Prof. Dr. Winfried Schäker
Winfried Schäker begann seine wissenschaftliche Laufbahn als Zoologe. Später arbeitete er als Biochemiker, Endokrinologe und Neurophysiologe. Er promovierte an Karl-Marx-Universität Leipzig. Ab 1969 arbeitete er am Forschungsinstitut für Körperkultur und Sport (FKS). Von 1976 bis 1989 war er in der Abteilung Endokrinologie des FKS tätig, die er ab 1988 leitete. Nachdem er sich 1991 Dopinganschuldigungen gegenüber sah, nahm er für sechs Jahre an der Universität von Addis Abeba in Äthiopien eine Gastprofessur für Lehrerausbildung an.
(Im strengen Sinne ist Schäker nicht als Mediziner zu bezeichnen, doch aufgrund seiner langjährigen Tätigkeit, seine Forschungen unterscheidet er sich nur gering von anderen Personen, die ich in diesem Zusammenhang anführe. Das kleine Portrait kann vielleicht zur Abrundung der Problematik beitragen.)
1990 lagen nicht viele Informationen über die Tatigkeit des Winfried Schäkers vor, er selbst trug auch wenig zur Aufhellung bei. Nur langsam und mühsam konnten wissenschaftliche Arbeiten und Forschungen am FKS und damit auch solche mit dem Namen Schäker eruiert werden, vieles hatte der Reißwolf bereits vernichtet. Brigitte Berendonk und Werner Franke wurden fündig und veröffentlichten stark belastendes Material. Auch Schäker geriet in den Focus. 1991 versuchte er mit einer einstweiligen Verfügung Brigitte Berendonks Veröffentlichungen untersagen zu lassen. Ebenso wie seine Professorenkollegen >>> Häcker und >>> Riedel wehrte er sich damit auch gegen die Aufhebung der Geheimhaltung der Habilschriften. (Berendonk, S. 82-87) Erfolg hatte er nicht. Das Heidelberger Landgericht urteilte Ende November 1991, Brigitte Berendonk dürfe auch künftig in ihrem Buch behaupten,
„Schäker habe ganze Serien von Menschenversuchen und Doping-Aktionen seiner großen Aufgabe, dem Doping, gewidmet und an der Verbesserung der Darreichungsform und Akzeptanz von Dopingsubstanzen bei den Sportlern gearbeitet.“ In der Pressemitteilung des Gerichts heißt es: „Soweit Brigitte Berendonk in ihrem Buch erklärt habe, Sch. habe sich dem ‚totalen Doping‘ gewidmet, handele es sich um ein Werturteil, das aufgrund des Umstandes, daß Sch. den Einsatz von Peptid-Hormonen erforscht und deren Erprobung veranlaßt habe, sachbezogen sei und keine unzulässige Schmähkritik darstelle.“ (SZ, 28.11.1991)
Prof. Winfried Schäker wurde im Rahmen der DDR-Dopingprozesse nicht angeklagt, dafür reichten die mittlerweile durchaus umfangreich vorhandenen Forschungsberichte und Protokolle offenbar nicht. Auch als Zeuge wurde er nie geladen. Nach 1991 wurde es ruhig um ihn. Erst m Jahr 2005 verursachte er ein wenig Aufsehen, als bekannt wurde, dass die frühere Sport- und Biologielehrerin Claudia Iyiaagan-Bohse in Leipzig ins Gefängnis ging, weil sie eine einstweilige Verfügung über 776,59 Euro nicht bezahlen wollte. Sie hatte vor der Abstimmung über die geplante Städtepartnerschaft zwischen Leipzig und der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba auf die Vergangenheit des Vorsitzenden des Vereins Städtepartnerschaft Leipzig – Addis-Abeba, Winfried Schäker hingewiesen. Ihr Versehen war, dass ein von ihr verbreitetes Zitat fehlerhaft war. Es stammte von der Internetseite Dieter Baumann und lautete: „Professor Winfried Schäker aus Leipzig reicherte Kaugummis und Zahnpasta mit anabolen Steroiden an, um sie doping-unwilligen Athleten verabreichen zu können.“ Das ist insofern falsch, als Schäker zwar mit Kaugummis experimentiert hatte, diese aber mit dem Neurohormon Oxytocin versetzt waren, nicht mit anabolen Steroiden. So versicherte der ehemalige Forscher bei der Staatsanwaltschaft eidesstattlich, nie Kaugummis oder Zahnpasta mit anabolen Steroiden angereichert zu haben. Claudia Iyiaagan-Bohse weigerte sich, die Gerichtskosten zu zahlen und eine Unterlassungserklärung abzugeben. Sie ging für 6 Monate in Beugehaft aus der sie mit anwaltlicher Hilfe und öffentlicher Unterstützung nach 8 Wochen vorläufig frei kam.
