2011 Hecker/Meutgens: Nahrungsergänzungsmittel – fragwürdige Produkte

Alltag und Sport: NEM- und Medikamentenmissbrauch

Nahrungsergänzungsmittel – Schneller Weg zu teurem Urin

Unter diesem Titel erschien am 24.11. 2011 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung eine kritische Auseinandersetzung der beiden Journalisten Anno Hecker und Ralf Meutgens mit der verbreiteten Akzeptanz eines angeblich notwendigen hohen Konsums von Nahrungsergänzungsmitteln unter Leistungs- und Breitensportlern. Diese positive Einstellung zeigt sich auch darin, dass einige Sportverbände offen für diese Mittel werben.

Nahrungsergänzungsmittel sind nach vieler Meinung, auch des DOSB und der NADA, nicht nur häufig wirkungslos, sondern die Einnahme größerer Mengen über längere Zeit birgt zudem Gesundheitsgefahren in sich. Auch fördern sie die Dopingmentalität. Wenn Kinder und Jugendliche lernen, dass sie nur leistungsstark sein sollen mit Zusatzstoffen, dass ihr Körper angeblich mit normaler Ernährung allein nicht auskommt, werden Hemmschwellen abgebaut und sie benötigen womöglich auch in späteren Jahren eine Zufuhr künstlicher Produkte bis hin zu Medikamenten, um Ziele zu erreichen – dies ist auch eine mentale Frage.

Die beiden Autoren stießen mit ihrem Text auf Widerspruch. Der Olympiastützpunkt Bayern reagierte mit einem Offenen Brief, in dem er u. a. monierte, nicht ausreichend zitiert worden zu sein und sich mit aller Deutlichkeit gegen den Vorwurf der „potentiellen Begünstigung der Dopingmentalität“durch die Kooperation mit einer entsprechenden Firma und dem Einsatz entsprechender Produkte wehrte.

Die Autoren erlaubten den Abdruck ihres Textes, der im Original hier zu lesen ist. Vielen Dank!

Die Reaktion des Olympiastützpunktes Bayern mit dem Offenen Brief ist auf dieser Seite angefügt.

Schneller Weg zu teurem Urin

Wie wirken Nahrungsergänzungsmittel und wem nutzen sie – außer den Herstellern? Sportverbände werben für fragwürdige Produkte, trotz der potentiellen Begünstigung einer Doping-Mentalität.

Von ANNO HECKER, RALF MEUTGENS

Ende Oktober hat der Frankfurt-Marathon 25.000 Sportler in Bewegung gesetzt. Vom Spitzenmann auf Weltrekord-Niveau bis zum Greis. Alle wollten sie so schnell und gesund wie möglich ins Ziel. Viele haben deshalb tief in die Tasche gegriffen, Pillen wie Pülverchen, Tabletten oder Dragees herausgekramt.

Kein Doping, saubere Sachen, wie die fröhlichen Schlucker gerne beteuern: Vitamine, Mineralien, das ganze Programm der Nahrungsergänzungsmittel-Industrie. Ein Milliardenmarkt in der Sportnation Deutschland. Angeblich greift jeder dritte Bundesbürger zu, glaubt trotz der bundesweiten Einführung der Banane und aller Arten von Lebensmitteln in Hülle und Fülle an eine Art Unterernährung in der Republik. Als wäre Gesunderhaltung und Leistungssteigerung über sogenannte Energie-Drinks oder Powerriegel möglich, wie Werbetexte suggerieren.

Dabei hat einer der bekanntesten Insider der Leistungsmanipulation, der 1995 verstorbene Doping-Fahnder Manfred Donike, schon vor gut 17 Jahren von einer grotesken Fresssucht im deutschen Spitzensport berichtet. Als er auf den Konsum von Kreatin, eines Energieträgers für die Muskeln, selbst im Feldhockey angesprochen wurde, sagte der Rheinländer mit Blick auf viele der gepriesenen, erlaubten Mittel: „Es gibt keinen schnelleren Weg, teuren Urin herzustellen.“

>>> Prof. Horst Pagel: Hände weg von Nahrungsergänzungsmitteln!

