Profis und Amateure erzählen
Jörg Paffrath
Im Juni 1996 bei den Deutschen Meisterschaften wird Jörg Paffrath positiv getestet und für 6 Monate gesperrt. 1997 enthüllt er seine Doping-Karriere, die insgesamt 4 Jahre andauerte. 4 Jahre, in denen er kaum ein Mittel ausließ. Niemals wurde er positiv getestet, erst bei den Deutschen Meisterschaften, als er seine Gesundheit schon ziemlich ruiniert hatte und kaum noch Leistung bringen konnte, schnappte die Kontrollfalle zu. Jörg Paffrath, werdender Vater, war froh aufhören zu können und gestand sofort. Ein Jahr später gab er in einem Spiegel-Artikel Einzelheiten öffentlich zu. Er wollte aufrütteln und andere Sportler warnen.
Gedankt wurde ihm dieser Schritt nicht. Im Gegenteil. Der Nestbeschmutzer durfte damit nicht durchkommen. Die übliche Maschinerie lief an. Der Mensch und Sportler Paffrath wurde herabgewürdigt, ächtlich gemacht und als unglaubwürdig hingestellt. Man sprach dem „unterklassigen Berufsfahrer“, von „der Karriere des Kölners, die von keinen nennenswerten Erfolgen gekrönt war“. Er war ein „Bekloppter“, ein „Dealer“, ein „geltungssüchtiger Choleriker“, ein „absoluter Einzelfall“. Der Pressesprecher des Team Deutsche Telekom, meinte, dies sei „absoluter Schwachsinn“, sein Sportlicher Leiter beim Radsport Team Olympia Dortmund, meinte, Paffraths „Leistungsniveau reichte nicht im Mindesten für die erste Abteilung, so dass Leistungsmanipulationen in seinem Fall erst recht wenig logisch erscheinen.“ Von offizieller BDR-Trainer-Seite verlautete: „Wir werden permanent kontrolliert – das System ist so dicht, da gibt es kein Durchkommen.“ Freundschaften gingen zu Bruch, andere befürchteten ein Versiegen der Dopingmittelquellen. Ein einziger stand zu Jörg und hieß sein Geständnis gut.
1998 reagiete der Bund Deutscher Radfahrer auf den Bericht und sperrte Jörg Paffrath lebenslang u. a. mit folgender Begründung:
„Strafverschärfend war hier zu berücksichtigen, dass der betroffene Sportler durch sein Verhalten nicht nur dem Ansehen des BDR schweren Schaden zugefügt hat. Es war auch zu berücksichtigen, dass bei dem radsportlichen Nachwuchs der Eindruck entsteht, dass nur mit Hilfe leistungssteigernder Medikamente ein Wettkampferfolg erzielt werden könne.“
2001 stellte Paffrath ein Gnadengesuch, das ohne Begründung abgelehnt wurde. 2003 hatte er mehr Erfolg, er wurde begnadigt, allerdings erst als er öffentlich erklärte, es täte ihm Leid, dass “ durch seine Aussagen damals der Eindruck entstanden sei, Doping sei im Radsport gang und gäbe und werde toleriert.“ Und vielleicht wurde die Entscheidung auch dadurch erleichtert, dass Paffrath eine Klage erwog.
Quellen:
– Report 1/2003
– R. Meutgens, Doping im Radsport, 2007
Der folgende Text ist eine Zusammenfassung des gleichnamigen Spiegelartikels von Udo Ludwig, Spiegel 25/1997:
„Wie ein Hund an der Kette“
Anfang der 90er Jahre galt Jörg Paffrath als Radfahrer, der zu einigen Hoffnungen berechtigte. Doch 1996 war er ein Wrack.
