Inhalt:
positiv getestete Fälle allgemein
Kontrollpraxis
Dopingvorfälle im deutschen Sport: Fußball, Gewichtheben, Leichtathletik, Radsport, Schwimmen
Interview Manfred Donike, 1978
BRD: Dopingkontrollpraxis, Dopingvorfälle in den 1970er Jahren
1974 wurde von der Bundesregierung zum ersten Male ein Dopingbeauftragter bestellt. Es handelte sich hierbei um Manfred Donike. Im 4. Sportbericht der Bundesregierung heißt es dazu: Der Dopingbeauftragte,
„der regelmäßige Untersuchungen bei bedeutenden nationalen und internationalen Veranstaltungen durchführt und deren Ergebnisse systematisch auswertet. Der Dopingbeauftragte befaßte sich darüber hinaus mit der Entwicklung neuartiger Untersuchungsverfahren und der Feststellung spezieller Dopingstoffe.
Die Bundesregierung geht davon aus, daß durch die Tätigkeit des Dopingbeauftragten auch gesundheitliche Schäden im Hochleistungssport· verhütet werden können.“
Die Einrichtung der Funktion des Dopingbeauftagten ging einher mit der Einrichtung eines offiziellen Dopingkontrolllabors an der Universität Köln, das eine Anschubfinanzierung durch den Bund erhielt und ab 1975 durch das BISp finanziert wurde. Verantwortlich dafür, dass dieses Analyselabor in Köln unter Leitung von Manfred Donike eingerichtet wurde, war die Diskussion um die Dopingkontrolleinrichtungen, die für die Olympischen Spiele 1972 in München benötigt worden waren. Donike war 1970 hierfür zum Beauftragten für die Doping-Analytik ernannt worden. Bemühungen die deutschen Doping-Analyse-Einrichtungen nach München zu holen, scheiterten.
Wieviele Kontrollen wurden in den 1970er Jahren durchgeführt? Welche Verbände waren betroffen und wie viele positive Fälle gab es?
Genaue umfassende Antworten auf diese Fragen liegen mir nicht vor. Einige Zahlen zu den vorgenommenen Kontrollen zwischen 1974 und 1990 wurden von Münsteraner Forschern zusammen gestellt, siehe unter Sport und Staat, S. 69f.
Weitere Zitate aus Veröffentlichungen können einen kleinen Eindruck über die Dopingsituation in den 1970er Jahren geben.
Die Bundesregierung hielt fest:
„So läßt z. B. die steigende Anzahl der Verbände, die Dopingkontrollen durchführen, und die von Jahr“ zu Jahr steigende Anzahl der Dopingkontrollen erkennen, daß zunehmend mehr Verbände die Rahmenrichtlinien des DSB befolgen, wie aus folgender Ubersicht hervorgeht:
1977 6 Verbände 455 Kontrollproben
1978 10 Verbände 836 Kontrollproben
1979 12 Verbände (angemeldet, Stand: 31. März 1979) 1200 Kontrollproben (geschätzt)
Brigitte Berendonk schrieb 1969
„nahezu alle Zehnkämpfer der Weltklasse nehmen die Pille, 90 Prozent der Werfer, Stoßer und Gewichtheber, etwa die Hälfte der Springer und Sprinter, und auch bei den Ruderern, Schwimmern und Mannschaftsspielern wird sie immer beliebter.“
Kugelstoß-Bundestrainer Heger gab 1970 öffentlich zu bedenken, dass 90% seiner Schützlinge dopten. (Singler/Treutlein, S. 155) Die Rede war von Anabolika. Kontrollen auf Stimulanzien wie Amphetamine erbrachten angeblich kaum noch Ergebnisse. Bekannt wurden 1970 bei den Gewichtheberweltmeisterschaften in Columbus (USA) 9 positive Fälle mit Weckaminen: 4 Polen, 3 Ungarn, 1 Russe, 1 Japaner.
Bei den Winterspielen in Sapporo wurde dem westdeutschen Eishockeyspieler Alois Scholder Ephedrin nachgewiesen, das ihm von Teamarzt Franz Schlickenrieder verschrieben worden war. Bei den Olympischen Spielen 1972 in München wurden insgesamt 7 Sportler positiv getestet, 4 auf Ephedrin, 2 auf Coramin und einer auf ein Amphetamin.
Der US-amerikanische Leichtahletik-Trainer Jay L. Silvester veröffentlichte 1973 eine Umfrage, die er gemeinsam mit Brigham Young über den Anabolika-Missbrauch bei den Olympischen Spielen 1972 in München durchgeführt hatte. Antworten hatte er von 100 Leichtathleten aus den USA, UDSSR (Russland), Ägypten, Neu Seeland, Kanada und Marokko erhalten. Von diesen Sportlern gaben 68% zu, anabole Steroide konsumiert zu haben, 61% davon hinsichtlich und während der Olympischen Spiele. (Anabolic steroids at the 1972 Olympics!)
Der Sprinter Manfred Ommer hat behauptet, heute würden 90 Prozent der Nationalmannschaft der Leichtathleten Anabolika nehmen.
Willi Daume: Falls er das gesagt haben sollte, würde eine solche, ungeschneuzte Lüge ihn charakterisieren. Ich glaube mich auch an eine Aussage von Professor Keul zu erinnern, daß längst nicht 5 Prozent betroffen sein würden. Und auch dieser Prozentsatz wäre schon schlimm genug.
Diese Zahlen passen zu den Aussagen von >>> Horst Klehr, der in den 70er Jahren den Anteil der anabolikagedopten Leichtathleten in der deutschen Nationalmannschaft [nur auf spezielle Disziplinen bezogen)] auf 40% schätzte, von Sprinter Manfred Ommer und Thomas Wessinghage, die 1977 von 90% sprachen, von Hammerwerfer Edwin Klein, der mit der Schätzung von 95% zitiert wird und von BAL-Direktor Helmut Meyer (Bundesausschuß für Leistungssport), der sogar von 100% ausging (Singler/Treutlein, S. 143).
2017 veröffentlichte Simon Krivec seine Dissertation „Die Anwendung von anabolen-androgenen Steroiden im Leistungssport der Bundesrepublik Deutschland in den Jahren 1960 bis 1988 unter besonderer Berücksichtigung der Leichtathletik“. Im Rahmen seiner Untersuchungen konnte er zu 39 ehemaligen Leichtathleten Kontakt aufnehmen, die ihm über ihr Dopingverhalten mit Anabolika berichteten. Die meisten wollten anonym bleiben. Krivec stellt fest, dass im Rahmen seiner Arbeit nachgewiesen werden konnte, „dass mehr als 50 % männlichen bundesdeutschen Leichtathleten in dem betrachteten Untersuchungszeitraum anabole Steroide eingenommen haben“.
