Dopingaffairen / Prozesse im Radsport
>>> Pressechronik Team Sky / British Cycling
Team Sky / British Cycling und Doping
Das 2009 gegründete britische Team Sky erlebte eine rasante Erfolgsgeschichte, die bereit 2012 darin gipfelte, dass die Sky-Fahrer Bradley Wiggins und Christopher Froome die ersten beiden Plätze der Tour de France belegten. Schnell wurde öffentlich Misstrauen gegenüber der Sauberkeit der Fahrer geäußert. Insbesondere die Wandlung von Bradley Wiggins von einem erfolgreichen Bahnradfahrer in einen überragenden Rundfahrt-Spezialisten ließ aufmerken.
Das gesamte Team mit seinen Strategien wurde hinterfragt. Die Teamleitung reagierte und zeigte plötzlich eine harte, kompromisslose Haltung gegenüber Sportlichen Leitern, die als ehemalige Fahrer eine Dopingvergangenheit aufwiesen. Bobby Julich, Sean Yates und Steven de Jongh mussten das Team verlassen. Auch Teamarzt Dr. Geert Leinders wurde fallen gelassen nachdem man noch im Juli zögerlich war, obwohl dessen Dopingrolle im Team Rabobank ein offenes Geheimnis war (Team Rabobank und Doping).
Teammanager Dave Brailsford wies stets Dopingpraktiken vehement von sich, die Teamerfolge, darunter bis heute 4 Tour de France-Siege innerhalb kurzer Zeit, erklärte er mit der hohen Professionalisierung, auch ermöglicht durch das zur Verfügung stehende gute finanzielle Budget. Die „marginal gains“ wurden zum Schlüssel und Schlagwort: nichts werde dem Zufall überlassen, noch die kleinsten Dinge würden optimiert und summierten sich somit zum großen Ganzen. Diese Argumentation rief häufig Kopfschütteln hervor, doch selbst Journalist David Walsh, Autor einiger kritischer Bücher über Lance Armstrong, wagte es, das Team für sauber zu erklären.
Im September 2016 veröffentlichte die Hacker-Gruppe Fancy Bears u.a. auch Daten von Bradley Wiggins, aus denen hervorging, dass der Fahrer 2011, 2012 und 2013 medizinische Ausnahmegenehmigungen (TUE) für Injektionen des Asthmamittels Triamcinolon erhalten hatte. Das widersprach Äußerungen von Wiggins selbst, wonach er immer exakt die no-needle-Policy der UCI eingehalten habe. Hatte das Team Sky TUE mit ärztlicher Unterstützung, hier insbesondere durch Geert Leinders genutzt, um verbotene Mittel legal einnehmen zu können? Wahrscheinlich lautete die Meinung vieler, auch David Walsh schwenkte um ( „It looks bad, Brad“). Erhärtet wurde das Misstrauen durch Bekanntwerden eines Päckchens mit mysteriösem Inhalt, das Wiggins während des Critériums du Dauphiné 2011 von einem Vertreter des Britischen Radsportverbandes persönlich überbracht worden war. Das Päckchen soll von Arzt Dr. Richard Freeman stammen, sowohl Teamarzt des Teams Sky als auch Verbandsarzt.
Umfangreiche Ermittlungen und Anhörungen durch die britische Anti-Doping-Agentur UKAD und das Culture, Media and Sport Committee der Britischen Regierung begannen, die letztlich keine eindeutige Hinweise auf Dopingvergehen erbrachten, doch der Graubereich um TUE und nicht verbotenen Medikamente, wurde durch ehemalige Fahrer des Teams immer deutlicher angesprochen. Michael Barry sprach z. B. über den Konsum von Schmerzmitteln, insbesondere Tramadol, und Schlafmitteln, der mit Unterstützung der Teammediziner unter den Sportlern, auch jungen, alltäglich war. Dabei wurde im Oktober 2013 seitens des Teams noch gefordert, Tramadol zu verbieten.
Deutlich wurde wie eng der Britische Radsportverband (British Cycling) und das Team Sky personnell verwoben waren, auch UCI-Präsident Brian Cookson gehörte in diesen Dunstkreis. Für den Verband wurde die Affaire zu einem großen Problem. Neben möglichen Dopingverwicklungen und personellen Verquickungen insbesondere mit dem Team Sky wurden ihm schwere sexuelle Diskriminierungen, Mobbing und Managementfehler vorgeworfen. Reformen mussten in Angriff genommen werden.
