USA vertuschte, unterdrückte Dopingfälle zwischen 1983 und 2000
Doping(test)Situation national und international Ende der 1980er Jahre
Der Spiegel, 29.8.1983:
„Von unseren Athleten manipulieren sich 50 Prozent mit chemischen Präparaten“, klagte der US-Olympiasieger und Weltrekordler im 400-Meter-Hürdenlauf, Edwin Moses, über seine höchstleistenden Landsleute. „Yes“, antwortete der britische Medizinprofessor Arnold Beckett, Mitglied der Doping-Kommission, schlicht auf die Frage, ob er Amerikaner für Doping-Weltmeister halte: „Weil es in Amerika keine Doping-Tests gibt.“
Die New York Times fasste nach den Olympischen Spielen 1988 in Seoul die internationale und USamerikanische Dopingkontrollsituation zusammen. Schätzungen gingen davon aus, dass 50% der Athleten dopten, doch die Test- und Kontrollsysteme und -möglichkeiten verhinderten deren Aufdeckung. Aber auch die Verbände selbst zeigten oft wenig Interesse an der Aufdeckung positiver Fälle und nicht selten versuchten sie deren Aufdeckung unterdrücken.
New York Times: DRUG USE BY ATHLETES RUNS FREE DESPITE TESTS, 17.11.1988
1983 Panamerikanischen Spiele 1983 in Venezuela – Flucht aus Caracas
The Australian reported that the Pan-American Games saw, in the words of former USOC President William Simon, „the largest expulsion of athletes in the history of internationl competition for drug abuse.“ A total of 21 medals were stripped from athletes, 11 of them gold. In addition to Michels [Gewichtheber], medals were stripped from weight lifters Alberto Blanco of Cuba, Michael Viau of Canada, Guy Greavette of Canada, Jacques Oliger of Chile, Enrique Montiel of Nicaragua, and Jose Adarmez Paez of Venezuela. Juan Nunez, a 100-meter sprinter from the Dominican Republic, was also stripped of his silver medal.“
Robert O. Voy war von 1984 bis 1989 Chefmediziner des USamerikanischen Olympischen Komitees (USOC). 1989 gab er diesen Posten auf, da seine Offenheit bezüglich der Kontrollpraxis seinen Arbeitgeber und andere Sportverbände zunehmend Probleme bereitete. So hatte er z. B. 1987 öffentlich Zweifel an den Dopingtestergebnissen der US-Leichtathletik-Meisterschaft und der Leichtathletik-Weltmeisterschaften geäußert (s. u.)
1991 veröffentlichte er sein Buch „Drogen, Sport und Politik“, in dem er seine Erfahrungen mit dem USOC beschrieb. Dass es Dopingfälle zu vermeiden galt und das USOC Komplize der gedopten Athleten war, zeigt seine Schilderung der Vorgänge rund um die Panamerikanischen Spiele 1983 in Caracas, Venezuela. Bis 1983 waren die Testmethoden sehr mangelhaft und die Sportler*innen und Betreuer kannten viele Methoden, mit denen positiven Ergebnisse vermieden werden konnten. Entsprechend gering war die Zahl der überführten. Voy schreibt: „Beating the tests and getting by with using drugs was a well established science known by many athletes, coaches, and trainers. It was also widely discussed by the USOC Sports Medicine Council, but no substancial organized attempt was made by sport governing bodies to curtail the problem. … In some respects, the council was torn over the issue of testing: Some wanted to do more to solve the problem, yet all realized our athletes needed these drugs in order to keep up with foreign competition.“
Die Überführungsmöglichkeiten verbesserten sich etwas, als 1983 Gaschromatografie und Massenspektrometer eingeführt wurden. Zum ersten Mal kamen diese Techniken bei den Leichtathletik-Weltmeisterschaften einen Monat vor den Spielen in Caracas zum Einsatz. Den meisten Athleten und Trainer wussten jedoch nichts von den neuen Testmöglichkeiten und so hatten sie sich wie gewohnt vorbereitet. Positive Fälle von der WM waren von der IAAF nicht bekannt gegeben geworden, doch Prof. Donike gab Jahre später während der Anhörungen zum Dubin-Report an, dass es durchaus positive Testresultate gegeben habe.
