Die UCI und Doping
New Teams’ Operational Guide for UCI WorldTeams
Radsport im Wandel? Interview mit Olivier Aubel (ISSUL)
ISSUL Erfahrungsbericht
2013 erhielten drei Soziologen am Lausanner Universitäts Institut für Sportwissenschaft (Sports Science at the University of Lausanne (ISSUL)) von der UCI den Auftrag, einen Handlungskatalog (Operational Guide) für Radsport-Teams zu entwickeln, der für World Teams einheitliche Standards hinsichtlich deren sportlichen, ethischen, finanziellen und administrativen Teamstrukturen schaffen soll. Von der Erfüllung der darin enthaltenen Empfehlungen möchte die UCI ab 2017 die Erteilung der World-Tour-Lizenz abhängig machen.
Im Jahr 2015 begann die Evaluation mit der Unterstützung von 8 Teams, die sich auf freiwilliger Basis bereit erklärt haben, die von ISSUL entwickelten Vorgaben umzusetzen und auf deren Praktikabilität hin zu überprüfen. Die 8 Teams waren: AG2R La Mondiale, FDJ.fr, Team Cannondale-Garmin, IAM Cycling, Etixx-Quick Step, Orica GreenEdge, Team Giant-Alpecin und Trek Factory Racing.
Der Handlungskatalog umfasst folgende Handlungsfelder:
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- Das sportliche Arbeitsleben der Fahrer (Trainings- und Wettkampfplanung, Ruhephasen)
- Das sportliche, teamintern Personenumfeld (ausreichende Betreuerzahl)
- Die medizinische Betreuung (insbesondere die Einbindung eines Teamarztes)
- Die Arbeitsbedingungen
- Die Anzahl der Teammitglieder
- Die Betreuung und Langzeitbegleitung (Monitoring) der Fahrer
- Die Zertifizierung der Teamleitung
Im Oktober 2015 berichtete Le Monde, dass der Evaluierungsprozess scheitern könnte, da die Mehrzahl der Teams entweder kaum Interesse zeigte oder sich ganz verweigerte und sogar juristische Schritte erwog. Hintergrund war wahrscheinlich der Machtkampf zwischen Velon/RCS Sport und ASO zu sein.
Le Monde: Dopage : le peloton se divise sur le chemin de la transparence, 21.10.2015
Interview mit Oliver Aubel (ISSUL)
Das Projekt lag in den Händen der drei Soziologen Oliver Aubel, Fabien Ohl und Natascia Taverna. Oliver Aubel berichtete in einem Interview über seine Erfahrungen während der Entwicklungsphase.
Das Interview wurde von LE TEMPS am 24.7.2015 veröffentlicht unter der Überschrift
«Derrière les belles images du Tour de France se cache un monde de précarité».
Es gibt einige interessante Einblicke in das Innenleben des damaligen Profi-Radsports auf hohem Niveau.
Das Interview fand Ende Mai 2015 statt. Im Folgenden findet sich dessen Zusammenfassung, die eingerückten Texte sind Zitate.
Hinter den schönen Tour de France-Bildern verbirgt sich eine Welt voller Unsicherheit.
Frage: Wie sieht das Profil des durchschnittlichen Radsportlers aus?
Mit Ausnahme der Stars im Peloton und der bekanntesten Fahrer, ist er ein Sportler, der eine schwierige Arbeit für ein bescheidenes Gehalt ausübt, verglichen mit Sportlern anderer Sportarten, die weltweit medial hohes Interesse genießen, dies gilt selbst in Bezug auf die weltweite Bevölkerung. Ein Fahrer sagte uns: „Ich verdiene 2400 EURO im Monat, fahre manchmal mit 110 km/h Abfahrten herunter. Im Hotelzimmer sollte eine Fernsehapparat stehen, denn wenn nicht, fange ich an zu grübeln.“ Dieses Mitglied eines Teams wurde nach dem Mindestlohn bezahlt, der zwischen den Teams und der UCI ausgehandelt wurde. Der Fahrer sagte auch: „Ich fahre in der World Tour, den Giro… Das ist immerhin die NBA des Radsports, aber trotzdem wohne ich bei meinen Eltern, da ich nicht genug verdiene.“ Ein Drittel seines Gehaltes ließ er in der Vorsaison im spanischen Trainingslager, das er aus eigener Tasche bestreiten muss… Es gibt sehr viele, die so leben. Wenn sie nicht die richtige Hinwendung zum Radfahren haben, nicht genug Gefallen daran finden, dann akzeptieren sie die schlechten Bedingungen nicht und hören auf. Die meisten Fahrer, denen wir begegnet sind, üben ihren Beruf Radsport mit Leidenschaft aus. Aber einige leiden auch darunter.
