Peter Winnen
1999 gestehen die ehemaligen Radprofis Peter Winnen, Maarten Ducrot und Steven Rooks langjähriges Doping während ihrer Profizeit in den 80er und Anfang der 90er Jahre.
Peter Winnen erzählt in einem Artikel des Niederländischen ‚NCR Handelsblad‘ vom 3. Juli 1999 über seine Erfahrungen.
Peter Winnen war Profi von 1980 – 1991
Als Doping noch unschuldig war
Peter Winnen war 1983 3. im Gesamtklassement der Tour de France. Er sah da sorglos relativ harmlose Dopingprodukte. Später lernte er die Gefahren von EPO und Wachstumshormonen kennen. Plötzlich konnte er Bergziegen mit weniger Talent nicht mehr folgen. „Durch den Einzug von EPO lege ich auf alle Ergebnisse der letzten 10 Jahre keinen Wert.“
Im Feld war er bekannt als der Intellektuelle, er hatte ein abgeschlossenes Studium (Lehrer) und auch mal ein Buch von Dostojevski auf seinem Nachttisch liegen. Nach seiner Laufbahn fertigte er eine Skulptur an: Einen Penis aus Bronze, als Hinweis auf die Dopingkontrollen.(…)
Mit 14 war ich „Neuling“ (eine Nachwuchskategorie in den NL), gerade in meiner Pupertät und hatte Wachstumsprobleme, die mir ziemlich zu schaffen machten. Ich experimentierte mit Diviatamon (Vitaminmarke) und irgendein Guru gab mir Lebertran. Alles noch harmlos, aber wohl ein Beweis, dass die Radjugend schnell an den Gebrauch von Medikamenten gewöhnt wird. Ein Radfahrer endet oft als Süchtiger. Drogen oder Bier, ich sehe keinen Unterschied.
Als ich 1980 Profi wurde, standen meist harmlose Produkte auf der Dopingliste. Es war die Rede von einer simplen, naiven Trennung zwischen gut und böse. Wenn man mit einem dieser harmlosen Produkte erwischt wurde, war man ein Betrüger. Das Unrecht rief eine riesige Geschlossenheit in der Szene hervor. Diese rigorose Trennung zwischen gut und böse war zu absurd. Es ging um einen grauen Grenzbereich, worüber man kein vernünftiges Wort sagen kann.
Früher war Radfahren ein romantischer Sport. Die Fahrer waren auf sich angewiesen. Es herrschte ein bestimmter Zusammenhalt im Peloton. Brüderlichkeit ist das richtige Wort. Das Peloton war sehr ähnlich einer primitiven Gesellschaft, ein Biotop. Einmal geht man sich an den Kragen, ein anderes Mal schließt man Pakte und arbeitet zusammen.
Während der Tour de France 1986 durchbrach ich die Trennlinie (zum Dopen). Auf der Etappe nach Alp d’Huez brach ich völlig ein. Ich beriet mich mit meinem sportlichen Leiter Peter Post. Sollte ich absteigen, oder Testosteron nehmen, als letzte Rettung? Ich wählte selbst und entschied mich zum Dopen. Hätte ich darauf hin pinkeln müssen, ich hätte bestimmt keine Geschichten erfunden. Einige Tage darauf ging ich dann nach Hause und habe mich entschieden keine Risiken mehr (erwischt zu werden) einzugehen.
Ich beschäftigte mich immer sorgsam mit der Materie. Ich arbeitete auf der Basis von Vertrauen. Ich befand mich in einer Grauzone, wobei mir kein Sportarzt noch was Vernünftiges sagen konnte. Darf man Testosteron nehmen, als Mittel zur besseren Regeneration? Selbstverständlich ist es leistungsfördernd, aber eine gute Nachtruhe ist es auch. Von Amphetaminen wird man drogenabhängig. Aber man kann dadurch keinen Meter schneller fahren? Da, glaube ich, ist das Zeug wichtiger als die Wirkung. Das Medikament war ein Placebo.
Ich beendete die Vuelta mal mit einer Lebensmittelvergiftung. Mein Körper begann schon meine Muskeln abzubauen. Ich wurde dann wie jeder Bürger von einem Arzt mit normalen Medikamenten behandelt. Aber bei der Dopingprobe wäre ich sofort positiv gewesen. Was schadet, was hilft dem Menschen? Nach einer Bergetappe bei der Tour wäre es besser am Tropf zu hängen, als den ganzen Magen leer zu kotzen.
Bis 1987 war Doping normal und akzeptiert. Sponsoren und Betreuer waren auf der Suche nach dem Zaubertrank. Man wurde als Fahrer gelobt, wenn man Sachen geheim hielt. Das Milieu ähnelt sowieso sehr einer Sekte. Danach wurde die Mentalität im Peloton weniger angenehm. Als das gefährliche Zeug wie EPO oder das Wachstumshormon entdeckt wurde, hatte jeder wieder im Feld Geheimnisse vor dem anderen. Keiner blickte mehr durch. Der Sport befand sich in einem heftigen Aufruhr.
1987 wurde ich durch ein Interview mit einem Englischen Athleten, David Jenkins, aus den Träumen gerissen. Später wurde er als Händler und Schmuggler erwischt und mußte ins Gefängnis. In dem Artikel nannte er 15 Produkte, die man nicht nachweisen konnte. Er machte die traditionellen Mittel zur Sau und sich über sie lustig. Danach zählte ich eins und eins zusammen, mit dem was ich im Peleton wahrgenommen hatte. Ich war nicht blind.
