Interview: Prof. Dr. Dr. Perikles Simon: Gendoping, Prävention u.m.

Interview mit Prof. Dr. Dr. Perikles Simon

Monika, Dezember 2009

Prof. Dr. Dr. Perikles Simon

Institut für Sportwissenschaft
Abteilung Sportmedizin, Prävention und Rehabilitation
Johannes Gutenberg-Universität
55099 Mainz

Perikles Simon entwickelte an der Universität Tübingen gemeinsam mit Kollegen einen Gendoping-Test. Er ist zudem Mitautor von Studien über Dopingverhalten und Drogenkonsum im Fitnesssport und bei jungen Kaderathleten:

• Establishing a novel single-copy primer-internal intron-spanning PCR (spiPCR) procedure for the direct detection of gene doping
• Randomized response estimates for doping and illicit drug use in elite athletes
• Doping in fitness sports: estimated number of unreported cases and individual probability of doping

2009 das Gespräch –
von der Gentherapie zu Gendoping / Doping im Jugendbereich / Dopingprävention / Medizin und Sport

Im Interview angesprochene Punkte:

> Missbrauch Gendoping/Gendopingnachweis
> Studie Doping und Drogenkonsum bei D-Kader-Athleten
> Motivation und Dopinganfälligkeit
> Doping begünstigendes Umfeld
> die Rolle der Ärzte und der Medizin

PERSÖNLICHER WERDEGANG – VON DER MOLEKULARBIOLOGIE ZUR sPORTMEDIZIN

Möchten Sie etwas zu Ihrem Werdegang sagen? Sie forschten in der sog. roten Gentechnik (im Bereich der Medizin und Hirnforschung) und wechselten in die Sportmedizin. Das ist etwas ungewöhnlich.

Simon: Das geht zunächst auf mein privates Interesse am Sport zurück. Ich war in den Neurowissenschaften tätig und ein wenig ernüchtert, weil sich für mich immer mehr herausstellte, dass man in den Neurowissenschaften sehr weit von einem Verständnis des gesunden oder kranken Körpers entfernt ist.

Im Nervensystem und bei der Leistung des Gehirns ist uns vieles unklar. Wir wissen nicht wie die Gefühle, wie Gedanken entstehen und wie die einzelne Nervenzelle mit ihren Eigenschaften das große Ganze letztendlich bewirkt. Da sind wir z. B. im Vergleich zum Wissen über die Leberzelle und ihrer Kommunikation mit ihren Nachbarzellen und dem was die Leber als Funktion ausmacht, weit zurück.

Man muss das auch historisch sehen. Die Dekade des Gehirns wurde Ende der achtziger Jahre von Busch Senior ausgerufen als man gedacht hatte in zehn Jahren verstehen wir, warum der Mensch so oder so denkt. Doch man stellte schnell fest, dass es länger und länger dauern wird.

In der Sportmedizin sah ich Potential. Vor allem in dem Bereich, in dem versucht wird den gesunden Körper, seine Leistungsfähigkeit zu verstehen. Hier fehlen uns noch sehr viele Informationen, da die Sportmediziner wenig molekularbiologisch gearbeitet hatten, eher basisphysiologisch und das seit den fünfziger Jahren immer mit den gleichen Methoden.

Schon in Philadelphia, an der University of Pennsylvania, hatte ich zur somatischen Gentherapie tierexperimentell gearbeitet. In dieser Zeit, als die Gründerphantasie auch in der Gentherapie steckte, dachten wir, man könnte durch den Transfer einzelner Gene Nervenzellen im zentralen Nervensystem wieder zum Regenerieren bringen. Ich machte Experimente an der Netzhaut der Ratte. Technisch ist schon einiges zu bewerkstelligen, man kann zuverlässig Gene in Zellen einschleusen. Doch ich musste erleben, dass die effektivste Methode, die auch heute noch gerne verwandt wird, das adeno-assoziierte Virus (AAV), zwar technisch erfolgreich ist, aber im Körper eine Art Trotzreaktion hervorruft. So nach dem Motto, mit einem einzelnen Gen kannst du mich doch nicht übertölpeln oder versuchen einen pathologischen Zustand zu reparieren. Natürlich versucht das die Körperzelle auch und sie bedient sich dabei des gesamten Registers, das sie zur Verfügung hat. Und wenn sie sich dazu entscheidet zu scheitern und zugrunde zu gehen, muss ich nicht glauben, das notwendigerweise mit einem einzigen Gentransfer aufhalten zu können.

Damit macht man die Situation schlimmer, als sie es gewesen wäre ohne eingegriffen zu haben. Unspezifische Methoden, die einfach nur eine Entzündung setzen, für eine bessere Durchblutung sorgen und Hormone freisetzen, helfen dagegen teilweise. Das ist auch nicht verstanden. Wobei es in den letzten Monaten erste gentherapeutische Erfolge bei blinden Kindern gab, die wieder sehen können. Das ist alles komplex.

MISSBRAUCH GENDOPING

Simon: Deshalb hatte ich mit dem Gentransfer und diesen Experimenten abgeschlossen. Sie kamen aber wieder beim Thema Gendoping ins Spiel. Plötzlich hieß es, man missbrauche diese Technik der Gentherapie, in die ich ursprünglich sehr viele Hoffnungen gesetzt hatte, soziale Hoffnungen.

Ich war wirklich der Ansicht, wenn man nur einmal ein Gen vermitteln muss, könnten Krankheiten kostengünstig behandelt werden. Beispielsweise bei Diabetes, wenn die kontinuierliche Behandlung wegfiele und diese Behandlungsmöglichkeit irgendwann jedem zuteil werden könne. Während ich in der Medizin bei sehr vielen Entwicklungen, in der Verbesserung der Diagnostik bspw. mit Kernspintomografie und all den irren Geräten, die es jetzt gibt, immer wittere, dass wir in eine Zweiklassenmedizin steuern.

Und nun möchte man diese Technologie im Sinne von Gendoping missbrauchen. Dazu lässt sie sich auch besonders gut missbrauchen, denn der Gendoper will nur einen minimalen Effekt. Er will etwas mehr Hormon im Körper um leistungsfähiger zu sein. Das ist für so eine Technologie nicht besonders anspruchsvoll. Man missbraucht im Grunde eine ganz komplexe Technologie, die dafür gedacht war, komplizierte Dinge zu bewerkstelligen, um etwas sehr simples zu bewirken.

Wird die Technologie schon angewendet?

