UV-Eigenblutbehandlungen am OSP Erfurt
Unterseiten:
der Beginn der öffentlichen Diskussion
Am 16. April 2011 berichtete Grit Hartmann im Deutschlandfunk über staatsanwaltliche Durchsuchungen von Räumen am Olympiastützpunkt (OSP) Thüringen in Erfurt und bei einem Arzt. Im Zentrum der Ermittlungen stand ein Mediziner, der vertraglich an den OSP gebunden war und überwiegend Radsportler, Leichtathleten und Eisschnellläufer betreute. Der Sprecher der Staatsanwaltschaft Hannes Grünseisen erklärte die Durchsuchungen mit dem Verdacht „unerlaubter Anwendung von Arzneimitteln zu Dopingzwecken bei Anderen“ (Verstoß gegen das Arzneimittelgesetz). Genau genommen ging es dabei um eine in der Praxis des Arztes häufig angewandte und von ihm beworbene Methode der UV-Behandlung von Eigenblut. Den Patienten wird dafür eine geringe Menge Blut, 50 ml, entnommen, mit ultraviolettem Licht bestrahlt und dann in den Körper zurück geführt. Angepriesen wird das Verfahren in der Alternativmedizin vor allem als Mittel zur Infektabwehr, aber auch gegen Krebs, Stoffwechselstörungen und einiges mehr soll es helfen.
Die Thüringer Staatsanwaltschaft war aktiv geworden, nachdem die Staatsanwaltschaft München ein Verfahren nach Thüringen abgegeben hatte,
„eines aus den Ermittlungen gegen Unbekannt „im Fall Claudia Pechstein“.
Die Staatsanwatschaft hatte lediglich den involvierten Arzt im Visier. Die betroffenen Sportler dienten als Zeugen. Hier musste die NADA einspringen und prüfen, inwieweit die Sportler/innen gegen die Antidopingbestimmungen des Sports verstoßen hatten und entsprechend sanktioniert werden müssten. Solch eine Prüfung könnte aber auch den Arzt selbst betreffen, denn der WADA-Code stellt das Handeln der Ärzte, Betreuer, Trainer u.a. ebenfalls unter Strafe.
Grit Hartmann im Blog Jens Weinreich, 16.6.2012:
Die Ermittler konsultieren die NADA. Auskunft zu diversen Methoden der UV-Aktivierung von Blut gibt eine Mitarbeiterin der Abteilung Medizin und Forschung:
„Bei der zweiten Variante wird eine größere Menge Blut (in der Regel 50 ml) durch einen Schlauch aus dem Körper heraus- und direkt in die Maschine geleitet, wo dann die Bestrahlung stattfindet. Das Blut wird im Anschluss direkt wieder in die Vene zurückgeführt. Diese Methode ist Blutdoping im Sinn der Verbotsliste (M 1 Ziff.1), und zwar unabhängig von der Menge. Die 50 ml stellen lediglich die üblicherweise entnommene Blutmenge dar.“
Die NADA-Mitarbeiterin sagt zu, dafür noch eine Stellungnahme der WADA einzuholen. Die kommt im April 2010:
„The Committee considers that any extraction + manipulation + intravenous reinjection of whole blood is prohibited.„
Die Frage, die die NADA, unabhängig von einem möglichen Straftatbestand, zu klären hatte, hieß: War diese Methode nach dem WADA/NADA-Code verboten und wenn ja ab wann?
Auf Anfrage ließ die NADA hierzu durch ihren Sprecher Berthold Mertes erklären:
„Die Nada und genauso die Antidopinglabore und die AG der Nada haben die intravenöse Rückfuhr von Eigenblut stets unter die verbotene Methode ‚Erhöhung des Sauerstofftransfers‘ gefasst, und insofern würde es sich um einen Verstoß gegen die Antidoping-Bestimmungen gehandelt haben.“
Doch Grit Hartmann spricht in diesem ersten Artikel zu dieser Affaire von einen Interpretationsspielraum. Waren die WADA-Bestimmungen möglicherweise in den Jahren vor 2011 so vage gefasst, dass das Verfahren mit den 50 Millilitern nicht als verbotene Methode durchgehen konnte?
Die Angelegenheit wurde in der Presse nicht weiter verfolgt. Im Januar 2012 griff Grit Hartmann die Sache erneut auf. Die staatsanwaltlichen Ermittlungen waren noch nicht abgeschlossen, jedoch hatte die NADA in der Zwischenzeit ein sportrechtliches Verfahren gegen eine Eisschnellläuferin eingeleitet, weitere Fälle, Radsportler betreffend, würden geprüft. Das Bundesinnenministerium bestätigte „den Verdacht auf – Zitat – „rechtswidrige Behandlung“ von Athleten „aus nicht nur einer Sportart“.“ Der Mediziner sei mittlerweile vom OSP suspendiert worden. (Grit Hartmann, dradio 11.1.2012, taz, 12.1.2012, SZ, 15.1.2012) Nun wird auch bekannt, dass es sich bei dem Arzt um Andreas Franke handelt. (FR, 15.1.2012)
DIE BETROFFENEN SPORTLER
Im Laufe der weiteren Berichterstattung wurden genauere Zahlen bekannt. Insgesamt hätten sich, soweit dokumentiert, 30 Sportler/innen im Laufe der Jahre mit UV-bestrahltem Eigenblut behandeln lassen: 14 Radsportler, je 5 Leichtathleten und Eisschnellläufer, ein Handballer und eine Ringerin. Auch Minderjährige Sportlerinnen und Sportler gehörten dazu. Der betroffene Arzt Andreas Franke selbst meinte, dass er seit 20 Jahren diese Methode zur Infektbehandlung praktiziere. Die ARD nannte erste Namen, darunter neben Ex-Läufer Nils Schumann, der bereits 2005 damit behandelt worden sei, auch Eisschnellläuferin Claudia Pechstein, Radsportler Marcel Kittel und den Jamaikanischen Leichtathlet James Beckford.
Die NADA bestätigte die Zahlen und gab bekannt, dass zwei Verfahren bereits eröffnet worden seien. Ein Verfahren betraf Eisschnellläuferin Judith Hesse, die sich selbst angezeigt hatte. Dieses Verfahren endete am 11.6.2012 mit einem Freispruch, da die Sportlerin nicht aus freien Stücken den Arzt aufgesucht und zudem mehrmals nach der Legalität der Methode gefragt hätte. Dabei handelte es sich allerdings nicht wie nach dem Urteil gelegentlich zu hören um einen Vergleich zwischen den Parteien, sondern wie Lars Mortsiefer (NADA) klarstellte, um einem „„Schiedsspruch mit vereinbartem Wortlaut“ beendet worden sei. (Dt. Bundestag, 27.6.2012)
Das zweite Verfahren betraf Bahnradfahrer Jakob Steigmiller. Der Fahrer wurde Anfang September vom deutschen Sportschiedsgericht frei gesprochen. Es habe sich zwar bei der Behandlung eindeutig um einen Dopingverstoß gehandelt, doch den Fahrer treffe kein Verschulden, da der renommierte Arzt des Olympiastützpunktes behauptet hatte, die Methode sei legal (NADA, 6.9.2012). Zugrunde gelegt wurden Behandlungen bei Franke im Jahr 2011, die Steigmiller auch öffentlich zugegeben hatte (s. links im Kästchen). Doch Grit Hartmann hielt im September fest:
„Nach Aktenlage wurde Steigmiller schon im Jahr 2010 dreimal mit der dubiosen Methode behandelt, Die Nada brachte diesen Umstand gar nicht erst zur Anklage – der erlaubt nun aber erhebliche Zweifel daran, ob der Athlet im Folgejahr wirklich so intensiv nachgefragt hat, wie es der Schiedsspruch glauben machen will.“ (FR, 17.9.2012)
Kittels Radteam Project 1t4i reagierte und nannte „um Kittel zu entlasten“ zwei ebenfalls von Franke behandelte Kollegen des Fahrers, wobei nur Patrick Gretsch sich der diskutierten Methode unterzogen habe (spox.com, 30.1.2012).
Patrick Gretsch hatte zwischen 2007 und 2010 insgesamt 27 Behandlungen bekommen, Judith Hesse und Jakob Steigmiller waren lediglich 2011 betroffen. Am 3.2. 2012 wird bekannt, dass die NADA für Steigmiller einen Sperre von einem Jahr forderte (spiegel-online, 3.2.2012).
Ein drittes Verfahren hatte die NADA eingestellt. Grit Hartmann/Jens Weinreich frugen nach und erhielten folgende Antwort:
„Im Fall eines Sportlers hat die NADA das Ergebnismanagement durchgeführt, aber kein Disziplinarverfahren eingeleitet.
Der Sportler hat glaubhaft gemacht, dass er in den von der NADA vorgehaltenen Zeiträumen nicht in der Praxis von Herrn Franke war und auch keine UV-Behandlung des Blutes erhalten hat – belegt mit einem ärztlichen Attest. … “ (Jens Weinreich, 19.3.2012).
DR. ANDREAS FRANKE
Dr. Franke bestand darauf, dass er die Methode der UV-Bestrahlung des Blutes lediglich zur Infektbehandlung eingesetzt habe und zwar bereits seit 20 Jahren. Ein leistungssteigernder Effekt sei weder bewiesen noch beabsichtigt gewesen. Zudem wurde ihm dies auf dem Anti-Doping-Seminar des DOSB am 26. November 2011 in Oberursel entsprechend bestätigt. Der DOSB stellte hierzu schnell klar:
„Am 26. November 2011 gab es kein Anti-Doping-Seminar des DOSB, allerdings am 26. November 2010. Bei dieser Veranstaltung wurde die WADA-Verbotsliste 2011 durch Herrn Prof. Kindermann vorgestellt und ausdrücklich darauf hingewiesen, dass ab 1. Januar 2011 Manipulationen von Eigenblut – Abnahme, Behandlung und Rückführung – verboten sind.“ „Auf Nachfrage wurde bestätigt, dass darunter auch die UV-Bestrahlung fällt. Ob damit eine Leistungssteigerung verbunden ist oder nicht, ist nicht von Belang“. (sport1, 16.1.2012)
Diese DOSB-Aussage scheint jedoch falsch zu sein, wie Thomas Kistner am 10.10.2012 veröffentlichte. Danach habe Prof. Kindermann nichts zu dieser Methode gesagt.
„Über UV-Bestrahlung habe er 2010 nicht gesprochen, die Methode habe er da noch gar nicht gekannt. … Der Sportdachverband erklärt, dass „ein Fallbeispiel und ausdrücklich die UV-Bestrahlung des Blutes“ nicht bei der Tagung 2010 erörtert worden seien, sondern erst beim Ärzte-Treffen im Jahr darauf. Trotzdem habe Kindermann in Oberursel verdeutlicht, dass ab Anfang 2011 Eigenblutmanipulation verboten sei.“ (dradio, 10.10.2012)
Franke wird auch zitiert mit der Aussage,
„er sei „nicht darauf gekommen, dass diese Infektionsbehandlung dopingrelevant sein, geschweige denn irgendwann einmal als dopingrelevant eingestuft werden könnte“ …. Diese Methode deshalb mit Doping oder gar ’Blutdoping’ in Zusammenhang zu bringen sei „absurd“.“ (die Welt, 17.1.2012)
Der Arzt musste und muss sich fragen lassen, warum er als Arzt eines Olympiastützpunktes das Antidopingreglement nicht kennt. Eine Frage allerdings, die sich auch andere Verantwortliche des Stützpunktes gefallen lassen müssen. Zudem legen auch Erklärungen des DOSB und von Prokop (DLV) nahe, dass ihm die Dopingproblematik nicht fremd gewesen sein dürfte. Zudem sollte er von der Einstufung der NADA gewusst haben, wenn die Ausführungen Neuderts, Leiter des OSP stimmen, wonach die Methode aufgrund der NADA-Vorbehalte nicht mehr direkt vom OSP bezahlt wurde und wonach Neudert erst 2012 erfahren haben will, dass die Therapien dennoch, wenn auch nicht explizit, vom OSP übernommen wurden.
Franke betonte stets, dass er zum Zwecke der Infektbehandlung den Sportlern stets einmalige Behandlungen angedeien ließ, keinesfalls mehrere in Folge, wie es für eine eventuelle Leistungssteigerung nötig sei. Genauere Zahlen liegen jedoch nicht öffentlich vor. Lediglich zu Radprofi Patrick Gretsch ist bekannt (s. o.), dass er zwischen 2007 und 2010 mit 27 „UVB“ aufgeführt ist (Berliner Zeitung, 3.2.2012). Grit Hartmann und Jens Weinreich rechneten weiter aus:
„zwischen 2005 und 2008 flossen rund 7000 Euro Steuergeld in die Blut-Fürsorge, im Durchschnitt 1750 Euro pro Jahr. Eine UVB kostet maximal 40 Euro. Ergo dürfte Franke durchschnittlich pro Jahr rund 45 Blutbestrahlungen verabreicht haben, eher mehr. Diese Zahl liegt deutlich höher als die bisher bekannten. Vergleicht man das mit den Gesamthonoraren für Franke in den Jahren, als er pauschal, ohne den Vermerk “UVB” abrechnete (2009: 7500 und 2010: 6600 Euro), dann lag überdies ein bemerkenswert hoher Anteil seiner medizinischen Betreuung für Höchstleister im Blut-Service.“
Franke wehrte sich auch gerichtlich. Dem WDR wurde per einstweiliger Verfügung vom Landgericht Köln Anfang März 2012 untersagt
„in Bezug auf den Antragsteller zu behaupten, behaupten zu lassen, zu verbreiten oder verbreiten zu lassen, er habe ´verbotene Blutbehandlungen´ durchgeführt, die bis 2005 zurückreichen und … 28 Athleten betreffen.“ (sid, 1.3.2012).
Die einstweilige Verfügung wurde im Juni bestätigt (sid, 11.6.2012). Allerdings urteilte das Oberlandesgerichts Köln am 27.11.2012 zugunsten der Journalisten.
„Der Anwalt des Mediziners zog seinen Antrag zurück, nachdem der Senat des OLG in der mündlichen Verhandlung klar hatte erkennen lassen, dass die in Rede stehende Berichterstattung in der ARD-Sportschau im Januar vom Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt war. Demnach stelle die Formulierung, der Mediziner habe „verbotene Blutbehandlungen“ durchgeführt, die „bis 2005 zurück reichen“ und „28 Athleten“ betreffen, wie sie in der Sendung erfolgte, eine zulässige Bewertung dar.“ (WDR, 27.11.2012)
Anwaltlich vertreten wurde Andreas Franke durch die Sozietät Spilker in Erfurt. Heinz-Jochen Spilker war selbst als Trainer in Westdeutschland in eine Dopingaffaire verwickelt und wurde wegen Arzneimittelmissbrauch verurteilt. (doping-archiv.de: Trainer Spilker und Kinzel – das Hammer-Modell)
Die Deutsche Gesellschaft für Sportmedizin und Prävention (DGSP) ließ am 27.5.2012 über seinen Präsidenten Herbert Löllgen verlauten, dass Frankes Ausschluss aus dem Sportärztebund beantragt worden sei.