Der Fall der streitbaren Claudia Iyiaagan-Bohse blieb nicht unbeachtet und löste viel Kopfschütteln und Unverständnis aus. Nach einem offenen Protestbrief von Bürgerrechtlern (s.u.) geriet der Leipziger Oberbürgermeister Wolfgang Tiefensee in Erklärungsnot. Schäker trat als Vorsitzender des Partnerschaftsverein zurück.
Die öffentlich zugänglichen Informationen über das Wirken von Prof. Dr. Winfried Schäker lassen keinen Zweifel daran, dass er in das DDR-Dopingsystem an wichtiger und vor allem auch entscheidungsbefugter Stelle eingebunden war.
Staatsplan Wissenschaft und Technik, Komplex 08
1975 wurde das Forschungsvorhaben „Aufdeckung zusätzlicher Leistungsreserven für den Zeitraum 1975-1980 (ZuLei/ZL), das später ergänzt wurde durch das Forschungsvorhaben ‚Komplex 08‘ mit dem Teilbereich Staatsplanthema 14.25 installiert. Damit wurden die verschiedenen teils nebeneinanderher laufenden und unkoordinierten Dopingprogramme und Praxisanwendungen gebündelt, systematisiert, weiter entwickelt und unter strenge Kontrolle gestellt.
Dr. Schäker gehörte von Beginn an dazu und zeichnete ab sofort verantwortlich für die Forschungsrichtung ‚Verbesserung der Lernprozesse‘. Mittels eines ‚Hormons der Hypophyse‘ solle die schnellere Erlernbarkeit komplizierter Bewegungsabläufe‘ erforscht werden. Damit konnte er nahtlos an seine bisherigen Forschungen anknüpfen. (Spitzer und Latzel).
Er war jedoch auch über andere Forschungsfelder, so über den Einsatz anaboler Steroide, bestens informiert. Das war nicht zuletzt ein Muss, da seine eigenen Forschungen in direktem Zusammenhang damit zu sehen sind (doppeldes Doping). Dr. Schäker wird aufgeführt als Teilnehmer eines Treffens am 13.1.1977, auf dem ausführlich ein Anabolika-Großversuch in der Nationalmannschaft Schwimmen (48 Männer, 28 Frauen und Mädchen) behandelt wurde. (>>> Lothar Kipke) Zudem ist er z. B. Mitverantwortlicher des Jahresarbeitsplans 1979 des FKS, der die Anwendung und Weitwicklung des Dopingsystems zum Hauptthema hatte. (G. Spitzer, Doping, S. 296). Schäkers Teilnahme an den Planberatungen für 1988 (26.3.1987) ist ebenfalls aktenkundig, hier nahm er am Aufgabenkomplex 14.25 – u.M. teil. (Latzel, S. 101)
Oxytocin und mehr
Schäker hatte sich schon früh mit dem Studium von Neuropeptiden, insbesondere den Nonapeptiden (Hypophysenhinterlappenhormonen) Vasopressin und Oxytocin gewidmet. Bereits 1966 veröffentlichte er gemeinsam mit Kollegen Studien zu Oxytocin bei Ratten. Herausfinden wollte man u.a. ob diese Peptide, die eher bekannt sind durch ihre Wirkung Wehen auszulösen, einen Einfluss auf Leistung, Gedächtnis und Psyche haben und ob sie in Verbindung mit anderen Mitteln zum Doping geeignet sind.
