Doping im Fußball: früher Experimente, WM 1954 und mehr
Der folgende Text ist Teil eines >>> Dossiers zum Thema Fußball und Doping
frühe Experimente mit Sauerstoff
Doping oder nicht? Mit Sauerstoffgaben wurde schon Anfang des 19. Jahrhunderts experimentiert. 1932 wurden das gute Abschneiden der japanischen Schwimmer bei den Olympischen Spielen mit Sauerstoff in Verbindung gebracht. Im Zusammenhang mit Fußball wird diese Methode in den 40er Jahren erwähnt. Anfangs der 50er Jahre nahm das Interesse an dieser Methode schnell zu, das Einatmen reinen Oxygens machte Karriere. Aus Südamerika brachten die Portugiesen die Methode nach Europa, die Spanier folgten und wenig später hingen auch die Spieler der Frankfurter Eintracht am Inhalationsgerät.
„Vereinsarzt Dr. Runzheimer lieh sich das Gerät aus einem Krankenhaus und ließ seine Elf am 16. November in der Halbzeitpause des Spiels gegen die Offenbacher Kickers zwei, drei Minuten lang inhalieren. Die Wirkung war erstaunlich. Sei es, daß die Frankfurter von Haus aus skeptischer waren als die Südländer, sei es, daß man ihnen die wohltätige Wirkung nicht überzeugend genug in die Köpfe gehämmert hatte – jedenfalls gerieten sie in einen fürchterlichen Ansturm des Gegners, den sie nur mit großem Dusel überstanden. Bald allerdings gewöhnten sich auch die Frankfurter an die Oxygen-Flasche und schluckten brav, bis der Deutsche Fußball-Bund (DFB) hellhörig wurde und mißbilligte.
International und national wurde kontrovers diskutiert, ob mit den Sauerstoffgaben überhaupt eine Leistungsverbesserung möglich sei. Dabei kam auch die Frage auf, ob es sich dabei um verbotenes Doping handle. Es wäre in Deutschland durchaus möglich gewesen eine entsprechende Einordnung nach der seit 1952 gültigen Definition des DSB und der deutschen Sportärzte vorzunehmen: „Die Einnahme eines jeden Medikaments – ob es wirksam ist oder nicht – mit der Absicht der Leistungssteigerung während des Wettkampfes ist als Doping zu bezeichnen.“ (der Spiegel, 19.05.1954: Sauerstoff-Stürmer)
Mit der Zeit schwanden die skeptischen Stimmen.
„Die Fachpresse wie die Pariser l’Équipe und der Münchener Sport-Kurier forderten die Fußballfunktionäre indes dazu auf, dem Leistungsvermögen mit Sauerstoff nachzuhelfen. Und auch der DFB und sein Bundestrainer Sepp Herberger wollten so kurz vor Beginn der 5. Fußballweltmeisterschaft womöglich entscheidende Wettbewerbsvorteile nicht klaglos hinnehmen. DFB-Pressesprecher Carl Koppehel erklärte: „Wenn wir in die Schweiz fahren und die anderen werden mit Sauerstoff aufgepumpt, weiß ich nicht, ob wir es nicht doch ebenso machen sollten.“
Diese Mentalität es nämlich dem Gegner, der mit verbotenen Mitteln arbeitete notfalls gleich zu tun, beeinflusste offenbar das Handeln. Schon im Trainingslager experimentierte die Nationalmannschaft laut Horst Eckel mit reinem Sauerstoff. Und als Stürmer Helmut Rahn vorzeitig von einer Südamerikareise seines Clubs Rot-Weiß Essen zurückkehrte und von den dortigen Dopingpraktiken berichtete, reagierte der DFB sofort, bis sich Dr. Franz Loogen im Jahr 2003 präzise erinnerte.
Erst daraufhin nämlich habe Herberger ebenfalls leistungssteigernde Präparate spritzen lassen wollen.“ (Deutschlandfunk, Sportgespräch 3.12.2006, weitgehend beruhend auf den obigen Spiegel-Artikel)
früher Amphetaminversuch im Fußball
Der verbreitete Amphetaminmissbrauch im Sport, wie er bereits für die frühen Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts beschrieben ist, machte auch vor dem Fußball nicht halt, weder national noch international.