„Wir sind eindeutig der Meinung, dass eine solche Blutmanipulation schon seit 2005 oder 2006 gegen die WADA-Regeln verstößt.“ (dradio, 27.5.2012).
Eine ausführliche Stellungnahme war in der Dt. Zeitschrift f. Sportmedizin, Jg. 63, Nr. 3 vorgelegt worden (s. u.). Ulf Schlegelmilch, Vorsitzender des für einen Ausschluss zuständigen Thüringer Sportärztebund sah hierfür allerdings bislang keinen Anlass. Am 24.6.2012 erklärte er im Deutschlandfunk, da kein juristisches Urteil gegen Arzt Franke vorläge und man mit mit solche einem ‚Rausschmiss‘ die Sportler ‚in den Focus‘ brächte, aber im Sportbund wolle man ‚keinesfalls vorverurteilte Sportler‘ haben. (DLF, 24.6.2012)
Am 16.6.2012 veröffentlichen sowohl Grit Hartmann als auch Hajo Seppelt nach Akteneinsicht, dass Andreas Franke entgegen den bislang vorliegenden öffentlich bekannten Angaben nicht mit 50ml Blut sondern mit 60ml gearbeitet hatte.
„Bezüglich der Küvetten kann gesagt werden, dass der Herr Franke 60 ml Küvetten vorgelegt hat, während der Hersteller Eumatron 50 ml Küvetten empfiehlt. Herr Franke gab vor Ort an, dass es sich bei den vorgelegten Küvetten um die standardmäßig gelieferten und verwendeten handelt.“ (Jens Weinreich, 16.6.2012, dradio, 16.6.2012)
DIE NADA
Das Verhalten, bzw. die Arbeit der Nationalen Antidoping-Agentur (NADA) geriet schnell in die Kritik. Warum hatte sich innerhalb eines Jahres, nach Beginn der Ermittlungen Anfang 2011 bis 2012 so wenig in der Angelegenheit getan? Wurde absichtlich verschleppt, nicht nachdrücklich genug ermittelt? Gab es von verschiedenen Seiten wie Verbänden oder aus der Politik Druck, sollte die Angelegenheit herunter gespielt werden?
Die NADA erklärte hierzu, dass sie erst einmal den Abschluss der behördlichen Ermittlungen abwarten müsse deren Ausgangspunkt das „rechtsgültige Urteil des Internationalen Sportgerichtshofes CAS vom 25. November 2009 im Dopingfall Pechstein“ gewesen war. Danach hätte die Schwerpunktstaatsanwaltschaft München I Ermittlungen aufgenommen und später nach Erfurt übergeben. Seitdem arbeite die NADA mit der Staatsanwaltschaft zusammen und treibe die
„Aufklärung möglicher Dopingverstöße in diesem Zusammenhang so intensiv und schnell voran, wie es ihr juristisch möglich ist. Am 2. Mai 2011 stellte die NADA bei der Staatsanwaltschaft den ersten Antrag auf Akteneinsicht, am 4. Juli 2011 erhielt sie erstmals Akteneinsicht. Aus den Informationen, die der NADA zwischenzeitlich zur Kenntnis gelangten, sowie aus der Selbstanzeige einer Eisschnellläuferin resultierten die beiden genannten Verfahren, die bei der DIS anhängig sind. Das erste Verfahren läuft seit August 2011.“
„Wichtig ist, die behördlichen Ermittlungen zum Abschluss kommen zu lassen, um diese dann sportgerichtlich verwerten zu können“, sagt NADA-Vorstandsmitglied und Chefjustiziar Dr. Lars Mortsiefer.“
Die NADA habe bei der Staatsanwaltschaft einen Antrag auf Einsicht in Unterlagen zur sportrechtlichen Verwertung gestellt. (NADA, 30.1.2012) Dies wäre dann wie im Zitat erwähnt die zweite Einsichtnahme. Grit Hartmann veröffentlichte den Brief, den NADA-Justitiar Mortsiefer im Juli 2011 an die Staatsanwaltschaft schrieb. Daraus wird klar, dass alle 30 Betroffenen Sportler zu diesem Zitpunkt der NADA bekannt waren. Mortsiefer erwähnt die Probleme, die solch eine große Zahl an Verfahren für die Agentur mitbringen würden und bittet die Staatsanwaltschaft um Unterstützung (Brief Mortsiefer an Staatsanwaltschaft Erfurt, 25.7.2011, Jens Weinreich, der Fall Erfurt…).
Theoretisch könnte die NADA durchaus auch vor Abschluss der staatsanwaltlichen Ermittlungen neben den beiden eröffneten Verfahren tätig werden, allerdings benötigt sie hierzu umfassende Informationen über die infrage stehenden Dopingverstöße. Wahrscheinlich lagen der Agentur hierzu nicht genügend Informationen vor. Eigene Ermittlungen wären im Verdachtsfall durchaus möglich, würden jedoch große Arbeitsleistungen mit hohen Kosten zusätzlich zu den bestehenden Aufgaben erfordern. Manches sprach aber auch dafür, dass die NADA sich aufgrund der hohen Zahl zu erwartender Fälle auf die sichere Seite begeben wollte. Bei den beiden eröffneten Fällen scheint dies leicht gewesen zu sein, da beide erst 2011 bestrahltes Blut erhalten hatten. Für dieses Jahr hat bislang kaum jemand Zweifel am Verbot der Therapie geäußert.
Das Verhalten bzw. die Einschätzung der NADA während der vergangenen Jahre wirft jedoch Fragen auf.
Klassifizierte sie die UV-Eigenblut-Therapie schon ab 2004 als verboten oder sah sie bis 2011 einen Spielraum in der Definition?
In der ersten Veröffentlichung zu der Affaire 2011 von Grit Hartmann im Deutschlandfunk (s. o.) klingt es so, als wäre der NADA nicht ganz klar, wie die Methode einzuordnen sei. Am 30.1.2012 heißt es von Seiten der NADA:
„Wir haben 2010 von der Wada klargestellt bekommen, dass Eigenblutbehandlung rückwirkend seit Jahren verboten ist“, sagte Nada-Vorstand Lars Mortsiefer der SZ. In allen 30 Fällen drohten Sperren: „Alle befinden sich in einem Zeitrahmen von etwa sieben Jahren und sind nicht verjährt.“ (SZ, 30.1.2012)
Die Zweifel an einer eindeutigen Interpretation der Agentur wurden genährt durch den OSP Thüringen. Bernd Neudert, Leiter des OSP, erklärte, dass er sich 2007 mit einem Brief an die NADA gewandt hätte, in dem er „haarklein“ über die UV-Bluttherapie berichtet habe und wissen wollte, ob diese Methode verboten sei oder nicht. Er habe aber daraufhin keine klare Antwort erhalten. Der Geschäftsführer des Landessportbundes Thüringen Beilschmidt bestätigte dies:
„Doch die Nada-formulierung war sehr schwammig. Sie ließ mehrere Interpretationen zu. Ergo: Wäre dies damals eindeutig geklärt worden und hätten beide Seiten mit mehr Nachdruck gehandelt, wäre Thüringen die wohl heikelste Sport-Affäre der Nachwendezeit erspart geblieben.“
Die NADA hielt darauf angesprochen jedoch fest, dass sie in ihrer schnell erfolgten Antwort darauf hingewiesen habe, dass sie „sich immer strikt gegen eine Eigenblut-Behandlung ausgesprochen“ habe (Thüringer Allgemeine, 1.2.2012, siehe hierzu auch die Stellungnahme des OSP für die Sitzung des Sportausschusses im März 2012 weiter unten).
Unklarheiten über den Verbotsstatus der UV-Methode legten auch zwei von Claudia Pechstein veröffentlichte Mails nahe, die sie an die Staatsanwaltschaft weiter gegeben hatte, wonach die WADA gegenüber der NADA keine klare Aussage gemacht habe in dem Sinne, dass jegliche Blutentnahme mit Rückführung ein Dopingvergehen sei. Es schien so, als ob nun bei Behandlungen von Blutmengen kleiner gleich 50ml seitens der WADA grünes Licht gegeben worden sei (Claudia Pechstein, 4.2.2012). Die NADA reagierte umgehend und stellte fest, dass die beiden Mails keinesfalls den gesamten Verlauf der Diskussion wiedergeben könnten und die Staatsanwaltschaft meinte, dass sie längst den kompletten Emailverkehr von der NADA erhalten habe.
Schon seit 2007 gebe es zu dieser Thematik „immer wieder Korrespondenz“ zwischen NADA und der Welt-Anti-Doping-Agentur WADA, hatte die NADA-Vorstandsvorsitzende Andreas Gotzmann erklärt: „Daraus geht nach unserer Auffassung hervor: Schon vor dem 1. Januar 2011 war die Bestrahlung und Rückführung von 50 Milliliter Vollblut verboten.“ (sid, 7.2.2012).
Untermauert wird die Sicht der NADA durch einen Brief den Lars Mortsiefer am 6.5.2011 an die Deutsche Eisschnelllauf-Gemeinschaft geschrieben hatte. Darin schildert er den Mailverkehr und stellt fest, dass es sich bei der UV-Eigenblutmethode nach Auskunft der WADA bereits 2010 um eine verbotene Methode gehandelt habe (Brief Mortsiefer an DESG, 6.5.2011).
Anfang Februar 2012 kam über die Medien eine Bestätigung des langjährigen Verbotes durch WADA-Generaldirektor David Howman ( s.u. dradio, 7.2.2012).
Eine eingeforderte Expertise der WADA war zu diesem Zeitpunkt versprochen, stand aber noch aus.
Im März 2012 erklärte die NADA dann offiziell, dass sie an weiteren Verfahrenseinleitungen arbeite.
„Wir sind der Auffassung, dass in Erfurt eine verbotene Methode angewendet wurde. Sonst hätten wir ja keine Verfahren eingeleitet“, sagte NADA-Chefjustiziar Dr. Lars Mortsiefer: „Dennoch kann zum jetzigen Zeitpunkt nach wie vor niemand mit 100-prozentiger Sicherheit sagen, dass es sich um einen Dopingfall handelt.“ Als Verfahrenspartei müsse die NADA Beweise vorbringen. „Daran arbeiten wir“, so Vorstandsmitglied Mortsiefer: „Entscheiden wird aber das Deutsche Sportschiedsgericht.“ Zur rechtlichen Einordnung der angewendeten Methode hat die NADA ein Gutachten bei einem Sportrechtsexperten in Auftrag gegeben. Die Fertigstellung wird Ende Mai erwartet. (NADA, 22.3.2012)
Dass die NADA ein rechtliches Gutachten in Auftrag gegeben hat, beauftragt wurde Prof. Heiko Striegel, lässt vermuten, dass sie sich auf die sichere Seite begeben wollte bzw. musste. Sollten rechtliche Zweifel am langjährigen Verbot bestehen, könnte das bedeuten, dass Sportler, die in einem Sportrechtsverfahren verurteilt werden, gute Chancen in der Revision hätten. Auf die NADA würden dadurch finanzielle Lasten zukommen, die sie unmöglich stemmen könnte.
Schon die Durchführung von 30 neuen Verfahren bringt die Agentur an die Grenze des Möglichen. Daniel Drepper nennt hierfür eine Spanne von 750.000 bis 1,3 Millionen EURO, die die NADA aufbringen müsste (Daniel Drepper, 21.3.2012) Angesichts der existierenden klammen finanziellen Ausstattung eine schwere Hypothek. Abhilfe scheint schwierig. Am 29. März 2012 gab die CDU/CSU-Bundestagsfraktion zwar bekannt, die Regierung stelle 2 Mio € Bundesmittel für die NADA in Aussicht sofern die Länder, die Wirtschaft und der Sport jeweils eine Million Euro zusätzlich geben, damit würden 5 Mio zusammen kommen (CDU/CSU, 29.3.2012). Angeblich sei auch ein Bundesland bereit sich finanzielle zu beteiligen (sid, 28.3.2012). Kürzlich gemachte Äußerungen des Vorsitzenden der Sponsorenvereinigung S20 Stephan Althof (Telekom) lassen allerdings Zweifel an dem Erfolg dieses Vorschlags aufkommen (dradio, 3.3.2012).
Am 28. April 2012 gab die NADA bekannt, ihr läge nun die von der WADA eingeforderte Expertise zur Einstufung der Methode vor: Danach sei die Methode vor 2011 nicht verboten gewesen.
„Aus dem WADA-Schreiben vom 26. April 2012 geht hervor, dass die Methode erst durch einen damals neu aufgenommenen Paragrafen (M2.3) als verboten einzustufen ist. Diese Frage war bislang nicht beantwortet. Sie spielt eine Rolle bei der Beurteilung der Behandlungen durch einen Erfurter Mediziner, der über mehrere Jahre Blut von Athletinnen und Athleten des Olympiastützpunkts Thüringen mit UV-Licht bestrahlt hat.
Zu ihrer finalen Einschätzung kam die WADA, indem sie eine Vielzahl von Dokumenten und Informationen auswertete sowie externe Expertise zur Beurteilung der UVB-Methode einbezog. Zu Rate gezogen wurden alle Gremien der WADA. Für die NADA ist diese Aussage der WADA richtungsweisend.“ (NADA, 27.4.2012)
Wie sich schnell herausstellte, waren jedoch entgegen der NADA-Meldungen bei weitem nicht alle Gremien in die Beurteilung einbezogen gewesen. Z. B. wusste Arne Ljungkvist, Vorsitzender des WADA-Komitees für Gesundheit, Medizin und Forschung, sowie auch WADA-Vizepräsident von nichts. Demgegenüber hatte die NADA bereits am 16. April dem DLV mitgeteilt, dass ihrer Meinung nach keine Voraussetzungen für die Einleitung von Verfahren vorlägen (sid, 30.4.2012).
Im Mai soll eine weitere WADA-Stellungnahme mit gleichem Tenor vorgelegt worden sein.
Am 22.5.2012 berichtete Hajo Seppelt im Deutschlandfunk, dass Heiko Striegel in seiner Expertise, die noch nicht offiziell vorlag, zu dem Schluss kommt, die Methode sei seit 2006 verboten. Und Davis Howman, WADA, erklärte in Interviews mit Grit Hartmann und Hajo Seppelt Anfang Juni, dass die bisher vorliegende WADA-Expertise Makulatur sei, da der WADA unvollständige Unterlagen vorgelegen hätten. Er sagt deutlich, die Methode sei sehr wohl mit dem ersten WADA-Code verboten gewesen (die Zeit, 4.6.2012, sportschau.de, 4.6.2012). Das vollständige Striegel-Gutachten lag der NADA dann am 11.6.2012 vor.
