Ein belgischer Ex-Profi erzählt
Am 8. Dezember 2004 erschien in der belgischen Zeitschrift ‚de Standaard‘ ein Interview mit einem belgischen Ex-Profi-Radfahrer, in dem dieser sich zu den Dopinggebräuchen im Peloton äußert. Verbreitetes Doping gibt er auch als Begründung für seinen Rückzug aus dem Radsport an.
Der Fahrer wollte anonym bleiben.
„Massenhaftes Doping ist zwar begreiflich, aber zutiefst unehrlich.“
„Frank Vandenbrouke erzählte den Untersuchungsbeamten nach der Entdeckung seiner Doping-Apotheke bei sich zuhause, dass er nur das mache, was das gesamte Peloton macht. Eine Erklärung, die er schnell wieder zurücknahm. Und doch trifft es zu, dass Doping die Regel und ein nichtdopender Fahrer eine seltene Ausnahme ist. Teamleiter, Betreuer und Ärzte vermuten das schon, sie tun aber ihr Bestes, um nichts sicher zu wissen und schließen darher gerne Augen und Ohren, wenn es darauf ankommt. Vielleicht würden manche Fahrer lieber sauber fahren, aber der Druck zur Pille und Spritze zu greifen, ist riesig.“
Das ist die Analyse von Bart, einem fast 30jährigen Ex-Profi, der vom Dopingmissbrauch angewidert das Peloton verließ.
zuhause bei Bart
(…) „Ich hatte viel Glück, dadurch dass meine Eltern den Radsport nicht liebten und dass ich selbst – im Gegensatz zu fast allen anderen jungen Fahrern – keinen Onkel oder keinen weiterverwandten Vetter hatte, die Rad fuhren. Ich ging auf die Musikschule und meine Eltern wollten am liebsten, das das so weiter ging. Nach langem Quängeln ließen sie mich an meinem 16. Geburtstag einen Vertrag unterzeichnen: ich durfte Rad fahren, wenn meine schulischen Leistungen nicht darunter litten. (…)“
„Ich habe ein zweites Mal Glück gehabt, als ich als junger Fahrer auf jemanden stieß, mit dem ich mich auf Anhieb verstand, der das Radsportmilieu sehr gut kannte und entschieden gegen Doping war. (…)“
Bart weiß sehr gut, dass vieles vielleicht anders gelaufen wäre mit einer radsportverrückten Familie, einer Umgebung, die durch seine ersten Ergebnisse einen Kick bekommen hätten, wie einer großen Fangemeinde, zwielichtige Betreuer. (…)
unter Junioren und Amateuren
Bart: „Als Neuling und Junior amüsierte ich mich riesig. Es war so schön, dass ich zu meinem 18. (Geburtstag) zum großen Ärgernis meiner Eltern beschloss, nicht auf die Universität zu gehen, sondern ein A1-Studium gemacht habe, so dass ich noch genug Zeit hatte für das Radfahren. In diesem Alter wurde noch nicht über Doping gesprochen. Und ich bin davon überzeugt, dass kaum geschluckt wird. Mein bester Freund war – nach Frank Vandenbrouke – das größte Radsporttalent Belgiens. Dennoch fuhr er sauber (…) Eine Dopingkontrolle war ein nettes Ereignis. Niemand fürchtete sich davor, niemand hatte Geheimnisse. Im Gegenteil, ich war sogar ein bisschen neidisch auf diejenigen, die pinkeln durften.“
„Nicht nur sportlich, sondern auch die Stimmung ändert sich wie Tag und Nacht (bei den Amateuren ab 19 Jahren). Es zählen andere Dinge. Es kann Geld verdient werden und bestimmt jeder dritte von den Amateuren hofft auf einen Profivertrag. (…) Während der Ronde van Antwerpen sah ich zum erstem Mal jemanden sich eine ‚Dopingspritze’ setzen. Ich war gehörig geschockt, entdeckte aber schnell, dass das alles andere als etwas besonderes war. (…) Lass mich so sagen, 20 bis 30 Prozent der Amateure gehören in die Kategorie ’schwere Fälle’. Nochmal 20 bis 30 Prozent nehmen es nicht immer, ‚packten‘ gezielt zu bestimmten Rennen.“
(…)
„Mein erstes Amateurjahr war nicht einfach, aber im zweiten Amateurjahr erreichte ich manchmal eine Top Ten-Plazierung bei Klassikern (für Amateure) und in meinem besten Jahr gewann ich drei wichtige Rennen. Immer völlig sauber. Ich begriff sehr wohl, dass die anderen es anders angingen, aber das interessierte mich nicht. Ich habe später viel darüber nachgedacht, warum ich so reagierte. Ich vermute, dass es mit meiner Erziehung zusammen hängt: für meine Eltern war Ehrlichkeit eine wichtige Tugend. Und natürlich war es auch deshalb, weil ich als ungedopter immer noch mit den besten mithalten konnte. Eigentlich gab es mir einen Kick, mich mit Leuten zu messen, die unsauber fuhren. (…) Ich fühlte schon, dass ich etwas gemieden wurde. Und dicke Freunde hatte ich im Peloton nicht mehr. Aber man ließ mich in Ruhe. Und wenn ich auf die Suche nach Dopingmitteln gegangen wäre, hätten sie mich bestimmt direkt an die richtigen Personen verwiesen. (…) In erster Linie Menschen aus dem Milieu. Die Namen der Dealer rund um das Peloton waren bekannt. Ich konnte da einfach hingehen und sagen: Ich will etwas probieren. Und selbstverständlich (musste ich) das nötige Geld auf den Tisch legen.“
(…)
„Dopinggebrauch war eine Frage von Cliquen. Eine Gruppe von Fahrern vertraute sich untereinander, aber sie posaunten ihre Dopingpraxis sicher nicht aus. Aber es war nicht alles extrem geheim. Wer Augen und Ohren offen hielt, konnte einiges mitbekommen. So erfuhr ich, dass „wie viele Striche hast du gemacht ?“ der Code für den Cortison-Gebrauch war. Und im Gegensatz zu den Junioren war die Angst vor Dopingkontrollen wohl echt. Ich habe mehr als einmal erlebt, dass Fahrer plötzlich aus der führenden Gruppe verschwanden, als bekannt wurde, dass eine Kontrolle anstand.“
Profis
„Am Ende der Saison bekam ich einen Vertrag als Stagiar. Ich landete einige Male unter den Top Ten und begann davon zu träumen, die Flandern-Rundfahrt zu gewinnen. Ich hatte nicht richtig eingeschätzt, dass viele Profis im September und Oktober (am Ende der Saison) ziemlich ausgebrannt sind.