Erik Eggers zitiert in ‚Doping in Deutschland, 1950-1972′ aus der Dissertation des Mediziners Heinz-Adolf Heper Leistungssteigerung durch chemische Hilfsmittel im Sport‘ aus dem Jahr 1949. Heper selbst gehörte als aktiver Fußballer dem Oberligisten 1. SC Göttingen 05 an. U.a. beschrieb Heper einen Pervitin-Feldversuch an Fußballsportlern, mit hoher Wahrscheinlich beim 1. FC Göttingen. Neben einigen negativen Wirkungen habe sich das Amphetamin bei einmaliger Gabe günstig auf die Leistung ausgewirkt. Heper warnte in Folge aber vor dem Konsum von Amphetaminen und anderen Dopingmitteln.
Amphetamine waren damit aber nicht aus dem Fußball verbannt. Erik Eggers erwähnt einen Zeitzeugen, der in einem Gespräch berichtet hatte, dass 1961 Trainer Max Merkel von Borussia Dortmund seine Spieler zum Amphetamin aufgefordert habe. Und die vielen Erwähnungen des Captagon-Missbrauchs in späteren Jahren bestätigen dies.
WM 1954 verhängnisvolle Injektionen
Am 4. Juli 1954 wird deutsche Fußballgeschichte geschrieben, in der letzten Minute siegt die deutsche Elf und wird Weltmeister, das ‚Wunder von Bern‘ ist geschehen, ein Mythos ist geboren.
Doch bereits 1954 tauchten Gerüchte auf, das deutsche Team hätte heimlich nachgeholfen. Die Mannschaften Brasiliens, Argentiniens und Ungarns wurden bereits während der WM verdächtigt mit Medikamenten zu arbeiten.
In Sportgespräch des Deutschlandfunks vom 3.12.2006 wird die Geschichte wie folgt dargestellt:
„Und als Stürmer Helmut Rahn vorzeitig von einer Südamerikareise seines Clubs Rot-Weiß Essen zurückkehrte und von den dortigen Dopingpraktiken berichtete, reagierte der DFB sofort, bis sich Dr. Franz Loogen im Jahr 2003 präzise erinnerte. Erst daraufhin nämlich habe Herberger ebenfalls leistungssteigernde Präparate spritzen lassen wollen. Als er sich mit einer entsprechenden Bitte an Dr. Loogen wandte, lehnte der Arzt den Einsatz in der Schweiz ab, wie er sich in einem Hintergrundgespräch mit Rechercheuren einer ZDF-Dokumentation erinnerte. „Ich mache keine Sauereien. Es war nämlich schon anfangs der 50er Jahre schon einiges möglich was hartes Doping betrifft.“
Erst als sich Herberger kurz vor der WM erneut an Loogen wandte, sagte der Arzt zu, konnte aber aus Zeitgründen nur wenige Spritzen auftreiben. Um diese zu sterilisieren packte Loogen in seiner Not jenen Abkocher ein, den er 1941 als Kriegsandenken aus einer zerschossenen Arztpraxis vor Leningrad mitgebracht hatte. Was dann in Spietz, dem Standort der bundesdeutschen Nationalmannschaft zwischen den WM-Spielen geschah, darüber haben die gefragten Zeitzeugen weitgehend einmütig berichtet.
Der Fürther Fußballer Herbert Ehrhardt erinnerte sich 2003 an vorbereitende Vorträge Loogens. „Wenn Ratten diese Vitamine gespritzt bekommen, dann können diese länger im Wasser schwimmen“, habe Loogen berichtet. Die Resonanz war geteilt. Spieler wie Fritz Walter, Otmar Walter, Helmut Rahn, Werner Liebrich, Werner Kohlmeyer, Heinz Kubsch, Max Morlock, Toni Tureg, Josef Posipal und Karl Mai seien, berichtete Loogen im Jahr 2003, total verrückt von den Injektionen, die vom Arzt und von Deuser gesetzt wurden.
Andere Spieler protestierten gegen den Spritzeneinsatz. Torhüter Heinrich Kwiatkowski etwa, verweigerte sich. „Ich war gegen jede Tablette und gegen jede Spritze. Ich habe Kraft genug gehabt, ich war gegen jedes Aufputschmittel.“
Abenteuerlich mutet die Geschichte an, die Loogen den ZDF-Rechercheuren über die Pause des Endspiels vom 4. Juli 1954 in Bern erzählt. Danach habe Herberger ihn aufgefordert Eckel eine Spritze direkt in den Bluterguss zu setzen. Der Mannschaftsarzt lehnte das ab.