Jens Weinreich fasst Voys Schilderung zusammen:
„Kurz vor jenen Spielen, einer Art amerikanischem Mini-Olympia, reiste eine USOC-Delegation nach Caracas, um die Bedingungen zu überprüfen. Olympiaarzt Daniel Hanley entdeckte dort im Dopinglabor ein neues Prüfgerät des Kölner Analytikspezialisten Manfred Donike: Eine hochmoderne Apparatur zur gaschromatografischen Rückbestimmung vieler verbotener Substanzen, inklusive Anabolika und Testosteron. Ein Teufelsding, das die Welt noch nicht gesehen hatte. Sofort waren die Amerikaner alarmiert. Beim USOC gerieten sie in Panik und sorgten sich vor allem um ihre mit Muskeldrogen hochgezüchteten Gewichtheber und Leichtathleten. Also verfügte USOC-Direktor Don Miller einen Sicherheitscheck nach dem Vorbild der so genannten Ausreisekontrollen, die auch anderswo Praxis waren: Die amerikanischen Sportler durften ihre eigenen Proben codieren und einschicken, um sich ein Bild von der Gefahr zu machen. Da die Zeit bis zu den Panamerikanischen Spielen jedoch schon sehr knapp geworden war, erfuhren viele Athleten ihre Testergebnisse erst, nachdem sie bereits ins Mannschaftsquartier in Caracas eingerückt waren. Prompt kam es zum Massen-Exodus; allein zehn Leichtathleten flogen umgehend wieder heim. Die US-Gewichtheber aber blieben in Venezuela – und sie blieben auch teilweise einen Zentner unter ihren Saisonbestleistungen, aus einem einfachen Grund: Mit den Organisatoren war ausgehandelt worden, dass nur Medaillengewinner getestet werden. Nur einer, Jeff Mitchels, nutzte die Gunst der Stunde und räumte drei Goldmedaillen ab. Mitchels war ein Trottel. Kurz darauf musste er sie wieder hergeben, die Plaketten. Natürlich hatte Donikes Analysegerät Anabolikaspuren im Körper des Betrügers aufgespürt.“ (Berliner Zeitung, 26.4.2003)
Voy schreibt, dass er die Vereinbarungen über das alleinige Testen von Medaillengewinnern nicht sicher weiß, es wurde ihm so zugetragen. Er vermutet jedoch, dass einige der abgereisten Leichtathleten in Helsinki positiv getestet worden und davon ausgegangen waren, auch in Caracas nicht belangt zu werden. Das wurde ihnen aber nicht zugestanden, statt dessen wurden sie wahrscheinlich von Verbandsvertretern, IAAF und USOC, vorgewarnt und konnten die Flucht antreten.
Heimgereist waren: 400m-Hürdenläufer Mark Patrick, Weitspringer Randy Williams, Sprinter Brady Crain, die Diskuswerfer Paul Bishop und Greg McSeveny, die Hammerwerfer Dave McKenzie und John McArdle, Speerwerfer Duncan Atwood, Dreispringer Mike Marlow und Zehnkämpfer Gary Bastien.
Die Einführung der neuen Testmethoden hatte laut Voy keine Auswirkungen auf die Häufigkeit des Dopings. Neue Dopingmethoden unter Anweisung neuer Experten („Gurus“) waren schnell gefunden und private Dopingtests vor wichtigen Wettkämpfen wurden zur Regel.
NewYork Times: SOME U.S. ATHLETES LEAVE GAMES AT CARACAS AMID STIFF DRUG TESTS, 24.8.1983
SI: Caracas: A Scandal And A Warning, 5.9.1983
New York Times: AS ’84 GAMES GROW NEAR, PRESSURE BUILDS ON U.S.O.C., 13.11.1983
New York Times: DRUG CONTROL BRINGS CONTROVERSY, 14.11.1983
1984 Olympische Spiele Los Angeles
Der kanadische Durbin-Bericht von 1990 zitiert die US-amerikanische Trainerin Pat Connolly, die angab, dass nach ihrer Kenntnis, ihren Beobachtungen, von den ca. 50 US-amerikanischen Teilnehmerinnen bei den Spielen in Los Angeles wahrscheinlch 15 Sportlerinnen, darunter auch Medaillengewinnerinnen, gedopt gewesen seien. Insgesamt sollen nach Robert Kerr 20 Medaillengewinner betroffen gewesen sein.