Simon: Ich befürchte es. Vielleicht nicht im Spitzensport, sondern eher im Bodybuilding. Da wo die Leute bekanntermaßen keine Risiken mehr scheuen.

Der Leistungssportler scheut zwar das Risiko auch wenig, das zeigen gute soziologische Studien aber er ist immer noch seiner Leistung gegenüber kritisch. Es gibt bisher wenig begründete Annahme dafür, dass der Gentransfer wesentlich effektiver wäre, als die Gabe von EPO der neuesten Generation, von Wachstumshormonen oder Testosteron/Epitestosteron-Gemischen in nicht nachweisbaren Dosen.

Aber in Bereichen, in denen sich der absolute Missbrauch durchgesetzt hat, befürchte ich, machen sie alles. Es ist z. B. bekannt, dass sie schon sehr früh in den achtziger Jahren Affenhypophysen-Flüssigkeit getrunken haben, in der Hoffnung die darin enthaltenen Wachstumshormone würden über den Magen ins Blut gelangen. Ich denke nicht, dass das wirkt, aber sie haben es getan und das zeigt schon, wie verrückt sie im Grunde sind.

ENTWICKLUNG EINES GENDOPING-TESTS

>>> Die Professoren Michael Bitzer und Perikles Simon, Tübingen und Mainz, stellten Anfang September 2010 den von ihnen entwickelten Gendoping-Bluttest vor, mit dem Gendoping verschiedener Gene über einen längeren Zeitraum hin nachweisbar wird:
idw: Gendoping mit einfachem Bluttest nachweisbar

Vom Gendopingnachweis zur Darmkrebsdiagnostik
Zu Gendoping wird schon lange geforscht, meist ging es dabei um Nachweisverfahren. An der Universität Mainz gelang es, den oben genannten Gendopingtest in einen Test auf die häufigsten Krebsmutationen bei Darmkrebs zu verändern. Damit dürfte es möglich sein, wesentlich feiner und einfacher Darmkrebsvarianten nachzuweisen und gezielt zu therapieren. Interessant in diesem Zusammenhang ist, die Mainzer Wissenschaftler können aufzeigen, dass Sport, am besten eine gezielte Sporttherapie in Verbindung mit operativen Methoden, die Heilungschancen erheblich verbessern.

Sie haben an der Universität Tübingen gemeinsam mit Kollegen einen Gendopingtest, einen Bluttest, entwickelt. Wie weit sind sie mit dem Test?

Simon: Es sieht viel versprechend aus. Wir müssen noch einige Test-Wiederholungen unter Feldtest-Bedingungen machen, auch in anderen Laboratorien.

D. h. wir müssen Leuten unter normalen Bedingungen, z. B. wie vor oder nach dem Wettkampf, Blut abnehmen, dieses zum Labor bringen, aufreinigen und analysieren. Wir nehmen Hobbysportler, von denen wir sagen, da macht Gentransfer absolut keinen Sinn. Studienteilnehmer an gentherapeutischen Studien schließen wir natürlich aus. Von diesen Teilnehmern, selbst wenn es 500 sind, darf keine einzige Probe falsch positiv werden.

Nun haben Sie keine Probanten, die gedopt wären. Wie überprüfen sie dies?

Simon: Das wäre die Frage nach der Sensitivität des Tests, die Frage ob wir denn jemand Gedopten auch sicher als solchen erkennen.

Drei Möglichkeiten gibt es hier für uns. Zu der ersten, der einfachsten, haben wir schon publiziert.

Einer Blutprobe gibt man definierte Mengen an Erbsubstanz, die z. B. im Rahmen dieses Gentransfers verabreicht wird, hinzu. Oder wir fügen dieser Blutprobe Zellen hinzu, die diesen Gentransfer hatten. Das können wir genau definieren. Oder ich gebe zu einer bestimmten Menge an Erbsubstanz zwei, drei Moleküle dazu, die wir detektieren müssen. So können wir herausfinden, wie präzise unserer Methode arbeitet. Wir haben uns in erster Linie auf die Zellen/Moleküle konzentriert, die ein Gendoper typischerweise verwenden würde. Er würde z. B. IGF-1 und EPO als Gen nehmen und noch ein paar weitere, die ich jetzt nicht nennen möchte. Aber wir haben uns Mühe gegeben, eine ganze Palette nachweisen zu können, denn wir wollen mit einer das Problem erschlagenden Substanzen-Menge an den Start gehen. Wir haben gezeigt, dass das technisch kein Problem ist, dass man, wenn man hohe Mengen an Erbsubstanz hat, weil man eine ganze Blutprobe aufgereinigt hat, im wahrsten Sinne des Wortes die Stecknadel im Heuhaufen findet.

as besondere an unserer analytisch nicht ganz einfachen Methode ist, dass wir nach etwas nicht Vorhandenem suchen. Wir suchen die fehlenden Introns, die bei Genen typischerweise vorhanden sind. Wenn wir natürliche Gene im Körper betrachten, gibt es nicht nur Bausteine, die dazu dienen, das Protein zu generieren oder das Protein zu kodieren, sondern es gibt dazwischen immer Elemente, die eine Art übergeordneten größeren Bauplan enthalten, den wir noch nicht verstehen. Diese Introns werden aus technischen Gründen weggelassen wenn man Gentransfer macht, wenn man Gendoping betreiben würde. Das heißt, wir müssen deren Fehlen nachweisen. Deshalb mussten wir ein etwas spezielleres Verfahren entwickeln und haben dafür bereits zwei Patentschriften eingereicht. Diese sind noch nicht bewilligt aber wir sind optimistisch, dass das bald erfolgen wird. Und wir haben die Patente der Welt-Andidoping-Agentur zur Verfügung gestellt. Sie muss dafür nichts zahlen hat aber die Berechtigung, damit Gendoping im Sport nachzuweisen.

Mein besonderes Interesse ist herauszufinden, ob man dieses Verfahren generell in der Diagnostik einsetzen kann. Denkbar ist, damit nachzusehen, wie stark z. B. Saatgut mit gentechnisch hergestelltem Saatgut verunreinigt ist. Man könnte auch überprüfen, ob eine Milch zu einem bestimmten Anteil von einer Kuh stammt, die einen mutierten Hintergrund hat. So habe ich ein bisschen Hoffnung, dass man unsere Methode irgendwann sowohl in der grünen als auch in der roten Gentechnologie verwenden kann.