KLehr lagen u.a. Zahlen der ersten Anabolika-Tests des DLV aus dem Jahr 1974 vor, Kontrollen, die vor allem zur Überprüfung und Weiterentwicklung der Test gedacht waren und zu keinen Konsequenzen für Sportler führten.
„Kontrolliert wurden nach Absprache mit Sportwart Pick und dem Bundestrainer Werner Heger alle Teilnehmer des Endkampfes der Kugelstoßer und des Endlaufs über 60m Hürden. Ein Hürdenläufer entzog sich dabei der Kontrolle.“
Horst Klehr schrieb hierzu an Dieter Hummel, DLV-Antidoping-Kommission:
„Bei den Anabolikern sieht es finster aus. Von 9 untersuchten Proben waren 3 eindeutig und 3 weitere fast sicher positiv (also 66%). Unter den positiven befand sich auch ein Hürdenläufer. Hier gibt es noch viele Aufgaben für uns zu lösen. Ich habe aber begründete Hoffnung, dass auch auf diesem Gebiet in absehbarer Zeit eine rückläufige Tendenz zu erwarten ist.“ (E. Eggers, Doping in Deutschland….)
Manfred Donike hatte während des IAAF-Weltcups in Düsseldorf Kontrollen auf Testosteron zu Dopingzwecken unternommen. Darüber berichtete er an den DLV Präsidenten Kirsch:
„Ich gehe davon aus, daß die in Düsseldorf an den Start gegangenen Athleten frühzeitig anabole Steroide, soweit verwendet, abgesetzt haben. Aus meinen Untersuchungen kann ich folgenden Schluß ziehen: Ein hoher Prozentsatz der von uns untersuchten Urinproben enthält Testosteron-Metaboliten in einer solchen Konzentration, daß die Substitution von anabolen Steroiden durch Testosteron wahrscheinlich ist“ (Donike an Kirsch vom 21.10.1977, in CuLDA, Nachlass Kirsch, Mappe 91, Doping 1971-77). (Univ. Münster, Sport und Staat)
Prof. Josef Keul, prominenter Sportmediziner, beklagte im Oktober 1978 eine von ihm festgestellte ’sprunghafte‘ Zunahme an deutschen Sportlern, die mit Anabolika dopten. Er hatte eine neue Erklärung für diese Zunahme, er führte sie auf die 1977 geführte öffentliche Dopingdiskussion zurück, die den Ärzten einen Vertrauensschwund bei den Sportlern eingebracht habe. Zudem sei das Problem nur über eine international einheitliche Kontrollpraxis in den Griff zu bekommen. Prof. Armin Klümper stieß in dasselbe Horn (SZ, 21./22.10.1978).
POSITIV GETESTETE FÄLLE
Die Bundesregierung antwortete auf die Frage nach bekannt gewordenen Dopingfällen in der Zeit nach den Olympischen Spielen 1976 wie folgt:
die Zeit, 29.10.1976:
„Olympia hätte in der Tat eine Drogenentziehungskur dringend nötig. Die Manager des internationalen Sports versuchten auf ihrer Tagung in Barcelona, den Einfluß der Pharmaka zu bremsen. Sie disqualifizierten nachträglich fünf Gewichtheber des Anabolika Turniers von Montreal und erinnerten den Internationalen Gewichtheberverband an seine Aufsichtspflicht. Dann schlossen sie die Akte; ohne das Problem gelöst zu haben. Die Gewichtheber, die vor den Spielen in Kanada wegen der Dopingkontrollen mit der Pille aussetzten und diese Entziehungskur mit argen Leistungseinbrüchen bezahlten, können sich nun wieder mit Blick auf Moskau in der Chemikalienküche satt essen.“
Manfred Donike 1979:
Obwohl die … Methoden zum Nachweis von anabolen Steroiden strengen wissenschaftlichen Kriterien standhalten, gibt es wegen der Aufwendigkeit der Analysenapparaturen und der dazu notwendigen Zeit noch kein Routineverfahren mit einer Kapazität von 200 bis 250 Analysen pro Tag, wie bei klassischen Dopingmitteln. Eine so hohe Kapäzität wäre jedoch für Olympische Spiele erforderlich, um einen die Doping-Diskussion beherrschenden Grundsatz zu erfüllen: Die Gleichbehandlung aller Athleten. Die heutige Praxis isr jedoch noch weit entfemt davon. Ein gut ausgerüstetes Labor kann mit einem gut eingearbeiteten Mitärbeiterstab etwa zehn Analysen pro Tag durchführen. Diese „bescheidene“ Kapazität reicht jedoch aus, Erfolge zu erzielen.
Für die Jahre 1975 bis 1981 führt H. Maßholder, zitiert nach Singler/Treutlein (S. 146), 26 sanktionierte positive Anabolikafälle für folgende Länder auf: Rumanien 4, Bulgarien 5, Polen 1, Finnland 3, DDR 1, Norwegen 1, UDSSR 7, Österreich 1, USA 1, BRD 2.
1977 sollen international 40 positive Dopingproben bekannt geworden sein. Acht Nachwuchsgewichtheber wurden wegen Anabolkiadopings gesperrt ebenso wie 8 Jugendliche bei den Nachwuchs-Europameisterschaften der Leichtathletik in Donezk (UDSSR). (Brigitte Berendonk, 31.12.1977)
Aufsehen erregte 1977 insbesondere der positive Dopingbefund der DDR-Kugelstoßerin Ilona Slupianek beim Europacup in Helsinki. Hier war den DDR-Verantwortlichen ein grober Schnitzer unterlaufen (mehr Infos). Insgesamt sollen bei diesem EC der Leichtathleten 1977 in Helsinki 16 positive Fälle bekannt geworden sein, bestraft wurden aber nur 5 Sportler.
Im November 1978 wurden 5 Leichtathleten, 4 aus der UdSSR, 1 aus Bulgarien, lebenslänglich gesperrt. Und auch 1979 fielen sowjetrussische Sportler auf, zudem gab es Diskussionen darüber, dass gesperrte Sportler zu Wettkämpfen antraten (SZ, 25.10.1979).
