Deutsche Ärzte und Doping
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Heinz Liesen
Von 1987 bis 2007 hatte Heinz Liesen eine Professur für Sportmedizin an der Universität in Paderborn. Von 1973 – 1990 arbeitete er als Mannschafts- und Verbandsarzt des Deutschen Hockey-Bundes, 1980 – 1988 der Nordisch Kombinierten und 1985 – 1990 des Deutschen Fußballbundes. Von 1974 bis 1987 beteiligte er sich an der Trainerakademie Köln an der Ausbildung in Leistungsphysiologie, internistischer Sportmedizin und Trainingslehre. Seit 1980 engagiert er sich in der Ausbildung der Fußballlehrer. Er ist Vizepräsident des Deutschen Sportärztebundes und Präsidiumsmitglied der Stiftung Jugendfußball und in dessen Kompetenzteams.
SZ 3.1.1985:
Liesen: Es gibt natürlich Möglichkeiten, die wir nicht machen dürfen, die aber besser wären und die mit Sicherheit andere machen. Aber da sind wir eben gebunden.SZ: Das klingt geheimnisvoll und nach was, was auf der Dopingliste steht.
Liesen: Ja, Anabolika als therapeutische Maßnahme, um sie wieder fitzukriegen. Das kann man auch so machen, daß man bei einer Dopingkontrolle nicht auffällt, das ist ganz einfach. Aber ich darf das nicht. Wir sind ja Moraltheologen im Sport. Dabei wäre das absolut unschädlich.SZ: Über die Nebenwirkungen von Anabolika gibt es wahre Horrorgeschichten.
Liesen: Da ist die Presse schuld, gerade die Sportpresse. Die soll sich doch mal um die Body-Builder kümmern, die permanent Mißbrauch treiben. Es gibt den weltberühmten Hormonforscher Adlerkreuz aus Finnland, der sagt bei jedem Kongreß, Testosteron beim Mann ist viel ungefährlicher als die Antibabypille bei der Frau. Warum wird bei uns soviel Theater gemacht? Wenn ein Körper nicht durch die entsprechende Produktion von Hormonen regenerieren kann, dann wäre es eigentlich angebracht, ihm zu helfen… damit er nicht krank wird, sondern schnell wieder belastbar ist. Wenn wir das nicht machen, sind wir den anderen gegenüber immer im Nachteil. Und daß die das machen, weiß ich und kann auch einiges beweisen.
1984 forschte Prof. Heinz Liesen im Auftrag des Bundesinstituts für Sportwissenschaft (BISp)den Zusammenhang von Testosteron und Regeneration. Unterstützt hat ihn dabei Rainer Föhrenbach, der in den 90er Jahren als Trainer in Zusammenhang mit dem Dopingfall Iris Biba auffiel. Das BISp stellte 1985 fest, dass „die bisherigen Ergebnisse darauf hin weisen, dass bei sehr starker kataboler Belastung durch die Gabe von Testosteron die Regenerationsfähigkeit für die beanspruchten Strukturen verbessert werden kann.“ ((1), S. 198). Auch ein weiteres Forschungsprojekt im Auftrag des BISp 1987 zeigte Wirkungen des Testosterons. Kaderathleten des Skilanglaufs und der Nordischen Kombination sowie Langstreckenläufer und Triathleten erhielten Andriol. Ziel war den „Einfluß der oralen Gabe von Testosteronundecanoat auf die Regenerationsfähigkeit nach intensivem Training-, Test- oder Wettkampfbelastungen“ festzustellen. An diesem Projekt arbeitete Hartmut Riedel mit, der gerade aus der DDR geflohen war. Der DDR-„Chef-Doper“ wie Brigitte Berendonk ihn nannte, hatte umfassende Erfahrungeen im Anabolika-, speziell im Testosterondoping. (Ergebnisse dieses Forschungsprojektes sind (mir) nicht bekannt.)
Die Versuche verletzten eindeutig die geltenden Dopingbestimmungen. Möglich, dass sie in Verbindung mit dem Bemühen einiger Kräfte im deutschen Sport, das Testosteron frei zu geben, standen. Keul et al. hatten hierzu schon festgestellt, dass Testosteron wirkungslos sei und damit von der Liste gehöre. Liesen vertrat diese Einstellung jedoch mit der gegenteilgen Argumentation. Er war Verfechter der Substitutionstheorie, wonach festgestellte Defizite zu beheben seien.
„Wir versuchen schon wirklich, den Sportler umfassend zu betreuen, das heißt also auch seine Persönlichkeitstruktur mit zu entwickeln… Dazu gehört z. B. auch, festgestellte Defizite, die wir immer wieder beobachten – und das ist im Bereich der Spurenelemente und Vitamine relativ einfach, im Bereich der hormonellen Regulation relativ schwierig -, substituieren zu können, um hier den Menschen auch wirklich im Hochleistungssport komplex entwickeln zu können, damit er die Möglichkeit hat, das Pensum, das heute im Training erforderlich ist, um international bestehen zu können, gesund und ohne Schaden für sein weiteres Leben bewältigen zu können.“
Das klingt sehr nach vorbeugender Substitution. Liesen scheint damit Erfolg gehabt zu haben. Denn er rühmte sich an gleicher Stelle, 1987 vor dem Sportausschuss des Deutschen Bundestages,
„dass es uns gelungen ist, bei den Nordisch-Kombinierten aus wirklich absolut durchschnittlich talentierten Athleten über Jahre hinweg Welt-Spitzenathleten zu bekommen, indem man versucht hat, sie in ihrer Persönlichkeit zu entwickeln und sie im Trainingsprozess individuell zu steuern.“ Die hormonelle Regulation scheint gelungen zu sein. Und wer eine „solche begründete Substitution (als Thearpie oder Prophylaxe) mit Doping“ gleichsetzte, ist nach Liesen „irrsinnig“. ((1), S. 307, 311, Protokoll Sachverständigenanhörung 1987. S. 6/130)
Die heutige Interpretation dieser Testosteronstudien ist uneinheitlich. Auch die Forscher der Studien ‚Doping in Deutschland‘ kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen. Einerseits heißt es, es waren eindeutig Studien, die das Ziel hatten die Eignung von Testosteron für Dopingzwecke nachzuweisen, andererseits, so die Münsteraner Forscher, könne die Erforschung auch als Anti-Doping-Forschung eingestuft werden. Die unterschiedlichen Motivationen der beteiligten Ärzte müssten aber durchaus berücksichtigt werden.