Es gibt noch andere Gentest-Entwicklungen. So zum Beispiel in Köln. Sehen Sie darin eine Konkurrenz oder ergänzen sich die Methoden?

Simon: Wir haben im Moment noch einen sehr weiten Begriff von Gendoping. Die Kölner können die körperfremde Substanz GW1516, die leicht harngängig ist, nachweisen. Es ist ein Pharmakon klassischer Art, welches eine physiologische Wirkung im Körper hervorruft und die Genexpression im Körper verändert wie es z. B. auch durch das Trinken von Kaffee geschieht. Heute kann man das messen und misst für jedes neue Medikament, das auf den Markt kommt, die Genaktivität. Bei sehr vielen Medikamenten stellt man fest, dass Gene angesprochen werden, die potentiell einen Leistung steigernden Effekt bewirken können. Das ist bei GW1516 der Fall. Es handelt sich hier nach meinem Dafürhalten nicht um eine Gendopingsubstanz.

Wenn es um ein Nachweisverfahren geht, das wirklich genetische Veränderungen im Körper detektieren kann, sind wir relativ konkurrenzlos. Es gibt noch eine Arbeitsgruppe in Frankreich, die an einem ähnlich viel versprechenden Verfahren wie wir arbeitet. Da ist allerdings nicht klar, inwieweit sie unsere Methode verwenden. Die französische Arbeitsgruppe hat den großen Vorteil, dass sie extrem erfahren ist und schon Affen mit gentherapeutischen Verfahren, z. B. mit EPO-Gentransfer, behandelt hat. Sie sind, was das Überprüfen einer Methode angeht, aufgrund dieser experimentellen Sachlage sicher deutlich schneller als wir. Wir müssen damit rechnen, dass sie uns eventuell überholen. Aber gut, das ist jetzt für mich nicht sehr schlimm. Ich kann mir vorstellen etwas anderes als unbedingt Gendoping nachzuweisen. Hauptsache ist, es macht jemand.

PRAXISEINSATZ DES GENDOPINGS

Perikles Simon legte im November 2010 dem Sportausschuss des Deutschen Bundestages Thesen zur gegenwärtigen und einer möglichen zukünftigen generellen Kontrollpraxis im Antidopingkampf vor.
Damit stieß er einen kontroverserse Diskussion an:
>>> Simon: Faktenauflistung…

t-online, 10.3.2011:
„Um die Praxisreife zu erlangen müssen andere Labore auf aller Welt in der Lage sein, den Test sowohl nachzuvollziehen als auch Proben analysieren zu können. Das kann noch ein bisschen dauern, ich bin aber zuversichtlich für künftige sportliche Großereignisse.
Können Sie den zeitlichen Rahmen quantifizieren, zum Beispiel im Hinblick auf Olympia 2012 in London?
Weltweit forschen nur drei Labore an diesem oder ähnlichen Nachweisverfahren. Ich denke aber, dass der Schritt zur Praxisreife zu dritt schnell gegangen werden kann, etwa in wenigen Monaten bis hin zu ein oder zwei Jahren. Der zeitliche Rahmen hängt natürlich auch davon ab, wie die finanzielle Unterstützung ist.“

Wie teuer wäre so ein Test? Und wann soll er eingesetzt werden? Routinemäßig oder gezielt bei Verdachtsmomenten?

Simon: Er wird hoffentlich leicht einsatzbereit sein, denn er ist nicht teuer. Wahrscheinlich werden die Kosten nicht höher liegen als die eines normalen EPO-Nachweises.

Allerdings würden wir das Verfahren am liebsten nur bei Verdachtmomenten einsetzen. Z. B. wenn man anhand von indirekten Nachweisverfahren das Gefühl hat, jemand verbessert seine Sauerstoffaufnahme, findet aber außer Auffälligkeiten im Blutprofil nichts Weiteres und weiß nicht, welche Substanz er hinzugefügt hat. Hier besteht ein gewisses Risiko eines Gentransfers. In solch einem Fall würden wir die Probe gerne mit unserem Verfahren analysieren. Da wäre es sinnvoll.

Denn auch wenn wir jetzt 500 unauffällige Leute durchtesten und nachweisen können, dass kein einziger falsch positiv wurde, unsere Spezifität damit relativ hoch bei über 99,9% liegt, schließt das Fehler nicht aus. Obwohl die Wahrscheinlichkeit eines falsch positiven Tests mit A- und B-Probe sehr gering ist, meine ich, dass man in diesem Bereich nicht stigmatisieren sollte, wenn man sich nicht ganz sicher ist.

STUDIE DOPING UND DROGENKONSUM BEI D-KADER-ATHLETEN

2009 veröffentlichten Sie (Heiko Striegel, Rolf Ulrich, Perikles Simon) eine Studie, die Sie mit jungen Kaderathleten (Durchschnittsalter 16 Jahre) aus 43 verschiedenen Sportarten durchgeführt haben. Danach hatten bereits 6,8% zu Dopingsubstanzen gegriffen.

Haben Sie auch danach gefragt, was für Mittel das waren und wie es dazu kam?

Simon: Das war nicht möglich bzw. wäre mit nur sehr viel Aufwand verbunden gewesen. Vielleicht können wir noch einiges im Nachgang erledigen.

Das lag an der Methode, die wir verwendet haben, der randomized response technique. Sie sichert maximale Anonymität zu, ermöglicht aber in jedem Frage-Durchgang nur eine Frage. Einer Frage, die heikel ist wird eine harmlose Frage gegenüber gestellt. Es handelt sich um Ja/Nein-Antworten. Mit dieser Methode können Sie ziemlich genau ausrechnen, wie stark die heikle Frage bejaht wurde.

Wenn wir im Einzelnen wissen wollten, was genommen wird, müssten wir gezielt nach den Substanzen fragen und das durchgängig.

Wir haben in diesem Zusammenhang lieber zusätzlich nach illegalen Drogen gefragt. Ob sie z. B., Haschisch/Marihuana und Kokain genommen haben. Die gefundenen Zahlen lagen allerdings deutlich niedriger, als die Zahlen, die wir z.B. aus dem Fitness-Sport-Bereich kennen. Es ist also keineswegs so, dass unsere Kaderathleten große Drogenkonsumenten wären, sondern sie griffen ganz spezifisch nach Leistung steigernden Substanzen.

die Studie: Heiko Striegel, Rolf Ulrich, Perikles Simon: Randomized response estimates for doping and illicit drug use in elite athletes

An anderer Stelle erwähnten Sie, ein amerikanischer Gutachter meinte vor der Veröffentlichung der Studienresultate, die Zahl der zu Dopingmitteln greifenden Jugendlichen sei zu gering. Wie beurteilen Sie die Zahlen?