Frage: Wie sieht der Beruf des Radsportlers genau aus?
Das wichtigste Charakteristikum ist, dass viele Arbeitszeiten ohne die Arbeitskollegen und das Teampersonal verbracht werden. Während dieser „off“-Perioden, in denen die Fahrer weder Wettkämpfe bestreiten noch sich in gemeinsamen Teamtrainingslagern befinden, und die sich auf mehrere Wochen in Folge erstrecken können, ist diese Arbeit ähnlich wie Heimarbeit einzustufen. Das ist kein Fehler der Teamleitung, es ist der Beruf, der entsprechend organisiert ist. Die Fahrer werden häufig für ein ganzes Jahr bezahlt, das übrige Teampersonal sieht sie aber nur während 20 % dieser Zeit. Die Teamleitung steht also vor der Herausforderung, diese „Heimarbeit“, mit der die Fahrer ihr Leistungsvermögen entwickeln sollen, zu organisieren.
Die Teams erscheinen lediglich während der Rennen als Einheit. Die Fahrer kommen jedoch aus den unterschiedlichsten Ländern und Kontinenten.
Ein Teammanager erzählte uns den Fall eines seiner Fahrer, der aus einem sehr weit entfernten Land stammte. Er zog gemeinsam mit seiner Frau weg, hatte aber lediglich einen Einjahres-Vertrag. Die Ehefrau fühlte sich am neuen Wohnort nicht wohl, und der Fahrer verlor seine Ausgeglichenheit. Da die Dauer der Verträge im Allgemeinen sehr kurz ist, gestaltet sich die Zusammenführung schwierig. Die Fahrer ziehen es oft vor, zu Hause zu trainieren, manchmal auch zusammen mit Sportlern anderer Teams und treffen ihre eigene Teams nur anlässlich der Rennen.
Marc Madiot,FDJ:
„Now it’s time for the transfer window but I can’t afford to recruit riders at a big salary. Some of my colleagues dream of making business with buying and selling riders like clubs do in football but I’m definitely not interested in that kind of business. I have a much bigger passion for developing riders and living the adventure together with them on a long term basis. Rich people like Andy Rihs and Tinkov spend their personal money in hiring expensive cyclists, and it’s their choice and I respect it. I don’t have that kind of money to throw away and I contribute to my sport in a different way.“
die ökonomische Struktur
Im Fußball beruhen die Erträge auf vier Säulen: dem Kartenverkauf, dem Verkauf von Spielern, von Fanprodukten, von Medienrechten. Im Radsport hängt fast alles vom Sponsor ab. … Im Durchschnitt beträgt das Budget eines ProTeams 15 Millionen SF für 28 bis 30 Fahrer. In der zweiten Kategorie beträgt das Budget durchschnittlich 3 bis 5 Millionen bei durchschnittlich 22 Fahrern, oft mit einem Mediziner, der nur stundenweise zur Verfügung steht und ohne Trainer. Zwischen 2005 und 2014 waren 92 World Tour-Teams lizenziert, 53 davon gibt es nicht mehr, 14 gelang es, ihren Sponsor während der gesamten Zeit zu behalten. Hinter den schönen Bilder der Tour de France versteckt sich eine Welt der Unsicherheit, eine Radsportwelt, die sehr heterogen ist und manchmal den Anforderungen nicht genügt. Das System ist insgesamt instabil, da die ökonomische Basis schwach und zerbrechlich ist. Es lässt sich auch nicht weiter ausbauen. Die World Tour weist bei insgesamt 154 Wettkampftagen nur 13 Tage außerhalb Europas auf. Frankreich, Italien, Belgien und Spanien sind die Heimat des Radsports. Daneben gibt es wenig und es gestaltet sich schwierig, neue Veranstaltungen zu etablieren. Die Globalisierung des Radsports ist sehr relativ. …
Der Bekanntheitsgrad des Radsports fußt während einer Saison zu 80% auf der Tour de France. Aus diesem Grund hat die zweite Liga des Radsports Mühe, zu überleben, alle Sponsoren wollen an der Tour teil nehmen. Die UCI vergibt pro Rennen an die zehn bestplacierten Fahrer Punkte. Die Teams erhalten die Punkte der Fahrer. Da jeder Punkt den gleichen Wert hat unabhängig davon, ob sie in Asien oder in Europa, wo die Konkurrenz unter den Fahrern wesentlich größer und das Leistungsniveau höher ist, erworben wurden, rekrutieren Teams ihre Fahrer gelegentlich nur nach den Punkten und nicht nach dem sportlichen Leistungsvermögen. Damit entsteht zusätzlicher Druck auf die anderen Fahrer, die sich noch stärker anstrengen müssen.