Pat Connolly hatte 1989 auch vor dem Untersuchungsausschuss des US-Justizsenats zum Anabolikamissbrauch unter Leitung von Senator Joseph R. Biden Jr. ausgesagt. „“Sobald die großen Veranstaltungen anfingen, wussten die Athleten nicht nur, bei welcher Veranstaltung Kontrollen erfolgen würden, sondern auch in welchen Disziplinen, so dass sie diese Veranstaltungen meiden konnten.“ Laut Connolly hätten aus dem US-Olympiateam von 1984 mindestens ein Drittel aller Athleten anabole Steroide benutzt. … 1988 in Seoul hätten „mindestens 40 Prozent des Leichtathletik-Frauenteams Steroide in der Vorbereitung benutzt“. “
Diane Williams, die von Connolly trainiert wurde, hatte das Pech während der Spiele positiv getestet worden zu sein, doch ihr wurde geholfen:
„Einer ihrer Manager sagte: „Ich solle mir keine Sorgen machen, er würde mit einem Anwalt reden, der meinen Fall vertreten würde. Ich erinnere mich, wie ich eine Woche später einen Brief von Dr. F. Don Miller bekam, dem Direktor des USOC, und darin stand: Liebe Miss Williams, ich freue mich, Ihnen versichern zu können, dass die Analyse Ihrer B-Probe negativ war.“ (Berliner Zeitung, 26.4.2003, Chicago Tribune, 24.4.1989)
1994 wurden in der BBC von Laborangestellten Anschuldigungen gemacht, wonach 9 bis 20 weitere positive Fälle (darunter 5 auf anabole Steroide) nicht weiter verfolgt worden seien. Beckett gab dazu an, die Unterlagen seien mysteriöser Weise im Hotelzimmer von Alexandre de Mérode verschwunden. In Verdacht kam das Organisationskomitee der Los Angeles Spiele LAOOC.
Bestätigt wurden die vernichteten Dopingfälle von Ollan Cassell, damals Vizepräsident des IAAF, im Jahr 2016 (Japan Times, 5.11.2016, insidethegames.biz, 6.11.2016):
„Fast forward to the 1984 Los Angeles Summer Games. IAAF head honcho Nebiolo, under whom Cassell served as vice president, informed his No. 2 “about the decision he and Samaranch had made about capping the number of positive (drug) tests in L.A. at a dozen,” Cassell recounted in his memoir. “He said they had done it ‘to protect the Olympics and the USA’ so there would be no scandal.”
1992 enthüllten V. Simon und A. Jennings, dass es 1983 ein von dem USOC veranstaltetes Trainingsprogramm für Athleten gab, dass diese angeblich mit dem Kontrollablauf bekannt machen sollte, aber dazu diente, zu zeigen, wie man positive Kontrollen vermeiden konnte.
Zudem hatte die USamerikanische Seite beim IOC versucht durch zu setzen, dass keinerlei Tests während der Spiele stattfinden (AP, 29.4.1983).
Weitere Informationen zu den Spielen 1984 siehe unter c4f: USA und die Olympischen Sommerspiele Los Angeles 1984.
Dr. Robert Voy, Chefmediziner des USOC von 1983 – 1989
Robert Voy, 1991:
Ende 1988 war ich seitens des USOC in Gespräche mit der Europäischen Sportmedizin und Anti-Doping-Komitees eingebunden. Wir versuchten damals die osteuropäischen Länder für gemeinsame Anstrengungen im Kampf gegen Doping zu interessieren. Der schwierigste Einwand, mit dem wir uns auseinander setzen mussten war, ob denn der USA getraut werden könne. Auch Sir Arthur Gold aus Großbritannien meinte dies in Anbetracht der Blutdopingfälle und frug, ob die Absichten der USA aufrichtig gemeint seien.
Meiner Meinung nach hatte Gold damit recht, unsere nationalen Interessen in Sachen Doping in Zweifel zu ziehen. Zum Beispiel erschien Ben Plucknett, ein amerikanischer Diskuswerfer, der während einer europäischen Leichtathletikveranstaltung positiv auf anabol-androgene Steroide getestet wurden war, zwei Wochen später auf der Titelseite eines führenden amerikanischen Newsmagazins als Amerikas Sportler des Jahres.