Simon: Ich glaube auch, dass die Zahl einen Tick zu niedrig ist, aber nicht viel, nicht in diesem Klientel der 16jährigen. Man muss immer bedenken, die Versorgung mit den Substanzen erfüllt Straftatbestände. Derjenige, der es ihnen gibt, ist im Grunde ein Straftäter. Und dieser kennt das Risiko ziemlich sicher, vor allem durch den Fall Springstein. Ich gehe davon aus, dass wir in etwa bei 10 Prozent liegen.

Ich finde diesen Anteil in diesem jungen Alter sehr hoch.

Simon: Das finde ich auch. Doch Eike Emrich und Kollegen kommen zu einem ähnlichen Studienergebnis wie wir.

Sie fanden unter ihren befragten Kaderathleten 10 %, die Doping zugaben. Zusätzlich errechneten sie, das ist anders bei uns, eine Quote sog. Cheater von 30 %. Das sind nach deren Auffassung Leute, die zwar dopen aber sich unehrlich geäußert haben. Dazu bestimmte die Arbeitsgruppe Grundannahmen, die allerdings subjektiv sind. So dass ich sagen muss, ich glaube dieser Cheater-Quote von 30 % nicht. Das hat aber nichts mit deren Ergebnis zu tun, das ganz dicht bei unserem liegt. Da sind wir uns einig. Wir könnten die gleiche Cheater-Quote berechnen, wenn wir deren Grundannahmen übernähmen, aber das macht keinen Sinn.

Zu dem von Ihnen erwähnten amerikanische Fachgutachter, möchte ich sagen, dass man in den USA zum Vergleich sehr häufig den Fitnesssport heran zieht. Hier liegt die Abuser-Quote schon bei 15% und mehr, also meint man, es müssten im Leistungssport noch mehr sein. Das ist aber nicht notwendigerweise so. Im Fitnesssport hat man im Grunde, im Gegensatz zum Leistungssport, durch eine Einnahme verbotener Mittel nichts zu befürchten. Das sind unterschiedliche Ausgangssituationen. Zudem sind die Leistungssportler, die wir untersucht haben, im Schnitt viel jünger. Mit den 10 Prozent oder 7%, die wir hatten, waren wir schon schockiert genug.

Sie erwähnten eine Fortsetzung der Studie. Machen Sie weiter?

Simon: Wir überlegen das. Wir müssen uns vorher nur noch die kritische Frage stellen, was passiert, wenn man so ein Verfahren mehrfach in der gleichen Population anwendet. Gibt es eine Art Abstumpfung oder sogar einen Trend zum Under-reporting, weil die Teilnehmer eventuell durch die Presse oder Medien von den Ergebnissen gehört haben, dass es plötzlich heißt 10 oder 7 Prozent der Nachwuchsathleten dopen? Wenn sie das aber als Gruppe nicht wollen, sich gruppenzugehörig fühlen, geben sie vielleicht nichts mehr zu. Das ist jetzt ein wenig unsere Angst. Wir müssen daher sehr vernünftig vorgehen und uns darüber Gedanken machen, bevor wir jetzt zu viele Studien nach schalten.

Interessant fände ich in diesem Zusammenhang was an sonstigen Substanzen, an nicht auf der Dopingliste stehenden Mitteln konsumiert wird. Gerade in der Prävention wird die Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln kritisch gesehen.

Simon: Wir haben herausgefunden, dass 70 % der Befragten Nahrungsergänzungsmittel einnehmen.

Ich selbst habe tatsächlich immer jedem Kader-Athlet von der Einnahme der Nahrungsergänzungsmittel abgeraten. Aber das bringt in Teilen nichts mehr. Die jungen Sportler bekommen sie teilweise sogar vom Bundestrainer empfohlen. Von Gewichthebern habe ich gehört, dass ein Landestrainer zu einem Lehrgang ganze Pakete mitbrachte und diese dort verkaufte.

DROGENKONSUM BEI KADERATHLETEN UND IM FITNESSBEREICH

Sie hatten auch nach dem Konsum von Drogen gefragt und festgestellt, dass die entsprechende Konsumrate geringer ist, als im Fitnessbereich. Zahlen aus dem Fitnessbereich besagen, dass hier die Konsumrate der illegalen Drogen höher ist als die der Dopingmedikamente.

Simon: Richtig, wobei die illegalen Drogen im Fitnessbereich Haschisch / Marihuana im Grunde den Löwenanteil ausmachen. Und die sind auch in der Bevölkerung extrem weit verbreitet. Man muss davon ausgehen, dass in der jüngeren Bevölkerung wahrscheinlich bereits jeder/jede dritte schon einmal Haschisch/Marihuana zugeführt hat.

Gibt es ein Bewusstsein für das Verbot dieser Drogen auch als Dopingmittel? Von einigen Sportarten wie bspw. dem Basketball ist bekannt, dass der Cannabiskonsum Alltag ist.

Simon: Ich denke schon, dass in einigen Sportarten, die viel mit einem bestimmten Lifestyle zu tun haben, die Quote hoch ist. Ich kann mir auch vorstellen, dass der eine oder andere positiv getestete Leistungssportler durch den sog. Passivkonsum oder einen unbeabsichtigten Konsum ein Problem bekam, weil Haschisch/Marihuana über Monate nachweisbar ist. Allerdings ist diese Droge ganz eindeutig Leistung hemmend. Nach meinem Dafürhalten gehört sie nicht auf eine Dopingliste. Sie ist sicherlich keine Substanz bei der für irgendeine Sportart gezeigt worden wäre, dass sie sich Leistung steigernd auswirken kann. Auf der Dopingliste steht sie vor allem aus disziplinarischen Gründen.

Wir haben aus Interviews erfahren (nicht bezogen auf die zitierte Studie), dass sich Kaderathleten wider Erwarten zu einem hohen Prozentsatz zu dem Konsum von Haschisch/Marihuana bekennen. Das ist bei Fitnessstudio-Besuchern nicht der Fall. Diese wissen viel mehr, dass sie damit in einem Bereich liegen, der Richtung Kriminalisierung geht, der bei entsprechend hoher bei ihnen gefundener Menge von der Justiz verfolgt werden kann.

