Radsport Doping-Geschichte
1980 – ca. 2010 Teil 2

1980 – ca.2010, Teil 2: Wachstumshormone, EPO und die Mediziner

die neue Leistungssteigerung – eine Frage der Medizin?

Lange hing der Erfolg im Radsport vor allem von der Erfahrung und Kunst der Betreuer und Masseure ab, die zwar mit ihrem Können und Wissen meist das Vertrauen ihrer Pfleglinge genossen, aber von ihrer Ausbildung her häufig keine medizinischen Kenntnisse besaßen. Das Wissen darum welche Kombinationen welche Wirkungen entfalteten, wann, wie und weshalb die Produkte wirkten und ob überhaupt und wie lange sie nachgewiesen werden konnten, beruhte meist auf Erfahrung, der ungehemmtes Experimentieren voraus ging, oft unter dem Motto, viel hilft viel. Peter Winnen beschreibt, wie er entdeckte, dass neben den offiziellen Medizin-Taschen der Teams die kleinen der Pfleger besondere Bedeutung hatten. Über seinen eigene Pfleger sagte er:

„…Ich wusste sofort, was Jomme da drin hat. Eine andere Medizin, eine Medizin für Fortgeschrittene, die wahre Beschäftigung. Hormone und dergleichen. Und die sind nicht im großen Koffer der Teams zu finden. Die sind zu finden in dem kleinen Koffer des Maestro, dem Köfferchen, das hundert Jahre Erfahrung beinhaltet, dem Köfferchen, das die sogenannten ‚Diamanten’ enthält. Dieses Köfferchen ist ein Zauberkästchen…. Im Peloton wird nur verhalten darüber gesprochen. Jeder Pfleger hat seine eigene geheime Formel. Fachmännisches Können ist Herrschaft.“

Raymond Le Bert war Mitte des letzten Jahrhunderts ein bekannter Pfleger, ein ‚Hexenmeister‘ der Szene, der auch die psychologische Stimulation, den Glauben, einzusetzen wußte. Bekannt wurde sein „petit bidon magique“, die kleine Trinkflasche mit einem Gebräu, das auch Louison Bobet zu schätzen wusste. Es handelte sich dabei um ein Getränk auf der Basis von Coca, Chinin und Kola, das von Dr. René Despas verschrieben und im Laboratorium von Dr. P. Zizine hergestellt wurde.

„Ein letztes Aufbäumen (der letzte Ansporn) ist bei einem Sportler mit Kondition möglich. Daher habe ich meinen Fahrern geraten, den Inhalt der kleinen Trinkflasche nur zu nehmen, wenn es die Mühe lohnte, denn ich wollte diesem Bidon seinen psychologischen Wert erhalten.“(de Mondenard, Dictionnaire, S. 719)

Ärzte beteiligten sich schon früh an diesem Spiel, doch in den letzten beiden Jahrzehnten wuchs der Einfluss der Sportmediziner stetig. Es gibt die Pfleger, Betreuer oder Masseure zwar immer noch, sie haben auch noch großen Einfluss, doch die Mediziner übernahmen die ‚Herrschaft’ im oberen Feld der Hochleistungen.

Manche Ärzte sollen das Honorar für ihr Dienste abhängig machen von den erworbenen UCI-Punkten.

Die neue Ära begann in den 80er Jahren an italienischen Universitäten, die Trainingslehre und die Betreuung der Hochleistungssportler wurde von Ärzten übernommen und gestaltet. Unter systematisch-wissenschaftlichen Gesichtspunkten versuchte man entsprechende Theorien zu erarbeiten. Die in weiten Teilen nicht gut bekannten Wirkungen und Synergien der verschiedenen Dopingsubstanzen wie Anabolika, Corticoide, Wachstumshormone und insbesondere EPO versuchte man zu erforschen und die Sportler wurden zu ’Versuchstieren’ der Wissenschaft.

Auch in Deutschland wuchs seit den 70er Jahren der Einfluss der Sportmedizin, die Diskussion um die Anabolika (s. o.) ist eng verbunden mit den Namen bekannter Sportärzte und universitären Instituten (siehe Ärzte und Doping). Und die Athletenbetreuung in der DDR hatte noch einmal eine ganz eigene Qualität. Die Entwicklung an den italienischen Universitäten in Verbindung mit den führenden Sportorganisationen des Landes beeinflusste jedoch den gesamteuropäischen Sport und in diesem Zusammenhang den Radsport, auf besonders nachdrückliche Weise.