>>> weitere Informationen über NEM

>>> 2. Leipziger Erklärung» der A-Lizenz-Trainer des BDR zur Dopingprävention im BDR, November 2008
„6. Wir nehmen zur Kenntnis, dass das im vergangenen Jahr (November 2007) von den Trainern im 1. Anti-Doping-Symposium geforderte Werbeverbot für Nahrungsergänzungsstoffe in allen Radsport-Publikationen weitgehend umgesetzt wurde und schließen uns der Forderung zum vollständigen Werbeverbot für diese Präparate an. Statt dessen empfehlen wir eine Ernährungsberatung, aufbauend auf wissenschaftlichen Erkenntnissen, fachspezifische Publikationen in unserem Fachorgan und die Erarbeitung von Handreichungen (Anleitungen und Lehrmaterialien) für die Trainer, Übungsleiter, Eltern und Sportler.“

Horst Pagel lacht: „Guter Spruch.“ Über den Rest der Geschichte hat sich der Physiologe der Universität zu Lübeck sein Bild gemacht und eine vernichtende Kritik geschrieben. Nahrungsergänzungsmittel (NEM), „halten nicht, was sie versprechen, sind teuer und unberechenbar“. Nicht in jedem Detail folgen andere Experten diesem Urteil. Hans Braun vom Fachbereich Ernährung des Instituts für Biochemie an der Sporthochschule Köln sieht bei Kreatin-Einnahme je nach Individuum durchaus die Möglichkeit eines Wirkungspotentials. „Für sechs Sekunden“, sagt Pagel und lächelt.

Denn in der Kernaussage sind sich die Wissenschaftler einig. Wer gesund und nicht schwanger oder Alkoholiker ist, hat die Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln in Westeuropa nicht nötig. Schließlich dürfen NEM laut des deutschen Lebensmittel- und Futtergesetzbuches nichts anderes sein als Lebensmittel. Eine ausgewogene Kost aber bietet schon alles, was der Körper braucht. Auch der eines Spitzensportlers. Allenfalls bei intensiven Ausdauerbelastungen über eine Stunde hinaus erscheint ein Ausgleich – etwa während eines Marathon-Rennens – unter Umständen sinnvoll. „Wir folgen dieser These, falls kein ärztlich festgestellter Mangel herrscht“, sagt Braun.

Drei Viertel der Kinder konsumieren NEM

Nur durchgesetzt hat sie sich nicht. Aus einer Studie der Kölner geht hervor, dass bis zu 80 Prozent befragter Nachwuchssportler (von 14 Jahren an) schon einmal ein Nahrungsergänzungsmittel konsumiert haben, manche bis zu 17 Produkte in den letzten vier Wochen vor der Befragung (2006/2007). Selbst drei viertel der Kinder (Zehn- bis Vierzehnjährige), konsumierten mindestens ein NEM.

Dass die versprochene Wirkung kaum belegt ist, mag man hinnehmen. Hinweise auf mögliche Nebeneffekte aber alarmieren. Während man sich mit Nahrungsmitteln vom Wochenmarkt kaum eine Überdosis Eisen zuführen kann, ist das mit Hilfe konzentrierter Präparate möglich. Langfristiger Einsatz von Mineral- und Spurenelementen begünstigt Knochenbrüchigkeit, steigert das Herzinfarktrisiko oder die Bildung von Nierensteinen. Selbst Vitamin C, als Lebenselixier gepriesen, soll bei extremer Dosierung krebserzeugend wirken können.

