Deutsche Ärzte und Doping
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Wildor Hollmann
Bezogen auf das Doping-Geständnis von Ralf Reichenbach und die darin enthaltene Kritik an den Qualifikationskriterien betont Hollmann:
„Wir haben heute noch keine wiss. gesicherten Erkenntnisse über die meßbare Zunahme von erzielten Weiten und Höhen speziell durch Anabolika“.
(SZ 10.1.89)
FAZ 7.12.90:
„Auch Professor Wildor Hollmann wußte „seit urlangen Zeiten“ von Doping-Praktiken in Ost und West. „Nur, wir konnten es nicht beweisen.“ Seit 1960 war Hollmann bekannt, daß auch im bundesdeutschen Sport mit Anabolika experimentiert wurde. Einige Sportler seien schon damals zu ihm gekommen und hätten ihm von ihren Erfahrungen mit leistungsfördernden Mitteln berichtet. Über Einzelheiten wie Dosierungen sei er jedoch nie informiert worden. Auch später, nach 1976, als die Wissenschaft über die Schädlichkeit von Anabolika gesicherte Aussagen machen konnte, hätten bundesdeutsche Sportler ihn aufgesucht. Unter ausdrücklicher Berufung auf die ärztliche Schweigepflicht hätten sie ihm alles erzählt, was sie wüßten, und immer hinzugefügt: „Das Zeug besorg ich mir selbst, da habe ich meine Quellen.“
Prof. Dr. Wildor Hollmann gründete das Instituts für Sportmedizin der Deutschen Sporthochschule Köln deren Rektor er von 1969 bis 1971 war. 1990 ging er in den Ruhestand. Von 1984 bis 1998 agierte er als Präsident des Deutschen Sportärztebundes, von 1986 bis 1994 als Präsident des Weltverbandes für Sportmedizin. Er gehörte 25 Jahre lang dem Wissenschaftlichen Beirat der Bundesärztekammer und dem Wehrmedizinischen Beirat des Verteidigungsministeriums an (Uhlmann, 2004)
frühe eigene Forschungen
1966 forschte Wildor Hollmann u. a. über die „potentiellen positiven Auswirkungen bestimmter Drogen (Koffein, Alkohol, Digitalis, Nikotin und anderer nichthormoneller Substanzen) für Sportler“. 1976 veröffentlichten er und Theodor Hettinger in der Erstauflage ihres Werkes „Sportmedizin, Arbeits- und Trainingsgrundlagen“ Ergebnisse eines Experimentes mit einem Anabolikum, das sie an Sportstudenten durchgeführt hatten.
„So untersuchten wir den Einfluß einer Verabreichung von 5 mg eines Anabolikums per os auf Sportstudenten. Eine Gruppe absolvierte über 6 Wochen lang an 5 Wochentagen ein tägliches statisches Krafttraining am Dynamometer, während eine Kontrollgruppe ein gleiches Training unter Placebos verrichtete. Zwischen dem Trainingseffekt in der Anabolika-Gruppe und der Placebo-Gruppe konnten keine statistisch signifikanten Differenzen beobachtet werden“. „Mit höherer Dosierung aber wachsen die Schädigungsmöglichkeiten … Diese Schäden können irreversibel sein, so daß vor einer vor allem unkontrollierten Einnahme dringend gewarnt werden muß. So sinnvoll die Gabe von Anabolika in der ärztlichen Praxis unter eindeutig medizinischer Indikation ist, so gefahrvoll erscheint sie für den Sportler“ (HOLLMANN/HETTINGER 1976, 253ff, zitiert nach Singler/Treutlein 2010).
Auf Hollmann und sein Team gehen erste Versuche mit Höhentraining, hier Sauerstoffmangel-Training, zurück. Zudem forschte er an erfolgversprechenden Vitaminpräparaten, Nahrungsergänzungsmitteln, wie sie heute genannt werden. Zusammen mit Alois Mader, der 1974 aus der DDR ‚wertvolles‘ Doping-Wissen mitbrachte, gelang dem Kölner Team nach eigenen Angaben Erfolgversprechendes. Die damit verbundene ‚Vitaminspritze‘ erlebte allerdings bei den Olympischen Spielen in Montreal ein Debakel, die ‚Kolbe-Spritze‘ versagte.