In der Praxis wurden den Probanten nach ausgiebigen Tests Langzeit-Programme, manchmal für ein ganzes Jahr, mitgegeben, die im Detail das Training vorgaben, auch die „Medikation“ oder „Nahrungsergänzung“ mit allen verfügbaren bzw. hilfreichen Produkten wurde entsprechend geregelt. Dem gegenüber standen noch längere Zeit die traditionell arbeitenden Teams und Fahrer der anderen Nationen. Das änderte sich langsam durch die Transfairs von Fahrern und Personal. Gleichzeitig blühte der italienische Radsport auf und erregte Aufsehen durch die errungenen Erfolge.

In Italien lag aufgrund dieser Entwicklung auch die Wiege des systematischen ärztlich verordneten EPO-Einsatzes. Die Namen Francesco Conconi und Michele Ferrari stehen dafür. Ferrari, der bereits 1994 in der l’Equipe folgendermaßen zitiert wurde: „Wäre ich Fahrer und es existierte ein nicht nachweisbares Produkt, welches die Leistung verbessern würde, ich nähme es.“ (L’Equipe, 22. 4. 1994)

Peter Winnen beschreibt die Entwicklung der Dinge aus holländischer Sicht:

„Zufall oder nicht, 1997 erholte sich der niederländische Radsport nach einem jahrelangen Tief. Und jeder sagte damals, die Jungs trainieren zu wenig hart. Ich musste immer darüber lachen. Die Krise im niederländischen Radsport hatte wenig zu tun mit Mangel an Talenten, wie immer behauptet wurde. Die niederländischen Teams hatten einfach einen Rückstand in der medizinischen Betreuung und haben jetzt aufgeholt.“ Winnen’s Ansicht kann hier nachgelesen werden.

Wachstumshormone

Wachstumshormone (HGH Human Growth Hormone) gehören seit den 80er Jahren zu den Standardmitteln in der Szene, wer sie sich finanziell leisten kann und willens ist, greift zu. Vor allem die Ausdauersportarten profitieren, durch sie schwindet der Körperfettanteil und die Regenerationszeit wird verkürzt. Wer Anabolika verschleiern muss, benötigt dazu einen Mix von EPO und HGH, auch Kortikosteroide werden noch dazu gemischt und wenn alles gut eingestellt ist, steht einer optimalen Leistungssteigerung kaum etwas im Wege. Noch immer werden sie nicht nachgewiesen, obwohl ein Test entwickelt wurde.

Ihre Blütezeit im Radsport erreichten die HGH Mitte der 90er. Bekannt ist dies aus Geständnissen von Fahrern, Pflegern und Ärzten sowie durch Funde. Im Festina-Prozess in Lille wurde zweifelsfrei enthüllt, dass der Gebrauch von HGH im Radsport üblich war.

In einem Spiegel-Artikel über die Rad und Doping-Karriere von Jörg Paffrath heißt es:

„… Sportlich bringt ihn Epo letztlich nicht bedeutend weiter. Als 29. der deutschen Rangliste kommt er finanziell immer mehr in die Bredouille. Die Dopingkuren kosten im Monatsdurchschnitt 500 Mark. Ob er die rezeptpflichtigen Medikamente von befreundeten Krankenpflegern bekommt, ob er sie von Kollegen aus dem Ausland, aus Bodybuildingstudios oder von Dealern bezieht – alle verlangen sie enorme Summen.

Trotzdem greift Paffrath zu, als „die Mafia“ – so versteht er das Radgeschäft inzwischen – eine Neuheit propagiert: Wachstumshormone, die von Dopinganalytikern nicht gefunden werden können. Er probiert zunächst Kryptocur, ein gentechnisch hergestelltes Hormon, das verschrieben wird, um einen krankhaften Hodenhochstand zu therapieren. Doch das „Schweinezeug“, das er sich in die Nase sprüht, verursacht nur kaum zu stillendes Nasenbluten. Paffrath setzt es ab.

Als er ins Trainingslager für die Saison 1995 nach Südafrika fährt, hat er das Neueste im Gepäck, was der Schwarzmarkt anbietet: Saizen. Das Hypophysenvorderlappenhormon applizieren Ärzte minderwüchsigen Kindern. Wenn er es einnimmt, fühlt er „die Kraft eines Stieres“ in den Beinen. Und wenn er das Hormon gar mit Epo kombiniert, „gibt es einen richtigen Bums“. Er ist fasziniert vom neuen Wundermittel, Nebenwirkungen wie Kopfschmerzen und das Leukämierisiko verdrängt er mühelos. …“(der Spiegel 25/1997)

Aus einer Frontal 21 – Sendung vom 21. 6. 2001:

„Systematisches Doping im Radsport belegen auch Dokumente, die belgischen Staatsanwälten in die Hände fielen. Dazu gehört der Medikamentenplan eines deutschen Fahrers, der heute noch aktiv ist. Auf dieser Liste steht auch das Wachstumshormon HGH und sogar die Frage nach dem richtigen Einsatz von Dopingmitteln wie EPO wird beantwortet.“ Die Autoren des Beitrages sind ausgewiesene Experten der Radsportszene und des Dopingproblems, hier nachzulesen.

