Das Thema Doping in der öffentlichen Diskussion 1990 – eine Annäherung
Wendezeit II: 1991 Das Jahr der Kommissionen
Die Enthüllungen des Jahres 1990 und die damit verbundenen, nicht immer mit Samthandschuhen geführten Auseinandersetzungen, hatten innerhalb der Sportorganisationen einen enormen Problemdruck erzeugt. Von vielen Seiten wurde geordnete Aufklärung verlangt. Da boten sich offiziell eingesetzte und autorisierte Kommissionen an, hinter deren Ergebnissen man sich dann gut positionieren konnte. Doch nicht alle waren der Meinung, dass weitere Untersuchungen von Nöten seien. Für Prof. Wildor Hollmann, Gründer des Instituts für Sportmedizin der Deutschen Sporthochschule Köln, seit 1990 im Ruhestand, lagen mittlerweile ausreichend Beweise auf dem Tisch, nun sei es Zeit für eine Amnestie.
Denn „was hat sich durch die Enthüllungen in den vergangenen Tagen und Wochen geändert? Daß bei vielen Spitzensportlern Doping im Spiel war, ahnten wir oder glaubten es sogar zu wissen, doch die Beweise fehlten. Informationen durch den Sportler im Arzt-Patienten-Gespräch zählten nicht – durch ärztliche Tätigkeit erworbenes Wissen darf nicht unter Namensbezug weitergegeben werden wegen des Verbots der ärztlichen Schweigepflicht. Erstmal scheint jetzt handfestes Beweismaterial vorzuliegen, der qualitative Unterschied zu früher.“
Doch „Sollte man nicht nur gedopte Athleten, sondern auch verantwortliche Trainer und Ärzte zur Rechenschaft ziehen? Sollten die Dopingstrafen wesentlich verschärft werden? Zur Vergangenheitsbewältigung aber ist es meiner Auffassung nach richtig, eine Generalamnestie auszusprechen, um das Waschen schmutziger Wäsche zu vermeiden, welches im nachhinein niemandem nützt, vielen schadet, Wunden schlägt, Gräben zwischen ganzen Institutionen aufreißt und stattdessen nach vorne in die Zukunft zu blicken. Mut zu konsequenten Entschlüssen in Verbindung mit einer positiven Denkweise sind momentan mehr denn je angebracht.“ (>>> Wildor Hollmann)
Solchen Gedanken wurden jedoch nicht sofort gefolgt. Man wählte den Umweg über die Kommissionen, deren Ergebnisse bzw. deren Umsetzung letztlich viel Ähnlichkeit mit Hollmanns Forderungen hatten.
Prof. Armin Klümper, wegen Abrechnungsbetrugs und Dopingvorwürfen im Fall Birgit Dressel zunehmend infrage gestellt, war ebenfalls nicht zufrieden mit der öffentlichen Diskussion und dem Umgang miteinander:
Richtig ist, daß sich etwas bewegt, [heute, im Kampf gegen Doping, seit 1977 gäbe es zwar eine Debatte, die habe aber nichts bewirkt] weil über die Medien Druck ausgeübt wurde. Aber schauen Sie sich die Trainingskontrollen an, die jetzt als das Allheilmittel angeprießen werden. Ich halte sie für schlecht vorbereitetes Umsichschlagen, für Beruhigungspillen für die Öffentlichkeit. Es macht mich sehr stutzig, wenn ich einen Herrn von Richthofen erklären höre, man könne jedem an den Kragen gehen und dies an die Presse weiter geben. (…) So schafft man nie die notwendige Vertrauensbasis und damit das Klima, in dem eine sinnvolle und fruchtbare Dopingdiskussion gedeihen kann.
(…)
Wie hätten Sie’s denn gern?
Ich will Ihnen sagen, wie wir es in den 60er Jahren im Radsport gemacht haben, und das gilt immer noch. Ich habe den Fahrern erklärt, daß ich sie nicht in die Pfanne hauen und ihnen das Brot wegnehmen will, sondern daß ich sie davor bewahren will, vor die Hunde zu gehen. (…)Wenn wir unsere Amateure erwischt haben, dann haben wir das nicht an die Öffentlichkeit getragen, sondern verbandsintern reglementiert. Er hatte dann die Wahl, sein Fehlverhalten öffentlich zu gestehen oder sich eine dreimonatige Grippe zuzulegen. Das hat ein ganz anderes Klima geschaffen.
>> Armin Klümper
Die Reiter-Kommission
Bereits vor dem feierlichen Zusammenschluss des Ost- und Westsports hatten DSB und NOK die Einsetzung einer „Unabhängigen Untersuchungskommission“ beschlossen. Die sog. Reiter-Kommission‘ – benannt nach ihrem Vorsitzenden Prof. Heinrich Reiter, Präsident des Bundessozialgerichts – wurde offiziell am 24. Januar 1991 konstituiert.
Deren Aufgabe war es, aufgrund der Erfahrungen aus der Vergangenheit Handlungskonzepte zur Bekämpfung des Doping in Zukurift zu entwickeln. Nicht war es ihre Aufgabe, Einzelfälle von Doping aufzuklären und dafür Sanktionsmaßnahmen den zuständigen Stellen vorzuschlagen.“ Konkret war geplant durch Anhörungen ein Bild über Doping in Ost und West zu erhalten. „Zu klären ist nun vor allem, inwieweit sich der Dopingausschuß überhaupt mit der Vergangenheitsbewältigung beschäftigen und welchen Raum die Weichenstellung in eine manipulationsfreie Zukunft einnehmen soll. „Ich neige dazu, das Gewicht mehr auf die letzte Frage zu legen“, signalisierte BMI-Ministerialdirektor Schaible bereits in Bonn. Reiter wünscht sich möglichst lückenlose Aufklärung, doch sieht auch er große Schwierigkeiten, die bislang publizierten Anschuldigungen stichhaltig zu machen. „Wir sind kein vom Staat etabliertes Gremium. Wir können niemand zur Aussage zwingen, niemanden unter Eid stellen“. Daume wie Schaible plädieren dafür, mit eidesstattlichen Versicherungen zu arbeiten.“ (SZ, 12.12.1990)
Einige Sportfunktionäre sollen die Reiter-Arbeitsgruppe etwas distanziert betrachtet haben, von einer ‚Feigenblatt-Funktion‘ war die Rede und auch innerhalb des Bundesausschuss Leistungsssport (BAL) gab es Abgrenzungsversuche. Manfred von Richthofen, stellvertretender BAL-Vorsitzender und DSB-Vizepräsident soll sich veranlasst gefühlt haben, die Arbeitsfelder des BAL von der der Kommission trennen zu müssen. Dieser obläge eher die grundsätzliche, moralisch-ethische und dem BAL die praktische Anti-Doping-Arbeit wie die Kontrolltätigkeit, für die seitens des BAL weitere finanzielle Mittel angekündigt wurden. Zudem sprach v. Richthofen davon, der BAL erwäge erneut eine Amnestie auf der Basis einer Kronzeugenregelung. (FAZ, 11.1.1991)
Von Richthofen übernimmt wenig später den Vorsitz einer eigenen Untersuchungs-Kommission, s.u..
Am 18. Juni 1991 lag der Abschlussbericht vor. Er ist hier nachzulesen:
>>> Abschlussbericht der Doping-Kommission (Reiter-Kommission)
Klar wird festgehalten:
„Die Kommission geht davon aus, daß die Verantwortlichen im deutschen Sport spätestens seit 1976 Vermutungen und auch Kenntnisse vom Anabolikamißbrauch im deutschen Leistungssport hatten. Forderungen nach einem energischen Vorgehen wurden nur halbherzig erfüllt; insbesondere das Problem der Kontrollen in der Trainingsphase wurde zunächst nicht angegangen. Man beschränkte sich auf den Erlaß einer Vielzahl von Resolutionen und Erklärungen sowie auf andere Maßnahmen, die im Nachhinein als Alibi-Vorgehen zu bezeichnen sind.“
Um das Dopingproblem mittels wirkungsvoller Handlungskonzepte angehen zu können, so fordert der Bericht, bedarf es dessen vorbehaltloser und exakter Kennzeichnung vor der Vereinigung in Ost und West. Eine separate Darstellung sei notwendig.
Die Autoren verlangten für alle geständigen Athleten eine Generalamnestie, forderten aber, dass das gesamte Umfeld der Sportler, Trainer, Funktionäre, Ärzte, Medien ihre Verantwortung in der Dopingbekämpfung übernehmen. Sie schlagen konkrete Maßnahmen vor. Insbesondere der Schutz von Jugendlichen erfordere dabei außergewöhnliche Maßnahmen.
Reiter erklärte in einer Panorama-Sendung, Herbst 1991:
„Wir haben viele Gesprächspartner zu uns geladen, Trainer, Sportler, Funktionäre und Ärzte und die Basis war eben, daß wir feststellen mussten, dass eigentlich die Verantwortlichen schon seit 1976 Kenntnisse oder Vermutungen über den Anabolikamissbrauch haben mussten. “
„Es gab sicher einzelne, die haben es von sich aus gemacht, es gab aber auch sicher, vor allem bei einem engen Trainer-Sportler-Verhältnis, Dinge, die vom Trainer aus initiiert worden sind. Oftmals waren das auch Verhältnisse von Sportlerinnen zu ihrem Trainer, die in einem sehr engen Verhältnis oft mitsammen gearbeitet haben. Da kam die gewisse Initiative, na, es gibt ja das und das, nimm doch das mal, versuch doch das mal. Das waren unsere Erfahrungen, also in kleinen Zirkeln oft von der Trainerseite her, aber auch von der Sportlerseite als individuelle Motiven her initiiert.“
Die Kommission konnte keine Dopingeinzelfälle aufklären und Sanktionen vorzuschlagen. Singler /Treulein sprechen hier von einem Geburtsfehler, denn die vorgelegte allgemeinen Ausarbeitungen hätten keinen Handlungsdruck erzeugt. Während der Anhörungen wurde wahrscheinlich auch von den Befragten nicht mit offenen Karten gespielt. Volker Grabow, Athletensprecher und Kommissionsmitglied beklagte Willi Daumes „Mauer des Schweigens“ während dessen Anhörung vor der Kommission (Welt am Sonntag, 7.4.1991 nach J. Braun, S. 154), obwohl sich der NOK-Präsident im Januar 1991 nach einem „Hintergrund-Gespräch“ mit ihm (SZ, 12.1.1991) dahingehend zitieren ließ, „dass die Leisrungsmanipulation doch wesentlich tiefer ginge, als er bislang geahnt habe.„ Da erstaunt es nicht, wenn der Reiter-Bericht festhält, dass über das Doping im Westen „keine exakten Angaben“ über persönliche Verstrickungen gemacht werden könne.
Heinrich Reiter, 8.2009:
„Nach einer Fachtagung hat mich Innenminister Wolfgang Schäuble Ende November 1990 angerufen und gefragt, ob ich nicht bereit wäre, diese sogenannte Anti-Doping-Kommission zu leiten. Meine Antwort: Verehrter Herr Minister, davon verstehe ich gar nichts. Und Schäuble sagte: Genau einen solchen suchen wir. Da hatte ich keine Chance.»
(…)
„Der Bericht liegt hier vor mir, und ich muss Ihnen unbedingt den letzten Satz vorlesen: ‚Die Kommission hofft, hiermit ihren Beitrag dazu geleistet zu haben, dass der Sport wieder auf den Pfad der Tugend, der Fairness und der Sauberkeit zurückkehrt.‘ Wenn man die letzten 18 Jahre Revue passieren lässt, dann muss ich leider sagen: Es war wirklich so, dass wir 1991 die Hoffnung hatten, die Welt würde sich verbessern. Aber sie hat sich nicht verbessert. Wir haben damals auch ein Zentralinstitut zur Dopingbekämpfung gefordert. Aber das ist auch nicht eingerichtet worden.»
REAKTIONEN
Die Reaktionen auf die Vorstellung der Empfehlungen des Reiter-Berichtes fielen unterschiedlich aus. Die Amnestie von Sportlern fand Zustimmung, die weitere Überprüfung von Funktionären, Ärzten und Trainern häufig weniger. In der Stuttgarter Zeitung vom 21.6.1991 waren einige Äußerungen nachzulesen:
Willi Daume (NOK-Präsident): „Ich fühle mich persönlich nicht betroffen. Natürlich haben alle um das Problem gewußt. Die Einsetzung der Reiter-Kommission ist eine Folge davon. Ich bin aber keinesfalls für eine generelle Verdammung und schon gar nicht dafür, daß man jeder Denunziation nachgeht.“
Erika Dienst (DSB-Vizepräsidentin): „Ich bin für eine Amnestie der Sportler. Aber ich kann weder alle Funktionäre pauschal freisprechen noch sie pauschal verdächtigen. Irgendwann muß es einen Schnitt geben, denn wir können nicht bis in alle Ewigkeit in Bußfertigkeit zurückblicken.“
Emil Beck (Cheftrainer Fechten): „Für die Sportler richtig. Bei den Trainern muß man in Einzelfällen differenzieren, aus welcher Motivation sie es gemacht haben. Wer als Trainer hinter Doping gestanden hat und wer es gefördert hat, der dürfte nicht’mehr weitermachen.“
Roland Matthes (Olympiasieger ExDDR): „Amnestie der Athleten – keine Frage. Trainer, Ärzte und Funktionäre sollten dagegen sanktioniert werden. Dies betrifft auch die Vorgänge in der DDR, denn es gab auch dort Möglichkeiten, sich freiwillig vom. Sportmedizinischen Dienst fernzuhalten und auszuscheiden.“
Bodo Hollemann (DSV-Präsident): „Amnestie für Sportler war schon immer unsere Position. Wir werden nun konkret handeln und zuerst alle Trainer und Ärzte zu einer Stellungnahme auffordern. Zur Überprüfung werden wir möglicherweise ein neutrales Gremium einrichten. Aber wir können nicht alle Trainer entlassen, denn wir müssen auch daran denken, daß der Sport weiterleben muß.“
Volker Grabow (DSB-Aktivensprecher): „Die eigentliche Arbeit fängt jetzt erst an, und es ist ein schwerer Weg. Das IOC muß davon überzeugt werden, zu restriktiven Maßnahmen zu greifen, wenn ein Verband nicht entsprechende Quotierungen bei Kontrollen zuläßt. Zudem muß das IOC die deutsche Amnestie zulassen. Hier sind die deutschen IOC-Vertreter gefordert. Die nationalen Verbände stehen zudem jetzt unter Zugzwang und können sich nicht mehr wie der Schwimmverband herausreden. Einige Verbände werden mit den auf sie zukommenden Aufgaben überfordert sein, deshalb müßte eine übergeordnete Instanz eingerichtet werden. Darüber hinaus glaube ich allerdings nicht, daß die Sportler jetzt reden werden.“
Etliche Reaktionen in der Presse drückten Skepsis und Zweifel aus. Josef-Otto Freudenreich von der Stuttgarter Zeitung sah Probleme in der Umsetzung.
„Das sollen nun dieselben Personen übernehmen, die seit Jahren vom Doping wissen oder selbst darin verwickelt waren. Sie haben die DSB-Grundsatzerklärung von 1977 genauso unbeschadet überstanden, wie jene von 1983, und dabei immer Stein und Bein geschworen, daß sie für einen ‚humanen Spitzensport‘ eintreten werden. Von keinem halbwegs prominenten Funktionär, Trainer oder Mediziner ist bekannt, daß er deshalb aus dem Amt geworfen wurde oder sonst in irgendeiner Weise bestraft wurde.“ Und in der Frankfurter Rundschau wird die Frage aufgeworfen, „was soll man von den ganzen Kontroll-Aktionen und dem Personal-Aktionismus des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV) halten, wenn ein Prognosepapier eines der fünf Cheftrainer, nämlich von Bernd Schubert (ehemals DDR), 20 Medaillen für die Spiele in Barcelona mit Leistungen voraussagt, die unter normalen Trainings-Umständen schwer zu erreichen sind.“
FOLGEN, ERKLÄRUNGEN UND BESCHLÜSSE
Der Bundesausschuss für Leistungssport (BAL) griff im Juli 1991 den Amnestie-Vorschlag auf. Danach sollten die Verbände Sportlern, die vor dem 1.1.1991 gegen Dopingbestimmungen verstoßen hatten, amnestieren und bei „(Heim)Trainern sollte auf Untersuchungen verzichtet werden „wenn kein belastendes Material vorliegt und die Garantie auf Bedeutung dieser geforderten positiven „Zukunftsprognose“verwiesen werden kann.“ (FAZ, 20.7.1991 zitiert nach J. Braun, S. 154) Wobei unter Heimtrainern nur DDR-Trainer gemeint waren, wie es Harm Beyer in einem SZ-Interview peäzisierte (SZ, 20./21.7.1991).
