Medien – Vermittlungsprobleme und/oder Distanzverlust?
Solide und umfassend informierende Sendungen im Fernsehen und Rundfunk oder entsprechende Artikel in Zeitungen zum Thema Doping hatten Seltenheitswerts. Interessiert es niemanden? Warum meiden die Journalisten dieses Problem?
Auf einem Journalisten-Workshop der Nationalen Antidoping Agentur (NADA) wurden einige Antworten auf diese Fragen gegeben.
Am 10. Oktober 2005 erschien in der Frankfurter Rundschau ein Artikel ‚Im finsteren Märchenwald des Sportbetrugs‘, der dies zusammenfasste. Wir veröffentlichen ihn hier in Auszügen:
Im finsteren Märchenwald des Sportbetrugs
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Der „Whizzinator“, so versprechen seine Hersteller, macht das Betrügen beim überwachten Wasserlassen kinderleicht. Man(n) schnalle sich den Plastikpenis um, wärme den bevorzugt in einem Beutel unter der Achselhöhle aufbewahrten Fremd-Urin ausreichend vor und fülle das Fläschchen für die Urinprobe statt mit dem eigenen Harn mit jenem Stoff, der aus der getarnten Intim-Zapfanlage fließt: Fertig ist des „sauberen Athleten“ unbedenkliche Dopingprobe.
Willkommen in der wundersamen Welt der Dopingjäger. Es ist eine bizarre Welt, nicht nur der Kunststoffpenisse und – so viel Emanzipation muss sein – einführbaren Vaginaltaschen wegen. In einem unendlichen Hase-und-Igel-Spiel scheuchen die Jäger die Gejagten durch den düsteren Märchenwald des biochemischen Sportbetrugs. Athleten riskieren um des Erfolgs und seiner finanziellen Nebenwirkungen willen, dass die Hoden auf Haselnussgröße schrumpfen oder die Leber streikt.
Ratgeber-Bestseller fürs Bio-Tuning
Skrupellose Profiteure schwingen sich, ganz legal, mit nur notdürftig verbrämten, vielhundertseitigen Ratgebern fürs systematische Bio-Tuning zu Bestsellerautoren auf. All das legt zwingend nahe, dass sich die Öffentlichkeit intensiv mit dem Problem auseinander setzen müsste. Aber davon kann keine Rede sein. (…)
So erwacht das allgemeine Interesse nur, wenn ein Sportstar erwischt wird – oder, wie im Fall Lance Armstrong, unter massiven Verdacht gerät -, um alsbald wieder zu entschlummern. Ein „sehr oberflächliches Wissen“ über Doping konstatierte Josef Hackforth beim zweitägigen Journalisten-Workshop der Nationalen Antidoping-Agentur (Nada) vorige Woche in Köln. Der Inhaber des Lehrstuhls für Sport, Medien und Kommunikation der TU München nahm die Zunft der Sportjournalisten dabei ausdrücklich nicht aus. Der Kampf für sauberen Sport hat, bei allem wissenschaftlich-technischen Fortschritt im Detail, ein Erklärungs- und Vermittlungsproblem. Im Fernsehen erweist sich die Berichterstattung über Dopingpraktiken als zuverlässiger Quotenkiller. Von einem „klaren Abschaltverhalten“ sprach ZDF-Mann Wolf-Dieter Poschmann beim Kölner Symposium. Wird das komplexe Thema beleuchtet, zappt ein Teil der Zuschauer zuverlässig weiter. Angst vor Helden-Entmystifizierung? Null Bock auf Aufklärung? ARD-Sportreporter Hans Joachim Seppelt berichtete von einer sinkenden Bereitschaft der Redaktionen, der Doping-Problematik überhaupt noch in differenzierter Form näher zu treten: „Es gibt inzwischen sehr häufig den Versuch, das auszusparen.“ Auch eine „große Koalition der Heuchler“ (Hörfunk-Journalist Herbert Fischer-Solms vom Deutschlandfunk) und die vielfach mangelnde Bereitschaft, „die Fälle auszurecherchieren“ (Print-Journalist Christoph Fischer vom Reutlinger General-Anzeiger) stehen einer adäquaten Aufklärung der breiten Öffentlichkeit im Weg.
Das ist insofern fatal, als die Bereitschaft, der eigenen körperlichen Leistungsfähigkeit mit Substanzen auf die Sprünge zu helfen, die gemäß dem Code der internationalen Antidoping-Agentur Wada verboten sind, trotz immer zuverlässigerer Nachweisverfahren der Dopingfahnder keineswegs zu schwinden scheint. (…)
Längst hat Doping die Sphäre des Spitzensports verlassen und ist im Begriff, sich im Zuge des Fitness-Booms zum gesellschaftlichen Massenphänomen auszuwachsen. „Man braucht anabole Steroide ja nicht mal beim Schwarzmarkt-Dealer im Hinterhof des Fitness-Studios zu kaufen. Das geht über Hochglanzbroschüre und telefonische Bestellung“, berichtete Hans Geyer, der stellvertretende Leiter des Instituts für Biochemie der Sporthochschule. Auch Preise wie die rund 1500 Euro, die für eine dreimonatige Anabolika-Kur fällig sind, bilden da keine entscheidende Hemmschwelle.
Der Spritzensport im Spitzensport könnte auch deshalb weiter als Lokomotive dieser Entwicklung dienen, weil die Doping-Analytik zusehends an die Grenzen der Finanzierbarkeit stößt. „Die Methodik wird vielfältiger, komplexer und damit kostenintensiver“, so der Leiter des Kölner Instituts und Dopinglabors, Wilhelm Schänzer. Dies zwingt die Wissenschaftler laut Schänzer, „ein sinnvolles Maß zu halten“, wollen sie ihre Geld- und Auftraggeber in den Verbänden nicht überfordern.
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VON WOLFGANG HETTFLEISCH