… zu den weiteren Entwicklungen siehe unten.
UV-BESTRAHLUNG DES BLUTES – EINE BEKANNTE DOPING-METHODE
Die UV-Bestrahlung von Eigenblut ist keine neue Methode. Grit Hartmann wies in der aktuellen Diskussion zuerst daraufhin, dass diese Methode in der DDR in Zusammenhang mit einer möglichen Leistungssteigerung getestet und angewendet worden war.
„Im März 1983 etwa berichtete Manfred Höppner, der Drahtzieher des ostdeutschen Staatsdopings, in Schwerin, Kreischa und bei der Sportvereinigung Dynamo, dass „in den vergangenen zwei Jahren Untersuchungen zur Ultraviolett-Bestrahlung des Blutes durchgeführt und teilweise an Aktiven erprobt“ wurden. Die Experimente mündeten in die Anordnung, „die Untersuchungen nunmehr offiziell fortzusetzen“. Höppner alias IM „Technik“ informierte die Staatssicherheit auch über den Beifall der Genossen Funktionäre: Ihnen gelte die Blutpraxis als „Wunderwaffe für die Spiele“. Höppner hielt das für voreilig, merkte aber an, „in der Humanmedizin“ diene sie „zur prophylaktischen Behandlung von Infekten“ und „zur Sauerstoffanreicherung“. …
So zitiert der Autor Thomas Purschke in seinem Buch „Staatsplan Sieg“ (2004) die Information eines Suhler MfS-Offiziers an die Berliner Zentrale: Nach „Instruktion“ von Sportärzten seien ab 1. Mai 1983 an „ausgewählten Olympiakandidaten Eigenblut-Transfusionen in folgendem Rhythmus vorgenommen (…)“ worden. Langläufern und Biathleten zapfte man in Kuren bis zu einem halben Liter Blut ab und führte es nach UV-Bestrahlung zurück. Athleten bestätigten, dass sie der „Therapie“ bis zum Ende der DDR ausgesetzt waren.“ (Grit Hartmann, 21.1.2012)
Einige Jahre später verursachte diese Blutmanipulation einen handfesten Skandal. Nach den Olympischen Spielen 2002 geriet der Österreichische Skisport in große Nöte, als Langlauftrainer Walter Mayer mit dieser Eigenblutmanipulation aufflog und das IOC gegen ihn und betroffene Sportler Sanktionen aussprach.
Der Verdacht liegt nahe, dass sowohl in der Österreich-Causa als auch im Falle Frankes die alte DDR-Tradition wieder aufleben konnte, denn zum einen fanden etliche in das DDR-Dopingsystem verstrickte Trainer und Ärzte nach der Wende eine Zuflucht im Alpenland und andererseits war Andreas Franke bereits in der DDR Arzt und teilte später jahrelang seine Praxis mit dem ehemaligen Schwimm-Verbandsarzt Horst Tausch. (S.a. Thomas Purschke, Fragwürdige Strukturen in Erfurt, 4.2.2012)
DOPING ODER NICHT DOPING?
Die Frage nach dem Verbotsstatus der Methode war von Beginn an zentral für die Diskussion der Affaire. Relativ schnell galt als zweifelsfrei, dass der ab dem 1.1.2011 gültige WADA/NADA-Code eindeutig jegliche Manipulation, jegliche Entnahme und Wiederzuführung von Blut verbot. Die Ausführungen im Code waren im Vergleich zu den früheren Jahren deutlich präzisiert worden. Doch wie waren die früheren Formulierungen zu werten?
In der ersten Veröffentlichung zu der Affaire 2011 von Grit Hartmann im Deutschlandfunk (s. o.) klingt es so, als wäre auch der NADA nicht ganz klar, wie die Methode einzuordnen sei. Am 30.1.2012 heißt es von Seiten der NADA:
„Wir haben 2010 von der Wada klargestellt bekommen, dass Eigenblutbehandlung rückwirkend seit Jahren verboten ist“, sagte Nada-Vorstand Lars Mortsiefer der SZ. In allen 30 Fällen drohten Sperren: „Alle befinden sich in einem Zeitrahmen von etwa sieben Jahren und sind nicht verjährt.“
Von Seiten der Verantwortlichen, Arzt, Funktionäre des OSP und Sportlern aber auch, wie sich später herausstellte, von Seiten einiger Politiker, hier auch des BMI mit Unterstützung von Gutachtern, wurde und wird versucht, die Bestimmungen dahingehend auszulegen, dass die Methode mitnichten ab 2005 verboten war. Es wird aber aus verschiedenen Äußerungen von Betroffenen deutlich, dass sie zumindest Zweifel hatten.
Recht eindeutig in Richtung Doping zeigt jedenfalls folgendes Zitat:
„Auch ein aufgezeichnetes Telefonat, schon von den Münchnern zu den Akten gegeben, entlarvt angeblich diesen Sportler: In dem empfiehlt er die Spezialität des Erfurter Doktors einem anderen Athleten. Der äußert Bedenken, fragt, ob das nicht Doping sei. Antwort des Tippgebers: UV-Bestrahlung sei doch nicht nachweisbar. Eindeutiger kann ein Höchstleister kaum formulieren, dass er dopt und sich dessen bewusst ist.“ (FR, 15.1.2012)
Wie später bekannt wird, soll es sich um Claudia Pechstein handeln, die in diesem Gespräch die Methode empfohlen hat (FR, 12.4.2012).
Zweifel hatte offensichtlich auch der OSP, der 2007 bei der NADA nach der Einstufung der Methode nachgefragt hatte (s. o.). Warum der OSP sich durch die Einordnung der NADA als verbotenen Methode, selbst wenn diese Einordnung unklar war, an der Akzeptanz festhielt und deren Anwendung weiterhin finanzierte, bleibt vom OSP noch zu begründen.
In der Diskussion um die Zulässigkeit der Therapie nach den WADA-Bestimmungen, ging es um Details wie die Blutmenge – waren 50ml schon verboten? – um Begriffsbestimmungen wie Infusion, Injektion, Refundierung, um die Definition verbotener Substanzen und auch darum welche Bedeutung das Verfahren um die österreichischen Skisportler und Trainer Walter Mayer und das damit in Verbindung stehende CAS-Urteil vom 20.3.2003 einschließlich der verschiedenen CAS-Folgeurteile nach den Winterspielen in Turin 2006 für die Erfurter Geschichte haben oder haben könnten. (taz, 8.2.2012). Diese Parallele zu der Erfurt-Causa wurde im März 2012 von Sportrechtler Georg Engelbrecht in einer Expertise bestätigt (s.u.).
Kritisiert wurde immer wieder die NADA. Ließ deren Haltung nicht Zweifel an der Aussage zu, wonach das Verfahren kein Blutdoping sein und damit erlaubt (s. o.) ? Das änderte sich auch wenig, nachdem WADA-Generaldirektor David Howman das generelle Verbot auf Nachfrage des Deutschlandfunks und der Süddeutschen Zeitung bestätigt hatte:
„Es ist eine verbotene Methode, und seit Jahren auf der Verbotsliste. Man hat zwar die Definition präzisiert, sagen wir, dass wir mehr Klarheit geschaffen haben. Aber diese Methode war nie erlaubt. Blutdoping war niemals erlaubt.“ (dradio, 7.2.2012)
SZ: Die UV-Behandlung wurde schon im DDR-Dopingsystem eingesetzt. 2002 bei Winter-Olympia in Salt Lake City spielten in der Blutbeutel-Affäre um österreichische Langläufer UV-Geräte eine Rolle. Warum trotzdem erst 2011 das explizite Verbot?
Howman: Weil die Wissenschaft fortgeschritten ist und deshalb manchmal neue Klassifizierungen hinukommen. Eine Art zusätzliche Absicherung. Die Regel wurde neu klassifiziert, wie jedes Gesetz verändert wird, wenn es durch neue Fakten erforderlich ist. Aber nochmal: Es war schon lange verboten. Die Sache ist 2011 nur präzisiert worden. (SZ, 9.2.2012)
Zeitgleich hatte bereits Sportmediziner Prof. Jürgen Steinacker, Mitglied im Health, Medical & Research-Komitee der WADA dargelegt, dass und warum die Behandlung immer schon verboten gewesen war (sportschau.de, 5.2.2012, dradio, 5.2.2012).
In der öffentlichen Diskussion wurde immer wieder die Frage nach dem Leistungsteigerungs-Potential der UV-Eigenblut-Methode aufgeworfen. Auch Andreas Franke argumentierte damit. Es gäbe keine Leistungssteigerung, schon garnicht bei einmaligen oder wenigen Anwendungen. Für die Aufnahme in den WADA-Code ist dieser eine Punkt jedoch nur relevant in Verbindung mit anderen Kriterien.
(1.) Die Substanz oder die Methode führt zu einer wissenschaftlich nachgewiesenen Leistungssteigerung,
(2.) die Einnahme einer Substanz bedeutet ein wissenschaftlich nachgewiesenes Gesundheitsrisiko für den Sportler, und
(3.) der Gebrauch einer Methode oder die Einnahme einer Substanz ist ethisch nicht vertretbar («violates the spirit of sports»).
Gemäss dem Code müssen 2 dieser 3 Kriterien erfüllt sein, damit eine Substanz auf die Doping-Liste kommen kann. Daraus kann man ableiten, dass eine nachgewiesene Leistungssteigerung nicht nötig ist, damit eine Substanz auf die Doping-Liste kommt. Ethische Bedenken und ein mögliches Gesundheitsrisiko genügen, um eine Substanz zu verbieten. (Schweiz Med Forum 2012;12(8):165–169)
Fritz Sörgel weist z. B. daraufhin, dass auch ein leistungssteigernder Effekt durch die heute verbreiteten Anwendungen von Mikrodosen verschiedenster Mittel wissenschaftlich nicht bewiesen ist. (Anmerkung: Selbst hohe Dosen mancher Substanzen sind nicht eindeutig als leistungssteigernd nachgewiesen.)
Sörgel schließt jedoch die Möglichkeit nicht aus, dass bei mehrmaliger, häufiger Anwendung, auch vor und während Wettkämpfen, die Blutviskosität und Blutfluidität erhöht wird oder gar der Sauerstoffhaushalt des Blutes verbessert wird.
Sörgel führt einen weiteren Punkt an. Danach ist es möglich, dem entnommenen Blut, auch kleinsten Dosen, andere Substanzen zu zusetzen. Er schließt im Sport entsprechende Behandlungen nicht aus.
Neben der Einschätzung des Verbotstatbestands wurden von den beiden Experten Verdachtsmomente geäußert. Mike Morgen, Sportrechtsanwalt, und Fritz Sörgel stellten die Frage nach der Einhaltung der Meldepflicht von Medikamenten und Therapien.
Morgen hält fest: „Das Schwierige für jedermann in einer solchen Situation ist folgendes: Wenn ein Athlet von einem Arzt Blut injiziert bekommt, warum hat es dann, wenn es angeblich eine Infektionserkrankung gab, keine medizinische Ausnahmegenehmigung gegeben, wie sie erforderlich wäre? Das ist schwer zu verstehen! Das Problem ist also: Wenn man sich um solche Ausnahmegenehmigungen nicht bemüht hat, dann ist nachzuvollziehen, dass da ein Verdacht aufkommen muss. Wenn es sich dann auch noch um Ausdauersportarten handelt, bei denen eine große Lungenkapazität benötigt wird, dann kann ich erst recht nicht verstehen, warum Sportler nicht wissen sollen, dass eine solche Behandlung zu Schwierigkeiten führen könnte.“ (dradio, 18.3.2012)
Sörgel formuliert dies in einem Interview mit der FR, 23.3.2012 wie folgt:
Das stärkste Argument ist für mich, dass die UV-Bestrahlung auf dem Formular notiert werden müsste, das die Athleten bei einer Dopingkontrolle ausfüllen. Da schreiben die ja auch sonst alles drauf, bis hin zur kleinsten Kalzium- oder Magnesium-Tablette.
Das haben sie nicht getan?
Erstaunlich, nicht wahr? Da öffnet jemand meine Blutbahn, entnimmt Blut, bestrahlt es und infundiert es zurück – und ich halte das für nicht so wichtig. Für eine solche medizinische Methode müssen sie übrigens eine Ausnahmegenehmigung beantragen. Auf diesem Punkt ist Herr Gienger herumgeritten.
Bekannt wurde bislang nicht, dass ein Athlet oder eine Athletin die Behandlung bei Dopingkontrollen in den entsprechenden Fragebögen angegeben oder eine medizinische Ausnahmegenehmigung beantragt hätte. Es könnte allerdings sein, dass die Formulare keine Frage nach Methoden vorsehen. Die Betrachtung der Beispielvideos legt diese Vermutung nahe, darin wird nur nach Medikamenten und Nahrungsergänzungsmitteln gefragt (NADA, Videos). Auch das TUE-Formular spricht nur von Medikamenten (NADA, Antrag). Grit Hartmann stellte jedoch fest, dass auf den Kontrollbögen für Bluttests seit 2005 nach „jeglicher Bluttransfusion im Sechsmonatszeitraum vor dem Test“ gefragt wird (Berliner Zeitung, 11.7.2012).