Schäker promovierte mit Forschungen zu diesem Thema an der Karl-Marx-Universität Leipzig und habilitierte 1980 ebenfalls damit („Verbesserung des zentralnervalen und neuromuskulären Funktionsniveaus sowie sportartspezifischer Leistungen durch Oxytozin“, Dissertation B).
In den 70er Jahren wurden zu diesem Fragenkomplex umfangreiche Studien an Sportlern durchgeführt. Gerade auch in Hinblick auf die Olympischen Spiele 1976 in Montreal. Verschleiernd wurden die Hormone als Vitaminpräparat B17 bezeichnet. Mit Anabolika gedopten Sportlern wurden zusätzlich weitere Substanzen verabreicht. Insgesamt waren von diesen gemeinsam mit Dr. Nicklas durchgeführten Untersuchungen 35 Kanuten, 30 Turner, 16 Schützen, 14 Fechter, 13 Leichtathleten, je 8 Volleyball-Spieler und-Spielerinnen der Nationalmannschaft, 7 Ringer, 5 Judoka betroffen. 1978 heißt es in einer vertraulichen Dienstsache, verfasst von Winfried Schäker und Dr. R. Landgraf:
„Wir verfolgen das Ziel, weitere Peptidhormone in die Trainings- und Wettkampfpraxis einzuführen, um damit noch 1979 und 1980 neue Leistungsreserven erschließen zu können … Peptidhormone stehen nicht auf den Dopinglisten und werden auch in absehbarer Zeit in der Dopingkontrolle nicht nachweisbar sein … Neben der unmittelbaren Unterstützung der Olympiavorbereitung 1980 kann der Einsatz langfristig zu einer wirksamen … Leistungsreserve ausgebaut werden.“
In seiner Habilschrift von 1980 führt Schäker datailliert Erfolge auf, die sich aus der doppelten Medikamentengabe von Anabolika und Oxytocin ergaben.
„Die hohen Anforderungen an die koordinative und konzentrative Leistungsfähigkeit und die normalerweise immer zu beachtenden koordinativen Störungen durch anabole Steroide waren Veranlassung für den kombinierten Einsatz von Oxytocin,“ (Schäker 1980, zitiert nach Berendonk, S. 230)
Diese Störungen konnten danach zur Zufriedenheit behoben bzw. zumindest kompensiert werden. Sportler des ASK Potsdam, darunter Jörg Drehmel, Rita Kirst, Wölfgang Löbe, Klaus-Dieter Kurrat, Hans-Joachim Zenk und Odo Beyer zeigten zufrienstellende Resultate. (Berendonk S. 233ff) Insbesondere die Arbeit mit Udo Beyer scheint nach Schäker besonders geeignet gewesen zu sein, die Wirkungsweise der verschiedenen Dosierungen von Anabolika in Wechselwirkung zu Oxytocin herauszufinden. So konnten die Substanzen nicht in gleichbleibenden Dosierungen verabreicht werden, sondern waren entsprechend der Wettkapmpfanforderungen zeitlich höchst unterschiedlich einzusetzen. Gut Wirkungen scheint der Einsatz von Oxytocin auch bei Schwimmerinnen gezeitigt zu haben.
„Die Schwimmer konnten sich unter Oxytocin nicht steigern. … Die größte Leistungssteigerung erzielten die Freistilschwimmerinnen… Auch bei der der Anwendung von synthetischen Steroiden (OT) [konnte] durch Oxytocin noch eine aktuelle Leistungssteigerung erzielt werden.“ Und bei den Kanuten soll die Substanz nach Trainerangaben deren Bewegungskoordination verbessert haben. (Zu den eingesetzten Mengen siehe Berendonk, S. 236f und Latzel, S. 114/115)
Ausführlich wurde mit verschiedenen Darreichungsformen der Peptidhormone experimentiert. Dabei ging es um die Zusammensetzungen von Tabletten, die eine optimale Resorbierbarkeit des Hormons gewährleisten mussten aber auch um Geschmacksvarianten mit Pfefferminz, Menthol/Eukalyptus oder Krokant. Getestet wurden Nasenspray- und Kaugummivarianten. Winfried Schäker zeigte sich mit den verschiedenen Ergebnissen zufrieden. Doch Kollege Landgraf zerpflückte mit einer Veröffentlichung 1981 die Hoffnungen auf die Kaugummi-Variante, lediglich Injektionen und die Nasenspray wären zu beachten.