(Die Zitate stammen aus dem Spiegelartikel vom 30.8.1976 Kraft durch Spritzen)
zwischen Substitution und Verbotenem
Er ging schon früh davon aus, dass Doping nur schwer beherrschbar sein werde. Ein Dopingverbot war für ihn daher in den 70er Jahren pure Träumerei.
„Für ihn sieht die Wirklichkeit anders aus; er glaubt, beim Spitzensport Entartungstendenzen zum Professionalismus, zum Zirkus und sogar zum Panoptikum (Züchtung von Sport-Monstren) zu erkennen. Für ihn stellte sich die Grupe-Charta so dar, wie wenn ein Raumfahrt-Ingenieur seine Kenntnisse aus dem Märchenbuch „Peterchens Mondfahrt“ beziehe.“
So berichtete ‚die Zeit‘ vom Sportärzte-Kolloquium 1977 in Kiel, auf dem die Ärzte Ihre Forderung nach der Anabolika-Freigabe zurück nehmen mussten. (die Zeit, 13.5.1977) Die FAZ zitiert Hollmann am 7. Mai 1977 wie folgt:
„Die Anti-Doping-Erklärung von Willi Weyer und Willi Daume, bei aller persönlichen Wertschätzung vor beiden Männern, ist von rührend anmutendem Niveau. Ihr Verhalten gleicht dem Ingenieur, der einen Mondflug vorbereitet und sich dabei der Materialien von Peterchens Mondfahrt bedient.“
Konsequenterweise hatte Hollmann 1976 schon zum Dopingprozedere empfohlen „derlei Manipulationen ausschließlich durch anerkannte medizinische Zentren und nur ausnahmsweise, vielleicht bei Europa- und Weltmeisterschaften sowie bei Olympischen Spielen zu verabreichen. Der Leistungssport entspricht der Welt, in der er ausgeübt wird, verteidigen sich die spritzenden Sporthelfer.“ Allerdings verkündete er auch, dass nicht alles so sei, wie es scheine: So ließen sich das breite Kreuz und die tiefen Stimmen der erfolgreichen DDR-Schwimmerinnen durch Talentfahnder erklären: Diese „wählten die künftigen Rekordlerinnen schon im Kindergarten-Alter aus — Mädchen mit maskulinen Anlagen. Hartes Training verstärkte diese Eigenschaften und bildete kräftige Brustkörbe aus, die als Klangkörper eben dunkle Stimmen hervorbringen.“ (Wobei anzumerken ist, dass Talentauswahl bei Kindern mittels Biopsien in einigen Staaten durchaus vorgenommen wurden.)
Im Oktober 1976 anlässlich des Sportmedizinerkonkresses in Freiburg, auf dem ein die Freigabe von Anabolika ins Auge gefasst wurde, spricht Wildor Holmann von ‚einem Dilemma der Sportmedizin ähnlich dem um den Abtreibungsparagraphen 218‘. Er sieht nur drei Möglichkeiten zur Lösung des Problems:
„1. Wir unterstützen als Ärzte jede Maßnahme zur Leistungssteigerung des Spitzensportlers und nur des Spitzensportlers, die nicht gesundheitsschädlich ist.
2. Wir machen nicht mit, lehnen das Ganze ab und verkünden, daß wir in der Bundesrepublik keine Anabolika verabreichen und überlassen dem Ostblock den Weltstandard.
3. Das IOC verbietet radikal alle Sportarten, bei denen die Muskelpille genommen wird. Das sind mittlerweile 18 Sportarten und würde eine Amputation des Sports an Haupt und Gliedern bedeuten.
