Dopingaffairen / -Prozesse im Radsport
2003 – 2007 Doping-Razzia „Oil for Drug“, Italien
>>> 2009 Affaire Oil for Drug: involvierte Personen / Sanktionen
>>> 2004 Oil for Drug – NAS-Gesprächsprotokolle / Muraglia, Di Luca
>>> 2001 Profiradfahrer David Tani: ein Dopingplan
Kaum ein Mittel, dass die Fahnder der italienischen Drogenpolizei im Mai 2004 nicht fanden. Eine großangelegte Razzia in 29 Provinzen Italiens, die unter dem Namen „Oil for Drug“ lief, führte dazu, dass 138 Ermittlungsverfahren eröffnet wurden. Betroffen waren 15 Profiradfahrer, 77 Jugendradfahrer, 7 Leichtathleten, 2 Sportärzte, 5 Apotheker, 9 sportliche Leiter von Amateurteams und etliche Krankenschwestern bzw. Krankenpfleger. Ein gut organisiertes, kriminelles Dopingverteilersystem wurde geknackt. (>>> Liste der Betroffenen)
Gefunden wurde alles, was das Doperherz begehrt: Testosteron und andere Anabolika, Wachstumshormone, EPO, Aranesp, Insulin, Ausrüstungen für Bluttransfusionen, Substanzen für Pferde usw..
Diese Razzia beruhte u. a. auf Erkenntnissen aus dem Jahre 2003, in dem bereits eine Großrazzia, an der über 700 Karabinieri beteiligt waren, stattfand. Anlass bot der Tod eines 45 jährigen Amateurradfahrers, der Rätsel aufwarf.
Die Ermittlungen führten die Beamten auch zum Giro d’Italia. Morgens um 4:30 Uhr am zweiten Ruhetag nach der 16. Etappe begannen sie die Zimmer einiger italienischen Fahrer zu durchsuchen. Vor allem die Verbindung zu dem Sportmediziner Dr. Carlo Santuccione, der seit Herbst 2003 unter besonderer Beobachtung stand, war der Grund für deren besondere Behandlung. Unter den betroffenen Radlern befanden sich Alessio Galletti *, Mario Scirea (Domina Vacanze), Fabio Sacchi (Fassa Bortolo), Eddy Mazzoleni und Alessandro Spezialetti (Saeco), auch die Teams Aqua e Sapone, Formaggi Pinzolo und Vini Caldirola waren betroffen. In den Zimmern und bei den Fahrern wurde jedoch nichts Verdächtiges gefunden.
„Ali der Chemiker“
Dr. Carlo Santuccione fiel bereits in früheren Jahren auf, gegen ihn wurde im Zusammenhang mit dem Prozess von Prof. Francesco Conconi ermittelt. „Ali der Chemiker“, wie er in Radsportkreisen auch genannt wird, war bereits von 1995 bis 2000 wegen einer Dopingaffaire vom italienischen Radsportverband suspendiert gewesen. Die Anklage im Jahre 2004 lautete, er habe
„Doping-Medikamente ohne therapeutische Notwendigkeit verschrieben und angewandt und betreff der Dosierung beraten mit dem alleinigen Ziel, deren Nachweis bei eventuell stattfindenden Anti-Doping-Kontrollen zu verhindern.“
Auch Danilo di Luca gehörte zu den besonderen Patienten des Arztes. Diese Verbindung geht aus Telefon- und Videoprotokollen hervor, welche die französische Zeitung Le Monde auszugsweise veröffentlichte. Z. B. rief der Fahrer am Morgen vor einem routinemäßigen Gesundheitscheck, zu der er als Radsportler verpflichtet war, Dr. Santuccione an und meinte, er habe große Angst vor den Kontrollen, vor allem der Urinkontrolle. Doch der Arzt beruhigte ihn, bei einem herkömmlichen Check wäre nichts zu befürchten. Allerdings merkt er an, er sei nicht über diesen Termin, zu dem auch weitere Fahrer gebeten waren, informiert worden. Hatte der Arzt einen speziellen Informanten in den sportlichen Institutionen sitzen?
Weitere Aufschlüsse ergaben Gesprächsprotokolle zwischen Santuccione und Eddy Mazzoleni: „Ich habe mit Danilo gesprochen, denn für Sonntag habe ich mir 4 000 Einheiten subcutan gespritzt …und (nun) fahre ich Samstag … Samstag, gibt es da Probleme?“ Es handelte sich dabei offenbar um EPO. Die Aufzeichnung enthüllte zudem die Absicht des Fahrers, sich aus den USA eine neue EPO-Variante zu besorgen, da diese in Italien noch nicht erhältlich sei. „Man sollte versuchen, es nach England oder Spanien zu bekommen (…) das müsste gelingen.“ Santuccione, der zustimmte, ergänzte: „Wenn es dir beim Giro noch nichts bringt, dann spätestens bei der Tour…“. Zudem riet er ihm zu der weiteren Einnahme von Andriol (Testosteron).