Kaderathleten geben den Konsum extrem gerne zu. Der Grund ist, dass sie eine Art Gegenpol zu denen bilden wollen, die Leistung steigernde Substanzen nehmen. Nach dem Motto, schaut her, ich nehme sogar Leistung hemmende Substanzen, ich nehme auf gar keinen Fall Leistung steigernde Substanzen. Wenn Sie so wollen, ist das eine Art Gegentrend.

Bestimmte Sportarten können sich das erlauben, wie etwa Trickskifahren, eher künstlerische Sportarten, bei denen das körperliche Doping keine so große Rolle spielen mag. Und diese Sportler sind teilweise auch von ihrer Psyche so ausgeprägt, dass sie die anderen Sportarten für die Dominanz des körperlichen Anteils und des damit verbundene Dopings verachten. D.h. ich bin durchaus jemand, der den Drogenkonsum in diesem Bereich nicht über einen Kamm scheren würde. Da gibt es extreme Unterschiede.

Kokain wiederum ist eine eindeutig Leistung steigernde Substanz. Sie steht mit Recht auf der Dopingliste. Sie ist gleichzeitig eine Dopingsubstanz. Das gilt auch für die Substanzen, die wir aus dem Partybereich kennen, wie z. B. die Amphetamine. Man denke an Jan Ullrich. Es ist gut vorstellbar, dass er die Amphetamine lediglich aufgrund einer Party eingenommen hat. Aber er hat sich eben nicht die Leistung hemmende Substanz Marihuana zugeführt, sondern die Leistung steigernde Substanz.

Das Drogenkonsumverhalten ist ein interessanter Aspekt unter den Leistungssportlern.

MOTIVATION UND DOPINGANFÄLLIGKEIT

Ich habe hier zwei Zitate von Ihnen:

„Ich denke, dass der Athlet eher von seinem Umfeld zum Doping gebracht wird. Ein Athlet ist fasziniert von seinem eigenen Körper und seiner Leistungsfähigkeit. Es ist also die größte Demütigung, wenn er zu Dopingmitteln greift. In diesem Moment gibt er so viel von sich auf, er muss sich eingestehen, dass er von sich aus nicht mehr der Beste sein kann.“

„Einem Leistungssportler geht es mehr um die eigene Leistungsfähigkeit. Bei vielen Breitensportlern geht es nur darum, schneller zu sein als der Nachbar oder eine bestimmte Distanz in einer gewissen Zeit zu schaffen.“

Diese Aussage habe ich bislang meist umgekehrt gelesen.

Simon: Man muss es immer relativ sehen. Warum betreibt der Leistungssportler den Sport? Man kann sagen, er will Weltmeister werden. Das ist aber nicht die primäre Motivation. Weltmeister zu werden ist ein Gedanke, der sicherlich aufkommt, wenn man sich bereits auf Spitzenniveau bewegt. Aber der Leistungssportler ist intrinsisch motiviert. Er will seine Leistungsfähigkeit steigern, immer weiter steigern, das denkbar Beste abliefern.

Ich sehe das motivations-psychologisch. Zugrunde liegt der Ansatz extrinsischer und intrinsischer Motivation, wobei die intrinsische Motivation die extrem effektive ist. Denn sie lässt harte Entbehrung ertragen und überstehen und schafft die Möglichkeiten extreme Leistung abzuliefern. Die Leistungssportler, die sich im Spitzenbereich sammeln, sie haben diesen Aspekt, sie müssen den haben. Sonst könnten sie nicht so gut sein, wie sie sind. Wobei der intrinsisch motivierte darüber hinaus natürlich auch noch extrinsisch angeregt sein kann.

Solch ein Mensch kann an einen Punkt gelangen, an dem er sagt, ich schaffe es nicht mehr aus eigener Kraft. Ich weiß die anderen manipulieren, jetzt fange ich auch damit an. Das ist eigentlich ein schlimmer Punkt. Sehr oft wird dieser Punkt von einem Leistungssportler mit erheblicher Leistungsfähigkeit dann realisiert, wenn er sich in einer sehr schwierigen Situation befindet.

Ein gutes Beispiel dafür ist die österreichische Triathletin Lisa Hütthaler, die genau beschrieben hat, wie sie zum Doping gekommen ist. Schon in einer Hobbytrainingsgruppe hatte sie um sich herum ständiges Doping erlebt, auch bei ihrem damaligen Lebensgefährten. Sie selber war im Vergleich zu dieser Gruppe wesentlich leistungsfähiger, konnte immer mithalten und hatte sich über Jahre hinweg vom Doping ferngehalten. Sie fing erst damit an, als sie begann zu leiden, wesentlich später als die Hobbysportler.

DOPING BEGÜNSTIGENDES UMFELD

Was ist mit den Jugendlichen, die schon früh auf Leistung getrimmt, die sich schon früh harten Konkurrenzsituationen stellen müssen? Ihre Untersuchung zeigt, dass Jugendliche ziemlich häufig nach Hilfsmitteln greifen. Was ist mit deren Motivation?

Simon: Man muss zum einen bedenken, dass sich diese jugendlichen Leistungssportler schon jahrelang vor der Substanzeinnahme im Leistungssport bewegt haben und zum anderen, wie kriminell u. U. das Umfeld dieser Jugendlichen Leistungssportler ist.

Ein sehr gutes Beispiel ist dafür Thomas Springstein. Bekannter Maßen hat er ziemlich sicher versucht die Proben von Katrin Krabbe und Grit Breuer zu manipulieren bzw. dafür technisches Know-how geliefert. Trotzdem wurde er 2002 Trainer des Jahres. Wenig später wurde er verurteilt, weil er versucht hatte, die minderjährige Ann-Katrin Elbe zu dopen. Wenn jemand mit soviel krimineller Energie immer wieder Bestätigung erfährt und das Ganze ausbauen kann, so dass er bereits Minderjährige mit verbotenen Mitteln behandelt, kann man davon ausgehen, dass ein kriminelles Umfeld existiert und so wundert es mich nicht, dass man Minderjährige zum Dopen bekommt.

Wenn man sieht, was Minderjährige, die in schwierigen Lebenssituationen stecken, für Unsinn machen oder was wir selber damals für Unsinn gemacht haben, ist das auch verständlich. Deshalb würde ich nicht sagen, meine Äußerung zur intrinsischen Motivation stimmt nicht. Es ist nur wieder ein Stück weit relativ.