„Ich spreche mich für die Lösung eins aus“, sagte Wildor Hollmann. Entscheidend dafür sei die Verhinderung von schädlichen, unkontrollierten Selbstbehandlungen der Spittensportler mit zu hohen Dosen und über lange Zeiträume hinweg.“ (SZ, 25.10.1976)
Wildor Hollmanns Aussagen bleiben nach Meinung von Singler/ Treutlein schillernd und nicht eindeutig, „eine offene Befürwortung der Anabolikaverwendung im Sport ist ihm jedenfalls nicht direkt nachzuweisen.“ Immer wieder äußert er sich ablehnend gegenüber Doping mit Medikamenten, doch manches bleibt zweifelhaft, lässt sich aber aus dem Kontext der damaligen Zeit heraus erklären. Sein Mitarbeiter Mader scheint insgesamt eine klare ProDoping-Linie gefahren zu sein. So auch vor dem Sportausschuss des Deutschen Bundestags 1977, wo Mader deutlich die Forderungen nach Anabolika-Feldversuchen an Frauen formulierte, denn wie sonst könne man wissen, was wirklich geschähe. Hollmann äußerte sich hier eher im Sinne der hormonellen Substitutionstheorie und meinte, es könne sicher nichts schaden, dem Körper die Mittel in dem Maße zurück zu geben, wie sie durch die Ausübung des Sports verbraucht würden.
„Jede Anpassung einer Zelle im menschlichen Organismus an eine anormale intensive Belastung verläuft letztlich über den genetischen Apparat unter entsprechender hormoneller Steuerung. Damit werden unter anderem jene Hormone aktiviert, die in dieser Größenordnung unter normalen Bedingungen nicht auftreten. Schädigende Nebenwirkungen sind hierdurch noch niemals beobachtet worden. Wenn aber eben diese Hormone in derselben Größenordnung von außen zugeführt werden, wie sie sonst nur durch Trainingsbelastung durch Körper in Freiheit gesetzt werden, so fällt es schwer hiezu den Beweis der Schädlichkeit zu erbringen.“
Gleichzeitig sprach er sich aber wieder für die Einhaltung der Regeln aus. (>>> Protokoll der Sachverständigenanhörung im Sportausschuss, 28.9.1977 , speziell S. 6/106-6/112) In Verbindung mit den Schlußfolgerungen aufgrund seiner eigenen Forschungen, s.o., könnte man folgern, dass er hier die Gabe anaboler Steroide unter ärztlicher Aufsicht durchaus befürwortete, zumindest darin weniger Gefahren sah, als in der unkontrollierten Einnahme durch Selbstmedikation der Sportler.
Aber wer war nun schuld an der von Hollmann empfundenen Misere? Der dopende uneinsichtige Athlet? Welche Verantwortung hat der behandelnde Arzt?
„SPIEGEL: Reagiert die Sportmedizin wirklich immer nur zähneknirschend auf unvernünftige Athletenwünsche? Wer wie Professor Klümper einem Geräteturner Chemikalien in die Gelenke spritzt, damit er die ungeheueren Belastungen einer Reckkür überhaupt aushält, der nimmt doch keine Reparatur vor, der frisiert eine Hochleistungsmaschine auf, um im Bild zu bleiben.
HOLLMANN: Das ist eine unterstützende Maßnahme, die akut dem Schutz des Betreffenden dienen soll. So was ist Ausdruck unserer Zeit, ist Spiegelbild dessen, was sich heutzutage abspielt.
SPIEGEL: Und dabei ist Ihnen wohl?
HOLLMANN: Denkbar unwohl selbstverständlich. Aber wenn sich jemand sowieso aus dem zehnten Stock runterstürzt und ich ihn davon nicht abhalten kann, dann werde ich wenigstens unten ein Sprungtuch aufspannen, damit er möglichst sanft landet.“ (der Spiegel, 4.11.1985)
Die Bedeutung der Sportmediziner für den Leistungssportler betonte Hollmann auch später weiterhin, so 1987 in der Sachverständigenanhörung vor dem Sportausschuss. Andererseits lehnte er die Freigabe von Anabolika unter ärztlicher Aufsicht unter Hinweis auf die Auswirkungen auf die Jugend ab, damit würde ‚alle sportliche Ethik von vornherein‘ ausgeklammert. (SZ, 10.1.1989)
