Deutsche Ärzte und Doping
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Dr. Tilman Steinmeier
ilman ‚Til‘ Steinmeier ist ein bekannter Sportarzt in Hamburg. Er leitet eine Praxis für ‚Ganzheitliche Medizin und Naturheilkunde‘ und Sportmedizin. Der Allgemeinmediziner betreute viele Jahre lang Radsportler, sowie Fußballspieler und Handballer des HSV, auch Junioren und Amateure.
Am 6. Oktober 2006 wurde durch die Süddeutsche Zeitung bekannt, dass der langjährige Arzt des Hamburger Cross-Teams ‚Stevens-Racing‘ drei Fahrer des Teams (Fabian Brzezinski, Jens Schwedler, Johannes Sickmüller) mit Epo, Andriol und Synacthen versorgt haben soll. Auslöser war ein junger Arzt, der eine zeitlang in der Praxis Steinmeiers mitarbeitete und später Urlaubsvertretungen machte. Er fotographierte vom Computer-Monitor Patientendaten ab, die die Verschreibung belegten. Früh habe er erkannt, dass in der Praxis“etwas läuft“. Den Entschluss auszusagen fasste er nachdem Steinmeier ihn bei einem Cross-Rennen aufforderte, für eine falsche Dopingprobe zu sorgen. „Die Veranstaltung organisierte Stevens-Racing, offenbar übernahm Steinmeier bei den Heimrennen die Doping-Kontrolle oder organisierte sie zumindest. Steinmeier habe dann zu ihm gesagt: Wenn Jens Schwedler ,,pinkeln muss, dann machst du das, denn der ist bis unters Dach voll‘‘. “
Der Zeuge wandte sich eine Woche nach dem Vorfall Rat suchend an die Nationale Antidoping-Agentur NADA. „In seiner E-Mail vom 17.10.2005 schildert er den angeblichen Vorfall und seinen juristisch-moralischen Zwiespalt (,,…wusste nicht, an wen ich mich wenden sollte…; … ob ich rein juristisch gesehen irgendwelche Schritte ergreifen muss …?‘‘)“
Nachdem er nach zwei Monaten noch keine Antwort erhalten hatte, schrieb er erneut. Diesmal kam Antwort und Beratung. Er informierte auch die Hamburger Ärztekammer, sehr wohl im Bewusstsein, die ärztliche Schweigepflicht verletzt zu haben.
Steinmeier erklärte, er sei unschuldig. Er kenne zwar das Dopingproblem, hält z. B. 10 Prozent der Freizeit-Marathonläufer für gedopt, werde auch öfters von Sportlern entsprechend angesprochen, doch Doping gebe es bei ihm nicht. Auch die 3 Sportler leugnen gedopt zu haben.
Für Prof. Werner Franke war die Sache klar. Er stellte noch im Oktober 2006 in Hamburg Strafanzeige gegen Til Steinmeier ‚wg. Beihilfe zur Körperverletzung und zum Betrug an Krankenkassen sowie Verstoßes gegen das Arzneimittelgesetz‘. (SZ, 6.10.2006). Der Bund Deutscher Radfahrer (BDR) folgte wegen des Verdachts auf Verstoß gegen das Arzneimittelgesetz. (rad-net, 9.10.2006) Auch von der NADA und dem jungen Arzt gingen Anzeigen ein. Die Praxis, die Privatwohnung sowie das Auto des Arztes wurden daraufhin von Beamten durchsucht und Beweismittel sichergestellt, die fotografierten Patientendaten sollen sich als echt erwiesen haben. Die betroffenen gesetzlichen Krankenkassen prüften die Verschreibungen und stellten fest, dass diese nicht über sie abgerechnet worden waren sondern über Privatrezepte in den Apotheken direkt beglichen wurden – bei ernsthaft vorliegenden Krankheiten eher ein ungewöhnliches Verhalten.
Weitere Turbulenzen gab es um den deutschen Crossmeister Johannes Sickmüller aus dem Steven-Racing Team, der zu den unter Dopingverdacht geratenen Fahrern gehörte. Zum einen verpasste er Trainingskontrollen der NADA, zum anderen erbrachten Untersuchungen, dass seine bei der DM abgelieferte Urinprobe nicht von ihm stammen konnte, das Steroidprofil der Probe wich stark von dem des Fahrers ab. Der Verdacht einer Manipulation lag nahe. Der verantwortliche Arzt bei diesem Rennen war Dr. Till Steinmeier, der kurzfristig den vorgesehenen Anti-Doping-Arzt des Rennens ersetzt hatte. Zudem wurde Sickmüller vom stellvertretenden Sportlichen Leiter seines Teams bei der Kontrolle begleitet, was ein stark regelwidriges Verhaltenden darstellt. (rad-net, 13.10.2006). Gegen Sickmüller eröffnete der BDR ein Sportgerichtsverfahren. Gegen die beiden anderen Fahrer nicht, obwohl Rudolf Scharping, BDR-Präsident dies sofort nach Bekanntwerden der ersten Vorwürfe gegen Steinmeier verkündete:
„“Sie haben schließlich eine BDR-Lizenz. Das ist der Präzedenzfall nach unseren neuen Regeln, die seit dem 31. August gelten“, sagte Verbandspräsident Rudolf Scharping. „Wer unter hinreichendem Verdacht steht, den nehmen wir raus – auch ohne positive Probe.“ „“Es geht um die Glaubwürdigkeit des gesamten Radsports.“ (HA, 9.10.2006)
Dr. Til Steinmeier wurde im Juni 2008 laut Hamburger Abendblatt vom 27.6.2008 ein Strafbefehl über 300 Tagessätze à 130 Euro, gesamt 39 000 EURO zugestellt. Grundlage ist § 95, Absatz 2 des Arzneimittelgesetzes, der das Verschreiben und Anwenden von Arzneimitteln zu Dopingzwecken unter Strafe stellt. Steinmeier akzeptierte angeblich. Er selbst bestritt dies jedoch, er sei vollkommen unschuldig.