Finnische Studien behaupten nun, überflüssige Gesundheitspillen verkürzten gar das Leben. Das, sagen Kritiker, sei nicht bewiesen. Weil aber niemand seriös beantworten kann, was eine NEM-Mischung über die Jahre anrichtet, warnt Braun: „Die Unwissenheit, ob und welche Nebenwirkungen auftreten, birgt ein hohes Risiko. Wir haben den Eindruck, dass manchen Konsumenten nicht klar ist, was sie tun.“ Und wem es nutzt. Pagel bietet eine Antwort: „Nahrungsergänzungsmittel nutzen allein dem Hersteller.“

Die Ablehnung ist keine neue Haltung. Seit Jahren raten Sportverbände, die Finger von NEM zu lassen: Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) hat sich so positioniert wie die Nationale Anti-Doping-Agentur und die Deutsche Sportjugend im Namen des Heidelberger Zentrums für Doping-Prävention. Auch das Bundesinnenministerium fügt sich in den Kreis der Mahner. Umso erstaunlicher sind die Ergebnisse einer von Braun und Kollegen initiierten Umfrage bei deutschen Olympiakadern 2008. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass 88 Prozent im Monat vor der Befragung mindestens ein NEM probiert haben, manche bis zu 19 Produkte.

Warum sollten Trainer an der Basis skeptisch werden?

Offensichtlich kommt unten nicht an, was oben gepredigt wird. Weder im Leistungssport noch im Breitensport. So berichtete das Sportmedizinische Institut der Bundeswehr und der Fachbereich Ökotrophologie der FH Münster jüngst von einer „weit verbreiteten“ Supplementierung unter „Jedermännern“. 40,9 Prozent von rund 570 befragten Sportkameraden gaben an, im Schnitt 2,5 NEM zu schlucken. Und zwar weitgehend „unreflektiert“. Jedenfalls bezogen nur 3,9 Prozent die Mittel von einem Arzt. „Für die untersuchte Zielgruppe“, schrieben die Autoren, bestehe „dringender Aufklärungsbedarf.“ Denn sie gilt als die Keimzelle der Sportbewegung: die Wissenschaftler befragten Übungsleiter.

Warum aber sollten Trainer an der Basis skeptisch sein, wenn Vorbilder des Sports für NEM werben? Die Bandbreite reicht von der Olympiasiegerin im Bobfahren, Sandra Kiriasis, bis zur Bandenwerbung im Stadion des FC Schalke 04. Für ein Mittel aus dem Sortiment des früheren Eishockeyprofis Truntschka macht sich Nationaltorwart Dennis Endras stark: „Meine Reaktion im Tor ist optimal. Auch die Regeneration nach harten Trainingseinheiten ist besser geworden.“

Seit Jahrzehnten werden NEM im deutschen Sport verteilt. 1986, berichtet der Heidelberger Präventionsexperte Gerhard Treutlein, erhielt eine vorwiegend mit Magerquark auf superschlank getrimmte Athletin der Rhythmischen Sportgymnastik 30 verschiedene Substanzen – für eine Woche. Bei der Wahl zum Sportler des Jahres in Deutschland 2000, eine Veranstaltung von Journalisten, drückte man den Gästen eine Dose Kreatin in die Hand (…). Auch so ist die unüberlegte Schluck-Mentalität gefördert worden. „Leider Gottes“, heißt es in der Verbraucherzentrale von Nordrhein-Westfalen: „Wir wissen von einem Fall, in dem ein Trainer F-Jugendlichen im Fußball (also Achtjährigen) Magnesium-Tabletten gegeben hat.“

In einem Wintersportverband übernimmt eine Medaillengewinnerin von Vancouver jeweils die Sammelbestellung für alle Kader. Selbst auf den Web-Sites von sechs der neunzehn Olympiastützpunkten tauchen Hersteller als „Partner“ oder Werber auf. Die Darstellung ist eingängig, verführerisch, mitunter aggressiv. Zwei Doppelklicks reichen, um vom Logo des Unternehmens Multipower auf der Web-Site des Olympiastützpunktes Rhein-Ruhr zu einer Muskelprotz-Vorstellung der Bodybuilder-Szene zu kommen. Ein naturbelassenes Modell, selbstverständlich.