Jef d’Hont, Betreuer und Masseur von Michel Pollentier, Freddy Maertens, Joop Zoetemelk, in den 90 Jahren bei Gewiss-Ballan, Team Telekom (1996 und 1997) und la Francaise de Jeux, fiel mehrfach auf durch zurückgelassen Spritzen in Hotels, an denen immer auch EPO festgestellt wurde. 1998 nach dem Halbklassiker Gent-Wevelgem lässt er in Abfallsäcken von FDJ wiederum Spritzen und Ampullen mit EPO und Synacthen-Spuren zurück. (Synacthen, ein Glucocotikoid, seit langem ein absoluter Renner in der Radsportszene, Voet sprach sogar von einem Pfleger in den 80ern, der nur „Monsieur Synacthen“ genannt wurde). Zudem wurden eine Packung mit Fragmin, einem Blutverdünnungsmittel und handschriftliche Notizen über die Anwendung anderer verbotener Mittel, einschließlich IG-F, einem Wachstumshormon, gefunden. (Aus einer dänischen Fernsehdokumentation vom 13. 1. 1999, der Autor war selbst Pfleger bei Gewiss-Ballan).

Wachstumshormone wurden auch im Haus von Frank Vandenbrouke, im Auto von Edita Rumsas und bei Stefan Steinweg bei seiner Einreise nach Australien gefunden.

2019 beschreibt Pierre Sallet, französischer Anti-Doping-Experte, Präsident der „Athletes For Transparency (AFT)“, die Situation zu Wachstumshormone wie folgt (spe15.fr, 24.4.2019):

Wachstumshormone werden seit Jahrzehnten zum Dopen benutzt, ihr Nachweis ist aber immer noch schwierig. Mittlerweile sind sie auch beliebtes Anti-Aging-Mittel.

Wachstumshormone werden sportübergreifend angewandt. Leichtathletik, Fußball, Tennis usw. kaum ein Sport scheint ausgenommen trotz gravierender gesundheitlicher Gefahren, die damit einher gehen. .

Sie wirken nicht nur allein sondern erhöhen in Verbindung mit EPO eingenommen, dessen Wirkung. Insbesondere für Ausdauerathleten kann sich das auszahlen, die Muskelmasse wird gestärkt selbst dann, wenn das Gewicht reduziert werden muss, Fett wird abgebaut und die Produktion von EPO angeregt. Sie verbessern auch das positive Lebensgefühl und werden damit besonders attraktiv im Alltag. Im Sport können unter Berücksichtigung mentaler Faktoren damit Wachstumsfaktoren zum entscheidenden Motivationsmoment werden, sowohl während des Trainings als auch in Wettkämpfen.

Eine Kur besteht aus 6 Injektionen, die im Abstand von 3 Tagen verabreicht werden. Zur Aufrechterhaltung und Verstärkung kann dann eine neue Injektion nach jeweils 15 Tagen erfolgen. Einen direkten Nachweis gibt es nicht außer der Athlet würde während der Injektion überrascht oder das Medikament bei ihm direkt sicher gestellt. Ein indirekter Nachweis ist genauso schwierig, wie ein Nachweis generell nach dem Biologischen Pass. Sportler/innen mit den nötigen finanziellen Mitteln dürfte es leicht fallen, ein Dopingverfahren zu vermeiden.

Während EPO heute sehr billig zu erwerben ist, kostet eine Dosis HGH ca. 200 € und mehr auf dem Schwarzmarkt. Eine Kur kann zwischen 2 000 und 4 000 € kosten.

Ist die Anwendung von EPO schon gesundheitlich riskant, können Wachstumshormone weit umfassender den Körper negativ beeinflussen, u.a. steigt die Krebsgefahr. Wenn Wachstumshormone längerfristig eingenommen werden, zeigt sich dies am Knochenwachstum, insbesondere auch im Gesicht, und kann teils sogar durch Augenschein wahrgenommen werden. Durch Wachstumshormone verursachtes Muskelwachstum betrifft Muskeln im gesamten Körper. Damit könnte sich erklären, warum Läufer Muskeln an Stellen entwickelt haben, die sie für ihren Sport so ausgeprägt nicht brauchen. Eine weitere Veränderung ist das Schwinden subkutaner Fettresereven im Verhältnis zur Muskelmasse, wie es natürlicherweise nicht erreicht werden kann, auch das ist sichtbar.

Die durch HG verursachten Veränderungen an Muskeln bleiben in etwa 6 Monate bis ein Jahr bestehen, im Vergleich hierzu schwindet die Wirkung von EPO schnell. Es besteht der Verdacht, dass z. B. Sprinter wie Justin Gatlin, während ihrer Sperren mit ihrem eingespielten Training auf frühere Kuren aufbauen können und damit nach ihren Sperren on top sind.

