ Contromal (ein starkes Schmerzmittel um die Schmerzen der Anstrengung weniger zu spühren); 2 Cranitine; Neoton (Cranitina) in die Vene, Koffein zur Unterstützung des Optalidon.
Am Abend: Eine Ladung Kohlenhydrate (in diesem Fall Insulin, welches neben der Verhinderung des Stoffwechselabbaus auch die Fähigkeit zur Speicherung von Glycogen fördert); Esafosina (Zucker) und Neoton per Infusion.
Für die Etappenrennen: Dinistenile, ein starkes anaboles Steroid, um sich schneller zu erholen, das jeden zweiten Tag eingenommen wird (alternierend) zusammen mit dem immer präsenten Gh, das heute meistbenutzte Hormon, natürlich verboten, jedoch nicht durch Dopingtests nachweisbar.
Die Strategie ist klar: Während der rennfreien Tage wird „geladen“, in kleinen, mehrfach wiederholten Dosen, um in Kontrollen nicht aufzufallen. Während der Renntage, wenig oder gar nichts. Dies macht die Tests völlig ineffektiv oder noch schlimmer. Er konsumiert am 29. März 2000 Einheiten Epo und am 30. kommt er durch die Kontrolle der UCI. Wie kommt das?
Trotz dieser Mengen an Produkten die der Arme zu sich nimmt, schafft er es nicht, einen Nutzen daraus zu ziehen. Die Aufnahme von Medikamenten, sagen die Experten, ist subjektiv immer sehr unterschiedlich: Es gibt Körper, die reagieren „hervorragend“ und solche die bleiben „sur place“. A.T. gewinnt nicht nur keine Rennen, sondern ist im Gegenteil oft zum Aufgeben gezwungen. Im Juli, in nur einem Monat, unterzieht er sich folgender „Kur“: Epo, Gh, IGf, Anabolika, Steroide, Vitamine, verschiedene Nahrungsergänzungsmittel usw. Aber nichts geht so, wie es sollte:
„Bei der Portugalrundfahrt waren Fahrer, die alles machten (dort gab es keine Kontrollen)… ich bin nach Hause gekommen, habe getan, was ich musste, aber nichts hat genützt, denn an der zweiten Portugalrundfahrt gab es Fahrer, die waren noch stärker“.
Um mitzuhalten war eine noch stärkere „Kur“ notwendig. Zwischen November und Dezember 170 Tabletten mit Anabolika und der Griff zu Gonadotropin, um Schäden an den Hoden zu verhindern. Dann wird es Zeit, die „Kanone“ auszufahren, die Zeit von Epo und Gh bricht an.
Eine Geschichte, die einen erschauern lässt (allein schon der Gedanke an die gesundheitlichen Folgen) aber sie zeigt auch das totale Versagen der Anti-Dopingkontrollen.
Die Tests erkennen Substanzen wie Gh oder Insulin nicht, Kontrollen werden vor allem während der Rennen gemacht, das Dopen an sich findet ausserhalb der Renntage statt, wie das Tagebuch des „Kamikaze“ zeigt. Dies ermöglicht eine immer bessere „Ladung“ während des Trainings. Welchen Sinn hat es also, Milliarden zu investieren – wie es die Sportverbände machen – für Kontrollen, die fast nur bei den Rennen durchgeführt werden? Dies gestand vor einiger Zeit auch ein Funktionär des CVD (Aufsichtskommission des Anti-Doping-Gesetztes):
„Das Antidoping? Es ist eine Abschreckung, die es geben muss, es muss dazu dienen, gewisse Dinge zu verhindern. Aber dann muss man es seriös betreiben, wie du sagst, und es ist schwierig, seriöse Arbeit zu leisten“. Aber warum?