Jean-Pierre de Mondenard zu Armstrong und Doping anlässlich der Präsentation der Tour de France 2010
Dr. Jean-Pierre de Mondenard gilt als einer der profundesten Kenner des Dopings. Selten nimmt er ein Blatt vor den Mund.
Anlässlich der Vorstellung der Tour de France 2010 mit Lance Armstrong als besonders willkommener Gast und nach dem Zerwürfnis zwischen AFLD und UCI wird er deutlich. Er stellt verschiedene Rückschläge im Kampf gegen Doping fest und erwähnt auch verdächtige Hämatokritwerte des Amerikaners während der Tour 2009.
France Soir, 16.10.2009: Dopage-« Les preuves contre Armstrong existent »
Übersetzung / Zitate
FRANCE-SOIR: Nach der AFLD soll sich die UCI gegenüber dem Astana-Team bei den Doping-Tests während der Tour im Jahr 2009 sehr „entgegenkommend“ gezeigt haben. Was meinen Sie zu der Auseinandersetzung?
JEAN-PIERRE DE MONDENARD: Von einem Sportverband das Führen des Kampfs gegen Doping zu verlangen ist absoluter Unsinn. Kennen Sie einen einzigen leitenden Angestellten, der zugleich Vertrauensmann einer Gewerkschaft ist? Nein! Bei der UCI ist Pat McQuaid beides zugleich. Aber auch die Antidoping-Agentur AFLD ist bei dieser Auseinandersetzung nicht ganz unschuldig . (…) Sie hätte ihre Vorwürfe zu diesem Zeitpunkt [während der Tour] an die Öffentlichkeit bringen müssen. (…) Sie hätte gerne bei den Kontrollen bei der Tour mehr Einfluss und Macht; ich glaube nicht, dass sie ohne Hintergedanken zur Öffentlichkeitswirkung gehandelt hat.
FRANCE SOIR: Kann der biologische Pass im Kampf gegen Doping hilfreich sein?
JP de M: Damit kann man die Aufmerksamkeit auf Betrüger lenken, aber er ist nicht perfekt. Der Pass kann nur Reaktionen auf die Produkte nachweisen, die der Körper aufnimmt, aber zum Beispiel keine Bluttransfusionen. Lance Armstrong hat während der letzten Tour seine biologischen Parameter auf seiner Website offen gelegt, während der ganzen drei Wochen waren sie unverändert, das ist ein eindeutig ein wichtiger Indikator für Betrug. Normalerweise nimmt der Hämatokritwert (…) während einer körperlichen Anstrengung allmählich ab. Dass er bei der Armstrong stabil blieb, ist ein Beleg für Manipulation.
FAZ: Glauben Sie denn, dass die Rückkehr von Lance Armstrong wirklich gut für Ihren Sport war?
Pat Mc Quaid:
Das fragen mich Deutsche immer. Er hat überall, wo er angetreten ist, ein größeres Publikum angezogen, sogar bei der Tour de France bekam er einen warmen Empfang. Die Medienresonanz der Tour 2009 war eine der besten, die wir jemals hatten – wegen Armstrong. Er globalisiert den Sport und weckt Sponsoreninteresse.
(FAZ, 11.10.2009)
FRANCE SOIR: Armstrong wurde am Mittwoch, bei der Vorstellung der Tour 2010 wie ein Superstar begrüßt. Ist das nicht surrealistisch?
JP de M: Die Tatsache, dass er 2009 teilgenommen hat, war schon Ketzerei und markierte eine gewaltige Niederlage des Kampfs gegen Doping. Nach der Tour 2005 legte die Tageszeitung „L’Equipe“ offen, dass sechs der zwölf mit EPO positiven Tests der Tour 1999 von Armstrong waren. (…) Wenige Jahre vor diesem Skandal fragte [ein Kardiologe anlässlich seiner Krebserkrankung] nach den Medikamenten, die er einnähme. Armstrong erzählte dem Arzt vor vor Zeugen, dass es sich vor allem um EPO handelte. Die Summe der Aussagen zu Armstrongs verdächtigen Praktiken sind in rechtlicher Hinsicht Zeugenaussagen. (…)
FRANCE SOIR: Er könnte also von der Justiz zur Rechenschaft gezogen werden?
JP de M: Sofern es zu einem Prozess kommen würde, ja! Aber einen Prozess hat es bisher nie gegeben, außer gegen Bücher und Veröffentlichungen. Wenn die Organisation der Tour de France ihn wegen Verletzung des Ethik oder wegen Beschädigung des Rufs der Tour de France verklagen würde, wäre die Summe der Zeugenaussagen und der Beweise für ein Gericht ausreichend, um Armstrong verurteilen zu können.
FRANCE SOIR: Und warum macht sie dies nicht?
JP de M: Die UCI wird nicht riskieren, das Image ihrer Sportart zu beschädigen. Frank Vandenbroucke war seit Jahren bei einem Drahtseilakt. Und wer sah es als seine Aufgabe an ihm zu helfen? Niemand! (…)
FRANCE SOIR: Schließlich, wie viele Fahrer dopen sich Ihrer Meinung nach?
JP de M: Vor ein paar Jahren haben wir noch von einem Radsport mit zwei „Gängen“ gesprochen. Jetzt können wir von einem Radsport mit vier Gängen sprechen. Da gibt es diejenigen, die so genannte Sauerstofftransporter verwenden, d.h. das sind die wirksamsten Produkte. Der zweite „Gang“ umfasst diejenigen, die weniger wirksame, aber auch nicht nachweisbare Produkte verwenden, die z.B. die Hormonausschüttung erhöhen (Kortikoide, anabole Steroide). Dann gibt es so genannte Borderline-Produkte, die vor allem in Italien verkauft werden, wie Neoton, (wird bei Patienten mit Herzinsuffizienz eingesetzt). Dies hat z.B. der Fußball-Profi Fabio Cannavaro 1999 am Abend des UEFA-Cup-Finales verwendet. Schließlich gibt es Leute, die sich Gefälligkeitsrezepte ausstellen lassen. Und zum Schluss hoffe ich, dass es auch noch Fahrer gibt, die sich nicht dopen.
Übersetzung Prof. Dr. Gerhard Treutlein