Doping: Delion, Gilles – Radsport

Profis und Amateure erzählen

Gilles Delion

Nicolas Aubier
gibt 1997 mit 25 Jahren den Profiradsport auf, um nicht in die Dopingspirale zu geraten. Er hatte bereits EPO und andere Mittel auf Anraten genommen, wollte damit aber nicht weiter machen.
(L’Humanité, 17.1.1997)

Gilles Delion, Profi von 1989 bis 1996, war einer der ersten, der die Dopingpraxis im Peloton öffentlich anprangerte.
In einem Interview, das Jahr ist nicht bekannt, wahrscheinlich 1996 / 1997, erzählt er Näheres.
Das Originalinterview auf Französisch ist auf ecoute dopage zu lesen.

ES GIBT EINE DOPINGKULTUR IM RADSPORT

Wie kamen Sie zum Radsport, wie wurden Sie Profi?
Als ich elf oder zwölf Jahre alt war, gründete mein Vater in unserer kleinen Stadt einen Radtouristik-Club. So begann ich mit meinen ersten wöchentlichen Ausfahrten, doch an manchen Wochenenden fand ich diese Regelmäßigkeit etwas belastend. Da ich einige Qualitäten zeigte, ging ich mit 14 Jahren zu den Wettkämpfen über. Pech und die Aussicht zu gewinnen ließen mich nach und nach erkennen, dass Training notwendig ist, zumal der Spass zunahm. Beim Betrachten der Jahre und der Siege wurde klar, dass ich die Fähigkeiten hatte, Profi zu werden, was immer schon mein Ziel war. So wurde ich in die Equipe HELVETIA von Paul Köechli aufgenommen.

Wann erkannten Sie, dass Dopingpraktiken zum Peloton gehörten?
Mit 14 hatte ich gehört, dass alle „ersten Kategorien“ gedopt seien. Einige Fahrer hatten einen schlechten Ruf. Trotzdem kam ich bis zu den Profis mit diesen Praktiken nicht in Kontakt. Ich hatte ein Team gewählt, das sich beispielhaft verhielt, in dem Doping kein Thema war. Selbst wenn ich davon erfahren hätte, hätte ich nicht gewusst, worum es geht, da ich immer mit sauberen Leuten zusammen kam. Dann ab 92 sah man, dass der Radsport anders wurde und 93 verstand man, dass EPO die Fahrer veränderte, mittelstarke Fahrer wurden plötzlich Super-Fahrer. Nach und nach ging man von Verschweigen und Geheimniskrämerei über zu einem Doping „à ciel ouvert“ (mit offenen Karten), bei dem Fahrer, Pfleger, sportliche Leiter offen darüber sprachen, was sie machten.

Wurden Sie unter Druck gesetzt, Dopingmittel zu nehmen?
Ja. Von Seiten eines sportlichen Direktors und Fahrern, die nicht verstanden, dass ich mich nicht so verhalten wollte wie sie.

Was meinen Sie, woher kommt dieses Bedürfnis, die körperlichen Grenzen immer weiter, zu welchem Preis auch immer, hinauszuschieben?
Es gibt einen Grund: Gewinnen. In diesem Falle heiligt für einige das Ziel die Mittel. Wenn man Rennen gewinnt, verdient man mehr Geld. Der Effekt dieses Hebels ist enorm. Ein Fahrer der keinen Schulabschluss hat, kann Multimillionär werden, wenn ihm eine gute Karriere gelingt. Einfach so. Was die Produkte anbelangt, so sind es Medikamente, die für andere Zwecke als therapeutische, eingesetzt werden. Mediziner, die Ruhm oder Wohlstand erlangen wollen, probieren diese Produkte bei den Fahrern aus. Ist die Wirkung positiv, spricht sich diese Dopingmethode sehr schnell herum.

Glauben Sie, dass Psychologen einen ernsthaften Platz im Sport, im Allgemeinen, und im Radsport, im Besonderen, erhalten werden?
Zuallererst, wesentlich mehr Aufmerksamkeit wird der physischen Vorbereitung mittels langwieriger Arbeitsprogramme geschenkt, dann kommt die Taktik, die man von Rennen zu Rennen studiert. Die Arbeit besteht darin, ausreichend zu trainieren von Einheit zu Einheit, um zu Anlässen in Form zu sein, die man sich vorgenommen hat. Das bedeutet ein gutes Trainingsprogramm mit Rennen, die dazu passen. Sobald man sich den Zielen nähert, wird es für gewisse Fahrer brenzlig. Der Druck steigt und es könnte für sie schwierig werden, damit umzugehen, sie verbrauchen unnötig viel Energie, in dem sie sich vor dem Start zu sehr stressen oder indem sie völlig gelähmt sind durch die Anforderung. Für diese Fahrer, die physisch sehr stark sind aber psychisch schwach, könnte die Arbeit eines Psychologen hilfreich sein. Heutzutage braucht man zusätzlich zu außergewöhnlichen physischen Qualitäten Stärke „im Kopf“, um zu gewinnen. Mit der Hilfe von Psychologen könnten wir es den Fahrern, die durch Druck gehemmt sind, ermöglichen, ihr physisches Potential ganz auszuschöpfen. Dieser Fahrertyp wird jedoch nicht häufig im Straßenradsport anzutreffen sein, da die Rennen Stunden dauern. Sobald das Rennen in Schwung kommt, schwindet die Furcht vor dem Ergebnis. Man sagt im Allgemeinen 50 % der Leistung befindet sich im Kopf. Ich denke, der Kopf folgt eher den Beinen. Auf diesem Niveau sind alle Profis Konkurrenten. Mehr oder weniger natürlich, aber alle sind da, um Rennen zu gewinnen und kennen die Opfer, die sie bringen müssen, um dahin zu gelangen.