Manfred Donike spricht für das Jahr 1978 von 14 positiven Proben deutscher Sportler (Interview s.u.). Und im DLV standen 1977 insgesamt sieben Doping-Verfahren an, 3 betrafen Sportler, 4 Verbandsmitarbeiter wie Trainer, die allerdings auf frühere Jahre zurückgingen und nicht allein auf positiven Tests beruhten.
Die Bundesregierung hielt sich 1979 bei der Beantwortung der Frage nach Dopingfällen eher zurück.
„Von den in der Presse diskutierten Fällen bei ausländischen Veranstaltungen sind ohne nähere Kenntnis der Umstande Rückschlüsse nicht möglich, da haufig die zur Beurteilung notwendigen Kriterien und Standards im Ausland aufgrund der fehlenden Praxis und unzureichender analytischer Ausstattung von den hierzulande üblichen abweichen. Als Beispiel sei lediglich das Ergebnis der Dopingkontrollen bei den Europameisterschaften der Leichtathleten in Prag (1978) zitiert, das nach vergleichbaren Kriterien erhalten wurde: fünf positive Dopingfälle mit dem Anabolikum Nortestosteron. Betroffen waren vier russische Leichtathleten, davon zwei Frauen, und eine bulgarische Leichtathletin.“
Brigitte Berendonk nennt 1992 in ihrem Buch ‚Doping‘ für die Jahre 1970 bis einschl. 1979 in der Leichtathletik 30 international offiziell bekannt gewordene Dopingfälle, davon kamen 6 aus der Bundesrepublik: Uwe Beyer, Annegret Kroninger, Hans-Joachim Krug, Hein-Direck Neu, Manfred Ommer, Walter Schmidt (s. u.).
KONTROLLPRAXIS
Die Praxis der Dopingkontrollen sah laut Bericht in der Zeit vom 23.12.1979 folgendermaßen aus:
„Die Angabe zur Zahl der zu kontrollierenden Sportler blieb gegenüber 1970 unverändert, obgleich sie in den dazwischenliegenden sieben Jahren nie erfüllt werden konnte. So sollen in Einzelwettbewerben „die Sportler, welche die ersten drei Plätze erreicht haben, sowie weitere drei durch Los ermittelte Sportler“ kontrolliert werden. Dies würde in der Leichtathletik bei 38 olympischen Disziplinen, von denen oftmals 20 bis 25 bei internationalen Sportfesten ausgetragen werden, einige hundert Sportler betreffen. Die Kapazität der einzigen deutschen Doping-Analyse Stelle in Köln reicht dazu bei weitem nicht aus. …
Auch für das Strafmaß bei positiven Dopingbefunden kann der DSB nur Empfehlungen geben. So schlägt er im ersten Fall einer positiven Probe eine Wettkampfsperre von vier Wochen bis zu sechs Monaten vor, im ersten Rückfall eine Sperre von einem Jahr bis zu zweieinhalb Jahren und schließlich im zweiten Rückfall eine Wettkampfsperre auf Lebenszeit.“
Die über die Jahre von Dopinggegnern geforderten Trainingskontrollen stießen, sobald versucht wurde, Ernst damit zu machen, immer wieder auf Widerstände. Theoretisch waren die Dopingmittel auch im Training verboten, praktisch traf jedoch zu was Manfred Donike wie folgt formulierte:
Die heute gültigen Dopingregeln erlauben eine Medikamentatlon mit allen verbotenen Wirkstoffen während der Vorbereitungszeit, unter der Voraussetzung, daß die Medikamentatlon frühzeitig unterbrochen und somit am Wettkampftag keine Wirkstoffe und keine Metabolien nachweisbar sind.“ (Symposium Kiel des DSÄB, Kiel 1977)
Ein Gegenargument für Trainingskontrollen war die international noch immer fehlende Kontrolldichte bei Wettkämpfen und die implizite Dopingakzeptanz in anderen Ländern, insbesondere denen des Ostblocks. Trainingskontrollen in Deutschland würden somit die Konkurrenzfähigkeit deutscher Athleten weiter schmälern.
„Hatte DSB Präsident Willi Weyer noch Anfang des Jahres lautstark und entschieden für „Kontrollen auch auf unterster Ebene“ plädiert, so sprach, sich jüngst, knapp vier Monate nach Verabschiedung der Charta, die wissenschaftliche Kommission des Bundesausschusses für Leistungssport während einer Tagung in Backstein (Taunus) „gegen alle etwaigen Kontrollmaßnahmen beim Training der Spitzensportler“ aus. Emil Beck, Fechtbundestrainer und Vorsitzender der DSB Trainer Kommission, erklärte, dem Mißbrauch von Doping Mitteln, und muskelbildenden Anabolika müsse vor allem durch mehr Betreuung und Aufklärung entgegengewirkt werden.“ (die Zeit, 11.11.1977)
>>> Grundsatzerklärung für den Spitzensport (Charta)
Thomas Wessinghage (Leichtathlet):
„Wenn man jetzt darüber diskutiert, ob es nicht ratsam sei, im Training Kontrollen durchzuführen, muß ich sagen, daß die Zeit lange noch nicht reif dazu ist, da noch nicht einmal bei allen großen internationalen Wettkämpfen Köntrollen durchgeführt werden. Es gibt einzelne Stichproben, das beschränkt sich auf Olympische Spiele, vielleicht auf nationale Meisterschaften in Westeuropa. Aber bei den großen internationalen Sportfesten, bei den Länderkämpfen sind es Seltenheiten, daß Kontrollen durchgeführt werden.“
Siehe hierzu auch das Protokoll der öffentlichen Sachverständigen-Anhörung im Sportausschuss vom 28.9.1977 sowie die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage Leistungssportförderung und Dopingmißbrauch in der DDR, 14.5.1979.
Im Oktober 1978 bekannte sich der IAAF auf seinem 31. Kongress zu einer intensiveren Kontrolldichte. Künftig sollten Dopingproben nicht nur bei Internationalen Meisterschaften, sondern auch bei internationalen Sportfesten und sogar in der Trainingsphase stattfinden (SZ 11.10.1978).
Kritiker des Kontrollsystems monierten vor allem, dass die Organisation und Durchführung der Kontrollen in den Händen der Verbände selbst lag und ein und dieselben Personen sowohl Betreuer als auch Kontrolleure waren. Auch Manfred Donike gehörte dazu. Er setzte sich daher für eine unabhängige Kontrollinstanz ein, die aber von Seiten der Verbände, insbesondere des DSB heftig abgelehnt wurde. Das Wort Dopingpolizei machte die Runde. (s.u.)
