Vielfalt der Beschaffungswege
Woher kommen die Dopingprodukte? Über welche Wege erreichen sie den Sportler? Ist es einfach und gibt es Ähnlichkeiten mit dem Drogenmarkt?
In folgender Zusammenfassung eines Textes aus dem Jahr 1999 wird recht umfassend die Situation für Frankreich beschrieben, er ist aber sicher in weiten Teilen auf andere Länder übertragbar.
Die Netze der Lieferanten
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Zollkontrollen
Am 8. Juli 1998 hielt ein französischer Zöllner in Neuville-en-Ferrain den Festina-Fiat von Willy Voet an. Der Masseur transportierte 460 Fläschchen und Ampullen Amphetamine, Anabolika und andere Doping-Medikamente. Die Zolldirektion versicherte, es habe sich um eine mobile Routine-Kontrolle gehandelt, „ohne Anweisung von oben irgendeiner Art.“
Ein Reisender kann ohne Rezepte mit einer Medikamentenmenge, die einem maximalen persönlichen Bedarf von drei Monaten entspricht, in das Land einreisen (nach Frankreich). Wenn er ein Rezept vorweißt, das ihm eine längere Anwendungszeit bescheinigt, können die Zöllner nichts ausrichten. Die Gesetze erlauben dies sogar, wenn das Medikament nicht auf dem einheimischen Markt zugelassen ist. Die Equipe Festina, wäre mit etwas besserer Organisation gut durch die Maschen des Zolls geschlüpft, wenn der Masseur anstelle alles selbst zu transportieren, die Mengen auf Komplizen verteilt hätte.
(…) Am 1. September 1999 waren über das Jahr verteilt 21 Verstöße gemeldet, 27.700 Packungen betreffend. Z. B. wurde ein Brite am Gard du Nord in Paris kontrolliert, er hatte 17 Päckchen mit Testosteron bei sich. Ein Angestellter der Sozialversicherung (Krankenversicherung) wurde mit 1100 Wachstumshormon-Ampullen aus Litauen festgenommen, die er zum Teil für sich selbst benötigte und im Bodybuilding-Milieu von Grenoble zum Verkauf anbot. Ein anderer Bodybuilder wurde 1998 vom Zoll mit 10 000 Anabolika-Pillen, die er weiterverkaufen wollte, gefasst. Diese Produkte kamen aus Thailand. 1997 wurden 61 Verstöße entdeckt, die 105 280 Tabletten, Dragees und Ampullen für Injektionen umfassten. Die 1997 konfiszierten Dopingmittel kamen aus Spanien, der Schweiz, Belgien und Thailand.
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unterschiedliche Gesetzgebungen
Man weiß, dass die Lieferanten von der fehlenden Harmonisierung der nationalen Gesetzgebungen profitieren. In Italien kann ein Allgemeinmediziner eine EPO-Spritze für 500 F verschreiben. Wenn sie von einem Krebs- oder Nierenspezialisten kommt, wird sie von der italienischen Sozial (Kranken-)Versicherung ersetzt. In Frankreich dürfen nur Fach-Ärzte Medikamente verschreiben, die speziell für Krebskranke bestimmt sind, deren Blutbild durch Chemotherapie zerstört wurde. Und allein Krankenhausapotheken dürfen diese vertreiben. Nach l’Equipe vom 19. 9. 1998 benötigen in Italien 3 000 Kranke EPO, aber verkauft wurde die Menge für 40 000 Personen.
Laboratorien im Osten
Der Import von Dopingprodukten beruht nicht allein auf gefälschten oder auf aus Gefälligkeit ausgestellten Rezepten. Die Ermittler bei der Affaire TVM enthüllten die Existenz von Laboratorien, die EPO und andere Substanzen in Ländern des Ostens herstellten. (…) Es ist verbreitete Meinung, dass sich fast alle osteuropäischen Hochleistungssportler dopen, umgeben von Medizinern, die eine fünfjährige Ausbildung für den Sport erhielten. Zahlreiche Organisationen überall auf der Welt haben Trainer und Mediziner angestellt, die aus dem Osten kommen. Polen, Tschechien, die Baltischen Länder, Ungarn, Weißrussland, und Russland vor allem sind die Länder, in denen die synthetischen Produkte hergestellt werden. Es mangelt in diesen Ländern nicht an mittellosen, kompetenten Chemikern, in denen das Fehlen von Kontrollen den Produktumsatz begünstigt. 80% der Amphetamin-Derivate kommen aus Polen und den Niederlanden, bestätigt Gilles Aubry, stellvertretender Direktor des Zentralbüros zur Bekämpfung des illegalen Drogenhandels. Aus Polen kamen die Hunderte von Ampullen des berühmten Pot belge (Amphetamin-Kokain-Heroin-Koktail), die letztes Jahr bei Claude Deschamps, ehemaliger Direktor des Velo-Clubs VC Vendome und beim ehemaligen Fahrer Jaques Guillandou entdeckt wurden. (siehe hier Affaire Poitiers)
Im November 1998, verhaftet die Polizei in Marseille vier Drogenhändler, die viertausend Anabolika-Pillen bei sich hatten, die in Kartons mit russischer Aufschrift verpackt waren. Die vier Delinquenten, von denen sich einer als ukrainischer Chemiker vorstellte, zogen ihren Verkauf in en Sporthallen von Marseille durch. Kommissar Deluc: „In den letzten Monaten hatten wir mehrere solcher Affairen. Jedes Mal sind Lieferanten aus den Ostländern beteiligt, eine echte Mafia.“
(…) Ein Polizist aus dem Norden Frankreichs, der die Vorkommnisse der Tour de France untersucht, teilt diese Sicht seines Marseiller Kollegen nicht. (…) Gewiss ist, „man findet die Gauner des Drogenhandels nicht“ stellt der Drogenkommissar Gilles Aubry fest.