„Statt große Siege zu feiern und in einem renommierten Profirennstall unterzukommen, rutschte der Kölner in einen Teufelskreis aus Niederlagen, Schmerzen und Drogen. Die vage Hoffnung auf Erfolge trieb den Radfahrer so weit, daß er sich quer durch die Rote Liste der pharmazeutischen Industrie schluckte und spritzte.“
Noch immer hat er den silbernen Aluminiumkoffer in seinem Keller, der einst gefüllt war mit vielen Medikamenten, für die ihm etliche Sportler eine Menge Geld angeboten hatten. Seine Tochter
„Vanessa ist jetzt neun Monate alt. Sie ist letztlich der Grund dafür, daß Paffrath vor einem Jahr den Inhalt seines Fotokoffers kurzentschlossen in die Mülltonne schüttete. Der Profi von Olympia Dortmund hatte sich zuletzt mit immer mehr und immer stärkeren Medikamenten vollgepumpt. Der werdende Vater bekam Angst vor den unkontrollierbaren Folgen seiner chemischen Cocktails, „vor Krebs und allem, was später folgt – ich konnte mit meinem Leben nicht mehr so gedankenlos umgehen“.“
„Verfolgt Paffrath heute die Erfolge der deutschen Radfahrer im Fernsehen, hat er ,,eine gewisse Hochachtung“ vor denen, weil man ,,auch mit der besten Veredelung aus einem Esel kein Rennpferd machen kann“. Doch gleichzeitig ist ihm unwohl – weniger wegen der Gesundheit der Spitzenfahrer, von denen er weiß, daß kaum einer ,,die Tour de France mit Pasta und Wasser durchstehen kann“. Mehr bedauert er die ,,vielen neuen Blauäugigen“, die wie er ihre ,,Jugend mit Illusionen verplempern“ und von Funktionären und Managern getrieben werden, „sich zu manipulieren“. Er selbst sei sich bei der Jagd nach Prämien zuletzt vorgekommen ,,wie eine Hure“. „
Mit 16 Jahren entdeckt Jörg, dass er besser radfahren kann als andere. Rolf Wolshohl holt ihn zum RC Le Loup. Hier fühlt er sich wohl und möchte Profi werden. Nachdem er mit 25 Jahren die Bayern-Rundfahrt gegen starke Konkurrenz gewinnt und Profirennställe an ihn herantreten, glaubt er sich am Ziel. Doch daraus wird nichts, denn in den folgenden Rennen bleibt er erfolglos. Eines Abends liegt er
„mit einem dänischen Berufsfahrer auf einem Zimmer, der wie er für den RSC Wiesbaden fährt. Er beobachtet, wie der ,,in seinen Sachen kramt, plötzlich eine Ampulle in der Hand hält und anfängt, die aufzusägen“. Paffrath fragt, während sich der Kollege die Spritze setzt, nach dem Sinn der Behandlung. Das sei ,,gegen Schmerzen und gegen Krämpfe“, klärt ihn der Däne auf, und es helfe bei Erschöpfung: ,,Du kannst länger : drauftreten“ – für Paffrath ein Schlüsselerlebnis. Bis zu jenem Tag hatte er geglaubt, eine gute Leistung resultiere aus ,,Training, Ehrgeiz und solidem Lebenswandel“. Er war von Jugendtrainern betreut worden, „die mich totgeschlagen hätten, wenn ich gedopt hätte“; ihn beschlich schon ein schlechtes Gewissen, wenn er mal einen Eiweißshake getrunken hatte. Nun sieht er, „wie die Speere in die Muskeln fliegen“ und hört von dem international bewanderten Kollegen, daß ,,in dem Geschäft ohne Chemie gar nichts läuft“. Hätte er in den wichtigen Rennen was gemacht, fragt sich Paffrath daraufhin, „wäre dann meine Karriere nicht ganz anders verlaufen ?“ „
Jörg findet einen Radrofi, der mit Dopingmitteln dealte und bekommt von diesem für den Anfang Glukokortikoide.
„Nach einem kurzen Einführungskurs durch eine befreundete Arzthelferin spritzt er sich selbst Bentelan und Synacthen. Diese Präparate stimulieren die Nebenniere und dienen normalerweise zur Behandlung schwerer rheumatischer oder asthmatischer Erkrankungen. In Ratgebern liest er, daß die Medikamente bei längerer Anwendung die Infektionsabwehr mindern, Magen-Darm-Geschwüre und Augenschäden verursachen können – ihn kümmern die Warnungen nicht.“
Sein Körper schwemmt auf, er bringt keine Leistung mehr und muss gegensteuern. Wenn er den Glukokortikoiden kochsalzhaltige Lösungen beimischt, kann direkt in die Vene gespritzt werden. Diese
gefährlichere Variante macht zudem ,,unheimlich aggressiv“, er fühlt sich ,,wie ein Hund an der Kette“. So spritzt er sich quasi als Nebeneffekt Wettkampfhärte.“
Er stellt fest, dass er nicht allein ist. Kollegen dopen ebenfalls, man tauscht Erfahrungen und Tricks aus. Bald experimentiert er mit Anabolika, schluckt Tabletten und setzt sich Spritzen.
„Die ,,Stehfix“, wie der Zirkel um Paffrath Anabolika nennt, erheitern die Radfahrer: Sie verleihen ihnen Kraft nicht nur in den Beinen, sondern auch Standfestigkeit zwischen den Lenden.“ Er lernt vorsichtig zu sein und Mittel zu nehmen, die nicht allzulange nachweisbar sind. „Mitte des Jahres (1994) macht das Gerücht die Runde, daß sich der ehemalige italienische Weltmeister Gianni Bugno mit Psychopharmaka stimuliere. Paffrath beginnt, Survector 200 einzunehmen, ein Antidepressivum aus Frankreich. Ärzte verschreiben Survector 200 sehr zurückhaltend, es geht auf die Leber, kann Akne auslösen und verursacht häufig Nerven- und Muskelzucken.“
Er lernte auch den Pot kennen und schätzen, ein Amphetamin- und Koffein-Cocktail, der von einem Belgier in einer Garage gemixt wird. Bald weiß Jörg ihn selbst zuzubereiten und benötigt dessen aufputschende Wirkung zunehmend während des Trainings. Er hat Probleme mit der richtigen Dosierung. Einmal war sie zu hoch, er ging ihm extrem schlecht. Er sucht nach der richtigen Anwendung.