Einige Zitate zur Einordnung der Methode als verboten:
Martin Bidlingmaier, Mitglied des List-Komitees der WADA:
„Aus der Tatsache, dass der Paragraph präzisiert wurde, nicht rückwirkend schließen kann, dass vorher diese Blutmanipulationen erlaubt waren. Es ging vielmehr darum, einfach nochmal wirklich unmissverständlich für alle klarzustellen, dass da kein Interpretationsspielraum besteht das Blutmanipulationen – egal mit welcher Menge – verboten sind.“ (dradio, 26.2.2012)
David Cowan, Chef des offiziellen Olympischen Kontrolllabors:
„Nach Olympia 1984 in Los Angeles, als US-Radfahrer zugaben, sich Blut zugeführt zu haben, hat das IOC Bluttransfusionen verboten. Seit langer Zeit ist es nun verboten, Blut in den Körper einzuführen, auch nach dem WADA-Code. Dabei kommt es nicht auf die Menge an.“ (dradio, 18.3.2012)
Perikles Simon, Sportmediziner in Mainz, Mitglied der Expertengruppe Gendoping der WADA:
„Die Bestrahlung von Blut mit UV-Licht ist allerdings eindeutig Doping“, sagte Professor Perikles Simon, der Leiter der Sportmedizin in Mainz. Selbst wenn die leistungssteigernde Wirkung nicht nachgewiesen sei, so handle es sich doch in jedem Fall „um eine ethisch bedenkliche Methode, die eindeutig gegen die guten Sitten im Sport verstößt“. Zudem, so Simon, könne die Manipulation von Blut die Gesundheit schädigen. „Der Sportler riskiert, sich eine Infektion einzuhandeln.“ Drittens könne die UV-Behandlung „auch Zellen zerstören. Dass dabei dann Blutbilder herauskommen wie bei einem Menschen mit einer pathologischen Bluterkrankung, ist nicht erstaunlich.“ (Badische Zeitung, 31.1.2012)
Dirk Clasing, Sportwissenschaftler an der Universität Münster, und Herbert Löllgen, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Sportmedizin und Prävention e.V. (DGSP):
„Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass jegliche Manipulation mit Blut seit 1986 in den Anti-Doping Rules des IOC, seit 2004 in der jährlich aktualisierten Prohibited List der WADA verboten ist. Auch der DSB hatte 2001 das Reglement des IOC-Med zu Blutdoping in seine Rahmenrichtlinien übernommen. Gleiches gilt für das Arzneimittelgesetz (seit 1998). Damit ist davon auszugehen, dass alle olympischen Sportarten entsprechende Passagen mit dem Verbot des Blutdopings in ihren Regelwerken haben. In §5 2 der Rahmenrichtlinien heißt es: Der DOSB und seine Mitgliedsorganisationen nehmen in Arbeits- oder Dienstverträgen von Personen, die Sportler/innen betreuen, Bestimmungen für den Fall eines Verstoßes gegen das Doping-Verbot … auf. Somit ist auch das Betreuungspersonal in das Verbot einbezogen. Damit ist seit 1986 die Manipulation mit Blut, ob Eigen- oder Fremdblut, verboten ist.“ (Dt. Zeitschrift f. Sportmedizin, Jg. 63, Nr. 3)
Bereits 2005/2006 hatte Clasing, stellv. Vorstandsvors. NADA, auf das Dopingverbot einer ähnlichen Methode hingewiesen:
„Hans-Joachim Appell sowie die Orthopäden Peter Wehling vom Biotechnologie-Unternehmen Orthogen in Düsseldorf und Peter Schäferhoff, Mannschaftsarzt des 1. FC Köln, [setzen] auf ein neues Verfahren: die Behandlung mit Eigenblut. Dabei entnimmt man … 50 Milliliter Blut. Die Spritze sowie die darin befindlichen Glaskügelchen sind an ihrer Oberfläche verändert. Die modifizierte Oberflächenstruktur soll bestimmte weiße Blutkörperchen dazu anregen, Wachstumsfaktoren zu produzieren, die entzündungshemmend wirken und die Regeneration von Muskelfasern beschleunigen. … Das entnommene Blut wird 24 Stunden bei Körpertemperatur aufbewahrt, zentrifugiert und dem Sportler am folgenden Tag genau in die verletzte Stelle injiziert. Dieser Vorgang wird alle zwei Tage, insgesamt dreimal, wiederholt. Die angeblich in der Spritze produzierten Wachstumsfaktoren sollen im Muskel zu einer Aktivierung von Satellitenzellen führen, die daraufhin verstärkt beginnen, neue Muskelfasern zu bilden.
…
Die mittlerweile von einigen Ärzten vor allem im Profi- und Spitzensport angewendete Methode wird bisher allerdings nicht offiziell vertrieben. Seit etwa zwei Jahren behandeln einzelne Orthopäden bei Bedarf trotzdem Fußball-, Eishockey-, Handball-, Basketball- und Tennisspieler, Ringer oder Turner. Zuvor war das sogenannte „autolog kondionierte Serum“ erfolgreich an Mäusen und in einer Pilotstudie auch an Menschen getestet worden. … Dirk Clasing … erklärte, daß es sich um eine Manipulation handele, daß es eine systemische Anwendung von Wachstumsfaktoren sei, die auf der Liste der verbotenen Wirkstoffe stünden. Ferner sei es keine anerkannte Heilmethode. Peter Wehling hingegen hält die Dopingvorwürfe für absurd….“ (FAZ, 1.1.2006)
Richard Pound, dradio 12.5.2012:
„Für mich ist das eine Blutmanipulation. Da gibt es für keinen Zweifel. Jeder Laie würde zu diesem Schluss kommen. Was das Problem zu sein scheint: Wenn Du dieses Problem dann an sogenannte technische Experten heranträgst, da ist dann innerhalb dieser Gruppe mitunter keine Übereinstimmung. Jeder mit ein bisschen gesundem Menschenverstand würde aber wohl zu dem Schluss kommen würde, es ist verboten. Aber die Wissenschaftler brauchen offenbar länger, um das Offensichtliche zu sehen. Wenn wir jetzt in der Position wären, Sanktionen auszusprechen – was die WADA jetzt nicht tat – dann würde ich nicht zögern, das zu tun, es war für mich sehr klar eine Manipulation für Zwecke, die nicht einer ärztlichen Behandlung dienten.“
Nach diesen Meinungen, von denen einige durchaus als WADA-kompatibel einzustufen waren, überraschte die Verlautbarung der NADA vom 27.4.2012 sehr. Wie kam diese Rolle rückwärts zustande? Wie wurde sie begründet? In der Süddeutschen Zeitung war zu lesen, dass das WADA-Gutachten Unklarheiten beinhaltete. So sei möglicherweise nicht die Methode in Gänze bewertet worden sondern nur die UV-Bestrahlung.
„Bei der Begründung der Wada ist allerdings an keiner Stelle von der umstrittenen Abnahme und Rückführung des Blutes die Rede, sondern lediglich von der UV-Behandlung.“ (SZ, 28.4.2012: Kehrtwende der Wada)
Diese Interpretation findet sich auch in einem Beitrag des Deutschlandfunks vom 12.5.2012. Stefan Netzle, ehemals Richter am CAS und Vorsitzender Richter im Verfahren gegen Trainer Walter Mayer und die österreichischer Skilangläufer 2003 sieht hier eine klare Falschauslegung des WADA-Reglements durch die WADA selbst.
„M1 sagt ja, was Blutdoping ist, nämlich das Manipulieren mit Blut, kurz gesagt. Und ich kann jetzt nicht wieder sagen, ja aber nur wenn es unter einer bestimmten Absicht passiert ist. Der Zweck der ,Verbotenen Methode‘ ist ja, dass ich das genau das eben nicht nachweisen muss, was ich dann damit anfangen will, weil da komm‘ ich in einen Beweisnotstand. Das kann ich ja gar nicht beweisen. Darum hat man ja die ,Verbotene Methode‘ eingeführt, um sagen zu können, wenn ihr das macht, dann ist es verboten. Das war unsere Auffassung im Walter-Mayer-Fall und das ist sie heute noch.“
Aus der WADA verlautet nun, dass der Tatbestand der Sauerstofftransportverbesserung zu erfüllen sei, weil dies die Überschrift der Regel M1 sei. Das aber sei bei der UV-Bestrahlung ihrer Ansicht nach nicht gegeben:
„Dass der Zweck von M1 dazu dient, dass man Blutdoping auch aus diesem Grund verbieten will, das ist mir völlig klar. Aber das ist ja nur eine Möglichkeit des Blutdopings. Ich will aber die Methode verbieten, um gar nicht nachweisen zu müssen, dass hier Sauerstoff transportiert wurde oder nicht oder die Kapazität erhöht wurde. Weil das kann ich ja gar nicht nachweisen im Nachhinein.“
Auch der am Mayer-Verfahren beteiligte Rechtsanwalt Dirk-Reiner Martens sieht das so. Die UV-Bestrahlung sei damals wie heute als verbotene Methode anzusehen. (dradio, 12.5.2012: Nicht im Einklang mit der Rechtsprechung
DIE VERBÄNDE
Aus den betroffenen Verbänden war bislang wenig zu der Affaire zu hören. Pressemitteilungen und Kommentare sind rar. Der DOSB musste sich dennoch in zwei Fällen öffentlich äußern, als er sich falsch zitiert sah. Zum einen widersprach er Arzt Andreas Franke, als dieser behauptet hatte, die Methode sei auf einem Ärzte-Konkress als erlaubt klassifiziert worden (s.o.). Ein zweites Mal kam von Seiten Thomas Bachs ein Dementi, als Eisschnellläufer/innen in Einklang mit ihrem Bundesverband DESG die ARD beschuldigten zu Unrecht Namen veröffentlicht zu haben und eine Entschuldigung verlangten. (Öffentliche Erklärung der Athleten der Deutschen Eisschnelllauf Gemeinschaft). In diesem Brief beziehen sich die Sportler/innen auf eine Äußerung Bachs, wonach dieser gesagt habe, die Methode sei erst ab dem 1.1.2011 verboten. Der DOSB reagierte:
„Herr Bach hat lediglich gesagt, dass für das IOC der WADA-Code verbindlich ist und in diesem wird die Methode der UV-Bestrahlung des Blutes seit 1.1.2011 explizit als verboten beschrieben. Für die Zeit vor diesem Datum hat er stets darauf verwiesen, dass die Einschätzung der Zulässigkeit den zuständigen Organisationen NADA und WADA sowie den Behörden unterliegt“, hieß es weiter. Die Welt-Anti-Doping-Agentur WADA und die Nationale Anti Doping Agentur NADA hatten zuletzt hervorgehoben, dass die in Erfurt angewandte Methode einen Verstoß gegen den Anti-Doping-Code darstellt. Der DOSB und Bach wollen sich deshalb nicht weiter in den Fall einmischen.
„Das weitere Verfahren liegt nun in der Hand der Ermittlungsbehörden, der Gerichte und der NADA. Diese haben über die Einzelfälle zu befinden, auch deshalb sollte man sich Vorverurteilungen enthalten.“ Der DOSB werde nach Vorliegen der Ermittlungsergebnisse und Gerichtsentscheidungen den Fall „umfassend und sorgfältig analysieren und dann über weitere Konsequenzen entscheiden“. (sid, 11.2.2012).
Die DESG veröffentlichte zwar den Athletenbrief, eine eigene Stellungnahme fehlt jedoch.
Der BDR sah sich zumindest zu einer offiziellen Stellungnahme verpflichtet:
Der Bund Deutscher Radfahrer (BDR) hat im Jahr 2011 als erster olympischer Spitzenverband das komplette Ergebnismanagement in Anti-Doping-Angelegenheiten an die Nationale Anti Doping Agentur (NADA) übertragen.
Die für das Ergebnismanagement zuständige Organisation (nach Vereinbarung des Verbandes mit der NADA) ist gemäß NADA-Code (Artikel 7 – Ergebnismanagement) verpflichtet, nach schriftlicher Anhörung des Athleten ein Verfahren einzuleiten, wenn ein Verstoß gegen Anti-Doping-Bestimmungen nicht ausgeschlossen werden kann. Danach wird im Rahmen der Anhörung vor dem DIS (Deutsches Institut für Sportschiedsgerichtsbarkeit) geklärt, ob es einen Verstoß durch den Athleten gegeben hat und ob es dabei ein Verschulden des Sportlers gibt. Die NADA hat den BDR vor einer Woche darüber informiert, dass nach erfolgtem Ergebnismanagement ein Verfahren gegen einen Radsportler eingeleitet wurde. Dieses Vorgehen entspricht in jedem Punkt den vorgegebenen Regeln und der BDR hat volles Vertrauen in die Arbeit der NADA.
Die Unterlagen der Staatsanwaltschaft Erfurt liegen beim BDR nicht vor, so dass keine inhaltlichen Aussagen zu den Vorgängen in Erfurt gemacht werden können.
Außerdem wird der Bund Deutscher Radfahrer bis zur Klärung der Schuldfrage keine Stellungnahme zu spekulativen Anschuldigungen in den Medien abgeben.
30. Januar 2012 (rad-net, 30.1.2012)
Das hinderte den Verband aber nicht daran seinen Nationalfahrer Jakob Steigmüller, gegen den aufgrund der UV-Affaire ein Dopingverfahren eröffnet wurde, und in dessen Fall die NADA mittlerweile eine einjährige Sperre beantragt hat, für die WM Anfang April zu nominieren. Diese Aufnahme in den WM-Kader widerspricht einem BDR-Präsidiums-Beschluss aus dem Jahr 2006, wonach Fahrer, gegen die ein Dopingverfahren läuft, nicht für die Nationalmannschaft berücksichtigt werden dürfen. Der BDR argumentierte nun, der Fahrer habe laut eigenen Aussagen aus gesundheitlichen Gründen Arzt Franke aufgesucht und diesen nach der Regelkonformität der Behandlung gefragt. Der Arzt habe alle Bedenken zerstreut. (BDR-Beschluss 2006, sid, 8.3.2012)
Der DLV äußerte sich erstmals in Vertretung durch seinen Präsidenten Clemens Prokop Mitte März 2012 auf Nachfrage des Deutschlandfunks. Arzt Andreas Franke war von 1992 bis 2011, laut Prokop faktisch bis 2009, im medizinischen Betreuerteam für Nachwuchsländerkämpfe, also „keine gezielte und außerhalb der Wettkämpfe medizinische Betreuung, nur in diesen ganz speziellen Fällen war er tätig.“ Erstmals sei der DLV Anfang 2011 über die umstrittene Blutbehandlungsmethode informiert worden, worauf die Zusammenarbeit sofort beendet worden sei. Prokop sieht zwar einen Verstoß gegen das Antidopingreglement für wahrscheinlich an, will sich aber auf nicht festlegen auf die Jahre, ab denen das Verbot zutrifft. Er verstehe nicht, warum die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen noch nicht abgeschlossen hat und fordert deren umgehende Beendigung. Der DLV benötige dringend Akteneinsicht. Auch seitens der NADA gäbe es keine Informationen. Dieser Zustand sei für den DLV „mehr als ärgerlich“. Insbesondere in Hinsicht auf Olympia wäre es wichtig zu erfahren, ob es Sportler betrifft, die dafür ausgewählt sind. Auf die Frage ob sich Franke nicht als DLV-Arzt zu den Antidopingbestimmungen schulen musste, erklärt Prokop, dass der Mediziner eine Erklärung unterzeichnet habe, das Dopingreglement einzuhalten und
„darüber hinaus gab es nach meinem Wissen auch 2005 eine Fortbildungsmaßnahme wo explizit auch Fragen des Blutaustausches diskutiert wurden und wo eben auf die Unzulässigkeit hingewiesen wurde, allerdings weiß ich dies nur aus zweiter oder dritter Hand.“ (dradio, 18.3.2012) Der DLV forderte dann wenig später offiziell Akteneinsicht bei der Staatsanwaltschaft, die ihm gewährt wurde (sid, 3.4.2012, sid, 16.4.2012).
Beim DLV dürfte man dann aufgeatmet haben, als Mitte April ein NADA-Schreiben einging, indem festgehalten wurde,
„Die Einleitung von Ergebnismanagementverfahren durch uns auf der Grundlage des NADC ist in den oben genannten Fällen bislang nicht erfolgt. Die Voraussetzungen für die Einleitung eines solchen Verfahrens liegen aus unserer Sicht gegenwärtig in allen Fällen nicht vor“, es fehle vor 2011 „nach unseren bisherigen Erkenntnissen an einem rechtlich zweifelsfrei subsumierbaren Verbotstatbestand in der jeweils geltenden Verbotsliste der WADA.“ (sid, 30.4.2012).