Experimente mit STS-Substanzen
der Spiegel,18.2.1991:
„Mit STS 646, international längst unter dem Namen Metanolon bekannt, glaubten die Doping-Tüftler ein Anabolikum gefunden zu haben, das keine unnötige Gewichtszunahme zur Folge hat und deshalb auch für Mittel- und Langstreckenläufer sowie für andere Sportarten Hilfestellung versprach.
…
In der kombinierten Anwendung von Oral-Turinabol und STS 646 sahen die DDR-Doper, die inzwischen in alle Welt ausgeschwärmt sind, Einsatzmöglichkeiten in bisher als für Anabolika-Doping ungeeignet geltenden Bereichen.
…
diese Verstrickungen in das staatlich geknüpfte Dopingnetz werden von den Beteiligten nach wie vor geleugnet. Ob Schäcker („Wir haben eine ernsthafte und gründliche Wissenschaft betrieben“) oder Oehme, ob Oettel („Nur Grundlagenforschung“) oder Rademacher („Doping-Forschung an sich ist doch nichts Ehrenrühriges“)
…
Rechtzeitig zur Wende hatten sie ihre schriftlichen Unterlagen in den Giftschränken aller Institute penibel sortiert. Die unverfänglichen Werke wurden zwecks Steigerung der wissenschaftlichen Reputation veröffentlicht. Die inkriminierten Schriftstücke landeten im Reißwolf.“
Die umfassende Einbindung Winfried Schäkers in die Dopingforschung am FKS wird durch weitere Dokumente belegt. Brigitte Berendonk veröffentlichte in ihrem Buch Doping, 1992, Berichte eines prominent besetzten Kolloquiums mit dem Titel „Androgene und synthetische Steroide im Prozeß der sportlichen Leistungsentwicklung“ am 24.6.1981. Schäker zeichnet verantwortlich für die Redaktion der Texte und Berichte. Die Leitung hatten Prof. Dr. Lehnert und Dr. Höppner. Selbst ist Schäker vertreten mit einem Diskussionsbeitrag „Zur Anwendung von Steroidtestsubstanzen (STS, z. B. Androstendion) im Training und Tierexperiment sowie zur Qualitätsprüfung der STS-Präparate – Ergebnisbericht 1980/81“, Mitarbeiter waren K. Schubert, M. Oettel, U. Miedlich, J. Gedrat, C. Clausnitzer, B. Bernstein. Zugrunde gelegt wurden Experimente, die auf einem Kolloquium 1979 vorgestellt worden waren, ebenfalls unter Mitarbeit von Schäker.