von Realitäten und Zwängen
Sportmediziner Hollmann:
„Doping geringbedeutend“
„In einer medizinischen Bilanz des Olympiajahres 1988 stufte Wildor Hollmann, Präsident des Weltverbandes für Sportmedizin (FIS), den Umfang des Dopingmißbrauchs als ,,geringbedeutend“ ein. Wesentlich schärfere Folgen werde die rasante Entwicklung der Gentechnologie auf den Leistungssport haben, meinte er. Hollmann bezeichnete den Fall Ben Johnson als klassischer Beweis für die Trendwende in der sportmedizinischen Betreuung von Hochleistungssportlern. Nach seiner Ansicht wurde der kanadische Sprinter Opfer einer „sportmedizinischen Tragödie“. Leibarzt Astaphan habe Johnson nicht als Sportler, sondern als Patienten behandelt. In diesem Zusammenhang sei die Verabreichung von Anabolika ein „kalkulierbares Risiko von 50:50“ gewesen. „Es war besser, daß Johnson in der Betreuung eines Sportmediziners geblieben ist, anstatt sich einem Engelmacher anzuvertrauen. In einem solchen Fall sind mögliche Fehlentwicklungen nicht mehr abzuschätzen“, kommentierte Hollmann.“
(SZ, 9.11.1988)
1987 hatte er in einem schriftlichen Statement im Rahmen der Sachverständigenanhörung des Sportausschusses am 14.10.1987 festgehalten, „im Training würden sehr viele Athleten Substanzen zu sich nehmen, die unerlaubt und gesundheitsschädlich“ seien. Ein Jahr später im November 1988 kann man in der Süddeutschen Zeitung vom 9.11.1988 nachlesen, dass Hollmann in einer medizinischen Bilanz des Olympiajahres 1988 den Umfang des Dopingmissbrauchs als „geringbedeutend“ einstufe. Gleichzeitig habe er aber, so laut SPORT vom 10.12.1990 Willi Daume vom NOK Vorschläge zur Eindämmung des Dopingproblems wie die Abschaffung der Qualifikationsnormen, Aufstellung dopingreier Rekordlisten und Kontrollen zu jedem Zeitpunkt, unterbreitet. 1989 hatte er erklärt, der chemisch vorbereitete Sportler sei längst Realität, daher müsse eine 5. Kategorie in den Sport eingeführt werden, die sportliche Show. „Ich habe schon vor 11 Jahren gesagt, daß der Zeitpunkt kommen wird, wo wir uns vom Sport mit einen traditionell geprägten Werten verabschieden müssen. Der Zeitpunkt ist in einigen Sportarten erreicht.“ (SZ. 10.1.1989)
Spitzer et al., 9.2011, Doping in Deutschland…:
„Hollmann betrachtete das Jahr 1976 in einern Zeitzeugengespräch als Zäsur für die Einschätzung der Frage, ob Anabolika schädlich seien oder nicht:
„Zuverlässige Befunde ernsthafter Natur über die Wirkung von Anabolika lagen aber in der ersten Hälfte der 1970er Jahre nicht vor. Der Deutsche Sportbund hatte Anabolika nicht einmal auf seiner Dopingliste stehen: In dem Moment, als wir erstmals gesicherte gesundheitliche Schadensberichte erhielten, waren wir strikt gegen die Anwendung derartiger Substanzen.“
Diese Einschätzung ist allerdings historisch nicht zu halten. Denn Hollmann hatte schon 1974 die alarmierenden Ergebnisse der Dissertation Reinhards, für die er als erster Gutachter fungierte, zur Kenntnis nehmen müssen.“
Prof. Hollmann:
„Ich war nämlich einmal hergegangen und habe sämtlich Anamnese-Erhebungen, also Arzt/Patienten-Gespräche, in Verbindung mit Hochleistungssportlern über mehrere Jahre untersucht und dabei festgestellt, dass etwa zehn Prozent der Betreffenden – das war noch in den späten siebziger, frühen achtziger Jahren – erklärt haben: Wir nehmen als Dopingpräparat das und das. Aber wir als Ärzte mit der Schweigepflicht, wir durften das ja erfahren.“
(dradio, 2.3.2001)Skuriles?