Erneut kritisierte Prokop im Mai 2012 die Dauer der staatsanwaltlichen Ermittlungen (sid, 11.5.2012).
DIE POLITIK
Olympiastützpunkte werden zu einem hohen Prozentsatz vom Bund finanziert, laut FAZ betragen die Zuschüsse 70 – 90 % des Etats der Stützpunkte. Wird gegen das Dopingreglement verstoßen, können Gelder zurück gefordert werden. Grit Hartmann nennt die Summe von 2,1 Millionen Euro, die 2012 aus Steuermitteln dem OSP Thüringen zugeflossen sind. Über die letzten Jahre verteilt, sollen es 21 Millionen gewesen sein.
Schnell nach Bekanntwerden der Affaire wurden daher Forderungen an das BMI laut, am OSP Prüfungen vorzunehmen. Nach anfänglicher harscher Zurückweisung entsprechender Ansinnen (BMI: „definitiv unzulässig, ja ungehörig“), musste das Ministerium einräumen, dass der OSP Rechnungen des Arztes beglichen hatte, die sich auf die UV-Blutbehandlungsmethode bezogen.
Das BMI gab nun an, bei der Erfurter Staatsanwaltschaft angeregt zu haben, das laufende Ermittlungsverfahren gegen Franke um Abrechnungsbetrug zu erweitern. Außerdem sei das Bundesverwaltungsamt mit der Prüfung zuwendungsrechtlicher Konsequenzen beauftragt. (Schriftliche Fragen von Viola Cramon, Bündis90/Die Grünen an den Bundestag, S. 6ff, dradio, 26.2.2012, Berliner Zeitung, 3.2.2012)
Christoph Bergner, Parlamentarischer Staatssekretär ließ Viola Cramon am 7.2.2012 noch eine Ergänzung zu ihren ersten Fragen zukommen:
„im Nachgang zu meiner Beantwortung Ihrer schriftlichen Anfrage vorn 27.2.2012 … teile ich Ihnen nach nochmaliger Nachfrage beim Leiter des OSP Thüringen ergänzend folgenden Sachverhalt mit: Seil November 2008 wurden seitens des behandelnden Arztes keine spezifischen Belege über UV-Behandlungen mehr vorgelegt. Bis zu diesem Zeitpunkt stand neben dem Namen des behandelten Sportlers die Bemerkung „UV8″. Nach November 2008 wurden im Rahmen der Honorierung der ärztlichen Tätigkeit von Herrn Franke seitens des Arztes entsprechende Vermerke nioht mehr dokumentiert. Mit Auskunft von heute räumt der Leiter des OSP Thüringen daher ein. dass es, wie auf heutige Nachfrage durch den behandelnden Arzt bestätigt, auch in den Jahren 2009 – 2011 mit der Honorierung der Arbeit des Arztes auch zu Bezahlungen von UV-Behandlungen gekommen ist. In welchem Umfang eine Honorierung stattgefunden habe, könne nicht mitgeteilt werden, da insoweit Herr Franke mit Hinweis auf das gegen ihn laufende Verfahren keine Auskunft gegeben habe. Der Leiter des OSP Thüringen bedauert insoweit, mit seiner ursprünglichen verkürzten Darstellung des Sachverhalts gegenüber dem Bundesministerium des Innern zu Irritationen beigetragen zu haben.“
Im BMI-Bericht für den Sportausschuss werden folgende Zahlen genannt:
„Für die UV-Behandlungen hat der OSP von 2005 bis 2008 insgesamt 7000 Euro gezahlt. Von 2009 bis 2011, als die UV-Behandlungen nicht mehr spezifisch abgerechnet wurden, wurden Franke etwas mehr als 15.000 Euro als Gesamthonorar überwiesen.“ (spiegel-online, 19.3.2012)
Erklärungen seitens des OSP und des Arztes dafür vor, warum der Abrechnungsmodus geändert wurde, liegen nicht vor.
Bergner kündigte zudem an, alle Olympiastützpunkte dahingehend zu überprüfen, ob die Antidopingauflagen eingehalten werden. Das geschah bislang im Gegensatz zu den Verbänden, die sich jährlich Überprüfungen stellen müssen, nicht. Bergner äußerte sich jedoch verhalten gegenüber der Dopingrelevanz der Blutbehandlungspraxis. Für ihn seien noch Fragen offen für die Zeit vor 2011. (dradio, Interview mit Bergner, 18.2.2012)
Damit stand er noch in Widerspruch zu seinem Parteikollegen, dem Sportpolitischen Sprecher der CDU Klaus Riegert, der im Deutschlandfunk zu diesem Zeitpunkt wie folgt zitiert wird:
„Mich überrascht, dass es da Unstimmigkeiten gibt, weil ich auch davon ausgegangen bin, das jegliche Manipulation mit Eigenblut nicht erlaubt ist. Dass es da aber offensichtlich Grau- bzw. Scharz-oder Weißseiten gab, war mir so bisher nicht bekannt. Ich denke, dass wird man aber aufklären können.“
Die SPD-Fraktion des Deutschen Bundestages reagierte und stellte für die Plenarsitzung am 8.3.2012 einen Antrag zum Thema ‚Doping an Olympiastützpunkten, Bundesleistungszentren und Bundesstützpunkten konsequent bekämpfen‘: SPD, Drucksache 17/8896: Doping an Olympiastützpunkten, Bundesleistungszentren und Bundesstützpunkten konsequent bekämpfen:
II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
● den Deutschen Bundestag umfassend über Erkenntnisse zu den Vorgängen am Olympiastützpunkt Thüringen zu informieren und insbesondere darüber aufzuklären, ob direkt oder indirekt Steuergelder zur Unterstützung von Doping eingesetzt wurden bzw. werden;
● alle Strukturelemente des Stützpunktsystems (Olympiastützpunkte, Bundesleistungszentren und Bundesstützpunkte) vor den Olympischen Spielen in London im Hinblick auf Blutmanipulationen zu überprüfen;
● sich konsequent dafür einzusetzen, dass alle Sportlerinnen und Sportler, die an Strukturelementen des Stützpunktsystems trainieren, frei von jeglichem Dopingverdacht sind und bei den Olympischen Spielen in London für Deutschland ausschließlich Athletinnen und Athleten starten, die zweifels- frei keine verbotenen Blutmanipulationen vorgenommen haben;
● Verantwortliche, Mediziner und Mitarbeiterstäbe an den Strukturelementen des Stützpunktsystems eindringlich auf das Verbot der Anwendung nicht erlaubter Methoden hinzuweisen und sie über die Konsequenzen einer Missachtung zu informieren;
● die NADA finanziell so auszustatten und abzusichern, dass die mit Prozessen gegen mutmaßliche Dopingbetrüger verbundenen finanziellen Risiken abgedeckt sind;
● eine für die effektive Dopingbekämpfung unabdingbare nachhaltige und ausreichende Finanzierung der NADA sicherzustellen;
● den Deutschen Bundestag umfassend über die Ergebnisse und die Umsetzung der oben aufgeführten Forderungen zu informieren.
Der Antrag wurde an den Sportausschuss (federführend), Innenausschuss, Rechtsausschuss und den Ausschuss für Gesundheit überweisen.
Für die Sitzung des Sportausschusses legte die Bundestagsfraktion von Bündnis90/Die Grünen einen eigenen Antrag vor: Sachstand im Verfahren gegen einen Sportarzt im Zusammenhang mit Eigenblutbehandlungen am OSP Thüringen/Erfurt ….:
… Der Sportausschuss fordert die Bundesregierung daher zu folgenden Maßnahmen auf:
– An den Olympiastützpunkten in Deutschland wird eine zuwendungsrechtliche Überprüfung der Abrechnungen sämtlicher medizinischer Behandlungsleistungen durchgeführt. Diese Tiefenprüfung erfolgt unter Beteiligung des Bundesrechnungshofes. Die Ergebnisse werden bis zum 30. Juni 2012 dem Sportausschuss und dem Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages vorgelegt.
– Zuwendungswidrig verwendete Fördergelder werden konsequent von den Olympiastützpunkten sowie ggf. anderer Zuwendungsnehmer zurückgefordert. Darüber hinaus wird bei diesen betroffenen Olympiastützpunkten die noch nicht genehmigte Förderung dieses Jahres bis zur endgültigen Klärung des Sachverhaltes zurückgehalten.
– Die Olympiastützpunkte werden in die Berichtspflichten der jährlich vorzulegenden Anti-Doping-Berichte einbezogen.
– Der NADA werden Sondermittel aus dem Etat des Bundesministers des Innern für eine konsequente Dopingbekämpfung im Bereich des sportrechtlichen Ergebnismanagements zur Verfügung gestellt.
– Die Förderung für die Anti-Doping-Forschung wird ausgeweitet und soll auch eine verbesserte wissenschaftliche Wirkungsanalyse von Blutbestrahlungen umfassen.
– Es wird ein Gesetzentwurf vorgelegt, der die Verankerung eines Straftatbestandes der Verfälschung des wirtschaftlichen Wettbewerbs im Sport (Sportbetrug) vorsieht, um zukünftig auch wirksam gegen Sportlerinnen und Sportler ermitteln zu können.
Die nichtöffentliche Sitzung des Sportausschusses dürfte einigen Teilnehmern in besonderer Erinnerung bleiben. Die Sitzung verlief turbulent und hatte nach Aussagen Anwesender wenig Potential für eine Lehrstunde in Demokratie und Diskursfähigkeit, zumindest was positive Beispiele anbelangte. Im Mittelpunkt der Diskussion stand die alte Frage, ab wann die in Erfurt angewandte Eigenblutbehandlung eindeutig verboten war. Dem Ausschuss lagen verschiedene Stellungnahmen und Expertisen vor.
Bernd Neudert, Leiter des Olympiastützpunktes Thüringen, argumentierte wie bereits zuvor. Danach habe die NADA nicht eindeutig auf Fragen bezüglich des Verbotes geantwortet und weitere Präzisierungen vermissen lassen. Der OSP habe aber daraufhin ab 2008 mit Franke die Methode nicht mehr direkt abgerechnet. Erst 2012 habe er von Franke erfahren, dass dieser sich die Anwendungen weiter vom OSP vergüten ließ.
Das BMI hatte ebenfalls einen Bericht über die Vorgänge und deren Behandlung nach Bekanntwerden erstellen lassen, worin die Einschätzung vertreten wird, dass die Methode erst ab dem 1.1.2011 verboten sei. Damit stand diese Einschätzung im krassen Gegensatz zu den beiden Expertisen von Prof. Fritz Sörgel, Pharmakologie, und Sportjurist Georg Engelbrecht, aber im Einklang mit der Stellungnahme von Prof. Wolfgang Jelkmann. Von ihm legte die CDU/FDP-Fraktionen eine schriftliche Stellungnahme vor, persönlich anwesend war er nicht. Jelkmann, Hämatologe an der Universität Lübeck, wurde bekannt in Zusammenhang mit dem Fall Claudia Pechstein. Auf ihn geht die Diagnose einer Sichelzellanomalie mit zurück, mit deren Hilfe die Eisschnellläuferin versuchte sich zu entlasten. Jelkmann sieht in Erfurt kein Dopingvergehen vor 2011. Jelkmann gab später an, seine Stellungnahme sei nicht für die Politik und die Öffentlichkeit bestimmt gewesen. „Jelkmann sagt, es gab „keinerlei Kontakte zum Sportausschuss vor oder nach dieser Sitzung“. Seine „Unverlangt“-Stellungnahme sei „für einen Kollegen“ gewesen. Für wen, sagt er nicht; wie seine Expertise in den Ausschuss gelangte, weiß er nicht.“ (FR, 12.4.2012)
Sörgel und Engelbrecht waren von als Experten geladen und beide kamen ohne Wenn und Aber zu dem Schluss, dass es sich um eine lange verbotene Methode handelt. Engelbrecht, der 2003 mit der Causa um Walther Mayer befasst war, sieht hierzu Parallelen und Kontinuität. (spiegel-online, 19.3.2012)
FR, 23.3.2012:
Herr Sörgel, was war so verstörend?
Die Art, wie wir Gutachter von einzelnen Abgeordneten diffamiert und als parteiisch hingestellt worden sind. Das betraf ja auch Herrn Engelbrecht (Georg Engelbrecht, Anwalt und Sportrechtsexperte, d. Red.), nur weil er dargestellt hat, wie ähnliche Fälle am internationalen Sportgerichtshof Cas entschieden wurden. Man hat sich gefragt, warum wir überhaupt dort waren.
…
War das Benehmen ungebührlich?
Sie können ruhig flegelhaft sagen. … Da waren junge Bundestagspraktikanten im Saal. Die werden sich ein schönes Bild gemacht haben.
Fand keine Diskussion statt?
Von der Seite Riegert und Gienger (Eberhard Gienger/CDU) kam kein Argument. Die haben zum Teil nicht mal zugehört und während meiner Ausführungen geredet.
Sörgel: Herr Riegert nannte mich einen Apotheker, er benutzte das als Schimpfwort. Dabei haben Apotheker eine breite medizinische Ausbildung und sind für Dopingfragen sehr gut geeignet. Das war flegelhaft, das gehört sich nicht. Das fand ich unerträglich. Diese Sitzung hat mich nachhaltig verändert.
…
Die werden mich nicht mehr einladen. Aber ich würde wieder hinfahren und meine Haltung noch klarer, kompromissloser und rigoroser vertreten.
Eine Einigung war während der Sitzung nicht möglich. Der Antrag der Grünen wurde abgelehnt, der SPD-Antrag nicht behandelt. Und Fritz Sörgel war von Klaus Riegert verbal angegriffen und persönlich und fachlich diskreditiert worden. Doch so lange war es gar nicht her, dass Riegert sich erstaunt darüber geäußert hatte, dass die Blutdoping-Methode nicht immer verboten gewesen sein könnte (s.o.). Martin Gerster, sportpolitischer Sprecher der SPD, meinte:
„“Ich beobachte mit großer Sorge, dass im Sportausschuss immer wieder Sachverständige, die wir gemeinsam einladen, auf die sich die Obleute im Konsens verständigt haben, diskreditiert werden nur weil sie eine Position vertreten die manchen Abgeordneten nicht genehm ist.“ (dradio, 21.3.2012, taz, 22.3.2012)
DOPINGGEGNER REAGIEREN
Am 28. März versenden und veröffentlichen 12 prominente Persönlichkeiten des Sports und langjährige engagierte Dopinggegner einen 1. Offenen Brief. Direkte Adressaten sind hochrangige Politiker/innen und DOSB-Präsident Thomas Bach. Darin heißt es u. a.:
Wir verurteilen die Einmischung der Politik in geltende Anti-Doping-Regeln von NADA und WADA, d.h. die von Vertretern von Regierung und Parlament beanspruchte Deutungshoheit für eine Methode der Blutmanipulation, die im Regelwerk von NADA und WADA eindeutig als Doping deklariert wird. Der Streit, seit wann diese Methode formell als illegal zu gelten hat, kann nicht davon ablenken, dass sie bereits in der DDR zu Dopingzwecken angewandt und nach der Vereinigung des Deutschen Sports geduldet und angewendet wurde, heute aber – insbesondere nach Turin 2006 – endgültig und international sanktioniert ist.