Was tatsächlich in den Spritzen war, war schon im Herbst 1954 nicht mehr feststellbar. Irritierend ist aber dieses Mosaik aus Seltsamkeiten. So stellte 1954 Prof. Schwengler, ein Arzt die Unbedenklichkeitsbescheinigung aus, der in der gleichen Klinik wie Dr. Loogen arbeitete. Grundsätzlich verdächtig bleibt ebenfalls, dass die Injektionen in der Schweiz den Charakter eines konspirativen Vorgangs besaßen. Zudem wurde Vitamin C auch 1954 üblicherweise oral eingenommen. Es sei nicht einzusehen, warum dererlei Präparate injiziert würden, schrieb deshalb der Mannheimer Chefarzt Professor Hahn im November 1954 in einem vertraulichen Brief an Sepp Herberger. Für die These, dass damals nicht Vitamin C sondern vielmehr Aufputschmittel wie Pervitin verabreicht wurden, spricht nicht nur die aus heutiger Perspektive erschreckende Naivität mit der Herberger sich auf diesem Feld bewegte, sondern auch die enge Verbindung vieler Akteure zum Miltär. Im zweiten Weltkrieg waren Spieler wie Fritz Walter bei der Fliegerstaffel der Roten Jäger untergekommen, wo einer der berühmtesten Flieger der Luftwaffe Hermann Graf gemeinsam mit Herberger Nationalspieler wie Fritz Walter vor dem Fronteinsatz schützte. Auch dem Münchner Medizinstudenten Franz Loogen war das Aufputschmittel Pervitin, das unter seinesgleichen den Status einer Wunderdroge besaß, bestens bekannt. Loogen musste auch über den massenhaften Einsatz des Pervitins als Angsthemmer im Heer, Luftwaffe und Kriegsmarine wissen. Und er hatte sicherlich auch noch in bester Erinnerung, wie die Temmler-Werke im zweiten Weltkrieg das Pervitin vorwiegend verarbeitete, nämlich in Kombination mit Traubenzucker.“
1957 untermauerte der ungarische Kapitän Ferenc Puskas den weiter schwelenden Verdacht und erzählte von Spritzen, die er in der deutschen Kabine gesehen habe und von seinem Dopingvermutungen.
Amphetamine wurden nach dem Krieg im Leistungssport europaweit, auch im Fußball, eingesetzt. Puskas Äußerungen stießen jedoch nicht auf viel Gehör, aber für eine Strafe reichte es: der DFB erteilte dem Ungarn in Deutschland Stadionverbot, das erst 1964 aufgehoben wurde. 2004 bestätigte der Berner Platzwart Walter Broennimann Puskas Aussage, ‚er habe nach dem Finale beim Putzen leere Ampullen unter Wasserablaufgittern gefunden.‘ Er habe sie der Schweizer Lebensmittelfirma Wander zur Analyse gegeben und sei um absolutes Stillschweigen gebeten worden.
Das Setzen von Spritzen musste nach den Äußerungen Puskas 1957 zugegeben werden. Mannschaftsarzt Dr. Loogen habe auf Wunsch flüssigen Traubenzucker verabreicht. Loogen spricht 2004 von Vitamin C. Doch der Amphetamin-Verdacht hielt sich hartnäckig.
Die Spritzen hatten unabhängig von deren Inhalt schwere gesundheitliche Folgen. 8 Spieler der WM-Mannschaft, darunter Fritz Walter, Helmut Rahn, Heinz Kubsch und Max Morlock, erkrankten an Hepatitis, 5 der Spieler bereits 1954. Mit hoher Wahrscheinlichkeit war daran eine infizierte Spritze schuld, der Abkochapparat Loogens hatte nicht die notwendige Temperatur erreichen können. Die Erkrankung wurde bereits 1954 öffentlich diskutiert, zumindest in Frankreich. Der ‚Miroir-Sprint‘ berichtete darüber im November und stellte auch die Frage, ob die Deutschen gedopt gewesen seien. Dies wurde in demselben Artikel sogleich verneint, schließlich sei das im Fußball sinnlos. Im Januar 1955 wird in ‚Sport-Sélection‘ erwähnt, dass die Gelbsucht auch in Deutschland mit Doping in Zusammenhang gebracht werde.