DOPINGVORFÄLE IM DEUTSCHEN SPORT
Die oben benannten Dopingfälle betrafen überwiegend den Amateursport. Hierein fiel auch noch das Boxen, obwohl sich die Grenzen zum Profisport in der 1971 gegründeten deutschen Bundesliga schnell verwischten wie es ein Spiegel-Artikel nahe legte. Hierin wird auch von einem Dopingvorfall berichtet:
„Seine Dortmunder Interessenten kauften indes außer zwei anderen Nationalboxern auch einen Kämpfer aus Jamaika ein. Doch dann wurde ihr Trainer, der frühere Profi-Europameister Willy Quatuor, in der Kabine überrascht, als er seinen Kämpfern Spritzen verabreichte. „Das war nur Traubenzucker“. rechtfertigte er sich. Das Verbandsgericht sperrte ihn wegen Doping. Viktoria verließ die Bundesliga.“ (der Spiegel, 27.11.1972)
Ein weiterer Fall betraf das deutsche Eishockey-OLympiateam 1972 in Sapporo. Bei Alois Schloder, Kapitän der Mannschaft, wurde Ephedrin festgestellt. Er wurde daraufhin für 6 Monate gesperrt, aber anschließend freigesprochen, da der zuständige Mediziner Dr. Frank Schlickenrieder ihm das Mittel verschrieben hatte.
FUSSBALL
Der Profisport, hauptsächlich vertreten durch den Fußball und den Radsport, kommt in den obigen Statistiken nicht vor. Der deutsche Profi-Fußball war jedoch nicht verschont geblieben von der Dopingdiskussion, wie hier unter
>>> Doping im Fußball 1970er Jahre
nachgelesen werden kann. Sanktionierte Fahrer waren jedoch eine Seltenheit.
GEWICHTHEBEN
Der Sport Gewichtheben und Anabolika gingen wohl recht früh eine intensive Beziehung ein. So wird es auch im Spiegel vom 30.3.1970 festgehalten:
„Besonders die Gewichtheber danken den unter dem Sammelbegriff Anabolika bekannten Muskel-Präparaten ihren jüngsten Leistungsaufschwung. „Als erster Mensch des Planeten hat der Sowjetrusse Wassilij Alexejew die Grenze der 600 Kilo im Olympischen Dreikampf überschritten“, konnte die „Prawda“ jüngst jubeln. … Der Russe, der bei seinem Weltrekord das Gewicht eines Fiat 600 stemmte, ist das zur Zeit erfolgreichste Beispiel für die Kraftakte der pharmazeutischen Industrie. „
Ab 1968 nahmen die internationalen Leistungen in einer Weise zu, dass Beobachter kaum Zweifel am verbreiteten Doping hatten. Auch die Westdeutschen Athleten langten zu.
1976 sollen die deutschen Athleten allerdings kurzfristig vor den Olympischen Spielen in Montreal aus Angst vor den angekündigten Kontrollen den Konsum eingeschränkt haben. Singler /Treutlein nennen die Sportler Adolf Seger und Eduard Giray, die aufgrund dessen die erwarteten Leistungen nicht bringen konnten. Sie taten gut daran, mit den Pillen ausgesetzt zu haben, denn bei den Spielen wurden 7 Athleten positiv getestet und für ein Jahr gesperrt. Das NOK betitelte in seinem Bericht über die Spiele die Gewichtheberwettkämpfe als „Das Turnier der Anaboliker“. (s. Singler/Treutlein, S. 167ff).
„Jeder Gewichtheber von Rang hat die Muskelpille genommen. „Das streitet niemand ab, weil es der eine vom anderen weiß“, sagt Manfred Eglin vom Bundesausschuß für Leistungsssport (BaL) in Frankfurt. „Wenn die Pillen zum Frühstück nicht bereit liegen, drehen nervöse Heber sofort durch“, weiß der deutsche Trainer Walter Schiessl. Sportdirektor Rolf Feser vom Bundesverband Deutscher Gewichtheber äußert sich optimistischer als viele andere Fachleute: „
Das Gewichtheben wird auch ohne die muskelstärkenden Präparate weiter Leben und Freunde finden, doch muß mit einer ein- bis zweijährigen Umstellung gerechnet werden.“ … Bis zu den Spielen wurden insgesamt 34 Weltrekorde aufgestellt, in Montreal selbst dann noch vier, danach kein einziger mehr. Der Pillenknick löste einen Schock aus, die psychologische Wirkung ist verheerend. So glaubt denn Manfred Eglin, daß das Gewichtheben nur zu retten ist, „wenn man die Muskelpille legalisiert“.“ (Rhein-Neckar-Zeitung/sid, 26.10.1976)
Optimist Feser verkündete dann auch nach den Deutschen Meisterschaften 1978 erfreut, die Wende sei eingetreten – keine positive Kontrolle bedeute keine gedopter Sportler. „Hoffentlich hört jetzt das üble Gerede über uns auf.“ (Bild, 30.7.1977) Allerdings hätte es genügt rechtzeitig vor dem Wettkampf die anabolen Steroiden abzusetzen und/oder auf das nicht nachweisbare Testosteron umzusteigen.
Von den Athleten gaben nur wenige direkt Doping zu. Bernhard Bachfisch erklärte zwar 1978, vor den Spielen 1976 ein paar Pillen genommen zu haben, dies sei aber eine Jugendsünde gewesen, danach sei er immer sauber gewesen. (SZ, 9.6.1978)
1976 in Montreal war auch Rolf Milser am Start. 1984 wird er Olympiasieger, 1993 Bundestrainer. Journalist Bernd Dassel schreibt am 25.3.1977:
„Wiewohl der gelernte Schlosser behauptet, Anabolika immer nur in geringen Dosen zu sich genommen und stets die Vorschriften der Ärzte geachtet und beachtet zu haben, ist er nicht glücklich darüber, daß der Deutsche Gewichtheber-Verband für die Zukunft scharfe Anabolika-Kontrollen angekündigt hat. Er sieht seine Hoffnung auf Chancengleichheit die international im Verhältnis der Ostblockstaaten zu allen anderen ohnehin nicht gegeben. … Die eigenen Landsleute, die dem Verbot das Wort reden, bezichtigt er indirekt der Naivität: „Wir Deutschen sind viel zu ehrlich“. … Und so plädiert er dafür dem Athleten gleich das Recht an eigenen Körper zuzustehen – unter ärztlicher Kontrolle also auch mit Anabolika arbeiten zu dürfen in dem Maße, in dem körperliche Schäden auszuschließen seien. … „Wenn jemand beim Anstreichen von einem 20 Meter hohen Gerüst fällt und stirbt, wird man doch auch nicht auf die Idee kommen, das Anstreichen generell zu verbieten“. „
An diese Aussagen wollte sich Milser später allerdings nicht mehr erinnern. 1993 bestritt er entsprechende Behauptungen, die in einem ZDF-Sportstudio aufgestellt wurden und letztlich auch von Wolfgang Peter, einst Präsident des Bundesverbands Deutscher Gewichtheber, 1993 Vorsitzender der Medizinischen Kommission, bestätigt wurden.