EPO – Erythropoetin

Die ersten Schreckensmeldungen EPO betreffend, kamen aus Holland und Belgien. EPO wurde offiziell 1989 für den Markt zugelassen, doch das Medikament tauchte nach Le Monde (29. 1. 1988, Singler/Treutlein, Teil 1) bereits in der Erprobungsphase auf. Gerüchten nach soll es schon früh in Italien im Sport erprobt und von sowjetischen Langläufern bei den Olympischen Spielen in Calgary 1988 eingesetzt worden sein. Ende der 80er Jahre kam bereits zu ersten Todesfällen. 1989 starben die Radfahrer Gerd Oosterbosch (Belgien) und A. Brinkmann (Deutschland), 1990 Johannes Draaijer (Holland). Wenige Jahre später spricht man von bis zu 20 Radfahrern und 7 schwedischen Orientierungsläufern, die ihr Leben durch wahrscheinlich „unsachgemäße“ EPO-Verwendung und Dosierung lassen mussten.

SZ 26.10.89:
Ein „Wunder-Doping“ haben schwedische Sportärzte entdeckt, das nach ihrer Ansicht für den Leistungssport eine größere Gefahr darstellt als die anabolen Steroide. Forderung nach Verbot, derzeit nicht nachweisbar, der Körper kann bis zu 10% Sauerstoff mehr aufnehmen. Ekblom: „Dem Körper zugeführtes Erythropoetin (Nieren-Hormon) erhöht die Zahl der roten Blutkörperchen und steigert den Hämoglobin-Spiegel.

Der dänische Arzt Søren Kragbak berichtete 2000, nachdem er beschuldigt wurde, EPO angewandt zu haben, was er leugnete, dass 1989 ein schwedischer Arzneimittelkonzern an die Dänische Radsport-Union herangetreten sei, mit der Bitte, EPO an ausgewählten Fahrern testen zu dürfen. Dies wurde jedoch abgelehnt, da man es für zu gefährlich gehalten habe. Daraufhin wurde es angeblich in Kooperation mit dem Schwedischen Langlauf-Team getestet, damals das beste der Welt. (Cyclingnews.com)

Das Peptidhormon Erythropoetin (EPO) wird natürlicherweise in der Niere produziert wenn der Körper rote Blutkörperchen (Erythrozyten), die für den Sauerstofftransport im Körper verantwortlich sind, benötigt. Das geschieht üblicherweise bei Aufenthalten in Höhenlagen. EPO ist ein wirksames Medikament bei einigen Nierenleiden und hilft Krebstpatienten nach einer Chemotherapie. Die gentechnologische Herstellung wurde möglich nachdem es 1983 zum ersten Mal gelang das humane EPO-Gen zu klonen. Bereits im Entwicklungsjahr kam es zu den ersten therapeutischen Einsätzen dieser Verbindung (Kern). 1987 soll es im Sportmilieu Einzug gehalten haben.

Der positive Effekt des hohen Sauerstofftransports in die Muskeln und das Gewebe auf die Ausdauerleistung war schon sehr früh bekannt (s. 20er Jahre) und bereits um 1950 wurde mit Blutdoping experimentiert. Den Sportlern wurde Blut abgenommen, das ihnen vor dem Wettkampf wieder verabreicht wurde. Dadurch erhöhte sich die Anzahl der roten Blutkörperchen. 1985 wurde offenbar, dass bei den Olympischen Sommerspielen 1984 rund ein Drittel der amerikanischen Radmannschaft Blutdoping erhielt. Aus Finnland und Italien ist ebenfalls bekannt, dass Blutdoping praktiziert wurde, in Italien war es besonders Professor Conconi mit Kollegen an der Universität Ferrara, der sich mit Hilfe dieser Methode um herausragende Ergebnisse kümmerte – in schönem Einklang mit dem CONI (s.o.). Francesco Moser hat später gestanden, dass sein Stundenweltrekord 1984 mit Hilfe von Blutdoping zustande kam (Donati). Nachdem A. Donati diese Praktiken aufdeckte und an die Öffentlichkeit brachte, verbot das IOC diese Manipulation, obgleich es keinen Nachweis dafür gab und gibt. Dieser Methode erbrachte in Labortests eine ähnlich hohe Leistungssteigerung wie später EPO.