Dr. Robert O. Voy, seit 1983 Chefmediziener des USamerikanischen Olympischen Komitees, äußerte 1987 öffentlich Zweifel an den Dopingtestergebnissen der US-Leichtathletik-Meisterschaft und der Leichtathletik-Weltmeisterschaften. Er betonte, dass er nicht behaupte, positive Tests seien unterdrückt worden, doch dass es bei der US-Meisterschaft keinen einzigen positiven Test und bei der Leichtathletik WM nur einen gegeben habe, würde ihn erstaunen, denn einer sei nicht genug: „I don’t know whether (athletes) were tested or whether the samples were thrown down the sink,“ „In my mind, one positive for the track and field championships is unbelievable.“
Nach Voys eigenen Recherchen, seien auf internationaler Ebene im Durchschnitt 2% der Proben positiv und die Tests in den USA zeigten, dass zwischen 2 und 3% der Athleten verbotene Substanzen einnähmen. Doch bei der WM in Rom war lediglich die Schweizer 1.500m-Läuferin Sandra Gasser positiv getestet worden (Testosteron). Da das positive Ergebnis erst zwei Wochen nachdem IAAF-President Primo Nebiolo verkündet hatte, es gäbe keine positiven Tests, bekannt gegeben worden sei, vermutete Voy, dass der Schweizer Verband darauf bestanden habe, das Ergebnis öffentlich zu machen.
Als Dr. Voy mit seinen Vermutungen an die Öffentlichkeit ging, hatte er noch gehofft, Prinz Alexandre de Merode, der Vorsitzende der Medizinischen Kommission des IOC würde ihn unterstützen, doch dieser schwieg und äußerte lediglich, seiner Überzeugung nach würde nicht die IAAF positive Tests unterdrücken, sondern die Athleten benutzten maskierende Substanzen. (LAT: Drug-Test Results Are Questioned : One Positive Not Enough, USOC Medical Officer Voy Says, 16.10.1987)
Im Sommer 1988 sorgte Robert Voy erneut für Ärger, als er behauptete, dass eine Reihe von Sportler*innen bei den US-Leichtathletik-Ausscheidungskämpfen für die Olympischen Spiele positiv getestet, aber nicht sanktioniert worden seien. Der Verband erklärte daraufhin, es habe sich um Stimulanzien gehandelt, die über Nahrungsergänzungsmittel unbeabsichtigt eingenommen worden seien und es auf Grund dessen keine Verfahren gegeben habe. Voy erhielt einen Maulkorb und wurde letztlich kalt gestellt.(LAT: Voy Claims USOC Muzzled Him in Drug Fight) Erheblich reduziert wurde auch das Bugjet seiner Abteilung Sports Medicine and Science, u.a. der Posten für Dopingkontrollen um 33 %.
1991 Vorwürfe gegenüber dem US- Leischtathletikverband TAC
In seinem Buch von 1991 schildert Robert Voy die erwähnten Vorwürfe ausführlicher und stellt sie in einen größeren Rahmen. Die Leichtathletik ist für ihn der führende Sport in der Verharmlosung und Vertuschung von Doping. Er sieht vielfältige Hinweise darauf, dass erfolgreich positive Ergebnisse unterdrückt oder Tests nicht durchgeführt wurden. Dabei klagt er international die IAAF ebenso wie national den US-Verband Athletics Congress (TAC) an.
Zusammengefasst führt er folgende Beispiele bezüglich des TAC an:
– 1985 war Voy in seiner Funktion als Chefmediziner des USOC mit einem Testprogramm des TAC befasst, dass als ‚protective testing program‘ gedacht war. Die zu testenden Sportler*innen wurden angeblich landesweit über einen Zufallsgenerator ausgewählt. Getestet und überführt wurden damit aber kaum Eliteathleten sondern z. B. solche wie ein 58jähriger Marathonläufer und ein 13 jähriger Läufer. Er hatte schnell den Eindruck, dass die großen Namen genau wussten, an welchen Veranstaltungen sie teilnehmen konnten und an welchen nicht. 1990, als der TAC unangekündigte Trainingskontrollen einführte, berichteten ihm Athleten, ihnen wäre davor nicht bange, schließlich würden sie aus dem Verband heraus gewarnt.
– Immer wieder fanden die TAC, hier Ollan Cassell und Frank Greenberg, Möglichkeiten, positiv getestete Athleten mit der Begründung formaler oder technische Fehler vor Sanktionen zu schützen. So geschehen 1987 im Falle des Diskuswerfers John Powell, der mit Nandrolon aufgefallen war. Er wurde auch nicht provisorisch gesperrt sondern konnte kurz nach seinem positiven Test bei der Leichtathletik-WM in Rom eine Medaille gewinnen. Obwohl nach Voy Tests auch hier ein positives Ergebnis hätten erbringen müssen, gab es keine Befunde. Voy unterstellt der IAAF offen Manipulationen und wiederholt seine bereits 1987 vorgebrachte Kritik (s.o.). Ein Indiz für den Wahrheitsgehalt seiner Behauptungen sieht er in der Tatsache, dass vor der WM die beiden Dopingkontrollexperten Manfred Donike und Arnold Beckett durch Virginia Mikhaylova und Arne Ljungquist ersetzt worden waren.