LEICHTATHLETIK
Der DLV führte bereits 1969 Dopingkontrollen durch, die jedoch zu keinen positiven Fällen führten. 1970 wurden zwar bei den Deutschen Mehrkampfmeisterschaften 2 Athleten positiv getestet, „deren Verfolgung aber nicht möglich war, da hierfür die Voraussetzungen nicht gegeben waren.“ (E. Eggers in: Siegen um jeden Preis, S. 27) Die Münsteraner Forscher nennen den Mehrkämpfer Klamma, der positiv auf Captagon getestet worden war. Da er dafür ein ärztliches Attest vorweisen konnte (Nierenbeckenentzündung), wurde er nicht sanktioniert. 1971 wurde Klamme erneut positiv auf Amphetamine getestet. Auch dieses Mal wurde er frei gesprochen. Er konnte glaubhaft machen, dass das Nachweisverfahren zu widersprüchlichen Erklärungen geführt habe.
Die ‚beiden ersten offiziellen Dopingfälle der bundesdeutschen Sportgeschichte‘ sollen laut Eggers nach den Deutschen Leichtathletik Hallenmeisterschaften am 26./27. Februar aufgetreten sein. Der Deutsche Meister im Kugelstoßen Heinfried Birlenbach wurde für einen Monat, der Vizemeister im Weitsprung Hermann Latzel für zwei Monate gesperrt. Beide waren auf Amphetamine positiv (Die Zeit, 2.4.1971).
Es gab in den Folgejahren noch weitere Fälle, die jedoch kontrovers diskutiert wurden und ohne Sanktionen blieben. Ein Beispiel: die Zeit, 18.8.1978: Leichtathletik – Merkwürdiges im Doping-Fall.
Die Leichtathletik stellte mit Abstand der in der Mitte der 1970er Jahre ausgebrochenen Diskussion um Doping die meisten Fakten zur Verfügung und verursachte den Verantwortlichen die dicksten Probleme. Gut festmachen ließ sich in den Leichtathletikdisziplinen der seit Jahren vorgebrachte Verdacht an den erzielten Leistungssteigerungen, an den Rekordlisten. Nach 1976 hielten sich zudem etliche Sportler nicht mehr mit ihren Erfahrungen zurück. Wie oben bereits erwähnt, galten Schätzungen, die davon ausgingen, dass 80 – 100% der Sportler in Kraft- und Schnellkraftsportarten gedopt seien, als glaubwürdig.
Manfred Donike, 1972:
„Deutlich läßt sich bei einigen deutschen Veranstaltungen der Abschreckungseffekt von Dopingkontrollen feststellen. Bei Amateur-Straßenradfahrern enthielten bei einer unerwartet durchgeführten Kontrolle 6 von 14 Proben Amphetamine oder Ephedrine. Eine angekündigte Dopingkontrolle, die drei Monate später fast den gleichen Teilnehmerkreis wie bei dem vorhergehenden Wettbewerb erfaßte, verlief in allen 16 Fällen negativ. Auch bei den Leichtathleten ist eine ähnliche Tendenz zu beobachten. Angekündigt und nach Belehrung der Teilnehmer an der Deutschen Leichtathletikmeisterschaft 1971 in Stuttgart waren 24 Proben negativ. Zwei Monate später befanden sich in einem Kollektiv von neun Leichtathleten zwei gedopte Sportler. Diesmal war überraschend und ohne Vorankündigung kontrolliert worden.“
(in Helmut Acker (Hg.), Rekorde aus der Retorte)
Einige Sportler packten direkt aus, andere folgten später, so dass ein recht anschauliches Bild der damaligen Situation entstehen konnte. In Schweigen hüllten sich dagegen die Trainer. Einige von ihnen wurden schon während der 70er Jahre schwer belastet, doch erst in späteren Jahren kam es in wenigen Fällen zu öffentlichen Affairen mit Konsequenzen für die Betroffenen.
Hier gibt es umfassendere Informationen:
>>> 1970er Jahre: Dopingvorfälle, -geständnisse im DLV
>>> DLV-Sportler und Trainer mit Dopinggeschichte
RADSPORT
Dass im Radsport flächendeckend gedopt wurde, war kein Geheimnis. Fast alle bekannten Radsportlervon Coppi über Anquetil, Merckx und Altig waren überführt oder wurden offen verdächtigt. Anders als im Profifußball und anderen Sportarten war die Liste positiv getesteter Radsportler, international gesehen, Anfang der 1970er Jahre bereits lang. Hier konnten die in den 60er Jahren eingeführten Dopingkontrollen viele Fahrer, Profis und Amateure überführen. Dass damit allerdings die eingespielte Dopingkultur hin zum Besseren verändert wurde, kann angezweifelt werden. 6 westdeutsche Fahrer wurden in den 1970er Jahren, soweit mir bekannt, positiv kontrolliert und sanktioniert, davon 4 im Jahr 1978. Es gibt genügend Hinweise darauf, dass die Radsport-Amateure im Griff nach verbotenen Mitteln ebenso geübt waren wie die Profis.