Beendeten Sie Ihre Profikarriere aufgrund der Zunahme und Banalisierung des Dopings ?
Teilweise ja. Meine Schwäche war immer, dass ich mehr oder weniger lange Perioden hatte mit unerklärlicher Müdigkeit. Ich konnte daher nicht mehr mit der nötigen Konstanz trainieren oder fahren, um mein bestes Niveau zu erreichen. Soll heißen, ich hatte noch schöne Zeiten aber sie erschienen zunehmend immer weniger gut aufgrund der Leistungssteigerung durch Doping, wodurch das allgemeine Niveau angehoben wurde. Die 80 oder 90 % meines besten Niveaus, die ich mir zurückholte, waren relativ gesehen immer weniger wert.

Welche Rolle spielt Ihrer Meinung nach der Sportpsychologe angesichts des Dopings?
Die Fahrer wissen was sie tun. Wie soll ein Psychologe einen Fahrer davon überzeugen, sich nicht zu dopen, seine Karriere zu opfern, seinen Beruf, seine finanzielle Zukunft, wenn er umgeben ist von Betrügern? Wie ich es Ihnen sagte, es gibt eine „Dopingkultur“ im Radsport, „man weiß“ ab dem Alter von 14 Jahren, dass auf hohem Niveau Doping weit verbreitet ist. Das ist eine Art von Konditionierung.

Welche Bilanz ziehen sie im Nachhinein wenn sie Ihre Karriere betrachten?
Ich hatte eine verstümmelte Karriere. Ein sehr schönes Debut 1989-90, danach war ich nur mehr der Schatten meiner selbst wegen der sich wiederholenden Erschöpfungszustände mit trotzdem gelegentlichen Glanzstücken. Das ist ein Gefühlsgemisch aus Befriedigung und Bedauern.

Welches ist die schönste Erinnerung, die sie aus Ihren Profijahren zurückbehalten haben?
Mein Sieg bei der Lombardei-Rundfahrt, der eine schöne Saison krönte und mir viel Hoffnung für die Zukunft gab.

Welches ist ihre schmerzhafteste Erinnerung ihrer Profijahre?
Alle diese Müdigkeits-Perioden während denen schon das einfache Aufstehen schwierig wurde, wo jede alltägliche Handlung eine Anstrengung erforderte, die ich nicht erbringen konnte. Man muss das erlebt haben, um es begreifen zu können.

Woher nahmen Sie Ihre Motivation und blieb diese während Ihrer ganzen Karriere erhalten?
Die Motivation war sportlich begründet: Große Rennen zu gewinnen und so hoch wie möglich in der Hierarchie des Profi-Rennsports aufzusteigen.

Wie kommen Sie mit dem Wechsel zurecht?
Halber Wechsel, denn ich bin Querfeldein-Profi und so konnte ich meine Radsportkarriere verlängern, was ich mit Leidenschaft mache.

Wie sehen Sie den Radsport heute?
Kritisch natürlich. Kalt auch. Ich begeistere mich nicht mehr für eine physische Leistung, sei es im Radsport oder sonst einem Sport , den Doping kennt keine Verbandsgrenzen. Warum sollte man unter diesen Bedingungen einen Athleten bewundern? Leider sind die sauberen Sportler die ersten Opfer. Ich bin angewidert von den Sportoberen, besonders der UCI (Union Cycliste Internationale), die dem Antidopingkampf in den Rücken fallen , während alle Welt an einem sauberen Sport interessiert ist. Bei denen sollte man mit den Psychologen anfangen.

Das Interview fühte Irène Pain, Second Souffle

ein weiteres Interview aus dem Jahr 1999 findet man auf humanité.presse.fr:
Entretien avec le président d’honneur de l’association de lutte contre le dopage

Giles Delion:
Geb.:
5. August 1966
Geb.ort: Saint-Etienne, Frankreich
Profi, Straße: 1988-1996

Teams:
1989-1992:
Helvetia
1993-1994: Castorama
1995: Chazal
1996: AKI
Profi, Querfeldein: – 2002
Team: Lapierre

Seine größten Erfolge:
1990:
Lombardei-Rundfahrt
1992: Classique des Alpes
1994: Grand Prix d’Ouverture – „La Marseillaise“
94: GP Rennes