„Warum soll ich aber Petersilie trinken?“

Fast in jeder NEM-Werbung wird eine schnellere Regeneration bis zum nächsten Training und damit letztlich eine unverhohlene Botschaft ausgesprochen: „Ich habe von unseren Sportlerinnen und Sportlern mehrfach gehört“, wird der Präsident des Deutschen Volleyball-Verbandes, Werner von Moltke, zitiert, „welch positiven Einfluss das Getränk auf ihre Leistungen hat.“ Viele Spitzensportler, schreibt der Vertreiber dieses Produktes, trinken es täglich. Der Physiologe Pagel hat auf den Inhalt geschaut: „Der übliche Blödsinn“, sagt er, „für 2,20 Euro die Tagesdosis. In diesem Produkt stecken in erster Linie Extrakte verschiedenster Pflanzen. Warum soll ich aber Petersilie trinken? Kann man sich doch gehackt über das Essen streuen.“

Eine Ärztin aus Bayern lässt das Gemüse zwar nicht links liegen. In einem Raum des Olympiastützpunktes Bayern berichtete die Medizinerin den Eltern von Nachwuchssportlern aber, ihre eigenen Sprösslinge seien im Leistungssport nicht ohne NEM über die Runden gekommen. Anschließend wurden der Medizinerin Bestellzettel fast aus der Hand gerissen – für Produkte, die der Olympiastützpunkt bewirbt. Darin ist auch Carnitin enthalten, was angeblich zur Fettverbrennung taugt. Dabei eignet es sich besser, dicke Fische an Land zu ziehen. Früher brauchte man es zur Freude der Angler für die Zucht von Mehlwürmern.

In München versteht man weder die Sorgen von Eltern noch die Botschaft des Deutschen Olympischen Sportbundes. „Der Olympiastützpunkt Bayern“, schrieb Leiter Klaus Pohlen auf Anfrage, „steht hinter den Produkten, die er bewirbt, weil wir den Einsatz im Hochleistungssport für sinnvoll erachten.“ Pohlen könnte sich auch auf die Großen des Sports beziehen. Auf die Stiftung Deutsche Sporthilfe, die 2008 eine Spende in Höhe von 40.000 Euro des Vertreibers von Cellagon-Produkten erhalten hat. Oder sogar auf den DOSB.

Denn dieser Mahner aus Frankfurt hat selbst keine Distanz gehalten. Er wirbt mit dem Hersteller „Juice-plus“. Ein „alter Vertrag“, wie man in der Zentrale beteuert. Jetzt gelten neue Maßstäbe: „DOSB und BMI“, schrieb das Ministerium dieser Zeitung, „werben dafür, auf Nahrungsergänzungsmittel zu verzichten.“ Schließlich weiß man in Frankfurt und Berlin, dass der Einsatz selbst erlaubter Mittelchen nicht nur zu einer psychischen Abhängigkeit führen kann, falls ein Sportler nach dem Konsum eines erlaubten NEM im Wettkampf Erfolg hat.

Die teils wie Arzneimittel aussehenden NEM könnten nach langem Einsatz auch die wichtige Hemmschwelle eines jungen Sportlers senken. Wenn der Reiz gärt, Nahrungsergänzungsmittel durch Arzneien zu ersetzen, die wirken: „Abgesehen von der Fraglichkeit der Wirkung (. . .)“, schreiben BMI und DOSB unisono, „sehen wir eine potentielle Begünstigung der Dopingmentalität.“

Offener Brief – Kommentar zum Artikel „Teurer Urin“

Der Olympiastützpunkt Bayern reagierte mit einem Offenen Brief an Ralf Meutgens:

>>> Olympiastützpunkt Bayern: Offener Brief

Auf seiner Homepage und in seinem OSP Report 4/2011 listete der Olympiastützpunkt zeitweilig den Schriftwechsel auszugsweise auf, der zwischen Ralf Meutgens und dem Stützpunkt im Vorlauf des FAZ-Artikels stattfand, mit folgender Einleitung:

„Der Journalist Ralf Meutgens beschäftigt sich in jüngster Zeit mit dem Thema „Nahrungsergänzungsmittel“ (NEM).