Entsprechende Effekte lassen sich auch durch Höhentraining erzielen, daher kamen und sind heute wieder, lange Trainingsaufenthalte in hochgelegenen Regionen in Mode. In der DDR gab es in Kienbaum eine Anlage, in der Höhenaufenthalte simuliert wurden und in denen sich die Hochleistungssportler vor entscheidenden Wettkämpfen längere Zeit aufhalten mussten. Auch in Frankreich fanden erfolgreiche Versuche statt. EPO-Injektionen erwiesen sich als weniger mühsam und waren mehr Sportlern zugänglich. Mit dem Medikament lassen sich bereits nach 26 Tagen die Leistungsgrenzen um bis zu 10% verbessern, eine Steigerung, die durch dopingfreies Training nur sehr schwer mit langem äußerst konsequentem Training erreichbar ist – noch ein starker Grund, warum das damals nicht nachweisbare EPO in relativ kurzer Zeit zum absoluten Renner im Hochleistungs-Ausdauersport wurde.

Bereits 1988 setzte der Internationale Skiverband FIS EPO auf die Verbotsliste, das IOC folgte 1990 und die UCI 1991, da Blutproben den Verdacht auf EPO-Missbrauch erhärteten. Die FIS stellte z. B. bei Langläufern 1989 sehr hohe Hämoglobin-Werte (mehr als 200 g/l) fest.

Steigt die Anzahl der Erythrozyten wird das Blut dickflüssiger, es kann verklumpen, verschlammen. Gewebe wird nicht mehr ausreichend versorgt und Thrombosen wahrscheinlich. Diese Gefahr war besonders groß in der Anfangszeit des EPO-Missbrauchs, als ungehemmt experimentiert wurde, wahrscheinlich liegt hierin auch die Ursache für die bereits erwähnten Todesfälle. Die Ehefrau eines der ersten Opfer Johannes Daaijer erklärte z. B., dass die Ärzte, die ihren Mann obduziert hatten, ihr erklärt hatten, „dass er ein verbrauchtes Herz hatte wie ein fünfundsiebzigjähriger.“ (Maitrot) Es wurde notwendig die EPO-Dosierungen unter ärztliche Kontrolle zu stellen und mit den notwendigen Blutverdünnungsmitteln zu kombinieren. Angeblich entging so mancher Fahrer  in den 90er Jahren dem Tode nur durch schnelles Einreifen von Ärzten, die glücklicherweise in der Nähe waren. Der Fahrer Gilles Delion erzählte bereits 1996 im Französischen Fernsehen (auf France 2), dass die EPO-Konsumenten sich dadurch verrieten, dass sie jeden Abend Aspirin einnähmen. Die Sportler überwachten regelmäßig ihren Hämatokritwert mit kleinen Hamatokritmessgeräten und finanzkräftige Teams bedienten sich zusätzlich eines teuren Blutanalysegerätes, mit dem neben dem Hämatokrit weitere Blutparameter festgestellt werden.

Es gibt viele Zeugen, die berichten, dass bei großen Rundfahrten Anfang der 90er Jahre die Radler nachts in den Hotelgängen auf und ab gehen mussten, um ihre Blutzirkulation wieder in Gang zu bringen. Auch ein 20 minütiger Kopfstand war geeignet den Wert um bis zu 3,1 % zu verringern, aber die Fahrer versuchten es am Abend dann doch lieber mit längerem Hochstellen der Beine. Ein Pulsmessgerät diente während des Schlafs als Alarmgerät sobald der Puls auf einen besorgniserregend niedrigen Wert sank.

Der Schweizer Sportmediziner Walter O. Frey:

„Die Kontrollen müssen so getimet sein, dass man eine echte Chance hat, die Sünder zu erwischen. Es ist eine Tatsache, dass vor einer Blutkontrolle dem Athleten eine Viertelstunde genügt, um den Hämatokrit auf den erlaubten Wert zu drücken.“

Um die jahrtausendwende war es bereits unbestritten, dass EPO mit oder ohne Wachstumshormone und anderen Mitteln in allen Sportarten Anwendung fanden, somit auch in den Sprintbereichen der Leichtathletik und des Radsport, ebenso wie in stark kraftbetonten Sportarten, bekannt ist dies von Bodybuildern. (de Mondenard, New York Times, 9.12.2004)

Im Frühjahr 2003 wurde der Fall eines spanischen Radsportlers bekannt, der sich wegen starker Kopfschmerzen behandeln liess. Diagnostiziert wurde eine Verringerung der Gehirn-Rückenmarksflüssigkeit in Verbindung mit einer Thrombose. Nach Angabe der Ärzte läßt sich das nur erklären durch die langjährige Einnahme von EPO und Wachstumshormonen plus hoher Vitamingaben, was der Athlet zugegeben hatte (Neurology 2002, Cyclist’s doping associated with cerebral sinus thrombosis).