Kalorien via Katheder
„Hochleistungsgewichtheber, die im Training etwa 110 Tonnen täglich zur Hochstrecke bringen, benötigen dafür rund 11 000 Kalorien pro Tag. Wie aus der Physiologie und Arbeitsmedizin hinlänglich bekannt ist, kann diese Menge auf natürlichem Wege über den MagenDarm-Trakt nicht gedeckt werden. Der Ausweg aus diesem sportmedizinischen Dilemma ist die hochkalorische parenterale Ernährung. Während der Athlet schläft, wird ihm der extrem hohe Kalorienbedarf über einen Dünndarmkatheter eingeflößt, so daß er morgens „satt“ und „leistungsbereit “ erwacht. Dopinggegner Professor Wildor Hollmann …der als Realist und Forscher die Szene verfolgt, berichtete unlängst über die Methodik.“
„Hollmann: „Wenn die Sportmedizin eine seriöse ärztliche Tätigkeit bleiben soll und nicht noch weiter an Ansehen in der Öffentlichkeit verlieren soll, müssen wir uns ganz eindeutig von solchen Methoden und von solchen Kollegen distanzieren, die sich von der ethisch-moralischen Basis unseres Berufs entfernt haben.“
(Der Kassenarzt 36 1988)
Hollmann wusste jedenfalls über die Jahre Bescheid was im Hochleistungssport geschah, das zeigen noch folgende Zitate:
Deutsches Ärzteblatt, Heft 20, 18.5.1978:
Artifizielle Methoden zur Steigerung der Leistungsfähigkeit im Spitzensport
von W. Hollmann, H. Liesen, R. Rost, H. Heck, A. Mader, H. Philippi, P. Schürch, K. Kawahats:
… Die heute international bekannteste und sicherlich auch gebräuchlichste Methode zur Beeinflussung der sportlichen Leistungsfähigkeit über den Stoffwechsel ist die Einnahme von Anabolika. … Nach den experimentellen Untersuchungen von Exner et al. (1973) sowie Kindermann et al. (1976) und nach den praktischen Erfahrungen auf dem Sportplatz kann an dem leistungssteigernden Effekt kein Zweifel bestehen. Amerikanische Spitzensportler entdeckten die leistungssteigernde Wirkung dieser Substanzen und führten sie in der zweiten Hälfte der 50er Jahre in den Sport ein. Hier wurden sie in der Folgezeit in vielen Fällen ohne eine ärztliche Kontrolle mit erstaunlich hohen Dosen (bis zum Achtfachen der Normdosis) und über viele Monate, ja Jahre hinweg kontinuierlich eingenommen. Eine gesicherte organische Schädigung konnte dennoch bis heute in keinem Falle eines Spitzensportlers verbürgt werden, wie unsere diesbezüglichen Ermittlungen ergeben haben. … Nach entsprechenden Untersuchungen und Erfahrungen im Ostblock genügt zur Leistungssteigerung eine einmalige 4- bis maximal 6wöchige Anabolikagabe pro Jahr, verbunden jeweils mit einem spezifisch darauf ausgerichteten Trainingsprogramm. … Unser Arbeitskreis ist gegen eine Verabfolgung von Anabolika an Sportler eingestellt. Das geschieht aus der Überlegung, so lange wie nur irgend möglich artifizielle chemische Substanzen aus dem Trainingsprozeß fernzuhalten, zumal hier wenigstens eine beschränkte Kontrollierbarkeit durch Stichprobenuntersuchungen im Training gegeben ist. 14 Tage bis spätestens 3 Wochen nach Absetzen anaboler Substanzen erlischt die Nachweisbarkeit. …
… Professor Wildor Hollmann vom Institut für Kreislaufforschung und Sportmedizin in Köln berichtete dem Deutschen Sportärzte Kongreß, noch niemals seien ihm so viele Fälle der Glukocorticoide Einnahme bekannt geworden wie in diesem Sommer.
… Der Präsident des Weltsportärzteverbandes und Leiter des Instituts für Herz- und Kreislaufforschung an der Kölner Sporthochschule, Wildor Hollmann, zieht den Vorhang über dem stillschweigenden Unfair play noch weiter auf: In achtzehn Disziplinen, darunter neben den einschlägigen DopingSportarten Radfahren, Boxen und Gewichtheben auch die zentralen olympischen Wettbewerbe Schwimmen und Leichtathletik, seien ohne den Segen der Chemie Weltklasseleistungen nur noch in Ausnahmefällen möglich. …
„Es gibt Fälle“, berichtet Wildor Hollmann, „wo Athleten zu uns kommen, die gleichzeitig drei verschiedene Präparate einnehmen. Von einem Spitzensportler ist mir bekannt, daß er eine Dosis eingenommen hat, die zwischen 700 und 800 Prozent über der höchstzulässigen überhaupt lag. Und das seit Jahren!“ …
Festzuhalten bleibt, dass Heinz Liesen länger als ein Jahrzehnt Hollmanns Assistent war.