Perikles Simon:
„Ich glaube, dass wir den Sport wesentlich dopingfreier halten können, wenn man da im Umfeld das Bewusstsein ändert und dass dann ganz klar durch eine Bestrafung. Dass ganz klar ist, wenn eben die Verbände es nicht schaffen, dass ihre Athleten sauber bleiben, dass sie entsprechend bestraft werden, dass Mittel gekürzt werden, dass Bundestrainer entlassen werden. Warum soll denn ein Bundestrainer nicht feststellen, wenn sein Athlet nun innerhalb von sechs Wochen 15% leistungsfähiger ist und es dafür eigentlich aus trainingsphysiologischer Sicht keinen guten Grund gibt. Warum soll er das nicht feststellen können? Das ist doch unrealistisch. Ein Bundestrainer, der genau dafür angestellt ist, es ganz exakt zu betrachten, der muss das wissen, ob seine Athleten dopen oder nicht. Und da hätte man extrem gute Ansatzmöglichkeiten.“
(dradio, 20.12.2009)

Perikles Simon:
„Für mich ist es nicht realistisch, dass ein Bundestrainer nicht weiß, ob sein Athlet dopt oder nicht. Es wäre schlimm, wenn er es nicht wüsste, denn dann wäre er komplett imkompetent“.

„Ein gedopter Athlet kann Umfänge trainieren, die ein nicht gedopter Sportler nicht trainieren kann. Auch Sportmediziner und Funktionäre wissen Bescheid“, sagte Simon und forderte eine „Ächtung des inkompetenten Umfelds“ statt der „medialen Ächtung der Gedopten. Die Sportler sind die Armen, die es zu schützen gilt.“ Statt einer Kopplung der Steuergelder an die Medaillengewinne, sollten die finanziellen Leistungen an die Dopingvergehen gekoppelt werden.
(sid, 24.11.2009)

Mein Schwerpunkt liegt eigentlich auf dem Umfeld der Sportlerinnen und Sportler. Ich erlebe das Umfeld von Athleten immer wieder als extrem kritisch. Der Leistungssportler bräuchte eigentlich ein ganz klares, glattes Umfeld, dessen Positionen eindeutig sind.

Was findet er? Er findet Trainer wie Thomas Springstein, er findet Trainer, Bundestrainer, die selbst wegen Steroid-Konsums gesperrt waren oder er findet ein Umfeld, in dem Ärzte tätig waren wie Georg Huber, der zwölf mal als Olympiaarzt aktiv war. Natürlich sprechen sich solche Ärzte unter den Athleten herum. Wenn der Herr Huber einem Sportler Andriol und eine Testosteronspritze gibt, dann landet diese Information auch beim nächsten. Da darf man sich nichts vormachen. Und so ein Umfeld ist für einen Leistungssportler eine arge Zumutung. Das kann er nicht verkraften. Denn er erlebt immer wieder, dass die Konkurrenz einen unsauberen Vorteil hat. Wie will man denn als Leistungssportler mit dieser Information umgehen?

Und wie will man damit umgehen, dass Verbände ganz offensichtlich nicht bereit und nicht in der Lage sind klare Signale zu setzen? Sie verlangen von den Athleten ethische Höchstleistungen. Er soll auf jeden Fall sauber bleiben. Und dass unter der Bedingung, dass er gleichzeitig physische Höchstleistung bringt. An sich selbst legt der Verband keine ethischen Maßstäbe an. Wenn er undifferenziert sagt, ich beschäftige Trainer, die selbst gesperrt waren oder ich beschäftige Trainer, die bekanntermaßen schon jemanden gedopt hatten, dann ist das extrem kritisch. Es kann, wenn man es zu Ende denkt, nur dazu führen, dass der Athlet auch anfängt zu dopen. Der Druck wirkt sich auf das ganze Athletenleben aus. Es kann für den Sportler Existenz bedrohend werden, wenn er sich auch noch eingestehen muss, dass er beruflich alles vernachlässigt hat.

Wie könnte sich etwas ändern?

Simon: Ich sage, es gibt nur noch einen Ansatzpunkt. Die Geldervergabe durch das Ministerium des Inneren muss neu gestaltet werden. Sie müssen ein sinnvolles Modell entwickeln, in dem geregelt wird, ab wann ein Verband kein Geld mehr bekommt, ab wann er offensichtlich seine Sorgfaltspflicht im Bereich des dopingfreien Sports nicht gut genug umsetzt. Meiner Meinung nach kommt der Staat darum nicht herum. Es gibt für die Verbände überhaupt keinen Grund, freiwillig scharfe Kriterien umzusetzen. Veränderungen wird es nur geben, wenn an die hohen Geldzuwendungen des Bundes konkrete Bedingungen geknüpft sind. Die Politiker sind aber, wenn man mit ihnen im Sportausschuss spricht, ganz überwiegend der Meinung, dass man das nicht machen sollte. Da bin ich ernüchtert.

DOPINGPRÄVENTION

Simon: Ich würde sagen, es gibt keine Möglichkeit zur Strukturprävention und darüber hinaus gibt es im Spitzensport auch keine Prävention durch Bildungsmaßnahmen oder Aufklärungsmaßnahmen oder sonstiges.

Das darf allerdings nicht falsch verstanden werden. Ich meine, es gibt für diesen Spitzensport tatsächlich keine Prävention. Es sei denn, es läuft über die Aufdeckung der Hinterleute und man geht entsprechend knallhart vor. Aber wenn die Bereitschaft, also die Struktur, nicht gegeben ist um Prävention betreiben zu können, dann muss ich auch nicht versuchen Präventionsmaßnahmen als Täuschungsmanöver daraufzusetzen.

Entscheidend wäre die Prävention für den Nachwuchs- und für den Freizeit- und Breitensport. Hier muss man ansetzen und schon in der Erziehung der Kinder und Jugendlichen Präventivmaßnahmen anwenden. Das gilt unbedingt auch noch bei unseren D-Kader-Athleten. Denn immerhin, wenn unsere Ergebnis stimmen, greifen noch weite Teile der D-Kader-Athleten nicht zu Leistung steigernden Substanzen – diese muss man unbedingt schützen. Ich gehe auch davon aus, dass selbst Maßnahmen, die über die schädigenden Wirkungen der Dopingsubstanzen aufklären, in diesem Bereich noch effektiv sind.