Im Berichtszeitraum 1980/81 waren ausgewählte Olymiakader, Nationalmannschaftskader sowie Experimentalgruppen der folgenden Sportarten betroffen: Kanu-Rennsport, Rudern, Leichtathletik Wurf/Stoß/Lauf, Boxen, Judo, Volleyball, Handball, Turnen, Radsport/Straße. (Berendonk, S. 367ff)
K. Latzel legt Dokumente vor, in denen 1983 zwischen Häcker und Schäker vom FKS und Barnikol-Oettler und Hendel von Jenapharm die weitere Zusammenarbeit zu STS 646 geregelt wurde. 1984 werden dann von Rademacher, Schäker und Häcker Ergebnisse über einen Vergleich der Wirkungen von Oral-Turinabol mit STS 646 vorgelegt. Beide sollen danach die Leistungsentwicklung positiv beeinflussen, wenngleich es Unterschiede gab. Diese sollten durch eine kombinierte Anwendung in Phasen spezifischen Trainings gezielt genutzt werden. (Spitzer, Doping, S. 340f)
Die Versuche am und durch das FKS benötigten große Mengen Substanzen. Da diese Versuche auch in der DDR unter ’streng geheim‘ abgewickelt werden mussten, war es nicht immer einfach, die Anforderungen und Lieferungen entsprechend zu kaschieren und langfristig zu rechtfertigen. Offiziell hieß es daher gerne, die STS-Substanzen seien im Rahmen der Zulassungsbestimmungen in der klinischen Prüfung, deren Dauer in der Regel aber lediglich ein bis zwei Jahre betragen sollte. Die STS-Lieferungen von Jenapharm an das FKS ließen sich mit dieser Begründung nicht mehr logisch erklären. Rainer Hartwich, Mediziner bei Jenapharm, gehörte zu denjenigen, die misstrauisch wurden. Er begann, Fragen zu stellen, auch an Häcker und Schäker, doch hier wurde er rüde abgebügelt. Er ließ sich dadurch jedoch nicht einschüchtern. (>>> mehr Infos zu Rainer Hartwich) (Ausführlichere Informationen über die Arbeit des FKS und dessen Verbindungen zu Jenapharm und dem VEB Pharmazeutischen Kombinat GERMED sind bei Klaus Latzel, Staatsdoping, 2009 nachzulesen)
Planungen
Prof. Schäker wusste auch bestens Bescheid über geplante Vorhaben. Angesichts der Probleme mit den anabolen Steroiden, deren Anwendung längst an Grenzen gelangt war und zunehmend die Gefahr positiver Kontrollen heraufbeschwor, mussten Alternativen und Ergänzungen gefunden werden. Prof. Schäker wird hinsichtlich neuer Aufgaben in Zusammenhang mit zwei Forschungsaufträgen genannt, die sich mit der „Konzeption zur Konsolidierung und zum weiteren Ausbau der Arbeitsrichtung ‚Psychotrope Substanzen für die Olympiazyklen 1988 – 1996“ und mit den „Möglichkeiten zur experimentellen Beeinflussung der ‚Opioid’konzentrationen“ befassen. (Spitzer, Doping, S. 214, S. 312)
Aus einem Treffbericht des MfS mit Schäker geht hervor, dass im Deutschen Turnverband Langzeitexperimente mit verbotenen Mitteln von 11/89 bis 4/91 geplant waren. 21 Turner aus SC DHfK, ASK Potsdam, SC „Chemie“, SC „Dynamo“ Berlin und SC Cottbus sowie 6 Frauen und Mädchen des SC Leipzig waren davon betroffen. (G. Spitzer, Doping in der DDR, S.218)
Willkommen im Westen
Aus dem Vorwort des Sammelbandes, Hrsg. Professor Horst de Marées und Rüdiger Häcker:
Dies ist das eigentliche Geheimnis der Erfolge der ehemaligen DDR – die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Sportlern, Trainern, Trainingsmethodikern, Medizinern und Biowissenschaftlern – orientiert am Ziel des Hinausschiebens der menschlichen/sportlichen Leistungsfähigkeit.
