China und Doping

2021 – 2024 Massendoping im chinesischen Schwimmsport?

>>> Pressechronik der Causa China-WADA auf doping-archiv.de

2022 – 2024 Recherchen der ARD-Dopingredaktion und der New York Times

Starke Verdachtshinweise legen nahe, dass 2021 vor den Olympischen Spielen in Tokio 23 chinesische Schwimmer*innen positiv auf Trimetazidin getestet wurden, diese Befunde aber ungerechtfertigter Weise seitens der chinesischen Anti-Doping-Agentur CHINADA mit Unterstützung einer dem Geheimdienst unterstehenden Polizeibehörde als unbeabsichtigtes Doping eingestuft wurden. Betroffen waren auch 3 Minderjährige. Die WADA hatte diese Einschätzung 2021 akzeptiert und verteidigt diese Entscheidung auch im April 2024  vehement, was viele Fragen aufwirft.

11 der betroffenen 23 Schwimmerinnen und Schwimmer waren für die Olympischen Spiele in Paris 2024 gemeldet.

Die Untersuchungen zu der Affaire wurden zeitgleich aber unabhängig voneinander seitens der ARD-Dopingredaktion und der New York Times durchgeführt und nach Absprache zur selben Zeit veröffentlicht – mit gleichen Ergebnissen. Erste Hinweise gab ein Whistleblower, auch später noch gab es Hinweise..

sportschau: Video: Massendoping-Verdacht in China – WADA handelt nicht
sportschau: „Die Akte China“ – Fragen und Antworten
sportschau: Stellungnahmen zur „Akte China“ in voller Länge, 20.4.2024
RBB: Geheimsache Doping – der Podcast Die Akte China – Sonderfolge“

Die New York Times berichtete ausführlich darüber, leider sind die Artikel hinter einer Bezahlschranke verborgen.

Die Veröffentlichungen brachten die WADA in starke Bedrängnis. Sie reagierte geharnischt und wies alle Vorwürfe, sie hätte ihrem Code entsprechend falsch gehandelt, möglicherweise auch geprägt von sportpolitischer Abhängigkeit, zurück.

WADA: WADA statement on case of 23 swimmers from China, 20.4.2024
WADA: WADA statement following comments by CEO of United States Anti-Doping Agency, 20.4.2024

Sie reagierte mit einer Pressekonferenz per Video am 22.4.2024:

WADA: WADA publishes media conference recording regarding environmental contamination case of swimmers from China

Die Ausführungen der anwesenden Topleute der WADA beruhigten die Gemüter allerdings nicht. Die Beteuerungen, sie würden wieder alles so machen wie zuvor, wirkte hilflos.

Die kritische Presse – USA, Europa, Australien – äußerte sich weiterhin misstrauisch und zweifelnd.
Insbesondere Trevis Tygart von der USADA positionierte sich öffentlich am Lautesten und widersprach den Ausführungen der WADA auf das Heftigste.

Entsprechend konterte er einem WADA-Papier, mit dem seitens der WADA versucht wurde, die Hauptfragen und Kritikpunkte zu beantworten und zu entkräften:

WADA:  Contamination case of swimmers from China – Fact Sheet / Frequently Asked Questions, 29.4.2024
USADA:  Response to WADA’s Flawed FAQ Document, 15.2024
Reuters: USADA slams WADA for ‚half-truths‘ in China doping case

Warum die Angaben seitens der chinesischen Ermittlungen und Angaben durchaus viele Zweifel an deren Glaubwürdigkeit zulassen bzw. es etliche alternative glaubwürdige Interpretationsmöglichkeiten gibt, und die WADA  dadurch kein gutes Bild abgibt, mit hoher Wahrscheinlichkeit ihr eigenes Regelwerk missachtet hat, erläutert und analysiert detailliert Hajo Seppelt in einem Podcast ab Minute 45. Interessant dabei, dass es vor den Recherche-Veröffentlichungen der ARD und der New York Times einen Versuch gab, diese zu torpedieren:
RBB: Die Akte China – Sonderfolge

Auch Alexander Kekulé gibt ausführliche Erläuterungen in folgendem Audio:
MDR: Doping im Sport: Ein krankes System. Kekulés Gesundheits-Kompass · 25.04.2024 · 68 Min.