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Ich fühlte mich schnell abgestoßen vom massiven Dopingmissbrauch. Bei 95 Prozent meiner Teamkameraden war ich sicher, dass sie immer schluckten. Nicht sehr lange Zeit nach der Festina-Affaire fuhren wir nach Frankreich, der Teamleiter – der Angst davor hatte, in Frankreich wegen der Dopingmittel seiner Fahrer vor Gericht gestellt zu werden („Ich werde wegen dieser Affen nicht ins Kittchen gehen“) – hat sich vorher nach unseren Hämatokritwerten erkundigt: 48, 49,48,5,49. Ich selbst hatte 41. Ich entdeckte auch, dass die vorjährigen Trainingsaufenthalte im Frühjahr in Spanien eigentlich als Deckmantel benutzt wurden um Medikamente zu kaufen. EPO war noch frei zu bekommen. Ich wusste auch, dass man manchmal mehr als 30 Apotheken aufsuchen musste, da das Produkt überall ausverkauft war. Ich staunte auch darüber, dass Teams drei Wochen nach dem ersten Trainingslageraufenthalt schon wieder in ein Trainingslager nach Spanien fuhren. Das mußte sein, um die bestellten Medikamente abzuholen.“
(…)
„(nach einem Jahr) ist zum ersten Mal jemand öffentlich an mich herangetreten, der sagte, ich könne besser fahren, wenn ich mich dopen würde. Er könnte mir ein Paket liefern, sagte er. Es würde mich 15.000 Francs (400 Euro) pro Monat kosten. Es war ein kurzes Gespräch, sodass ich nicht weiß, was er mir genau anbot, aber was ich so rundherum hörte, handelte es sich um eine Kombination aus Cortison, EPO und Wachstumshormonen. Amphetamine waren am Aussterben. Aber ich spreche natürlich von lange zurückliegenden Jahren. Ich weiß, dass neuere EPO-Formen jetzt auch bei den Amateuren die Runde machen.“
Grenzgänge
(…) „Ich habe lange geglaubt, dass Doping einen schlechten psychologischen Effekt hat. Das war für mich ein weiteres Argument nicht zu dopen. Ehrlich gesagt, jetzt denke ich, dass es für jemanden der nicht schluckt, unmöglich geworden ist eine bedeutende Rolle zu spielen. Es gibt enorme Unterschiede. Einige dopen sich viel ‚verständiger’ als andere und können so eine lange, stabile Karriere haben: Sie fahren bestimmte Perioden sauber, die ihnen nicht so viel bedeuten. Die Toppleute laden sich nicht vor dem Ster van Bessèges und der Quatar-Rundfahrt, aber sie arbeiten ‚ihrem’ Klassiker zu. Bei Kriterien-Fahrern, die ihre Rolle einschätzen können, ist es anders. Meine Teamkollegen präparierten sich nicht für die Frühjahrsklassiker, da sie wussten, dass sie keine bedeutende Rolle spielen konnten.“ (…)
(…)
Von Teamärzten und Teamleitern hat er nicht mitbekommen, dass diese zum Dopen anleiteten oder Mittel vergaben bzw. anwendeten. Allerdings wussten sie sehr wohl Bescheid, bei fehlender Leistung wurde dann eben der Vertrag nicht verlängert.
(…) „Für viele – auch Amateure, aber sicher Profis – ist das Rad das einzige, was sie haben. Radfahren ist ihr Leben. Dabei werden sie furchtbar gepuscht von ihrer Umgebung, durch die sie ein wenig (lokale) Berühmtheit erlangen. Außerdem ist es ihr Lebensunterhalt und sie haben keine andere Alternative als das laufende Band einer dunklen, stinkenden Fabrik. Auch wenn es nicht wirklich schön ist in einem Profipeloton. Es gibt wenig Kameradschaft, auch nicht in kleinen Teams. Denn letztendlich ist es immer Geschäft und jeder versucht zu überleben. Ich habe glücklicherweise ein Diplom, für mich war ein anderes Leben möglich. Daher bin ich auch schnell ausgestiegen.“
Danke an Christine für die Unterstützung