Trainingsbedingungen
Seit einiger Zeit versuchen die Teamleitungen eine engere Beziehung während der Trainingszeiten zu ihren Fahrern aufzubauen und etablieren gezielt Trainingsprogramme. Es scheint jedoch gelegentlich Probleme mit Nachwuchsfahrern zu geben.
„Lass mich in Ruhe, du musst nur wissen, dass ich trainiere und dass ich am Tag des Rennens der Stärkste sein werde.“ Das erzählte mir erst kürzlich ein Teammitglied. Aber der Trainer kann natürlich nicht wissen, ob der Fahrer in Form sein wird und er weiß auch nicht, was dieser macht, um in Form zu kommen. Hinzu kommt, dass einige World Tour-Teams keinen eigenen Trainer haben. Im „Alten Radsport“ herrschte das Tandem Sportlicher Leiter-Rennfahrer vor. Mit dem modernen Radsport kommen die Trainer in die Szene, manchmal sogar ganze Trainer-Teams, Wissenschaftler, die sich mit Leistungsdiagnostik beschäftigen. Einer von ihnen sagte mir, man müsse heute mindestens einen Doktortitel in Physiologie oder Trainingswissenschaft haben, um einen Sportler trainieren zu können. Ihr Ziel ist, während der gesamten Trainingsperiode im Leben des Sportlers Fuß zu fassen. Bislang war diese Zeit eine Art schwarzes Loch.
Nun bekommen die Fahrer ihren Rennkalender mit dem passenden Trainingsaufbauprogramm. Über das tägliche Leistungsmonitoring steht der Trainer immer in direktem Kontakt mit dem Sportler. Ermöglicht wird dies mit Hilfe von kleinen Computern, die sämtliche Leistungsdaten wie Kraft, Trittfrequenz, Herzfrequenz, die Kilometerzahl und die Zeit aufzeichnen und tägliche Auswertungen ermöglichen. Damit ändert sich auch das Arbeitsverhältnis.
Grundsätzlich wird daraus ein eine echte Beziehung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Zuvor herrschte ein gewisser Fatalismus vor: „Der Radsport ist wie er ist…. Man kann nicht immerzu hinter den Jungs her sein…“. Heute hat sich das komplett geändert. Die meisten Manager sehen sich als Chef eines Unternehmens, dessen Zukunft von einem einzigen Kunden abhängt, dem Sponsor. Sollte der Sponsor ankommen und sagen: „Wenn es eine Dopingaffaire gibt, bin ich weg“, verschärft sich die Situation gravierend. Der Unternehmer etabliert also ein Kontrollsystem mit dem er sicher stellen will, dass die Fahrer arbeiten (also trainieren) und dass sie sauber sind (sich nicht dopen). Er überwacht sie insoweit, dass er weiß, wo sie sich aufhalten, was sie machen, mit wem sie trainieren, wer ihr Mediziner ist usw. . Immer mehr Teams etablieren solch ein Kontrollsystem, das ihnen ermöglichen soll, im Voraus Situationen zu erkennen, in denen der Fahrer gefährdet sein könnte.