„Der Staatsanwalt hätte, so der Arzt, sehen müssen, dass ein Großteil der fraglichen Rezepte gar nicht von ihm unterschrieben worden sei. (…) Die ganze Diskussion sei hysterisch und überzogen. Schließlich sei Radcross eine echte Randsportart, die sonst nie im Fokus stehe – und Doping in seinen verschiedensten Ausprägungen in der gesamten Gesellschaft fest verankert. Auch Medikamenten-Doping gehöre inzwischen bei „Tausenden Hobbysportlern zum normalen Alltag.“
Unklar ist bislang zudem, ob die Hamburger Ärztekammer disziplinarische Schritte gegen Steinmeier geprüft hat, wie es angekündigt war. Ganz abgeschlossen war 2008 wohl die gesamte Affaire auch bei der Staatsanwaltschaft Hamburg noch nicht. „Die Staatsanwaltschaft ermittelt weiter gegen von Hacht, Sickmüller und den Ex-Teamchef Jens Schwedler wegen des Verdachts des Betruges durch Unterlassen.“ (HA, 27.6.2008, rad-net, 2.7.2008).
Auch die sportrechtliche Causa Sickmüller ging ungeklärt aus, die Sportgerichtsverfahren wurden eingestellt. Die verpassten Trainingskontrollen seien auf fehlerhafte Telefonnummern zurück zu führen und eine manipulierte Dopingprobe war nicht einwandfrei nachzuweisen. Von Seiten des Angeklagten wurde der Verdacht auf eine Verwechslung des Urins erhoben und da die B-Probe bereits vernichtet war (es lag keine positive Probe vor), waren klare Zuordnungen nicht mehr möglich. (Sickmüller, Meutgens, S. 26)
Offen war lange die Frage, ob die drei Fahrer des Cross-Teams ‚Stevens-Racing‘, die Patienten des Arztes, sportrechtlich belangt werden. Nach anfänglichen Schwierigkeiten der NADA mit dem Fall, forderte die Agentur nach Einsicht der staatsanwaltlichen Akten den BDR auf sportrechtlich tätig zu werden. Nachdem der BDR nicht reagierte, drohte die NADA Anfang Februar 2011 die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Am 18. Februar 2011 wurde dann bekannt, dass der BDR Dopingverfahren gegen die drei Sportler eingeleitet hat. (dradio, 17.10.2010, dradio, 6.2.2011, dradio, 18.2.2011)
Im Dezember 2011 lag allerdings immer noch keine Ergebnis vor (dradio, 1.12.2011). Im Januar 2012 wurde dann durch die Journalisten Anno Hecker und Ralf Meutgens bekannt, dass die Antidoping-Kommission des BDR zwar eine Bestrafung der drei Sportler gefordert hatte, aber dass das Bundessportschiedsgericht des BDR die drei Verfahren im Januar eingestellt hatte.
„In einem Fall reichte angeblich eine Tankquittung als Beleg für ausreichende Zweifel. Der Kassenbon soll beweisen, dass sich der befragte Radfahrer am Tag der Mittelvergabe an einem anderen Ort befunden hat.
Entscheidend aber war wieder eine Diskrepanz zwischen staatlichen und sportjuristischen Mitteln: Der Hauptbelastungszeuge der Staatsanwaltschaft weigerte sich, dem BDR zur Verfügung zu stehen. Eine schriftliche Anfrage hat er nie beantwortet. Wieder reichten allein die Erkenntnisse der Staatsanwaltschaft dem BDR nicht aus. Die Athleten gelten nun weiterhin als unschuldig.“ Die NADA akzeptierte allerdings diese Entscheidung nicht und reichte Klage beim Deutschen Schiedsgericht gegen die Urteile des BDR ein. (FAZ, 1.2.2012)
Am 16.10.2012 veröffentlichte Sportler Fabian Brzezinski auf seiner Homepage die Meldung, das von der NADA angestrengte Berufungsverfahren vor dem Deutschen Sportschiedsgericht wurde zu seinen Gunsten entschieden:
Die DIS fällt am 7.9.2012 folgenden Schiedsspruch:
„Das Rechtsmittel der NADA wird verworfen. Die NADA trägt die Kosten des Verfahrens.“ (Fabian Brzezinski, 16.10.2012)
Ende Februar 2013 sind alle Verfahren abgeschlossen. Das DIS stellte als letzte Instanz in diesen Fällen die Verfahren ein, es erklärte sich für nicht zuständig, die Athletenvereinbarung des BDR reiche nicht aus, „dem Sportschiedsgericht eine Klärung zu übertragen.“ * Es gab allerdings früher eine Entscheidung des DIS in einem anderen Verfahren, in der die Vereinbarung durchaus als ausreichend erkannt wurde (FAZ, 1.3.2013).
*Ab dem 16.4.2011 wurde laut Satzung das Ergebnismanagement in Dopingverfahren der NADA übertragen. Das DIS ist damit auch in erster Instanz für Doping-Vergehen zuständig. Eine entsprechende Schiedsvereinbarung muss jeder Lizenznehmer unterzeichnen.
Monika, Februar 2009