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Prof. Gerhard Treutlein: Offener Brief an Clemens Prokop, 9.4.2009
Hintergrund: BRD Doping-Aufarbeitung
gesamter Briefwechsel:
Brief vom 18.3.2009
Briefe vom 12.5. und 17.7.2009
>>> Offener Brief G. Treutlein an C. Prokop (DLV), 9.4.2009
Der Brief im Wortlaut:
Sehr geehrter Herr Dr. Prokop,
am 18.3.2009 habe ich Ihnen geschrieben und Ihnen meine Gesprächsbereitschaft signalisiert. Da ich bis heute keine Antwort von Ihnen erhalten habe, gehe ich davon aus, dass ich für Sie einer Antwort nicht würdig bin. Weitere Schreiben an die Verantwortliche für die Dopingproblematik im DLV, RA Anne Jakob, im Jahr 2008 wurden ebenfalls nicht beantwortet, ebenso wenig die in den Schreiben gestellten Fragen. Die von Ihnen in anderer Richtung signalisierte Gesprächsbereitschaft scheint mir gegenüber nicht zu bestehen, weshalb ich meine Schreiben an Journalisten weitergebe.
Sie haben der Presse gegenüber begrüßt, dass sich fünf Trainer erklärt haben (ohne inhaltliche Konkretisierung). Meines Wissens waren Sie früher aktiver Leichtathlet und sind seit 1993 Mitglied des Präsidiums des DLV, bzw. seit 2001 Präsident. Sie dürften deshalb – über den Inhalt der Bücher von Singler und Treutlein hinaus – weit reichende Kenntnisse zur Leichtathletik, zur Dopingproblematik und zum westdeutschen Sport haben. Deshalb ist für mich verwunderlich, warum erst jetzt eine Erklärung der fünf Trainer erfolgt und warum nicht weit früher Personen wie z.B. – in unsystematischer Reihenfolge – Blattgerste, Steinbach, Kern, Thiele, Schubert, Bechtold, Steinmetz, Spilker u.a.m. zu einer umfassenden Offenlegung der Vergangenheit gedrängt wurden. Erst die Bereitschaft solcher Personen (ebenso in anderen Verbänden), zur Aufklärung der Vergangenheit beizutragen, würde dem 500.000-Euro-Auftrag zur Dopingvergangenheit eine gewisse Berechtigung geben.
Welche konkreten Erwartungen hat der DLV an ein solches Dopinggeschichte-Projekt? Ist der DLV überhaupt an einer Aufarbeitung der Dopingproblematik in seinen eigenen Reihen interessiert?
Immerhin haben IAAF und DLV schon 1970 Anabolika in der Leichtathletik verboten, trotzdem wurde intensiv gedopt. Immerhin ist bereits 1972 ein Bundestrainer Ihres Verbandes (Kofink) zurückgetreten, weil er die Haltung des Verbandes in Sachen Anabolika nicht mittragen wollte. Warner wie Horst Klehr oder Rüdiger Nickel wurden ebenso wenig gehört wie die Aktivensprecherin Brigitte Berendonk oder der renommierte Krebsforscher Werner Franke. Zu welchen Konsequenzen ist der DLV heute bereit und warum wurden solche nicht schon in der Vergangenheit gezogen?
Der DLV steht wie die anderen Sportverbände im Zwiespalt: Medaillen und Endkampfplätze bringen höhere staatliche Alimentierung, die Absage an Doping wird möglicherweise erwartet aber nicht finanziell honoriert. Nicht einmal 1972 in München hat sich der DLV dazu durchringen können, Dopingablehnende Athlet(inn)en ohne Endkampfchance aber mit Olympianorm zu Olympischen Spielen im eigenen Land zu nominieren.
Nicht ohne Grund hat sich der Hochschulsportverband ADH, der für sich immer erhebliche Progressivität in Anspruch nahm, meinem Antrag auf Bemühungen um die Abwahl des FISU- und IAAF-Präsidenten Nebiolo verweigert. Nebiolo war mit einiger Wahrscheinlichkeit einer der größten Betrüger im internationalen Sport; auch der DLV ist nie gegen ihn vorgegangen, obwohl Nebiolo wegen seiner Betrügereien als Präsident des italienischen Leichtathletikverbands zurücktreten musste. Massives Eintreten im internationalen Sport für Sauberkeit gefährdet die Zuweisung von Meisterschaften ebenso wie den Zugang zu Posten. Aber um was soll es im Leistungssport der Zukunft gehen, primär um Medaillen ohne Rücksicht auf die eingesetzten Mittel oder um die Möglichkeiten der Persönlichkeitsentwicklung für junge Menschen? Und wenn der Schwerpunkt beim zweiten Punkt gesetzt werden sollte, wie schlägt sich das in der Trainerausbildung und in der Postenvergabe aus?