Im November 2017 schloss UKAD die Ermittlungen zum Fall Wiggins und dem ominösen Päckchen ab. Doch da harrte bereits ein neuer Vorfall in der Pipeline: Bei Chris Froome, dem dreimaligen Tour de France-Gewinner und Vuelta-Sieger 2017, war während der Vuelta 2017 bei Dopingkontrollen ein zu hoher Salbutamol-Wert festgestellt worden. Froome gibt an, auf Anweisung des Teamarztes die Dosis des erlaubten erlaubten Asthmamittels aus gesundheitlichen Gründen erhöht zu haben, der Wert hätte aber dennoch unter dem erlaubten Grenzwert bleiben müssen. War eine Nierenfehlfunktion schuld? Die Suche nach den Ursachen bzw. nach Entschuldigungen lief im Team Sky und bei Chris Froome auf Hochtouren (SZ, 16.1.2018, NZZ, 1.7.2018). Anfang Juli 2018 wurde Chris Froome vom Dopingverdacht frei gesprochen (UCI, 2.8.2018, WADA, 2.7.2018). Doch die Glaubwürdigkeit des Teams ist erneut untergraben.
Begleitet wurde das Geschehen rund um Froome und das Tream Sky von einer breiten Diskussion um Sinn und Unsinn medizinischer Ausnahmegenehmigungen (TUE).
David Lappartient (UCI), NZZ 17.1.2018:
Der Ablauf ist klar: Froome muss seine Unschuld beweisen, sonst wird er bestraft. Warum dauert das so lange?
Weil seine Argumente eine Debatte zwischen Experten auslösen können. Froome ist kein Fahrer wie jeder andere. Er hat mehr Geld. Er kann mehr Experten aufbringen, die sich in seinem Sinne äussern. Er kann mehr entlastende Dokumente vorlegen. Wir können die Aussagen nicht einfach vom Tisch wischen. Es gilt, den Fall schnell zu lösen, aber die Rechte des Fahrers zu wahren.
Eine der zentralen Personen der Affaire ist Dr. Richard Freeman, der durch die sportrechtlichen Untersuchungen nicht belangt werden konnte. Doch das General Medical Council, oberste nationale Aufsichtsbehörde der britischen Ärzteschaft, eröffnete eine Ermittlungsverfahren, im Laufe dessen im November 2019 die beteiligten Personen gehört wurden, u.a. Shane Sutton, ehemaliger Technischer Direktor von British Cycling und Team Sky. Das Verfahren dauert an, ist aber geprägt von Widersprüchlichen Aussagen und gegenseitigen Anschuldigungen.
Dr. Richard Freeman
2011 kommt ein Päckchen mit Testosteron-Pflastern im Büro des Teams Sky in Manchester an. Gelagert wurden die Medikamente des Teams zusammen mit denen des Verbandes. Dr. Steve Peters vom Verband British Cycling, der ebenfalls hier untergebracht ist, spricht daraufhin Dr. Freeman an, der eine Fehllieferung reklamiert, er habe das Testosteron nie bestellt. Das Päckchen geht laut Peters an den Lieferanten zurück.
Ebenfalls 2011 reiste im Auftrag des Teams Sky Simon Cope, Assistent bei British Cycling, von Manchester nach Genf um Dr. Freeman ein Päckchen (‚Jiffy bag envelope‘) zu übergeben, dass angeblich für Bradley Wiggings, der gerade beim Critérium du Dauphiné auf Siegeskurs unterwegs war, zu übergeben (cyclingnews, 11.10.2016). Später wurde bekannt, dass das Päckchen Testosteronpads enthalten hatte.
Zudem soll ein weiterer Arzt des Teams Freeman daran gehindert haben, 2013 vor der Tour of Britain eine TUE für Wiggins auszustellen. Die Sache hatte keine Folgen, Teamchef Brailsford sah kein Fehlverhalten, lediglich Fehler im Ablauf. Freeman wurde zum Verbands-Chefmediziner von BC ernannt.
Während der Anhörungen/Befragungen durch den britischen Parlamentsausschuss Culture, Media and Sport Committee 2016 wurde angedeutet, dass der Inhalt des ominösen Päckchens ausreichte, um mehrere Fahrer zu versorgen. Zu Teamarzt Freeman und BC-Chefmediziner ergab sich, dass er Radsportler, Teammitglieder und Mitglieder von British Cycling mit dem in England nicht mehr zugelassenen Corticosterod Fluimucil, von dem er einen Vorrat besaß, behandelt hat. Doch die medizinischen Unterlagen fehlen sowohl bei Freeman als auch im Verband. Angeblich wurde Freemans Laptop gestohlen, aber es wurden generell auch im Verband keine Aufzeichnungen über Medikamente, die Fahrer von Ärzten erhalten haben, gemacht. Freeman selbst erschien aus Krankheitsgründen nicht vor dem Ausschuss.
