Profis und Amateure erzählen
Ein ehemaliger italienischer Amateur-Radfahrer erzählt
Am 2. August 2006 veröffentlichte La Gazzetta dello Sport das Geständnis eines ehemaligen Radrennfahrers, welcher, um zu den Profis wechseln zu können, mit dem Dopen begann. Seiner Meinung nach verhielt er sich damit nur wie alle die anderen, die im Profisport unter die besten wollen. Gut findet er es nicht, doch für unumgänglich und bereuen kann er es auch nicht.
Der Originalartikel auf La Gazzetta dello Sport vom 2. August 2006:
>>> „Io, infermiere del doping“
Die Zusammenfassung von Sina (vielen Dank!):
Dopen ist normal – zumindest bei den Profis
Er war Sprinter. Vor 4 Jahren hörte er mit dem Fahren auf. Seit seiner letzter Saison als Amateur im Jahr 2000 kennt er das Doping. Er musste sich entscheiden: Entweder ins Profilager zu wechseln oder (vielleicht für immer) im Amateurbereich zu fahren. Er entschied sich für das „Kurieren“ (sprich Dopen), für die Leistungssteigerung, was ihm insgesamt 6 wichtige Siege einbringen sollte. Heute arbeitet er im Büro. Mit dem Radsport hat er aufgehört, aber er hat immer noch Freunde in dieser wie er sagt „schmutzigen“ Welt. Er hat sich entschieden, der Gazzetta seine Geschichte zu erzählen.
Ich, die Doping-Krankenschwester
Er dopte sich nur ein Jahr. Die Kuren fanden im Winter statt für ein starkes Frühjahr: Wachstumshormone, Epo und Testosteron.
„Für die Epo-Injektionen benutzte ich Insulinspritzen, mit minimalen Dosen zu Beginn der Kur. Während eines Monats nahm ich jeden dritten Tag eine Dosis. Auch das Gh (Wachstumshormon ) nahm ich in gleicher Weise, jeden 2. Tag, damit sich meine Muskelmasse vermehrte.“
Er machte alles allein, ohne Ärzte und lernte sich auch intravenöse Infusionen zu legen mit Vitaminen, Glucose, Kreatin. Testosteron nahm er in Tablettenform.
„Das Resultat war, dass ich mehr trainieren konnte und besser wurde: Längere Ausfahrten, spezielle Trainingseinheiten, höhere Intensitäten waren möglich. So schuf ich die Grundlage, die mir während der Saison nützlich ist. Während meiner aktiven Zeit musste ich nicht übermässig dopen, da mein natürlicher Hämatokrit schon bei 45% lag, also schon recht hoch (das Limit liegt bei 50%). Die Kletterer brauchen da viel mehr.“ „In jenem Jahr fühlte ich mich stärker, regenerierte schneller und ich wurde in den Bergen nicht müde.“
Wie eine Droge
„Natürlich ist es möglich ohne verbotene Mittel 70 000 km im Jahr zu fahren und Rennen zu beenden. Aber diese gewinnen nicht. Wenn du mit Wasser und Brot fahren willst, schaffst du das einen, höchstens zwei Monate. Drei Höhepunkte pro Saison zu bestreiten, ist aber unvorstellbar. Ich war Radsportler und benötigte keine excessiven Kicks, vor deren gesundheitlichen Risiken ich niemals gewarnt wurde. In meinem Umfeld habe ich aber gehört, wie über das synthetische Hämaglobin und noch seltsamere Sachen gesprochen wurde. Über Doping im Radsport zu sprechen, ist vergleichbar mit einem herkömmlichen Gespräch über Drogen – du weisst, dass es schadet, aber du bist abhängig.
Einige aus dem Kreis der Amateure hatten sich sogar mit dem Wissen, dass nicht jedes Mal eine Dopingkontrolle durchgeführt wird, unmittelbar vor den Rennen gedopt. So hatten sie nichts zu befürchten.
„Ich wurde nie von einem Trainer betreut. Das Team hat mir gegeben, was ich brauchte. Alles wurde unter ärztlicher Betreuung durchgeführt, so wurde das Gesundheitsrisiko gesenkt.“ (…)
Der Anfang
„Niemand zwingt dich dazu, du bist selber verantwortlich für dein Handeln. (…) Wenn man in eine Mannschaft kommt, erscheint jemand, nimmt einen für ein Gespräch unter vier Augen zur Seite und erklärt: ‚Die Sache sieht folgendermaßen aus, das ist die Realität, wenn du stark fahren willst, musst du zu Hilfsmitteln greifen‘. Nun liegt es an dir, du kannst dich entscheiden.“
Allerdings wer keine Leistung bringt, muss gehen.
Dopen, um zu gewinnen
„Ich bin nicht damit einverstanden, alle Schuld bei der Gesellschaft oder den Ärzten (Präparatoren) zu suchen. Die Fahrer dopen sich nicht, um sich schneller erholen zu können, sondern um zu gewinnen. Und dies betrifft den ganzen Spitzensport. Du findest dich darin wieder und weisst, dass du mitmachen musst, denn sonst bleibst du nicht lange dabei.“
Alle machen es
„(…) Für einen Profi ist es nicht möglich zu gewinnen, ohne etwas genommen zu haben. Als Amateur ist es noch möglich, schwere Rennen zu gewinnen. Ich musste mit dem Radsport aufhören, weil ich körperliche Beschwerden hatte, aber ich denke, wenn ich noch einige Jahre weitergefahren wäre, bei den Profis, hätte ich auch weiter gedopt. Ich fühle keine Reue, denn ich habe unvergessliche Momente erlebt. Ich war glücklich. In meinen Augen zählen meine Siege nicht weniger, denn alle anderen waren auch gedopt, alle vom 10. bis zum 1. Platz. (…) Wenn alle sauber wären, würde sich am Gesamtklassement nicht viel ändern. Das ärgert am meisten. (…) Ob ich saubere Fahrer kenne? Nicht einmal einen einzigen. Niemand kann sauber einen Giro d’Italia oder Sanremo gewinnen. Ich werde das nie glauben, denn es ist unmöglich.“