Fragen zu Hartmut Riedel
Fragen wirft Hollmanns Verhalten in der Angelegenheit Hartmut Riedel auf. Der EX-DDR-Dopingfachmann Riedel erhielt 1988 auf Empfehlung der beiden Professoren Hollmann und Keul eine Professur in Bayreuth, obwohl er keinerlei wissenschaftliche Arbeiten vorlegen konnte. Seine Dissertation war angeblich verschwunden. Brigitte Berendonk grub sie 1991 wieder aus. Im Berufungsprotokoll stand zwar, Riedel hätte
„wesentliche Erkenntnisse auf dem Sektor der anabolen und katabolen Hormone“ erarbeitet ((3), S. 58). Doch „Hollmann sagte später, er habe davon abgesehen, Riedel nach Doping zu fragen, da dieses Thema für eine mögliche Beschäftigung an Hollmanns Institut in Köln irrelevant gewesen sei. Riedels „profunde Kenntnis der anabolen und katabolen Hormone“ machten ihn im Gegenteil zu einem besonders begehrenswerten Kollegen.“
Dazu kann man anmerken, dass Riedel bereits vier Monate nach seiner Flucht zusammen mit Prof. Heinz Liesen an den durch das BISp geförderten Testosteronstudien arbeitete.
Eine nähere Erläuterung der ‚profunden Kenntnis‘ gab Hollmann in einer Fernsehsendung des französischen Senders Antenne 2 am 19.12.1991. Hollmann lobte Riedel wie folgt:
„Er war der erste Wissenschaftler in der ehemaligen DDR, der entdeckt hatte, dass die von Athleten verwendeten Anabolikadosierungen viel zu hoch waren. Beispielsweie wurden vor den Forschungen von Riedel 40, 50, 60 oder sogar 80mg pro Tag gegeben. Riedel hat nachgewiesen, daß ein Zehntel dieser Dosierungen ausreicht, um den gleichen Effekt zu erzielen.“
Dass die Gabe von Anabolika auch in geringeren Dosen Doping war und ebenfalls mit gesundheitlichen Schäden verbunden sein konnte, war danach Riedel nicht anzulasten? Oder sah Hollmann keine gesundheitlichen Gefahren in den geringeren Dosen? Die Arbeiten Riedels waren Studien, mit denen die Wirkung der anabolen Steroide auf die Leistungsentwicklungen untersucht wurden. Es waren Pro-Dopingstudien.
Zu seinem Wissen über Riedels Arbeiten nach dessen Flucht gab Hollmann in dieser Sendung an, er habe Riedel vor dessen Flucht 1987 ebenso wie den genauen Inhalt dessen Arbeit in der DDR nicht gekannt. Auch die Habilitationsschrift hätten ihm zum Zeitpunkt des Gutachtens für die Universität Bayreuth nicht vorgelegen. In der Begründung des Berufungsvorschlages für Riedel hieß es aber explizit,
„mit originellen diagnostischen Verfahren erarbeitete er [Riedel] wesentliche Erkenntnisse auf dem Sektor der anabolen und katabolen Hormone. Er gehört zu den anerkannten Fachleuten auf diesem Gebiet.“ … „Des weiteren stützten sich Berufungskommission und Fakultät auf die eindeutigen Voten der beigezogenen Fachgutachter, insbesondere auch auf das Sondergutachten von Prof. Hollmann.“
Für Verwirrung sorgte Hollmann in dieser Angelegenheit auch noch in späteren Jahren. Seine Behauptung, er habe die Dissertation nicht gekannt, bestätigt durch Riedel, brachte ihm den Vorwurf ein, entgegen üblicher universitärer Gepflogenheiten eine Empfehlung ohne umfassende Kenntnis der wissenschaftlichen Qualifikation abgegeben zu haben. Dagegen wehrte er sich im Jahr 2000 in einem juristischen Verfahren, in dem er eine Stellungnahme, die er 1991 in Sachen Riedel für die Universität Bayreuth abgegeben habe, als Gegenargument einbrachte. Er räumte dann aber wieder ein, dass er seine erste Stellungnahme 1987 ohne Kenntnis der Dissertation abgegeben habe.