Regelmäßige Einnahme kann zu Bluthochdruck führen, mit unabsehbaren Folgen bis hin zu Herzversagen in späteren Jahren nach Absetzen des EPOs, auch eine höhere Infektanfälligkeit kann sich einstellen und es besteht, wie neueste beunruhigende Meldungen besagen, wahrscheinlich die Gefahr lebenslanger Abhängigkeit von Bluttransfusionen. Ausführliches zu den neuesten Erkenntnissen auf cyclingnews.

Sandro Donati erwähnte bereits 1999 in einem vor der internationalen Sport-Journalistenvereinigung gehaltenen Vortrag, dass viele ehemalige Ausdauersportler aufgrund der EPO-Nebenwirkungen mit Nierenversagen zu kämpfen hätten und jetzt Dialysepatienten seien. Aber sie schwiegen und leugneten.

der EPO-Nachweis – erste Ergebnisse

Die Entwicklung eines EPO-Tests erwies sich als äußerst langwierig. Bereits 1990 erhielt Prof. Michel Audran, Universität Montpellier, vom französischen Minister für Sport und Jugend den Auftrag einen Test zu entwickeln. 1991 präsentierte er erste Ergebnisse auf einem IOC-Kongress. Doch Prof. Manfred Donike, Vorsitzender der Medizinischen Kommission des IOC, sah keine Notwendigkeit für solch einen Test, Audran würde nur seine Zeit vergeuden (Van de Winkel, 2011, S. 63). 1994, nachdem viele Tode aufgeschreckt hatten, bekam Professor Francesco Conconi vom IOC den Auftrag einen EPO-Test zu entwickeln. Conconi war der führende Trainingswissenschaftler Italiens und stand später im Zentrum langjähriger staatsanwaltlicher Dopingermittlungen, eine Anklage erfolgte, das Verfahren wurde im November 2003 eingestellt. Bis 2001 gehörte Conconi auch der Anti-Doping-Kommission der UCI an.

Von Jahr zu Jahr kündigte er baldige Ergebnisse an, jährlich bezahlte das IOC 512 400 FF, Ergebnisse gab es nie. Die von ‚Böhringer‘ kostenlos zu Forschungszwecken erhaltenen großen Mengen des Blutbildungshormons konnte er so großzügig an die Sportler verteilen. 1996 legte er ein Verfahren vor für das 1,5 Liter Urin pro Person von Nöten war. 1996 wurde der UCI ein anderer Test aus Montreal angeboten. Bei der Tour de Romandie sollte er erprobt werden, aber die Fahrer verweigerten die Teilnahme, lediglich zwei Teams waren bereit, mit dabei Roger Legeay mit GAN. Legeay:

„Das war explosiv. Zu jener Zeit war EPO bei allen verbreitet aber es war ein riesiges Tabu. Das andere Problem war, dass man mit Blutanalysen Gefahr lief noch andere private Dinge zu entdecken … Zudem hatten die Fahrer überhaupt keine Lust die Versuchskanichen des Anti-Doping-Kampfes zu sein.“

Einen Monat später fand er dann bei Tour de Suisse statt, 77 Fahrer nahmen daran teil, aber der Test schlug nach Angaben der UCI  fehl. (UCI, 40 Jahre Antidoping). Doch nach Martial Saugy, der sie an der Universität durchführte, konnte festgestellt werden, dass die Eisenwerte der Fahrer extrem hoch waren, ein ernster Hinweis auf den Kosum von EPO. Saugy schlug Alarm (Maitrot).

Zusammen mit Gérard Dine wurde für die Tour de France ein Blutanalyse-Programm vorbereitet (suivi sanguin), mit dem anonym die Blutwerte der Fahrer erfasst werden sollten und als Vorbeugung angesehen wurde. Doch 8 Tage vor dem Prolog wurde das Projekt von Seiten der UCI und der Société de Tour de France gestoppt. Nach der Festina-Affaire allerdings wären manche froh gewesen,  wenn es die Aktion gegeben hätte und der große Eklat damit wahrscheinlich vermieden worden wäre. Hein Verbruggen später zu Saugy: „Tut mir Leid, man war eben noch nicht so weit.“ und Jean-Marie Leblanc: „Bitte entschuldigen Sie  das Geschehene. Ich hatte die Situation falsch eingeschätzt.“ (Maitrot)

1997 führten daraufhin mehrere Verbände und das IOC einen Hämoglobin- bzw- Hämatokrit-Grenzwert ein. Die UCI schlug zuerst eine 52% Marke vor, wie z.B. im Biathlon, aber auf Verlangen der Fahrer kam es zu dem Hämatokrit-Grenzwert von 50%, bei den Frauen 47%, der nicht überschritten werden darf. Da es auch Menschen gibt, die natürlicherweise solch hohe Werte besitzen und noch andere Faktoren die Konzentrationen erhöhen können, darf solch ein hoher Wert nicht als Dopingbeweis anerkannt werden. Die Fahrer werden aus gesundheitlichen Gründen für 14 Tage aus den Rennen genommen. Den Vorschlag zu solche einem Vorgehen könnte auf Prof. Conconi zurück gehen. Er schickte am 24. Juni 1996 ein Fax an Verbruggen, in dem er auf diese Hämatokritmessung als einfaches Verfahren hinwies und vorschlug bei einem Wert von 54% die Fahrer aus Gesundheitsgründen aus den Rennen zu nehmen (Frank Van de Winkel, Zero Dope, S. 56).