Es ist zudem so, dass man im Nachwuchsbereich noch Strukturprävention betreiben kann, denn dieser Bereich ist für die Leute, ich sage mal, die als schwarze Schafe im System arbeiten, nicht sehr interessant. Hier stehen sie nicht schillernd an vorderster Front und heimsen Medaillen ein. Und irgendwann könnte so über den hoffentlich sauberen Nachwuchsbereich auch der Erwachsenenbereich besser und etwas sauberer werden. Aber das ist dann ein sehr langer Weg.

Für den Spitzensportbereich, ab einem gewissen Alter, bin ich komplett desillusioniert. Hier Präventionsgedanken und -projekte einzubringen, dient für mich mehr der Wahrung des Scheins. Man bemüht sich, man tut etwas, ohne tatsächlich eine Wirkung herbeiführen zu können. Das finde ich besonders schlimm. Eben deshalb wäre es für mich eine große Erleichterung, wenn man sich auch unter den Antidoping-Kämpfern, unter den Doping-Präventionsleuten darüber verständigen könnte, in welchem Bereich man überhaupt noch bereit ist, mit den Verbänden zusammen zu arbeiten.

Arbeiten Sie persönlich mit jungen Sportlern?

Simon: Früher habe ich recht viel gemacht, auch Kaderuntersuchungen, momentan aber wenig. Wir haben jetzt begonnen, den Landesportbund und Vereine anzusprechen, weil wir, meine Mitarbeiter und ich, uns wieder in diesem Jugendbereich engagieren wollen. Da sehe ich gute Möglichkeiten, die Athleten auch auf kritische Situationen, die eventuell einmal kommen, vorbereiten zu können. Z. B. dass sie darauf angesprochen werden, ob sie nicht Dopingsubstanzen zuführen wollen. Sie sollten die Nebenwirkungen vorher kennen und sich vorher psychisch schon einmal damit befasst haben, was es denn bedeuten würde, wenn sie anfangen zu dopen – dass es dann eigentlich ab dem Moment, wo sie es tun, keinen Weg mehr zurückgibt. Das sind, glaube ich, Informationen, die ein junger Mensch, wenn er anfängt zu dopen, noch nicht durchdacht hat und die dann präventiv wirken können.

DIE ROLLE DER ÄRZTE UND DER MEDIEN

Simon: Ich bin auch überzeugt davon, dass wir bei Ärzten viel mit Präventionsmaßnahen erreichen können. Warum soll ein Arzt überhaupt anfangen jemanden zu dopen? Den Ärzten geht es als Berufsschicht in unserer Gesellschaft nicht gerade schlecht. Es gibt wirklich keinen guten Grund, weshalb ein Arzt anfangen sollte aus Eigeninteresse jemanden zu dopen. Auch Ärzte rutschen da oft unbeabsichtigt hinein.

Das wurde in der Doktorarbeit von Mischa Kläber für den Fitness-Bereich sehr schön beschrieben. (Arbeit M. Kläber)

Er zeigt, dass es bei vielen Ärzten damit anfängt, dass sie sich zu einer Maßnahme breit schlagen lassen, die nicht unbedingt ärztlich indiziert gewesen wäre und ab da werden sie förmlich von einem Umfeld dieser Person erpresst und geraten immer tiefer in das System. Auch da gibt es klassischerweise eineb Einstieg in die Karriere als dopenden Arzt und man kann sicherlich durch Aufklärung einiges dafür tun, dass dies nicht geschieht.

Aber viele vehemente Befürworter der Dopingfreigabe kamen und kommen aus der Ärzteschaft.

Perikles Simon:
„Es ist z. B. beim Radsport so. Wenn jetzt da Kollegen aus der Sportmedizin das engmaschig kontrolliert haben, und dann sagen ich bin überrascht, dass da einer sich gedopt hat. Alle hatten es befürchtet. Die Leistungsdaten haben es zeigen müssen. Das ist nicht so, dass sie jetzt ein EPO-Doping da nicht bemerken würden, das schlägt sich schon deutlich in Leistungsschwankungen nieder. Die liegen in einem Bereich wie wir es bei Totkranken haben. Also [… bei Leuten] die vorher noch fit waren und plötzlich totkrank werden. Da können sie dann nicht sagen, also ich wusste das nicht so genau oder so. Da müssen sie an der Stelle einfach nachhaken. Und wenn sie das Gefühl haben, dass es mit ihrem ärztlichen Ethos auch nicht zu vereinbaren ist, dass sie die Betreuung da machen, dann hören sie halt um Himmels willen auch auf mit der Betreuung. Aber dann im Nachhinein zu sagen, ich habe es nicht gewusst oder das war mir nicht klar, das halte ich nun für extrem fadenscheinig und zu durchsichtig.“ (dradio, 20.12.2009)

Simon: Argumentiert wird häufig, man müsse unbedingt etwas geben, damit die Strapazen besser zu überstehen seien. Diese Argumentation finde ich sehr merkwürdig. Der Spitzensport ist natürlich mit Strapazen verbunden, er wird es immer sein. Er wird es auch dann sein, wenn jemand sich Dopingsubstanzen zuführt. Nur finden die Strapazen dann noch einmal auf einem anderen Geschwindigkeitsniveau oder einem anderen Leistungsniveau statt und sind für den Körper entsprechend schädigender.

Die Ärzte, die behaupten, man müsste Athleten dopen, sie nennen es substituieren, damit diese gesund ihren Sport betreiben können, irren. Ein Athlet begnügt sich nicht damit, die Leistung auf dem Niveau zu erbringen, das er gehabt hätte ohne zu dopen sondern er erbringt sie auf einem neuen Niveau. Dementsprechend sind die schädigenden Kräfte, die auf den Sportler wirken, ob das jetzt ein Aufprall beim Rennen ist oder ob das der Verschleiß durch höhere Trainingsumfänge ist, entsprechend stärker. Dieser Sport unter Substitution durch medizinische Hilfen ist noch ungesünder als es der Spitzensport ohne jegliche medizinische Intervention sein könnte.

Dieser ganze Bereich ist für mich ein Riesenproblem. Ich gehe sogar soweit zu sagen, wir müssen im sportmedizinischen Bereich sehr kritisch überdenken, welche Untersuchungsmethoden überhaupt, z. B. im Kollektiv der Nachwuchssportler, richtig sind. Welche sportmedizinische Untersuchung braucht ein Kadersportler, um bestätigt zu bekommen, dass er sporttauglich ist? Hier gibt es extrem unterschiedliche Auffassungen. Es gibt die Auffassung der deutschen Arbeitsgruppen, die viel Aufwand wünschen, unbedingt auch die Echokardiografie benötigen. Die Italiener sagen, bitte ein Belastungs-EKG. Die Amerikaner meinen, lasst sie einfach einen Fragebogen ausfüllen. Wenn es darin Auffälligkeiten gibt, machen wir noch ein Ruhe-EKG und falls da etwas sein sollte, machen wir vielleicht auch noch ein Belastungs-EKG, d.h. sie gehen sehr stark gestuft vor.

