Matschiner, Stefan; Behr, Manfred
Grenzwertig
Aus dem Leben eines Dopingdealers
riva Verlag, 2011
Eine ausführlichere Inhaltsangabe ist hier zu finden:
profil online: Das Enthüllungsbuch des überführten Dopingdealers Stefan Matschiner, 15.1.2011
Österreichs Skisport musste sich bereits nach den Olympischen Spielen 2002 in Salt Lake City gegen Dopingvorwürfe wehren. Müll, der auf medizinische Behandlungen schließen ließ, wurde in einem Appartement gefunden und legte den Verdacht auf Blutdoping, Doping mit Eigenblut, nahe. Der Cheftrainer der Langläufer Walter Mayer wurde gesperrt und vom IOC von den Winterspielen 2006 und 2010 ausgeschlossen. Walter Mayer war 2006 in Turin trotzdem anwesend und wurde zur Hauptperson eines Dopingskandals, als die Carabinieri im österreichischen Lager auftauchten und der ehemalige Coach eine spektakulär endende Flucht antrat.
Mittendrin in Turin war auch Stefan Matschiner, ehemaliger ambitionierter Mittelstreckenläufer und mittlerweile ebenso ehrgeiziger Manager von Hochleistungssportlern. Er war gemeinsam mit Mayer und einem Blutbeutel angereist. Der Beutel war bei Humanplasma aufbereitet worden, bei jenem Transfusionsinstitut in Wien, das wenig später zu großer Berühmtheit gelangte, als bekannt wurde, dass sich hier seit 2003 an Sonntagen viele Sportler von nah und fern vor allem Blut für eine später gewünschte Leistungssteigerung entnehmen ließen.
Stefan Matschiner gehörte zu den Hauptkunden, er wusste die Einrichtung bestens zu nutzen. Er war so angetan von der Methode, dass es ihm mit Unterstützung des führenden Institutspersonals und finanzieller Sportlerhilfe gelang, sich selbstständig zu machen nachdem dem Blutgeschäft vor Ort das Aus drohte. Er konnte die nötigen Maschinen erwerben, fand dafür Möglichkeiten der Unterbringung und lernte sie, vom Hersteller geschult, bestens zu bedienen.
Doping war Teil des Geschäftsmodells des Sportler-Managers, aber er betont, dass die meisten seiner Schützlinge von ihm nicht entsprechend betreut wurden und dass der Wunsch nach einem Dopingplan mit Versorgung so gut wie immer von den Sportlern kam, allerdings wurde diesem Wunsch von ihm selbstverständlich nachgekommen. Nicht selten jedoch musste er seine Klienten in ihren Vorstellungen und Anwendungswünschen bremsen oder er versuchte es zumindest. Was nicht immer gelungen sein soll, wie Beispiele von positiv getesteten Sportlern zeigten, die nach Matschiners Angaben eigenwillig Dosen erhöhten oder gar Mittel nahmen, die er strikt ablehnte. Matschiner bevorzugte grundsätzlich Bluttransfusionen, sie schienen ihm gesundheitlich am ungefährlichsten, erbrachten im Durchschnitt die besten Leistungssteigerungen und bargen zudem das geringste Risiko bei Dopingkontrollen. Er lehnte andere Dopingmittel und -methoden nicht ab, wusste diese auch (fast) perfekt einzusetzen, doch nach und nach wurden die Kontrollen feiner und neue Testmethoden angewandt. So soll es einen Leistungsknick gegeben haben, als das als Medikament nie zugelassene Dynepo, seit Jahren in der weltweiten Dopingszene gern verwendet, entgegen vielen Aussagen plötzlich doch nachweisbar war und erste positive Fälle die Doping-Sportwelt erschreckten. Umorientieren mussten sich die Meister der illegalen Leistungssteigerung auch beim Testosterondoping, bei dem über viele Jahre keine Gefahr der Entdeckung drohte. Mit der entsprechenden Epitestosterongabe hatten die Athleten bei dem zugrundegelegten Quotienten von 6:1 nichts zu befürchten – sofern sie sich regelmäßig ihre eigenen Blut- und Urinwerte überprüfen ließen, auf dass die Betreuer die Mittelmengen exakt auf das individuelle Stoffwechselvermögen einstellen konnten. Laboratorien hierfür ließen sich finden, auch bei WADA-akkreditierten soll es möglich gewesen sein, den Fuß in die Tür zu bekommen. Und Matschiners Erfahrungen mit kontaminierten Dopingsubstanzen bereichern die um die Jahrtausendwende aktuelle öffentliche Nandrolon-Diskussion um eine weitere Fassette.
Stefan Matschiners autobiografische Ausführungen über die Parallelwelt, so nennt er selbst diese von Lügen geprägte Welt des Hochleistungssports, in der er sich bestens eingerichtet hatte, lassen keinen Raum mehr für Illusionen hinsichtlich eines sauberen Sports. Es soll durchaus Sportler, auch Radsportler geben, die ganz bewusst clean sind, aber Bescheid wussten sie angeblich alle, Trainer/Betreuer, Funktionäre, Ärzte, Sportler, und nicht selten konnte man sich, zumindest wie hier beschrieben in Österreich, politischer Kräfte bedienen. Matschiner nennt keine Namen, die nicht bereits öffentlich bekannt geworden sind, aber seine Geschichten sind reich an Anspielungen, Hinweisen, Beispielen, Verdachtsmomenten und Fakten, durch die ein buntes Bild dieser Parallelwelt entsteht. Sicher kann man natürlich nicht sein, dass alles der Wahrheit entspricht, vielleicht legt er falsche Fährten oder begleicht alte Rechnungen, denn Beweise liefert er nicht unbedingt. Er schürt eine Menge Zweifel und er lädt zum Nachdenken ein.
Wer seinen Lieblingssport, fast egal welchen, ohne das Problem Doping im Hinterkopf zu haben, genießen möchte, sollte dieses Buch nicht lesen.
Ansonsten kann ich es empfehlen. Es ist gut geschrieben, unterhaltsam und launig. Und es füllt so manche bekannten Geschichten mit Hintergrund auf oder rundet sie ab. Der Titel des Buches jedenfalls ist meiner Meinung nach in vielerlei Hinsicht treffend gewählt.
Interviews/Artikel zum Thema:
die Presse: Wenn Doping so normal wie das Essen ist, 23.3.2013
Presse.com: „Ohne Doping hätten wir immer noch dieselben Sieger“, 17.1.22011
ORF.at: „Das Gefühl der Unbesiegbarkeit“, 2 Teile, 17.1.2011
Daniel Drepper: „Nur die Dummen werden erwischt“, 24.1.2011
Hintergrund zur Diskussion um Humanplasma-Affaire und deutsche Sportler:
>>> Daniel Drepper: Stefan Matschiner – Deutsche Doper und Doping im Triathlon
>>> jens weinreich: Wiener Blut
Monika