Positiv getestet wurden folgende deutsche Fahrer:
BOCK, Kunibert, 1978, Anabolika
HARITZ, Günter, 1976
JUNKERMANN, Hans, 1972
PRIES, Arno, 1978, Anabolika
SCHÜTZ, Horst, 1978, Anabolika
ZOLLFRANK, Bruno, 1977
Nähere Informationen zur langen Dopingkultur des Radsports können u.a. hier nachgelesen werden:
>>> Doping-Geschichte des Radsports
>>> Doping im Radsport 1950 – 1969
>>> Dopingfälle im deutschen Radsport 1940 – 1989
Diese vorliegende internationale Statistik über positive Tests im Radsport, lässt die in den 1970er Jahren geäußerte Meinung (z.B. von M. Donike), Amphetamine seien weitgehend als Dopingmittel verschwunden, doch eher als Wunschdenken erscheinen.
der Spiegel, 22.05.1978, Der muß wirklich verrückt sein:
„Den beiden wirklich schlimmen Totmachern kommt die Analisi nicht auf die Spur. Nach dem Nebennierenrindenhormon Cortison wird gar nicht erst gefahndet, weil dessen Abbauprodukte auch normalerweie im Harn vorkommen. Und muskelmehrende „Anabolika“ setzt jeder Sportler vor Beginn eines Rennens ab. Die Detailkenntnisse hierzu vermitteln Sportärzte.
„Ich nehme nichts“, sagt Didi Thurau, dessen Körperbau einen Anabolika-Verdacht nahelegen könnte und der sich, seit die Infektion in den Bronchien sitzt, auch fragen lassen muß, ob daran nicht Cortison schuld sei. Das nämlich setzt nicht nur die Leistungsfähigkeit und die Schmerzschwelle der Muskulatur herauf, sondern mindert zugleich die Abwehrkräfte gegen jegliche Keime.
Weil es in den Hotelzimmern der Radsportler immer entsetzlich nach Medizin stinkt, nach Kampfer und Vitamin B, und jeder Masseur einen Handkoffer rezeptpflichtiger Arzneistoffe mit sich herumschleppt, haben die „Giro“-Organisatoren ihre Not, die Eisentreter jeweils im ersten Haus am Platze einzuquartieren. Die Sportlerzimmer müssen vier Tage lang gelüftet werden.“
der Spiegel, 17.7.1978, Weiß wie Schnee:
„Alle großen Radrennfahrer — Eddy Merckx und Felice Gimondi, Jacques Anquetil und die Deutschen Rudi Altig, Hennes Junkermann und Rolf Wolfshohl — sind weg Doping mindestens einmal bestraft worden. Kein Tour-Gewinner des letzten Jahrzehnts, der sich nicht irgendwann gedopt hätte, und natürlich sind auch die diesjährigen Favoriten alle schon mal erwischt worden: die „Bergziege“ Joop Zoetemelk aus Holland. die Sprinter Freddy Maertens und Michel Pollentier. Dietrich Thurau aus Frankfurt, in diesem Jahr nicht dabei, sagt ganz allgemein: „Die Leute reden soviel über Doping. Aber wer heut nichts nimmt, der bringt auch nichts.“ …
Anders ist es mit Cortisonen, Hormonen der Nebennierenrinde, die in dieser Saison die neue Wunderdroge der „Präparation“ sind. Für den „Tour“-Arzt Dr. Misérez ist die Cortisongabe „ein wahres Desaster“. …
Um wenigstens dem „katabolen“ Muskelabbau, der schlimmsten Berufsschädigung, Paroli bieten zu können, greifen einige Radprofis nunmehr auch noch zu den eiweiß- und muskelbildenden „Anabolika“.“
SCHWIMMEN
Hatten Schwimmer eine bessere Wasserlage mit Luft in den Därmen und wenn ja, wie konnte man diese in optimaler Menge einbringen? Diese spannende Frage beschäftigte deutsche Leistungsdiagnostiker, Funktionäre und Mediziner vor den Spielen 1976 intensiv. Da diese Methode nach Begutachtung von Dr. Manfred Donike nicht als Doping eingestuft wurde und Prof. Dr. J. Keul, Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats des DSB, sie als nicht gesundheitsschädlich bewertet hatte, wollte das Bundesinnenministerium die Entwicklung mit bis zu 250 000 D-Mark unterstützen. Doch die Luft blieb bis zum Wettkampf nicht da wo sie bleiben sollte, zudem gestaltete es sich schwierig, geeignete Räumlichkeiten für das Aufblasen zu finden. (L. Dotzert, 7.5.1977, der Spiegel, 4.4.1977). Die Lage muss verzweifelt gewesen sein, könnte man denken, wenn sich Experten einer Nation zu solch absurden Methoden hinreißen lassen.
In den 1970er Jahren wurden aus dem Schwimmsport selten Dopingbekenntnisse, wie sie aus der Leichtathletik vorliegen, öffentlich bekannt. Am 4.7.1977 zitiert die Süddeutsche Zeitung den neu ins Amt gekommenen Schwimmwart Rainer Wittmann, der Doping im westdeutschen Schwimmsport nicht ausschließen mochte.
„Auf Doping im Hochleistungs-Schwimmsport angesprochen und auf die Aussage eines Aktiven, daß doch sechs von acht Schwimmern „dieses Zeug“ nehmen würden, meint Wittmann: „Ich halte das für stark übertrieben, will aber nicht ausschließen, daß in der Schwimmerei in Sachen Doping nichts geschieht, Ich glaube, daß sich bei uns noch keine verbindliche Aussage über die Wirkung von Anabolika im Schwimmsport machen läßt. Daß Hochleistungsverbesserungen möglich sind, vermutlich aber nur auf den Kurzstrecken, möchte ich nicht abstreiten. Ich bin aber gar nicht interessiert, genauere Wirkungen zu erfahren. Anabolika sind verboten und wenn man herausfände, sie wären stark leistungsfördernd, würde kein Verbot etwas nützen.“
Daß bei diesen Titelkämpfen keine Doping-Kontrolle stattfindet, das bedauert der Schwimmwart:
„Wir haben das Bundesinstitut für Sportwissenschaft um Doping-Kontrolle gebeten, bedingt durch den Wechsel in der Verbandsspitze, allerdings etwas zu spät. Man konnte uns nur 30 Kontrollen zusagen, wir hatten, um einigermaßen gerecht zu verfahren, 120 Doping-Proben gewünscht. Ich bin ein absoluter Gegner des Dopings. Aber man sollte nur dann kontrollieren, wenn es wirklich umfassend geschehen kann und nicht des Heiligenscheins wegen.“
Walter Kusch, 1978 Weltmeister über 100m Brust, gibt in den 1990er Jahren in einem Interview, das er H.-J- Seppelt und H. Schück für deren Buch Kinderdoping (S. 279ff) gewährte, zu, dass die Anabolika über andere Sportarten wie Radsport und Leichtathletik ab 1971 auch im Schwimmsport angelangt waren. Im Gegensatz zur DDR hätten sie die Mittel aber nicht systematisch eingenommen oder verordnet bekommen, sondern sie einfach ausprobiert. Erhalten hätten die Schwimmer sie die Mittel häufig von Hausärzten, die nicht selten Sportvereine betreuten. Sie wären mit entsprechenden Tipps zum Trainer gekommen, der dann erfreut zugegriffen hätte. Er selbst gehörte einem größeren Verein, den Schwimmsportfreunden Bonn an, der von einer Universitätsklinik betreut wurde.
