Süddeutsche Zeitung 10.7.2006
Der dritte Mann will immer mehr
Abhörprotokolle der Polizei enttarnen Jan Ullrich als Kunden des Dopingarztes Fuentes / T-Mobile entlässt Rudy Pevenage
Auszüge aus einem Artikel der Süddeutschen Zeitung vom 10.7.2006:
(…)
Unter dem Datum 17. Mai findet sich in den Protokollen der spanischen Behörden beispielsweise eine SMS-Nachricht an Fuentes, der Text wurde bereits vergangene Woche von der seriösen spanischen Zeitung El Pais veröffentlicht:
„Freund, wann können wir mal reden, Rudicio.“
Bei Rudicio müsse es sich um Rudy Pevenage handeln, mutmaßte die Polizei laut El Pais – und beim entdeckten Codenamen „Sohn des Rudicio“ um Jan Ullrich. Im Report der Guardia Civil wird dies nun konkretisiert. Denn die SMS, die Fuentes um 23.27 Uhr erreichte, wur-de laut Protokoll von der belgischen Rufnummer 47396XXXX gesendet.
Der Anschluss Belgien, 47396XXXX, gehört Rudy Pevenage, 54. Er ist zu diesem Zeitpunkt gerade mit Jan Ullrich beim Giro d“Italia unterwegs.
Am 18. Mai 2006 erhält Fuentes um 12.20 Uhr einen Anruf von Telefonnummer 47396XXXX. Es ist der Tag des Giro-Einzelzeitfahrens in Pontedera. Pevenage fragt laut den Mitschnitten der Polizei, ob Fuentes gerade beschäftigt sei. Fuentes erwidert, er sei mit seiner Tochter bei einem Termin, „aber ich brauche noch die Daten für den Juni von dir“ (im Juni wird Ullrich die Tour de Suisse ge-winnen). Pevenage: „Ruf“ mich dringend an, ich muss mit dir in einer sehr wichtigen Angelegenheit reden.“ Kein Problem, antwortet Fuentes, um 14 Uhr sei er wieder erreichbar. „Wir haben ein Zeit-fahren“, sagt Pevenage. – „Gut, dann ruf mich an, wenn es fertig ist.“
Auf den Hund gekommen
Rudy Pevenage meldet sich wieder um 20.15 Uhr, er spricht zufrieden in den Hörer: „Heute hat eine dritte Person gewonnen.“ Der Codename dritte Person taucht später an anderer Stelle der Protokolle noch einmal auf, und es ist nach Überzeugung der spanischen Behörden jeweils Jan Ullrich gemeint. Schließlich ist er es, der am 18. Mai überraschend das Rennen in Pontedera gewonnen hat.
Zwei Tage später, am 20. Mai um 10.44 Uhr, erhält Pevenage einen Anruf von Fuentes, er empfiehlt dem Arzt: „Du kannst auf meiner anderen belgischen Nummer anrufen.“ Sie sprechen aber einfach weiter. Pevenage sagt, er habe „¸mit einer dritten Person im Bus geredet“, und dass „diese dritte Person daran interessiert ist, noch mehr zu haben, auch wenn es nur die Hälfte ist“. Die Guardia Civil folgert, dass es sich um Ullrich handele, der offenbar eine umfangreiche Bestellung an Fuentes andeutete, notfalls aber auch mit weniger zufrieden wäre.
Siege müssen sehr gierig machen.
Der Sondereinheit UCO der Guardia Civil liegt zu Ullrich außerdem ein von ihr als Dokument 32 bezeichnetes Schriftstück vor, auf dem der Fuentes-Mitarbeiter Ignacio Labarta handschriftlich viermal den Namen JAN in Verbindung mit Codenamen für bestimmte Substanzen bringt: „Vino“, „Nino“, „Ignacio“ sowie „PCH“. Die Polizei ist sicher, auch diese entschlüsselt zu haben: Bei Vino handele es sich um Blut für verbotene Rückführungen, bei Nino um Wachstumshormone, bei Ignacio um das gentechnisch hergestellte Peptidhormon IGF1 (Insulinlike Growth Factor 1) und bei PCH um Testosterontabletten, die den Epo-Effekt stimulieren sollen.
Kunde JAN hat für diese Bestellung aus dem Giftschrank 2970 Euro bezahlt.
Jan Ullrich befand sich als Fuentes-Kunde in schlechter Gesellschaft. Der frühere Gynäkologe hat mit der Nummerierung seiner in Kühlschränken gelagerten Blutkonserven quasi die mögliche Ergebnislisten vorempfunden. Denn nach der Nummer 1, dem „Sohn des Rudicio“, taucht in den Unterlagen an Position 2 der Deckname Birillo auf. Auch die Zuordnung Birillos zu Ivan Basso, suspendierter Kapitän des Team CSC, wurde den Ermittlern sehr leicht gemacht. Denn über Birillo – so soll Bassos Hund heißen, wenngleich CSC-Teamchef Bjarne Riis das am Wochenende genervt bestritt – spricht Labarta am 13. Mai, 20.02 Uhr, mit Fuentes. Zum Gesprächsprotokoll muss man einfach das jeweilige Giro-Klassement zur Hand nehmen, um die Namen zu entschlüsseln.
„Hast du heute den Giro gesehen“, fragt Labarta seinen Chef, “ (. . .) und hast du gesehen, El Buffalo ist Vierter geworden. (. . .) Vorne war Savoldelli, und nur 16 Sekunden später kam Birillo an der Seite von Simoni ins Ziel, nach 20 Sekunden dann Zapatero.“
Bei der siebten Giro-Etappe am 13. Mai 2006 belegte Paolo Savoldelli Rang zwei – und „Birillo“ Basso mit 16 Sekunden Rückstand auf Sieger Rik Verbrugghe Rang sechs, zeitgleich mit Gilberto Simoni; als Zehnter, 20 Sekunden zurück, kam der Italiener Michele Scarponi (ihm gehört der mehrmals aufgeführte Codename Zapatero) an, verblüffender Vierter wurde der Spanier José Gutierrez (El Buffalo) vom Team Phonak, über dessen Performance sich Pevenage während des Giros vieldeutig geäußert hatte: „Seltsam, dass ein 100-Kilo-Mann hier plötzlich die Berge hoch kommt.“ Der Vater des dritten Mannes ahnte wohl nicht, dass der Konkurrent den selben Schnellmacher aufsucht.
(…)