Die Empfehlungen des BAL wurden zur Grundlage der Erklärungen, die einige Zeit später vom Deutschen Schwimmverband DDR-Trainern zur Unterschrift vorgelegt wurde. Jutta Braun hält fest:
„Sie sollte (…) dazu dienen, eine Weiterbeschäftigung in kritischen Fällen zu rechtfertigen, obgleich durchaus belastendes Material vorlag. Während der Aspekt der „günstigen Prognose“ also verbal und faktisch zunehmend aufgewertet wurde, trat das Kriterium der Belastungsfreiheit immer weiter in den Hintergrund.“ (J. Braun, S. 154)
Insgesamt gesehen blieb alles sehr im Vagen, denn von 50 Fachverbänden hatten es nur 3 Verbände überhaupt für nötig gehalten, auf die Anfragen der Reiter-Kommission zur Trainer-Situation zu antworten.
Am 5. August 1991 hatten sich dann BAL, DSB, NOK und DSH und die Fachverbände geeinigt und traten geschlossen an die Öffentlichkeit. Als Basis wurden die Reiter-Empfehlungen angegeben. Der Sportinfirmationsdienst sid titelte ‚Der Schulterschluss der Sportverbände‘ und sprach von einer ‚Einheitsfront für Antidopingkampagne‘. Auf einer Sondersitzung der Fachverbände in Frankfurt seien mit zusammengebissenen Zähnen einiger (s. u. Äußerungen von Helmut Digel) folgende Vereinbarungen beschlossen worden:
– Der Spitzensport wird nicht in Frage gestellt.
– Eine Freigabe von Doping kommt nicht in Frage.
– Auf politische und gesetzgeberische Maßnahmen des Staates kann verzichtet werden. Eine Amnestie ist erlassen für alle Athleten, die vor dem 1. Januar 1991 gegen die Dopingbestimmungen verstoßen haben.
– Die Verantwortlichkeit von Funktionären muß in jedem Fall geprüft werden, wenn im Rahmen ihrer Zuständigkeit ein Verdacht auf Beteiligung an Dopingpraktiken besteht.
– Für 4000 Dopingkontrollen im Jahre 1992 stehen dem deutschen Sport rund 2,5 Millionen Mark zur Verfügung. (sid in SZ, 7.8.1991)
Damit war die Forderung nach einer Generalamnestie aber nicht vom Tisch. Im September musste sich der Sportausschuss des Deutschen Bundestages und das Parlament mit einer entsprechenden Forderung des DSB und der Dachverbände auseinandersetzen, die aber bereits im Vorfeld auf Ablehnung stieß. Von dieser Seite aus wurden drastische Forderungen nach Konsequenzen für dopingbelastete Trainer, Funktionäre, Mediziner und auch mitwissende Beamte des Bundesinnenministeriums gefordert.
Ein weiterer Teil des gemeinsamen Beschlusses sei auch erwähnt, denn ab diesem Zeitpunkt wurde im deutschen Sport die Anwendung von Testosteron erst einmal frei gegeben. Im Reiter-Bericht war festgehalten worden, dass indirekte Nachweisverfahren wie die „Testosteron/Epitestosteron-Quotienten und das sog. Steroidprofil, zur Zeit nicht für ausreichend sicher [angesehen werden], um sie als Basis von Sanktionen wegen Doping heranziehen zu können.“ Begründet hatte dies vor allem Prof. Keul und Prof. Kley. Lediglich der deutsche Gewichtheberverband ahndete in Folge den T/E-Nachweis als Dopingvergehen. Deutsche Sportler und Sportlerinnen konnten sich somit für die Olympischen Spiele 1992 ohne Gefahr mit Testosteron vorbereiten, sofern sie denn wollten. Testosterondoping war in diesen Jahren nach Donike das am häufigsten angewandte anabole Steroid in der Wettkampfvorbereitung. (Berendonk, 1992, S. 303ff)
die ‚ad-hoc-Kommission zur Beratung in Doping-Fragen‘
Ebenfalls im Januar 1991 wurde eine weitere Kommision eingerichtet. Unter Leitung des damaligen DSB-Vizepräsidenten Manfred von Richthofen begann die „ad-hoc-Kommission zur Beratung in Doping-Fragen“ ihre Arbeit. Neben v.Richthofen gehörten Richter Harm Beyer (DSV), Aktivenvertreter Heinz Weis, DSB-Justitiar Jochen Kühl und die Vize-Präsidentin des Deutschen Rollsportbundes Ute Willwock der Kommission an (die Welt, 15.12.1991). Im November 2011 erwähnt von Richthofen Hans Evers, Bundestagsabgeordneter aus Freiburg, als seinen Stellvertreter dieser Kommission. Er hatte diesen Posten erhalten, da er lange Jahre Vorsitzender des Sportausschusses des Deutschen Bundestages war. Im Auftrag für die Kommission war u. a. zu lesen:
Für die Aufklärung der Vergangenheit erwartete der BA-L-Vorstand:
„eine rückhaltlose Aufklärung der konkreten und der bislang bekannt gewordenen pauschalen Vorwürfe. Er fordert die Spitzenverbände auf, diese Vorwürfe sorgfältig zu klären und sie in bewiesenen Fällen unter Einbeziehung der internationalen Föderationen zu ahnden. Dazu gehört auch die Aberkennung von erzielten Rekorden und gewonnenen Medaillen.“
Laut DOSB sollte sie „durch Befragung betroffener Athleten, Trainer, Ärzte und Funktionäre – die vorliegenden Einzelfälle analysieren und den betreffenden Spitzenverbänden auf dieser Grundlage Rat geben“.
Insgesamt wurden von der ad-hoc-Kommission 34 Athleten, Trainer, Funktionäre und Ärzte befragt. Konkrete Namen finden sich im Abschlussbericht, der am 14. Dezember 1991 vorgelegt wurde, entgegen der ursprünglichen Absicht nicht. Lediglich die Fachverbände erhielten genaue Hinweise, insgesamt sollen es 43 Verdächtige gewesen sein, die Zahl könnte aber, so wird von Richthofen in der Leichtathletik 51,52-1991 zitiert, auf über 50 ansteigen, und der Spiegel spricht im Dezember 1991 von 100 Entlassungsempfehlungen für Trainer, Ärzte und Funktionäre.
Zitate aus dem Endbericht:
„Es waren nicht alle Erschienenen bereit, den Arbeitsauftrag der Kommission und deren Vorgehensweise zu akzeptieren. Den Kommissionsmitgliedern ist einzeln und in ihrer Gesamtheit mit der Einleitung gerichtlicher Verfahren gedroht worden, falls sie vor der Kommission erörterte Belastungen und Beschuldigungen öffentlich wiedergeben würden. Soweit diese Androhungen sich gegen Mitglieder dieser Kommission richteten, blieb die Frage unbeantwortet, ob dieses Abwehr gegen ungerechtfertigte – wenn auch nicht öffentliche – Vorwürfe oder Oberreaktionen auf tatsächliches Fehlverhalten war.“
„Die Kommission hat in 11 ganztägigen Sitzungen insgesamt 34 Personen angehört. Dieses waren Sportler (drei eingeladene Sportler waren nicht erschienen), Trainer, Funktionäre, Ärzte und andere Wissenschaftler sowie zwei Sachverständige. Dabei wurden über zahlreiche Personen Erkenntnisse im Zusammenhang mit verbotenen Doping-Praktiken gewonnen. Von 43 Personen wurden die gewonnenen Erkenntnisse an die betroffenen Organisationen des Sports mit der Empfehlung von Einzelfallüberprüfungen weitergegeben.“
Heftig kritisiert hat der Landessportbund (LSB) Mecklenburg-Vorpommern die seiner Meinung nach „einseitige Behandlung der Dopingproblematik.“ Der LSB nannte es in einer Erklärung „für die Ostdeutschen diskriminierend“, wenn von allen heute noch tätigen früheren DDR-Sportfunktionären und -medizinern eidestattliche Erklärungen über ihr künftiges dopingfreies Mitwirken im Sport verlangt werden. Der LSB kritisiert damit den kürzlich veröffentlichten Bericht der Ad-hoc-Kommission des Deutschen Sportbundes.“ (FAZ, 23.12.1991)
EINIGE EMPFEHLUNGEN:
„1. Die Kommission empfiehlt Verbänden und Vereinen des Deutschen Sportbundes, daß solche Personen, die in der früheren DDR als Verbandscheftrainer, Verbandsärzte, Generalsekretäre oder andere Funktionsträger im Bereich Spitzensport tätig waren, nicht mehr für irgendwelche Tätigkeiten im Sport eingestellt oder gewählt werden, wenn sie nicht den Nachweis fehlender Beteiligung am Dopingsystem erbringen können. Sie sollten aus der Organisation des Sports in Deutschland grundsätzlich ausscheiden.
2. Die Kommission empfiehlt darüber hinaus den Verbänden und Vereinen, bei der Wahl von ehrenamtlichen Funktionsträgern für ihre Gremien solche Personen, die in Zusammenhang mit der Anwendung von verbotenen Dopingpraktiken in Vergangenheit und Gegenwart zu bringen sind, erst nach intensiver Beratung mit dem Ziel eines Bekenntnisses zu einem dopingfreien Sport in der Zukunft zu wählen.
3. Die Kommission empfiehlt Verbänden und Vereinen des DSB, solche Personen, die im Bereich der ehemaligen DDR als Trainer oder Ärzte vor Ort mit den Athleten zusammengearbeitet haben, dahingehend zu überprüfen, ob sie künftig die Gewähr dafür bieten, daß sie für einen von Doping-Mitteln freien Sport eintreten und dementsprechend arbeiten werden. Am Schluß des Überprüfungsverfahrens sollte eine selbstverpflichtende schriftliche Erklärung von den Betroffenen abgegeben werden und entsprechende Verpflichtungen in vertragliche Vereinbarungen aufgenommen werden, deren Nichteinhaltung ein Recht zur fristlosen Kündigung gewährt.“
Der Endbericht wurde zwar erst im Dezember 1991 vorgelegt, doch es gab von Anfang der Untersuchungen an Äußerungen und Kommentare von Richthofens zu Erkenntnissen entweder vertraulich an die Verbände oder für die Presse. Damit versuchte er die Diskussion am Laufen zu halten und etwas Druck auszuüben.
Bereits Anfang Mai 1991 wurde der Deutsche Schwimmverband DSV aufgefordert bei den kommenden Vorstandsneuwahlen zu berücksichtigen
„daß im DDR-Schwimmsport flächendeckend gedopt worden ist und hierfür alle Trainer in den Sportclubs und bei den Nationalmannschaften sowie die verantwortlichen Funktionäre bei Sportclubs und Schwimm-Verband informiert waren und hierfür verantwortlich sind.“
Gemeint war Prof. Gerhard Hoecke, Präsident des Landesverbandes Thüringen, der aber trotzdem gewählt wurde. Von Richthofen kritisierte dies sofort heftig, doch laut Funktionärsriege der Verbände, hier DSV und DLV, galt die Unschuldsvermutung. Denn auch der DLV weigerte sich, einer ähnlichen Empfehlung zu folgen.
Harm Beyer:
„Ich vermisse konsequentes Handeln und Ehrlichkeit. Wenn der deutsche Sport sagt, er ist gegen Doping, dann müssen wir auch den Mut haben, bei Verstößen konsequent zu sein. Aber kaum entdecken wir, daß Athleten, Trainer, Funktionäre und Mediziner etwas Verbotenes getan haben, dann sind wir auch schon dafür, sie alle zu amnestieren. … Wenn man das Doping schon nicht verhindern will, warum sollen wir es dann überhaupt verbieten?“. … Ich gebe die Spritze weder im Kindes- noch Jugendalter frei. Die Volljährigkeit ist die Grenze, und die Spritze darf erst im Bereich der Elitegruppe eingesetzt werden.“
(Sports, SZ, 28.8.1991)
Anzumerken ist, dass DSV-Präsident Harm Beyer Mitglied der ad-hoc-Kommission war und angeblich durch besondere Härte in der Verfolgung der Dopingfälle auffiel.
Von Richthofen resignierte im Juli:
„Die Beweise, die uns vorliegen, sind schlüssig im Sport. Doch ob sie auch öffentlich-rechtlich haltbar sind, wird noch die Frage sein. Außerdem können wir nichts mehr tun, wenn ein Verband unsere Empfehlungen missachtet.“ (SZ, 20.7.1991, zitiert nach J. Braun, S. 156)
Der DSV sah sich auch nicht in der Lage noch vor den Schwimm-Europameisterschaften im August mit der Trainer-Überprüfung entsprechend den Reiter-Empfehlungen zu beginnen. Mit Einverständnis von Richthofens wurde angekündigt, diese unverzüglich danach anzugehen. Wobei der Verband der Eindruck erweckte, eine Generalamnestie auch für Trainer im Auge zu haben. (SZ, 10.7.1991) Ein Verdacht, den auch Harm Beyer in einem Interview mit der SZ vom 20./21.7.1991 nicht ausräumte.
Im Juli 1991 goss auch Helmut Digel, Mitglied des Präsidiums des Deutschen Sportbundes, Öl ins Feuer indem er sich gegen eine einseitige Amnestie von Sportlern aussprach.
„Wer einerseits den Athleten eine Amnestie zusagt, andererseits Strafen für Ärzte, Funktionäre und Trainer fordert, verkennt die Struktur des modernen Hochleistungssports.“ Sportler seien mittlerweile Privatunternehmer und hafteten für ihr Tun ebenso wie alle anderen. Die Arbeit der Kommissionen sah er kritisch: „Da fahndet immer noch eine ad-hoc-Kommission nach Schuldigen, ohne dass klar ist, wie eindeutige Beweise erbracht werden können und wie es zu rechtskräftigen Ausschlüssen kommen könnte.“ Hätte die Kommission Erfolg, müsste sie „einen Flächenbrand der Denunzierung auslösen, der von keinem verantwortungsbewussten Sportfunktionär erwünscht sein kann.“ Das Problem sei nur zu bewältigen durch ein öffentliches Schuldbekenntnis für das Geschehene und mit einer Neuorientierung am Sieg und nicht am Rekord.
Digels Worte wurden allgemein als Forderung nach einer Generalamnestie verstanden. (>>> Helmut Digel: Stellungnahme zur Diskussion über den Umgang mit der Ost-/Westdeutschen Dopingvergangenheit Stuttg. Z., 16.7.1991; FAZ, 16.7.1991) Von Richthofen konterte und weigerte sich „zwischen den Verfehlungen von Sportlern und denen von Doping-Drahtziehern in Wissenschaft und Sportorganisation“ keinen Unterschied mehr zu machen. Für ihn grenze es „an eine Absurdität“, dass ein Präsidiumsmitglied des DSB solche eine Forderung, die in krassem Widerspruch zu den Empfehlungen der Reiter-Kommission stehe, in aller Öffentlichkeit und nicht in den Selbstverwaltungsorganen des Sports stelle. Nach von Richthofen wären für eine Generalamnestie politische Gremien und Organe zuständig. (SZ. 17.7.1991)
Digel konnte sich nicht durchsetzen, wie die oben zitierte Einigung der deutschen Sportverbände Anfang August auf Grundlage der Reiter-Empfehlungen zeigt. Auch wenn diese Einigung von sehr kurzer Dauer gewesen zu sein scheint, denn bereits im September 1991 diskutierte man in Sportausschuss und Bundestag angeblich über eine Forderung des DSB und der Fachverbände über eine Generalamnestie, die jedoch schon im Vorfeld unter Politikern auf heftige Ablehnung stieß. (SZ, 4.9.1991)
existiert eine schwarze Liste?