Fortsetzung folgt …
Am 10. Juni gab es eine Folge-Razzia. 7 Personen darunter Dr. Santuccione und der Berater des sportwissenschaftlichen Instituts des italienischen Olympischen Komitees und des italienischen Radsportverbandes Maurizio Camerini, wurden in Haft genommen. Danach verlor der Arzt seine Approbation und Camerini wurde von seinem Verband suspendiert. Domina Vacanze suspendierte Mario Scirea und Alessio Galletti, auch Eddy Mazzoleni wurde von seinem Team Saeco nach der Veröffentlichung des Telefonats vor die Tür gesetzt. Die anderen Teams reagierten nicht.
Alle wiesen die Anschuldigungen zurück. Danilo di Luca war sehr aufgebracht. Sein Manager verkündete, di Luca hätte sich zusätzlichen Doping-Analysen unterzogen, die alle negativ gewesen wären. Zudem hätte di Luca Dr. Santuccione nicht sechs Tage vor dem Rennen, wie die Zeitung behaupte, sondern drei Tage vorher angerufen …
Die meisten Fahrer waren schnell wieder aktiv. Die Staatsanwaltschaft ermittelte weiter. Am 30.5.2007, während des Giro d’Italia, wurde bekannt, dass das CONI gegen Mazzoleni und Di Luca ein Doping-Verfahren eröffnete. Di Luca wurde später entlastet, doch am 28.9.2007 beantragte das CONI eine Sperre von 4 Monaten wegen der Zusammenarbeit mit Dr. Santuccione. Mazzoleni wurde von seinem Team T-Mobile entlassen. Im Frühjahr 2008 erhielt er eine Zweijahres-Sperre.
Giuseppe Muraglia wurde 2007 positiv auf hCG getestet. Dafür und für die Einbindung in die Affaire ‚Oil for Drug‘ forderte das CONI eine 4-Jahressperre, er erhielt aber für beides 2 Jahre.
Danilo Di Luca wurde 2007 sein Kontakt zu Santuccione angerechnet, ein Dopingvergehen konnte ihm nicht angelastet werden. Das CONI forderte eine Wettkampfpause von 4 Monaten, ausgesprochen wurde am 16.10.2007 3 Monate Sperre. Die UCI erkannte ihm daraufhin die ProTour-Punkte für 2007 ab. Di Luca führte bis dahin die Rangliste an.
Giuseppe Gibilisco verweigerte im Juni 2007 in der Anhörung vor dem CONI eine Aussage gegen Santuccione, obwohl er 2004 den Arzt schwer belastet hatte. Am 18.7.2007 erhielt er eine Zweijahressperre wegen Dopingabsicht, die nach seinem Einspruch aufgehoben wurde um später in letzter Instanz wieder bestätigt zu werden. Am 10.5.2008 hob das CAS diese Sperre auf, versuchtes Doping sei ihm nicht nachzuweisen, die Zusammenarbeit mit Dr. Santuccione sei im Gegensatz zu Di Luca nicht Gegenstand der Sanktion gewesen.
Am 17.12.2007 sprach das CONI gegen Santuccione ein lebenslanges Verbot aus, Mitglied eines dem italienischen Olympischen Verbandes angehörigen Vereins zu sein und dessen Sportler zu betreuen. Auch entsprechende Sportstätten darf er nicht mehr betreten (CONI, Tagesspiegel). Im Januar 2009 begann in Rom ein Prozess, angeklagt sind Santuccione, der Sportmediziner Simone Giustarini sowie 18 weitere Personen.
Ein weiterer Prozess begann im März 2010 in Rom, 28 Personen, darunter Mediziner und Apotheker sind angeklagt. Der italienische Radsportverband, selbst indirekt beschuldigt, klagt als Nebenkläger auf 3 Millionen Euro Schadensersatz.
repubblica: Oil for drug, la federciclismo chiede 3 milioni di euro, 6.3.2010
Ausschnitte aus dem 16 000 Seiten umfassenden Ermittlungsprotokoll:
sportpro.it: I NAS: ECCO LE INTERCETTAZIONI CHE INGUAIANO DI LUCA –
>>> NAS-Gesprächsprotokolle / Muraglia, Di Luca
Im März 2005 wurde der Dopingplan eines italienischen Fahrers aus dem Jahre 2001 veröffentlicht, gegen den 2004 im Rahmen der Razzia „Oil for Drug“ Anklage erhoben wurde. Der Text kann hier nachgelesen werden:
>>> Profiradfahrer David Tani: ein Dopingplan
* Alessio Galletti starb am 15.6.2005 während des Rennens Grand Prix Naranco an Herzversagen/ den Plötzlichen Herztod.