Seit der Einführung von EPO war ich sofort chancenlos. Die größten Bauerntölpel ließen mich stehen. Das Niveau war mit einem Schlag wahnsinnig gestiegen. Seit dem Moment war Talent nicht mehr entscheidend. Durch den Gebrauch von EPO haben die Ergebnisse der letzten Jahre für mich keinen Wert. Ich mußte zum Beispiel sehr laut über die 3 Gewiss Ballan Fahrer lachen, die 1994 beim Flèche Wallone das Feld zerfetzten. Die Wahrheit kam diesen Frühjahr raus. Sie fuhren damals mit einem Hämatokritwert von fast 60 %.
Ich konnte meinen Beruf nicht mehr ausführen, wie es sich gehört. Ich wollte aufhören. Es war die Periode, in der es ziemlich viele Tote gab. Radrennen war nicht länger ohne Risiken möglich. In Belgien sind damals in ziemlich kurzer Zeit 12 Amateure tot vom Rad gefallen. Das konnte kein Zufall sein. Die Tode Bertje Oosterosch und Johannes Draaijer nahmen mich sehr mit. Ich sah viele Jungs kaputt gehen. Sie trieben sich immer weiter in die Selbstzerstörung. Ob ich auch Lust hatte daran zu sterben? Nein natürlich nicht. Ich hatte nicht die Absicht, als Halbtoter mitzufahren. Dann lieber keine guten Ergebnisse.
(…)
Es ging nicht nur um Epo, sondern um Cocktails von EPO, Wachtumshormone, Schildrüsenhormone, Testosteron. Diese Cocktails wurden professionell angefertigt. Sie wurden zusammengesetzt wie eine Tüte gemischte Lakritze. Es war die Periode, als die Sportärzte im Peleton Fuß faßten. (…)
Ich wollte niemals für PDM fahren, obwohl sie mir mehrmals einen lukrativen Vertrag angeboten hatten. Sie gingen sehr weit mit der medizinischen Betreuung. Der Führungsstab von PDM wollte gewinnen. Ich kannte die Gefahren. Erik Breukink ist für PDM gefahren. Nach der Intralipid-Affäre zog er einen Schlußstrich. (…)
Seit 1997 die Gesundheitskontrollen eingeführt wurden, gibt es eine Chancengleichheit für alle Rennfahrer. Jeder versteht seine Sache. EPO ist selbst erlaubt, solange der Hämatokritwert nicht über 50% ist. EPO ist nicht gefährlich, wenn man es mit der richtigen Betreuung anwendet. Es gab in den letzten Jahren nicht so viele Tote. In den 80er Jahren war es wohl ein bißchen anders. Da wußte man noch nicht so viel über Blutdoping.
Die Gesundheitskontrollen haben ihren Ursprung in der Frustration von Fahrern, die nicht bereit waren, die großen Risiken einzugehen und dadurch eine Menge Geld verloren. Sie haben die Initiative ergriffen, nicht aus ethnischen Bedenken sondern aus purem Eigeninteresse.
(…)
Sport ist Theater geworden. Ich kann genau so gut Miss Saigon schauen. Dann sehe ich auch ein Spektakel, dass vom Anfang bis zum Ende inszeniert ist. Aber die Schauspieler in einem Musical sind nicht so blöd wie die Rennfahrer im Peleton. Sie sind kleine Räder in einem System. Es gibt viel Geld im Radsport. Nur die Fahrer sehen die Tour de France als sportlichen Wettkampf. Die Geldgeber haben selbst die sportlichen Leiter in der Zange. Das Publikum will nichts mit Dopinggeschichten zu tun haben.
Jean Marie Leblanc, Tourdirektor, erhielt von Coca Cola den Auftrag auf jeden Fall den Schein der Sauberkeit zu erwecken. Die TV Sender bezahlen für die Volksbelustigung. Die Rennfahrer wollen nur mit den Blumen winken und auf dem Podium geküsst werden. Sie sind ein Spielball, da sie so naiv sind. Kann man ihnen das übel nehmen? Künstler und Wissenschaftler sind auch völlig fixiert auf ihren Beruf. Um zu gewinnen hat man Scheuklappen nötig.
Das Dopingproblem ist nicht mit Gesundheitskontrollen zu lösen. Wir bekommen jetzt eine Big Brother Situation. Eine totalitäre Stimmung. Früher gab es nur diese blöden Urinkontrollen. Nachdem Pollentier diese Sache verschaukelt hatte, mit der Birne und dem Urin unter seiner Achsel, steht jetzt ein Männchen neben dir. Ich habe erlebt, dass ich so einen Mann über die Hände pinkelte. Sehr erniedrigend. Der Vorfall gab mir die Inspiration für mein Bilddhauerwerk. In meinem Buch gehe ich subtiler vor. Ich tue es mit mehr Stil. Nein, schreiben ist für mich keine Therapie. Ich bin mit mir selbst im Reinen.
Übersetzung Christine und Werner
Das angesprochene Buch von Peter Winnen:
Von Santander naar Santander
Brieven uit het peloton
Thomas Rap Verlag
Die deutsche Ausgabe:
Post aus Alpe d’Huez
Eine Radsportkarriere in Briefen