Welche Relevanz hat Trimetazidin, das Medikament im Falle der Chinesischen Schwimmer für Doping im Sport? Fragen an Mario Thevis. 25.4.2024:
ZDF: Versehentlich Trimetazidin, geht das?

Neue InformationEn aus China

Der ARD-Dopingredaktion wurden bis Mitte Juni 2024 verschiedene neue Hinweise zu den Vorfällen in China zugespielt, wonach etliche Angaben aus China, die der WADA von der CHINADA übermittelt wurden, nicht stimmen könnten. So wurden u. A. nicht alle Sportler*innen, die betroffen waren, über ihre positiven Befunde unterrichtet und es sollen sich nicht alle in in dem Hotel, in dem die angebliche Kontamination stattfand, befunden haben. Zudem ist eine Dopingmöglichkeit aller im Vorfeld des angeblichen Kontaminationszeitpunktes gegeben.
Sportschau: Neue Hinweise auf Vertuschung – Druck auf China und WADA wächst, 26.6.2024

Zitate:
„Der ARD liegt der Screenshot eines Social-Media-Posts eines der 23 Schwimmer vor. Zhang Ruixuan schrieb in einer Antwort auf einen anderen Beitrag über den Vorfall: „Ich bin positiv. Warum wusste ich nichts davon?“ Diese Nachricht, die er über sein privates Konto auf der chinesischen Plattform Weibo geschrieben hat, ist inzwischen gelöscht.
Die Regeln besagen, dass die für das Ergebnismanagement zuständige Stelle, in diesem Fall die CHINADA, den betreffenden Athleten „unverzüglich benachrichtigen“ muss.

Eine Untersuchung des chinesischen Ministeriums für Öffentliche Sicherheit, eine Behörde mit Geheimdienstbefugnissen, lieferte hier die Hinweise, die als entlastend gewertet wurden. … Ob die WADA den Aspekt beleuchtet hat, dass möglicherweise Athleten nicht über positive Dopingproben in Kenntnis gesetzt oder nicht die Gelegenheit zur Stellungnahme erhielten, ist unbekannt. … Der ARD liegen Informationen vor, wonach mindestens zwei weitere der 23 Schwimmer nicht über ihre positiven Tests benachrichtigt worden sind.

Die Informationen der ARD stammen von chinesischen Quellen, die angeblich direkten Zugang zu den beteiligten Schwimmern haben. Zweifelsfrei verifizieren ließ sich dies nicht. Eine Quelle verwies auf das enorm hohe Risiko für Whistleblower in China und lehnte es aus Sicherheitsbedenken ab, der ARD einen direkten Kontakt zu den Schwimmern und weiteren chinesischen Hinweisgebern zu vermitteln.
Diese Quelle … behauptet, dass Anfang 2021 nicht alle 23 Athleten im Huayang Holiday Hotel untergebracht waren, in dem die angebliche Kontamination des Essens mit dem später festgestellten Dopingmittel Trimetazidin stattgefunden haben soll. Belegt wird dies mit Chats aus der chinesischen Schwimmsport-Szene, die der ARD-Dopingredaktion vorliegen.
Dies würde bedeuten, dass diese Athleten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit keine Lebensmittel aus der Küche und dem Restaurant des Hotels zu sich genommen haben können.

Im CHINADA-Bericht hatte es … geheißen, die Athleten hätten sich alle in den Wochen vor dem Wettkampf in ihren Provinzen aufgehalten. Ein systematisches Doping der Nationalmannschaft wurde so von der CHINADA als unmöglich angesehen.
In der Tat, wie Social-Media-Posts zeigen, hielten sich manche Sportler in diesem Zeitraum auch außerhalb Pekings auf. Allerdings liegen der ARD-Dopingredaktion auch Screenshots aus Chat-Verläufen chinesischer Social-Media-Plattformen vor, die die Abläufe ganz anders darstellen. Demnach seien zumindest Teile der Nationalmannschaft im Sport-Komplex der Hauptstadt über lange Zeit regelrecht kaserniert worden. …“

Die WADA lehnte es aber ab, die neuen Hinweise zu prüfen und zu berücksichtigen. Sportschau, 29.7.2024:


Zum Schutz von Hinweisgebern waren Teile des Materials unkenntlich gemacht worden. Wie die ARD nun aus der WADA hört, reichen ihr die Hinweise offenbar wieder nicht für weitere Ermittlungen aus. Diese wolle die WADA nur unter der Maßgabe aufnehmen, dass sie direkten Zugang zum Whistleblower, zur Quelle, erhalte.