In den Monaten vor Bekanntgabe des Abschlussberichtes der ad-hoc-Kommission war von einer schwarzen Liste die Rede. Am 11. Oktober hatte die Stuttgarter Zeitung davon berichtet, bis zu 150, teils hoch prominenter Funktionäre, Ärzte und Wissenschaftler, vor allem auch westdeutsche, sollen sich darauf befunden haben. Die Rede war von Willi Daume, Prof. August Kirsch, Prof. Joseph Keul, Helmut Meyer und Heinz Fallak, denen westdeutsche Dopingpraktiken nicht unbekannt gewesen seien.
„Auch eine größere Zahl von Klub- und Bundestrainern wird der Mitwisserschaft oder der Mithilfe bei dem Einsatz medikamentöser Mithilfe beschuldigt. Während die Kommissionsmitglieder im ehemaligen DDR-Sport klare Dopingstrukturen vorfanden, wurde in Westdeutschland der Dopingmißbrauch überwiegend individuell und in Kleingruppen praktiziert. Die verantwortlichen Sportfunktionäre hätten dies meistens nicht zur Kenntnis nehmen wollen – oder weggesehen.“
Von Richthofen dementierte umgehend. die Liste sei „reine Spekulation“. Es gäbe aber eine Auflistung von angehörten und beschuldigten Personen (Stuttgarter Zeitung, 12.10.1991). Von dieser Liste war im Dezember nichts mehr zu hören. Vielmehr wurde deutlich, dass die ad-hoc-Kommission vorwiegend zu Dopingfragen in der DDR-Stellung genommen hatte. Von Richthofen: „Uns ist nicht wohl bei dem Gedanken, dass jetzt der Finger nur auf den Osten des Landes gerichtet wird.“ (J. Braun, S. 156) Zu den westdeutschen Verhältnissen hieß es eher vage, dass „einige Funktionäre von DSB, NOK und von Spitzenverbänden sowie Politiker seit 1977 mehr oder weniger genaue Hinweise darauf hatten, dass unerlaubte Dopingmittel angewandt wurden.“ Ein „organisiertes System des Einsatzes von Dopingmitteln“ sei jedoch nicht erkennbar gewesen. (SZ, 16.12.1991, zitiert nach J. Braun, S. 156)
Die Arbeit der Kommission musste angeblich nach der Vorlage des Berichts fortgesetzt werden, zu Vieles sei offen geblieben.
„Das Ziel, die Olympiavorbereitung von immer neuen Enthüllungen, wachsendem Mißtrauen und leistungshemmenden Rücktrittsdiskussionen freizuhalten, wird nicht erreicht. Der Bericht hat viel mehr die Wirkung einer Zeitbombe.“ So der Spiegel (der Spiegel, 9.12.1991: Druck von oben)
Was die Kommission weiter unternahm, wird nicht genannt.
Am 6. April 1992 soll Jochen Kühl, Justiziar des Deutschen Sportbundes (DSB) noch eine „Liste dopingbelasteter Funktionäre, Trainer und Mediziner“ mit 100 Namen zusammen gestellt haben, die er seinem Präsidenten Hans Hansen weitergab. Die meisten kamen aus der DDR, nur wenige aus dem Westen. Was mit dieser Liste geschah ist nicht bekannt. (der Spiegel, 7.2.2000)
Nachwehen der ‚Ad-hoc-KommiSsion
Nachspiel 1:
Im Zuge der Ermittlungen um die DDR-Dopingprozesse 1998 wurde bekannt, dass einiges Belastende bereits durch die ad-hoc-Kommission eruiert worden war. Diese Informationen waren aber nicht weiter verwertet worden, im Gegenteil, die Akten versanken in der Versenkung. Insbesondere die Aussage des DDR-Arztes Alwin Sünder, der einräumte bereits 1991 geständig gewesen zu sein, veranlasste Werner Franke zu einer Strafanzeige. Seiner Ansicht nach wären Manfred von Richthofen, Harm Beyer und Jochen Kühl strafrechtlich und moralisch verpflichtet gewesen, 1991 nach den Zeugenaussagen die Strafverfolgungsorgane davon in Kenntnis zu setzen. Diese Notwendigkeit wurde von den Betroffenen nicht gesehen.
„“Dementsprechend können auch die Untersuchungsergebnisse nicht als Beweise im juristischen Sinn verstanden werden“, hieß es. Gleichwohl informierte die Kommission das DSB-Präsidium und den Präsidenten des Nationalen Olympischen Komitees auch über Einzelfälle. Dem Sportausschuß des Bundestages bot die Kommission an, ihn vertraulich über Erkenntnisse im Detail zu informieren; von der Einrichtung eines Untersuchungsausschusses riet sie ab.“
Auch die Staatsanwaltschaft verneinte die von Franke geforderte Verantwortung und wies dessen Anzeige zurück. U.a. argumentierte sie, den Sportlern seien die gefährliche Nebenwirkung der Dopingmittel zur Zeit der Befragung 1991 bekannt gewesen, daher hätten die Opfer selbst Anzeige erstatten können – ein Argument, welches nach Aussagen Betroffener so nicht stimmt. Einige Opfer hatten erst später von dem erfahren, was ihnen angetan wurde. (FAZ, 15.6.1998, FAZ, 2.9.1998)
>>> Interviews zum Thema, Franke versus von Richthofen
Nachspiel 2:
Anfang des Jahres 2000 erstattete Rechtsanwalt Henning Andrees, dem die Liste vorlag, Strafanzeige beim Generalbundesanwalt von wo sie an die zuständige Staatsanwaltschaft in Bonn weitergeleitet wurde. Ein Ermittlungsverfahren wurde jedoch nicht eingeleitet mit der Begründung „aus den beigebrachten Unterlagen gehe nicht hervor, ob sich die vom Innenminister geforderte Absage ans Doping auch auf Fälle aus der Vergangenheit bezieht.“ Der Spiegel hierzu „das wissen die beschuldigten Verbände besser. Natürlich betreffe das Verdikt aus Bonn auch zurückliegende Pillengaben, weiß man beim DSB in Frankfurt.“(der Spiegel, 7.2.2000)
ZITATE VON MANFRED VON RICHTHOFEN AUS SPÄTEREN JAHREN 2009 und 2011
Frontal21, 7.4.2009:
M. von Richthofen:
Man wollte sicher auch von den Erfolgen der DDR relativ schnell profitieren. Und insofern war man an einer Beschädigung sowohl der Aktiven, der Trainer wie auch der Ärzte nicht interessiert bei dem Zusammenschluss der beiden Sportorganisationen.
Und man wusste es, wie wir nicht erst heute wissen. Man wusste ganz genau, dass mit Dopingmitteln und damals schon verbotenen Substanzen gearbeitet wurde und war an einer Aufklärung nicht interessiert. Man wollte den Mantel der christlichen Nächstenliebe da ausbreiten.
die Zeit, 20.2.2009: „Es ist verharmlost und vertuscht worden“:
Manfred von Richthofen: Wir haben Männer und Frauen aus Ost und West angehört, gegen die es Anschuldigungen gab. Zum Beispiel Professor Keul aus Freiburg. Zur ersten Anhörung kam er noch alleine. Trotzdem war die Anhörung sehr unerfreulich, weil er keine präzisen Auskünfte geben wollte. Bei der zweiten Anhörung erschien er dann mit einem Anwalt. Wir waren danach der Ansicht, dass Keul verquickt war in Doping. (…)
Keul hatte nach der Anhörung damals festgestellt, dass die Kommission überflüssig sei. Ich bin dann zum Präsidenten des Nationalen Olympischen Komitees (NOK) gegangen, Willi Daume. Und zwar mit der Bitte, Keul nicht mehr als Olympiaarzt zu nominieren. Daume hat meine Bitte zur Kenntnis genommen und mich mehr oder weniger höflich zur Tür hinaus befördert. Passiert ist nichts, Keul blieb Olympiaarzt. …
Es gab namhafte Sportführer, die vom Doping profitieren wollten und die deshalb Sportler aus der DDR bewusst integrierten. Ganz besonders der damalige Leichtathletik-Präsident Helmut Meyer. Und die Ost-Athleten haben dem DLV dann ja auch tatsächlich frischen Wind gegeben. Aber auch im Radsportverband mit dessen Präsidenten Werner Göhner war das so. Der Radsport war damals noch unbeschädigt, und wir haben ihm die ersten Kratzer verpasst. Göhner sagte damals, das ganze Thema werde ‚aufgebauscht‘.
Im November 2011 schildert Manfred von Richthofen seine Erfahrungen als Vorsitzender der Kommission des Jahres 1991 in einem Gespräch mit Michael Barsuhn anlässlich einer Podiumsdiskussion über die Aufarbeitung der gesamtdeutschen Dopingproblematik etwas ausführlicher.
Das Interview ist hier nachzulesen:
>>> die ad-hoc-Kommission 1991, Erfahrungen
von Richthofen: Aber hier kommt natürlich auch ein Punkt, das man sagen muss, wo war eigentlich bei dieser ganzen Diskussion und der Benachrichtigung an die Verbände, wo war eigentlich die Hilfe der Politik. Wo war eigentlich die Hilfe des Sportausschusses. Wo war.. , denn ich meine, sie sind ja Geldgeber in Vielem, Trainerbezahlung, finanziert auf Bundesebene, finanziert ja ganz wesentlich das Bundesinnenministerium. Es wäre wahrscheinlich ein Leichtes gewesen zu sagen, geben Sie mir mal ihre Listen der nachweislich Beschuldigten und die nehmen wir also mal, die streichen wir mal alle bei den Verbänden in Bezug auf die Bezahlung. …
Der Sport war, wenn Sie sie so wollen, in dieser Situation, die natürlich auch in der Geschichte des Sports sicher einmalig war, war überfordert mit seinen Rechtsmitteln auch in seiner Struktur und in dem Moment, wo der Staat die Möglichkeit hat die Finanzen zu beschneiden und die Möglichkeit hat er, hätte man vielleicht in dem einen oder anderen Fall eine deutlichere Hilfe schon erwartet.
die Anti-Doping-Kommission (ADK) des DSB
Die „Anti-Doping-Kommission“ (ADK) des Deutschen Sportbundes (DSB) wurde nach Vorliegen des ad-hoc-Kommissionsberichtes Ende 1991 gegründet. Die ADK ging auch aus der Evers-Kommission hervor, die zeitgleich mit Reiter- und ad-hoc-Kommission gegründet wurde und die Entwicklung eines Dopingkontrollsystems zum Ziel hatte bzw. das bestehende Kontrollsystem überprüfen und kontrollieren sollte, nachdem bekannt wurde, wie lasch in diesen Bereichen auf allen Ebenen gearbeitet wurde. Das DSB-Präsidium beschloss am 5.2.1993, dass die ADK eine gemeinsame Kommission des DSB und des NOK sein sollte. Sie bestand bis zur Gründung der Nationalen Anti-Doping-Agentur 2002. Die Aufgaben der ad-hoc-Kommission sollten ebenfalls einfließen (Infos zur ADK)
Kommissionen des DLV und des DSV
Weitere Kommissionen nahmen ihre Arbeit auf.
Ende 1990 hatte der der Deutsche Leichtathletikverband eine Anti-Doping-Kommission eingerichtet und einen Anti-Doping-Beauftragten ernannt, ab 1992 hatte er eine hauptamtlich besetzte Anti-Doping-Koordinierungsstelle. Vorsitzender der Kommission wurde der Präsident des Leichtathletik Landesverbandes Nordrhein Theo Rous. Ihm zur Seite standen die ehemaligen Leistungssportler Harald Schmid und Heide Ecker-Rosendahl. Alle drei nahmen ihre Aufgabe ernst und galten als Personen mit klarer Antidoping-Haltung.
Zu den ersten wichtigsten Aufgaben zählte die Verschärfung des Dopingkontrollsystems. Als erster Fachverband hatte der DLV im Dezember 1990 nach den vielen öffentlichen Enthüllungen und auch aufgrund der Reaktionen der Zehnkämpfer ein Trainingskontrollsystem eingeführt, das aber auf freiwilligen-Basis beruhte. Bis April wurden so 479 Freiwillige im Training kontrolliert. Der DLV verschärfte auf dem Verbandstag im April auch die Bestimmungen, nach denen ein Dopingverstoß vorliegen könnte. Dafür wären u. U. ärztliche Atteste, Urkunden und Untersuchungsergebnisse ausreichend. Auf dem Verbandstag wurde auch bekannt, dass der DLV-Rechtsausschuss seit Dezember 1990 gegen rund 80 Personen, „die vor allem in Pressseveröffentlichungen mit unerlaubten Dopingpraktiken in Zusammenhang gebracht worden waren, ermittelt hatte.“ Gegen 6 Personen wurde ein Doping-Verfahren eingeleitet. Eine Diskussion über die Streichung alter Rekorde stand auf dem Pogramm, wurde aber gestrichen. (dpa, 22.4.1991) Anfang September sprach Theo Rous angeblich von einer neuen Namensliste, die dem DLV-Präsidenten Helmut Meyer vorliege. Damit verbunden seien Informationen über Doping von Athleten und Athletinnen. In Kürze sei der DLV in Besitz einer umfangreichen Dokumentationssammlung, „Vorbereitungen für angemessene Lösungen“ seien getroffen. (RNZ, 5.9.1991)
Das hochgelobte neue Programm zeigte bald Mängel, insbesondere die Durchführung der Trainingskontrollen stieß auf Kritik. Harald Schmid forderte eine
„staatliche Institution, die unabhängig und unbestechlich ist. Wir brauchen so etwas wie eine Stiftung Warentest für den Sport.“ (der Spiegel, 1.7.1991).
Im Oktober des Jahres 1991 sah es dann so aus, als wäre der Kampf ein Stück weit gewonnen. Unabhängige Kontrolleure des TÜV-Rheinland sollten die Kontrollen übernehmen. Die Verbandsoberen hatten nachgeben müssen, da Schlamperei und Betrügereien in der Presse breit getreten worden waren und ein Vertuschen nicht mehr möglich war.
Im Zentrum der Kritik stand das Dopingkontrolllabor in Köln unter Manfred Donike. Ein Test des Kontrolleurs Horst Klehr mit positivem Urin erbrachte das Ergebnis: keine Dopingsubstanzen gefunden. Bei einem anderen Beispiel wurden einem ehrenamtlichen Kontrolleur des DLV anstelle von benötigten 200 Flaschen und Prüfformularen lediglich 12 ausgehändigt mit dem Hinweis, wenn benötigt, solle er sich die restlichen selbst kaufen und bestellen. Rous, Schmid und Ecker-Rosendahl mussten zudem feststellen, dass die Anzahl und die Durchführung der Kontrollen an Hochleistungsathleten völlig unzureichend waren. Die drei sahen keinen Sinn mehr in ihrer Arbeit und wollten Mitte September zurücktreten. Plötzlich hatten es die DLV-Funktionäre eilig „Wir haben in den Medien soviel um die Ohren gekriegt“, klagte DLV-Vizepräsident Werner von Moltke, „jetzt geht“s ran ans Eingemachte.“ (der Spiegel, 23.9.1991: Schwelt und kocht, der Spiegel, 16.9.1991: Stämmige Zwerge für Olympia)
Theo Rous warf jedoch im Oktober 1991 beim außerordentlichen Verbandstag trotzdem das Handtuch. Der Umgang der DLV-Spitze mit dem vor Kurzem erschienen Buch von Brigitte Berendonk stieß ihn ab. „Wer unangenehme historische Tatsachen konkret und öffentlich feststellt, ist noch stets Nestbeschmutzer und Vergangenheitsschnüffler, Vaterlandsverräter und ‚Rächer‘ gewesen.“ (Sports, 8/1993, zitiert nach Singler/Trautlein, S. 140)
Der Deutsche Schwimmverband richtete ebenfalls eine verbandsinterne Anti-Doping-Kommission ein. Rekordschwimmer Michael Groß gehörte ihr an, trat aber Anfang August 1991 wieder zurück.
„Als sich jedoch der Schwimmverband bereit erklären sollte, den Empfehlungen der Kommission verpflichtend zu folgen, aber statt dessen nur eine „soll“-Erklärung unterschreiben wollte, verließ Michael Groß medienwirksam das Gremium mit der Begründung, das „Kasperletheater“ mache er nicht mehr mit.“ (Bezug Berliner Zeitung, 9.8.1991, zitiert nach J. Braun, S. 158).