Der Mediziner, der in den vergangenen Jahrzehnten gleichzeitig das Training der Fahrer kontrollierte, kommt in diesem neuen System nicht mehr vor.
Doping
Frage: Viele Menschen glauben, dass Doping Teil der Radsportkultur ist. Ist das auch Ihre Meinung?
Ganz im Gegensatz zu den herkömmlichen Forschungsansätzen kamen wir recht schnell überein, den Radsportler als Arbeitnehmer zu betrachten. Mit dieser Prämisse erkennt man Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen, die Regelverletzungen begünstigen. Doping wird immer als moralische und individuelle Fehlhaltung beschrieben, wobei man sich weigert anzuerkennen, dass es sich dabei um ein Problem handelt, das Arbeitsbedingungen inhärent sein kann. Bei genauem Hinschauen, kann man interessanterweise feststellen, dass die durchgeführten epidemiologischen Studien, die andere Berufsgruppen betreffen (Fernlastfahrer, Anwälte, Mediziner), ebenfalls einen hohen Missbrauch an Dopingmitteln aufzeigen. Dieser Missbrauch wird immer mit den Arbeitsbedingungen erklärt. Im Sport wird dem professionellen Arbeitnehmer die alleinige Verantwortung auferlegt.
Die Arbeitsbedingungen der Fahrer sind häufig geprägt durch finanziellen Druck und der Härte der Arbeit. Entscheidend kann die Vertragssituation sein.
Doping bietet sich in Arbeitssituationen an, in denen der Fahrer am Ende eines Vertrages mehr Leistung bringen muss, um einen neuen zu erhalten. Insbesondere Ende Juni und Juli, wenn die Fahrer auf dem Markt sind. Diejenigen, die nach der Tour de France noch keinen Vertrag haben, müssen sich ernsthaft um ihre Zukunft sorgen. Während der Rennen in August und September sind sie großem Druck ausgesetzt und damit verwundbar.
Ein Team, das gegenwärtig unseren Pflichtenkatalog testet, hat deshalb ein Begleit-/Betreuungsprogramm eingeführt für die Fahrer, von denen es sich trennen möchte. Sie sollen ihr Training weiterhin aufrecht erhalten können, ohne in Versuchung zu geraten. Das Doping, das Arbeitsbedingungen inne wohnt, ist das alte Doping: um die Stunden im Sattel bei Kälte, Wind und Regen zu ertragen. Ein Fahrer hat mir erzählt, wie er eine 6stündige Trainingsrunde im Schnee verbrachte. Man muss es hinter sich bringen, wie auch immer! Dazu braucht man außergewöhnliche Motivation und wenn man müde ist, neigt man dazu aufzugeben oder eine Amphetaminpille einzuschmeißen.
Im Allgemeinen werden immer drei Doperpersönlichkeiten, drei Profile heraus gearbeitet. Die erste ist der uniformierte Sportler, der etwas nimmt und dann leicht überführt wird. Aufgrund der immer besseren Aufklärung im Peloton findet man diesen Typ immer seltener.
Mit dem zweiten Profil werden Fahrer beschrieben, die sehr gut informiert sind, die Regeln gut kennen und diese ganz bewusst verletzen. Sie spielen hohes Risiko wissen aber auch, wie sie dieses minimieren können. In der Vergangenheit waren es vor allem die bekannten Leader, die diesen Typ verkörperten. Sie sind die wahren Betrüger und es scheint als könne ihnen nur die Strafverfolgung mit Hilfe der Polizei Einhalt gebieten. Lance Armstrong gehört in diese Kategorie.
Allerdings sind seine Erfolge nicht allein auf Doping zurück zu führen. Er hat zwar das Dopen rationalisiert und perfektioniert, aber genauso seinen Sport.