Bis dahin sei es auch unwahrscheinlich, dass sie die Möglichkeit in Paris nutzt, mit den betroffenen Athleten direkt zu sprechen, um die chinesische Geschichte zu überprüfen. Aus Furcht vor Repressalien in China lehnt der Whistleblower direkten Kontakt zur WADA ab. Er ist nach eigenem Bekunden mit den Informationen gerade deswegen an die ARD getreten, weil kein Vertrauen in die WADA herrsche, nachdem sie den Fall 2021 nach sechs Wochen Prüfung ohne Sanktionen und ohne ihn öffentlich zu machen, eingestellt hatte.

Über die chinesischen Presseagenturen gab es, soweit mir bekannt, kaum erklärende oder ergänzende Informationen. Danach hätten CHINADA und WADA im regelkonformen  Miteinander die Sache behandelt.

WADA, World Aquatics: Beauftragung von Untersuchungen der Affaire, insbesondere des Umgangs mit den Vorfällen und den daraus resultierenden Entscheidungen

WADA und der internationale Schwimmverband World Aquatics hatten nach der WADA-Pressekonferenz unabhängige Untersuchungen zu den Vorfällen und dem Umgang damit eingeleitet. Die Wahl des Beauftragten Eric Cottier stieß allerdings auf viel Kritik, da ihm aufgrund seiner langen Einbindung in den Sport mangelnde Unabhängigkeit unterstellt wurde.

Eric Cottier legte der WADA am 1.7.2024 einen vorläufigen Bericht vor. Darin wird der WADA kein Fehlverhalten bescheinigt, offene Fragen aber auch nicht beantwortet. Die oben zitierten neuen Informationen, die der ARD-Dopingredaktion zugespielt wurden, fanden noch keinen Eingang in den Bericht. Der Endbericht wurde am 12.9.2024 veröffentlicht, s.u. .

WADA: Independent Prosecutor concludes WADA showed no bias towards China and decision not to appeal Chinese swimming cases was ‘indisputably reasonable’
>>> SUMMARY REPORT, Issued on July 1 2024 by Eric COTTIER (hereinafter: the Investigator), in Lausanne

Kommentare in der deutschen Presse konnten in dem Bericht keine Entlastung der WADA sehen, zumal in dem Bericht erwähnt wurde, dass auch seitens der WADA anfangs erhebliche Zweifel an den chinesischen Angaben geäußert wurden.   Süddeutsche Zeitung, 12.7.2024:

„Das, was sich im Anhang von Cottiers Zwischenbericht versteckt, wirkt wie ein zusätzlicher Brandbeschleuniger. Demnach bezweifelten zwei hochrangige Wada-Mitarbeiter die Version der Chinesen massiv, als der Fall erstmals aufkam. Olivier Rabin, der Wissenschaftsdirektor der Agentur, merkte an, dass die Chinesen weder eine exakte Quelle der TMZ-Verunreinigung ausgemacht hatten, noch einen Mitarbeiter im betroffenen Hotel, der damals TMZ konsumierte. Das „überraschte“ Rabin. Es sei jedenfalls „nahezu unmöglich, ein realistisches Szenario zu entwerfen“, für die Kontamination.

Rabins Kollegin Irene Mazzoni pflichtete bei: Minimale Dosierungen in der Küche zwei Monate nach der angeblichen Kontamination, keine Quelle – alles wenig plausibel. Mazzoni folgerte jedoch, wie Rabin, Bemerkenswertes: Da man die Kontaminierungsgeschichte nicht plausibel habe widerlegen können, müsse man sie halt akzeptieren. Zumal die Grenzen wegen der Pandemie damals geschlossen waren.“

World Aquatics legte kurze Zeit darauf ebenfalls einen Untersuchungsbericht vor, der allerdings nicht auf der WA-Homepage zu finden ist. Auch dieser Bericht entlastet WADA und WA :
Reuters: World Aquatics did not mishandle Chinese doping cases, confirms it, 16.7.2024

Der Endbericht von Cottier wurde am 12.9.2024 von der WADA veröffentlicht:
>>> Independent Prosecutor’s final report – Cottier Report

Die abschließenden Bemerkungen Cottiers im Report, S. 54-57, können
>>> hier auf doping-archiv in deutscher Übesetzung nachgelesen werden.


weitere zweifelhafte Entscheidungen?