Ob Harm Beyers Bemerkung im Dezember 1991 (s.u.): „der Versuch, eine DSV-eigene Untersuchungskommission zu bilden und kompetent zu besetzen, um so eine Aufarbeitung von Einzelfällen zu erreichen, war kläglich gescheitert“ auf dieses Gremium mit Michael Groß anspielte?USS?
ÄUßERUNGEN WESTDEUTSCHER SPORTLERINNEN UND SPORTLER
Während die Kommissionen an der Arbeit waren und die Absichten und Ergebnisse kontrovers diskutiert wurden, äußerten sich auch verschiedene Sportler und erhoben Vorwürfe gegenüber Funktionären und Verbänden.
Dietmar Mögenburg
Am 24. Januar 1991 veröffentlichte der Stern ein Interview mit Hochspringer Dietmar Mögenburg. Darin beschreibt er wie er sich betrogen fühle durch das seit Jahren übliche Doping in Ost und West. Er beklagt, dass seiner Meinung nach die Öffentlichkeit davon ausgehe, in der Leichtathletik were zu 80% gedopt und die sauberen Sportler wie er in denselben Topf geworfen würden. Sobald er eine Topleistung erbringen würde, hieße es sofort, gedopt, das sei für ihn ein großes Problem. Mögenburg beschreibt Leistungen, die unmöglich ohne Hilfsmittel erbracht werden könnten und körperliche Veränderungen, die ihn misstrauisch werden ließen. Er sagt, er wüsste, dass weit über 50% der westdeutschen Leichtathleten 1990 bei der EM in Split gedopt gewesen wären. Die Sportler würden auch untereinander reden. Namen nennen wollte er nicht. Prof. Dr. Wilfried Kindermann, Mediziner des DLV, war bereits von 50% ausgegangen. Mögenburg sieht Heuchelei in allen Bereichen, sowohl die Sportler, die sich Kampagnen anschlössen, dabei aber weiter dopten, wie bei den Funktionären, Trainern und Medizinern. Dabei steht er für Prof. Klümper ein, der für ihn ein Freund sei, ihm auch nie Dopingmittel verabreicht habe. Eine Amnestie lehnt er ab, könnte sich jedoch eine Art Sportler-Gewerkschaft vorstellen, in der sich Sportler gegenseitig zu Tests vorschlagen und sich damit gegenseitig überprüften und sich so vertrauen lernten. Mögenburg räumt ein, in Hinblick auf die Olympischen Spiele versucht gewesen zu sein, ebenfalls zu dopen.
Carlo Thränhardt
Hochspringer Carlo Thränhardt geht nicht so weit wie D. Mögenburg, er spricht, wie zuvor Kindermann im Aktuellen Sportstudio des ZDF, ’nur‘ von 50% Deutscher Leichtathleten bei der Leichtathletik-EM-Mannschaft in Split 1990. Namen nannte auch er nicht. Der DLV reagierte dieses Mal schnell. Der Sportler erhielt ein Schreiben von Rechtswart Norbert Laurens, wonach gegen Thränhardt ein ‚Sportordnungswidrigkeitsverfahren‘ eingeleitet worden sei, er habe vier Wochen Zeit sich näher zu erklären, er solle Namen nennen. Der Arzt und Mögenburg fanden sich, so scheint es, keinem Verfahren ausgesetzt. Ob sich Thränhardt äußerte, ist mir nicht bekannt, er meinte allerdings, wenn er auspacke ‚fliege der DLV in die Luft, vor allem die Leistungssportabteilung.‘ Sein Problem sei aber, dass er keine gerichtsfesten Beweise vorlegen könne. (Süddeutsche Zeitung, 4.6.1991)
Heike Henkel
Zu den mit der Verbandspolitik hadernten Sportlern und Sportlerinnen gehörte auch Heike Henkel. Im Februar 1991 meinte Sie im Spiegel:
„HENKEL: Der DLV hätte viel vorsichtiger mit den Einstellungen sein müssen. Zum Beispiel beim ehemaligen DDR-Cheftrainer Bernd Schubert, der alles über das Doping gewußt haben muß und mir jetzt in einem Befehlston, als stünde die Mauer noch, Anordnungen geben will, wo ich anzutreten habe. So ein Mensch hat hier nichts zu suchen, der hat sich vom alten System nicht gelöst.
SPIEGEL: Auf die Hilfe der Funktionäre bauen Sie bei Ihrem Engagement gegen das Doping nicht?
HENKEL: Nein, es hat ja schon ewig gedauert, daß die sich überhaupt einmal gerührt haben. Den meisten Funktionären war es doch immer scheißegal, ob jemand etwas nimmt, Hauptsache die Leistung hat gestimmt. Und es ist doch mehr als lächerlich, daß sich Carlo Thränhardt für seinen Ausspruch, 50 Prozent aller Leichtathleten seien gedopt, auch noch schriftlich entschuldigen soll.“ (der Spiegel, 11.2.1991)
Peter Bouschen
Dreispringer Wolfgang Bouschen war Athletensprecher gewesen und NOK-Mitglied. Anfang Juni 1991 gibt er dieses Amt zurück und fordert gleichzeitig NOK-Präsident Willi Daume auf, es ihm gleich zu tun. Wie früher schon Volker Grabow (Wendezeit I. 1990), wirft er dem hohen Funktionär vor, immer über die Dopingpraktiken informiert gewesen zu sein, aber nie etwas dagegen unternommen zu haben. Bouschen erzählte, wie Grabow von Daume abgekanzelt worden zu sein, als er von den Dopingpraktiken berichtet hatte, er sei ‚ein dummer Junge‘. Auch Diskus-Olympiasieger Rolf Danneberg hätte sich die gleichen Worte anhören müssen, als er Daume über das DDR-Doping unterrichtete. Daume wollte dies aber auf „unseren Sportbrüdern nicht sitzen lassen.“Bouschen: „Es wäre gut, wenn er heute zurücktritt. Er hat den Kontakt zur Basis verloren, ist nicht mehr konsensfähig.“ Willi Daume schwieg auf die Vorwürfe und reagierte auf Nachfrage ausweichend. Die Vorwürfe hätten ihn schon hart gertroffen, doch das halte er aus.
„Sicher bin ich nicht zu stolz, mich zu verteidigen – aber nicht gegen einen Mann wie Bouschen.“ „Ich habe genauso viel und genauso wenig gewußt wie andere und leugne nicht meine Verantwortung. Aber ich kann doch nicht in die Verbände gehen und sagen, ich mache jetzt die Dopingkontrollen.“ (FAZ, 24.6.1991)
Die DLV-Führung bekommt vom ihm zu hören, dass deren Anti-Doping-Aktivitäten lediglich der Beruhigung der Öffentlichkeit dienten, für einen wirklich sauberen Sport würde aber nicht eintreten. Während Bouschen die überweigende Mehrheit der Olympiateilnehmer von 1988 für sauber einstuft, zählt er die Leichtathletik zu den Sportarten, in denen sich eine Dopingmentalität eingenistet habe. Bouschen beschuldigt Leistungssport-Referent Horst Blattgerste Doping geduldet und letztlich indirekt dazu animiert zu haben. Ihm sei geraten worden, sich nicht zu sehr gegen Doping zu engagieren, sondern den Mund zu halten. Auch Sportwart Manfred Steinbach habe sich ähnlich verhalten. Zudem habe 1988 die Werfergruppe der Nationalmannschaft seine Wiederwahl als Athletensprecher verhindert, da er „zu sehr Front gegen Doping machte.“ Er selbst habe Dopingmittel einmal aufgrund einer Verletzung erhalten. Ich war verletzt und erhielt zur Therapie vor dem Urlaub eine Spritze. Plötzlich wuchsen unheimliche Muskeln an den Armen.“ Ansonsten habe er sich mit seinem Arzt Prof. Klümper beraten und auf Dopingmittel verzichtet. (sid, 6.1991)
Krtik bekam auch Prof. Dr. Manfred Donike ab, dieser habe sich gelegentlich von der Angst vor dem Verlust an Fördermitteln leiten lassen.
Dieter Baumann
Dieter Baumann nimmt ebenfalls den Leichtathletik-Verband unter Beschuss. Er beklagt in einem Interview mit der Stuttgarter Zeitung, erschienen am 22.6.1991, fehlende Trainingskontrollen im Ausland. Hier würde der DLV nicht die Möglichkeiten ausschöpfen, die ihm zur Verfügung stünden, um die Athleten vor Ort antreffen zu können. Baumann greift auch offen die ehemaligen Trainer aus der DDR an und unterstellt, bezugnehmend auf die Krabbe-Affaire und eigene Erfahrungen, absichtliches Verschleiern des Trainingsaufenthaltsortes. Insbesondere den Einfluss von Bernd Schubert, ehemaliger DDR-Cheftrainer und nun im DLV an wichtiger Position sieht er äußerst kritisch. Der Läufer unterstützt Peter Bouschen und sieht die Rolle der Verbandsfunktionäre ähnlich wie dieser. Befragt zu den Personen Horst Blattgerste (Leistungssportdirektor), Wolfgang Thiele (Bundestrainer), Wolfgang Bergmann (Bundestrainer) und Ilse Bechthold (Vizepräsidentin) meinte er
„diese Seilschaften kennt doch jeder. Alles alte Kameraden. Die kennen sich seit zehn Jahren und mehr, und damit auch ihre Fehler. Dadurch entstehen wechselseitige Abhängigkeiten, und daraus entsteht ein prächtiges Gemauschel. Vielleicht ist das auch ein Grund dafür, dass im DLV nur noch über Geschäfte diskutiert wird. Irgendwo ist der Sport doch auch noch eine ethische Angelegenheit. Aber über Moral wird im DLV nicht gesprochen.“
Holger Schmidt
Die Zehnkämpfer hatten bereits Ende 1990 dem DLV den Fehdehandschuh hingeworfen und sich ein eigenes Antidopingprogramm gegeben. Während der Leichtathletik WM 1991 in Tokio erregte eine Glosse in der Zehnkampf-Team-Zeitung Aufmerksamkeit. Holger Schmidt, ehemaliger Zehnkämpfer und aktuell Trainer von Christian Schenk, beschreibt seine Dopingerfahrungen 1979/80 beim TV Wattenscheid. Der ehemalige DDR-Sprinttrainer Peter Hunold hatte sein Know-how nach seinem Wechsel in den Westen in großem Stil weiter anwenden dürfen. Nun trainierte er Werfer, Hürdler, Mehrkämpfer und Sprinter.
„Er sprach im Athletenkreis offen … von Substitution, Dosierungsmengen, Erfahrungswerten und außerdem wußte er ganz zuverlässig: alle erfolgeichen Athleten (Ost und West) nehmen Anabolika.“ Schmidt gehörte bald dazu und profitierte von Dianabol, mit täglich 15 Milligramm fing es an. Einmal ein Insider, konnte man auch offen mit dem verantwortlichen DLV-Trainer reden, bei welchen Wettkämpfen etwa kontrolliert wurde oder nicht.“ Der verantwortliche Trainer war Wolfgang Bergmann. „Herr Hunold arbeitet immer noch beim TVW als Trainer (Gott sei Dank nur mit Jugendlichen), und der DLV läßt weiterhin in seiner Leistungssportavteilung die ewig Gestrigen Politik betreiben.“
Bergmann war mittlerweile zu einem der fünf Cheftrainer aufgestiegen. Wollte Schmidt mit dieser teils zynischen Glosse ein gerichtliches oder ein verbandsinternes Verfahren provozieren wie von einigen angenommen? Es gelang nicht, der DLV reagierte nicht.
Einstellung und Übernahme ehemaliger DDR-Funktionsträger: öffentliche Diskussion und Praxis
Zwar hatten die zur Jahreswende 1990/1991 eingesetzen Kommissionen auch die Aufgabe zu klären, inwieweit Trainer, Ärzte, Funktionäre und Sportler in der DDR mit Doping in Berührung gekommen waren, doch auf deren Ergebnisse konnte bzw. wollte man bei einigen Verbänden nicht warten. Andererseits waren bereits zuviele Geständnisse, Beweise und Mutmaßungen im Umlauf. Irgendetwas musste getan werden, um Glaubwürdigkeit herzustellen. Daher kam bereits Ende 1990 die Idee der (Ehren)Erklärungen auf. DLV und DSV hofften auf diese Weise schnell aus der Kritik zu kommen. Wilfried Kindermann vom DLV hatte diesbezüglich besonders Sportmediziner im Visier. An sie richtete er Mitte Dezember 1990 den Appell, dass sich jeder „frei von Doping-Verdacht zu halten habe.“ „Jeder soll gut nachdenken und bis zum Monatsende antworten.“
(Ob bereits zu diesem Zeitpunkt auch Trainer eine DLV-Trainererklärung unterschreiben mussten, ist mir nicht bekannt)
Der Deutsche Schwimmverband verlangte von Trainern, Ärzten und anderen, die im nationalen Team mit zur Schwimm-WM nach Perth wollten, eine Eidesstattliche Erklärung, die allerdings im Falle einer Falschaussage ohne rechtliche Konsequenzen blieben. Walter Tröger, Generalsekretär des Nationalen Olympischen Komitees (NOK), war beglückt über das Vorgehen des DSV, dessen „Wirkung auf die Öffentlichkeit in dieser delikaten Frage nicht verfehlt“ werde.