Thomas Kistner (Süddeutsche Zeitung) beklagte am 9.11.1993 Unfähigkeit beim DSB und Unwilligkeit beim NOK beim Aufarbeiten der Dopingproblematik; anstatt sich selbst zu bemühen, wurde vom organisierten Sport beklagt, dass Journalisten leichter Zugang zu den Stasi-Akten fanden als die Verbände (Süddeutsche Zeitung, 9.11.1993). Wenn entgegen dem Willen des untätigen organisierten Sports dennoch Fakten an die Öffentlichkeit kamen, richtete dieser Klagen gegen die Gauck-Behörde, z.B. DSB-Präsident Hansen am 15. Oktober 1993: „Hansen beschwert sich bei der Gauck-Behörde. „Sportbund verärgert über gezielten Umgang mit Stasi-Aufzeichnungen aus dem DDR-Sport” (Süddeutsche Zeitung 15.10.1993). Der Wille zur Aufarbeitung war in der Vergangenheit kaum gegeben; – ich erinnere an die Bemühungen von Harald Schmid und Heide Rosendahl in den 90er Jahren und den Rücktritt von Theo Rous 1991- deshalb ist die jetzt entbrannte Schlussstrichdebatte verständlich, denn sonst müssten ja die Ursachen für Untätigkeit offen gelegt und Verantwortlichkeiten geklärt werden. – Wer die Vergangenheit verdrängt, wird immer wieder von ihr eingeholt! Und er behindert die Bemühungen um eine bessere Zukunft!
Es ist pervers: Der organisierte Sport war über 20 Jahre nicht an einer Aufarbeitung interessiert, schlimmer, er war mit Billigung oder sogar Unterstützung von BMI und BISp Täter, z.B. bei der Anstellung belasteter Trainer oder der Verleihung der Ehrenpräsidentschaft an den früheren DVfL-Präsidenten Wieszisk. Immerhin hatte das Präsidium Digel so viel Sensibilität, Helmut Meyer nicht zum Ehrenpräsidenten zu ernennen. Das gleiche Präsidium hat aber auch nichts zur Ehrenrettung des Präsidenten Munzert unternommen, der nach seiner eigenen Aussage von Leuten wie Spilker, Sturm u.a.m. aus dem Amt gemobbt wurde. Schon längst müsste ein Preis mit dem Namen Munzert verbunden werden, einem Präsidenten, der wie kein anderer für Sauberkeit stand. Es muss Präsidenten des DLV schmerzen, von bekannter Seite vorgeworfen zu bekommen, einen Fall Dressel hätte es im DVfL nie gegeben.
Diejenigen, die für Aufklärung sorgten und sorgen, wurden ins Abseits gestellt. Deshalb steht das von DOSB, BMI, BISp) initiierte Forschungsprojekt unter hohem Erwartungsdruck und unter sehr kritischer Beobachtung. Wie benannte der damalige DLV-Vizepräsident (und heutige Präsident des Deutschen Volleyballverbands) von Moltke bei einer Veranstaltung der Zehnkämpfer in Bad Nauheim im Herbst 1991 das gerade erschienene und von mir dort verteilte Berendonkbuch? „Pamphlet!” Oder wie äußerten sich ein ehemaliger Fachverbandspräsident und ein Abteilungsleiter bei einem Fest im Herbst 1991 zum Engagement von Brigitte Berendonk: „Der müsste man aufs Maul hauen”. Wann wird der DLV Brigitte Berendonk, seine mutigste Athletin – das damalige Präsidium lehnte es ab, sie und ihren Mann Werner Franke zum Bundesverdienstkreuz vorzuschlagen – die Anerkennung zukommen lassen, die ihr für ihre vorbildliche sportliche Haltung gebührt? Im Gegenteil, ich befürchte, dass eine Einschätzung wie die oben wiedergegebenen gegenüber diesem und entsprechenden anderen Büchern (z.B. von Andreas Singler und mir) im DLV immer noch vorherrscht. Insofern müsste Prävention bei der Arbeit mit den Präsidien der Sportverbände ansetzen.
Entschuldigen Sie, Herr Präsident, wenn ich Ihnen weder Ihre andernorts bekundete Gesprächsbereitschaft noch die Bereitschaft zu Konsequenzen gegenüber Dopingvergangenheit des DLV abnehme.
Mit freundlichen Grüßen!
Prof. Dr. Gerhard Treutlein