DDR-Dopingopfer
Ute Krieger-Krause, geb. Krause
Ute Krause war ein lebhaftes, aufgeschlossenes, wissbegieriges Kind, das gerne in Bewegung war. Laufen, springen, schwimmen, Ballspielen – so fühlte sie sich wohl. 1973, mit 11 Jahren wurde sie in der Kinder- und Jugendsportschule Magdeburg aufgenommen. Das bedeutete für sie keinen Internataufenthalt, da die Schule am Ort war, so konnte sie abends nachhause gehen. Der Schulwechsel war Utes ausdrücklicher Wunsch, ihre Eltern sahen das skeptischer.
In der Sportschule wird sie zur Schwimmerin ausgebildet. Ihr war das recht, im Wasser fühlte sie sich aufgehoben. Schnell stellen sich Fortschritte ein, sie ist gut. Schon im ersten Jahr, ab Herbst, werden den Mädchen nach den Trainingseinheiten vom Trainer Tabletten gegeben. Es sind Vitamine, die dem Körper helfen sollen fit und kraftvoll zu bleiben, was besonders im Winter ohne viel frisches Gemüse und Obst nötig sei. So wurden den Kindern die Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln selbstverständlich. Sie schluckten sie, auch wenn sie nicht schmeckten. Die kleinen blauen Pillen, das Oral-Turinabol, war zu der Zeit noch nicht dabei.
Mit 14 Jahren, 1976, gehört sie dem Kaderkreis II an, ihre Trainingsgruppe besteht jetzt nur noch aus 4 Mädchen. 1977 geht Utes Traum in Erfüllung, sie wird in den Olympiakader berufen. Anfang 1978 finden sich neben den bekannten Pillen neue blaue. Ab sofort wird der Trainingsaufbau mit dem Anabolikum Oral-Turinabol, einem Testosteronpräparat, unterstützt. Utes Körper verändert sich sichtbar. Die Muskeln wachsen, Schultern, Arme, Hals werden mächtiger. Vom Frühjahr bis Sommer nimmt sie fünfzehn Kilo zu. Ute wird ihr eigener Körper fremd.
Endpunkt
1978 schwamm Ute Krause über 100- und 200-Meter Rücken unter die ersten Zehn Besten der Welt. Ihr Leben bestand überwiegend aus Schwimmen. Doch in ihr veränderte sich etwas. Die junge Sportlerin ertrug dies nicht mehr, ihr Innerstes streikte, im Kopf wurde sie dieser eintönigen Tortur müde. In Ute Krause regte sich Ablehnung, Widerstand. Wünsche nach Zeit mit Freunden, nach Reden, Lachen, Faulenzen nisteten sich ein. Zunehmend lehnte sie ihren Körper ab, der nicht nur in ihren eigenen Augen immer unförmiger wurde. Auch in ihrer Familie wunderte man sich über die körperlichen Veränderungen. Das junge Mädchen wehrte sich und begann zu hungern, doch statt abzunehmen, nahm sie weiter zu.
Die Olympiakandidatinnen befanden sich im Trainingslager in Lindow. Der Tag bestand aus harten und schier endlosen Trainingseinheiten, fünfmal 20 Kilometer, fünfmal zwei Stunden hintereinander. In Ute Krause ging irgendetwas zu Ende, etwas wurde zuviel, unerträglich. Sie machte Schluss, endgültig. Keine Überredungskünste, keine Vorwürfe, kein Druck konnten sie umstimmen. Die Olympischen Spiele lockten nicht mehr.
Ute hatte sich durchgesetzt, doch sie war allein mit sich und innerlich leer. Ihr Leben war bis dato vorgegeben gewesen, aufgeladen ohne eigene Zugaben, sie hatte genommen, befolgt und dabei ihre Selbst verloren. Jetzt stand sie vor dem Nichts, orientierungslos, verloren. Sie war stark gewesen, hatte nein gesagt und danach gehandelt aber nun wusste sie nicht weiter, sie hatte nicht gelernt sich selbst zu helfen.
Krankheit
Die 16jährige hungerte zunächst um dann bei der Bulimie zu enden. Die Sucht war heftig, der psychische Zustand für Ute selbst und deren Familie irritierend und unverständlich, wer kannte schon in den 70er Jahren das Krankheitsbild Essstörungen, kaum jemand. Schwere Depressionen gehörten dazu. Es folgte ein Klinikaufenthalt mit psychiatrischer Therapie.