Verfehlt wurde auf diese Weise zumindest nicht, dass Jochen Neubauer, ehemals Arzt beim ASK Potsdam und bereits 1990 des Minderjährigendopings beschuldigt, zum offiziellen Mannschaftsarzt in Perth avancierte. (der Spiegel, 4.2.1991: Delikate Frage)
Es protestierten jedoch auch Sportler gegen einen möglichen Ausschluss ihrer Trainer. So drohten
„Freistil-Olympiasieger Uwe Dassler aus Potsdam und andere Spitzenathleten … offen mit einem Boykott der EM. Nach einer Telefonkonferenz der Präsdidiumsmitglieder gab Präsident Bodo Hollemann die Entwarnung, dass „Trainer, Ärzte und Physiothearpeuten aus Ostdeutschland vor der EM keine Sanktionen zu befürchten hätten“, Konsequenzen aus Dopingüberprüfungen sollten erst nachher gezogen werden.“ (J. Braun, S. 161)
Harald Schmid störte sich ebenso wie Dieter Baumann an der Übernahmepraxis dopingbelasteter Trainer. Dabei bemängelt er die fehlende Kontrolle durch den Finanzier Bundesministerium. Gelder würden zur Einstellung von Trainern und Funktionären verwendet, die nachweislich belastet seien. Die Rede war von DLV-Cheftrainer Bernd Schubert und dem neuen Ehrenpräsidenten Professor Georg Wieczisk. Über Bernd Schubert urteilte noch 1991 die 3. Zivilkammer des Heidelberger Landgerichts, dass er „ausgewiesener Fach-Doper“ und „aktiver Teilnehmer am Anabolika-Doping in der DDR“ gewesen sei. Professor Georg Wieczisk war Präsident des Deutschen Verbandes für Leichtathletik DVfL und erhielt schnell die Würde eines Ehrenpräsidenten des vereinigten DLV. Zudem ist er Ehrenmitglied auf Lebenszeit der Exekutive des Internationalen Leichtathletikverbandes IAAF. Brigitte Berendonk erwähnt, dass bereits 1975 unter Leitung Wieczisk vom DVfL eine offizielle Verbandskonzeption zur Anabolikadosierung erstellt wurde, die ’selbst Dr. Schäker zu hoch war.‘ (Doping, S. 233f) 1975 war er am Vertuschen des Dopingfalles Marlies Göhr bei der Junioren-Europameisterschaft beteiligt. (der Spiegel, 8.11.1993)
Der Spiegel sprach in Verbindung mit der Trainereinstellung von 36 Personen, die der DLV eingestellt hätte trotz nachweislicher Dopingvergangenheit. (der Spiegel, 1.7.1991)
1993 meinte der ehemalige Diskuswerfer und DDR-Trainer Günter Schaumburg – er hatte 1989 öffentlich über die Dopingpraxis in der DDR berichtet – in der gemeinsamen Sitzung von Enquete-Kommission und Sportausschuss zum ‚Sport in der DDR‘:
„Ich hatte am 10. November 1989 beim DLV einen Termin. Ich hatte mich dort angekündigt und um Hilfe gebeten. Jedenfalls hatten wir uns dort beworben, meine Frau und ich. Ich habe mich gefreut und denke, jetzt geht es los. Aber dann ging die Mauer auf, und als ich das frühmorgenshörte, wir waren da in Bayern bei Verwandten, da habe ich gewußt, es ist vorbei. Da wußte ich, was passiert. Ich wußte es, und es ist passiert. Ich habe nie wieder was vom DLV gehört. Mir hat die Olympische Gesellschaft Hilfe versprochen, ich habe nichts mehr gehört. Ich habe den DSB mehrmals angeschrieben, ich habe mich beim DSB auf drei Anzeigen beworben. Ich verlange nicht, daß die mich einstellen sollen, um Gottes Willen, da gibt es bestimmt hunderttausend Bessere als mich, aber ich hatte zumindest erwartet, daß man einen Dissidenten von drüben mal anschauen will und hören will, was erzählt der denn überhaupt. Die haben sich doch nur von Leuten etwas sagen lassen, die mitgemacht haben. Es gab wenige, es gab nicht viele. Ich habe noch nicht von einem meiner Freunde und Bekannten aus Dissidentenkreisen gehört, daß sie vom DSB eine Einladung zu einem Gespräch oder etwas Ähnlichem wie diesem hier gehabt hätten. Das hat es nicht gegeben. Das mache ich dem DSB zum Vorwurf. Ich habe mich bei Clubs beworben. Es ist nichts passiert.“ (>>> Protokoll, S. 739)
Im Januar 1991 geriet noch der Deutsche Skiverband mit seinen Biathleten ins Zwielicht. Der deutsche Meister Jens Steinigen hatte die ehemaligen DDR-Trainer Frank Ullrich, Wilfried Bock und Kurt Hinze des aktiven Dopings beschuldigt. Steinigens Vorgesetzer, Oberregierungsrat Wilhelm Bruns, Chef der Zollsportler in der Oberfinanzdirektion München, versuchte noch auf dem Flughafen Steinigen und seinen Trainer Wolfgang Pichler an der geplanten Aussage im Aktuellen Sportstudio zu hindern. Das gelang nicht. Aber erst nach Bestätigung der Vorwürfe durch die Skilangläufer Uwe Bellmann, Holger Bauroth und Jürgen Wirth gaben Verband und Zoll sich offener. (der Spiegel, 4.2.1991). Bruns meinte zwar, die Behauptung, er habe Pichler und Steinigen den Auftritt im ZDF verboten, sei nicht ganz richtig. Er habe Pichler auch dessen Betreuung nicht entzogen, sondern „für ein paar Wochen die Begleitung zu Wettkämpfen.“ Pichler habe daraufhin seinen Rücktritt erklärt. (SZ, 22.1.1991)
Steinigen, 1985 Junioren-Weltmeister erklärte im Aktuellen Sportstudio:
„Im Herbst 1985 wurde uns im Trainingslager in Schweden, an dem die gesamte DDR-Auswahl teilnahm, von unseren Trainern – das waren Herr Hinze als Chef-Verbandstrainer und Herr Bock als Cheftrainer Biathlon – zusammen mit den Ärzten mitgeteilt, daß es in Zukunft notwendig sei, konzentriert trainingsunterstützende Mittel, also Anabolika, einzusetzen.“ „Bock und Ullrich haben mich im September 1986 regelrecht bedrängt, die entsprechenden Mittel zu nehmen.“
Biathlet Jürgen Wirth bestätigte die Vorgänge in Schweden. Steinigen musste sich daraufhin vom DSV anhören, er würde die Vorwürfe nur bringen, da er nicht für das deutsche Weltcup-Aufgebot qualifiziert sei. Biathlon-Referent Peter Bayer sprach von Erpressung und überhaupt bräuchte man hieb- und stichfeste Beweise, so Sportdirektor Helmut Weinbuch. Fritz Fischer, West-Biathlet sah nur alte schmutzige Wäsche gewaschen, er fühle sich in seiner Arbeit mit Hinze optimal betreut. (FAZ, 21.1.1991)
Der DSV veranlasste Hinze 1991, Steinigen zu verklagen. (dradio, 28.3.2009) Die Begründung für solch ein Verhalten war nicht neu: DSV-Referent Peter Bayer:
„Wir können uns nicht leisten, Leute wie den Hinze“ aus dem Team „rauszuschmeißen.“ Schließlich lauere die Konkurrenz der anderen Länder nur auf solche Fachkräfte, die deutschen Biathleten würden sich mit diesem Vorgehen nur selbst schaden.“ (J. Braun, S. 160)
Skilangläufer Uwe Bellmann bestärkte ausrücklich Jens Steinigen in dessen Aussagen und gab an, selbst jahrelang unter Cheftrainer Hinze Anabolika bekommen zu haben. Detlev Braun, nordischer DSV-Sportwart meinte hierzu:
„Jeder Trainer im Westen hat gewußt oder vermutet, daß da irgend etwas passiert. Nur es konnte keiner belegen. Nun haben wir die aktuelle Aussage von Bellmann. Es wurde das bestätigt, was wir vermutet haben, eigentlich konnte das kein Geheimnis mehr sein.“
Ähnlich äußerte sich auch Georg Sutter, Cheftrainer der nordischen Skisportler, dessen Kollege Sportdirektor Ulrich Wehling eher ungehalten von alten aufgewärmten Sachen sprach. Braun äußert sich mit Hochachtung gegenüber dem Sportler über dessen Offenheit. Sie hätten allerdings bei der Übernahme und Aufstellung der Sportler nicht nach einer eventuellen Dopingvergangenheit gefragt. Andererseits hält auch er sich in dem vorliegenden Interview (SZ, 24.1.1991) bedeckt und spricht von ungeklärten Schuldverhältnissen. Nun sei das BAL gefragt, denn ihm selbst seien die Hände gebunden, er könne nur eine Untersuchungskommission beim BAL beantragen, „eine Organisation wie wir, die aus dreieinhalb Mann besteht, gegen 138 aus der DDR, wie sollen wir da Untersuchungen leiten.
Im Mai 1991 hatte der Deutsche Sportbund beschlossen, den Deutschen Skiverband über Erkenntnisse der ad-hoc-Kommission zu unterrichten. Justitiar Jochen Kühl vom DSB informierte am 19. Juni den Sportausschuss des Deutschen Bundestages entsprechend. Die ad-hoc-Kommission sei
„nach mehreren Anhörungen zu der Überzeugung gekommen, dass im Skilanglauf und im Biathlon-Sport der ehemaligen DDR flächendeckend gedopt worden ist und hierüber alle Trainer, Ärzte und Funktionäre, die für die dritte Förderstufe der Leistungskader verantwortlich waren, informiert waren.“
Entsprechend der Erkenntnisse seien alle erwähnten Trainer, Ärzte und Funktionäre verantwortlich. Es ginge daher an den Deutschen Skiverband die Empfehlung, die Trainer Hinze, Bock und Ullrich nicht fest anzustellen, solange der Verdacht nicht ausgeräumt sei.
Hinze wurde noch bis zu den Olympischen Spielen 1992 gehalten und danach offiziell entlassen, er agierte im Hintergrund jedoch weiter. Die Trainer Ullrich und Bock behielten ihre Trainerstellen.
Im Frühjahr 2009 kocht die Sache wieder hoch. Steinigen gibt erneut an, dass Ullrich zumindest von der Doping-Praxis wusste. Biathlet Jürgen Wirth bezeugt, dass Ullrich auch Mittel verteilt habe. Die Angelegenheit kommt vor die Steinle-Untersuchungs-Kommission, die zu dem Ergebnis gelangt, Bock sei nicht wieder einzustellen, Ullrich habe aber keine Schuld auf sich geladen, auch wenn
„die Kommission von einem unbewusst gesteuerten Verdrängungsmechanismus aus[geht]. Dahingehend, dass er sich die Dinge als junger, ehrgeiziger und an Spitzenleistungen orientierter Trainer in dem Sinne zu recht gelegt hat, dass dies nach dem damaligen Erkenntnisstand notwendig gewesen sei.“ (DSV-Kommissions-Abschlussbericht 2009)
Eine besondere Berücksichtigung von Trainern, die sich dem DDR-Doping widersetzten gab es 1991 im DSV auch nicht. Dies musste Henner Misersky erfahren. Zwei Jahre lang betreute er Nachwuchslangläuferinnen.
Als er die Mädchen vor den blauen Pillen warnte und sich gegen ein neues Verbandskonzept stellte, wurde er 1985 fristlos entlassen. Die Funktionäre begründeten die Kündigung damit, er habe seine Athletinnen nicht motiviert, in die SED einzutreten.“
Sein Rausschmiß aus dem Skiläuferverband hatte Folgen auch für seine Tochter Antje. Die talentierte Langläuferin wurde zur Clubleitung bestellt. Ihr wurde verboten, den Eltern vom Training zu erzählen. Sie verweigerte den Befehl und trat unter Druck aus der Kinder- und Jugendsportschule aus. Seine Hoffnung, durch die Wende würden neue Kräfte, ein neues Denken in den Verband einziehen, wurde enttäuscht.
„Im März 1991 beklagte er in einem Brief an den Vizepräsidenten des Deutschen Sportbundes (DSB) die Anstellung eines dopingbelasteten DDR-Cheftrainers als bundesdeutscher „Disziplintrainer Biathlon“: „Wenn man die generellen Überprüfungen hinsichtlich politischer Belastung von Lehrern, Hochschulangehörigen, Beschäftigten im öffentlichen Dienst in den neuen Bundesländern bewertet“, sei es erforderlich, genauso bei Bundestrainern zu verfahren. Eine Antwort auf diesen Brief, sagt Misersky, habe er nicht erhalten.“ (die Zeit, 19.3.1998)
das NOK
Eberhard Munzert, ehemaliger DLV-Präsident:
„Ich habe Daume 1988 vorgeschlagen: Machen wir eine Aktion „Fair play gegen Leistung ohne Doping“. Ich habe keine Antwort erhalten. Nach dem Tod von Birgit Dressel wollte er mich sogar bewegen, den in diese Affaire verstrickten Professor Armin Klümper zum Olympiaarzt zu machen – hatte er doch Kenntnis vom staatsanwaltlichen Gutachten.“
(Sport-Bild, 24.7.1991)
Westdeutsche Topathleten hatten in den letzten Monaten, wie oben mehrfach zitiert, NOK-Präsident Willi Daume angegriffen und ihm vorgeworfen, über die Dopingpraktiken in Westdeutschland informiert gewesen zu sein aber geschwiegen zu haben. Mehr noch, sie hatten übereinstimmend berichtet, von Daume ungnädig bzw. unwirsch behandelt worden zu sein, als sie versuchten, das Thema Doping anzusprechen. Nach der Wende verhielt sich das NOK wie andere Sportverbände. DDR-Sportfunktionäre wurden in die Gremien integriert, Kritik an deren möglichen Doping- und/oder Stasi-Belastungen wurde ignoriert. Diese Kritik wurde im Laufe des Jahres 1991 lauter, da immer mehr Details über deren Vergangenheit bekannt wurden. Auch ein Verdienst der Kommissionen, insbesondere der Untersuchungen der ad-hoc-Kommission unter Leitung von von Richthofen, der nicht schwieg. So wandte er sich offen gegen die Anstellung (ab 1.1.1991) des neuen Leiters der Berliner Außenstelle des NOK Wolfgang Gitter, ehemals DDR Generalsekretär des NOK und Funktionär des Leichtathletik-Verbandes der DDR und dessen Ehrenmitglied. (FAZ, 12.7.1991)
In das NOK aufgenommen wurden auch Joachim Weiskopf, langjährige Präsident des DDR-Kanuverbandes, der zum Vizepräsidenten avancierte. Im wurde vorgeworfen, die Verfolgung von Sportlern geduldet zu haben, die Westkontakte hatten. Volker Kluge, Sportchef der ehemaligen FDJ-Zeitung Junge Welt, und von 1982 bis 1990 Pressechef des NOK der DDR, wurde als Persönliches Mitglied in das NOK berufen. Über Kluge liegen seit 1995 IMS-Protokolle unter dem Alias ‚Frank‘ vor. (Spitzer, Sicherungsvorgang Sport, S. 216 u.m.). Als weiteres Persönliches Mitglied wurde Dr. Claus Clausnitzer (IME ‚Meschke‘, … Beeinflussbarkeit bei der Anti-Dopingkontrolle, 1972), der ehemalige Leiter des Kontroll-Labors in Kreischa und damit profunder Kenner und Verantwortlicher des DDR-Dopingsystems, berufen.
Verwunderung rief, zum Teil auch innerhalb des NOK, immer wieder das unkritische Verhalten Willi Daumes gegenüber den DDR-Größen hervor. Im Juni beispielsweise hatte Daume Manfred Ewald nach Leipzig zu einem Olympiatreffen eingeladen. Zweifel an Ewalds Rolle und Funktion konnte 1991 niemand mehr hegen. (der Spiegel, 5.8.1991) DDR-Kritiker Prof. Dr. Lothar Pickenhain, bis 1974 stellvertetender Direktor für Sportmedizin am FKS, erklärte 1993 in der gemeinsamen öffentlichen Anhörung der Enquete-Kommission und des Sportausschusses:
„Die [Ignoranz der führenden Sportfunktionäre der Bundesrepublik] ist für uns, d.h. die sich darum bemüht haben, nach der Wende die Vergangenheit aufzuarbeiten, Schumann und andere, Dr. Hartmann z.B. auch, ganz drastisch deutlich geworden, als im Jahre 1991 Willi Daume zusammen mit Manfred Ewald im Zentralstadion in Leipzig die Sportlerehrung vorgenommen hat. Als ob Daume nicht wüßte, wer Manfred Ewald war. Entschuldigung, aber das ist zutiefst empörend! Genauso ist zutiefst empörend, daß Willi Daume an Samaranch ein Empfehlungsschreiben geschrieben hat, in dem er bat, Manfred Ewald persönlich einzuladen, zu empfangen und für seine hervorragende Mitarbeit im IOC zu danken. Ich glaube, eine deutlichere Ignoranz kann es nicht geben, denn Willi Daume ist nun nicht irgend jemand, der keine Informationen hat.“ (Protokoll der Sitzung, S. 730)
In die Diskussionen 1991 platzte die Nachricht mit ersten Informationen über das Buch „Doping-Dokumente“ von Brigitte Behrendonk.
BRIGITTE BERENDONK: DOPING DOKUMENTE
Bereits im Februar 1991 berichtete der Spiegel von dem geplanten Buch der ehemaligen Leichtathletin, die anhand umfangreicher Dokumente die jahrzehntelange Dopingrealität des ostdeutschen Staates aufzeichnete. In dem Artikel werde der Staatsplan 14.25 vorgestellt und an Beispielen mit Namen dargelegt, wie in der ehemaligen DDR ab Mitte der 70er Jahre mit wissenschaftlicher Akribie Dopingforschung und -anwendung betrieben wurde. (der Spiegel, 18.2.1991) Herausgearbeitet werde, dass die beteilgten Wissenschaftler mitnichten willenlose, dem staatlichen Zwang gehorchen müssende Personen gewesen waren.
Gerhard Treutlein versuchte gemeinsam mit einem Kollegen den DLV und insbesondere Helmut Meyer mit einem Brief auf die kommenden Enthüllungen vorzubereiten.
„Wir wollen unsererseits Dir eine Chance geben, auf kommende Ereignisse nicht nur reagieren zu müssen. Wie Du weißt, wird in den nächsten Wochen ein Buch von Brigitte Berendonk zum Thema Doping auf den Markt kommen. … Wir wollen mit offenen Karten spielen. Da wir Dich schätzen, möchten wir zum einen nicht den Eindruck hinterlassen gegen Dich oder den DLV zu arbeiten. Zum anderen sollst Du damit eine Chance erhalten, selbst rechtzeitig aktiv zu werden, und zwar im Kampf gegen Doping. … Durch diesen Brief und die beiliegenden Dokumente wollen wir Dich in Deinem Kampf gegen Doping unterstützen und helfen, Schaden vom DLV abzuwenden. …“
Die beiden Autoren, die, wie viele andere im Verband auch, gehofft hatten, das Berendonk-Buch würde als Chance für einen ehrliche und offene Aufarbeitung der Dopingvergangenheit und -gegenwart genutzt werden, erfüllte sich jedoch nicht.