Ende Juli berichtete die New York Times von 2 weiteren abgeblichen chinesichen Dopingfällen, die keine Sanktionen nach sich zogen. Die WADA gab sofort eine Stellungnahme dazu ab. Danach wurden im November 2022 eine chinesische Schwimmerin und ein chinesischer Schwimmer, Anfang 2023 ein BMX-Fahrer und ein Schütze positiv auf das Anabolikum Metandienon getestet, allerdings fanden sich nur gerine Spuren. Sie wurden sofort suspendiert. Bei allen vier wurde nach Angaben der CHINADA überprüft, ob eventuell eine Kontaminationen von Nahrungsmitteln oder Nahrungsergänzungsmitteln vorlag. Umfangreiche Tests hätten diesen Verdacht nach einem Jahr in den 4 Fällen bestätigt, so die WADA. Die WADA akzeptierte die Beurteilung und legte keinen Einspruch vor dem CAS ein. Sie habe aber Anfang 2024 eine Studie in Auftrag gegeben, mit dem Ziel die Häufigkeit, Wahrscheinlichkeit und das Risiko in China und anderen Ländern kontaminiertes Fleisch zu verzehren, zu erforschen. Es habe in letzter Zeit weltweit sehr viele entsprechende Fälle gegeben.

Erneut wurden in einigen Medien Fragen zu dem Umgang der WADA mit chinesischen Fällen aufgeworfen, vor allem warum die WADA so bereitwillig chinesischen Erklärungen glaube. Da hierbei wieder Athlet*innen betroffen waren, die bei den OS 2024 in Paris antraten, nahm das Misstrauen  unter den Konkurrent*innen chinesischer Schwimmer*innen stetig zu. Immer lauter wurden Zweifel an der Arbeit der WADA seitens Sportler*innen laut geäußert.
WADA: WADA statement on contamination cases in China, 30.7.2024
sportschau: Neue Doping-Verdachtsfälle WADA winkt weitere chinesische Freisprüche durch, 30.7.2024
Sportschau:  Der nächste Hinterzimmerdeal der WADA, 1.8.2024

Diskussion im Sportausschuss des Deutschen Bundestages, 12.6.2024

TOP 2 der öffentlichen Sitzung des Sportausschusses des Dt. Bundestages war „Umgang der WADA mit dem Dopingverdacht in China“. Teilnehmer waren Athleten Deutschland, NADA, Hajo Seppelt. Die WADA nahm nicht teil, hatte aber eine kurze Stellungnahme geschickt. Weitere  Stellungnahmen liegen von >>> Athleten Deutschland, >>> NADA und >>> iNADO vor. Insbesondere die Stellungnahme der iNADO ist bemerkenswert, da sie insgesamt  76 Mitglieder repräsentiert.
>>> 54. Sitzung Sportausschuss am 12./13.6.2024
Fazit der Anhörung:
Dt. Bundestag: Doping in China: Vertrauen in die Wada geht verloren
FAZ: „Die WADA verspielt gerade sämtliche Akzeptanz“

Die WADA zeigte sich in ihrer Stellungnahme verärgert über die Anhörung und reagierte mit einer kleinen Retourkutsche (>>> WADA-Stellungnahme, 23.5.2024):

„Da kein Verstoß gegen Anfi-Doping-Bestimmungen festgestellt werden konnte, gab es keine Grundlage für eine entsprechende Veröffentlichung. Auch weil die deutsche Nafionale Anfi Doping Organisafion aufgrund der Gesetzeslage in Deutschland keine Anfi-Doping-Sanktionen entsprechend den Veröffentlichungspflichten des Welt-Anfi-Doping-Kodex veröffentlicht, gehe ich davon aus, dass Sie ein besonderes Verständnis dafür haben,dass für die Veröffentlichung eine angemessene Rechtsgrundlage erforderlich ist.“ (Siehe dazu >>> doping-archiv.de: 2023 NADA und WADA-Code:
NADA-Praxis der Veröffentlichungen von Sanktionen)

Veröffentlichtes Fazit der Diskussion im Sportausschuss:

Eine „Räuberpistole“ sei dies, befand Journalist Seppelt und kritisierte die Wada, deren Stellungnahmen zu dem Fall viele Fragen offenließen.

