Interview mit Günter Younger, Chefermittler der WADA, FAZ 22.1.2019
Mit erheblicher Verspätung konnte die WADA die Daten des Moskauer Anti-Doping-Labors erhalten. Ursprünglich war der 31.1.2018 als letzter Termin festgesetzt, ansonsten drohte die erneute Suspendierung der Russischen Anti-Doping-Agentur RUSADA. Der Termin verstrich, doch eine schnelle Suspendierung kam nicht und so häuften sich die kritischen Stimmen und Vorwürfe gegenüber der WADA. Mitte Januar kam es dann zu dem gewünschten Datentransfer. Die RUSADA wurde mit geringen Auflagen als weiterhin compliant eingestuft.
WADA-Chefermittler Günter Younger erläutert in einem Interview mit der FAZ, erschienen am 21.1.2019, die Gründe für die Verspätung, die letztlich auch für die WADA zwingend gewesen seien, um die weitere Auswertung juristisch abzusichern. Er äußert sich insgesamt positiv über die Zusammenarbeit mit den zuständigen russischen Stellen.
FAZ: Hunderte vertuschte Doping-Fälle in Moskau
Zitate:
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War der Eklat mit dem nicht genehmigten Equipment nicht der Versuch, die Überlassung der Daten zu hintertreiben?
Nein, ich denke nicht. Die Daten waren in den Händen der Strafjustiz. Auch in unserem Land wäre es nicht möglich, von einem Beweisstück in einem laufenden Verfahren die Daten selbständig runterzuladen, ohne Strafverfolgungsbehörde zu sein. …
Was war das Hindernis?
Das Labor ist in der Hand der russischen Strafverfolgungsbehörde. Sie will selbstverständlich, dass Beweismittel für ihre Verfahren nicht kompromittiert werden. Deswegen musste ein Protokoll erstellt werden, wie der Datentransfer stattfinden soll.
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Jede Polizei der Welt würde Ihnen verbieten, an ihren Computer ein fremdes Kabel anzustecken. Sie würde sagen: Ich überprüfe zumindest dein Equipment, damit die Daten nicht kompromitiert werden. Deswegen hat unser Team auch das Equipment in Russland gekauft und zusammen mit den russischen IT-Experten die Datenträger entfernt. Anschließend hat dann unser IT-Experte die Daten transferiert. Jede Maßnahme wurde genau dokumentiert, alle Anwesenden haben den Vorgang unterzeichnet, so dass alles gemäß dem vereinbarten Protokoll durchgeführt wurde.
Warum war dieser Versuch zunächst gescheitert?
Weil die Wirklichkeit wesentlich komplexer ist, als ich Ihnen das geschildert habe. Wir waren mit Equipment gekommen, das wir nach russischem Gesetz nicht verwenden dürfen, um Daten runterzuladen. Verschlüsselte Datenträger, zum Beispiel, müssen in Russland deklariert werden. Es gab einige Hindernisse. Aber wir haben eine Lösung gefunden.
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Was wir brauchten, ist eine forensische Kopie. Wir mussten auch Meta-Daten mitnehmen, um überprüfen zu können, ob Manipulationen stattgefunden haben. Zudem waren die Geräte nicht immer auf dem neuesten Stand, deswegen hat mancher Transfer länger gedauert als erwartet.
Werden Sie mit Sicherheit ausschließen können, dass die Daten, die Sie erhalten haben, manipuliert sind?
Sicherheit, das wird Ihnen jeder IT-Experte sagen, gibt es in diesem Bereich nicht. Aber wir haben Vergleichsdaten.
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Sie kennen die Ergebnisse der Initial Screenings und der Analysen von 2012 bis 2015 längst. Warum wollten Sie sie ein zweites Mal?
Wir werden vor Gericht gefragt: Ihr habt nur eine Kopie? Wie kommen die Daten des Initial-Screening-Geräts in die Datenbank? Das hat ein Analyst manuell eingetragen, der Chef hat’s überprüft, und dann ist es gespeichert worden. An diesem Punkt hakt jeder Rechtsanwalt ein und sagt: Da können falsche Daten eingegeben worden sein. Wo ist das Original? Jetzt haben wir es, und damit ist die Beweiskette geschlossen. Die Daten aus Moskau sind das letzte Puzzleteil, um den Fall Moskau abzuschließen – wenn sich bestätigt, was aus unserer Kopie hervorgeht.
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Die Rohdaten, die wir nun bekommen haben, sind viel mehr als die Lims-Datei. Damit sehen wir im Detail, was das Initial Screening ergeben hat.
Können Sie sicher sein, nun das Original zu besitzen?
Wir sind nicht blauäugig. Wir verhalten uns, wie wir das als Polizisten gelernt haben. Beweise werden so gesichert, dass sie vor dem Sportgericht (Cas) Bestand haben. Deshalb haben wir uns die Daten nicht übergeben lassen, sondern sie selbst entnommen.
Sind Doper im vergangenen Jahr gesperrt worden aufgrund von Lims-Daten?
Im Biathlon wird es versucht. Die Verfahren laufen noch. Bei den Winterspielen von Pyeongchang wurde ein Großteil der vom IOC abgelehnten Athleten aufgrund unserer Russland-Ermittlungen abgelehnt. Das war ein riesiger Erfolg für uns, der auch vom Sportgericht bestätigt wurde. Aus den 28 Fällen des IOC, die vor den Winterspielen verworfen wurden, haben wir unsere Lehren gezogen und unsere Ermittlungen angepasst. Die Schwierigkeit ist, dass wir Fälle ohne Proben haben und es deshalb Indizienprozesse sein werden. Dies erhöht natürlich den Aufwand, stichhaltige Beweise beizubringen. Daher sind wir für jeden zusätzlichen Beweis dankbar. Dabei werden die Lims-Daten voraussichtlich hilfreich sein.