Wir kritisieren, dass Vertreter von Regierung und BMI bereits vor der juristischen Klärung des Sachverhalts Partei ergreifen. Egal wie das Ermittlungsverfahren gegen den Erfurter Olympiastützpunktarzt Andreas Franke ausgeht: Es ist nicht Aufgabe des Dienstherrn BMI, in einem laufenden Verfahren Position zu den Ereignissen am OSP Erfurt beziehen.
Wir erwarten, dass das Ermittlungsverfahren gegen Andreas Franke wie zugesagt bis Ende März zum Abschluss kommt und das Ergebnis dem Bundestag sowie der deutschen Öffentlichkeit umgehend mitgeteilt wird.
Die Sportverbände werden aufgefordert Anzeige zu erstatten in Beachtung ihrer Verantwortung und Fürsorgepflicht gegenüber den Sportlern und verlangen Offenheit und Transparenz bezüglich betroffener Sportler und Ärzte.
>>> Erster Offene Brief DOPINGVERDACHT AM OLYMPIASTÜTZPUNKT ERFURT, pdf-Stand 28.3.2012
Am 17. Juni folgte >>> ein weiterer Offener Brief zur Causa Erfurt. Darin fordern sie u.a. Aufklärung darüber
1. ob Ausnahmegenehmigungen (TUE) und vollständige medizinische Akten für die am OSP Erfurt mit UV-Licht blutbehandelten Athleten vorlagen und wer diese gegebenenfalls ausstellte?
2. ob sie alle nach dem WADA Code erforderlichen Unterlagen der Blutbehandlungen am OSP Erfurt an die WADA weitergegeben hat.
Sie bemängeln die Einmischung der Politik und fehlenden Aüfklärungswillen.
Klaus Riegert, sportpolitischer Sprecher der CDU/CSU, und aufgrund der Vorgänge im Sportausschuss im Mittelpunkt der Kritik, sieht keinen Anlass für die im Offenen Brief geäußerte Kritik. In einem Interview mit dem Deutschlandfunk sagte er, er verstehe die Kritik nicht, er halte die Vorwürfe für einen „schlechten Scherz“. Angesichts der in Auftrag gegebenen Gutachten würde seine Partei nur dafür werben, dass keine Vorverurteilung stattfindet. Gleichzeitig präzisiert Riegert jedoch und liefert eine Interpretation, die ein bewusstes Dopingvergehen in Erfurt ausschließt. Er glaubt daran, dass es sich in Erfurt um kein bewusstes Dopingvergehen handelt, denn es habe eindeutig kein konspiratives Doping, wie es z. B. bei Jan Ullrich u. a. zu beobachten gewesen sei, gegeben. Alles sei durch den Arzt offen gelegt worden und die Sportler hätten Vertrauen in die Behandlungsmethode gehabt. Zudem hätten weder NADA noch WADA 2007 auf Nachfragen des OSP geantwortet. All dieses sei nicht dieses Doping
dass wir als absichtliche Leistungssteigerung kennen sondern da wurde ne einfache Heilpraktikermethode angewandt und jetzt ist die spannende Frage in der Tat, ist es eine verbotene Methode. Das wird sich im Sportschiedsgerichtsverfahren erweisen und dann werden entsprechende Konsequenzen nach diesen Urteilen auch gezogen werden.“ (dradio, 1.4.2012)
Nicht zu leugnen ist, dass die Causa Erfurt einen besonderen Dreh bekommt durch die Betroffenheit von Claudia Pechstein. Die Eisschnellläuferin soll schon 2006 mit der Bluttransfusionsmethode behandelt worden sein. Ihre Äußerungen in dem abgehörten Telefonat werfen zumindest Fragen auf nach ihrem Verständnis über den Wert der Methode. Fragen, die auch Andreas Frankes Anwalt sieht. Dass ein Gutachter wie Prof. Jelkmann, der die Sportlerin mit der Diagnose Kugelzellanämie in deren Dopingverfahren 2008/2009 unterstützte, nun wieder Stellung bezog (s.o.), lässt aufhorchen.
„„Der Fall Pechstein schwang auch bei der Sportausschuss-Sitzung zu Erfurt mit“, sagt der Bundestagsabgeordnete Martin Gerster (SPD). … „Erstaunlich“ fand Gerster, wie Politik und Medizin ihren Doppelpass versteckten: „Man hat sich regelrecht gescheut, den Namen Jelkmann zu nennen.““
Auch weitere Experten (Hämatologen), die sich im Falle Pechstein mit Diagnosen gemeldet haben, lieferten mittlerweile Stellungnahmen ab, wonach die UV-Eigenblutbehandlung vor 2011 legal gewesen sei.
„Auch Gassmann hat eine Expertise verfasst, ebenso der Hämatologe Stefan Eber. Beide Professoren stehen nun der Athletin zur Seite, gegen die das erste Dopingverfahren läuft: Pechsteins Eisschnelllaufkollegin Judith Hesse.“ (FR, 12.4.2012)
NEUE UND ALTE FRAGEN
Am 28. April 2012 hatte die NADA mit einer Presseerklärung überrascht, wonach nun seitens der WADA geklärt sei, dass die umstrittene Methode erst ab dem 1.1.2011 verboten sei (s.o. NADA, 28.4.2012) Sie bezog sich dabei auf ein Schreiben von Oliver Rabin, das am 16.6.2012 im Blog von Jens Weinreich veröffentlicht wurde: Brief Oliver Rabin an Andrea Gotzmann (JW, der Fall Erfurt, 16.6.2012).
Wie waren nun aber die früheren Einschätzungen und deutlichen Aussagen z. B. von WADA-Generaldirektor David Howmann einzuordnen, die das Verbot der Methode über die Jahre hin festgestellt hatten? Wie war er zu dieser Meinung gekommen? Hatte er andere Fragen gestellt bekommen, als die WADA-Experten? Nachfragen ergaben, dass nicht, wie in der NADA-Meldung verbreitete, alle Gremien der WADA zu dieser Beurteilung der Causa beigetragen hatten. Arne Ljungqvist, Vorsitzender des Komitees für Medizin und Wissenschaft und WADA-Vizepräsident wusste von nichts,
„“Dieser spezielle Fall ist in meinem Komitee in den letzten Monaten und auch davor gar nicht behandelt worden. Das erste Mal habe ich von dieser neuen Entwicklung heute gehört und zwar von Ihnen.“ (dradio, 27.4.2012).
Auch der Münchner Endokrinologe Martin Bidlingmaier und Sportmediziner Jürgen Steinacker, beide Mitglieder wichtiger WADA-Gremien, waren ahnungslos. Beide hatten zuvor unabhängig voneinander die Sache ebenso wie Howman als verboten eingestuft (s. o.). Zudem scheint die Informationsvermittlunge fehlerhaft gewesen zu sein.
„Ein sehr hochrangiger WADA-Mediziner glaubte, in Erfurt sei im Körper befindliches Blut von außen über die Haut – einem Solarium vergleichbar – bestrahlt worden. Daher sagte er, das sei nicht verboten. Erst als er erfuhr, dass in Erfurt auch Blutabnahmen und Rückführungen stattfanden, korrigierte er sich: es sei klar eine verbotene Methode angewandt worden. Offenbar liegen bei der WADA in Montreal nicht jedem der Zuständigen alle Informationen vor.“ (dradio, 27.5.2012)
Fragen warf auch der Brief der NADA an den DLV vom 16.4.2012 auf, in dem die NADA schrieb, dass sie nach aktueller Sachlage / Einschätzung davon ausgehe, dass die infrage stehende Methode vor 2011 nicht verboten gewesen sei, auch wenn ein abschließendes Urteil noch ausstehe.
„Aus der staatsanwaltlichen Ermittlungsakte ergibt sich zwar, dass die Athletinnen und Athleten in einem Zeitraum von 2005 bis 2009 zu einer möglichen UV-Behandlung bei Herrn Franke waren. Zu diesem Zeitpunkt fehlte es allerdings nach unseren bisherigen Erkenntnissen an einem rechtlich zweifelsfrei subsumierbaren Verbotstatbestand in der jeweils geltenden Verbotsliste der WADA.“ … „Ob und inwieweit es sich bei der von Herrn Franke angewandten Methode um Blutdoping … handelt, ist – trotz teilweise anders lautender Veröffentlichungen in der Presse – rechtlich nicht abschließend und verbindlich geklärt.“ (sid, 30.4.2012)
Das Schreiben wurde am 16.6.2012 bei Jens Weinreich in Gänze veröffentlicht:
Mit dieser Einschätzung bestätigt die NADA ihre im Laufe des Verfahrens immer wieder durchscheinende Unsicherheit an der Einstufung der Methode. Sie setzt sich aber in Widerspruch zu eigenen Äußerungen, wonach sie die Methode immer schon für verboten hielt.
Bislang ging es von Seiten der NADA nur darum, ob gegen Sportler/innen sportrechtliche Verfahren eröffnet werden können und sollen. Laut NADA/WADA-Code können aber auch andere Personen, vertraglich gebunden sind, sportrechtlich sanktioniert werden. Es stellt sich daher die Frage, kann und wird es es ein sportrechtliches Verfahren neben dem strafrechtlichen Verfahren gegen den Arzt geben? Eventuell sogar gegen Funktionäre und Trainer, denen die Anwendung der Methode nicht unbekannt war und die ihre Verantwortung nicht so einfach auf den Arzt abschieben können? Oder wird es sonstige Konsequenzen geben?
Abgeordnete Viola von Cramon- Taubadel (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN):
Inwiefern sind das medizinische Personal, die Trainerinnen und Trainer und sonstigen Betreuerinnen und Betreuern am Olympiastützpunkt Thüringen und den anderen 18 Olympiastützpunkten in der Bundesrepublik Deutschland an den Anti-Doping-Code NADC gebunden, und wenn nicht, warum?
Die Zuwendungsbescheide des BVA an die Olympiastützpunkte enthalten die Auflage, sämtliche für den OSP haupt-, neben- oder ehrenamtlich tätige Personen einschließlich der Athletenbetreuer im Sinne des NADC rechtlich in schriftlicher Form zu verpflichten, sich in keiner Weise an Dopingmaßnahmen
(Artikel 2 NADC) zu beteiligen oder Doping zu unterstützen. Am OSP Thüringen ist diese Auflage nach Kenntnis des BMI in den Arbeits- und Honorarverträgen umgesetzt.
dip21.bundestag.de/dip21/btd/17/085/1708538.pdf
Spannend war lange Zeit auch die Frage, wie die Expertise von Heiko Striegel in das weitere Verfahren einfließen würde, über die der Deutschlandfunk am 22. Mai 2012 berichtet hatte, Striegel sei zu dem Ergebnis gekommen, die Methode sei bereits seit 2006 verboten gewesen (dradio, 22.5.2012). Erste Meldungen legten die Vermutung nahe, dass innerhalb der NADA große Unruhe herrsche und deren Suche nach Lösungen so manche Fallstricke bereit hielte. (dradio, 27.5.2012)
Konfusionen und Konfrontationen – die Situation ab Juni 2012
DAS GEGENEINANDER GEHT WEITER: NADA-WADA-POLITIK-DOSB
Am 4. Juni 2012 meinte David Howman in Interviews mit Grit Hartmann und Hajo Seppelt, die WADA sei schlecht informiert gewesen, die befragten Experten hätten daher nicht richtig entscheiden können.
„Der Brief von Olivier Rabin kann nur als das genommen werden, was er ist. Ein Zwischenstand, basierend auf den Informationen, die uns zur Verfügung standen. Da uns Informationen fehlten, ist diese Einschätzung hinfällig. Unvollständige Informationen ergeben keine finale Antwort. Der Brief ist nichts wert. Das ist der Kern.“
Das heißt im Klartext, die vorliegenden WADA-Stellungnahmen sind ungültig. Howman betont und bestätigt damit seine früher gemachten Aussagen, die infrage stehende Methode ist bereits seit 2004 verboten.
„Die Wada fällt keine Entscheidungen. Sie kann einen Rat geben, aber mehr nicht. In diesem Fall hat uns die Nada in eine Situation manövriert, in der wir nicht sind. Sie hat suggeriert: Was die Wada sagt, das ist eine Entscheidung. Das ist komplett falsch. Deshalb mische ich mich jetzt ein und sage: Nein, nicht wir entscheiden.“ Überprüfen müsse das nun die Sportgerichtsbarkeit (die Zeit: Howman „Es ist eine Menge schiefgelaufen“, sportschau.de, Erneuter Kurswechsel der WADA im Fall Erfurt?).
Die NADA reagierte auf Howmans Aussagen empört und dementierte dessen Vorwürfe. Selbstverständlich habe sie alle Unterlagen an die Weltagentur weiter gegeben.
„„Wir haben definitiv die richtigen Fragen gestellt. Wir haben die Wada explizit und mehrfach nach dem Verbot durch die Regel M1 gefragt.“ Die Nada übermittelte der Wada demnach nicht nur theoretisch Beschreibungen der Methode des Arztes F., sondern laut eigener Darstellung auch einen ZDF-Film, in dem Blutabnahme, UV-Bestrahlung und Rückführung in den Körper im Bild vorgeführt werden.“ (FAZ, 5.6.2012).