„Damit organisierte Netze existieren könne“, analysiert Patrick Laure von der Universität Nancy und Forscher am Sozio-Pharmakologischen Zentrum von Saint-Max, „bedarf es dreier Voraussetzungen: 1. Das Produkt muss schwer zu bekommen und teuer sein, 2. es muss eine Nachfrage bestehen, 3. die Verteiler-Organisation muss rentabel sein.“. „Dennoch, die Mehrzahl der Dopingmittel sind Medikamente“, präzisiert Laure, „sie sind nicht schwer zu bekommen, sobald man eingeführt ist.“ Dennoch ist es nicht ausgeschlossen, dass bei gewissen Anabolika das Netz dasselbe ist wie bei Drogen, berichtet der Ermittler aus Nancy indem er an eine Affaire erinnert, die vor 5 bis 6 Jahren aufflog. Der Zoll beschlagnahmte eine Menge Anabolika, die genauso verpackt waren wie Heroinpäckchen, die zuvor entdeckt wurden. Die Drogenfahnder haben auch noch keine Frachten beschlagnahmt, die Mischungen von Ecstasy und Amphetaminen enthalten, so wie Sportler sie nehmen. „Sobald man 2000 oder 3000 Portionen EPO kauft, funktioniert das wie beim Drogenhandel,“ fügt seinerseits Dr. Alain Duvallet, von der regionalen Ile-de-France Verwaltung, hinzu.
Eine weitere Analogie zu den Drogen, es gibt, nach Dr. Duvallet, geheime Laboratorien. (…)
Firmen, Krankenhäuser
Doch warum produzieren, wenn man sich die Medikamente an der Quelle, bei den Fabrikanten besorgen kann? „Je geringer der Preis eines Medikaments, desto leichter ist es sich an den Hersteller zu wenden“, der sein Produkt proportional zu seinem Wert überwacht, vertraut uns ein Mediziner an, der sich auskennt. „Bei den Hormonen beträgt der Verlust zwischen den Laboratorien und den Händlern 10 bis 20 %,“ fährt Alain Duvallet fort, „diese Zahlen beunruhigen die Erzeuger nicht, das fällt unter die Schadensspanne bei der Qualitätskontrolle. Auf dem Weg vom Fabrikanten zur Apotheke, gibt es so nebenbei beim Grossisten Verluste bei jeder Marge.“
Obwohl die Zahlen nur schwer zu bekommen sind, werden die Verluste zwischen den Krankenhaus-Apotheken und den Kranken auf 3 bis 5 % geschätzt. Die Schwachpunkte der Zentralapotheken sind die veralterten (abgelaufenen) Medikamente, so Patrick Laure. Man kann ihren Weg bis zur Müllverbrennung nicht fehlerfrei verfolgen. Im Dezember 1998 hat das medizinische Zentrum von Aix-en-Provence Anzeige erstattet, nachdem entdeckt wurde, dass 11 Flaschen, die 50 000 Einheiten EPO (Neocormon) enthielten, verschwunden waren. Nach einer Inventur stellte das Hospital fest, dass mehr als 500 000 Dosen dieser Substanz in den vorausgegangene Monaten aus der Apotheke gestohlen worden waren. (…)
Ärzte
Nach einer Untersuchung von Patrick Laure 1997 mit 2000 französischen Amateursportlern, Männern und Frauen im Alter von 17 Jahren aufwärts, waren 61 % der Sportler, die zugaben sich zu dopen, an Ärzte gebunden. Meist Allgemeinmediziner, die wussten, was sie taten, anlässlich einer Routineuntersuchung. In 6 Fällen haben die Sportler eine Krankheit oder eine Verletzung vorgetäuscht, wobei der Arzt sich nicht bemühte, diese näher zu ergründen. 20% der Befragten erwarben ihre Dopingmittel auf dem Schwarzmarkt, vor allem wenn es sich um Drogen wie Cannabis oder Kokain handelte. 15 % der Athleten sind durch ihre Umgebung, Trainer, Teamkollegen, Eltern oder Freunde dazu gekommen.