Ute Krause machte das Abitur und begann ein Lehrerstudium für Geschichte und Sport. Innerlich weiter gefangen in ihrem Gefängnis, in ihrer Leere, in ihrer Krankheit, brach sie das Studium ab und begann eine Ausbildung in der Altenpflege. Von dem Begleiten der Alten versprach sie sich einen Neuanfang, eine Möglichkeit wieder zu sich selbst zu finden. Und es gelang in Ansätzen. Sie begann Ursachen zu erkennen, ahnte was mit ihr in sehr jungen Jahren geschehen war, was in den Pillen wirklich war, wie sie missbraucht wurde. Sie erfuhr, dass in den blauen Tabletten, dem Oral-Turinabol, Stoffe enthalten waren, die Süchte provozieren, schwere psychischen Störungen hervorrufen und irreversible neuronale Schädigungen hinterlassen können.
Das Buch von Brigitte Berendonk ‚Doping‘ 1992 ließ vieles noch deutlicher werden. So langsam ergab sich das gesamte Ausmaß des staatlich verordneten DDR-Dopings mit all seinen Helfern.
Ute Krause ist nicht geheilt. Immer wieder ereilten und ereilen sie die Depressionen und Bulimie-Schübe, zusätzliche Süchte versuchten Fuß zu fassen. 20 Jahre benötigte sie, ihre Krankheit zu erkennen, zu benennen und mit ihr leben zu lernen. Ute Krauses Stärke hat letztlich gesiegt, auch oder gerade weil Rückschläge weiter zu ihrem Leben gehören.
offene Auseinandersetzung
Ute Krause nimmt nicht einfach hin, was ihr angetan wurde. Sie erstattete 1997 Anzeige gegen den Trainer Joachim Vorpagel und die Ärztin Gudrun Meißner wegen Körperverletzung. Vorpagel war ihr erster Trainer und nach Detlef Schrader und Gernot Schweingel ihr letzter, als solcher neben der Ärztin direkt verantwortlich für die Gabe der Medikamente. Die Verfahren wurden eingestellt gegen die Zahlung von Geldbußen. (Joachim Vorpagel und die neben G. Meißner zweite Magdeburger Sektionsärztin Kegel nahmen 1977 an einem Anabolika-Großversuch mit der Schwimmnationalmannschaft teil, siehe >>> hier)
Im Jahr 2000 trat Ute Krause als eine von 22 Nebenklägerinnen im DDR-Dopingprozess gegen Manfred Ewald und Manfred Höppner auf. Sie heiratete Andreas Krieger, in den 80er Jahren noch Heidi Krieger, erfolgreiche DDR-Kugelstoßerin. Beide sind anerkannte DDR-Dopingopfer und stehen zu ihrem Schicksal, kämpfen aber dafür, dass das begangene Unrecht aufgearbeitet wird.
Ute Krieger-Krause und Andreas Krieger engagierten sich gemeinsam mit anderen Dopingopfern in der Auseinandersetzung um die Wiedereinstellung dopingbelasteter Trainer. Diese Frage war 2008 um Trainer Werner Goldmann heftig öffentlich entbrannt und erhielt weiteren Zündstoff, als Anfang April 2009 dopingbelasteten Trainern mittels einer Erklärung die Weiterbeschäftigung ermöglicht wurde. Ute Krieger-Krause reagierte damals sehr schnell und erläuterte ihre Meinung in einem offen Brief an Bundesinnenminister Dr. Wolfgang Schäuble, DOSB-Präsident Dr. Thomas Bach und DLV-Präsident Dr. Clemens Prokop, >>> siehe hier.
Beide kämpften für eine Dauerrente für schwerst-dopinggeschädigte Sportlerinnen und Sportler der DDR (Berliner Zeitung, 13.3.2007). Ob es solch eine Unterstützung je geben wird, ist zur Zeit noch unklar. Im Dezember 2009 erhob Cornelia Jeske, anerkanntes DDR-Dopingopfer, Klage vor dem Sozialgericht Magdeburg auf eine monatliche Rente (dradio, 27.12.2009). Der Klage zugrunde gelegt wurde das Verwaltungsrehabilitationsgesetz. (dradio, 27.12.2009 DOHV)
Wichtig ist beiden vor allem auch, dass die Geschädigten nicht in Vergessenheit geraten und allein gelassen werden.
Monika 2012