Die Säbelfechterin Léa Krüger, Präsidiumsmitglied bei Athleten Deutschland, sowie der Wasserballer Kevin Götz als Athletenvertreter des Deutschen-Schwimmverbandes (DSV) sprachen von einem Vertrauensverlust in die Integrität und Funktionsfähigkeit des globalen Anti-Doping-Systems. Deutliche Worte fand auch der für Sport zuständige Parlamentarische Staatssekretär im Bundesinnenministerium (BMI), Mahmut Özdemir (SPD). Die Wada, deren Budget zu einem Viertel durch Deutschland und die Staaten des Europarates gedeckt werde, verspiele „jegliche Existenzberechtigung“, sagte er.

Für den Nada-Vorstandsvorsitzenden Mortsiefer sind weiterhin viele Fragen unbeantwortet. Es gebe nach wie vor Unklarheit und Unsicherheit über viele, wichtige Einzelheiten und den Umgang der Wada mit dem Sachverhalt. „Die Diskussionen insbesondere um die Auslegung des Regelwerks führen dazu, dass die deutschen Athletinnen und Athleten ihr Vertrauen in das globale Anti-Doping-System hinterfragen“, gab er zu bedenken.

Ob Doping oder Kontamination: Die Betroffene hätten in jedem Fall vorläufig suspendiert werden müssen, machte Mortsiefer deutlich. Das sehe das internationale Regelwerk so vor. Es sei daher festzustellen, „dass das Anti-Doping-Regelwerk der Wada derzeit weltweit unterschiedlich interpretiert wird oder werden kann“.

Als Athlet nehme er erhebliche Eingriffe in seinen sportlichen und privaten Alltag in Kauf, sagte Wasserballer Götz. Die Athletinnen und Athleten akzeptierten die Beweislastumkehr, die sogenannte „Strict Liability“, als tragende Säule des Anti-Doping-Kampfs und würden „aus Überzeugung für einen sauberen Sport“ die Strapazen des globalen Doping-Kontrollregimes selbstverständlich auf sich nehmen. Daher erwarte man von der Wada, dass global gültige Anti-Doping-Regularien kohärent angewendet und durchgesetzt werden, betonten Krüger und Götz.“

Deutsche Politiker ließen nicht locker. Eine Delegation des Sportsausschusses des Deutschen Bundestages traf sich am 8.8.2024 kurz vor den Olympischen Spielen in Paris in einem nicht öffentlich angekündigten Treffen WADA-Präsident Witold Banka, seinem Generaldirektor Olivier Niggli und Chefjurist Ross Wenzel. Das Gespräch verlief nach Ansicht der Deutschen enttäuschend. Das WADA-Trio blieb bei der bisherigen Version und sah kein Fehlverhalten. (Sportschau 10.8.2024, engl. Version).

Meinung David Howmann

In einem FAZ-Interview mit David Howman, ehemaliger Generaldirektor der WADA, heute Leiter der Athletic Integrity Unit (AIU), äußerte er sich kritisch über das Verhalten desr WADA-Vorstands in der Affaire der Chinesischen Schwimmer. Er stellte nicht das WADA-Managementteam in Frage sondern hinterfrug das Verhalten des Vorsitzenden Banka und des Generaldirektors Niggli. Für Howman ist die fehlende Transparenz nicht hinnehmbar. Er sieht die Glaubwürdigkeit der WADA beschädigt und fordert weitestgehende Transparenz der Vorgänge und der damit einhergehenden Entscheidungen. FAZ: Howman  „Dann wird immer ein Verdacht im Raum stehen“, 11.8.2024:


Meine Haltung war immer, dass die WADA eine transparente, unabhängige Einrichtung ist. Sie sollte der Welt die Informationen zeigen, aus denen sie ihre Entscheidungen abgeleitet haben. Dann wäre jeder glücklich oder unglücklich, aber er hätte zumindest Informationen, um sich eine Meinung zu bilden. Das ist wie bei einem Fall vor Gericht; man kann ihn nicht verhandeln ohne Beweise. Es wird in diesem Fall wissenschaftliche Meinungen geben, rechtliche Betrachtungen, und es wird Informationen geben, die öffentlich gemacht werden sollten. Sobald dies der Fall wäre, würde sich die Sache ziemlich schnell aufklären.