„Der kümmerte sich ja um alle Athleten im Olympiakader. Und da wurde uns dann einfach mal so ein Päckchen mitgegeben. Mal so zum Ausprobieren, wie es hieß.“
Das erste Mittel war das Anabolikum Fortabol. Wenn sie nicht direkt verteilt wurden, wurden die Medikamente per Rezept vergeben. Eine Aufklärung über Nebenwirkungen gab es nicht. Und ein direkt schlechtes Gewissen hatten die wenigsten, denn die Anabolika galten als nicht verboten. Aufgrund geringer Wirkungen wurden die Medikamente von den Männern nach einiger Zeit dann aufgegeben.
Jutta Weber (Wuppertaler Rekordschwimmerin):
„Ich lehne alles ab, was den Körper auf unnatürliche Weise beeinflußt. Jeder Sportler muß sich ein Ziel setzen, das für ihn ohne Manipulationen und Schädigungen erreichbar ist.“ Gleichzeitig redet sie einer ärztlich kontrollierten Anwendung von Anabolika das Wort. „Schließlich kann man Anabolika überall öffentlich kaufen. Sie sollten jedoch erst von einer bestimmten Alters- und Entwicklungsstufe angewandt werden.“
(SZ, 27.10.1977)
Wirkungsvoller waren die Hormone, wie auch aus der DDR bekannt, bei Frauen. Kusch schätzt, dass ca. 30 % der Spitzensportlerinnen im Schwimmen, der Leichtathletik und in den Kraftsportarten mit Sicherheit Anabolika eingenommen hatten. Mit den Kontrollen wäre dann langsam ein Unrechtsbewusstsein entstanden, wären Skrupel gewachsen. Das änderte sich wieder, als die ersten Ärzte aus der DDR in den Westen gekommen seien und fundierteres Wissen mitgebracht hätten, durch das offensichtlich gewordene Nebenwirkungen der ersten Mittel und Dosierungen eingedämmt werden konnten.
Walter Kusch äußert sich auch zu Christel Justen. Die Schwimmerin, 1974 Europameisterin über 100m Brust mit Weltrekordzeit, wurde ein Jahr zuvor, 13jährig, von ihrem Trainer Claus Vandenhirtz mit Anabolika gedopt. Sie selbst hatte dies zwar bereits Ende der 70er Jahre im Deutschlandfunk erzählt, aber niemand nahm Kenntnis davon. Erst 1993, als zwei von Vandenhirtz trainierte Schwimmerinnen mit positiven Proben auffielen, wurde auch das frühe Minderjähringendoping von Christel Justen thematisiert. Bekannt wurde zudem, dass Justen nicht das einzige junge Mädchen war, das damals gedopt wurde. Justens Eltern informierten die von Ulla. H., die daraufhin ihrer Tochter veboten Medikamente vom Trainer einzunehmen. 1977 übergaben sie dem damaligen Co-Trainer eine Tablette:
„Der frühere sportliche Leiter des ASV Aachen 06, Rainer Schulze-Rettmer, habe indes, laut „Aachener Nachrichten“, schon 1977 Doping durch Vandenhirtz aufgedeckt. Er habe damals die vom Trainer an eine Schwimmerin verabreichte Kapsel untersuchen lassen. Von Professor Donike sei diese als Dianabol analysiert worden. Donike sagte gegenüber den „Aachener Nachrichten“: „Schon bei einer Einnahme im Milligramm-Bereich kommt es zu Bartwuchs, oder die Stimme wird tiefer.“ Genau das beobachtete Schulze-Rettmer. „Mir vertrauten sich mehrere Schwimmerinnen der von Vandenhirtz betreuten Mannschaft an. Manche hatten bereits eine tiefe Stimme und Bartwuchs. Jede, die sich weigerte, die Mittel zu nehmen, wurde von ihm aus der Mannschaft ausgeschlossen.“ (FAZ, 12.1.1993, SZ, 15.1.1977)
Vandenhirtz gab alles zu, sah aber kein Unrecht in der Vergabe, da die Hormone damals nicht verboten gewesen seien und die Gaben mit den Eltern abgesprochen gewesen seien, was diese bestritten. Der Trainer wurde 1994 verurteilt, später rehabilitiert und konnte seine Karriere im Schwimmverband fortsetzen. (>>> mehr Infos)
Auch Walter Kusch wusste vom Doping der jungen Schwimmerin.
„Ja, sie hat mit mir mal sehr lange darüber gesprochen. Den Einsatz von Anabolika hat es wohl auch in der Frauen-Nationalmannschaft in der Bundesrepublik Deutschland gegeben. Leider, wie ich vermute, nicht systematisch, sondern wirklich von Laien praktiziert. Und Christel Justen trägt ja heute noch die gesundheitlichen Probleme mit sich herum.
… Es war ziemlich bald klar, daß Anabolika zu einer deutlich negativen Veränderung zum Maskulinen hin führen. Da haben hier doch sehr viele Skrupel gehabt. Ich würde sagen, daß bei den bundesdeutschen Frauen schon mit Skepsis und Vorsicht gedopt wurde.“
1978 INTERVIEW MIT MANFRED DONIKA
In einem Interview mit der Zeit Verhinderung des Schlimmsten, publiziert am 8.12.1978, äußert sich Manfred Donike über die Dopingrealitäten in den Verbänden.
„Frage: … Elf der 22 Fachverbände, die olympische Sportarten betreiben, haben von der Möglichkeit zu Dopingkontrollen keinen Gebrauch gemacht und daher auch keinen Anspruch auf Bundesmittel. Diese Zahlen erwecken den Eindruck, als seien manche Verbände nicht an Kontrollen interessiert. Müßte man sie nicht — wie in Belgien — mit einer gesetzlichen Regelung dazu zwingen?