Brief der UCI an die Sportgruppen und Nationalen Verbände, zum Verteilen an die Fahrer, 28.Mai 1998:
Die Frist zwischen der Benachrichtigung der Fahrer und deren Präsentation im Kontrollraum beträgt 20 Minuten. Im Allgemeinen sind die medizinischen Inspektoren der UCI und die Verantwortlichen der Laboratorien zufrieden mit der Art und Weise in der die Tests ablaufen und wissen den Respekt zu schätzen, der diesen entgegengebracht wird.
Dennoch wissen wir, dass 20 Minuten einem Fahrer oder einem Pfleger, die schlechte Absichten haben, genügen, um das Blut zu manipulieren und den Hamatokrit zu senken. Eine Infusion mit Albumin-Lösung und /oder eine physiologische Lösung verdünnen das Blut vor den Tests. Nach der Blutentnahme ist es möglich, die überschüssige Flüsigkeit mittels Diuretika auszuscheiden.
Léon Schattenberg
(de Mondenard, Dictionnaire, S. 740)

Léon Schattenberg, Vorsitzender der UCI-Antidopingkommission, wandte sich nach Einführung des Grenzwertes an alle Fahrer beginnend mit den Worten :

„Meine lieben Fahrer, der missbräuchliche Gebrauch gehört ausgerottet“ und endete „eine unkontrollierte Anwendung kann Schaden hervor rufen.“

Die Fahrer und Teamverantwortlichen betrachteten dies als Aufforderung zum kontrollierten EPO-Gebrauch wie es Richard Virenque im Festina-Prozess angab: „Warum wird heute gesagt, EPO sei verboten, wo doch die UCI es legalisiert hat? So lange mein Hämatokritwert unter 50% liegt betrüge ich nicht …“ (Baal).

Roger Legeay, im Jahr 2000 sportlicher Leiter des Teams GAN, Präsident der Liga für den Berufsradsport, Präsident der internationalen Vereinigung der Sportgruppen (und Teams) und Vizepräsident des Französischen Radsportverbandes, musste (ebenfalls im Festina-Prozess) auf die Frage:

„Diese UCI-Versammlung im Januar 1997 an der sie teilgenommen haben und an welcher der Hämatokritwert auf 50% festgelegt wurde, hat sie nicht ein kontrolliertes Doping erlaubt, also dazu beigetragen ein organisiertes Doping einzuführen?“ antworten: „Ja, es ist war, es gab perverse Effekte.“(Libération, 1.11.2000)

1997 fanden die ersten Blutkontrollen der UCI bei Paris-Nizza statt. 3 Fahrer mussten danach eine Pause einlegen. Allerdings hatte die UCI allen Teams eine Stunde vor der Kontrolle die Rückennummern der Männer mitgeteilt, die per Zufall ausgewählt worden waren, genug Zeit für die Fahrer, ihr Blut ausreichend mit Hilfe von Glukoseinfusionen zu verdünnen. Erwann Menthéour, der zu den auserwählten gehörte, beschrieb die großen Anstrengungen, die bei ihm unternommen wurden um den Wert noch rechtzeitig zu senken, doch dies schlug fehl, er wurde gesperrt. Nichtsdestotrotz durfte er zusammen mit den beiden Spaniern, die ebenfalls in die Falle gegangen waren, zur nächsten Etappe starten, was vor allem auf die  Intervention von Manolo Saiz zurückzuführen war, der ein heftiger Gegner der 50%-Regelung war. ‚Dr. Mabuse‘, Bernard Sainz, ein heute noch wohlbekannter ‚Dopingexperte‘, der ihm dann zur Hilfe eilte, gelang später die Senkung, die von einem Labor auch bestätigt wurde, doch sein Team La Francaise de Jeux nahm Menthéour um den Schein zu wahren, aus dem Rennen. Menthéour wurde ein ‚Opfer‘ seines natürlicherweise erhöhten Hämatokritwertes, der dann mit EPO so hoch getrieben wurde, dass es sehr schwierig wurde, ihn unter den erlaubten Wert zu senken.