– Gerne würden seitens der TAC auch Erklärungen akzeptiert, wonach insbesondere in Fällen von Stimulanzien eine unbeabsichtigte Einnahme vorgelegen haben soll. Diese Entschuldigung würde auch in sehr unwahrscheinlichen Fällen angenommen. So geschehen bei 8 Athleten während der Ausscheidungswettkämpfe vor den Olympischen Spielen 1988. (S. u. auch die Aussagen von Wade Exum.)
– Oder die TAC lieferte vorsätzlich ungenügende Information in Annhörungen, so dass die Sporteler frei gesprochen werden mussten. Dies soll nach Edwin Moses 1989 in den Fällen Augie Wolf und Billy Olson der Fall gewesen sein.
Im März 1989 gab Voy seinen Posten beim USOC auf. Seine Entscheidung sei vor allem den gewachsenen Spannungen aufgrund seiner strikten Anti-Doping-Haltung zwischen ihm, den USOC-Funktionären und Verbänden geschuldet:
LAT: Voy Is Still a Doctor With a Cause : USOC’s Beleagered Drug Czar Fighting a Losing Battle, 22.1.2016
1999 – 2000 Vorwürfe aus Australien und dem IAAF
Der Spiegel, 1.1.2001:
Auch in Atlanta 1996 war alles präpariert. Vor den Spielen verkündete das USOC, dass sein Drogentestprogramm – von einem Offiziellen stolz als das „härteste Anti-Doping-Programm der Welt“ bezeichnet – erst nach Olympia in Kraft trete: „Unangekündigte Kontrollen wird es nicht geben – wir testen wie bisher.“ Und das bedeutete: so gut wie gar nicht.
Im September 2000 berichtet die australische Zeitschrift The Australian von 207 Doping-Fällen in den USA im Jahr 1999, die nur 10 Sanktionen zur Folge gehabt hätten. In 29 Fällen seien anabole Steroide, in 158 Stimulanzien und in 20 Diuretika und Beruhigungsmittel fest gestellt worden. (oneindia, 30.9.2000)
My Khel: 24.8.2017)
Die Nachforschungen des Auslands führten schließlich dazu, dass das USOC 33 ungeahndete Fälle aus der Leichtathletik allein für das Jahr 1999 eingestand. Indes: Die Namen der Doper verheimlichten die Funktionäre weiterhin – aus Furcht vor Schadensersatzklagen in Millionenhöhe. Selbst IOC-Vizepräsident Thomas Bach, ansonsten nicht gerade die Speerspitze der Anti-Doping-Bewegung, monierte: „Die Doping-Politik der Amerikaner funktioniert nicht. Sie müssen sich endlich internationaler Aufsicht stellen, um Chancengleichheit zu gewährleisten.“
In dieser Zeit erhob auch die IAAF harsche Vorwürfe gegenüber dem US-Leichtathletik-Verband. Neben dem ungenügenden Testprogramm, das wenige positive Fälle zum Ziele hätte, monierte Prof. Arne Ljungqvist, Vorsitzender der Medizinischen Kommission der IAAF, die USATF habe in den letzten beiden Jahren 17 Fälle nicht an die IAAF weiter gegeben. Einer der Athleten sei zudem bei den OS in Sydney gestartet. (sid, 17.11.2000)
Nach diesen Anschuldigungen während der Olympischen Spiele in Sydney 2000, die USA, insbesondere deren Leichtathletikverband USATF, habe in großem Stile positive Dopingfälle unterdrückt, beauftragte der US-Leichtathletikverband eine unabhängige Kommission, diese Vorwürfe zu untersuchen. Im Juli 2001 lag der Bericht vor:
Als Ergebnis wurde festgehalten:
– Es konnten keine von der USATF willentlich vertuschten Dopingfälle gefunden werden.