Andrea Gotzmann, NADA, erklärte die Einschätzung der WADA für das Vorgehen in dieser Affaire als wichtig,
„weil es eben derjenige ist, der die Regeln macht, der sie letztendlich auch erklären muss, wenn es zu Zweifeln kommt oder wenn es nicht so eindeutig klar ist, wo eine verbotenen Methode hingehört.“ (dradio, 5.6.2012)
Die Kommunikation zwischen WADA und NADA war anscheinend sehr schwierig geworden. Zu fragen war, warum kommt Howman nach Deutschland geflogen, führt zwei Interviews mit der Presse, trifft sich aber nicht mit den Verantwortlichen der NADA? Insbesondere die CDU-Politiker nutzten diesen Umstand, die WADA insgesamt abzuwatschen. Vielleicht war auch ihnen nicht bekannt, dass zu diesem Zeitpunkt die NADA bereits über die neue WADA-Einschätzung informiert gewesen war,
„Howman hatte den NADA-Vorständlern bereits am 31. Mai, also vier Tage vor den Interviews, per Brief und email die Einschaltung eines Schiedsgerichts für Erfurt-Fälle auch vor dem Jahr 2011 empfohlen.“ (Jens Weinreich, 16.6.2012)
Antworten zu den offenen Fragen hätten in der Sitzung des Sportausschusses des Deutschen Bundestages am 13.6. gegeben werden können. Die Fraktion Bündnis90/die Grünen hatte die Aufnahme eines Tagesordnungspunktes mit Vorlage eines Berichtes des Bundesministeriums des Innern zur Causa und die Einladung von Vertretern der WADA und NADA beantragt. (Bündnis90/die Grünen, 5.6.2012). Zudem sollte der zuletzt vertagte SPD zum Thema ‚Doping an Olympiastützpunkten, Bundesleistungszentren und Bundesstützpunkten konsequent bekämpfen‘ (s.o. Drucksache 17/8896) behandelt werden. (Tagesordnung, 13.6.2012)
Im Vorfeld der Sitzung zeigten sich die bekannten Fronten in öffentlichen Statements. Christoph Bergner, Parlamentarischer Staatssekretät im Bundesinnenministerium, zeigte sich empört über die WADA und speziell über die Tatsache, dass Howman über die Presse die Wende in der Sachverhaltseinschätzung kundtat und sich nicht erst mit der NADA kurz schloss. Bergner stellte sich hinter die NADA und bestätigte deren Angaben, wonach die WADA vollständig informiert gewesen sei und auch die richtigen Fragen gestellt worden seien. Bergner kündigte an auf Europäischer Ebene verstärkt die Arbeit der Weltagentur zu überprüfen und zu hinterfragen. CDU-Politiker Klaus Rieger stieß in das gleiche Horn und schob der WADA sämtliche Schuld in dem Durcheinander zu. (FAZ, 12.6.2012) Widerspruch kam schnell von Seiten Bündnis90/die Grünen, die Einmischung in die Angelegenheiten der unabhängigen NADA scharf rügten.
Der Antrag der Grünen wurde abgelehnt, der der SPD nach einer „durchaus heftigen Diskussion“ ebenfalls. (dradio, 13.6.2012) Das Thema wurde auf die letzte Sitzung des Ausschusses vor der Sommerpause am 27.6.2012 vertagt.
Ähnlich wie einige Politiker zeigte sich auch DOSB-Präsident Thomas Bach empört über den Umgang mit der NADA und sah Fehler überwiegend bei der WADA. In einem Interview, geführt am 12.6 veröffentlicht am 17.6.2012, bescheinigt er der NADA kluges Verhalten und die Einhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien.
„Natürlich hätten wir uns gewünscht, dass die Staatsanwaltschaft, die damit befasst ist, hier sehr viel schneller und zügiger arbeitet und dann auch zügig die Akten übergibt und den sportlichen Stellen die Möglichkeit einräumt dort entsprechend zu agieren. … Sie [die NADA] muss abwarten, was das Ergebnis von Ermittlungen ist. Die NADA kann Akteneinsicht gehabt haben, ich kenne das nicht in Einzelheiten, die NADA ist eine eigenständige Organisation, aber es zeigt ja, dass nachdem die Staatsanwaltschaften bis heute kein Ermittlungsergebnis vorgelegt haben, dass hier weitere Ermittlungen notwendig waren und da hat aus meiner Sicht die NADA sich richtig verhalten. Sie kann nicht aufgrund von bloßen Verdachtsmomenten dann Sanktionen aussprechen und Athleten belangen. Sie hat sich in einem rechtsstaatlich einwandfreien Verfahren zu bewegen und das tut sie. ….
Nach unseren Informationen hat die NADA der WADA alle erforderlichen Unterlagen vorgelegt, auch alle Fragen gestellt die erforderlich sind, insbesondere auch die von Herrn Howman spezifisch genannte Frage nach einer spezifischen Regel, wobei mir nicht einmal wirklich sich erschließt warum man ausgerechnet dem Herausgeber eines Codes noch seinen eigenen Code erklären muss. Aber die NADA hat es getan und ist jetzt in einer Situation, dass sie zwei unterschiedliche und widersprüchliche Erklärungen der WADA vor sich liegen hat und sie muss jetzt prüfen, was gilt von Seiten der NADA, der offizielle Brief, die Antwort auf die Fragen, die die NADA gestellt hat oder gilt das Presseinterview von Herrn Howeman. Das ist für die NADA keine einfache Situation.“ (dradio, 17.6.2012)
Aus diesem Interview könnte man schließen, dass Bach nicht sehr gut über die internen Vorgänge informiert war, vor allem auch nicht über den Stand der staatsanwaltlichen Ermittlungen und den Informationsaustausch. Einerseits spräche dies für die Unabhängigkeit der NADA, doch wie kommt der DOSB-Präsident dazu ohne genaue Kenntnisse diese dezidierte Meinung zu äußern? Und was meint er damit, dass die NADA der WADA den Code erklären musste?
Grit Hartmann zitierte am 16.6.2012 aus einem internen Bericht Howmans mit dem Betreff „UV-Blutbestrahlung“, den dieser für die WADA-Executive über die Causa Erfurt verfasst hatte. Die von Seiten der NADA behauptete ‚richtige Fragestellung‘ sieht Howman danach nicht für gegeben an.
„Zum Ablauf: „Ende 2010 schien es, als ob Fälle für die Sanktionierung vorbereitet würden. Anfang 2011 gab es Korrespondenz mit Mitgliedern des Wada-Managements und Antworten, die sagten, dass die Methode verboten ist.“ Dann habe man lange „nichts gehört“. Bis zum Jahresbeginn, als die Wada erneut um ihre Meinung gebeten wurde – allerdings „ohne Erwähnung der Korrespondenz von April/Mai 2011. „Befremdlich“, nennt Howman das, auch hinsichtlich des Zeitabstandes. Dafür wisse man „keine Erklärung“. …
Howman teilt der Wada-Exekutive mit, welche Informationen die Nada zurückhielt. Etwa, wie viele Athleten wie oft mit der Methode behandelt wurden. Noch pikanter: Die Nada übermittelte die falsche Frage nach Montreal. …“ (Berliner Zeitung, 16.6.2012)
Der Howman-Bericht an die WADA-Exekutive ist im Blog von Jens Weinreich nachzulesen: Howman, Blood UV Irradiation, 13.6.2012 (JW: Der Fall Erfurt… )
Hier findet sich auch ein Brief Howmans an den Sportausschuss des Deutschen Bundestages zur Sitzung am 27.6.2012 in dem er wiederholte, dass die erste von Oliver Rabin verfasste Einschätzung der Methode aufgrund unvollständiger Informationen hinfällig sei. Von Seiten der NADA wurde diese Darstellung erneut zurückgewiesen, auch CDU/FDP/Linke-Abgeordnete kritisierten die WADA wieder heftig.
Verschärft wurde die Diskussion durch die Äußerung Howmans, dass IOC-Vize und DOSB-Präsident Thomas Bach dem IOC-Panel angehört habe, das sich mit der UV-Blutbestrahlungsaffaire österreichischer Wintersportler befasst hatte. Der DOSB reagierte umgehend und ließ durch seinen Pressesprecher Christian Klaue dementieren (FAZ, 27.6.2012). In einer Email an den Sportausschuss gab der DOSB am 28.6. folgendes zusätzliches Statement ab:
„Herr Howman unternimmt den Versuch von den widersprüchlichen Aussagen der WADA in der Causa Erfurt abzulenken. Herr Howman sollte stattdessen die Verantwortung für die aufgetretenen administrativen Versäumnisse übernehmen und die gegenüber der NADA erhobenen schwerwiegenden, offensichtlich ungerechtfertigten Vorwürfe zurücknehmen. Die NADA hat auch in der Causa Erfurt das Vertrauen des DOSB und von Herrn Bach.
Herr Bach war nicht, wie von Herrn Howman leichtfertig und fälschlicherweise behauptet, Mitglied des damaligen Disciplinary Panel. Herr Bach hat nicht an der entsprechenden Entscheidung des IOC Exekutivkomitees am 26. Mai 2002 mitgewirkt.“
Jens Weinreich hält hierzu fest, dass Bach Mitglied des IOC-Exekutivkomitees war (und heute ist), das die Entscheidung gefällt hatte und damit alle Entscheidungen mitzutragen hat.
„Er hat diese Entscheidung damals als „konsequente Fortsetzung der Antidoping-Politik“ für gut befunden, darauf bauten andere Vorgänge auf, und er hat sich natürlich nie von dieser IOC-Entscheidung distanziert.“ (JW, Die miserable Erfolgsquote der NADA). Siehe hierzu auch die Meinung von Richard Pound (Deutschlandfunk, 7.7.2012).
Nun sollte ein persönliches Gespräch zwischen Vertretern der NADA und Howmann die verfahrene Situation klären. Sie klärte. Am 3. Juli trafen sich Vertreter der beiden Agenturen in Frankfurt. Mit einer gemeinsamen Erklärung demonstrierten sie Einigkeit. Die WADA räumte Kommunikationsfehler ein. Der Brief von Rabin Ende April, in dem die UV-Bestrahlungsmethode als legal beurteilt worden war, habe auf falschen Voraussetzungen beruht, so dass diese Einschätzung nicht stimme. Die NADA trage keine Schuld an den Kommunikationspannen. (NADA/WADA, 5.7.2012)
ARZT ANDREAS FRANKE
Einstellung der staatsanwaltlichen Ermittlungen
Am 11.7. 2012 wird bekannt, dass die Staatsanwaltschaft in Erfurt das Verfahren gegen Arzt Andreas Franke eingestellt hat. Ihm sei nicht nachweisbar gewesen, dass er die Behandlung zur Leistungssteigerung der Sportler eingesetzt habe. Hannes Grünseisen, Pressesprecher der Staatsanwaltschaft sagte der FAZ:
„Es kann sein, dass er das zu Dopingzwecken gemacht hat. Es kann aber auch sein, dass er es nicht zu Dopingzwecken gemacht hat. Deshalb mussten wir das Verfahren einstellen“.
„Nach Auffassung der Staatsanwaltschaft seien diese Handlungen vor dem 1. November 2007 aber nicht strafrechtlich relevant, „weil nach der alten Fassung des Arzneimittelgesetzes verbotene Methoden nicht von den Strafbarkeitsvorschriften des Arzneimittelgesetzes umfasst waren.“ Zudem hätten die Ermittler nicht nachweisen können, dass Franke seine Behandlungen zwischen dem 1. November 2007 und dem 11. April 2011 zu Dopingzwecken, also mit dem Ziel der Leistungssteigerung im Sport, durchgeführt habe.
Zwar handele es sich nach Ansicht der Staatsanwaltschaft bei der UV-Bestrahlung um einen „objektiven Verstoß“ gegen eine schriftliche Übereinkunft gegen Doping im Sport – und damit um eine verbotene Methode. Es lasse sich aber nicht widerlegen, dass Franke seine Behandlung zur Verbesserung der Immunabwehr angewandt habe, wie er selbst immer wieder beteuerte. Dafür spreche auch, dass er dieses Vorgehen über Jahre hinweg nicht verschleiert und außerdem bei „Nicht-Sportlern“ angewandt habe. „Zumindest hier liegt die behauptete Heilbehandlung durchaus nahe“, heißt es in dem Schreiben.“ (spiegel-online, 11.7.2012, FAZ, 11.7.2012)
Beim Sportbund Thüringen wurde erleichtert ausgeatmet. Peter Gösel, Vorsitzender des Thüringer Landessportbunds, wird zitiert mit der Bemerkung ihm sei immer klar gewesen, „und ich bleibe dabei, dass die Methode kein Doping ist“ und von „einem Armutszeugnis für die Nada“ sprach.
Der Deutsche Leichtahletikverband reagierte anders. Er legte eine Dienstaufsichtsbeschwerde wegen der Einstellung des Ermittlungsverfahrens gegen Andreas Franke ein. Den Erkenntnissen der Staatsanwaltschaft nach gebe es „hinreichende Anhaltspunkte für strafrechtliche Ermittlungen.“
„Nach Überzeugung von Prokop und DLV handele es sich bei der Blutbehandlung um Doping. Der Arzt und seine Patienten könnten sich nicht auf einen therapeutischen Zweck berufen, da für diesen Ausnahmegenehmigungen von der Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) eingeholt werden könnten und müssten. Dass dies in keinem Fall geschehen sei, sei Indiz dafür, dass es nicht um Heilung, sondern um weitergehende Zwecke gegangen sei.
„Es wäre fatal“, heißt es in der Beschwerde, „wenn künftig die Sportärzte in Deutschland mit der schlichten Begründung, die von ihnen angewandten Methoden seien nicht zur Leistungssteigerung bei den Sportlern geeignet oder würden zu Heilzwecken eingesetzt, frei schalten und walten könnten“. (FAZ, 17.7.2012)
Diese Dienstaufsichtsbeschwerde wurde im Oktober 2012 zurück gewiesen. Die behandelten Athleten hätten zwar tatsächlich gegen Dopingbestimmungen verstoßen, doch dem Arzt sei nach dem Arzneimittelgesetz kein Verstoß nachzuweisen. Ein Verstoß gegen sportrechtliche Vorschriften läge allerdings vor.
„Dass der Beschuldigte die verfahrensgegenständlichen UV-Behandlungen unter diesen Voraussetzungen zu Dopingzwecken im Sport durchgeführt hat ist nicht mit der für eine Anklageerhebung erforderlichen Sicherheit nachweisbar. Der Beschuldigte, der die verfahrensgegenständlichen Behandlungen mittels der UV-Bestrahlung des Blutes eingeräumt hat, hat sich dahingehend eingelassen, dieses Verfahren ausschließlich zur Behandlung krenaker Patienten sowohl bei Sportlern als auch bei Nichtsportlern eingesetzt zu haben.“ (Antwort Thüringer Generalstaatsanwaltschaft Jena, 12.10.2012, der westen, 21.10.2012
dradio: Reaktion Clemens Prokop, DLV, 10.10.2012
Am 31.8.2012 wurde der Radfahrer Jakob Steigmiller vom Deutschen Sportschiedsgericht frei gesprochen. Zu Andreas Franke heißt es in der Urteilsbegründung:
„Wegen immer wieder auftretenden Erkrankungen der Atemwege wandte er sich, so wie es den Athleten auch durch die Schiedsklägerin in ihren Empfehlungen zur Vorgehensweise bei Krankheiten grundsätzlich aufgegeben worden war, an den am Olympiastützpunkt Erfurt tätigen Sportarzt Dipl. med. F. Dieser genoss als langjähriger OSP-Arzt und Arzt verschiedener Nationalmannschaften hohes Ansehen. Auf seiner Homepage propagierte er seit Jahren die von ihm auch beim Schiedsbeklagten und anderen Sportlern und Sportlerinnen angewandte Methode der UV-Bestrahlung von Blut, deren Wert zu Zwecken der Therapie oder zur Leistungssteigerung allerdings weithin bezweifelt wird.