Auch Theo Rous, Vorsitzender der Anti-Doping-Kommission gehörte zu diesem Kreis. Helmut Meyer hatte die erhaltenen Dokumente an diesen weiter gegeben und ihn zum Handeln aufgefordert. Rous machte daraufhin entsprechende Vorschläge um „nicht wie bisher immer – auf Enthüllungen in den Medien“ lediglich zu reagieren und damit den Eindruck zu erwecken, der DLV „wolle Dinge vertuschen“. Doch auch er war lief gegen eine Wand, enttäuscht musste er, der bereits im Verbandsrat im April in Karlsruhe und im Juni in Hannover auf die zu erwartende Veröffentlichung hingewiesen hatte, feststellen, dass nichts geschehen war und geschah.
Auch Werner Franke und Brigitte Berendonk berichteten schon früh über ihre Ergebnisse. Drei Wochen vor Erscheinen des Buches wurde Helmut Meyer noch einmal gesondert informiert. Reaktionen gab es keine.
Das Ende des Jahres erschienene Buch schlug dennoch heftig ein und löste Abwehrreaktionen aus. Brigitte Berendonk hatte es nicht bei der Darstellung der Ostrealitäten belassen, sondern schloss den Westen nicht aus.
Es hagelte Dementis und Verleumdungsklagen. Mit dabei >>> Karlheinz Steinmetz, >>> Armin Klümper, >>> Hartmut Riedel, >>> Winfried Schäker und >>> Joseph Keul. Mittels einer einstweiligen Verfügung wurde die Auslieferung des Buches erst einmal gestoppt, später mit geschwärzten Passagen zugelassen. Nach und nach unterlagen aber alle Kläger.
Im DLV gärte es heftig. Auf der einen Seite gab es zwar die Bestrebungen, offensiv das Offengelegte aufzuarbeiten und entsprechende Konsequenzen zu ziehen, auf der anderen Seite aber war die Lobby derjenigen stärker, die versuchten die Wahrheiten wegzudrücken. Theo Rous trat zurück – nicht allein wegen des Umgangs mit dem Beredonk-Buches, insgesamt beklagte er einen ungenügenden und wenig transparenten Umgang mit dem Dopingthema – und eine DLV-Juristenkommission begann mit der Arbeit. Theo Rous blieb jedoch nicht ruhig und mischte sich weiterhin, wie viele andere Kritiker, ein.
Immer stärker wurden im Zuge der Veröffentlichungen, auch dank Brigitte Berendonk, die Arbeit von Wissenschaftlern und Ärzten des Westen hinterfragt. und immer deutlicher wurde, dass auf dieser Ebene mit Unterstützung politischer Größen und öffentlichen Geldern Dopingpraktiken geduldet und zudem mittels Forschung untersucht und gefördert wurden. Zudem zeigte sich, dass man auch in diesen Kreisen nicht abgeneigt gewesen war, Know-how des Ostens zu nutzen. Die schnelle und kritiklose Einstellung Hartmut Riedels nach dessen Flucht 1987 mit der Verleugnung dessen Dissertation B hatte schon viel Fragen aufgeworfen. Brigitte Berendonk machte mit der Lügerei ein Ende indem sie Auszüge aus der Schrift veröffentlichte und eindeutig Riedels Anabolikaforschungen und -experimente belegte. Koryhäen wie die Professoren Keul und Hollmann gerieten in Erklärungsnot. (Infos zu Hartmut Riedel).
Allerdings sah sich der Wissenschaftsrat in Köln veranlasst, sich von Prof. Werner Franke zu distanzieren. Franke, der der Arbeitsgruppe ‚Biowissenschaften und Medizin‘ angehörte, die sich mit der Begutachtung der ‚außeruniversitären Forschungseinrichtungen auf dem Gebiet der ehemaligen DDR‘ befasste, musste Anfang 1991 seine Mitarbeit aufgeben. Als Begründung hieß es, die Recherchen Frankes zu Riedel hätten nicht ‚in Verbindung mit den Aufgaben des Wissenschaftsrates in den neuen Ländern‘ gestanden, denn es sei mit der Tätigkeit in einer Arbeitsgruppe nicht vereinbar, wenn ‚private Interessen, bezogen auf Einzelpersonen‘ verfolgt würden. (Zitiert aus Schreiben des Wissenschaftsrates an Riedel)
Aus dem Vorwort des Sammelbandes, Hrsg. Professor Horst de Marées und Rüdiger Häcker:
„Gerade im Hochleistungstraining mit der Aussicht auf den großen Erfolg, das hohe Ansehen, die geschäftlichen Möglichkeiten liegen Wahres und Unwahres, seriöse wissenschaftliche Arbeit und Effektforschung, ethisch Vertretbares und Unzulässiges oft dicht nebeneinander.
(…)
Dies ist das eigentliche Geheimnis der Erfolge der ehemaligen DDR – die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Sportlern, Trainern, Trainingsmethodikern, Medizinern und Biowissenschaftlern – orientiert am Ziel des Hinausschiebens der menschlichen/sportlichen Leistungsfähigkeit.
(…)
Keinesfalls ist das Geheimnis darin zu suchen, daß in Geheimlaboren Wunderpillen entwickelt oder ethisch verwerfliche Verfahren erprobt wurden.“
1991 erschien im Deutschen Ärzte-Verlag, Köln, der Sammelband „Hormonelle Regulation und psychophysische Belastung im Leistungsport“ mit Beiträgen eines Kolloquiums am Forschungsinstitut für Körperkultur und Sport vom Mai 1990 in Leipzig. Die Forschungsbeiträge stammen überwiegend aus der DDR (Ausnahme M. Donike mit W. Schänzer). Gemeinsame Herausgeber waren der Direktor des Kölner Bundesinstituts für Sportwissenschaft BISp, Professor Horst de Marées, und der letzte Ärztliche Direktor des Leipziger Forschungszentrums FKS, Professor Rüdiger Häcker. Als Autoren zeichnen u. a. so bekannte Dopingpersönlichkeiten wie G. Rademacher, H. Langer, D. Nicklas, A. Lehnert, W. Schäker. In einigen Beiträgen geht es um Versuche an Menschen mit anabolen Steroiden wie Oral-Turinabol. Doch Häcker und Co versuchten in Zusammenhang mit einer nachgewiesenen Leistungssteigerung mögliche Kritiker zu beruhigen (S. 83):
„Demgegenüber steht jedoch neben moralisch-ethischen Aspekten, daß auch unter ärztlicher Kontrolle ein Mißbrauch und damit das Risiko gesundheitlicher Schädigung prinzipiell nicht auszuschließen ist. Deshalb bekennen sich die die Autoren dieses Beitrages zum Verbot der Anwendung anaboler Steroide im Training und Wettkampf entsprechend den Festlegungen der Dopingbestimmungen der medizinischen Kommission des IOC“. Der Spiegel schreibt über den Sammelband: „Gegenüber den Originalen weisen die Veröffentlichungen aber entscheidende Unterschiede auf: Alle inkriminierenden Passagen, etwa das Alter minderjähriger Versuchspersonen oder die Anwendung nicht zugelassener Medikamente betreffend, waren geschönt oder einfach weggelassen worden“. (der Spiegel am 16.9.1991)
Im September 1991 sah sich angesichts der vielfältigen Dopingerkenntnisse die Deutsche Gesellschaft für Sportwissenschaften veranlasst eine Erklärung gegen Doping zu verabschieden. Diese >>> Oldenburger Erklärung fand jedoch nicht nur Zustimmung. Insbesondere aus der Sportärzteschaft hagelte es Kritik und es folgten einige Austritte.
Im Oktober 1991 wurde publik, dass in den 80er Jahren an mehreren westdeutschen Universitäten über Testosteron geforscht worden war. Die Crème der Deutschen Sportärzte war beteilgt, Prof. Keul, Prof. Liesen, Dr. Jakob uvm. mussten sich plötzlich verteidigen und meist bestritten sie heftigst, Dopingforschung betrieben zu haben. Die Angelegenheit beschäftigte im selben Jahr noch die Bundesregierung, die auf eine Kleine Anfrage von Abgeordneten antworten musste. Auch hier wurde abgewiegelt. Doch heute weiß man, dass es sich tatsächlich um Dopingforschung gehandelt hatte.
>>> Testosteronforschung in der BRD 1985 bis 1990 / Antwort der Bundesregierung vom 11.12.1991
Erfolgszwänge und ‚blauer Brief‘ aus Bonn
Während immer mehr Details bekannt wurden über die Dopingvergangenheiten beider deutscher Staaten, die nach Konsequenzen verlangten, nahm der Leistungsdruck, der nach Meinung vieler Funktionäre und Mandatsträger auf dem deutschen Sport, insbesondere der Leichtathletik und dem Schwimmen lastete, nicht ab. Die nächsten Olympischen Spiele verlangten nach Topp-Ergebnissen. Dazu benötigte man die besten Trainer bei höchstmöglichster finanzieller Förderung. Auch wenn vieles mittlerweile daraufhin deutete, dass die Kompetenz der ehemaligen DDR-Trainer in weiten Teilen nicht auf optimalen Trainingsplänen und -methoden beruhte, herrschte die Auffassung vor, ohne deren Unterstützung im internationalen Vergleich nicht mithalten zu können. Zumal eine Reihe von Trainern, Ärzten und Wissenschaftlern Angebote aus Ländern rund um den Globus erhielten. Der Glaube an deren besondere Fähigkeiten war kein deutsches Phänomen. So konnte manch Begehrter, wie z. B. Thomas Springstein mit seinem Weggang drohen.
„Thomas Springstein, Trainer der Doppel-Weltmeisterin Katrin Krabbe, droht den Funktionären, die seine finanziellen Forderungen nicht erfüllen wollen, mit einem Umzug in die USA oder nach Australien. Karl Hellmann, langjähriger Betreuer der Speerwurf-Olympiasiegerin Petra Felke, will sich absetzen, wenn die Doping-Verdächtigungen im eigenen Land nicht aufhören.“ (der Spiegel, 7.10.1991: „Es werden Wunder geschehen“)
Dieses Verhalten von Verbänden steht vordergründig in Gegensatz zu Äußerungen aus der Politik, die nahelegten, der dopingfreie Sport und ein damit verbundenes Großreinemachen seien jetzt wichtiger als Erfolgs- und Medaillenträume. Im Hintergrund standen Drohungen der Politik.
Otto Andres,
Vizepräsident des DFB:
„Mir geht ganz besonders auf die Nerven, daß jetzt im Zusammenhang mit dem Doping die Leistungen der Sportler aus der früheren DDR in den zurückliegenden Jahren aufs Korn genommen werden. Die Fakten sind weitgehend aufgebauscht, nicht verbürgt und stammen aus dunklen Kanälen von Leuten, die sich noch ein paar schmutzige Scheine verdienen wollen.“
(FR, 21.10.1991)Dr. Thomas Bach, bereits 1991 IOC-Mitglied, heute IOC-Vize, meint am 3.11.1991 in dem ARD-Brennpunkt „Alle Macht den Drogen“ angesprochen auf seine Forderung nach lebenslangen Sperren für dopende Athleten u.a.:
„Aber es gibt insbesondere im Umfeld einiges zu tun. Man darf nicht nur Athleten treffen, sondern muss vor allem dessen verantwortliches Umfeld treffen und darum unter anderem werde ich mich im IOC auch bemühen.“
Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble gab zu bedenken, ein dopingfreier Sport sei wichtiger als viele Medaillen. Er wünsche es sich zwar nicht, „weil ich schon ein Anhänger des Leistungssports, auch des Hochleistungssports bin. Aber ich möchte mir eigentlich nicht länger einen Hochleistungssport mit Doping vorstellen. Ich bin übrigens davon überzeugt, dass wir auch ohne Doping weiterhin Medaillen erringen, wäre das anders, müssten wir ja dafür sorgen, dass alle Medaillen, die unter Dopinganwendungen errungen worden sind, was ganz sicher nicht der Fall ist, [aberkennen ?] (…) Weniger Medaillen werden es sein“ aber es sei natürlich wichtig, dass international der Kampf aufgenommen werde, um gleiche Wettbewerbschancen zu haben, „das kann aber nicht die Ausrede dafür sein, dass wir hier national nichts tun, das habe ich jetzt zulange gehört, das geht nicht mehr.“ (Im Brennpunkt, HR 1991)
Bereits im September hatte sich der Sportausschuss bei einer Anhörung scharf zu den Ergebnissen der Reiter-Kommission geäußert (Kurzrotokoll der 10. Sitzung vom 25.9.1991, zitiert nach Sport und Staat, S. 107ff):
„„Wir sind in allen diesen Sitzungen und Anhörungen [gemeint waren vor allem die beiden Hearings von 1977 und 1987] immer so beschieden worden, daß das Problem eigentlich nicht existiere, daß der deutsche Sport sauber sei. Offensichtlich, Herr Prof. Reiter, hat Ihre Kommission etwas anderes festgestellt, so daß man, ohne Widerspruch herausfordern zu müssen, sagen darf, daß wir mindestens sehr oberflächlich oder sehr leichtfertig informiert worden sind, wenn nicht vielleicht sogar bei diesen Anhörungen bewußt falsch informiert worden sind.“ (Vorsitzender Tillmann) …
dass die Vertreter des westdeutschen Sports „„jahrelang […] bewußt falsche Erklärungen abgegeben haben und in öffentlichen Anhörungen […] zumindest geheuchelt haben, wenn nicht gar uns angelogen haben. […] Die meisten dieser Trainer, Funktionäre und Mediziner, die sich so verhalten haben, befinden sich bei uns nach wie vor in Diensten, und ihre Arbeit wird auch von der öffentlichen Hand bezuschußt. Dies kann sicherlich nicht mehr sehr lange von uns – bei aller Freiheit und Autonomie des Sports – ingenommen werden.“
Schäuble forderte von jedem Verband, der Bundesmittel wolle, ein schlüssiges Antidoping-Konzept. Mit Bundesgeldern unterstützte Trainerverträge könnten fristlos gekündigt werden, sollten Dopingverstöße nachgewiesen werden. Alle Fraktionen im Sportausschuss schlossen sich Schäuble an und monierten u.a., dass der Kampf gegen Doping nicht in den Verbandssatzungen verankert sei und nachgewiesene Dopingvestöße nur halbherzig verfolgt würden. Am 5. Oktober erhielten dann die Verbände ein Schreiben (in der Presse ‚blauer Brief‘ genannt) aus dem Bundesinnenministerium, in dem sie aufgefordert wurden, ihre ‚konzeptionellen Überlegungen‘ mitzuteilen. Und der Sportausschuss des Deutschen Bundestages hatte die Sperrung von Fördergeldern aus dem Bundesinnenministerium beschlossen. 10%, gleich 18,4 Millionen Mark, der für den Hochleistungssport im olympischen Jahr 1992 vorgesehenen Fördersumme sollte mit der Auflage, die Doping-Aufklärung umgehend in Gang zu bringen, zurück gehalten werden. Bis 6.11. müssten die Ergebnisse vorliegen.