(…)
Keinesfalls ist das Geheimnis darin zu suchen, daß in Geheimlaboren Wunderpillen entwickelt oder ethisch verwerfliche Verfahren erprobt wurden.“
Nach der Wende keimten bei viele Hoffnungen, endlich vom Wissen der DDR-Forschungen profitieren zu können. Ein Beispiel ist der 1991 im Deutschen Ärzte-Verlag, Köln, erschienene Sammelband „Hormonelle Regulation und psychophysische Belastung im Leistungsport“ mit Beiträgen eines Kolloquiums am Forschungsinstitut für Körperkultur und Sport (FKS) vom Mai 1990 in Leipzig. Die darin veröffentlichten Forschungsbeiträge stammen überwiegend aus der DDR, lediglich Manfred Donike und Wilhelm Schänzer, Köln, vertreten den Westen. Gemeinsame Herausgeber waren der Direktor des Kölner Bundesinstituts für Sportwissenschaft BISp, Professor Horst de Marées, und der letzte Ärztliche Direktor des Leipziger Forschungszentrums FKS, Professor Rüdiger Häcker. Neben bekannten Dopingpersönlichkeiten wie G. Rademacher, H. Langer, D. Nicklas, A. Lehnert, E. Kämpfe ist auch Winfried Schäker als Autor vertreten. Sein Name steht u.a. unter dem Beiträg „Die physisch belastete Ratte – ein verbessertes Testmodell zur Erfassung gesamtorganismischer Wirkungen von anabolen Steroiden“. Der Spiegel meinte zu dem Sammelband:
„Gegenüber den Originalen weisen die Veröffentlichungen aber entscheidende Unterschiede auf: Alle inkriminierenden Passagen, etwa das Alter minderjähriger Versuchspersonen oder die Anwendung nicht zugelassener Medikamente betreffend, waren geschönt oder einfach weggelassen worden“ (der Spiegel, 16.9.1991)
Zitate aus einem Interview mit W. Schäker in der Leipziger Volkszeitung, 7.12.1990:
… Wann und aus welchem Anlaß wurde in der ehemaligen DDR damit begonnen, Dopingforschung zu betreiben?
Dopingmittel wurden im Leistungssport der USA seit 1956 dokumentiert. Anfang der 60er Jahre gerieten sie vermutlich noch Europa. Die ersten mir bekannten Aufzeichnungen aus der DDR stammen von 1972 oder 1973. 1975 erhielt das FKS den Auftrag den Auftrag zum Aufbau der Forschung zu anabolen Steroiden. Es waren drei Fragestellungen zu lösen: die Wirkung von anabolen Steroiden generell auf die sportliche Leistungsentwicklung ermitteln, Nebenwirkungen auf die Gesundheit und das Training ausschließen und den Nachweis von Oral-Turinabol als Untersuchungsmethode aufbauen.
…
Wer erteilte dem FKS letztlich Auftrag?
Die Sportleitung der DDR. … 1978 wurde nach meiner Meinung völlig richtig entschieden, daß in Kreischa ein Dopingkontrollabor eingerichtet wurde. Das gab uns die Möglichkeit breiter und tiefgründiger sportmedizinisch-trainingswissenschaftliche Fragen aus der Sicht der Hormonforschung zu bearbeiten und dadurch mit und ohne anabole Steroide indirekt Einfluß auf den Trainingsprozeß und die Belastungsgestaltung zu nehmen. … Seit 1975 haben wir Anwendungszeiten und Dosisobergrenzen pro Tag und Jahr ermittelt, die weit unter den international mitgeteilten liegen. Alles geschah unter dem Gesichtspunkt der Schadensverhütung, auf die Gesundheit der Sportler bezogen. Die Gesundheit des Sportlers stand nach unserer Position vor der Medaille.
Gab es einen Einschnitt in Ihrer Arbeit als die anabalen Steroide auf die Dopingliste kamen?
Nein, das mußte es auch nicht. Anabole Steroide wurden von der Medizinischen Kommission des IOC 1976 für die Anwendung im Weltkampf auf die Dopingliste gesetzt. Erst 1987 gab es das generelle internationale Verbot auch für anabole Steroide im Training. Wir haben unsere Forschung auf die Trainingseffektivität konzentriert. Wir arbeiteten in Tierversuchen, an Mitarbeitern unserer Arbeitsgruppe und anderen freiwilligen Probanten sowie an ausgewählten Leistungssportlern. Nur so konnten wir überhaupt bestimmen, unter welchen Belastungsbedingungen Oral-Turinnbol und später ein weiteres anaboles Steroid, das Mestanolon, wirksam werden kann. … Wie als Wissenschaftler haben auch von vornherein gefordert, daß Jugendliche keine Anabolika bekommen. …
Wir haben die Grundlagen- und angewandte Forschung betrieben und nur diese ist von uns zu verantworten. …
Sie haben also anabole Steroide lange Zeit als ein Mittel zur Unterstützung des Trainings angesehen. Plädieren Sie damit für deren Legalisierung?