Herr F. nahm beim Schiedsbeklagten zunächst einen operativen Eingriff in der Nase vor. Als nach weiteren starken sportlichen Belastungen wegen erneuter akuter Beschwerden der Atemwege eine weitere medizinische Behandlung notwendig wurde, empfahl Herr F. dem Schiedsbeklagten unter anderem die streitgegenständlichen Behandlungen zur Behebung seiner Leiden. Die vom Schiedsbeklagten ausdrücklich gestellte Frage, ob diese Methode mit den Dopingbestimmungen in Einklang stehe, bejahte der Arzt glaubwürdig und er erläuterte dies sehr dezidiert. Dabei wies er nicht auf die neue, ab 01.01.2011 geltende WADA-Verbotsliste hin, die am 18.09.2010 veröffentlicht worden war. Ob Herr F. diese nicht kannte oder er die Neuregelung falsch interpretierte, ist – trotz der in diesem Zusammenhang eingeleiteten und inzwischen in Ermangelung eines Tatverdachtes eingestellten staatsanwaltlichen Ermittlungen gegen Herrn F. – nicht bekannt.“ (Steigmiller-Schiedsspruch)
Fragen, die sich mir erneut aufdrängten: wird die NADA ein sportrechtliches Verfahren gegen Arzt Franke einleiten? Werden Verantwortliche des Olympiastützpunktes Erfurt auf Ihre Verantwortung bezüglich der Affaire überprüft?
Reaktion des DOSB
Der DOSB reagierte auf die Feststellung der Staatsanwaltschaft, dass Franke eine verbotene Methode angewandt hatte. Am 18.9.2012 verabschiedete das DOSB-Präsidium einen Beschluss, in dem es forderte, dass alle „gegebenen sport-internen Möglichkeiten zur Sanktionierung des betreffenden Arztes zu nutzen“ seien.
DOSB: OLYMPIASTÜTZPUNKT ERFURT – DOPINGVORWÜRFE:
1. Das Präsidium begrüßt, dass die Zusammenarbeit des OSP Thüringen mit dem Arzt unmittelbar nach Bekanntwerden der verbotenen Methode einer UV-Behandlung des Blutes bereits am 15. April 2011 beendet wurde. Es empfiehlt den Olympiastützpunkten, auf eine Beschäftigung oder Beauftragung von Herrn Franke bis mindestens zum Ende der XXXII. Olympiade, also bis zum 31. Dezember 2020, zu verzichten.
2. Herr Franke war bislang nicht als Olympiaarzt tätig. Das Präsidium wird ihn mindestens bis zum Ende der XXXII. Olympiade, also bis zum 31. Dezember 2020, nicht für die Deutsche Olympiamannschaft nominieren.
3. Das Präsidium empfiehlt den Mitgliedsverbänden des DOSB, mit Herrn Franke in die-sem Zeitraum ebenfalls nicht zusammenzuarbeiten und ihn nicht mit sportmedizinischen Tätigkeiten zu beauftragen. In Präventionsveranstaltungen sollen die Athleten/innen ausdrücklich darauf hingewiesen werden, dass Herr Franke eine nach dem WADA-Code verbotene Methode angewendet hat. Von daher ist den Athleten/innen zu raten, sich nicht für diesen Arzt zu entscheiden. Darüber hinaus sollte in den Präventionsveranstaltungen ausdrücklich darauf hingewiesen werden, dass Athleten/innen bei suspekt erscheinenden Behandlungsmethoden insbesondere mit Blutaustausch im Zweifel zuvor die Meinung eines zweiten Arztes, möglichst eines Mitglieds der Medizinischen Kommission des DOSB, einholen sollten.
Aus dieser Erklärung geht nicht hervor, ob mit den „gegebenen sport-internen Möglichkeiten zur Sanktionierung des betreffenden Arztes“ auch ein Verfahren vor dem Sportschiedsgericht gemeint ist.
EINLEITUNG EINES VERFAHRENS IM FALLE DER ANWENDUNG DER METHODE VOR 2011
Im Juni gab die NADA bekannt, dass sie nun doch, so wie von David Howman empfohlen, ein Pilot-Verfahren gegen eine Sportlerin, die vor 2011 von Franke mit der umstrittenen Methode behandelt worden war, einleiten werde.
„Dr. Andrea Gotzmann. „Mit dem Verfahren wollen wir Rechtsklarheit auch für die Vorgänge schaffen, die zeitlich vor der Regelergänzung M2.3 durch die Welt Anti-Doping Agentur zum 1. Januar 2011 lagen“, erklärt NADA-Vorstandsmitglied und -Chefjustiziar Dr. Lars Mortsiefer. …
Die NADA prüft nun, ob bei weiteren Sportlern, deren Blut von dem Erfurter Mediziner mit der UV-Methode behandelt wurde, hinreichende Verdachtsmomente für die Eröffnung von Verfahren vorliegen – insbesondere vor dem Hintergrund der bevorstehenden Olympischen Spiele in London.
In ihrer Einschätzung stützt sich die NADA unter anderem auf das von ihr in Auftrag gegebene Gutachten, das seit Montag offiziell vorliegt. In diesem kommt der medizinische und juristische Experte Prof. Dr. Dr. Heiko Striegel im Kern zu der Auffassung, dass die UV-Behandlung in den Jahren 2006 bis 2010 dem Tatbestand M1.1 der jeweils aktuellen Verbotsliste der WADA unterfällt. Außerdem trägt die kürzlich korrigierte WADA-Beurteilung der UV-Blutbehandlung zu der Entscheidung der NADA bei, auch Verfahren für den Zeitraum vor 2011 anzustrengen.“ (NADA, NADA LEITET WEITERES VERFAHREN IN DER „CAUSA ERFURT“ EIN, 13.6.2012)
Das Verfahren war schnell wieder beendet, die Ermittlungen wurden eingestellt, da der Athletin, einer Bahnradsportlerin, die bei den Olympischen Spielen startete und Gold gewann, nichts nachzuweisen war. Laut NADA habe sie ‚glaubhaft versichert‘ nicht mit der Methode behandelt worden zu sein. In Frankes Patientenkartei ist solch eine Behandlung allerdings sicher vermerkt. Es sieht so aus, als sei die Staatsanwaltschaft zu anderen Erkenntnissen gelangt als die NADA, die der Sportlerin glaubte. Die NADA stellte jedoch diesbezüglich fest:
„Erkenntnisse aus den staatsanwaltlichen Akten sind in einem Schiedsverfahren gegen eine andere Person aufgrund der nationalen Gesetzeslage nicht ohne weiteres nutzbar.“ Auf Nachfrage argumentiert die Nada mit dem Allerheiligsten: Gegen die Verwertbarkeit stünden „die verfassungsrechtlich geschützten Grundrechte“.
Diese Argumentation war für einige Beobachter schwer verständlich. Warum können strafrechtlicher Erkenntnisse in Deutschland nicht für sportrechtliche Verfahren genutzt werden? Clemenz Prokop (DLV), selbst Jurist, meinte:
„Die Position der Nada ist juristisch nicht haltbar.“ Sei das Blut der Athletin laut Krankenunterlagen und Abrechnungen manipuliert worden, „begründet dies einen erheblichen Tatverdacht, der nach dem Nada-Code zur Klageerhebung verpflichten würde“. (FR, 17.7.2012, dradio, 16.7.2012)
Hajo Seppelt warf noch eine weitere Frage auf. Da nachgewiesen werden kann, dass in den Patientenunterlagen die Behandlung der Sportlerin vermerkt und diese auch abgerechnet wurde, dürfte im Falle die Sportlerin sagt die Wahrheit, zu prüfen sein ob dies korrekt ablief oder ob ein Abrechnungsbetrug vorliegt (dradio, 16.7.2012).
Ein zweites Verfahren
Im Juli erwähnt die FAZ, dass ein zweites Verfahren läuft. Betroffen sei ein minderjähriger Sportler, der vor 2011 behandelt worden war. (FAZ, 12.7.2012)
Am 2. November 2012 veröffentlichte die NADA eine Pressemitteilung, in der sie verkündete, das Deutsche Sportschiedsgericht habe einen Radsportler frei gesprochen, der mit der UV-Methode vor 2011 behandelt worden war, denn die Methode sei nicht verboten gewesen.
„Der Schiedsrichter, Rechtsanwalt Dr. Stephan Wilske, kam zu dem Ergebnis, dass die UV-Behandlung von Blut, wie vom Mediziner Andreas Franke am Olympiastützpunkt Erfurt über Jahre praktiziert, vor dem 1. Januar 2011 nicht von Regel M1 der Verbotsliste erfasst sei. Damit fehle es bereits an einem objektiven Verstoß gegen die Anti-Doping-Bestimmungen. „In diesem richtungsweisenden Fall haben wir jetzt Klarheit über die Rechtslage vor 2011 und richten daran nun unser weiteres Vorgehen aus“, kommentierte NADA-Chefjustiziar Dr. Lars Mortsiefer den Schiedsspruch.“ (NADA, 2.11.2012)
Dieses Urteil traf weithin auf Unverständnis. Insbesondere der Tenor der NADA-Mitteilung, der suggerierte, als sei die NADA, immerhin Klägerin, erleichtert darüber, erzeugte Widerspruch angesichts der klaren Aussagen der WADA und des Rechtsgutachten von Heiko Striegel, wonach die Methode eindeutig auch vor 2011 verbotene gewesen sei (dradio, 4.11.2012: Zitate Steinacker, Prokop, dardio, 4.11.2012: Kommentar Seppelt, Stellungnahme Steinacker).
Am 8.11.2012 wurde diese Angelegenheit noch verwirrender. Der Generalsekretär des Deutschen Sportschiedsgerichts Jens Bredow erklärte im Deutschlandfunk, es handele sich bei diesem Urteil keineswegs um eine Grundsatzentscheidung, sondern lediglich um eine Einzelfallentscheidung,
„Eine grundsätzliche Aussage, dass es vor 2011 zulässig war, Blut zu entnehmen, zu bestrahlen und wieder zuzuführen, enthält das Urteil nach meinem Dafürhalten ganz sicher nicht“. (spiegel-online, 8.11.2012)
Das Urteil selbst blieb erst einmal für die Öffentlichkeit unter Verschluss. Erst wenn eine Partei vor dem CAS Einspruch erheben würde, würde der Schiedsspruch veröffentlicht werden hieß es.
Am 26.11.2012 gab die NADA bekannt, Einspruch gegen das Urteil vor dem CAS einzulegen (NADA, 26.11.2012). Das Urteil des DIS wurde am 29.11.2012 veröffentlicht. Infrage stand die Behandlung eines jungen Radsportlers von 16 Jahren im Jahr 2008.
Am 14. Mai 2013 begann die Verhandlung vor dem CAS (dradio, 12.5.2013, dradio, 19.5.2013).
Das Urteil wurde am 22.7.2013 bekannt. Danach handelt es sich bei der UV-Methode nicht um Doping für den Zeitraum vor dem 1.1.2011.
Das Internationale Sportschiedsgericht entschied, dass die in Artikel M 1.1 der WADA-Verbotsliste genannten Formen des Blutdopings nur insoweit verboten sind, als sie zur Erhöhung des Sauerstofftransfers geeignet sind. Dies sei in diesem Fall nicht erwiesen. Deshalb sei der objektive Tatbestand einer verbotenen Methode nicht erfüllt. Das damalige Regelwerk der WADA verbot demnach nicht die Entnahme von Blut, UV-Behandlung und anschließende Rückführung. Die CAS-Richter hielten zudem fest, dass der Athlet weder fahrlässig noch vorsätzlich gehandelt habe. (NADA, 22.7.2013
Eine genauere Analyse des Urteils könnte aber auch besagen, dass das Urteil kein Urteil über die Methode generell ist sondern sehr den vorgebrachten Einzelfall betrachtet. Vor allem, da es sich um eine einmalige Anwendung in geringer Menge gehandelt habe und damit den Sauerstofftransfer nicht beeinflusste, sei es kein Doping gewesen. Das Gericht stellte in seiner Begründung auch fest, dass es unangebracht sei einen 16jährigen Sportler zu belangen, wenn gleichzeitig die beiden Erwachsenen, Trainer und Arzt, unbehelligt blieben. Zudem ließ sich das Gericht auf die Unterscheidung von Infusion und Injektion ein. Die Frage, ob die Methode schon vor 2011 verboten war, dürfte damit nicht entschieden sein.
TAS/CAS: CAS 2012/A/2997 Nationale Anti-Doping Agentur (NADA) v. Y. Schiedsspruch
EXKURS: FREMDWORT DOPINGPRÄVENTION
Unter Präventionsgesichtspunkten war diese Affaire eine Katastrophe. Hier wurden junge Sportler, auch Minderjährige über Jahre hinweg mit Methoden vertraut gemacht, die Dopingmentalität fördern und strikt abzulehnen sind, auch wenn es sich dabei nicht um eine verbotene Methode handeln sollte. Äußerungen Betroffener zeigen, dass die Anwendungen mit gemischten Gefühlen ertragen wurde, dass latent Zweifel vorhanden waren, dass sie aber letztlich keine kompetenten Ansprechpartner hatten.
Insbesondere beim BDR hätten alle Alarmglocken läuten müssenangesichts der vielen Sportler, die betroffen waren. Der BDR hatte eigentlich mit seinem >>> GATE-Projekt und der richtungsweisenden >>> Leipziger Erklärung der A-Trainer des Jahres 2008 andere Weichen gestellt.
Die UCI war zudem der erste Verband, der eine „No Needle Policy“ eingeführt hat.
Prof. Dr. Jürgen M. Steinacker: Grenzlinien – Die „No Needle Policy“
Es ist für junge Sportlerinnen und Sportler, die versuchen dopingfrei zu bleiben, sicher verwirrend, wenn sie erkennen müssen, dass sich aus Verbänden kaum jemand meldet, der sich klar und deutlich gegen die jahrelange Praxis ausspricht. Wenn sie erkennen, dass Verantwortliche kaum Fragen stellten und im Zweifelsfall nicht gegen die Methode sprachen, sondern weg sahen. Wenn sie erkennen, dass ihre Vertrauenspersonen im besten Falle keine Ahnung haben von Dopingregularien, Dopingentwicklungen, Dopingkontext und der Entstehung von Dopingmentalität. Und wenn sie erkennen, dass wieder nur die Sportler/innen mit Sanktionen rechnen müssen und letztlich allein gelassen wurden.
Die Angelegenheit zeigt zudem, dass die Grenzen möglicher Medikamentalisierung weiterhin ausgelotet werden. Was nicht ausdrücklich verboten ist, ist erlaubt.
Aber vielleicht ist das Bekanntwerden dieser Behandlungspraxis ja auch ein Glücksfall.
Monika