Der DSB zeigte wenig Verständnis für diese harte Bonner Haltung. Das Präsidium bezeichnete den ‚Blauen Brief‘ als wenig hilfreich, die konsequente Antidoping-Strategie des DSB werde damit ignoriert. Präsident Hansen meinte,
„ständige öffentliche Eingaben und Drohgebärden dienen nicht der Sache.“…“Auch in Bonn muß man endlich zur Kenntnis nehmen, daß der Sport sich auf seinem jetzt eingeschlagenen Weg zur Sauberkeit von niemandem überholen lassen will.“ (FR, 21.10.1991)
Hatte der Protest schnell Erfolg? Bereits Tage vor dieser FR-Meldung ist in der SZ zu lesen, dass die CDU/CSU im Sportausschuss eingeknickt war, die harte Forderung nach Abgabe eines schlüssigen Konzeptes war der Forderung nach einfachen Abgaben von Empfehlungen gewichen. „Dem Sportausschuss würde schon ein Brief von einer Sekretärin der Sportverbände an sein Bundestagsgremium ausreichen, um bei der der Sportausschuß-Sitzung am 6. November die Sperre für unwirksam zu erklären.“ (SZ, 18.10.1991)
Am 2.11. vor der entscheidenden Sitzung des Sportausschusses dementierte dessen Vorsitzender Tillmann diese Meldung, die harte Haltung sei keineswegs aufgegeben worden und auch Schäuble betonte erneut, dass seitens des deutschen Sports zu wenig gegen Doping unternommen worden sei. Der DSB erreichte aber, dass die ursprüngliche pauschale Forderung nach einer Haushaltssperre vom Sportausschuss dahin gehend geändert wurde, dass die Verbände einzeln überprüft werden sollten.
Wilhelm Schmidt, Sportpolitischer Sprecher der SPD und ehemaliger Vizepräsident des Deutschen Schwimmverbandes, erklärte:
„nun ist zu erwarten, dass sie alle sehr aktiv werden, mehr als das bisher der Fall war, denn bisher haben nur 3 von 50 Verbänden reagiert auf diese ganzen Dinge, die im Spiel sind und ich glaube wir müssen jetzt einfach darauf warten, was passiert in nächster Zeit, aber zu lange nicht mehr. Viele Dinge sind bekannt und wenn da nichts weiter erfolgt, als dass was bisher erkennbar ist, dann bleibt es bei den Mittelkürzungen, dann können die Verbände international nicht mehr starten, dann wird es einen Untersuchungsausschuss des Bundestages geben und wir werden uns möglicherweise, wenigstens vorübergehend, aus dem internationalen Sportgeschehen zurück ziehen müssen.“
Die angedrohten ministeriellen Mittelkürzungen fanden nicht statt, die zwischenzeitlich aufs Eis gelegten Millionen wurden ausgezahlt. Bis zu dem ersten Termin Anfang November waren zwar nur 27 von 47 geforderten Antwortschreiben beim Sportausschuss eingegangen, doch der Abgabetermin wurde verlängert. Wie es mit den Forderungen des Bundesinnenministeriums bestellt war, bleibt im Unklaren. Tillmann beklagte sich jedenfalls über fehlende Absprachen, über Kommunikationsschwierigkeiten. Er drohte an, dass in Zukunft bei den Haushaltsberatungen jeder einzelne Verband unter die Lupe genommen werde und drohte damit auch dem BAL, das bislang für die Etatentwürfe der Fachverbände zuständig war. Er stellte aber auch fest,
„die in dem Beschluß vom 25. September 1991 erhobenen Forderungen wurden von der überwiegenden Zahl der Verbände erfüllt. … Die meisten olympischen Fachverbände haben sich zudem dem Trainings-Kontroll-System es Deutschen Sportbundes mit jährlich rund 4000 Kontrollen angeschlossen.“ (SZ. 12.11.1991)
Auch wenn der Haushaltsausschuss des Dt. Bundestages am 14.11.1991 beschloss, 5 Mio DM pauschal für die Verbände innrhalb des DSB einzufrieren, konnte Innenminister Seiters schon im November DSB-Präsident Hansen beruhigen und die Freigabe der Gelder für Anfang 1992 ankündigen. Und so kam es auch im Frühjahr 1992.
Die Sportminister der Bundesländer waren ob der laufenden Diskussion auch wieder zufrieden. Sie zogen eine zuvor aufgestellte Forderung nach einem Untersuchungsausschuss zur ‚Klärung der Dopinganschuldigungen‘ Ende November zurück,
„die Länder respektierten den Wunsch nach Eigenverantwortung des Sports. Wir gehen davon aus, daß die vom Deutschen Sportbund eingeleiteten Maßnahmen erfolgreich sein werden,“ meinte der niedersächsische Kultusminister Rolf Wernstedt. (FAZ, 30.11.1991)
Mit den wieder freigegebenen Fördermitteln war auch erst einmal die Sorge um die Finanzierung ostdeutscher Trainerverträge vom Tisch. „Vom Bundesinnenministerium (BMI) sei für 1992 die Zusicherung gekommen, daß die gleichen Mittel für die ostdeutschen Trainer zur Verfügung stünden wie dieses Jahr.“ Wobei die Mittel reichten, um die Bezüge der DDR-Trainer wesentlich gegenüber 1991 zu erhöhen (dpa, 11.11.1991). Die in dieser Meldung getroffene Aussage von DLV-Präsident Meyer, der Erhalt eines neuen Vertrages sei mit der Auflage verbunden, die Trainer hätten keine ‚Dopingbeteiligung‘ aufzuweisen, wurde zur gleichen Zeit bereits durch die Arbeit an Trainererklärungen unterlaufen (s.u.).
Trainer und Dopingvergangenheit – Verbändestrategien
DLV und Deutscher Schwimmverband reagierten auf eigene Weise. Sie folgten den Empfehlungen eigener Verbands-Kommissionen, die fast zeitgleich mit der Vorlage des Endberichts der ad-hoc-Kommission im Dezember 1991 ihre Ergebnisse vorlegten.
Was machte der Deutsche Skiverband? Helmut Weinbuch, 1991 Sportdirektor des Deutschen Skiverbandes, wird 2006 als Generalsekretär wie folgt zitiert:
„Das muss ja Schwierigkeiten geben, wenn man nicht einmal die Hälfte des Personals behalten kann und die anderen kündigen muss. Das Problem was dann entstanden ist war die Aufarbeitung Doping. Das haben wir dann mit der Reiterkomission im DSB geregelt. Es gab die große Amnestie. Viel schwieriger war des im Stasi-Bereich. Und da haben wir uns bei einigen entschieden. Mit gutem Gewissen und auch im Nachhinein richtig entschieden. Und wir haben ein Klima der Gemeinsamkeit geschaffen und wir packen an und wir wollen gewinnen. Und ich glaube davon haben wir alle profitiert. “ (dradio, 30.10.2006)
DEUTSCHER LEICHTATHLETIK-VERBAND (SLV)
DLV-Juristenkommission:
„Den Vorsitz hatte der Direktor des Darmstädter Arbeitsgerichts, flankiert wurde er von einem Richter des Darmstädter Landgerichts.
An einem Wochenende im November 1991 reisten die Juristen nach Potsdam. An zwei Tagen hörten sie dort 20 schwer belastete Trainer an. Es scheint eine Art Therapierunde gewesen zu sein. Der Kommissionsvorsitzende Frieder Ewald schrieb: „Wir haben ausnahmslos engagierte und qualifizierte Trainer kennengelernt, die sich mit der Problematik auch persönlich auseinandersetzen und insgesamt die Prognose rechtfertigen, dass in jedem Fall eine ,saubere‘ Zusammenarbeit mit dem Verband und den Sportlern gewährleistet ist. Die Kommission schlägt daher eine Amnestie der Trainer vor.““ (der Spiegel, 17.8.2009)
Eine ‚Unabhängige Juristenkommission‘ des DLV hatte prüfen müssen, welche Trainer ohne spätere juristische Komplikationen weiter beschäftigt werden könnten. Zudem wurde der Begriff der „günstigen Sozialprognose“ eingeführt, die als Garant für zukünftiges dopingfreies Arbeiten gelten sollte. Von allen Trainern und Ärzten wurde dann noch eine „Eidesstattliche Erklärung“ abverlangt (>>> siehe hier DLV Doping-Bekämpfungsmaßnahmen). Berendonk:
„Es fehlt jede verbindliche Form, und erklärt wird alles mögliche (z. B. man sei nicht Mitglied einer Institution gewesen, die im Doping eine wegweisende Rolle gespielt habe, und habe nicht aktiv an Beschlüssen, Planungen und Anordnungen zum Doping mitgewirkt), nur nicht das Wesentliche, nämlich daß man nie Dopingmittel verabreicht habe.“ (Berendonk, S. 315)
Helmut Digel dazu 2009: „Es waren daher vor allem auch arbeitsrechtliche Erwägungen, die zu bedenken waren. Unter dem Aspekt der Gerechtigkeit, unter dem Aspekt von Schuld und Unschuld konnte man mit diesem Verfahren allerdings dem Problem nur bedingt gerecht werden. Oft waren es wirtschaftliche Erwägungen, die dazu geführt haben, dass man einen Trainerweiter beschäftigte oder sich der Verband mit einer Abfindung von ihm trennte, weil sich die Verantwortlichen in den jeweiligen Präsidien der Verbände Haftungsproblemen gegenüber sahen, für deren Lösung sie keine Wege kannten.“ (H. Digel, 20.1.2009)
24 Ost- und 3 Westtrainer sollen auf diese Weise ihren Vertrag beim DLV verlängert bekommen haben: „Zehn Tage später sah es das Heidelberger Landgericht als erwiesen an, daß einer von ihnen, der DLV-Cheftrainer Bernd Schubert, ein „ausgewiesener Fachdoper“ ist.
Geheime Dokumente des DDR-Dopings, die Werner Franke dem DLV und dem IAAF auf deren Bitten nach der Veröffentlichung des Buches’Doping-Dokumente‘, fanden keine Berücksichtigung. (SZ, 31.8.2005) Nach der folgenden öffentlichen Diskussion um Schubert wurde ihm zwar der Titel Cheftrainer entzogen, sein Aufgabenfeld etwas verändert, aber er blieb in einem DLV-Amt zumal sich auch DLV-Trainer für Schubert stark gemacht hatten.
Manfred von Richthofen meinte dazu: „Da schwanke ich zwischen Wut, Ekel und Resignation. Ein Mann wie Schubert ist nicht mehr tragbar.“ (Welt am Sonntag, 15.12.1991, zitiert nach Berendonk, S. 315)
„In der letzten Woche erhielten auch drei Westtrainer ihre Absolution durch den DLV-Rechtswart. Unerührt überging der Verbandsjurist dabei im Fall des Diskus-Bundestrainers Karlheinz Steinmetz ein Gerichtsurteil, Steinmetz sei ein „Doping-Experte“. „(der Spiegel, 9.12.1991)
Eine ursprünglich geplante ‚Große Untersuchungskommission‘ kam nie zustande.
DEUTSCHER SCHWIMMVERBAND (DSV)
Harm Beyer, Präsident des Deutschen Schwimmverbands und Mitglied der ad-hoc Kommission, wird zitiert (dpa, 11.11.1991) er wünsche sich „Freiwillige Rücktritte zahlreicher Mandatsträger“, solche Reaktionen halte er angesichts der „Fülle unseres Belastungsmaterials für erfreulich und erfrischend“.
Zur selben Zeit hatte er bereits Trainern seines eigenen Verbandes mittels einer Ehrenerklärung die Weiterbeschäftigung ermöglicht. am 1. Dezember erklärte das Präsidium, die Überprüfung sei abgeschlossen. Dabei sei man den Empfehlungen der Reiter-Kommission gefolgt. Die Trainer seien einzeln auf ihre Dopingvergangenheit hin überprüft und sicher gestellt worden, dass sie „künftig die Garantie für einen dopingfreien Sport“ böten. Ehemalige Cheftrainer der DDR sowie ehemalige Verbands-Chef- und Sektionsärzte würden bis auf Weiteres keine Aufgaben übernehmen können.
Teil dieses Beschlusses war eine bereits am 18. November unterzeichnete Erklärung von 25 Schwimmtrainern, mit der sie zugaben, in das Dopingsystem integriert gewesen zu sein, wenn auch in unterschiedlichem, aber meist geringem Ausmaß. Zudem hätten sie keine Möglichkeit gehabt ‚ohne Gefährdung der eigenen Existenz‘, die Beteiligung zu verweigern. Dass 20 dieser Unterzeichner (laut Spiegel) Anfang desselben Jahres 1991 an Eides Statt erklärt hatten, nicht in das Dopingsystem verwickelt gewesen zu sein (s.o.), störte nun offenbar niemanden. (der Spiegel, 9.12.1991) Die Namen der 25 Trainer wurden nach FAZ-Informationen nie bekannt gegeben. Angeblich hatte Harm Beyer diese Liste in einem Bankschließfach verwahrt. Als polizeiliche Ermittlungen 1998 danach verlangten, war sie jedoch verschwunden (FAZ, 8.9.1998).
Heftig reagierten allerdings West-Trainer, die eine Weiterbeschäftigung ihrer Ostkollegen ablehnten und eine grundlegende Änderung im Antidopingkampf einforderten. Harm Beyer allerdings konnte diesen Ausführungen nicht folgen, griff die Westtrainer heftig an und verteidigte mit Vehemenz die DSV-Präsisiums-Entscheidung.
>>> hier mehr zu den Erklärungen und zu Beyers teils sich widerspechenden Ansichten.
Ferdi Tillmann, Vorsitzender des Sportausschusses des Deutschen Bundestages sah Ende 1991 zumindest einen kleinen Fortschritt darin, dass der Sportausschuss bereit war ‚erhebliche Kürzungen bei den Sportverbänden‘ vorzunehmen und dass sich durch den ausgeübten Druck einige Verbände erst aktiv dem Antidopingkampf zugewandt hätten. Allerdings gab er auch zu, dass ’namhafte Mitglieder des Sportausschusses‘ Zweifel an der Selbstreinigungskraft des Sportes hätten (Tillmann, 14.1.1992).
Erwähnt werden muss, dass viele Sportler und Sportlerinnen das Dopingthema offensiv angehen wollten und für einen sauberen Sport eintraten. Ende 1991 meldeten sich 20 Leichtathleten und Leichtathletinnen, die im Olympiakader standen zu Wort und forderten einen Maßnahmenkatalog zur Dopingkontrolle.
Zitat Walter Kusch, 1978 Weltmeister über 100m Brust, Arzt:
„Im Schwimmsport gab es vor allem … Anabolikadoping, sprich anabole Steroide. Das kam so 70/71 aus Amerika nach Deutschland und dann war das die große Entdeckung. Ganz geheim, durfte eigentlich gar keiner sagen aber alle haben es natürlich ausprobiert. Die Trainer sind im Endeffekt von den Medizinern oder durch eigenes Interesse mit reingenommen worden in die Information und an die Aktiven ist es … von Aktiven zu Aktiven gekommen. Es gab … Anfang der 70er Jahre [Zeiten], wo die Sachen auch zu kriegen waren bei den großen Sportartikelherstellern, die sagten dann ma, Mensch habt ihr das schon gehört, da gibts was ganz Neues, ham wir zufällig noch ein paar da, wenn ihr mal ausprobieren wollt. …wie ein Bauchladen wurde das da teilweise verkauft.“ (Panorama, Herbst 1991)
Stasiverstrickungen
Während die Diskussion um das Doping der Vergangenheit in Ost und West nicht abflaute, schob sich das Problem der Stasiverstrickungen immer mehr in den Vordergrund. Manfred von Richthofen hatte schon Mitte des Jahres immer wieder das Befassen mit dieser Problematik angemahnt. Ende November 1991 wurde DSB-Präsident Hansen vom Präsidium beauftragt, ehemalige DDR-Funktionäre auf ihre Verbindungen zur Staatssicherheit zu überprüfen. Es sei Chefsache, mit den Beschuldigten zu sprechen und mögliche Konsequenzen einzuleiten. Hansen: „Diese Probleme verlangen eine sensible Behandlung und gestatten keine Austragung auf dem freien Markt.“ (FAZ, 25.11.1991) Karlheinz Gieseler, ehemaliger DSB-Generalsekretär und langjähriger Chefunterhändler in den innerdeutschen Beziehungen warnte in diesem Zusammenhang gleichzeitig vor einem „Denunziationssport“. (Stuttgarter Zeitung, 25.11.1991)
Bericht der ad-hoc-Kommission – Reaktionen, Konsequenzen
Während des laufenden Jahres 1991 wurde immer wieder von den Verbänden, der Politik und der Öffentlichkeit auf die laufenden Ermittlungen der ad-hoc-Kommission unter Leitung von Richthofens geschielt. Was kann er aufecken, werden Namen genannt, auch aus dem Westen, wird es Konsequenzen geben? Wie bereits aus dem Text weiter oben hervor geht, wurden viele Erwartungen enttäuscht. Im Folgenden werden einige Zitate aus der umfangreichen Berichterstattung über die Vorstellung des Abschlussberichts am 15. Dezember in Frankfurt a.M. aufgeführt.