Donike:Die Feststellung, daß der Dopingmißbrauch eher zu- als abgenommen hat, ist nach meiner Beurteilung unzutreffend. Die Fakten für das fast abgeschlossene Sportjahr 1978 sind: Bisher haben wir etwa 800 Urinproben für die deutschen Amateursportverbände analysiert. 14 Proben ergaben ein positives Ergebnis, davon acht positive mit Anabolika. Dies ist ein Prozentsatz, der nicht höher liegt als in den vergangenen Jahren. … Ich sehe sowohl in dem Anstieg der Analysenzahlen als auch in der wachsenden Zahl der kontrollierenden Verbände eine positive Konsequenz der Rahmenrichtlinien und der vorhergehenden Diskussion.
Für die kommenden Jahre erwarte ich, daß die Anzahl der Analysen und die Anzahl der kontrollierenden Verbände weiter ansteigt, nicht zuletzt, weil ein schon älterer Vorschlag von mir aufgegriffen wird, nämlich die Einrichtung einer zentralen Dopingkontroll-Organisation. Auf lange Frist wird es wohl zu einer gesetzlichen Regelung kommen, da der Tatbestand des Dopings weit über den Sport hinausreicht und von allgemeiner gesundheitspolitischer Bedeutung ist. … Die Dopinglisten sind so gestaltet, daß leistungsverfälschende oder gesundheitsgefährdende medikamentöse Maßnahmen verboten sind. Die Kontrollen haben eine nachweisbare, abschreckende Wirkung und erfüllen somit ihren Zweck. Ein Beispiel: Im Berufsradrennsport gingen bis 1967, dem Jahr 1 der Einführung von Dopingkontrollen, nahezu alle Rennfahrer mit irrsinnig hohen Dosen Amphetamin gedopt an den Start. Ein positiver Amphetamin Fall ist heute im Radrennsport eine Rarität.
Aus der Bundesrepublik Deutschland gibt es nur sporadisch Hinweise darauf, daß auch im Fußballsport gedopt wird. Bisher äußerte der DFB immer die Ansicht, daß Doping im bezahlten Fußballsport keine Rolle spiele. Es gibt jedoch in meinem Labor genügend Anfragen, zum Beispiel von Heimvereinen, die Auskünfte über Medikamente erbaten, wenn Packungen und Beipackzettel in den Kabinen der Gastvereine zurückgeblieben waren. Ferner gibt es genügend Beispiele dafür, daß im bezahlten Fußballsport im Ausland Doping nichts Ungewöhnliches ist, ich darf dabei an die positiven Dopingfälle in Italien und bei der Fußball WM in Argentinien erinnern.
Frage: Ein Radsportler wird nach einem Dopingvergehen einen Monat, ein Leichtathlet wird für das gleiche Delikt lebenslang gesperrt. Wie erklärt sich die Diskrepanz im Strafmaß?
Donike: Die Festsetzung eines Strafmaßes fällt in die Autonomie der nationalen und internationalen Fachverbände. Im Radsport wurde von der zuständigen Kommission, und das schon vor etwa zehn Jahren, für den ersten Verstoß eine Sperre von einem Monat festgelegt. Hier stand wohl der Gesichtspunkt im Vordergrund, daß für einen aktiven Radrennsportler eine einmonatige Wettkampfsperre einen deutlichen Formverlust mit sich bringt. Anders ist die Ansicht in der Leichtathletik, wo die Teilnahme an Wettkämpfen, verglichen mit dem Radrennsport, reduziert ist und die Form im Training erarbeitet wird. Eine kurzfristige Sperre wird hier für vollkommen zwecklos erachtet, da dies durch ein gezieltes Trainingsprogramm — im Gegensatz zum Radrennsport — überbrückt werden kann. Bei der letzten Sitzung der Medizinischen Kommission der IAAF in Prag anläßlich der Europameisterschaften habe ich — vergeblich — dafür plädiert, das Strafmaß auf zwölf Monate zu senken.
Ich glaube nicht, daß die vielzitierte Chancengleichheit ein starkes Argument im Rahmen der Dopingdiskussion ist. Es hat sich erwiesen und es wird sich in Zukunft immer mehr erweisen, daß viele der dem Doping zugeschriebenen Leistungssteigerungen in Wirklichkeit gar nicht darauf zurückzuführen sind. Wer behauptet, nur durch die Einnahme von Medikamenten ein internationales Leistungsniveau erreichen zu können, ist meines Erachtens von vornherein für den Spitzensport verdorben.“
Protokoll Sachverständigenanhörung, 9.1977, S.6/41, S. 6/44, 6/133
Heinz Fallak (DSB):
„Darin eingeschlossen, … ist natürlich auch, daß wir gar nicht daran denken, eine Kontrollorganisation für Dopingkontrollen aufzubauen oder zu entwickeln. Im übrigen gilt nach wie vor der Grundsatz – wir sind ja föderativ-pluralistisch organisiert im Sport -, daß die Spitzenverbände in erster Linie dafür verantwortlich sind, die praktischen Kontrollmaßnahmen durchzuführen. Es muß natürlich Wechselbeziehungen zwischen dem Deutschen Sportbund und den Spitzenverbänden in der Beratung und der Koordinierung dieser Frage geben.“
Manfred Donike:
„Ein weiterer Gesichtspunkt spricht für den Aufbau einer solchen zentralen Organisation: Der betreuende Sportmediziner kann schlecht gleichzeitig oder bei einem anderen Wettkampf als sogenannter Dopingarzt tätig werden. Ein Sportmediziner ist bekanntlich für die Abnahme der Urinproben bei den Wettkämpfen vorgeschrieben. Ich halte es für einen schlechten Zustand, daß die betreuenden Sportärzte gleichzeitig oder wahlweise mit solchen Funktionen belastet werden.“
Horst Klehr:
„Wenn Sie nicht bereit sind, die kontrollierenden Leute selbst zu kontrollieren, wenn Sie etwa einen Dopingbeauftragten vielleicht durch seinen Vorgesetzten, den Direktor kontrollieren lassen, der selbst bis zum Halse hinauf in all diese Dinge verstrickt ist, ist meiner Meinung nach jeder Pfennig, den Sie für Dopingkontrollen ausgeben, hinausgeworfen. Wenn Sie feststellen mußten, daß Ärzte in bester Freundschaft rnit diesen Leuten harmonieren, dann glaube ich, daß in diesen Fällen die Sicherheit einer Dopingkontrolle nicht mehr gewährleistet ist.“
Protokoll Sachverständigenanhörung, 9.1977, S.6/41, S. 6/44, 6/133
Monika, 2011, Ergänzungen