Im Zuge seiner Recherchen wurden mehrere Anfragen bezüglich der an drei Olympiastützpunkten erhältlichen Cellagon Produkte der Firma H.G. Berner GmbH & Co KG u.a. an den Olympiastützpunkt Bayern herangetragen, mit dem letztlich aus unserer Sicht eindeutigen Ziel, diesem durch die Verteilung oben genannter Produkte Vorschub zum Dopingmissbrauch zu unterstellen.

Der Olympiastützpunkt Bayern verwehrt sich entschieden gegen diesen Vorwurf.

Im Folgenden geben wir den Gesprächsverkehr auszugsweise wieder, gipfelnd in einem Artikel von Ralf Meutgens in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und als Reaktion darauf einem offenen Brief des Leiters des Olympiastützpunktes Bayern, Klaus Pohlen in unserer Zeitschrift OSP Report:“
Offener Brief an Herrn Ralf Meutgens
Offener Brief

Kommentar zum Artikel „Teurer Urin“ von Ralf Meutgens in der FAZ vom 12.11.2011.

Der Olympiastützpunkt Bayern wehrt sich mit aller Deutlichkeit gegen den Vorwurf der „potentiellen Begünstigung der Dopingmentalität“ durch die Kooperation und den Einsatz von Cellagon Produkten der Firma H.G. Berner.

Sehr geehrter Herr Meutgens,

schade, leider hat Ihr Artikel und die Art und Weise sich schon fast mit missionarischem Eifer dem Thema Nahrungsergänzungsmittel (NEM) zu nähern, aus unserer Sicht nicht wirklich zur Objektivierung des Themas beigetragen. Außerdem müssen wir feststellen, dass Sie unseren Beitrag auf Ihre Anfrage zum Thema nicht im Ansatz berücksichtigt haben. Besonders werden alle Produkte von Kreatin bis Eiweiß, Vitamine bis L-Carnitin, Energiedrinks und Riegel sowie Mineralien unreflektiert in einen Topf geworfen. Dies funktioniert natürlich nur, wenn man sich dem Thema ausschließlich aus der pädagogischen-soziologischen Sicht mit erhobenem Zeigefinger nähert.

Wir halten die Diskussion über den Sinn des unreflektierten Einsatzes von NEM im Sport, vor allem auch im Nachwuchsbereich, ebenfalls für absolut gerechtfertigt und hatten Ihnen dies auch in dieser Form so mitgeteilt. Ebenso hatten wir Ihnen auch mitgeteilt, in welchen Fällen und Situationen ausgesuchte Produkte zur Substitution und ausdrücklich nicht zur Supplementation, nach meistens individueller Analyse durch die Ernährungsberatung und oder Mediziner zu einer ausgewogenen Ernährung im Hochleistungssport, zusätzlich von uns empfohlen werden. Dass wir hier einer ausdrücklichen ernährungswissenschaftlich vertretbaren Richtlinie folgen und auch keine NEM in Pillen- oder Arzneimittel ähnlicher Form empfehlen, wird von Ihnen auch völlig außer Acht gelassen.