Fünfzehn Jahre zuvor gab zwar schon den schweizer Trainer Koechli, der wurde aber für verrückt erklärt. Neben seiner Dopingpraxis, machte Armstrong einen beträchtlichen Sprung vorwärts in Bezug auf Trainingsprogramm, Technik und Renntaktik, aber auch hinsichtlich des Materials, des Luftwiderstands, womit bis zu einer Minute auf 50 km zu gewinnen war. 2002 hat er, glaube ich, 25 Sekunden auf Ullrich heraus gefahren. Sein Trikot ließ ihn aufgrund der verringerten Reibung nicht viel weniger als eine Minute schneller fahren. Hat das den Unterschied ausgemacht? Oder EPO? Ulrich hatte es auch genommen. Es war demnach das Material. Armstrong fuhr mit einem Rahmen aus Titan, stabiler und leichter, während die anderen noch Stahl oder Alu-Rahmen benutzen.
Die dritte Kategorie betrifft Fahrer, die meinen, sie könnten ihren Arbeitsvertrag nur mit Hilfe von zusätzlichen Mitteln erfüllen.
Wir erfuhren von einem Fahrer der World Tour, der 6 Kilo zugenommen hatte. Seinem Team fiel das erst relativ spät auf. Er wurde von Teamarzt und Manager einbestellt, die ihn vor die Wahl stellten, entweder erreicht er sein Topgewicht innerhalb drei Wochen wieder oder er wird entlassen. Drei Wochen später kam der Fahrer fit zurück und gewann gegen Ende der Saison sogar einige wichtige Rennen. Sein Sportlicher Direktor erzählt uns diese Episode während einer Unterredung – zwei Tage später wurde der Fahrer positiv getestet. Das ist der klassische Fall: keine Betreuung, Managementfehler, finanzieller Druck und Notlage. Am Ende wird der Fahrer erwischt.
Ein anderer Fall: ein junger Fahrer wurde wegen seiner schlechten ersten Saison von seinem Sportlichen Direktor zur Rede gestellt: „Du bist schlecht, du kannst deinen Job nicht.“ Der Fahrer wehrte sich: „Nein, es ist nicht möglich besser zu fahren als ich es dieses Jahr gemacht habe. Ich habe wirklich hart gearbeitet. Zu sagen, ich kann meinen Job nicht, ist eine Beleidigung.“ Wenig später verstand der Fahrer, was sein Chef ihm sagen wollte und so brachte er sich auf das gewünschte Niveau.
Wir haben es hier mit dem Gefangenendilemma aus der Spieltheorie zu tun: Es gibt ein Interesse am Betrug, da man nie sicher sein kann, dass die anderen nicht auch betrügen. Und wenn sie betrügen man selbst aber nicht, ist man selbst der Dumme.
Dennoch kann man unter den jungen Fahrern eine sehr beeindruckende Veränderung feststellen. Die Jungs, die während der Tour de France 2014 brillierten, gehören, besonders in Frankreich, einer neuen Radsport-Generation an, ich wäre schon sehr überrascht und enttäuscht, wenn sie eines Tages überführt würden.
In der Lebensplanung der Athleten scheint sich zudem eine wichtige Änderung durch zu setzen. Immer mehr von ihnen bemühen sich neben dem Radsport um eine zweite berufliche Ausbildung, nicht selten nehmen sie ein Studium auf und sehen ihre berufliche Zukunft außerhalb der Radsportszene.
Frage: Gehen diese Fahrer immer noch davon aus, dass Doping die Kräfteverhältnisse verändert?
Die Fahrergeneration der 70-80er Jahre nahm Corticosteroide, Amphetamine, viele Produkte mit deren Hilfe sie die Trainingsbelastungen erträglicher machen wollten. Aber sie unterstellte, dass dadurch die Leistungshierarchie erhalten blieb, der beste war derjenige, der im Training am meisten ackerte und es damit am meisten verdiente. Mit dem Auftauchen von EPO und den Wachstumshormonen, veränderte sich dies total. Unabhängig wie intensiv jemand trainierte, die Produkte veränderten das Leistungsvermögen selbst, so dass Training nicht mehr ganz so bedeutsam wurde. Damit wurde die Logik dieses Sports verändert. Einige Trainer, die in den Jahren nach der Jahrtausendwende in die Szene kamen, waren überrascht zu sehen, dass es Fahrer gab, die unfähig waren zu trainieren: sie waren wie Dieselmotoren, die niemals intensiv trainiert hatten, die lediglich viele eintönige Stunden im Sattel verbrachten und dazu ihre Produkte konsumierten….