Stuttgarter Zeitung, 14.12.1991:
„… Offengelegt werden auf 21 Seiten keine Namen, sondern lediglich Positions- und Funktionsbeschreibungen, die den Kundigen die Fährte zu den rund 100 belasteten Personen aufnehmen lassen. Dieses Verfahren haben sich die DSB-Juristen nahegelegt, nachdem von Richthofen „massive Drohungen“ von Betroffenen erhalten hat, die ihm für den Fall der öffentlichen Namensnennung („… und wenn Sie nur eine Silbe sagen“) Klagen zuhauf angekündigt haben. Die Geheimhaltung geht dabei so weit, daß selbst die DSB-Präsidiumsmitglieder die Dope-Dokumentation erst einen Tag vor der Veröffentlichung in Frankfurt zu sehen, und keinen einzigen Namen zuhören bekamen.
Besser informiert sind die Fachverbände, denen per Brief mitgeteilt wurde, welches die schwarzen Schafe in ihren Reihen sind, verbunden mit der Aufforderung, daraus Konsequenzen zu ziehen. Das Echo hätte entlarvender nicht ausfallen können: Kein einziger Funktionär, Trainer oder Mediziner ist bis heute geschaßt worden. Obwohl den Verbänden 43 Fälle dokumentiert worden sind. DSB-Vize von Richthofen hatte dabei stets betont, daß es nun an den Verbänden sei, „glaubwürdig und ernsthaft“ zu handeln. Unterstützt im übrigen von seinem Präsidenten Hans Hansen, der die „verbrecherischen Versuche am Menschen schonungslos“ aufdecken und bestrafen wollte. „Völlig ausgeschlossen“ sei es, meinte Hansen gestern, „daß der deutsche Sport nach der Vorlage des Richthofen-Reports zur Tagesordnung übergeht“.
Zweifel stehen nach wie vor oben an: Wenn zuletzt im deutschen Sport Schnitte gemacht wurden, dann geschah dies nicht aufgrund der vielgepriesenen Selbstreinigungskraft des Sports, sondem vor den Schranken ordentlicher Gerichte. Die Rücktritte der Bundestrainer Karlheinz Steinmetz (Diskus) und Kurt Hinze (Biathlon) waren die direkte Folge von Gerichtsverhandlungen, in denen die Beschuldigten bald erkannten, daß ihren Unschuldsbeteuerungen nicht geglaubt wurde. Der nächste dürfte – und dazu bedarf es wenig prophetischer Gabe – der Cheftrainer des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV) Bernd Schubert, sein.
Gerade dieser DLV ist ein bestürzendes Beispiel dafür, wie besinnungslos in den eigenen Reihen mit der Doping-Problematik und damit auch mit der Richthofen-Kommission umgegangen wird. Nirgendwo ist die Doping-Praxis so akribisch dokumentiert wie in der Leichtathletik der ehemaligen DDR – und was tut der DLV? Er verlängert noch im November 69 Trainern aus Ostdeutschland die Kontrakte. „Gerade über die Doping-Szene im Osten“, sagt von Richthofen, „haben wir wahnsinnig viel schriftliches Beweismaterial“.
Wesentlich schwieriger, und somit wesentlich dünner ist die Faktenlage im Westen. Hier war die Ad-hoc-Kommission, die sich als eine Art Beichtstuhl verstand, weitgehend auf mündliche Aussagen angewiesen, was sie in ein grundsätzliches Problem stürzt: Die Informanten packten nur unter dem Siegel der Verschwiegenheit aus, welches vor Gericht gebrochen werden müßte. „Aber genau das werden 80 Prozent nicht tun“, prophezeit ein DSB-Sprecher, „und dann verliert der DSB 80 Prozesse.“ …
Süddeutsche Zeitung, 16.12.1991:
„… Er habe in den vergangenen Wochen „im deutschen Sport, Ost wie West, ein häßliches Gesicht erkannt“, deckte Manfred von Richthofen auf, der den mit Spannung erwarteten „Schlußbericht der ad-hoc-Kommission zur Beratung in aktuellen Dopingfragen“ vorlegte, aber dieser Fratze aus juristischen Gründen auch einen schwarzen Balken über die Augenpartie kleben mußte. …
Der großen Mehrheit der DSB-Delegierten, unter ihnen vermutlich auch solche aus Richthofens geheimer Namensliste, war’s gerade recht. Niemand brauchte, wie vorher vermutet, vor Scham den Saal zu verlassen, sie konnten altes Brauchtum weiterpflegen: Schweigen und Aussitzen. Hätte sich nicht der Versammlungssenior, der 83jährige Präsident des Deutschen Eislaufverbands, Herbert Kunze, zu Wort gemeldet, der 24seitige erschütternde Bericht Richthofens wäre am Samstag ohne Echo geblieben. Er wisse, bekannte der aufrichtige Mann, daß er beispielsweise NOK-Präsident Willi Daume mit den ständigen Hinweisen auf Doping auch im Westen „lästig“ sei. „Aber wie wird die Offentlichkeit reagieren, wenn wir wieder keine Namen nennen?“ Kunze verlangte unter anderem, daß niemand, der dem aufgezeigtem Kreis zugeordnet werden muß, Mitglied des Olympiateams sein dürfe. …
Daß es der Kommission gelang, über die im Westen bisher kaum bekannte Leistungssport-Kommission (LSK) auch eine Verbindung zwischen DDR-Sport und Stasi herzustellen, war die einzig wirklich neue lnformation.
Nicht neu dagegen die Feststellung: „Für den Bereich der alten Bundesländer ist ein organisiertes System des Einsatzes von Dopingmitteln nicht erkennbar.“ Immerhin äuBerte Kommissions-Mitglied Harm Beyer Entsetzen, „daß der Anabolika-Mißbrauch auch im Westen soweit getrieben wurde“. West-Gipfel des Reports: Der Kommission seien „viele Hinweise und Verdachtsmomente mitgeteilt, wonach einige Funktionäre von DSB, NOK und von Spitzenverbänden sowie Politiker seit 1971 mehr oder weniger genaue Hinweise darauf hatten, daß unerlaubte Dopingmittel angewandt wurden“. Den Verdacht hätten jene Personen jedoch ausnahmslos zurückgewiesen. …
DSB-Präsident Hans Hansen („Es muß was passieren“) ließ die Frage nach möglichen Rücktritten unbeantwortet: „Ich hoffe, daß sich einige auf Druck der Öffentlichkeit von sich aus zurückziehen.“ Wie vage diese Hoffnung ist, zeigt das Beispiel der Leichtathleten, wie kein zweiter Verband ungeschickt im Umgang mit der Vergangenheit. DLV-Präsident Helmut Meyer („Für mich gibt es nach der Sitzung keine neue Situation“‚) schickte seinen durch ein Zivilgerichtsurteil belasteten Cheftrainer Bernd Schubert nur in den Jahresurlaub. „Meyer weiß. daß Schubert nicht mehr tragbar ist“, wetterte Richthofen, „eine Beurlaubung ist eine zu geringe Folgerung.“
„Bundesinnenminister Rudolf Seiters hat dem DSB-Hauptausschuß bei seinem Antrittsbesuch als „Sportminister“ im Frankfurter Römer versichert, ein staatliches Anti-Doping-Recht stehe nicht zur Debatte. Der Sport wolle und könne seine Probleme selbst lösen. Allerdings müsse er energische Maßnahmen ergreifen, sei aber „auf dem richtigen Wege“ und könne dabei vom Bund flankierende Hilfe erwarten.“
(FAZ, 16.12.1991)„“Ich kann nur noch mal an alle Beteigten appellieren, dieses Problem nicht auf die leichte Schulter zu nehmen“, warnte der Minister. Er gehe aber von der Annahme aus, daß die vom Deutschen Sportbund (DSB) einstimmig verabschiedeten Dopingempfehlungen zu einem Handlungskonzept umgesetzt würden, wonach deutlich unterschieden werden könne, wen unter Trainern, Medizinern und Funktionären Verantwortung und Schuld treffe. „Die Bundesregierung hat immer von der Vorbildfunktion des Sports gesprochen und ist zu keiner Zeit der Versuchung unterlegen, Medaillenplätze etwa mit unerlaubten Mitteln zu erreichen. Dies gilt auch für die Zukunft.““
(Deutschlandfunk, zitiert in der FAZ, 30.12.1991)
Frankfurter Allgemeine Zeitung, Kommentar Steffan Haffner, 16.12.1991:
„Auch wenn Prognosen zum Thema Doping schwierig sind, eine Voraussage Manfred von Richthofens dürfte Bestand haben: Die Landschaft des Spitzensports wird sich nach der Kommissionsarbeit gründlich verändern. Dies unabhängig davon, ob es gelingt, die Dopingmentalität durch Kontrollen zu beseitigen, oder nicht. Die Spurensuche der Ad-hoc-Kommission des Deutschen Sportbundes … hat mit konkreten Hinweisen gezeigt, daß im Osten von Staats wegen Doping betrieben wurde. In Richtung Westen verdeutlichte die Arbeit, daß durch ein schlecht zu durchschauendes Beziehungsgeflecht von Sport, Medizin und Politik Doping begünstigt wurde. Verfügte die DDR die sogenannten „unterstützenden Maßnahmen“ von oben herab, erzeugte in der alten Bundesrepublik die Erfolgserwartung der Gesellschaft die Dopingmentalität. Dadurch entstand im Westen eine Grauzone, in der Verantwortliche in Sonntagsreden Pillen und Spritzen verdammten, aber augenzwinkernd Athletenprozessionen zu Anabolikagurus duldeten oder empfahlen. Das gesamte Förderungssystem verlangte Leistungen, die in einer ganzen Reihe von Sportarten ohne biochemische Gaben nicht zu erreichen waren. Da vollzogen die Sporthilfe mit ihrer „leistungsbezogenen Kostenerstattung“, das Nationale Olympische Komitee mit seinen an der Endkampfchance orientierten Nominierungskriterien, die Verbände mit ihren Leistungsnormen sowie der Bundesausschuß Leistungssport und das Bundesinnenministerium mit den Erfolgsprämien für Trainer einen Schulterchluß. Und die Medien stempelten sportliche Verlierer allzuoft zu menschlichen Versagern. … von den Verantwortlichen ist, was auch im Frankfurter Römer beklagt wurde, niemand mit Bekennermut aufgestanden. Als von Richthofen forderte, Mittäter und Mitwisser des Dopings hätten im deutschen Sport nichts mehr zu suchen, hätten nach Einschätzung von Kommissionsmitglied Harm Beyer ein Drittel der Delegierten den Saal verlassen müssen. Doch der Mut, Konsequenzen zu ziehen, wenn es im eigenen Verantwortungsbereich nicht anständig zugeht, ist im Sport noch weniger ausgeprägt als in der Politik. Gewichen wird nur, wenn die Beweislast erdrückend ist. So läßt sich auch von Richthofens Satz verstehen: „Wir befinden uns in einer entscheidenden Funktionärskrise.“… „
Stuttgarter Zeitung, 16.12.1991, Kommentar:
„Die Creme des deutschen Sports war versammelt. Präsidenten, Generalsekretäre, Politiker, Pfarrer, Ärzte, und alle horchten jenem Manfred von Richthofen zu, der ihnen die deutsche Doping-Vergangenheit auffächerte. Beeindruckend gründlich. Schweigend saßen sie da in ihren schwarzen Anzügen, als wohnten sie einem Requiem für einen eben Verstorbenen bei. Nur einer stand auf und drückte sein Bedauern darüber aus, daß keiner ans Mikrophon getreten ist und gesagt hat: „Ich bedaure, daß das unter meiner Führung passiert ist“. Der Einsame war der Älteste im Saal – Herbert Kunze -weit über 80, Gründungsmitglied des Deutschen Sportbundes. Und dabei hätten viele etwas zu sagen gehabt, wenn die Zahl stimmt, die der frühere Schwimm-Präsident Harm Beyer hochgerechnet hat: Ein Drittel des Auditoriums im Frankfurter Römer wußte von den Manipulationen am Menschen oder duldete sie oder förderte sie.
Nun geht es garnicht darum, diese Leute bis zu ihrem Lebensende zu verurteilen: auch einem Sportfunktionär sei das Recht auf Irrtum zugestanden. Aber das Mindeste ist doch, daß sie endlich einmal zugeben, daß sie sich geirrt haben, daß sie Fehler gemacht haben, daß sie Schuld auf sich geladen haben. Ist denn niemand da, der endlich einmal diese Mauer des Schweigens, diese bleierne Sprachlosigkeit durchbricht? Offensichtlich nicht, im Gegenteil. Kaum hat von Richthofen seinen Report beendet, erklärt der Prototyp der Betonköpfe unter den Sportfunktionären, Leichtathletik-Chef Helmut Meyer, für ihn gäbe es „keine neue Situation“. Nach einem Untersuchungsbericht wohlgemerkt, der gerade den Leichtathleten Punkt für Punkt aufschlüsselte, wo ihre schwarzen Schafe sitzen.
Wie wollen solche Verbände Vergangenheit bewältigen, wenn sie sie einfach verdrängen? Wie wollen sie für einen sauberen Sport in Zukunft werben, wenn ihnen dazu jegliche Glaubwürdigkeit fehlt? Ausgerechnet von ihnen wird jetzt erwartet, daß sie die Empfehlungen von Richthofen umsetzen. Sie sollen belastete Funktionäre, Trainer, Ärzte, Wissenschaftlicher rauswerfen und damit der vielbeschworenen Selbstreinigungskraft des Sports Rechnung tragen., einer Kraft, die sie nicht in Anspruch nehmen können, weil sie sie nicht haben. …“
Randnotiz:
Während in Deutschland eine intensive Diskussion, auch in der Öffentlichkeit, um die eigene Doping-Vergangenheit und den Umgang damit lief, begann europäisch/international eine neue Doping-Ära heranzuwachsen. Das Medikament EPO, Erythropoetin, begann seinen Siegeszug und veränderte die Sportwelt, beginnend mit dem Ausdauersport, entscheidend.
Darüber wurde nicht viel in den deutschen Medien geschrieben. Die SZ berichtete am 26.10.89 darüber und sprach von „Wunder-Doping“ welches für den Leistungssport eine größere Gefahr darstelle als die anabolen Steroide. Was war intern bekannt? Was wusste man in Trainer-, Sportler- und vor allem Medizinerkreisen?
In der Zeitschrift Sportmedizin, Nr. 28 1989 wird in einem Artikel von H.-H. Dickhuth et al. ‚Doping – auch ein allgemeinmedizinisches Problem‘ auf einen möglichen EPO-Missbrauch neben Eigen- und Fremdblutdoping hingewiesen. „Seit Ende letzten Jahres ist […] rekombinantes Erythropoetin im Handel, welches, ohne nachweisbar zu sein, über die Stimulation der Erythropoese ebenfalls leistungssteigernd wirken könnte. Eine solche Manipulation, die bisher allerdings nicht bekannt wurde, gehört ebenfalls zu den verbotenene Methoden.“
In SPORT, Februar 1991 wird in einem längeren Artikel Doping im Ausdauersport angesprochen, das es durchaus gäbe. So würden bestimmte anabole Steroide auch die Blutbildung und damit den Sauerstoff-Transport beeinflussen. Erwähnt wird die Möglichkeit von Bluttransfusionen. Hier hätten sportmedizinische Studien bei 10 000 m Läufern die Wettkampfleistung von über einer Minute erbracht. Dieses medizinische High-Tech-Verfahren sei aber wohl standardmäßig nur in den USA üblig.
Das EPO-Jahrzehnt hatte zu dieser Zeit aber schon mit Toten, die Zahl schwankt, begonnen. Es könnten über 20 junge Sportler gewesen sein, die Opfer des Experimentierens wurden. Der Spiegel berichtete am 10.6.1991 darüber, er erwähnt auch 4 junge deutsche Radsportler, die einen plötzlichen Tod erlitten: >>> Schlamm in den Adern.
>>> Fortsetzung Teil III, das Jahr 1992