Ich sage, es gibt auch dadurch eine Prävention, dass man im Sport die Natürlichkeit weitgehend erhält. D. h. im Grunde ist es wichtig, dass man den Eingriff der Mediziner in den Sport auf ein absolutes Mindestmaß beschränkt. Doch wir erleben im modernen Spitzensport das komplette Gegenteil. An allen Ecken und Enden sitzen Mediziner, auch bei Sportveranstaltungen, wo junge gesunde Menschen ihren Sport betreiben. Und das kann nicht Sinn und Zweck unseres Fachbereichs sein.

In unserer Gesellschaft scheint sich die Haltung durchzusetzen, für alles und jedes ein Mittelchen haben zu wollen und nicht selten wird dieser Wunsch von Ärzten auch ohne dringende medizinische Indikation erfüllt. Könnte diese Haltung die Einbindung von Ärzten in das Dopingsystem eventuell begünstigen?

Simon: Richtig, wobei ich das als Trend der ewig Gestrigen bezeichnen würde. Denn in der modernen Medizin wird im Grunde nicht mehr die Frage, was können wir maximal für eine Person tun, im Mittelpunkt stehen, sondern tatsächlich die Frage, wen können, wen müssen wir sinnvoller Weise behandeln. Denn die Ressourcen zur Behandlung werden gemessen an den Methoden, die wir verwenden können, immer begrenzter sein.

Dementsprechend gilt es diese Einstellung, dass man erst einmal mit der Keule darauf schlägt, auch in der Ausbildung der Ärzte kritisch zu überdenken. In dem Bereich des Sports, wo es um junge gesunde Menschen geht, müsste man zuerst ansetzen und für ein entsprechendes ärztliches Umfeld sorgen. Diese Medikamenten-Einnahme aus Lifestylegründen, wenn sie so wollen, ist ein Trend, der aus dieser Überversorgung in der Medizin stammen kann. Ich bin zwar kein Spezialist für den Bereich, doch ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass es gesellschaftlich erwünscht ist, Weiterentwicklungen in der Medizin mit der Maßgabe zu betreiben, jeden maximal zu behandeln, womöglich noch eine Überversorgung zu unterhalten.

ETHISCHE DISKUSSION

Noch eine allgemeine Frage zur Ethik, zur Ethik im Sport. Ein Kollege von Ihnen sagte mir „die Diskussion muss konkret mit Ethikern zusammen geführt werden, denn wir Ärzte sind keine Ethiker. Wir Ärzte sind auf dieser Seite nicht besonders gut ausgebildet. Wir wissen häufig nicht, worüber wir ethisch sprechen. Dass wir Meinungen haben und diese auch vertreten, ist vollkommen klar aber hier handelt es sich um eine sythematisch-ethische Diskussion, die anders geführt werden muss.“

Simon: Das sehe ich auch so, die muss geführt werden und gerade in dem Bereich, den ich anspreche, wird die auch sehr stark geführt. Es gibt in Tübingen ein Projekt von Herrn Professor Markmann, einem Ethiker, am Institut für Ethik und Geschichte der Medizin,, der sich mit der Frage beschäftigt, wo sind die Grenzen der modernen Medizin. Es gibt für diese Bereiche immer mehr Ethiker, die sich kritische Gedanken machen zur medizinischen Versorgung, aber sich sicherlich auch mit den Fragen des Sports beschäftigen. Z. B. mit der Frage, ob man denn zwischen dem Freizeit und -Breitensport und dem Hochleistungssport einen Unterschied machen soll. Ethiker sind vielleicht nicht so stark mit Vorurteilen belastet wie wir. Wir sehen es durch bestimmte Brillen, durch unsere Berufsausbildung. Der Ethiker geht mehr mit einem philosophischen Gerüst und Rüstzeug heran und versucht die Dinge zu ergründen, aus einer neutraleren Perspektive womöglich, und das würde uns sicherlich helfen.

Es stimmt, ich sehe auch, dass wir wissenschaftlich viele Fragen auf hohem Niveau noch nicht aufgearbeitet haben.

Doping, wenn es die breite Gesellschaft und die Freizeit- und Breitensportler angeht, ist so ein Punkt, der schlecht aufgearbeitet ist. Oder medikamentöse Überversorgung oder Hirndoping wenn sie wollen, das sind alles Bereiche, die ganz kritisch sind. Wo man einiges an Arbeit bräuchte.

NEUE IDEEN ERWÜNSCHT

Sie arbeiten mit Studenten. Stellen diese entsprechende Fragen?

Simon: In der Sportwissenschaft kommen diese Fragen natürlich vor allem vor in Bezug auf das körperliche Doping. Die Studierenden sind allerdings so geartet, dass sie von sich aus gar nicht fragen würden. Sie sind auch vom Studien-, vom Lehrplan her darauf eingestellt, dass wir hier Sportwissenschaft so unterrichten, wie man sich den Sport vorstellt, nämlich dopingfrei. So wie er eigentlich den Regeln nach ablaufen sollte. Also warum sollte man sich denn jetzt dem Regelverstoß eingehender widmen? Erst wenn man die Studierenden etwas anstupst und sagt, na hört mal her, es ist doch unwahrscheinlich, dass dieser Sport immer gemäß den Regeln betrieben wird, dann fangen die Studierenden an und entwickeln dazu auch interessante Gedanken. Das ist manchmal sehr erfrischend. Die jungen Menschen kommen immer mit anderen Ideen, zumal sie in Teilen schon moderne Technologien viel vertrauter erlebt haben als man selber. Das ist etwas, wovon man hier in der Hochschule zehrt.

Herzlichen Dank für das Gespräch

siehe auch:

>>> Perikles Simon über Transparenz und Selbstkontrolle von Sportmedizinern
>>> Perikles Simon:Was nützt die gegenwärtige Kontrollpraxis?
Ärzteblatt (2012; 109(3)): Gendoping: Nachweis prinzipiell möglich
die Zeit, 22.2.2012: Epo war gestern, Doping wird ansteckend