Sollte die WADA durch irgend etwas dazu gezwungen sein, nicht transparent zu sein, sollten wir vielleicht auch davon hören. Jeder reagiert anders. Unglücklicherweise beginnen heutzutage viele Leute viel zu schnell, sich zu verteidigen, anstatt zu verstehen, dass es sich einfach um eine Frage nach Information handelt. Ich weiß, dass das Management-Team der WADA aus sehr klugen Leuten besteht, die unabhängig und transparent sein und der Welt sagen wollen, was passiert. Tun sie das nicht, wird möglicherweise das Ansehen der Agentur in Stücke geschlagen. Ich kann nicht mehr sagen als: Informiert die Leute zufriedenstellend.

Man sollte die WADA fragen, warum sie nicht die Dokumente in diesem Fall veröffentlicht: den Report der CHINADA, wissenschaftliche und rechtliche Gutachten. Tun sie’s nicht, wird immer der Verdacht im Raum stehen, dass sie etwas verheimlichen.

Ich würde mich nicht der Theorie anschließen, dass die WADA dramatischer Veränderungen bedarf aufgrund eines hoffentlich einmaligen Falls. Sie ist eine einmalige Einrichtung in der Welt des Sports. Was es braucht, sind Leute, die im richtigen Moment das Richtige tun, die Regeln und Verfahren folgen. Tun sie das nicht, sollte ein Schiedsgericht sagen, dass sie es nicht tun und nicht zu Entscheidungen auf der Basis von Beweisen kommen. Dann wird die WADA sich ändern. Es gibt Regeln und Strukturen.

Konflikt USA / USADA – WADA

der Rodchenko Act (>>> doping-archiv.de)

Die Affaire um die chinesischen Schwimmer*innen führte schnell zu einer geharnischten Kontroverse zwischen den USA und der WADA. Insbesondere Travis Tygart von der USADA nahm kein Blatt vor den Mund und griff die WADA hart an. Die Politik schaltete sich ein. Nachdem WADA-Vertreter im Juni 2024 zu einer Anhörung vor dem US-Kongress geladen und um die Herausgabe vertraulicher Daten der 23 betroffenen chinesischen Sportler*innen ersucht wurden, die WADA aber beides verweigerte, wurde sie scharf angegangen. WADA-Präsident Banka konterte und warf der USA und der USADA vor, mit zweierlei Maß zu argumentieren angesichts weniger Dopingkontrollen im Vergleich z.B. zu Deutschland und vor dem Hintergrund, dass die großen US-Ligen nicht dem WADA-Code unterliegen.
WADA: WADA statement regarding congressional hearing in the United States, 25.6.2024
WADA: Statement by WADA President on the politicization of anti-doping in the United States, 27.6.2024
FAZ: Kongress-Abgeordnete in den USA drohen WADA, 27.6.2024

Der größte Konflikt entwickelte sich um die Anwendung des Rodchenko Acts. Mit Hilfe dieses Gesetzes und des FBI hatte die USA eigene Ermittlungen angekündigt. Für die WADA der größte Affront.
Hierzu schaltete sich alsbald auch das IOC ein und unterstützte die Argumentation der WADA, der Rodchenko Act sei nicht mit dem WADA-Code kompatibel*. Als erster hierzu im Namen des IOC äußerte sich Richard Pound, Ex-WADA-Vorsitzender, und gab zu Bedenken, die Anwendung des Gesetzes könne dazu führen, dass den USA die Olympischen Spiele 2028 und 2034 entzogen würde.
Reuters: Doping-US at risk of losing both 2028 and 2034 Olympics, says Pound
FAZ: Schlammschlacht unter Doping-Bekämpfern, 25.7.2024

* Eine Analyse, ob der Rodchenko Act tatsächlich dem WADA-Code entgegensteht, ist mir nicht bekannt. Sie wäre hilfreich.

USADA und undercover -Einsätze von Athleten

The Guardian berichtete am 28.7.2024 erstmals von einem des Dopings überführten Athleten, der von der USADA 2015 einen Deal angeboten bekam, als Undercover-Agent Suspendierung und Sperre vermeiden zu können. Reuters folgte Anfang August mit weiteren Details und erwähnte, dass mindestens in 3 Fällen zwischen 2011 und 2015 entsprechend verfahren wurde. Die WADA erklärte hierzu, sie habe erst 2021 davon erfahren und ein sofortiges Ende dieser Praxis verlangt, da solche Deals nicht mit dem WADA-Code vereinbar seien. Die USADA forderte von der WADA absolutes Stillschweigen um die Sportler nicht zu gefährden. Zum Schutz der Athleten habe die WADA eingewilligt und geschwiegen.