„Wenn er in die Spritze gleichzeitig Glukose aufzieht und sie dann ins Gesäß sticht, kann er die Wirkung auf vier Stunden strecken. Oft nimmt er sich Nachschub mit, hält kurz hinter einer Bushaltestelle an und jagt wie ein Junkie die Nadel ins Fleisch. Oder er fährt, wenn ,,mir der Ofen ausgeht“, an eine Tankstelle und kippt auf die Schnelle ein Bier herunter – er spürt sofort, wie der Alkohol ,,das Zeug noch mal zum Brodeln bringt“. So schafft er 250 Trainingskilometer täglich mit Durchschnittsgeschwindigkeiten von etwa 35 km/h.“
Sein Medikamentenmix nimmt immer größere Ausmaße an, Asthma- und Schlafmittel folgen. Der aufgeputschte Körper, der überdrehte Geist mussten wieder beruhigt werden. Die geistigen Ausfallerscheinungen häufen sich. Es wird notwendig seinen Körper zu reinigen. Dies versucht er mit Eiweißinfusionen, denen das Lebermittel Hepagrisevit beigemischt ist.
Immer wieder stellt er bei Kollegen Symptome fest, die ihm einiges verraten.
„Mal entdeckt er bei Kollegen häßlich-blaue Narben. Die Abszesse, die von verunreinigten Mitteln oder Spritzen verursacht werden, kennt er von seinen eigenen Oberarmen. Er bemerkt, daß Konkurrenten an der Startlinie weitgeöffnete Pupillen oder Gänsehaut haben – Nebeneffekte der Amphetamine. Und bei einer Rundfahrt in Belgien glaubt er sich auf dem morgendlichen Gang zur Hoteltoilette ,,auf die Intensivstation einer Uniklinik“ versetzt: Die Abfalleimer quellen mit blutverschmierten Kanülen über.
Als Paffrath 1994 zu Olympia Dortmund wechselt, macht er sich noch einmal Hoffnungen auf eine veritable Profikarriere. Schließlich sind dort der ehemalige Tour-de-France-Vierte Hennes Junkermann und Olympiasieger Gregor Braun als Trainer tätig. Telekom-Fahrer wie Rolf Aldag und Erik Zabel wurden unter ihnen zu Stars. Doch nur der Druck wird größer – Sponsoren, Manager und Trainer fordern Siege. Nach einer Schlappe schimpft Olympia Chef Ernst Claußmeyer laut über die ,,Bimbo-Truppe“, die nicht mal ,,geradeaus fahren“ könne. Paffrath versteht das als indirekte Aufforderung, weiter zu dopen.“
EPO ist bekannt in der Szene. Aber man ist vorsichtig, denn sie wissen von den Todesfällen. Anfang der 90er Jahre, die auf EPO-Missbrauch zurückzuführen sind. Doch als er im Frühjahr 1995 an das neue Wundermittel kommt, greift er zu.
„Als Vorbereitung zur Deutschen Meisterschaft spritzt er sich zwei Wochen lang Erypo 2000. Nach einer Woche spürt er den Effekt: Dort, wo ihm normalerweise die Luft ausgeht, kann er nun mithalten, alles läuft einfacher.“ „Sportlich bringt ihn Epo letztlich nicht bedeutend weiter. Als 29. der deutschen Rangliste kommt er finanziell immer mehr in die Bredouille. Die Dopingkuren kosten im Monatsdurchschnitt 500 Mark. Ob er die rezeptpflichtigen Medikamente von befreundeten Krankenpflegern bekommt, ob er sie von Kollegen aus dem Ausland, aus Bodybuildingstudios oder von Dealern bezieht – alle verlangen sie enorme Summen.
Er probiert „Kryptocur, ein gentechnisch hergestelltes Hormon, das verschrieben wird, um einen krankhaften Hodenhochstand zu therapieren. Doch das „Schweinezeug“, das er sich in die Nase sprüht, verursacht nur kaum zu stillendes Nasenbluten. Paffrath setzt es ab. Für das südafrikanische Trainingslager hat er Wachstumshormone im Gepäck. Die Kombination mit EPO wirkt Wunder. In Südafrika fährt er erfolgreich. Doch zurück in Deutschland baut er ab, er ist ständig krank. „Erstmals in seinen vier Jahren als Doper macht er sich Gedanken über seinen Zustand. Er vermutet, mit Saizen einfach ,,überdreht“ zu haben: ,,Ich habe meinen Körper wie die Kölner Opelfreunde ihre Mantas immer mehr frisiert – und jetzt fliegt mir der Motor um die Ohren.“ Bei den Deutschen Meisterschaften im Juni 1996 steigt er nach 3 von 17 Runden völlig entkräftet vom Rad. Im Fahrerlager teilt man ihm mit, daß er zur Dopingprobe müsse. Als er seinen Urinbecher abgibt, wird er vom Kontrolleur mit einer sibyllinischen Bemerkung verabschiedet: ,,Auf Wiedersehen, Herr Doktor Paffrath“. „
Das Ergebnis der Dopingprobe ist positiv. Er wird für 6 Monate (3?) gesperrt und beendet seine Radsportkarriere und den Medikamenten- und Drogenmissbrauch.
Monika 2007