Noch im Oktober 1987 nach dem Tod von Birgit Dressel sprach sich Liesen, ebenso wie Klümper, für die therapeutische Anwendung von anabolen Steroiden bei Sportlern aus.
„Beim Hearing des Deutschen Bundestages zum Thema „Humanität im Spitzensport“ sagte Liesen, der das sportmedizinische Institut der Universität Paderborn leitet und auch die Fußball-Nationalelf betreut, über die Gefahren des Gebrauchs muskelbildender Anabolika den bemerkenswerten Satz: „Bei einer minimierten Dosierung eines ausgesuchten Präparates, mit einer Abstimmung des Trainings und der angepaßten Ernährung, periodischer Anwendung und begleitet von regelmäßigen sportärztlichen Gesundheitskontrollen, ist eine gesundheitliche Gefährdung nicht zu erwarten.“ Der Deutsche Sportbund mahnte ihn daraufhin schriftlich zur Unterlassung.“ (die Zeit, 29.7.1988, >>> Protokoll Sachverständigenanhörung vor dem Sportausschuss, 14.10.1987, Teil 2) Liesen: „Als Sportmediziner – das muß ich ganz bestimmt hier sagen – muß ich die Fähigkeit und die Möglichkeit haben, alle Möglichkeiten der Medizin zu nutzen und anzuwenden.“
Heinz Liesen hatte offene Arme für Ex-DDR-Dopingexperten. Da war Hartmut Riedel, der im Westen angeblich ohne seine „Dissertation B“ ankam, die ihn als Experten der Anabolika-Anwendung auswies und der aufgrund des Verlustes sozusagen unbelastet kurze Zeit darauf eine Professur in Bayreuth erhielt. Es gibt aber Hinweise, dass die Dissertation in Paderborn kursierte. 1990 trat Hermann Buhl, stellvertretender Leiter des Forschungsbereichs Medizin des Forschungsinstituts für Körperkultur und Sport (FKS) eine Stelle in Paderborn an. Hermann Buhl 1990:
„Die DDR hätte ja „nicht nur wegen der Leistungssteigerung“ gedopt, „sondern auch in Sorge um den Zustand des Sportlers, dessen Organismus wir durch die hohe Trainingsbelastung … tüchtig runtergewirtschaftet haben.“ ((3), S. 204)
Heinz Liesen war aber auch ein Arzt, der es verstand, eine besondere Beziehung zu den Sportlern aufzubauen, der nicht allein den Körper heilte sondern auch psychische Stütze bot, „der auf Spitzensportler eine unerklärliche Anziehungskraft ausübt, ein psychosomatischer Magier“ war. Ein Magier, der sehr großzügig mit Injektionen jeglicher Art hantierte. 1986 bei der Fußball-WM in Mexiko soll er 3000 Injektionen verabreicht haben, „die Pflanzenextrakte zur Steigerung der Immunabwehr, Megadosen von Vitamin C und B12, Bienenhonigextrakt für das Kreislaufsystem und Kalbsblutextrakt [Actovegin] gegen die Auswirkungen des Höhenaufenthaltes“ enthielten. Manfred Donike nannte ihn Scharlatan, er selbst sah sich als einer von nur 10 Sportärzten im Lande, denen wirklich etwas an den Sportlern läge. Damit war klar, dass er selbst entscheiden wollte, was gut für den Athleten sei. Armin Klümper sah es ähnlich. ((5), S. 299ff)
Der Substitutionstheorie hatte Liesen auch 1993 noch nicht abgeschworen. Sportler benötigten seiner Meinung nach schon früh Substanzen, um möglichen Mangelerscheinungen entgegen zu wirken.
„Wir brauchen im Spitzensport, die ganzheitliche Betreuung der Athleten. Wenn wir nicht umdenken, riskieren wir weiter hohe Verletzungsanfälligkeit.“ „Es kann kein Zweifel daran bestehen, daß jugendliche Spitzensportler angesichts der hohen Leistungsanforderungen die Substitution von Mineralstoffen und Vitaminen brauchen. Unterbleibt sie, sind Verletzungen im weiteren Karriereverlauf programmiert. Nur wenn die Mediziner die Gesundheit der Athleten optimieren, bleiben Höchstleistungen weiter möglich.“
Prof. Wilfried Kindermann, verantwortlicher Arzt des Deutschen Fußballs und damit Nachfolger von Liesen, sah dies genauso. (FAZ, 18.10.1993)
2009 meint Liesen:
„Die Ost-West-Geschichte war ein Riesenproblem. Der Osten hat sich über den Leistungssport dargestellt. Wir haben das über die Wirtschaft gemacht. Aber man wollte dem Osten natürlich auch im Sport Paroli bieten. Politisch wurde das unglaublich gewünscht. Das darf man nicht vertuschen.“ (mdr, 25.5.2009)
Weiterführende doping-archiv.de-Links zu Heinz Liesen:
Monika, Februar 2009