Die Mediziner sind umso mehr eingebunden, je weniger „die Selbstmedikation bei den hochentwickelten Produkten möglich ist,“ merkt man bei der Generaldirektion des Zolls an. (…)
Womit beginnt das Ganze? Fragt ein Kinderarzt aus der Provinz. Wenn man Eltern gegenübersteht, die „für ihre Kinder oder den Jungen Vitamine verlangen, damit diese sich nach dem Training besser erholen?“ Und was tun wenn ein Sportler aggressiv wird, wenn er keine Anabolika bekommt, wie es Alain Duvallet erlebt hat?
Die Komplizenschaft ist oft gegenseitig, erzählt ein praktizierender Arzt, der für das Sportministerium gearbeitet hat. „Bei den regionalen Wettkämpfen kommt es vor, dass ein Sportler, der positiv kontrolliert wurde, von seinem Arzt eine vordatierte Verschreibung erhält. (…)
Die Kammer hat bereits Ärzte bestraft, die Anabolika verschrieben haben, aber das ist nur möglich innerhalb gewisser Grenzen. „Wir können nur Untersuchungen zu gewissen Machenschaften durchführen, wenn eine Klage gegen einen Mediziner vorliegt, die entweder von einem Patienten oder eine dritten Person kommt,“ sagt Bernard Glorion, Präsident der nationalen Ärztekammer. 1996 wurden einige Ärzte zu Gefängnisstrafen verurteilt. Während der letzten 10 Jahre waren es niedergelassene Mediziner aus Lyon, Reims und Straßburg.
Apotheker
(…) Getäuscht durch eine falsche Verordnung oder ein Gefälligkeitsrezept, wird er manchmal zum Komplizen. „Einer der Masseure der Mannschaft la Francaise de Jeux deckte sich bei einem Apotheker in Veynes, in den Hautes-Alpes, ein, der ihm Kortikoide und Amphetamine lieferte“, erinnert sich ein Ermittler bei der Tour de France. (…) Mehr als die Verlockung des Geldes ist es die Nähe zum Klienten, den man zum Beispiel in der Sporthalle trifft, „die den Apotheker oder den Mediziner in die Falle gehen lässt.“ Die Apothekerkammer hat dennoch aufgrund von Hinweisen durch Inspektoren der Sozialversicherung (Krankenvers. ) mehrere Mitglieder sanktioniert. (…)
Sportler
Man darf trotz der ausländischen Produzenten, der Trainer, Mediziner, Apotheker nicht vergessen, dass in zahlreichen Fällen der Sportler selbst der Lieferant ist. (…)
Yvan Cali, Amateurradfahrer vom Cercle olympique Chamaliérois, kannte seinen Vidal ohne Zweifel auch. Im August 1996 wurde er festgenommen, als er versuchte, sich in einer Apotheke von Riom Dopingprodukte mit Hilfe eines gefälschten Rezeptes zu besorgen. Die Polizei entdeckte bei ihm zuhause einen Vorrat an Wachstumshormonen und EPO, die aus vier Krankenhausapotheken der Region stammten. Im Februar 1998 erklärte Yvan Cali im Gericht von Riom : „Ich kannte das Hospital gut, da ich oft da war. So begann ich mit den Einbrüchen.“ Es scheint, dass der junge Fahrer nicht „der Kopf“ eines Netzes war, er hatte nur einmal etwas an einen Freund verkauft.
Internet
Um sich mit Dopingmitteln einzudecken existieren allerdings weit weniger riskante Wege. Damit sind nicht die Zeitschriften gemeint, die unter dem Ladentisch verkauft werden, sondern Fitness-Center, wie in Villeinte und das Internet erscheint wie ein straffreies Netz. (…) Nichts einfacher, als dieses via Internet zu bestellen. (…)
Der virtuelle Mensch muss nicht in das Dopingmilieu hinabtauchen um weltweit die Produkte zu finden. (…) Eine einfache Suchmaschinenanfrage führt den Surfer mühelos zu “Steroid Bible“ und anderen Seiten, über die man mit Kreditkarten die verschiedensten Anabolika bestellen kann.
„Beunruhigend ist,“ so ein Polizist aus dem Osten Frankreichs „dass bereits neue, sehr spezielle Medikamente umfunktioniert wurden, das lässt vermuten, dass sehr genaue Kenntnisse vorhanden sind und dass eine aktive und passive Komplizenschaft mit Pharmazeuten auf hoher Ebene vorhanden ist.“ So zirkuliert bereits Interkeuline 3 und PFC unter den Sportlern. In der Tat ist diese Phänomen nicht neu, erklärt Dr. Duvallet. „Die ersten Anabolika lernte ich bei Sportlern kennen, bevor sie auf dem Markt erschienen … Vor fünfzehn Jahren erhielt ich bereits PFC ganz offen um es an Ratten zu testen,“ fährt Alain Duvallet desillosioniert fort. Nach ihm ist nichts leichter, als beim Hersteller mit dem Briefkopf eines Forschungslaboratoriums ein Produkt anzufordern. Der Hersteller achte nicht darauf, das sei nicht seine Aufgabe. “Man weiss an welcher Hochschule der Athlet John Smith sich die Produkte beschaffen wird“, erklärt z.B. Jaques Piasenta, Trainer der Sprinterin Christine Arron. (…)