– Alle Ergebnisse waren nach Verfahrensende der IAAF mitgeteilt worden, wobei der Verband seine eigenen Vertraulichkeitsregeln anwandte. Wobei dessen interne Vorgaben nicht mit den internationalen Standards übereinstimmten. Daher wurden der IAAF Informationen vorenthalten. Dies ginge aber mit dem Reglement des USOC konform.
Was die von der IAAF monierten 17 Fälle anbelangte, wäre der Verband davon ausgegangen, das zuständige Analyselabor habe, wie vorgeschrieben, die Fälle an die IAAF gemeldet. Der bei den Olympischen Spielen in Sydney gestartete Athlet sei zwar im Vorfeld der Spiele positiv getestet worden, allerdings noch vor seinem Start in Sydney frei gesprochen worden. Damit sei es nicht mehr nötig gewesen, diesen Fall der IAAF zu melden.
Auch wenn zu den konkret benannten Fällen keine direkte Vertuschung durch den Report fest gestellt wurde, benennt er eine Reihe von Ursachen, die dazu beitrugen, dass Dopingfälle nicht, wie es z. B. das IAAF-Reglement forderte, bekannt und sanktioniert wurden – Ursachen, die von der USATF bewusst etabliert und angewandt wurden (s. Report).
2000 Cottrell J. Hunter
Der Tagesspiegel, 25.9.2000:
Nein, dass der amerikanische Sport drogenfrei ist, glaubt kaum jemand. Eher ist es so, dass die amerikanischen Sportler selten erwischt werden, weil sie weitgehend unbehelligt von unabhängigen Kontrolleuren ihre Kreise ziehen. Es hatte sich nämlich der amerikanische Verband immer furchtbar geärgert, wenn seine Dopingfahnder vor verschlossenen Türen standen, weil die Athleten nicht da und auch nicht aufzufinden waren. Daraufhin beschloss der Verband vor etwa zwei Jahren etwas Naheliegendes: Die Kontrolleure rufen die Probanden erst einmal an und kündigen ihren Besuch freundlich an. Es wird dann eher selten einer erwischt.
Während der zweiten Woche der Olympischen Spiele in Sydney 2000 wurde bekannt, dass Kugelstoßweltmeister Cottrell J. Hunter, Ehemann von Marion Jones, am 28.7. bei dem Golden-League-Meeting in Oslo positiv auf Nandrolon und Testosteron getestet worden war, wobei Testosteron in späteren Berichten nicht mehr auftaucht. Wie das IOC später bekannt gab, war Hunter neben den Ergebnissen in Oslo bei drei weiteren Proben von Trainingskontrollen in Rom, Barcelona und Oslo mit ähnlichen Resultaten aufgefallen. (dpa, 26.9.2000)
Der Fall weckte schnell den Verdacht, er hätte vertuscht oder zumindest nicht zu den Spielen bekannt werden sollen.
Im McLaren-Report von 2001 ist dazu zu lesen, dass sich weder das IOC noch das USOC zur Bekanntgabe verpflichtet gefühlt hätten zumal sie von Hunter bzw. seinem Manager informiert worden seien, dass der Sportler nicht starten wollte. Seine Akkredietierung trotz Dopingfall sei ein Versehen gewesen, einige Angestellte hätten sich nicht mit den Regularien ausgekannt. Ein bewusstes Umgehen von Regeln sei niemandem vorzuwerfen.
2000-2003 Wade Exum erhebt schwere Vertuschungsvorwürfe
Mediziner Wade Exum, ein Farbiger, war Nachfolger von Dr. Robert Voy. Er bekleidete den Direktorenposten der Anti-Doping-Abteilung des Nationalen Olympischen Komitees der Vereinigen Staaten (USOC) seit 1991. Im Jahr 2000 kündigte er ‚gezwungener Maßen‘ und strengte in diesem Zusammenhang Schadensersatzklagen gegen die USOC an. Zum einen erhob er Vorwürfe wegen Rassendiskriminierung, zum anderen warf er dem USOC jahrelange Vertuschung vieler positiver Dopingfälle vor. Zwischen 1988 und 2000 habe es mehr als 100 positive Tests von US-Athleten gegeben, von denen etwa die Hälfte nicht gesperrt worden seien. Darunter hätten sich 19 Gewinner von Olympiamedaillen seit 1984 sowie 18 Sportler, die während der Olympiaausscheidungen positiv aufgefallen waren, aber dennoch bei Olympia gestartet seien.
