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Briefwechsel zwischen Prof. Mader und Prof. Treutlein 2010
Im April 2010 schrieb Prof. Dr. Alois Mader, bis 2000 Professor an der Sporthochschule Köln, einen offenen Brief an Prof. Gerhard Treutlein und Andreas Singler. (>>> Alois Mader)
Hauptsächlicher Anlass des Schreibens war ein Satz in dem Buch von Singler/Treutlein ‚Doping im Spitzensport‘, wonach er, Mader, von 1965-1974 an der Sportmedizinischen Hauptberatungsstelle des Bezirks Halle/Saale das ärztliche Anabolikadoping von Sportlern, u.a. auch von Kornelia Ender, überwacht hätte. Diese Behauptung geht zurück auf entsprechende Recherchen von Berendonk/Franke, veröffentlicht 1991/1992.
Arzt Dr. Alois Mader war 1974 in den Westen nach Köln gewechselt. In den Folgejahren fiel er als Befürworter der Anabolikafreigabe auf, so beispielsweise während der Sachverständigen-Anhörung vor dem Sportausschuss des Deutschen Bundestages am 28.9.1977. (Doping im Spitzensport: Auszüge/Zitate)
In dem Schreiben, insgesamt 24 Seiten, an die beiden Autoren gibt der Mediziner an, erst 2009 auf das Buch gestoßen zu sein und empört sich darüber, nicht persönlich gehört worden zu sein. Seiner Meinung nach, sei dies unwissenschaftlich. Nie sei er während seiner Zeit in Halle in das Anabolikadoping involviert gewesen. Scharf wendet er sich gegen die Annahme, Kornelia Ender sei gedopt worden. Ihm selbst sei ein direkter oder persönlicher Kontakt zu der jugendlichen Sportlerin untersagt gewesen. Lediglich ein von ihm entwickelter „Zweistrecken-Laktat-Test“ sei bei der Sportlerin zur Anwendung gekommen.
Weiter kritisiert A. Mader, die beiden Autoren hätten das DDR-System in seiner Entwicklung falsch dargestellt. Generell sei festzustellen, dass im Westen das Augenmerk zu sehr auf das Ost-Doping gelegt worden sei und damit die wichtigeren Aspekte hoher Leistungsfähigkeit wie Training und Förderung vernachlässigt wurden. Zudem würde das verbreitete Doping und die damit verbundene Dopingmentalität in Westdeutschland meist ausgeklammert. Heftig bemängelt er, dass über Jahrzehnte hinweg innerhalb des westdeutschen Sports eine trainingswissenschaftliche Ignoranz bzw. fehlende Bereitschaft trainingsmethodisches Neuland zu betreten, geherrscht hätten. Dagegen habe er selbst immer angekämpft und geforscht. Nur wage geht Mader in seinem Schreiben auf seine öffentlich vertretene Haltung gegenüber einer großzügigen Anwendung anaboler Steroide nach seinem Wechsel in den Westen ein. Zudem schweigt er darüber, warum er nicht bereits nach Erscheinen des Berendonk-Buches ‚Dopingdokumente‘ (1991) bzw. ‚Doping‘ (1992) auf die Behauptung, er sei in Halle mit dem Anabolikadoping befasst gewesen, reagiert hatte.
A. Mader wirft G. Treutlein zudem persönliche Heuchelei vor, habe er doch als DLV-Funktionär die Dopingpraxis mit unterstützt und keine Konsequenzen aus den Dopingturbulenzen während der Wendezeit gezogen. Eine Behauptung, der G. Treutlein scharf widerspricht, da er zu keiner Zeit innerhalb des DLV als Funktionär tätig war.
>>> PROF. ALOIS MADER, OFFENER BRIEF AN GERHARD TREUTLEIN.pdf
>>> PROF. GERHARD TREUTLEIN ANTWORTE ALOIS MADER AM 1.5.2010.pdf
ZITATE
Alois Mader:
Antwort Gerhard Treutlein:
Nicht eingegangen sind Sie in Ihrem Schreiben auf unsere Anmerkungen zu Ihrer Befürwortung eines ärztlich kontrollierten Dopings (eine Überschreitung des ärztlichen Auftrags), zu Ihren Äußerungen zu Schädigungsmöglichkeiten der Gesundheit durch Anabolikamissbrauch sowie zur „Korrektur gängiger Schönheitsideale“ (sprich: Virilisierung von Frauen). Von solchen Äußerungen sind Sie – meines Wissens – bis heute nicht abgerückt.
Sollten etwa die nachfolgenden, in Veröffentlichungen wiedergegebenen Äußerungen falsch sein?
– „Dem Problem der Leistungssteigerung im Sport unter Zuhilfenahme von Pharmaka unter Hinweis auf den hippokratischen Eid aus dem Wege gehen zu wollen, ist nach meiner Meinung vordergründige Drückebergerei, wie Pilatus wäscht man sich die Hände in Unschuld.“ (Ihr Leserbrief in der „Medical Tribune“ vom 6.5.1977).
– „Der 1974 aus der DDR in die Bundesrepublik übergewechselte Sportarzt Dr. Mader hat dabei die wohl blumigste Formel gefunden. Wer sich in der zur Zeit gegebenen Situation ernsthaft bemühe, die medikamentösen Hilfen für den Hochleistungssportler aus dem Verkehr zu ziehen, … ‚benutzt die eigenen Athleten als Hasen, die er zwischen intelligenteren Igeln zuschande hetzt.’ Wer möchte sich dies schon nachsagen lassen?“ (Frankfurter Rundschau, 7. Mai 1977)
– Und vor dem Sportausschuss des Deutschen Bundestags 1977: „Es ist ziemlich sicher, daß Anabolika bei Frauen ebenso leistungssteigernd wirken wie bei Männern. Nach meiner Kenntnis ist das im DDR-Leistungssport ausprobiert worden. Es haben sich eindeutige Effekte in vielen Sportarten nachweisen lassen. Sie sind auch bei einzelnen Sportlerinnen mit derem freien Einverständnis angewandt worden. Die befürchteten gesundheitlichen Folgen sind bisher in keinem Fall eingetreten. …“ – Mit dem freien Einverständnis ist das so eine Sache, diese Ihre Aussage haben Sie mit Sicherheit nicht überprüft, denn da kenne ich von Dopingopfern ganz andere Aussagen.
– „Wenn man wissenschaftliche Forschung auf diesem Gebiet betreiben will, so muß man entsprechend Leistungssportlerinnen Anabolika geben. Wenn man das von vornherein moralisch verurteilt – das ist durchaus richtig – , darf man diese Forschung nicht machen. Das heißt, man wird nie Bescheid darüber wissen. (..) In einer wissenschaftlich-technischen Zivilisation ist der Mensch aber auf das Experiment angewiesen; er kann nicht darauf verzichten.“ (Protokoll des deutschen Bundestags, 1977, S. 143) Sportler als Versuchskaninchen?
– „Daß Kraftsportler in Ländern des Ostblocks seit langem systematisch mit Anabolika gemästet werden, ist spätestens kein Geheimnis mehr, seit der vor zwei Jahren aus der DDR geflüchtete Sportarzt Alois Mader detailliert darüber berichtete. Mader war es auch, der die staunenden west-deutschen Kollegen überhaupt erst auf die Vitaminspritze brachte.“ (Zeitschrift Selecta 39 vom 27. September 1976).