Ebenfalls wird unser Hinweis, dass Hochleistungssportler bei einem Gesamttrainingsumfang von teilweise über 30 Stunden in der Woche unter einem erheblichen Zeitdruck stehen und auch bei längerer Reisetätigkeit innerhalb einer Weltcupserie oder Aufenthalte in Trainingslagern, mit teilweise exotischem Nahrungsangebot, eine Substitution durchaus angezeigt ist, von Ihnen nicht berücksichtigt. Natürlich kann man Petersilie auch über das Essen streuen anstatt es mittels eines Vitaminsafts zu sich zu nehmen, nur schädlich ist die zweite Variante auch nicht. Bevor man allerdings in gesteigerter Form zu Pizzadienst, Fastfood, Konservendosen und Tiefkühlkost greift, raten wir auch zu den Cellagon Produkten. Hier ist einzig und allein die häufig fehlende Zeit zum Einkauf und zur Nahrungszubereitung, häufig auch bei den Eltern, ausschlaggebend.

Für uns stellt sich jetzt die Frage nach der Konsequenz. Vielleicht sollte man eine gesetzliche Lösung suchen ähnlich der bei Zigaretten, nur dass Text dann „Achtung NEM begünstigen potentiell die Dopingmentalität“ lauten müsste. Allerdings können Sie dann auch vor gewissen Lebensmitteln nicht halt machen wie z.B. „Achtung, dieses Produkt kann zur Fettleibigkeit führen“ und dies obwohl eine Reihe von Fußballern der Nationalmannschaft dieses Lebensmittel (übrigens gelten die Cellagon Produkte ebenfalls gesetzlich als Lebensmittel) löffelweise in TV Spots zu sich nimmt. Auch wäre die Alkoholwerbung vor jedem Länderspiel oder Formel 1 Rennen konsequenter Weise dann mit dem entsprechenden Hinweis „Achtung dieses Produkt kann zur Leberzirrhose führen“ oder selbst die als „isotonisch“ beworbenen alkoholfreien Biere als mögliche Einstiegsdroge in die Laufbahn als Alkoholiker zu kennzeichnen.

Die von DOSB und dem BMI gemeinsam geäußerten Bedenken, dass es bei sportlichem Erfolg nach Konsum von NEM zu einer eventuell fatalen falschen Deutung des Zusammenhangs bei Sportlern kommen kann, wirkt auf jeden Praktiker im Sport geradezu grotesk. Für wie blöd hält man uns eigentlich, dass ein sportlich tätiger, selbst auch junger Mensch, nicht in erster Linie seinen sportlichen Erfolg auf eine vorherige angemessene körperliche Betätigung (man spricht auch von Training!) zurückführen wird? Für wie dumm stellen wir unsere Trainer und Übungsleiter hin, wenn dieser tatsächliche Zusammenhang nicht im täglichen Training gegenüber den Kindern und Jugendlichen von diesen formuliert wird? Einzelne „schwarze Schafe“ gibt es sicherlich auch im Bereich der Übungsleiter und Trainer, nur damit ist das ganze System nicht in Frage zu stellen.

Lassen wir bitte „die Kirche im Dorf“, und packen das Problem Doping im Sport an der richtigen Stelle an und reduzieren es nicht auf die NEM. Gerade dies verdeutlicht leider die Hilflosigkeit des organisierten Sports gegenüber der Thematik. Der Olympiastützpunkt Bayern hat die Initiative der Bayerischen Justizministerin Beate Merk nach einer klaren gesetzlichen Lösung vor einigen Jahren unterstützt und dabei keinerlei Unterstützung seitens der von Ihnen genannten Institutionen erhalten. Auch die Artikel die sich in dieser Ausgabe mit der Dopingproblematik auseinandersetzen zeigen deutlich, wo die eigentlichen Probleme liegen. Außerdem stehen wir weiterhin zu der auch Ihnen mitgeteilten These, dass weniger eine durch NEM entstandene Mentalität zur Entscheidung zum Doping beiträgt, sondern maßgeblich die Aussicht auf gesteigerten finanziellen Ertrag bei entsprechendem sportlichen Erfolg. Dass dabei bewusst erhebliche gesundheitliche Risiken seitens der Delinquenten, wider besseres Wissen in Kauf genommen werden, unterstreicht diese Ansicht.

Mit freundlichen Grüßen
Klaus Pohlen
Stützpunktleiter