Exum erregte viel Aufsehen mit seinen Vorwürfen, doch Konkretes kam nicht an die Öffentlichkeit. 2003 ging ein Teil von Exums Unterlagen an die Presse. Jetzt wurden die Namen von 6 Fällen bekannt, die vor Olympischen Spielen positiv waren aber nicht sanktioniert wurden. Die Sportler waren Carl Lewis (Stimulanzien 3x), Joe DeLoach (Stimulanz), Andre Phillips (Stimulanz), Mary Joe Fernandez (Stimulanz), Alexi Lalas (Testosteron), Dave Schultz (Stimulanz).
Zu den 8 positiven Fällen vor den Spielen 1988 erklärte die IAAF im Mai 2003, alles sei regelkonform verlaufen. 4 davon gingen auf Lewis und DeLoach, die Namen der anderen wurden nicht bekannt.
Danach verlief die gesamte Angelegenheit im Sande.
Ausführlichere Informationen sind hier zu finden
doping-archiv.de: Wade Exum klagt an
2015 Victor Conte zu vertuschten Dopingfällen 1988 und später
Edwin Moses, 11.6.1989:
„How many elite American track and field athletes use steroids? I think 40 percent to 50 percent. People rarely say to me, “Look, I’m using them,“ because they may regard me as sort of a cop. I hear second-hand from a lot of athletes that so-and-so is on steroids, but sometimes someone can have a great performance and opponents try to explain it away by pointing falsely to drugs.“
“ Last December, I talked with a world-class hammer thrower, an American, about the drug problem. He said he wanted to compete, but he didn’t want to take drugs. He said the only thing he could do was retire because he couldn’t be competitive without drugs. He said he thought about it, he researched it and he retired. He said he hoped our imminent out-of-season testing program plus our competition testing program would become effective quickly so he could come out of retirement.
Another weight-thrower, citing poor distances, said to me, “No one wants to see me put the shot 65 feet or throw the discus 200 feet, and the only way I can make a big throw is to use steroids.“ He said the competition would still be legitimate because he said 80 percent to 90 percent of the athletes he would face were using steroids.“
Victor Conte, Hauptverantwortlicher im Balco Skandal, nannte 2015 in der Japan Times prominente Namen der US-Leichtathletik, die vor und während der Olympischen Spiele 1988 und 1992 angeblich positiv getestet aber niemals des Dopings überführt wurden:
Japan Times: Conte says coverup protected big stars at Seoul Games, 11.8.2015
Conte nennt explizit die Goldmedaillengewinner*innen Florence Griffith Joyner, Jackie Joyner-Kersee und Andre Phillips, die während der OS 1988 in Seoul positiv getestet worden seien. Er habe davon zufällig mitgehört, wie Jackies Ehemann darüber informiert worden sei. Die Frauen hätten sich nach den Spielen überraschenderweise aus dem Sport zurück gezogen, obwohl sie auf auf der Höhe ihrer Karriere gewesen seien. Voy schreibt allerdings 1991, dass Florence Griffith Joyner niemals eine positive Probe abgeliefert habe wobei er die Anwendung von Wachstumshormonen nicht ausschließt.
Im Falle des Kugelstoßers Gregg Tafralis, der von Conte betreut wurde, erhielt Conti von einem offiziellen Mitarbeiter des US-Leichtathletikverband (damals The Athletics Congress TAC, heute USATF) die Nachricht, dass der Sportler positiv auf Dianabol getestet worden sei. Trafalis, neunter bei den OS in Seoul 1988, bestätigte Conte gegenüber, dass er seit Jahren auf Anabolica war, aber niemals positiv getestet worden sei. Einige Tage später erhielt Conte erneut eine Nachricht des Funktionärs, danach hätte man beschlossen, Tafralis positive Probe nicht weiter zu verfolgen.
All of a sudden the same (TAC) guy calls me back and says, ‘Well, listen, tell your boy (Tafralis) that he’s off the hook,’ ” Conte recalled.
“What do you mean?” Conte asked him.
“Well, we went to the reception after the funeral for one of the elder statesmen at TAC,” Conte recalled being told, “and there were five of the guys that got together and just decided it wasn’t a good time for these results to come out and they are going to be swept under the rug.”
Trafalis startete daraufhin bei den US-Ausscheidungswettkämpfen im Juni 1992, wurde vierter und konnte sich damit nicht für die OS in Barcelona qualifizieren. 1995 wurde er erneut positiv getestet und lebenslang gesperrt.