Bis weit in die 80er Jahre haben wir die Position eingenommen, daß eine Substitution vertretbar ist. Das heißt Anabolika werden dem Körper dann zugeführt, wenn er unter der starken Belastung nicht mehr schnell genug in der Lage ist, sich auf die folgende Trainingsbelastung einzustellen. Im System des DDR-Leistungssports gab es zwei Möglichkeiten. Entweder wurde der Trainingsplan nicht erfüllt oder die Wiederherstellung durch Substitution, durch Ersatz mit Anabolika zu unterstützen. Deshalb war nach unserer Meinung eine Substitution aus ärztlicher Sicht vertretbar.
Wie denken Sie heute darüber?
Heute bin ich anderer Meinung, weil dieses Substitution nicht exakt ist und zum Unterlaufen der Dopingregeln führen kann.
Hat das gesamte FKS am Doping geforscht?
Es gab am FKS weder ein Dopinglabor noch arbeitete das gesamte Institut an der Dopingproblematik. Das sogenannte Staatsplanvorhaben unterstützende Mittel unterstand zwar der persönlichen Kontrolle des Direktors, aber das Labor und die spätere Abteilung Endokrinologie haben neben der breit angelegten Untersuchung von den zwei anabolen Steroiden tatsächlich Hormonforschung betrieben, die unverzichtbar ist für den Leistungssport und die Gesundheit der Athleten. …
Wie sollte es nach Ihrer Meinung weitergehen?
Wir haben uns seit November 1989, als wir von uns aus die Arbeit an dem Staatsplanthema einstellten, mehrfach öffentlich bekannt. Es darf künftig kein Dopingforschung und Dopinganwendung im Leistungssport geben. Meine Hoffnung gündet sich auf die Untersuchungskommission, die wegen der Fälle in ganz Deutschland gebildet werden soll. Unsere Arbeit soll wissenschaftlich beurteilt werden. Die Sportler sollen zudem von sich aus auf die Einnahme von Doping verzichten und Ärzte und Trainer sich dieser Erklärung anschließen.
Wenn Sie Ihre Arbeit abbrechen, gehen da nicht viele Erkenntnisse für die Humanmedizin verloren?
Die wissenschaflliche Öffentlichkeit hat ein Recht, unsere Untersuchungsergebnisse – bis auf die Daten, die unter ärztlicher Schweigepflicht stehen – zu erfahren. Dazu diente schon ein Kolloquium im Mai und erste Veröffentlichungen. …
Fühlen Sie sich als Wissenschaftler schuldig? Schuldig deshalb, weil Sie die Dosis empfohlen haben, die der Arzt letztlich verabreicht?
Nein, von Schuldbekenntnis kann bei mir keine Rede sein. Wir haben eine gediegene wissenschaftliche Arbeit geleistet, in der alle Eventualitäten bedacht wurden. Unsere Ergebnisse wurden dem Sportmedizinischen Dienst exakt übermittelt und auf alle Probleme, die damit verbunden sein könnten, wurde verantwortungsvoll hingewiesen.
Muß sich ein Wissenschaftler nicht dafür verwenden, daß mit seinen Erkenntnissen kein Mißbrauch getrieben wird?
Von uns wurden manchmal unerwartete Analysenergebnisse ermittelt. Das wurde mit dem Verantwortlichen, Dr. Höppner, bzw. den verantwortlichen Ärzten der entsprechenden Sportler besprochen.
Können Sie Spätschäden bei den Sportlern ausschließen?
Nach meiner Ansicht ja. Doch dazu müßten letztlich Ärzte Stellung nehmen.
Offener Brief an die Stadt Leipzig, Fall Claudia Iyiaagan-Bohse 2005
>>> Offener Brief an die Stadt Leipzig
gez. Bärbel Bohley, Vorstandsvorsitzende Bürgerbüro e.V.