Trevis Tygart von der USAD widersprach heftig, diese Praxis sei bereits zu den Ermittlungen im Falle Lance Armstrong angewendet worden in vollem Einklang mit der WADA.

Am 19.8. meldete sich Jack Robertson zu Wort. In einem 5seitigen Statement, das er New York Times vorliegt, beschuldigte er die Leitung der WADA, Falschinformationen zu verbreiten. Robertson war bis 2016 Chefermittler der WADA und arbeitete mit Howman und auch schon mit Olivier Niggli zusammen. Laut Robertson war die WADA damals sehr genau über den Einsatz von undercover eingesetzten Sportlern für die Drug Enforcement Administration (DEA) informiert und eingebunden. Es habe keine gravierenden Differenzen gegeben, die WADA habe das US-Vorgehen  unterstützt. Niggli sei eingebunden gewesen. Die WADA wies diese Angaben gegenüber der NYT zurück (nicht veröffentlicht).
Robertson fordert eine Umstrukturierung der WADA zu einer glaubhaft unabhängigen Organisation ohne korrupte Puppenspieler („a truly independent restructured agency needs to be instituted in its place, free of corrupted puppeteers.”).
Jack Roberston hatte 2016 frustriert die WADA verlassen nachdem er dem damaligen WADA-Präsidenten Craig Reedie Behinderungen bei den Ermittlungen zu Russland vorgeworfen hatte (>>> Interview mit Jack Robertson).
NYT:  Former Investigator Assails World Anti-Doping Agency, 19.8.2024:

„Mr. Robertson said in his statement on Monday that WADA knew about the decision to allow the athletes to continue competing so they could help in the D.E.A. investigation. WADA, he said, was directly involved in the situation, liaised with American law enforcement about it and briefed WADA’s No. 2 official at the time, David Howman, about the details of the investigation.

“WADA was not only aware of and approved, but was also intimately involved in these cases,” Mr. Robertson said.

Mr. Robertson said that the current top official at WADA — its director general, Olivier Niggli — should have known that WADA’s claims against USADA were false because when he worked there, Mr. Niggli “personally oversaw my department’s budget, and was kept informed of my work with USADA” and other organizations.

Mr. Howman confirmed that Mr. Robertson’s recollection of events was accurate, adding, “All he says about his work with me was as it happened.”

WADA denied Mr. Robertson’s account on Monday.“

Alte Konflikte, politisch-ideologische Differenzen

Einige europäische Medien beobachteten die sich zuspitzenden Auseinandersetzungen zwischen den USA / der USADA und der WADA mit etwas Abstand.

Seit Langem schwelende Konflikte, nicht selten begründet in politisch-ideologischen Einstellungen und persönlichen Animositäten aber vor allem auch geopolitische Konstellationen, dürften nach einigen Meinungen Stil und Inhalte der Auseinandersetzungen in der gegenwärtigen Diskussion um die China-Affaire mit beeinflussen und erschweren. So gefährdeten diese möglicherweise eine befriedigende Aufklärung und könnten langfristig eskalieren – letztlich nichts Neues aber durchaus immer wieder zu berücksichtigen.
SZ: Wie Schachspieler, die plötzlich mit Fäusten kämpfen, 26.4.2024
the Conversation: Chinese swimming scandal: a strong defence by world anti-doping body, but narrative of ‘cover-up’ remains, 24.4.2024
the guardian: Inside anti-doping’s civil war: anger and suspicion spill into the open, 28.4.2024

Zu berücksichtigen hierbei ist auch Chinas Doping-Vergangenheit, die seit Jahrzehnten von viel Misstrauen begleitet wird. Sie trägt mit dazu bei, dass die Enthüllungen rund um die Art und Weise wie die WADA die Affaire um die 23 Schwimmer*innen behandelte, auf viel Unverständnis und Kritik stößt.
the guardian: Poison in the pool: why the latest Chinese doping row is proving so toxic, 27.4.2024
Siehe hierzu auch die Zusammenstellung hier auf  doping-archiv: Dossier China und Doping

 

Stand August 2024