Die Angelegenheit wurde sportrechtlich durch UKAD nicht weiter verfolgt, auch der Parlamentsausschuss fand keine sanktionierbaren Verstöße. Die Untersuchungen wurden eingestellt. Für Dr. Freeman ging die Sache jedoch weiter. Das General Medical Councils, oberste nationale Aufsichtsbehörde der britischen Ärzteschaft, eröffnete eine Ermittlungsverfahren zu Arzt Freemann und fand u. a. Beweise dafür, dass der Arzt tatsächlich Testosteron-Pflaster zum Zwecke der Leistungssteigerung für Team Sky und/oder den Radsportverband bestellt hatte. Der Council eröffnete ein Disziplinarverfahren, das im November/Dezember 2019 begann und Anfang Oktober 2020 fortgesetzt wurde. Schlimmstenfalls könnte der Arzt seine Approbation verlieren.
Die Ermittlungen erbrachten eine lange Liste von 22 Verstößen Freemans. Er leugnete lediglich 4 Vorwürfe, alle stehen in Zusammenhang mit der bekannt gewordenen Testosteron-Lieferung im Jahr 2011.
Die Liste mit den Vorwürfen und Freemans Eingeständnissen ist hier nachzulesen:
cyclingnews: Freeman tribunal: The full damning list of allegations, 8.11.2019
Aussagen Oktober 2020: Nach Beginn der Untersuchungen verschwand sein erster Laptop, er wurde angeblich gestohlen. Einen zweiten, der viele medizinische Informationen und Unterlagen über Sportler*innen enthielt, wurde von IKAD untersucht, ohne Befunde. Später verlangte GMC ebenfalls Zugriff für rinr Untersuchung durch einen forensischen Experten, erhielt aber einen zerschlagenen. Freeman erklärte, er habe diesen nach der Untersuchung durch UKAD mit einem Hammer zerschlagen. Erst habe er den Laptop ins Recyclingcenter geben wollen, habe dann aber gelesen, in Indien könne man die Inhalte auslesen. Das wollte er verhindern. Freeman berichtet auch, dass er vor den Parlaments-Anhörungen durch das Department for Digital, Culture, Media and Sport’s (DCMS) 2017 durch Rupert Murdoch’s Sohn James Mudoch, und dem Anwalt des Teams Sky auf sehr harte Weise dazu befragt worden sei, was er aussagen würde. Daraufhin sei er nicht mehr in der Lage gewesen, persönlich zur Anhörung zu erscheinen, er sei schwer krank geworden.
Am zweiten Tag der Anhörung gibt er zu, 2011 30 Portionen Testosteron-Gel bestellt zu haben, aber nicht zur Anwendung an Athleten. Er bleibt bei seiner früheren Aussage, Shane Sutton, Leistungsport-Direktor von British Cycling und Team Sky, sei der Auftraggeber gewesen, um seine Erektionsstörungen beheben zu wollen, was dieser aber bestreitet. Erstmals gibt er zu, nach Eingang der Lieferung im Sitz des Britischen Radsportverbands diese mit nach Hause genommen und zerstört zu haben. Der Medizinische Direktors von British Cycling Steve Peters habe von ihm verlangt, das Testosteron aus den Räumen von BC zu entfernen. Warum er es zerstörte und warum er seine Geschichte hierzu gegenüber früherer Aussagen geändert habe, könne er nicht sagen. Das der Besitz verbotener Medikamente von der WADA verboten sei, habe er nicht gewusst. Er habe Shane Sutton als Patient betrachtet. Gleichzeitig betont er, dass er mitverantwortlich sei für die Einführung von Anti-Doping-Programmen verschiedener Organisationen wie FA, European Golf, Bolton Wanderers, British Cycling. Die Annahme, er habe das Testosteron für Sportler geordert, sei eine Beleidugung. (The Guardian: Former Team Sky doctor reveals destroying banned testosterone, tribunal told , 7.10.2020)
Im August 2023 kamen Die Verfahren zu einem Ende. Dr. Richard Freeman wurden für 4 Jahre alle Tätigkeiten im Sport untersagt. Die Sperre begann 2020 mit Beginn seiner Suspendierung. Er wurde der Bestellung von Testogel im Cycling Center of Manchester im Jahr 2011 und der Lüge für schuldig befunden.
UKAD: Former British Cycling and Team Sky doctor Richard Freeman receives ban from sport for Anti-Doping Rule Violations, 15.8.2023