Die Mehrzahl der erkrankten Spieler traten gemeinsam eine vom DFB betahlte Kur in Bad Mergentheim an und wurden geheilt. Richard Hermann vom FSV Frankfurt stellt sich keiner Untersuchung, er stirbt 8 Jahre nach der WM an einer Leberzirrhose. Als bekannt wird, dass Trainer Sepp Herberger sich um die Witwe und die Söhne des Spielers kümmerte, tritt der DFB auf den Plan und bittet ihn, das zu unterlassen, ‚keine Aktion aus der Angelegenheit zu machen, damit kein Präzedenzfall geschaffen wird.‘ Einige Jahre danach erhält die Familie vom DFB 3 000 DM. 1984 stirbt Werner Liebrich aus Kaiserslautern an Leberversagen, das auf eine Hepatitis C zurück zuführen ist. Laut Aussage des behandelnden Arztes kommt für die Infektion nur die Zeit um die WM 1954 infrage. Die zum Zeitpunkt des Todes veröffentlichte Todesursache lautete jedoch zuerst Herzversagen, erst lange später wurde die Wahrheit bekannt. (ZDF-History, Die Geheimnisse des deutschen Fuballs, 30.5.2010)
Ein Beweis für Doping mit Amphetaminen liegt bis heute nicht vor. Als 2004 in einer Sendung des ARD-Magazins „Report“ die Geschichte vorgestellt wurde, hagelte es Dementis und auch viele Kommentare taten sich schwer damit, ‚das Wunder von Bern‘ zu hinterfragen. Eine infizierte Spritze war nicht zu leugnen, aber mit Amphetaminen? (RP-online, 31.3.2004) DFB-Präsident Gerhard Meyer-Vorfelder schäumte: „Man kann kein Jubiläum feiern, ohne dass negative Sachen ausgegraben werden. Ich gehe davon aus, dass alles rechtens war.“
Ephedrin WM 1966
1966 informierte Mihailo Andrejevic, Vorsitzender des Medizinischen Komitees der Fifa, seinen deutschen Arztkollegen Max Danz, Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes, über drei positive Ephedrin-Proben während der Fußball-WM in England:
„Wir hatten nur zum Schluss bei der deutschen Mannschaft bei drei Spielern sehr feine Zeichen von der Einnahme eines gewissen Ephedrinmittels gegen Schnupfen entdeckt.“
Diesen Brief fanden 2011 Historiker der Berliner Humboldt-Universität. Sanktionen gab es nicht (der Spiegel, 1.10.2011). Siehe hierzu auch zu den ersten Dopingkontrollen bei einer Fußball-WM der Spiegel, 18.7.1966: Giftig ohne Gift. Bundestrainer Schön erklärte damals:
„Wir haben nichts dagegen, daß unsere Spieler untersucht werden … Wir haben nichts zu verbergen.“ Die Deutschen seien „giftig“ genug – ohne Gift.
Arnold Beckett, Direktor des Drogenkontrollcenters des Chelsea-Colleges schrieb 1980 über diese Dopingkontrollen und Beobachtungen während der Weltmeisterschaften 1966:
„Während der WM 1966, die in England stattfand, stellte man allgemein fest, dass es aufgrund der durchgeführten Dopingkontrollen viel weniger Aggressivität als erwartet gab. Eine weitere bemrkenswerte Beobachtung war: gewisse der älteren Spieler spielten nur über kurze Zeit und man vermutete, dass sie ohne Doping nicht mehr in der Lage waren gut zu spielen. Es gab insgesamt nur drei positive Fälle während der WM aber aus Zeugenaussagen ergab sich, dass diese Personen Nasentropfen gegen Schnupfen genommen hatten, denn ab dieser Zeit war es möglich im Sport verbotene Substanzen auch in Medikamenten, die in Form von Tropfen eingenommen wurden, festzustellen.“ (A. Beckett, 1980, nach de Mondenard in Les Dopés du Foot, 2012, S. 178)
Das Bekanntwerden dieser Ephedrin-Fälle 2011 veranlasste den DFB ein Gutachten in Auftrag zu geben, das klären sollte, ob Doping vorlag. Ergebnis: es war kein Doping. Erik Eggers, Mitautor des Forschungsprojektes ‚Doping in Deutschland‘ widerspricht dem jedoch (WAZ Rechercheblog, 2.11.2012, s.a. Eggers in ‚Doping in Deutschland‘, S. 74ff).
Nils Niemeyer, ein Forschungskollege bei dem Projekt von der Universität Münster, gibt jedoch dem DFB recht. Es habe weder eine ‚konspirative Verschleierung vorgelegen noch ein Dopingverstoß (sport1, 9.8.2013).