Verein zur Aufarbeitung von Folgeschäden der SED-Diktatur (Berlin)
gez. Tobias Hollitzer, Bürgerkomitee Leipzig e.V.
gez. Helen Jannsen, Forum Verlag Leipzig Buch-GmbH
gez. Siegfried Reiprich, Vorstandsmitglied Bürgerbüro e.V.
Verein zur Aufarbeitung von Folgeschäden der SED-Diktatur (Berlin)
gez. Horst Schüler, Union der Opferverbände Kommunistischer Gewaltherrschaft e.V.
gez. Uwe Schwabe, Archiv Bürgerbewegung Leipzig e.V.
Zitate:
… Im Beschluss des Landgerichts Leipzig vom 12. Dezember 2004, wegen Dringlichkeit ohne mündliche Verhandlung ergangen, heißt es, die Aktion von Frau Iyiaagan-Bohse habe Winfried Schäker „in seiner Persönlichkeit und Ehre verletzt“. Gestatten Sie uns, Sie über die Fakten und Schäkers wenig ehrenhafte Rolle im Medaillenkombinat des staatssozialistischen Spitzensports in Kenntnis zu setzen:
Winfried Schäker war 1969 einer der Mitbegründer des Forschungsinstituts für Körperkultur und Sport (FKS), zwischen 1976 und 1989 leitete er dort das Labor für Endokrinologie, also Hormonforschung. Seine Arbeit diente einzig und allein dem Zweck, Dopingsubstanzen zur chemischen Leistungsmanipulation im Rahmen des geheimen DDR-Staatsplanthemas 14.25 zu entwickeln. So war er beteiligt an der Entwicklung von so genannten Steroidsubstanzen, Anabolika, die auch nach DDR-Recht nie für den Gebrauch am Menschen zugelassen waren und dennoch massenhaft selbst an minderjährige AthletInnen verabreicht wurden. Dokumentiert ist das u.a. in einer Studie mit dem Titel „Zur Anwendung von Steroidsubstanzen im Training und Tierexperiment sowie zur Qualitätsprüfung der STS-Präparate“, deren Erstautor Schäker ist. Sie dokumentiert unethische Versuche an Athleten aus zehn Sportarten, auch an minderjährigen Turnerinnen. Thema seiner Habilitation („Verbesserung des zentralnervalen und neuromuskulären Funktionsniveaus sowie sportartspezifischer Leistungen durch Oxytozin“, 1980) waren Experimente an Sportlern mit Neurohormonen wie Oxytozin. Damit (nicht mit Anabolika) versetzte er Kaugummi und als „Vitamin B 17“ getarnte Pillen, damit die Athleten nicht bemerkten, dass sie mit Hormonen gedopt wurden. Weiteres zur Wissenschaftsleistung ist nachzulesen etwa in Brigitte Berendonk: Von der Forschung zum Betrug, Reinbek 1992, S. 230 – 240, oder in Giselher Spitzer: Doping in der DDR. Ein historischer Überblick zu einer konspirativen Praxis, Köln 1998, S. 312 ff.
Die schweren Gesundheitsschädigungen durch das DDR-Dopingprogramm, von Wissenschaftlern wie Winfried Schäker vorbereitet und in Kauf genommen, hat der Bundesgerichtshof im Jahr 2000 als mittelschwere Kriminalität eingestuft. Die Bundesregierung hat für die Geschädigten des Staatsdopings einen Hilfsfonds eingerichtet. Zahlreiche Trainer und Sportärzte, die Schäkers Erfindungen zwangsverabreichten, haben Strafbefehle wegen Körperverletzung erhalten und akzeptiert. Schreibtischtäter wie Schäker konnten nach deutschem Recht nicht verurteilt werden. In der „Berliner Zeitung“ („Kaugummis und Mäuseböcke. Die Stadt Leipzig setzt auf die Dienste eines Hormonexperten vom berüchtigten FKS“ vom 17.Februar d.J.) erklärte Schäker, befragt nach seiner Berufsbiografie: „Ich habe nur meine Arbeit getan.“ Außerdem äußerte er: „Man kann mir doch nicht vorwerfen, dass ich Anabolika erforscht habe.“ …
Monika