Bei den medizinischen Untersuchungen aller Fahrer vor der Tour de France 1998 ergab sich bei fast allen Fahrern ein Hämatokrit-Wert von 48-49. Seit 1998 weiß man auch durch die polizeilichen Kontrollen und die Geständnisse einiger Fahrer mit Bestimmtheit, dass Fahrer regelmäßig ihren Hämatokritwert mit einer kleinen Zentrifuge gemessen haben und noch immer messen.

Ende der 90 Jahre wurde bekannt, dass Plasmaexpander, z.B. HES, in der Sport-Szene zur Senkung des Hämatokritwertes und zur Kompensation des Flüssigkeitsverlustes bei Ausdauerleistungen eingesetzt werden. Anlass boten positive Dopingfälle bei den Skiweltmeisterschaften in Lathi, Finnland. Der Nachweis ist recht einfach, daher ist davon auszugehen, dass die Anwendung von HES zurück gegangen ist.

Im Jahre 2000 konnte endlich der direkte EPO-Nachweis durch Francoise Lasne vom französischen nationalen Anti-Doping-Labor in Chateny-Malabry eingeführt werden. Es wurde möglich humanes EPO, das der menschliche Organismus selbst synthetisiert, vom körperfremden, gentechnisch hergestelltem EPO in einem Urin-Test zu unterscheiden. Für die Entwicklung des Tests wurden auch 102 Urinproben von Fahrern bei der Tour de France 1998 herangezogen (>>> die Ergebnisse, pdf-file). Unterstützt wurde dieser direkte Nachweis durch den in Australien entwickelen Bluttest. Allerdings weigerten sich die Verbände lange Zeit, die Variante einzusetzen, mit der auch noch längere Zeit nach der EPO-Gabe die Manipulation nachgewiesen werden kann. Dafür konnte sich die UCI erst 2004 erwärmen und setzte diesen Bluttest gezielt für intelligente Kontrollen in Trainingszeiten ein. Dieser Test wurde Grundlage des Langzeitscreenings. Damit werden verschiedene Blutparameter über längere Zeit festgehalten und auf Veränderungen hin überprüft.

Das Anti-Dopinglabor in Chateny-Malabry hat nun einen verfeinerten Test entwickelt, mit dem geringere EPO-Spuren nachgewiesen werden können. In Zusammenarbeit mit der Welt-Anti-Dopingagentur (WADA) wurden zu Forschungszwecken Proben der Jahre 1998 und 1999 erneut untersucht, mit dem Ergebnis, dass von 70 Proben des Jahres 1998 40 und von 80 des Jahres 1999 12 positiv sind – 6 davon konnte die Zeitschrift l’Equipe Lance Armstrong zuordnen.

der Eisengehalt im Blut

Der Sauerstofftransport ist abhängig vom Eisengehalt im Blut. Aufgrund dessen werden Eisengaben zur Unterstützung des EPO eingesetzt. Interessant ist, dass entsprechende Untersuchungen bei Radsportlern teamspezifische Eisenwerte ergaben. (Kamber/Mullis/Saugy)

Frankreich führte 1999 medizinische Langzeittests ein, dabei wurden bei 90 % der Radfahrer viel zu hohe Ferritinwerte festgestellt, 40 % hatten bereits Leber- oder Pankreasprobleme, die wahrscheinlich durch zu hohe Eisengaben ausgelöst wurden. (Baal 1999, Guillon/Quenet 1999). Dr. Gérard Dine, Leiter der Abteilung Hämatologie der Klinik von Troyes, hierzu:

„Wenn man sie nicht behandelt, werden diese Menschen in 20 Jahren zuckerkrank sein, an Stoffwechselstörungen leiden, Leberinsuffizienz aufweisen und Herz- oder Atembeschwerden haben.“

Es wurde aber auch festgestellt, dass 65% der untersuchten Sportler wohl Kortikoid- und andere Hormoninjektionen bekommen hatten.

Die UCI lehnte anfangs die umfangreichen medizinischen Kontrollen ab, vor allem die Untersuchung des Ferritinwertes, mittlerweile werden sie durchgeführt. Mauro Salizzoni: „Wenn bei diesen Tests gewisse Werte überschritten werden, sind wir absolut sicher, dass mit EPO manipuliert wurde.“ (Tour 7/1999, zitiert nach Singler/Treutlein, Teil 2). Zu solchen Vermutungen geben offenbar die Entwicklungen der Eisenwerte bei französichen Fahrern in den letzten Jahren wieder Anlass. Michel Guinot, Arzt beim französischen Radsportverband, stellte im Oktober 2004 fest, dass nach dem selbstmörderischen Gipfel von 1999 der durchschnittliche Eisengehalt im Blut der Fahrer seit zwei Jahren wieder gefährlich ansteige: „Die jüngsten Dopingaffairen haben uns nicht überrascht.“ (Libération, 9.10.2004)

>>> die neunziger Jahre und später