Kritik an Brigitte Berendonk
Ungehaltern reagierte Prof. Hollmann, Präsident des Deutschen und des Weltverbandes für Sportmedizin, auf die Veröfffentlichungen Brigitte Berendonks. In der Deutschen Zeitschrift für Sportmedizin 43, 27 (1992) nimmt er wie folgt zu dem 1991 erschienen Buch ‚Doping Dokumente‘ Stellung:
„Leider ist man in der Diskussion von einer seriösen wissenschaftlichen Berichterstattung und Deutung abgewichen. So werden Personen, ohne eine Rücksprache mit ihnen, auf der Basis von Zeitungsmeldungen aus den 70er Jahren zitiert, um hiermit den „Beweis“ zu erbringen, daß die genannten, z. B. Politiker, Funktionäre und Ärzte, dopingfreundlich seien. Verschiedene dieser der damaligen Presse entnommenen Zitate stammen von einem Deutschen Sportätztekongreß des Jahres 1976, auf welchem in einer Round-Table-Diskussion das Thema wissenschaftlich abgehandelt wurde: Anabole Steroide – das heutige Wissen zu gesundheitlichen und leistungsteigernden Effekten. Eine solche Diskussion ist eine sehr legale Aufgabe eines ärztlichen Forschers im Bereiche der Sportmedizin. Darüberhinaus wurde 1976 aus der Sicht des Deutschen Sportbundes nicht über ein Dopingmittel diskutiert, weil der DSB unter entsprechender Anregung des Deutschen Sportärztebundes Anabolika erst 1977 auf die Dopingliste setzte. … Aus genannten Gründen ist das Buch nicht geeignet, für eine wissenschaftliche Fachzeitschrift im Detail besprochen zu werden. Umso befremdlicher wirkt es, daß einem seriösen ärztlichen Verlag wie dem Springer-Verlag ein solcher Mißgriff passieren konnte in der Übernahme dieses Buches.“
Damit sorgte er für einigen Widerspruch, u. a. bei Prof. Dr. Ulmer, Mainz, der die Haltung Hollmanns nicht nachvollziehen konnte und die Neuauflage des ergänzten Buches sehr begrüßte. Erstaunen rief zudem die Behauptung hervor, 1976 hätte es noch kein Anabolika-Verbot gegeben. Prof. Gerhard Treutlein, der Hollmann u.a. wegen dieser Behauptung angeschrieben hatte, wurde dazu keine Antwort zuteil. Bereits 1970 erließen DSB und IAAF ein Anabolika-Verbot. Das IOC folgte 1974. Die UCI hatte 1968 bis 1971 die Hormone verboten. (>>> Internationale Maßnahmen, >>> Reglements 1950-1960)
Stellungnahme zur öffentlichen Dopingdebatte 1991
Im Januar 1991 nahm W. Hollmann in einem Artikel in SPORT (10.1.1991, Nr 1/2) Stellung zu den Dopingenthüllungen und der entbrannten heftigen öffentlichen Diskussion.
Er fragt „Was hat sich durch die Enthüllungen in den vergangenen Tagen und Wochen geändert? Daß bei vielen Spitzensportlern Doping im Spiel war, ahnten wir oder glaubten es sogar zu wissen, doch die Beweise fehlten. Informationen durch den Sportler im Arzt-Patienten-Gespräch zählten nicht – durch ärztliche Tätigkeit erworbenes Wissen darf nicht unter Namensbezug weitergegeben werden wegen des Verbots der ärztlichen Schweigepflicht. Erstmal scheint jetzt handfestes Beweismaterial vorzuliegen, der qualitative Unterschied zu früher.“
Hollmann sieht keine Möglichkeit Doping auszurotten, schlägt aber Maßnahmen zur Schadensbegrenzung vor:
„1. Jeder Kadersportier sollte sich schriftlich verpflichten, für eine festzulegende, Dopingunwesen kaum noch möglich machende Zahl von Untersuchungen jährlich zur Verfügung zu stehen. Im Falle der Nichteinhaltung wird die Nominierung für nennenswerte Wettkämpfe gestrichen. Zwangsläufig würden gewaltige Kosten resultieren, die der Sport allein nicht tragen kann. Hier ist die Allgemeinheit vor die Frage gestellt: Ist sie bereit, zur Erhaltung eines weitgehend sauberen Hochleistungssports ein finanzielles Opfer zu erbringen?