In jener Zeit hatte jedes Team seine eigenen Methoden und seine eigene Pharma-Ausrüstung, die Fahrer wurden vor jedem Rennen getestet. Wir haben mit einer Person gesprochen, die damit beauftragt war, die Flugzeugtickets für ein Team zu besorgen. Sie hatte nicht verstanden, warum sie jedes Mal entgegen jeder finanziellen Vernunft erst in letzter Minute die Tickets bestellen sollte. Viel später erst wurde ihr klar, dass das Team immer erst im letzten Augenblick sagen konnte, wer von den Fahrern den teaminternen Test bestanden hatte. Heute gibt es das nicht mehr. Außer die Fahrer sind sehr geschickte Lügner. Man muss hier betonen, dass der Radsport die Sportart ist, der am meisten Reformwillen zeigt und gegen Doping kämpft. Dies zeigt sich an den finanziellen Beiträgen, die die Teams, die Organisatoren und die UCI leisten und an den Maßnahmen, die im Antidoping-Kampf einschließlich der Prävention getroffen werden.
Verhältniss Forscher – Teams
«Marc Madiot beschimpfte mich auf spektakuläre Art und Weise. Es wäre nun die x-te Studie, die nichts brächte, er habe für uns keine Zeit. Heute kooperiert er. FDJ ist überaus aktiv, das Team hat sich stark umorganisiert.»
«Man muss sie verstehen. Sie denken, wir steigen aus aus unserer universitären Enklave herab, um ihnen eine Lektion zu erteilen. Ihnen, die seit 40 Jahren ihren Job machen. Doch nach und nach lernten wir miteinander zu sprechen und miteinander zu arbeiten.»
Le Monde, 9.7.2015
Als wir Soziologen ankamen, misstrauten uns die Gesprächspartner, unterstellten, wir kämen aus unserem wissenschaftlichen Elfenbeinturm, um sie zu bevormunden. Anfangs war das Verhältnis oft ziemlich angespannt. Als wir das erste Mal bei einem Team auftauchten, drohte uns ein Trainer Prügel an, sollten wir mit Doping anfangen. Ich musste mich 20 Minuten lang von einem bekannten Sportlichen Direktor beschimpfen lassen, der mir sagte, unsere Arbeit sei Bluff. Heute hat sich das Klima wesentlich verbessert und dieser Sportliche Direktor war der erste, der unseren Maßnahmenkatalog einführte und dafür wirbt. Die UCI hat unser Pflichtenheft angenommen und nicht wenige Teams wenden sich an uns, weil sie das ISSUL-Label erhalten möchten. Mit diesem Zertifikat werden Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen fest geschrieben, die dem Sponsor zeigen, dass das Team gut organisiert ist. Wir werden mittlerweile eher wie jemand wahrgenommen, der zum Wandel des Radsports beitragen kann.
Frage: Sprechen die Fahrer Ihnen gegenüber genauso offen über Doping wie über ihre sonstigen Lebensumstände?
Man muss feststellen, dass einige Teams ihren Fahrern ein Medientraining verordnen, damit sie Journalisten gegenüber gewandter auftreten können, das macht sich auch bemerkbar, wenn sie gegenüber der Polizei aussagen oder Soziologen wie uns Rede und Antwort stehen. Wir erlebten, dass uns verschiedene Fahrer mit genau derselben Argumentation kamen: „Wollen Sie, dass ich meiner Frau erkläre, unser Kind sei behindert wegen Doping?“. Das hörte ich in Italien, in Spanien und in Frankreich. Es handelt sich dabei um ein Zitat aus einem UCI-Präventionsprogramm, das uns wie ein Sketch präsentiert wurde…
Einige von den Fahrern waren schon für 48 Stunden in Untersuchungshaft, waren vor den Augen ihrer Familie von der Polizei in Handschellen abgeführt worden; sie kann ein kleiner Soziologe nicht mehr beeindrucken.
Monika