Das heißt, Sie haben weitere Fälle in der Pipeline, sind aber noch nicht sicher?
Ich gehe nicht vor den Cas mit Fällen, in denen unsere Juristen sagen, dass die Beweislage schwach sei. Wir haben uns entschieden, die Operation Lims komplett an uns zu ziehen. Für die meisten internationalen Sportverbände ist das Thema zu komplex. Es hat keinen Sinn, dass viele verschiedene Verbände mit Labordaten hantieren und wir immer wieder erklären müssen, was sie bedeuten. Wir werden deshalb die Fälle, von denen wir überzeugt sind, vorbereiten und komplett mit allen Ermittlungsergebnissen den Verbänden übergeben. Sie müssen dann entscheiden, ob sie sanktionieren oder nicht. Wenn sie das nicht tun, behält sich unsere Rechtsabteilung vor, direkt zum Cas zu gehen.
Wie viele werden das sein?
Das wissen wir, sobald wir die Daten aus Moskau aufgearbeitet haben. Wir haben die Ergebnisse von 63.000 Proben. Davon gibt es 9000 auffällige Initial Screenings. Die Hälfte davon betrifft Substanzen, die außerhalb des Wettkampfs oder zum Zeitpunkt der Entnahme nicht verboten waren, Meldonium etwa oder Cannabis, konsumiert außerhalb von Wettkämpfen. Wir haben sie trotzdem angeschaut, um festzustellen, ob der Athlet nicht auch andere Sachen nimmt. Die neuen Daten aus Moskau werden detaillierter sein als unsere bisherigen, und womöglich werden deshalb noch einige Verdächtige ausscheiden. Alles in allem werden das keine tausend Fälle werden, von denen wir glauben, dass sie vor dem Cas standhalten.
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Was ich Ihnen sagen kann: Wir wissen genau, nach was wir schauen müssen. Wir wollen alle Doper erwischen, und wir werden nicht aufhören, bis wir mit unseren Ermittlungen zu Ende sind.
Lagern im Moskauer Labor nicht auch noch Proben?
Um die kümmern wir uns im zweiten Schritt. Wir werden nun erst einmal den Aufbau des Moskauer Labors virtuell nachbilden, um alle Analysen und alle möglichen Manipulationen nachvollziehen zu können. Computer, Analyseinstrumente und Server hängen zusammen. Wir rechnen damit, dass wir mindestens zwei Monate brauchen, um alles durchzuspielen, um uns ein Gesamtbild zu verschaffen. Ziel ist es, diejenigen Proben zu identifizieren, die hochgradig verdächtig sind.
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Die Operation Lims dürfte eine der schwierigsten und komplexesten sein, die es je im Sport gab. Bei der Polizei würde man für so etwas eine Sonderkommission einsetzen, die wäre zwei Jahre beschäftigt. Aber wir haben bereits erste gute Erfolge mit unserer Operation wie zum Beispiel Fälle im Biathlon.
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Wenn wir unsere verdächtigen Proben identifiziert haben, werden wir schauen, ob diese noch vorhanden sind und wenn ja, wo. Wenn sie in Moskau sind, wird das Labor sie zur Verfügung stellen müssen, und wir werden sie in einem akkreditierten Labor außerhalb Russlands analysieren. …
Das alles klingt nach einer guten Zusammenarbeit mit den Russen.
Ich bin Ermittler, nicht Politiker. Ich konnte nachvollziehen, was als Problem dargestellt wurde. Seit dem 20. September ist die Zusammenarbeit konstruktiv.
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Generaldirektor Juri Ganus ist hochmotiviert. Anfragen beantwortet er innerhalb von wenigen Stunden. Ich habe in Bezug auf Lims keinerlei Widerstände bemerkt. Innerhalb Russlands setzt er sich öffentlich dafür ein, das Kapitel zu beenden und mit der Wada zusammenzuarbeiten. Die Rusada ist sehr bemüht, Vertrauen zurückzugewinnen. Ich kann die Zusammenarbeit nur als mustergültig bezeichnen. Es kann doch auch nur im Interesse eines jeden Athleten sein, dass Russland wieder eine voll funktionsfähige Anti-Doping Behörde hat. Russische Athleten nehmen doch bereits wieder an Wettkämpfen teil. Wer soll denn diese Athleten in Russland testen?
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Wird Ihre Arbeit in Sachen Moskau mit den – wie viel auch immer – Doping-Fällen, die Sie von Sommer an vor die Sportgerichte bringen wollen, abgeschlossen sein?
Wir werden auf jeden Fall so lange weitermachen, bis unsere Experten sagen, dass die Beweislage nicht mehr ausreichend ist. Wir werden jeden Verband so gut als möglich unterstützen, damit unsere Fälle entsprechend verfolgt werden. Es wird kein Fall unter den Tisch gekehrt, und wir werden all die Erkenntnisse, die wir in den letzten Jahren gesammelt haben, nutzen, um die verdächtigen Athleten, bei denen die Beweislage nicht ausreichend war, auch weiterhin im Auge zu behalten. Bereits jetzt kann ich sagen, dass mein Team eine herausragende Arbeit bei diesen komplexen Ermittlungen geleistet hat. Wir wollen das nach Abschluss der Ermittlungen mit einer Presseveranstaltung öffentlich machen. Wir haben nichts zu verbergen, und wir werden Rede und Antwort stehen über alles, was wir in der Operation Lims erreicht haben.