2. Zur Nominierung für olympische oder sonstige internationale Wettkämpfe sollten die Fachverbände keine Normen zukünftig mehr aufstellen, deren Erfüllung Voraussetzung zur Nominierung ist. Das in einzelnen Sportarten nicht von der Hand zu weisende Argument von Athleten lautet: Oft werden solche Normen aufgestellt, von denen der Eingeweihte weiß, daß sie zumindest im nationalen Bereich ohne Inanspruchnahme unerlaubter Manipulationen nicht erfüllt werden können. Anstelle dessen könnten Ausscheidungswettkämpfe oder die Summe der Ergebnisse von mehreren, vorher festgelegten Wettkämpfen mit der Erringung von Punktzahlen zur Nominierung führen.
3. Ein utopisch anmutender Vorschlag: In Verbindung mit den oben genannten Vorstellungen habe ich schon vor den Olympischen Spielen 1988 vorgeschlagen, die bisherigen in vielen Fällen in Verbindung mit Doping entstandenen Weltrekorde zwar nicht zu löschen, aber die Liste zu beenden und durch den Neubeginn der Führung von Rekordlisten zu ersetzen. Symbolhaft könnte damit das Ende eines Dopingzeitalters charakterisiert werden, und die nunmehr neu zu erzielenden nationalen und internationalen Rekorde würden ein Salz in der Suppe des Sports darstellen, wie es seit Jahrzehnten nicht mehr erlebt worden wäre. Dieser Gedanke wurde kürzlich auchvon Heide Rosendahl geäußert.“
Hollmann möchte jetzt einen Schlusstrich ziehen und neu beginnen.
„Sollte man nicht nur gedopte Athleten, sondern auch verantwortliche Trainer und Ärzte zur Rechenschaft ziehen? Sollten die Dopingstrafen wesentlich verschärft werden? Zur Vergangenheitsbewältigung aber ist es meiner Auffassung nach richtig, eine Generalamnestie auszusprechen, um das Waschen schmutziger Wäsche zu vermeiden, welches im nachhinein niemandem nützt, vielen schadet, Wunden schlägt, Gräben zwischen ganzen Institutionen aufreißt und stattdessen nach vorne in die Zukunft zu blicken. Mut zu konsequenten Entschlüssen in Verbindung mit einer positiven Denkweise sind momentan mehr denn je angebracht.“
Die Frage nach der Übernahme und Bezahlbarkeit der Kosten des Dopingkontrollsystems beantwortet Hollmann im April 1992 dann wie folgt:
„In einem Interview der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ sagte Hollmann, es sei „geradezu unmoralisch“, daß zu Zeit rund vier Millionen Mark Steuergelder jährlich für Dopingkontrollen ausgegeben würden, die Erforschung der gesundheitlichen Folgen bei allgemeiner sportlicher Betätigung aber nur mit einer Million unterstützt werde. Nach seinen Berechnungen verursacht das angestrebte effektivere Dopingkontrollnetz in Deutschland jährliche Ausgaben von mindestens zehn bis 15 Millionen Mark, „wenn nicht gar 20 Millionen.“ Dopinguntersuchungen mit Hilfe des Blutes der Athleten würden die Kosten „in noch ganz andere Dimensionen treiben“. Hollmann betonte, schon bei dem angestrebten Ausbau des herkömmlichen Urintestverfahrens, stelle sich für den Steuerzahler die Frage, ob es einen Sinn habe, Millionenbeträge durch den Staat bereitzustellen, um einigen wenigen Sportlern nachzuweisen, daß sie durch Doping gegen ein Sportgesetz verstoßen hätten.“ (FAZ, 6.4.1992)
Im Jahr 1989 wird Hollman mit folgendem Vorschlag zitert:
„Ich fordere seit Jahren, daß Sportler sich zu einer Kontrolle pro Monat verpflichten müssen“. Dann könne man sich die Diskussion über die Trainingskontrollen sparen. (SZ, 10.1.1989)
Monika, Februar/Mai 2009, Ergänzungen